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Die Seelentöter – Band 5: Ein aussichtsloser Kampf

Meine Erfahrungen in der katholischen Kirche

von Bernhard Veil (Autor:in)
324 Seiten
Reihe: Die Seelentöter, Band 5

Zusammenfassung

Das Mobbing im Katharinenhospital geht unvermindert weiter. Durch intrigante Vorgehensweisen und mancherlei Lügen und Verleumdungen wollen die Pfarrer und Pfarrerinnen ihre Macht gegenüber ihrem Kollegen Thomas demonstrieren, um ihm zu zeigen, dass sie mehr zu sagen haben als er. Als Pastoralreferent soll er nicht die gleichen Rechte haben wie sie. Durch ihre demonstrative Ungleichbehandlung bekommt er von ihnen tagtäglich diesen Unterschied deutlich zu spüren. Als sie bemerken, dass Thomas keinerlei Rückhalt bei seinen Vorgesetzten genießt, die ebenfalls alle Priester und Pfarrer sind, ist Thomas seinen Peinigern hilflos ausgeliefert. Selbst zwei Anwälte, die er in seiner Not aufsucht, geben ihm zu verstehen, dass sich die Kirchen in Deutschland nicht an das Betriebsverfassungsgesetz halten müssen, das unter anderem auch die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber ihren Mitarbeitern regelt. Thomas wird krank, fällt in eine tiefe Depression und als er nach drei Monaten von einem Klinikaufenthalt an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, geht das Mobbing in verstärktem Maße weiter und gipfelt in einem abgekarteten Verleumdungsbrief an seine Vorgesetzten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Unter der Reihe „Die Seelentöter“ berichte ich von meinen Erfahrungen, die ich als Mitarbeiter in der katholischen Kirche erlebt habe. Damit der Focus der beschriebenen Personen nicht nur auf Priester, Pfarrer und sonstige Kleriker gerichtet ist, habe ich auch mehrere Episoden aus meinem Leben und Werdegang hinzugefügt. Somit kann der Leser einen besseren Eindruck gewinnen, wie diese „Hochwürden“ mit mir als Mitarbeiter umgegangen sind.

Alle Namen der beschriebenen Personen wurden abgeändert, die angeführten Institutionen und Handlungsorte jedoch beibehalten, so dass sich jeder ein Bild darüber machen kann, was sich vor wenigen Jahren an diesen Schauplätzen ereignet hat. Die zitierten Schriftstücke sind im Originaltext wiedergegeben, lediglich die Namen wurden von mir abgeändert. Alle angeführten Briefe und schriftlichen Belege sind wortwörtlich zitiert, so dass der Leser erkennen kann, welche Konsequenzen die kirchlichen Entscheidungsträger aus den vorgegebenen Situationen gezogen haben. Um das Kostenrisiko in Grenzen zu halten, habe ich auf ein Lektorat verzichtet, sollten sich im Text Fehler eingeschlichen haben, dann bitte ich Sie, mir diese Mängel zur Berichtigung mitzuteilen.

E-Mail-Adresse: bernhardveil@web.de

Erholung im Schwarzwald

Nach zweistündiger Autofahrt komme ich in der Reha-Klinik an, erledige die Aufnahmeformalitäten und werde gleich nach dem Mittagessen von mehreren Ärzten eingehend medizinisch und psychologisch untersucht. Körperlich bin ich einigermaßen gesund, meiner Größe und meinem Alter entsprechend wird ein leichtes Untergewicht festgestellt, jedoch bei den neurologischen Tests werden deutliche Symptome von nervlicher Überbeanspruchung diagnostiziert. Anzeichen sind nervöses Augenzwinkern, leichte Gleichgewichtsstörungen, meine gravierenden Schlafprobleme und die Tatsache, dass ich an einer schweren depressiven Verstimmung leide. Bisher versuchte meine Ärztin diese Symptome mit Hilfe einiger Psychopharmaka in den Griff zu bekommen, jedoch angesichts meiner beruflich bedingten Belastung ohne Erfolg. Für die kommenden sechs Wochen wird ein Therapieplan erstellt, der aus unterschiedlichen Behandlungsmethoden besteht: Musiktherapie, Gestaltungstherapie und verschiedene Therapien zur Entspannung und Beruhigung meiner ausgebrannten psychischen Verfassung, physikalische Anwendungen und sportliche Betätigungen sollen mir wieder mehr Ruhe verschaffen und meine schweren Schlafstörungen lindern. Wöchentlich steht auch eine Gruppentherapie auf meinem Programm und außerdem bekomme ich wöchentlich drei tiefenpsychologische Einzelgespräche verordnet, damit ich meine Mobbing-Attacken, die ich in meinem beruflichen Umfeld erleiden musste, mit einer Psychotherapeutin aufarbeiten kann. Diese Gesprächstherapie ist für mich vor allem deswegen sehr hilfreich, weil es mir nicht möglich ist, mit meinen Mitpatienten in den verschiedenen Gruppentherapien von meinen niederschmetternden Erlebnissen zu reden. Zu sehr schäme ich mich, dass ich als Klinikseelsorger von meinen Kollegen und Kolleginnen schikaniert wurde und schlimme Mobbing-Attacken erleiden musste. Denn wer von diesen Patienten hier in der Reha-Klinik könnte schon nachvollziehen, dass Pfarrer und Pfarrerinnen so hinterhältig, gemein und niederträchtig mit einem Kollegen umgehen können? In diesen Einzelgesprächen kann ich aber viele schreckliche Interaktionen, die ich in der Vergangenheit von meinen Kollegen und Kolleginnen hinnehmen musste, nochmals durchsprechen und neu reflektieren. Was mich in meiner gesamten Situation jedoch besonders belastet, ist die Tatsache, dass ich mich zu sehr mit meinem Beruf und meinem seelsorglichen Dienst identifiziere und dieser Institution Kirche keinen Schaden zufügen möchte. Diese Loyalität zu meiner Kirche hindert mich daran, in Anwesenheit anderer Mitpatienten von meinen erdrückenden Erfahrungen zu berichten. All die bisherigen niederträchtigen und böswilligen Erlebnisse musste ich in meinem harten Klinik-Job tagtäglich verdrängen, damit ich meine anstrengenden Aufgaben bewältigen konnte. Ansonsten hätte ich nie so lange die unerträglichen Diffamierungen und Schmähungen meiner evangelischen Kollegen aushalten können. Jetzt erst kommt bei diesen Einzelgesprächen alles wieder zum Vorschein, und auch viele andere Erlebnisse, die ich im Laufe meines Berufslebens in der katholischen Kirche erdulden musste.

Auch in den Gestaltungstherapien wird sichtbar, dass ich sehr schlimmes Leid völlig verdrängt habe. Besonders deutlich wird dies in einer therapeutischen Übung, in der wir unsere positiven und negativen Erfahrungen in einem Bild darstellen sollen. Jeder Teilnehmer legt sich zunächst auf einen großen Papierbogen, der auf dem Boden ausgebreitet wird. Ein anderer Patient zeichnet mit einem schwarzen Filzstift die Umrisse des auf dem Papierbogen liegenden Mitpatienten nach, so dass nun jeder sein eigenes Profil auf dem Papierbogen mit bunten Farben ausmalen kann. Es soll jeder Patient nun all das, was er erfahren, erlitten und erduldet hat, in seinen eigenen Körperumriss einzeichnen. Meine Mitpatienten machen sich sofort an die Arbeit und malen mit den verschiedensten Farben ihre Körperkonturen aus. Manche amüsieren sich dabei und finden es schön, sich selbst in einer Art und Weise porträtieren zu können, wie sie es bisher so noch nie getan haben. Eine Patientin neben mir gestaltet aus ihrem Körperumriss eine Prinzessin, malt dieser Prinzessin aber einen großen braunen Fleck in den Bauch. Später erklärt sie in der anschließenden Aussprache, dass dieser Fleck eine Fehlgeburt darstelle, die sie noch nicht verarbeitet habe. Eine andere Teilnehmerin malt sich als hübsch angezogenes Mädchen, das mit vielen blauen Flecken am ganzen Körper überzogen ist und erklärt, dass sie früher von ihrem Vater und später auch von ihrem Ehemann immer wieder geschlagen worden sei. Ein junger Mann zeichnet sich als Jäger, dem er den Kopf mit einem dicken schwarzen Strich abtrennte. Bei der Auswertung berichtet er, dass er als Sänger bei einer Opernaufführung eine Liebesarie singen musste. Dabei sei er so intensiv an seine soeben zerbrochene Liebesbeziehung erinnert worden, dass er die Arie abbrechen musste und nicht mehr weitersingen konnte. Die Folge war, dass er vom Intendanten des Opernhauses fristlos entlassen wurde. Nun sei er arbeitslos und müsse die gescheiterte Beziehung und zusätzlich noch den Schock seiner plötzlichen Arbeitslosigkeit verkraften.

Jeder Teilnehmer kann auf diese Weise seine Geschichte erzählen. Manche können es kaum erwarten, bis sie ihre belastenden Erlebnisse den anderen mitteilen dürfen, andere zögern und warten ab, bis der Therapeut sie anblickt, um sie zu ermuntern, ihr gemaltes Portrait den anderen zu erläutern. Ich aber sitze da wie versteinert und schäme mich. Den Blicken des Therapeuten weiche ich aus und schaue vor mir auf den Boden, wo mein Bild mit meinem Körper vor mir liegt. Den ganzen Körperumriss habe ich mit schwarzer Farbe ausgemalt. Lange wusste ich nicht, wie ich meine innere Befindlichkeit auf diesem Papierbogen darstellen soll. Zögerlich malte ich anfangs einzelne schwarze Flecken in meine Konturen bis ich so nach und nach die ganze Fläche meiner Person mit pechschwarzer Fingerfarbe überschmierte. Und nun soll ich von dieser Person, die vor mir auf dem Boden liegt, allen anderen etwas erzählen? Ich bringe es nicht fertig. Ich fühle mich total überfordert. Wie und wo soll ich anfangen? Bei meinen vielen verstorbenen Patienten, die ich bis zuletzt begleitet habe? Bei den tragischen Unfällen, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, bei den Angehörigen, die sich in ihrer Verzweiflung an mich geklammert haben? Bei den Kranken, die nie einen Besuch bekamen und ich ihr einziger vertrauter Ansprechpartner war? Oder bei meinen Kollegen und Kolleginnen, die mir nur mit Gehässigkeit und Niedertracht begegnet sind und mir meinen beruflichen Alltag zur Hölle gemacht haben? Als alle ihre Erlebnisse erzählt hatten, spricht mich der Therapeut an und fragt mich, ob ich denn nicht ebenfalls zu meinem Bild etwas sagen möchte? Stockend antworte ich:

„Ich, … ich … kann … nicht.“

Dann wird es mir furchtbar übel. Ich sitze kreidebleich auf meinem Stuhl und habe ein schreckliches Gefühl. Ein Gefühl, dass ich jetzt total versagt habe. Alle in der Runde schauen auf mich, wodurch sich meine Situation noch verschlimmert. Ich bekomme kaum noch Luft, kippe zur Seite, werde von meinem Nachbarn gestützt. Der Therapeut springt herbei, hält mich an den Oberarmen fest und gibt mir Halt, damit ich nicht vom Stuhl sinke. Mir ist zum Erbrechen übel, der Therapeut beendet schnell die Gruppentherapie, beschließt mit wenigen Worten die Sitzung und bittet die Teilnehmer auf ihre Zimmer zu gehen. Anschließend führt er mich zu einem Arzt, der mir eine Beruhigungsspritze verabreicht. Später berichte ich meiner Psychotherapeutin, dass ich es meinen Mitpatienten in der Gruppe nicht zumuten wollte, was ich in meinem Beruf erlebt habe. Der Grund für meine Blockade, in der Gruppensitzung von den fiesen und hinterhältigen Attacken der evangelischen Kolleginnen zu erzählen, ist vor allem die Tatsache, dass ich mich schämte, weil so etwas in kirchlichen Kreisen überhaupt vorkommt und ich mich gegen die zynischen und boshaften Angriffe meiner Arbeitskolleginnen nicht zur Wehr setzen kann und ihnen schutzlos ausgesetzt bin. Denn wer von den Anwesenden in dieser Therapiegruppe hätte das schon verstehen können? Und was wäre geschehen, wenn einige von ihnen in der katholischen oder evangelischen Kirche stark verankert sind? Möglicherweise hätten sie sich sofort gegen mich gewandt und hätten meine Erfahrungen gar nicht akzeptiert? Vielleicht hätten sie mich endlos hinterfragt, um die Gründe für diese Mobbing-Attacken bei mir zu suchen? Möglicherweise hätten sie am Ende dann mir die Schuld zugeschoben, dass ich in eine derartige Mobbing-Situation hineingeraten bin? Und wer weiß, vielleicht wäre ich von ihnen noch zum Schuldigen gestempelt worden, der mit Priestern und Pfarrern einfach nicht richtig zusammenarbeiten kann? Denn Priester und Pfarrer können aus der Sicht der „Gläubigen“ doch niemals solche Unmenschen sein, wie ich es hier schildern würde? Und die anderen Patienten, die ohnehin sehr kritisch dem christlichen Glauben gegenüberstehen? Würde ich sie nicht in ihrer ablehnenden Haltung bestätigen, wenn ich von unserer überkonfessionellen kirchlichen Zusammenarbeit im Katharinenhospital berichten würde? Manche meiner Mitpatienten könnte ich dadurch womöglich von ihrem christlichen Glauben abbringen? All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf. Es war mir schlichtweg nicht möglich, in dieser und ebenso in den folgenden Gruppengesprächen von meinen beruflichen Erfahrungen zu erzählen, die mir so schwer zu schaffen machten. Unzählig vielen Menschen konnte ich zur Seite stehen, konnte sie trösten und sie durch ihre schweren Stunden begleiten. Und hier in dieser Reha-Klinik erkenne ich, dass ich selbst in einer hilflosen Situation bin, mit der ich nicht zurechtkomme. Für andere konnte ich da sein, ihnen in ihrem Leid beiseite stehen und ihnen zuhören, selbst aber bin ich völlig hilflos, wenn es darum geht, von meiner eigenen Not zu berichten und anderen meine eigene Lage und Befindlichkeit mitzuteilen. Ich bin wie gelähmt, bin ausgebrannt, enttäuscht, verzweifelt und leer. In meinem Beruf konnte ich bisher nur deshalb so gut funktionieren, weil ich ständig alle Herausforderungen angenommen habe, die auf mich zukamen, um für die hilflosen und kranken Menschen da zu sein. Ich war erfüllt von ihren dankbaren Blicken und sah es als eine Bestätigung meiner Arbeit an, wenn das Pflegepersonal mich ständig anforderte, selbst wenn es um Patienten ging, die nicht meiner eigenen Konfession angehörten. Wie oft hatte ich von den evangelischen Patienten oder deren Angehörigen die Antwort erhalten, wenn ich mich ihnen als katholischer Seelsorger vorstellte und mein Kommen damit entschuldigte, dass vom Pflegepersonal wohl versehentlich ich zu ihnen gerufen wurde:

„Ach, das macht doch nichts, wir haben doch alle nur einen Herrgott“, war zumeist die Antwort und sie waren froh und dankbar, dass ihnen jemand zuhörte und für sie Zeit hatte, bei dem sie sich ausweinen konnten. Allen wollte ich es recht machen, weil ich wusste, dass die leiseste Kritik sofort von meinen Kollegen und Kolleginnen dazu benützt werden würde, um mich bei meinen Vorgesetzten anzuschwärzen. Doch mein Bestreben nach Perfektionismus hatte dazu geführt, dass ich vom Pflegepersonal immer häufiger bei Tag und Nacht gerufen und angefordert wurde. Ich war ja ständig für sie erreichbar. Zwar hatte ich den evangelischen Kollegen danach immer einen Zettel ans Schwarze Brett gehängt und ihnen mitgeteilt, wenn ich in der Nacht zu einem ihrer evangelischen Patienten gerufen worden bin. Doch möglicherweise hatte dies eher noch dazu beigetragen, dass sie mich als ihren Konkurrenten wahrnahmen und sie mir solche Mitteilungen als eine Art von Wichtigtuerei auslegten, obwohl ich doch nur korrekt sein wollte? Ich konnte ja nichts dafür, wenn sie nicht erreichbar waren und das Pflegepersonal dann mich zu diesen Patienten rief, zumal das anscheinend viel reibungsloser und unkomplizierter ablief, als wenn sie einen meiner evangelischen Kollegen gerufen hätten. Ganz gleich, wie ich es auch anstellte, alles war falsch.

Und dann das Problem, wenn ein Patient eine Krankensalbung wünschte. Auch das war jedes Mal eine Prozedur, vor allem wenn Arno nicht erreichbar war. Dann musste ich in Stuttgart und in der ganzen Umgebung in sämtlichen Pfarreien herumtelefonieren, um einen Priester ausfindig zu machen. Stundenlang saß ich oft am Telefon, wählte mir an der Telefonscheibe die Finger wund, bis ich endlich einen Pfarrer gefunden habe, der ins Katharinenhospital kommen konnte. Hatte ich aber im Telefonbuch alle Pfarreien von Stuttgart und der Umgebung angewählt und konnte in all diesen Kirchengemeinden keinen Priester erreichen, dann fing ich eben wieder von vorne an. Für meinen stundenlangen Einsatz, den ich zu jeder Tages- und Nachtzeit leisten musste, bekam ich nie einen Dank! Im Gegenteil, oft wurde ich von diesen Priestern angemotzt, dass ich sie störe, und von den Patienten und deren Angehörigen ebenfalls, weil alles so ewig lange dauerte, bis endlich einer kam. Ist dieser Priester beim Patienten dann schließlich eingetroffen und hat seine Zeremonie in fünf oder zehn Minuten abgespult, so bekam natürlich er die ganze Anerkennung und Bewunderung für etwas, was ich ohne weiteres hätte selbst tun können aber nicht durfte, weil diese scheinheilige „Priesterkaste“ diese Sakramenten-Spenderei für sich selbst reklamiert hat, um die damit verbundene Anerkennung und Bewunderung einzuheimsen. Mehr und mehr erkenne ich dieses System, in dem es nicht darum geht, den Menschen auf möglichst effektive Weise zu helfen, sondern ihre Krankheit und Not auszunützen, damit die „Hohen Priester und Schriftgelehrten“ mit all ihren ausgefuchsten Privilegien und Sonderrechten ihre vielfältigen Vorteile daraus ziehen können.

Nach meinem Zusammenbruch liege ich lange im Bett, Stunde um Stunde vergeht, ich kann nichts mehr essen. Immer wieder kommt eine Krankenschwester herein, schaut nach mir, fragt, wie es mir geht, ich nicke und möchte nichts. Ich will nur noch meine Ruhe haben. Mir ist zum Weinen zumute, doch alles in mir ist verhärtet und verstockt. Ich fühle mich wie tot. Die vielen Gedanken, die mir durch den Kopf rasen, lassen mich spüren, dass ich furchtbar krank geworden bin. Ein bleiernes, dumpfes Gefühl in meiner Brust macht mir das Atmen schwer. Da ich zu schwach bin, um in den Speisesaal zu gehen, bringt mir die Krankenschwester das Essen ins Zimmer. Ich lasse es stehen, ich bringe keinen Bissen runter. Später kommt sie wieder herein und fragt, ob sie nochmals den Arzt rufen soll. Doch ich kann ihr kaum antworten. Es fällt mir äußerst schwer, einzelne Worte zu artikulieren. Ich möchte gar nichts mehr, ich will nur noch meine Ruhe haben. Niemanden will ich mehr sehen, auch keinen Arzt. Viel zu vielen Menschen bin ich in letzter Zeit begegnet. Vielen habe ich endlos lange zugehört. Bin von einem Patienten zum anderen geeilt, habe ihre zahllosen Gebrechen, Ängste und Nöte in mich aufgesogen und jetzt? Ich kann nicht mehr. Tag um Tag vergeht. Eine entsetzliche Gedankenflut zermartert mir das Gehirn. Ich falle in eine tiefe Depression. Meine innere Unruhe, die vielen Gedanken, die wie endlose Filme durch mein schmerzendes Gehirn rattern, machen mir schwer zu schaffen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der totalen Ohnmacht erzeugt in mir einen Strudel, als ob ich in unaufhörliche Tiefen gerissen würde. Mit Medikamenten werde ich ruhig gestellt. Doch mein Eindruck ist, dass sich mein Zustand eher verschlechtert und keine Besserung in Sicht ist. Da ich kaum etwas essen kann, bekomme ich Infusionen und werde künstlich ernährt. Wochen vergehen, bis ich wieder an einigen Gruppentherapien, sowie an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen kann. Doch als mein Entlassungstermin bevorsteht, bin ich immer noch in einem sehr schlechten Zustand. Da ich meine Arbeit im Katharinenhospital nie in diesem Zustand hätte aufnehmen können, wird von den Ärzten mein Aufenthalt in der Reha-Klinik um weitere vier Wochen verlängert.

Nur sehr langsam geht es mit mir etwas aufwärts. Die verschiedenen therapeutischen Gruppensitzungen strengen mich sehr an, da vieles, was meine Mitpatienten erzählen, mir aus meinem eigenen beruflichen Alltag bestens bekannt ist. An ihren Einzelschicksalen teilzuhaben und sie anzuhören, empfinde ich quasi als Arbeit, da ich dieses ständige Zuhören von meinem Beruf ja ohnehin so gewohnt bin. Auch daran erkenne ich, wie sehr meine geistige Aufnahmekapazität überstrapaziert wurde, so dass für mich jeder menschliche Kontakt sehr anstrengend ist. Ich komme mir vor wie ein Mülleimer, der randvoll angefüllt ist, in den man aber immer noch zusätzlich weiteren Abfall hineinstopfen möchte. Die vielen negativen Erfahrungen meiner Mitpatienten sind genau dieselben großen und kleinen Tragödien, die ich jeden Tag zu hören bekam. Das Schlimmste aber bei diesen therapeutischen Gruppensitzungen ist für mich meine eigene innere Blockade. Ich bin einfach nicht in der Lage, von meiner Mobbing-Situation zu erzählen. Zu sehr schäme ich mich, dass mir im kirchlichen Bereich, der nach außen hin immer als „heile Welt“ dargestellt wird, so etwas passieren konnte. Ständig habe ich Angst, dass meine Mitpatienten alles, was mir in meinem beruflichen Umfeld widerfahren ist, nicht glauben würden und mir die Schuld an der ganzen Misere zuschieben könnten. Meine berufliche Situation mit meinen katholischen und evangelischen Kollegen und Kolleginnen ist ohnehin so vielschichtig und komplex, so dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen sollte, um halbwegs richtig verstanden zu werden. Wie und mit welcher meiner traurigen Erfahrungen hätte ich denn schon beginnen können? Zu oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen gar nicht richtig zuhören und dann lediglich auf gewisse Reizworte reagieren und dumm darauf antworten. Wie schnell bekommen sie etwas in den falschen Hals, haben ihre eigene feste Meinung dazu und geben vorschnell irgendwelche geistlosen Kommentare oder Ratschläge, ohne dass sie den Hintergrund eines Konfliktes richtig verstehen wollen. Deshalb begnüge ich mich, in diesen Gruppensitzungen weiterhin die Rolle des Zuhörers einzunehmen, wie ich es von meiner Arbeit gewohnt bin. Lediglich in den Einzelgesprächen kann ich viele negative Erlebnisse mit meinem Psychotherapeuten besprechen. Er hat Verständnis für meine Lage und gibt mir immer wieder zu verstehen, dass er schon sehr viele Patienten aus dem kirchlichen Bereich angehört habe, die in ihrem beruflichen Umfeld schlimme Mobbing-Situationen durchleiden mussten. Er gibt mir auch zu verstehen, dass er bei diesen Patienten feststellen musste, dass in den kirchlichen Strukturen leider vieles sehr festgefahren sei und von den oberen Führungskräften kein Wille erkennbar sei, hier etwas zu ändern. Die innerkirchliche Struktur sei vermutlich so angelegt, dass der Machterhalt der Priester und Pfarrer stets gewährleistet ist. Jeder, der an diesen Persönlichkeiten auch nur den kleinsten Fehler aufzeige oder sie in irgendeiner Form infrage stelle oder kritisiere, sei deshalb sofort als „Mobbing-Opfer“ freigegeben und darf bis aufs äußerste bekämpft werden. Dieses „Infragestellen“ der Priester oder der Pfarrer und Pfarrerinnen könne auch schon dadurch ausgelöst werden, dass jemand seine beruflichen Aufgaben vorbildlich realisiere, was von diesen dann als lästige Konkurrenz oder als Infragestellung der eigenen Person angesehen würde, so dass diese Person dann bekämpft und so lange gemobbt werde, bis sie das Feld räume. Dass mein Therapeut mir seine nüchterne Erkenntnis so deutlich aufzeigt, hätte ich nie für möglich gehalten. Mitunter kommt bei mir der Gedanke auf, ob er vielleicht persönlich gegen die katholische oder evangelische Kirche eingestellt sein könnte. Doch anhand meiner vielen Beispiele, die ich ihm aufgrund meiner Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Priestern, Pfarrern und Pfarrerinnen berichte, zeigt er mir immer wieder auf, dass es bei all diesen Auseinandersetzungen nie um meine Person ging, sondern um ihre eigenen Fehler und Schwächen, die sie nie zugeben konnten. Alles lief immer darauf hinaus, dass sie mir zeigen wollten, wer das Sagen hat, ganz gleich, welches Unvermögen sie an den Tag gelegt haben. Schon ein Vorschlag oder eine von mir geäußerte Idee konnte ausreichen, mich als unangenehm, aufmüpfig und besserwisserisch abzustempeln. Nun wird mir auch klar, dass ich in diese feindlich gesinnte Sichtweise meiner Kollegen und Kolleginnen hineingeraten bin, aus der ich mich nicht mehr aus eigener Kraft befreien kann. Deshalb geht es bei dieser Reha-Maßnahme nun vor allem darum, dass ich es lerne und mich darauf konzentriere, wie ich mich in einem solch feindlich gesinnten Umfeld künftig verhalten kann. Vielerlei Strategien werden besprochen. In der Verhaltenstherapie kann ich mit anderen Patienten an unterschiedlichen Übungen zur Konfliktbewältigung teilnehmen und in Rollenspielen versuchen wir, deeskalierende Maßnahmen bei Streitigkeiten einzuüben.

Nach etwa zehn Wochen hier in der Reha-Klinik erholte ich mich so einigermaßen von meinem schweren depressiven Zustand. Doch wenige Tage vor meiner Entlassung erreicht mich die traurige Nachricht, dass meine Taufpatin plötzlich an einem Schlaganfall verstorben ist. Sie ist die einzige Verwandte, die über all die Jahre hinweg guten Kontakt zu mir gehalten und mich auch hier in der Reha-Klinik immer wieder angerufen hat. Als ich meinem Psychotherapeuten vom Tod meiner Taufpatin berichte, gibt er mir die Erlaubnis, an ihrem Begräbnis teilzunehmen. Er empfiehlt mir jedoch aus Gründen meiner psychischen Stabilität und angesichts der besonderen Herausforderungen, die mich in meinem Berufsleben erwarten, meinen Aufenthalt in der Reha-Klinik nochmals um zwei Wochen zu verlängern.

Als sich endlich mein Zustand stabilisiert hat und ich wieder nach Stuttgart zurückfahren kann, sind insgesamt dreizehn Wochen vergangen. Mit sehr gemischten Gefühlen kehre ich an meine Arbeitsstelle ins Katharinenhospital zurück. Arno hat mir zwar eine Postkarte mit Genesungswünschen geschrieben, mehr aber nicht. Obwohl ich meine Krankmeldungen ans Personalreferat ins Bischöfliche Ordinariat geschickt habe, kam auch von dort nie ein Genesungswunsch. Wenn ich dagegen an meine Mitpatienten denke, die zum Teil wöchentlich von ihren Arbeitskollegen oder sogar von ihren Chefs besucht wurden, frage ich mich, ob mein Arbeitgeber tatsächlich noch „christliche Werte“ vermitteln kann? Im Vergleich zu den Firmen in der freien Wirtschaft ist der Umgang meiner katholischen Kirche mit ihren Mitarbeitern geradezu katastrophal!

Ganz klar erkenne ich, dass mein Psychotherapeut in der Reha-Klinik tatsächlich recht hatte, als er mir aufzeigte, dass die Priester, Pfarrer und Pfarrerinnen es als Angriff auf ihr Ansehen erachten, wenn ein anderer Mitarbeiter im seelsorgerlichen Bereich korrekt und hingebungsvoll seinen Dienst tut und somit besser arbeitet als sie selbst. Welchen Grund hätten sie denn sonst dafür, dass sie sich nie um mich kümmerten? Nun war ich über ein viertel Jahr hier in der Reha-Klinik und nie ließen sie etwas von sich hören.

Zurück im Katharinenhospital

Neugierig betrete ich frühmorgens die große Eingangshalle des Funktionsbaues unserer Klinik. Ich schaue mich um, ob sich während meiner Abwesenheit etwas verändert hat, hole in der Patientenaufnahme die Formulare, auf denen die Kranken ihre Besuchswünsche ankreuzen können und gehe zu unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer. Als ich eintrete, ist noch alles wie vor drei Monaten. Wie immer liegt auf dem Schreibtisch allerlei Papierkram, verschiedene Stifte, auch Klebstoff und Zeitungen liegen herum, ganz so als ob soeben noch jemand hier gearbeitet hätte. Die Sitzgruppe ist mit Taschen und Körbchen belegt, welche mit Bastelmaterial befüllt sind, und im Papierkorb steckt wieder ein alter Blumenstrauß vom Andachtsraum, der lange im modrigen Wasser einer Vase gestanden hatte, und nun seinen unangenehmen Duft im ganzen Büroraum verbreitet. Obwohl ich diese Unordnung bei einer Teamsitzung schon einmal zur Sprache gebracht und für Ordnung gesorgt hatte, ist in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer wieder der alte Schlendrian eingekehrt. Der Bastelkram auf dem Couchtisch sowie der Schreibtisch, auf dem alles kreuz und quer herumliegt, sind die Hinterlassenschaften der evangelischen Kolleginnen. Auch der übel riechende Blumenstrauß, der am gestrigen Sonntag vom Andachtsraum hierher entsorgt wurde, ist ebenfalls das Relikt einer Kollegin, die schlichtweg zu bequem war, ihn ordnungsgemäß draußen im Hof in den Container zu werfen. Sie sind wohl der Meinung, dass sie einfach dieses Geschäft unserer Reinigungskraft überlassen könnten. Sie nehmen daher lieber diesen Gestank in Kauf, der sich im ganzen Zimmer hier hartnäckig ausbreitet. Ich schaue meine Besuchszettel durch, die ich gerade in der Patientenaufnahme abgeholt habe, lasse die Formulare der evangelischen Patienten auf dem Schreibtisch liegen und gehe hinüber zum Wirtschaftsgebäude in unser Büro, das ich mit Arno teile. Auch hier hat sich nichts verändert. Meine Jacke hänge ich in den Schrank und mache mich auf den Weg, um meine Patienten auf den Krankenstationen zu besuchen.

Von vielen Krankenschwestern und Pflegern werde ich im Laufe des Tages freundlich begrüßt. Neugierig fragen sie, wo ich denn so lange war, und bedauern es sehr, dass sie mich nicht mehr erreichen konnten. Einige fragen, ob es mir wieder besser gehe, denn man habe es mir deutlich angesehen, dass ich sehr abgekämpft und erholungsbedürftig gewesen sei. Als ich in der Mittagspause wieder in unser Büro komme, liegt ein Zettel von Arno auf dem Schreibtisch, der mich herzlich willkommen heißt und mir vorschlägt, dass wir uns heute oder in den nächsten Tagen zu einem Informationsaustausch in der Cafeteria treffen sollten. Da ich seinen Zettel erst jetzt, kurz vor dem Mittagessen entdeckt habe, schlage ich ihm vor, dass wir uns morgen um 11 Uhr treffen.

Wie vereinbart, treffen wir uns am nächsten Tag in der Cafeteria. Ich erzähle ihm, wie mein Reha-Aufenthalt verlaufen ist, für seine Postkarte bedanke ich mich und auch dafür, dass er meine Post, die im Katharinenhospital während meiner Abwesenheit eingegangen ist, mir in die Reha-Klinik nachgesandt hatte. Da ihn die verschiedenen therapeutischen Anwendungen interessieren, die ich in der Reha-Klinik erhalten habe, berichte ich ihm ausführlich davon, ebenso dass ich dort gleich nach meiner Ankunft einen schweren depressiven Einbruch erlitten habe und es mir in den ersten Wochen sehr schlecht ergangen sei. Die permanenten Anfeindungen meiner evangelischen Kolleginnen und mein passioniertes Engagement für die Patienten haben mich wohl sehr viel mehr mitgenommen, als ich mir selbst eingestehen wollte. Arno hört mir aufmerksam zu und ist froh, dass ich wieder hier bin. Er berichtet, was sich in meiner Abwesenheit im Katharinenhospital so alles ereignet hat. Neben einigen baulichen Veränderungen im Hause, die er nur kurz zur Einleitung seines Berichtes erwähnt, kommt er sogleich auf unsere evangelischen Kolleginnen und den Kollegen Stolzenburg zu sprechen. Kopfschüttelnd lacht er und sagt:

„Du glaubst es nicht, was unter denen alles abgelaufen ist! Kaum warst du weg, ist schon nach kurzer Zeit unter ihnen ein derart hässlicher Streit ausgebrochen, den sie in stundenlangen Konferenzen miteinander ausgetragen haben. Normalerweise hätte ich das ja gar nicht mitbekommen. Aber jedes Mal, wenn ich in unser ökumenisches Büro kam, um dort etwas zu erledigen, sind sie immer noch dagesessen und haben endlos diskutiert, gestritten und gekeift, dass es mir oft ganz peinlich war, wenn ich mit ihnen im selben Raum war. Sie hätten ihren Streit doch auch auf einem ihrer drei Büros drüben im Wirtschaftsgebäude austragen können. Aber nein, nicht einmal darauf konnten sie sich einigen“, lacht Arno und fährt in seinem Erzähldrang unvermindert fort, „manchmal haben sie, sobald ich ins Seelsorgezimmer kam, von ihrer hitzigen Debatte sofort umgeschaltet und sind in einem moderateren Tonfall auf ein belangloses Thema umgeschwenkt, damit ich nicht mitbekommen solle, um was es bei ihren Auseinandersetzungen geht. Jedenfalls müssen sie sich anscheinend so verkracht haben, dass nun die beiden Pfarrerinnen seit Wochen mit Stolzenburg nichts mehr reden. Der neue Vikar hat mir fast leid getan. Er ist hilflos zwischen beide Fronten geraten, denn einerseits hätte er sich ja gerne auf die Seite der Kolleginnen geschlagen, doch da er von Stolzenburg eine Beurteilung braucht, ist er auf ihn angewiesen und musste sich wohl sehr zurückhalten.“

„Worüber haben sie denn gestritten? Was war denn der Anlass, dass sie sich so in die Haare gerieten?“, will ich von Arno wissen.

„Tja, das habe ich mich auch immer wieder gefragt“, antwortet er bedächtig, „so, wie ich mitbekommen habe, ging es wohl um die Aufteilung ihres Etats, den sie von ihrer Kirchenpflege zur Verfügung bekommen haben. Ein andermal ging es um ihren Gottesdienstplan, bei dem sie sich nicht einigen konnten, weil sie alle zur selben Zeit ihren Urlaub nehmen wollten, und dann bekam ich noch mit, dass die beiden Pfarrerinnen dem Stolzenburg schwere Vorwürfe machten, weil er angeblich nicht bereit war, irgendwelche Themen auf die Tagesordnung ihrer Klinikseelsorger-Konferenz zu setzen.“

Immer wieder schüttelt Arno den Kopf und sagt:

„So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es sieht gerade so aus, als ob die Koschinski und die Rallinger unbedingt ein neues Opfer gebraucht haben, nachdem du nicht mehr hier warst. Der arme Stolzenburg“, fügt Arno lachend hinzu, „während der ganzen Zeit hat er daraufhin immer wieder zu mir den Kontakt gesucht, um einen Ansprechpartner zu haben, weil er sich plötzlich so isoliert fühlte. Da ich aber doch zusätzlich auch deine Arbeit übernehmen musste, bin ich sehr unter Druck gestanden und hatte wirklich keine Zeit, mich auch noch mit ihm zu beschäftigen. Außerdem hätte er mir sowieso nicht den wahren Grund gesagt, weshalb sie sich so verkracht haben. Deshalb habe ich mich auch ganz aus ihren Streitigkeiten herausgehalten und wollte möglichst wenig mit ihnen zu tun haben. Jedenfalls glaube ich, dass du jetzt wieder gute Einstiegschancen hast und die Fronten sich ziemlich auf Stolzenburg verlagert haben. In der Angriffszone stehst du vermutlich jetzt nicht mehr“, sagt er freudig, um mir mit diesem aktuellen Zustandsbericht meinen Start ins Berufsleben etwas zu erleichtern.

Während ich Arno bei seiner engagierten Erzählweise so betrachte, fällt mir auf, dass er in den vergangenen drei Monaten ziemlich zugenommen hat. Sein Doppelkinn ist noch fülliger geworden, seine ohnehin schon rötlichen Wangen noch dunkelroter und sein Hemd um seinen dicken Bauch platzt nun fast aus allen Nähten. Als ich ihn auf seine Gesundheit anspreche, klagt er, dass er durch die Pflege seiner Mutter sehr belastet sei und manchmal kaum noch schlafen könne, weil sie ständig nach ihm rufe. In ihrem dementen Zustand bekomme sie die Tageszeiten nicht mehr mit, so dass er sie jetzt quasi rund um die Uhr betreuen müsse. Jedenfalls freut er sich, dass ich nun wieder hier bin und ist guter Hoffnung, dass wir beide von den evangelischen Kolleginnen in nächster Zeit so ziemlich unbehelligt bleiben werden.

Doch wie sich im Laufe der Zeit nun leider herausstellt, haben wir uns gründlich getäuscht. Als ich die beiden evangelischen Pfarrerinnen zum ersten Mal in unserem gemeinsamen Büro sehe, konstatieren sie mit süßsaurer Miene mein Erscheinen. Die Kollegin Koschinski bemerkt schnippisch:

„So? Sind Sie jetzt wieder da? Ihr Urlaub hat ja recht lange gedauert!“

Und Rallinger fügt sogleich hinzu:

„Hoffentlich hast du dich nach so langer Zeit jetzt auch gründlich erholt, so dass du endlich mal wieder etwas für deine Kirche arbeiten kannst.“

Das war alles, was sie herausbrachten. Unterkühlter und abweisender hätte ihre Begrüßung nicht ausfallen können. Bei dieser Begegnung traute ich mich nicht, ihnen die Hand entgegenzustrecken und ihnen ein freundliches „Grüß Gott“ zu wünschen. Vermutlich hätten sie mich abblitzen lassen und mich durch weitere flapsige Bemerkungen lächerlich gemacht. Deshalb antworte ich lediglich:

„Ja, mein Aufenthalt in der Reha-Klinik hat mir gut getan, jetzt bin ich so einigermaßen wieder fit.“

„Na dann ist es ja gut so, also ran an die Arbeit!“, ruft Rallinger salopp mir zu, worauf beide wie zwei pubertierende Gören in schallendes Gelächter ausbrechen. Stolzenburg dagegen, den ich zwei Tage später treffe, geht bei der Begrüßung etwas diplomatischer vor. Er fragt, wo ich denn solange gewesen bin, und als ich ihm erzähle, dass ich mich einer Rehabilitationsmaßnahme unterziehen musste, will er genau wissen, weshalb ich dort gewesen bin, wie ich zu dieser Reha gelangte und welche Behandlungsmethoden bei mir angewandt wurden. Er interessiert sich sogar dafür, was sonst noch in solch einer Reha-Klinik alles angeboten wird und welche Voraussetzungen dafür notwendig seien, um eine solch lange „Auszeit“ genehmigt zu bekommen. Außerdem möchte er wissen, welche Versicherung oder welche Organisation finanziell dafür aufgekommen sei. Als er nun davon spricht, dass auch ihm eine solche Reha-Maßnahme sicherlich guttun würde, da es ihm ebenfalls manchmal nicht gut gehe, gebe ich ihm den Hinweis, dass er erst zu einem Arzt gehen und mit ihm über seine gesundheitlichen Probleme sprechen müsse, bevor er einen Antrag für eine Reha-Maßnahme stellen könne. Doch daraufhin meint er, dass er bereits bei seinem Hausarzt gewesen sei, der jedoch leider keine nennenswerten Krankheiten bei ihm feststellen konnte. Er denke daher eher an eine Therapie, die ihm bei seinen gesundheitlichen Problemen vielleicht besser helfen könnten. Und da er die alternativ-medizinische Methode anspricht, fällt mir eine Behandlungsmethode ein, die mir eine Mitpatientin in der Reha-Klinik empfohlen hatte. Es handelt sich um eine Haarmineralanalyse, mit der man angeblich feststellen kann, ob und welche Ernährungsmängel in unserem Körper vorliegen würden. Aufgrund einer solchen Analyse wird ein ausführlicher Ernährungsplan erstellt, um durch die Auswahl von geeigneten Lebensmitteln dem Körper auf natürlichem Wege über die tägliche Nahrung die fehlenden Substanzen und Mineralien zuzuführen. Ich berichte ihm, dass ich selbst bereits eine solche Haarmineralanalyse durchführen ließ und ich auf diese Weise viel über eine gesunde Ernährung gelernt habe. Da Stolzenburg sich sehr für diese Therapieform interessiert zeigt, fragt er mich, ob ich ihm meine Unterlagen vorbeibringen könnte, die ich von diesem Haarmineralanalyse-Institut bekommen habe, damit er sich mit dieser Methode näher beschäftigen könnte. Er möchte sie eventuell ebenfalls einmal ausprobieren. Ich verspreche ihm, dass ich meine Unterlagen, sowie das Fachbuch, das ich mir zu dieser Behandlungsmethode gekauft habe, gleich morgen in sein Fach legen werde. Danach beantworte ich ihm noch weitere Fragen, da er nun ebenfalls fest vorhat, eine Reha-Maßnahme zu beantragen. Weil ich jedoch nie so genau weiß, was er wirklich denkt und ob seine Fragerei tatsächlich auch einen ehrlichen Hintergrund hat, oder ob er lediglich sein Wissen dazu benützen will, um mich wieder irgendwo anzuschwärzen, halte ich mich bei diesem Begrüßungsgespräch etwas bedeckt und antworte nur auf das, was er im Augenblick von mir wissen will. Dass Stolzenburg sich überhaupt so ausführlich mit mir unterhält, grenzt ohnehin an eine Wunder. Vielleicht braucht er tatsächlich zur Zeit besonders viel Zuwendung, wie Arno mir berichtet hatte, zumal er von seinen Kolleginnen aufs Abstellgleis gefahren wurde? Vielleicht will er aber auch nur wissen, wie ich die vergangenen drei Monate verbracht habe, um sich auf ähnliche Weise sozusagen einen Sonderurlaub zu genehmigen? Oder steckt vielleicht auch etwas ganz anderes dahinter? Jedenfalls hat er seit vielen Jahren nicht mehr so lange mit mir geredet. Nach diesem eigenartigen „Begrüßungsgespräch“ gehe ich wieder an meine Arbeit und bin froh, dass ich mich mit voller Kraft und Konzentration meinen Patienten zuwenden kann.

Am nächsten Tag lege ich dem Kollegen Stolzenburg die gewünschten Unterlagen meiner Haarmineralanalyse samt Ernährungsplan und Fachbuch über diese Heilmethode in sein Fach. Allerdings bemerke ich schon nach wenigen Tagen, dass ich von den evangelischen Kolleginnen wie zu früheren Zeiten wie Luft behandelt werde. Auch Stolzenburg zeigt sich mir gegenüber äußerst distanziert, bleibt jedoch unterkühlt freundlich. In unseren regelmäßigen ökumenischen Teamsitzungen, die alle vierzehn Tage stattfinden, hat sich nichts geändert. Wenn ich einen Vorschlag einbringe oder zu irgendeinem Thema meine Meinung sage, werde ich weiterhin überhört und so behandelt, als ob ich gar nicht anwesend wäre. Es scheint, als ob sie sich während meiner Abwesenheit daran gewöhnt hätten, dass sie alles nur noch untereinander besprechen würden. Arno lassen sie zwischendurch mal zu Wort kommen, der ihnen um des lieben Friedens willen ohnehin meistens zustimmt. Da er ihnen nie widerspricht, sind seine Beiträge auch stets willkommen, denn schließlich sollen ja unsere Beschlüsse und Vereinbarungen auf einer „guten ökumenischen Zusammenarbeit“ basieren.

Nach einigen Monaten bemerke ich in unserer Hauszeitschrift „KH-aktuell“, dass in einem Artikel wieder einmal die Arbeit der Klinikseelsorger im Katharinenhospital vorgestellt wurde. In diesem Bericht ist viel vom „Team-Geist“ der evangelischen und katholischen Seelsorger die Rede und es ist sogar ein Gruppenbild eingefügt, auf dem alle Klinikseelsorger abgebildet sind. Allerdings bin ich auf diesem Foto nicht zu sehen. Auch im Artikel werden alle Kollegen und Kolleginnen namentlich erwähnt, doch auch hier wird nichts von meiner Existenz berichtet. Als ich am nächsten Tag Arno auf diesen Artikel anspreche und von ihm wissen möchte, wie denn der Bericht mit diesem Foto zustande kam, erzählt er mir, dass die evangelischen Kollegen vermutlich mit dem Redakteur unserer Hauszeitschrift einen Termin vereinbart haben, bei dem er selbst aber nicht dabei gewesen sei. Zu diesem Gruppenbild hätten sie ihn lediglich ganz kurzfristig hinzugeholt, ohne dass er sich dabei etwas gedacht habe. Dieses Foto sei schon vor einem halben Jahr gemacht worden und er habe sie damals bei diesem Fototermin zwar noch gefragt, wo denn ich sei? Doch darauf hätten sie ihm nur geantwortet, dass ich keine Zeit hätte. Anscheinend hatten sie keinen Wert darauf gelegt, dass das gesamte Seelsorgeteam aufgenommen werde. Ich sehe es Arno an, dass es ihm äußerst peinlich ist, weil dies damals alles ohne mich geplant und ausgeführt wurde. Er versucht, mich zu trösten, und verweist darauf, dass es in unserer Seelsorgearbeit doch auf viel wichtigere Dinge ankäme und nicht auf derartig vordergründige Selbstdarstellungen. Doch ganz so einfach lasse ich mich nicht von ihm abspeisen. Ich mache ihm klar, dass man nicht in einem Artikel von „Team-Arbeit“ reden und von einer „guten ökumenischen Zusammenarbeit“ daherfaseln könne und gleichzeitig im selben Artikel einen Kollegen völlig ausklammere und ihn quasi totschweige. Für mich ist dieser Artikel geradezu ein sichtbarer Beweis, wie alle zusammen, mitsamt meinem katholischen Kollegen Arno, mit mir umgehen. Arbeiten kann ich wohl weiterhin bis zum Umfallen, ansonsten aber bin ich für sie „Luft“. Arno will sich aufgrund seiner andauernden Überbelastung zwar herausreden, dass es ihm leid tue, und dass er nicht darauf geachtet oder darauf gedrängt habe, mich miteinzubeziehen, doch dieses „ewige Leidtun“ nützt mir nun aber nichts. Aufgrund der ständig unterkühlten Umgangsweise und der laufenden Missachtung meiner Person, fühle ich mich von allen absichtlich ausgegrenzt.

In der folgenden ökumenischen Teamsitzung spreche ich dieses Thema an und moniere die unkollegiale Vorgehensweise, die in diesem Artikel unserer Klinikzeitschrift „KH-aktuell“ sichtbar zum Ausdruck kommt. Die evangelischen Kolleginnen nehmen meinen Einwand wie immer gelangweilt zur Kenntnis. Sie drängen zum nächsten Tagesordnungspunk und verweisen darauf, dass sie wesentlich wichtigere Themen zu besprechen hätten und nicht von mir gestört werden möchten. Eine Einsicht, dass sie etwas falsch gemacht haben, kommt ihnen nicht in den Sinn, geschweige denn, dass sie sich dafür entschuldigen wollen. Aus ihrem Verhalten erkenne ich, dass sie absichtlich so gehandelt und mich aus ihrem Team ausgeklammert und völlig abgeschrieben haben. Es scheint, als ob sie während meiner Abwesenheit fest damit gerechnet haben, dass ich nicht mehr lange im Katharinenhospital bleiben würde.

Mehr als verwunderlich ist für mich aber die Reaktion von Pfarrer Sauer, unserem Vorsitzenden der katholischen Klinikseelsorger. Als ich nach meiner dreimonatigen Abwesenheit wieder bei unserer Klinikseelsorgerkonferenz teilnehme, fragt er mich gleich bei der Begrüßung sehr vorwurfsvoll:

„So, bist du wieder hier? Wo warst du denn so lange? Kein Mensch hat gewusst, wo du überhaupt steckst! Immer wieder kamen Anrufe bei mir, die wissen wollten, wo und wie du zu erreichen bist. Doch leider konnte ich nie eine Auskunft darüber geben!“

Als ich das von ihm höre, falle ich aus allen Wolken. Mit einer derart unfreundlichen Begrüßung habe ich nicht gerechnet. Ich bin so perplex, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll. Als ich mich wieder etwas gefasst habe, sprudelt es aus mir heraus:

„Arno hat doch gewusst, wo ich bin! Er hat mir doch immer die Post nachgesandt, die für mich im Katharinenhospital angekommen ist. Und eine Postkarte mit Genesungswünschen hat er mir auch geschickt. Außerdem habe ich vor meiner Abreise in unserem gemeinsamen Büro einen Zettel mit der Adresse von der Reha-Klinik ans Schwarze Brett gehängt, damit auch alle evangelischen Kollegen wissen, wo ich bin. Allerdings habe ich bei meiner Rückkehr festgestellt, dass dieser Zettel nicht mehr am Schwarzen Brett hing. Es kann ja sein, dass ihn gleich am ersten Tag meiner Abwesenheit jemand abgehängt hat, damit der Eindruck entstehen soll, ich hätte mich nicht ordnungsgemäß abgemeldet? Bei diesen evangelischen Weibern weiß man ja nie, was sie im Schilde führen! Und dann habe ich bei jeder Verlängerung meines Klinikaufenthaltes auch alle Attests ans Personalreferat geschickt. Auch im Bischöflichen Ordinariat wussten sie genau, wo ich war. Wen soll ich denn sonst noch informieren, wenn ich krank bin?“

Doch was ich auch sage, ich spüre, dass Sauer das alles gar nicht hören will. Eine logische Abfolge der Ereignisse interessiert ihn nicht im geringsten. Ihm ist nur die Tratscherei wichtig, was Stolzenburg oder andere über mich reden. Was wirklich vorgefallen ist und wie die einzelnen Tatbestände aussehen, ist für in unwichtig. Vielleicht kann er nicht, vielleicht will er aber auch gar nicht nachvollziehen, dass er nicht mein Vorgesetzter ist und ich ihm gegenüber keinerlei Rechenschaft ablegen muss? Oder vielleicht will er auch ganz einfach lieber nur das glauben, was ihm von gewissen Kolleginnen und Kollegen zugetragen wird, die für ihn anscheinend wichtig und maßgebend sind. Unbeeindruckt vom Versuch meiner Rechtfertigung gibt er mir in einem sehr unangenehmen Befehlston zu verstehen:

„Jedenfalls muss das in Zukunft anders werden! Wir haben deshalb beschlossen, dass du künftig auch mir, dem Dompfarramt und dem Stadtdekan eine Nachricht zukommen lässt, wenn du von deinem Dienst freinehmen oder in den Urlaub fahren möchtest.“

Dann lässt er mich stehen und will nicht einmal wissen, wo ich überhaupt war.

„Urlaub“ nannte er meinen Klinikaufenthalt! Über drei Monate lang wurde ich von Ärzten in einer Reha-Klinik behandelt, wo es mir wochenlang so schlecht ging, dass ich kaum etwas essen konnte. „Urlaub“, genau wie es die evangelischen Kolleginnen nannten, als sie mich zum ersten Mal wieder im Katharinenhospital sahen. Nun bin ich mir sicher, dass die Rallinger oder Koschinski meinen Zettel am Schwarzen Brett sofort abgehängt haben, damit niemand mitbekommen soll, dass ich mich in der Reha-Klinik in Gengenbach befinde. Und da niemand wusste, wo ich war, konnten sie leicht das Gerücht ausstreuen, ich sei in den Urlaub gefahren und keiner würde wissen, wo ich zu erreichen sei. Nur gut, dass ich Arno meine Adresse gegeben habe, doch leider hält er sich immer aus allem heraus und meidet jegliche Unannehmlichkeiten.

Täglich besuche ich im Auftrag der katholischen Kirche viele kranke und sterbende Menschen. Wenn ich selbst jedoch total am Ende meiner Kräfte bin und selbst einmal einen Klinikaufenthalt benötige, bekomme ich außer einer Postkarte nichts als böse Vorhaltungen und unverschämte Vorwürfe zu hören. Den Tagesordnungspunkten der Klinikseelsorgerkonferenz kann ich nach dieser niederschmetternden Begrüßung geistig kaum mehr folgen. Tief getroffen von dieser kalten Dusche sitze ich da, als ob ich geradezu einen Rückfall bekommen hätte. Mir ist elend schlecht, denn ich erkenne, wie gezielt die evangelischen Kolleginnen meine Abwesenheit genutzt hatten, weiterhin gegen mich zu agieren und falsche Gerüchte über mich in Umlauf zu bringen. An ihrem äußerst distanzierten Verhalten konnte ich es ja bereits schon ablesen. Dass Arno von ihrem intriganten Verhalten nichts wissen wollte, kann ich mir gut denken. Er ist ja vollauf mit seiner pflegebedürftigen und bettlägerigen Mutter, seiner Kirchenrestaurierung in seiner früheren Heimatstadt in Tschechien und mit der Klinikseelsorge im Katharinenhospital ausgelastet, die er während meiner Abwesenheit zusätzlich auch für mich übernehmen musste. Allerdings frage ich mich schon, inwieweit er davon Bescheid wusste, wie intensiv sie hinter meinem Rücken agiert haben und wie hinterhältig sie gegen mich vorgingen? Vielleicht sagt er mir auch nicht alles? Vielleicht will er mich sogar schonen, damit ich mich nicht ärgern solle? Jedenfalls versucht er, sich aus allem herauszuhalten. Sicherlich, als ich in der Reha-Klinik war, habe ich meine ärztlichen Krankheitsatteste für meinen verlängerten Klinikaufenthalt lediglich an das Bischöfliche Ordinariat weitergeleitet. Zu mehr war ich nicht fähig. Zu tief war ich in meiner Depression gefangen. Da ich ohnehin kaum etwas essen konnte, fiel es mir sehr schwer, einen Brief zu schreiben. Viele meiner Mitpatienten bekamen von ihren Arbeitskollegen oder sogar von ihren Chefs auch ab und zu mal einen Anruf und viele Besuche. Manche Chefs schickten ihren Mitarbeitern außer ihren Genesungswünschen sogar Blumensträuße. Arno hatte mir lediglich eine Postkarte geschrieben, mehr bekam ich nicht. Und für Sauer ist mein Kollege Arno anscheinend nicht der richtige Ansprechpartner, wenn er wissen will, wo ich bin. Er bezieht lieber seine Informationen von seinem ihm ebenbürtigen evangelischen Amtskollegen Stolzenburg und von den evangelischen Kolleginnen, die ihm die entsprechende Auskunft geben, die er hören will.

Als ich Arno am nächsten Tag nach der Klinikseelsorger-Konferenz treffe, frage ich ihn, ob er meinen Zettel mit meiner Anschrift in der Reha-Klinik am Schwarzen Brett gesehen hat, den ich für die Zeit meiner Abwesenheit dort angebracht habe. Arno antwortet mir verwundert, dass er nie einen solchen Zettel am Schwarzen Brett hängen sah und bestätigt somit meine Vermutung. Der Zettel mit der Adresse meiner Reha-Klinik wurde also sofort, nachdem ich weg war, abgehängt. Und noch etwas geht mir durch den Kopf. Dass Stolzenburg sich nicht bei Arno erkundigt hatte, wo ich solange war, zeigt mir ebenfalls, dass die Kommunikation zwischen ihm und Arno, wenn es um mich ging, äußerst spärlich war. Stolzenburg ist sich wohl bewusst, dass er bei Arno nicht viel ausrichten kann, wenn es um negative Bemerkungen zu meiner Person geht. Deshalb fragt er ihn wohl auch gar nicht, wenn er etwas über mich wissen möchte. Doch wie dem auch sei, jedenfalls muss ich in Zukunft, um nicht in den Verdacht zu geraten, dass ich mir einen „ungenehmigten Urlaub“ gönnen wollte, alle meine Urlaubstage nicht mehr nur mit Arno absprechen, sondern künftig auch zusätzlich noch schriftlich dem Pfarrer Sauer, dem neuen Dekan Jäger und ans Dompfarramt St. Eberhard melden. Welch ein Aufwand! Jedes Mal meine Abwesenheit mit dem Kollegen Arno absprechen und zusätzlich drei schriftliche Mitteilungen per Post abschicken, wenn ich nur ein oder zwei Tage kurz mal frei nehmen möchte? Von keinem anderen Kollegen ist mir bekannt, dass er einen solchen Aufwand betreiben muss, wenn er seine Urlaubstage in Anspruch nehmen will. Obwohl Sauer nicht mein Vorgesetzter ist, maßt er sich Rechte an, die ihm gar nicht zustehen. Er hätte ja ohne weiteres Arno fragen können, wo ich bin, doch leider hört er lieber auf die Lügen und Verleumdungen seines evangelischen Amtskollegen Stolzenburg und beginnt nun, mich ebenfalls zu schikanieren. Und lieber hört er auf die bösartigen Gerüchte meiner evangelischen Kolleginnen, als dass er sich da erkundigt, wo alle Krankmeldungen und Urlaubsanträge eingehen und registriert werden. Anders kann ich seine unverschämte Forderung nicht werten. Denn er hätte ohne weiteres im Personalreferat in Rottenburg anrufen und dort fragen können, was mit mir los ist und wäre sofort über meinen Klinikaufenthalt aufgeklärt worden.

Nach diesen negativen Erfahrungen ist meine psychische und körperliche Erholung total dahin. Alles ist so, als wäre ich nie in der Reha-Klinik gewesen. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass es mir mittlerweile noch viel schlechter geht als je zuvor, denn meine schlaflosen Nächte lassen mir jeden meiner anstrengenden Tage wieder zur Qual werden. Auch von den evangelischen Kolleginnen werde ich ständig mit irgendwelchen an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen beschuldigt, ohne dass sie meine Rechtfertigungen anhören oder meine Erklärungsversuche akzeptieren wollen. Sie lassen mich reden und hören mir nicht einmal zu, sondern lachen mich einfach aus. Ich fühle mich wie ein Spielball, der von ihnen je nach Lust und Laune hin und her geschubst wird, den man in keiner Weise ernst nehmen und schon gleich gar nicht anhören muss. Meist stolzieren sie hochnäsig an mir vorbei und tun so, als ob ich gar nicht da wäre, ohne meinen Gruß zu erwidern. Als ich eines Tages morgens in unser gemeinsames Büro gehe, um wie üblich den Anrufbeantworter abzuhören und mir am Schreibtisch einige Notizen machen möchte, ist es wie zu alten Zeiten. Überall liegen Schreibutensilien, Vorlagen für Postkartenentwürfe und allerlei Werbematerial herum. Zuerst muss ich mir ein Plätzchen freiräumen, damit ich mir die Besuchswünsche auf einem Zettel notieren kann. Und schon kommt die Kollegin Koschinski herein und fährt mich ganz aufgeregt an:

„Bringen Sie bloß nicht unsere Sachen hier durcheinander! Wir sind gerade dabei, für die Stationen neue Werbekarten zu entwerfen! Und ich möchte nicht nachher alles wieder neu sortieren müssen!“

„Hier ist doch gar nichts geordnet“, antworte ich verständnislos, da ich bei dieser Unordnung keinerlei Systematik erkennen kann und füge noch hinzu, „außerdem habe ich mir ja nur ein kleines Stückchen vom Schreibtisch freigemacht, damit ich mir die Besuchswünsche vom Anrufbeantworter notieren kann.“

„Für Sie sieht das, was Sie sehen, vielleicht etwas unordentlich aus, wir aber haben eben unsere eigene Ordnung und finden hier alles wieder, was wir hier brauchen,“ gibt sie störrisch zurück.

„Warum müssen Sie denn ihre ordentliche Unordnung ausgerechnet hier in unserem gemeinsamen Büro ausbreiten? Sie haben doch alle ihr eigenes Büro, wo Sie ungestört solche Dinge bearbeiten und liegen lassen können?“, frage ich sie spitz.

„Ich haben schon immer diese Dinge mit meiner Kollegin hier in diesem Büro bearbeitet und das müssen Sie, Herr Zeil, nun einmal akzeptieren! Außerdem halten Sie sich da am besten heraus“, gibt sie schnippisch zurück. Ich bleibe jedoch hartnäckig und setze nach:

„Wenn ich aber nicht mal mehr meine Notizen machen kann, die ich vom Anrufbeantworter abhören muss, dann finde ich das, was Sie hier treiben, schon eine Zumutung! Wenn sich zwei Kolleginnen so viel herausnehmen und sich im gemeinsamen Büro so eklatant ausbreiten, dass die anderen Kollegen bei ihrer Arbeit behindert werden, ist das einfach unverschämt. Sie haben doch ihre eigenen Zimmer, die Sie ohne weiteres dazu benützen können. Und wenn Sie wenigstens ein kleines Stückchen vom Schreibtisch freilassen würden, könnte ich es ja noch akzeptieren, aber nein, alles muss von Ihnen in Beschlag genommen werden, egoistischer geht es ja wohl nicht?“

Plötzlich kommt sie mit ihrem Gesicht ganz nah an mein Gesicht heran, so dass kaum noch ein Finger zwischen ihrer Nasenspitze und meiner Nasenspitze Platz hat und schreit mich voller Wut laut an:

„Herr Zeil, wie wir das machen, das müssen Sie uns überlassen! Wir haben eben eine andere Auffassung von Zusammenarbeit als Sie und wenn Ihnen das nicht passt, dann können Sie ja in Ihr Büro hinübergehen und dort arbeiten. Hier aber lassen Sie uns gefälligst arbeiten, wie wir das wollen! Am besten lassen Sie uns ganz in Ruhe! Und außerdem, Herr Zeil, Ihre Ordnung und unsere Ordnung sind ein sehr großer Unterschied! Das müssen Sie endlich lernen und akzeptieren!“

Sie spricht so frech und herausfordernd mir direkt ins Gesicht, dass ich wegen ihrer überaus eindringlichen, feuchten und akzentuierten Aussprache unwillkürlich mit den Augen zwinkern muss. Bei ihrer pointierten Sprechweise muss ich gar befürchten, dass sie mir das ganze Gesicht bespuckt. Nach dieser rabiaten und unverschämten Agitation, bei der sie nicht einmal mehr den persönlichen Abstand meiner Intimsphäre einhält, schwillt mir der Kamm. Ich stehe vom Schreibtisch auf und schreie sie lauthals an:

„Was erlauben Sie sich denn eigentlich? Wer sind Sie denn, dass Sie so frech mit mir reden? Können Sie denn keinen Abstand halten? Sie haben ja keine Moral im Leib! Und so etwas will auch noch Pfarrerin sein?“

Ich packe meine Sachen zusammen und verlasse unverzüglich den Raum. Voller Wut gehe ich zum Wirtschaftsgebäude in mein Büro hinüber und versuche, mich von dieser Aufregung zu erholen und innerlich zur Ruhe zu kommen. Sie war schon einmal so frech! Und schon einmal ist sie auf diese unverschämte Weise mir so nahe gekommen! Um mich von diesem Vorfall abzulenken, beschließe ich, auf meine Krankenstationen zu gehen und die Patienten zu besuchen. Bei meinen Patienten komme ich am schnellsten wieder auf andere Gedanken und kann mich von solchen ärgerlichen Attacken am besten ablenken. Wenn ich mir ihre Probleme anhöre, mich auf die Befindlichkeiten der Patienten konzentriere und mich ganz auf sie einlasse, kann ich meine innere Ausgeglichenheit am schnellsten wiederfinden. Bevor ich allerdings das Büro verlasse, lege ich Arno noch eine Mitteilung auf den Schreibtisch und teile ihm mit, dass ich ihn kurz vor der Mittagszeit noch sprechen möchte. Denn unbedingt möchte ich ihm selbst über diesen Vorfall berichten, bevor er es von den evangelischen Kolleginnen auf ihre schräge Art erfährt.

Als ich Arno in der Mittagspause treffe und ihm von meinem Zusammenprall mit der Kollegin Koschinski erzähle, lacht er herzhaft auf und zeigt volles Verständnis für meine heftige Reaktion.

„Da wäre ich aber auch hochgegangen, wenn sie so frech an mich herangekommen wäre“, stimmt er mir zu und meint, dass eine solche Erwiderung von mir geradezu überfällig gewesen sei, wenn man bedenkt, was diese „Weiber“ sich mir gegenüber in letzter Zeit so alles geleistet haben. Daraufhin versichere ich ihm, dass ich mir von diesen „Taranteln“ nichts mehr gefallen lassen werde, falls sie mich weiterhin so giftig angehen.

Beim nächsten Zusammentreffen mit der evangelischen Kollegin Rallinger in unserem gemeinsamen Büro spüre ich sogleich, als sie hereinkommt, dass sie eine sehr resolute und selbstsichere Haltung einnimmt. Wie zum Kampf gerüstet bemerkt sie schnippisch:

„Mit meiner Kollegin bist du ja kürzlich recht unfair umgegangen!“

„Ich hatte ja auch allen Grund dazu“, antworte ich ruhig, „wenn sie mit mir in einem anständigen Ton gesprochen hätte und hier auf dem Schreibtisch etwas mehr Ordnung…“

Aber schon unterbricht sie mich und sagt höhnisch:

„Ja ja, ihr Männer habt ja immer recht! Ganz egal, was es gibt! Wir Frauen sollen euch immer nachgeben, nur dann funktioniert eure Welt! Und ausgerechnet du willst uns noch Vorschriften machen? Wo kämen wir denn hin, wenn wir uns von jedem „Hansel“ etwas sagen lassen würden! Und gerade noch von dir!“

Höhnisch und abschätzig verzieht sie ihren Mund als wolle sie gleich vor mir auf den Boden spucken.

„Wenn du mich provozieren willst, dann kannst du das gerne haben!“ ballere ich lautstark zurück, „einen solchen Umgang lasse ich mir von euch nicht mehr gefallen!“

Doch schon rennt sie zur Tür hinaus, lässt sie sperrangelweit offen stehen und schaut draußen im Gang nach links und rechts, ob nicht zufällig jemand mein Schimpfen gehört haben könnte. Somit hätte sie einen Zeugen, der bestätigen kann, dass ich sie angeschrien habe. Ihre Absicht ist nur allzu offensichtlich. Wieder wollte sie mich provozieren, damit sie sich quasi als „hilflose Frau“ schnell an andere wenden und diese um Hilfe bitten könnte. Da ich aber sofort ruhig wurde, als sie zur Tür rannte, hat ihre Taktik nicht funktioniert.

Wenige Tage später, als ich wieder den Anrufbeantworter abhöre, kommt sie wieder herein und versucht, ihr Drama zu wiederholen. Erneut provoziert sie mich auf unverschämte, freche Art, indem sie mich wegen meines „unmöglichen Verhaltens“ abkanzelt, ohne mir konkrete Beispiele zu nennen. Sie verhöhnt mich und wirft mir vor, dass ich als Mann wohl alles besser machen möchte als andere und sie als Frauen darunter leiden müssten. Und als ich ihr widerspreche, behauptet sie, dass ich sie mit meiner Widerrede womöglich noch in Schranken weisen wolle, wozu ich doch gar kein Recht habe. Als ich sie daraufhin ignoriere und sie trotzdem keine Ruhe gibt, spreche ich lediglich gelangweilt vor mich hin:

„Wie lange soll denn das noch gehen?“

Doch schon rennt sie wieder zur Tür hinaus, lässt sie offen stehen und schaut nach allen Seiten um sich, ob jemand in der Nähe ist. Dabei hat sie gar nicht bemerkt, das ich nicht im Geringsten laut geworden bin, sondern lediglich vor mich hingeredet habe. Da aber niemand draußen war, ging auch diesmal ihre Rechnung nicht auf. So bleibt ihr nun nichts anderes übrig, als voller Wut mit resoluten Schritten zurückzukommen und so zu tun, als ob nichts geschehen wäre.

Ich aber bin nun wirklich vorgewarnt. Ich nehme mir fest vor, mich von diesen beiden Kolleginnen keinesfalls mehr provozieren zu lassen. Somit bleibt mir nun eben nichts anderes mehr übrig, als jeglichen Kontakt mit ihnen strikt zu meiden. Verteidige ich mich gegen ihre fiesen Beschuldigungen, hören sie mir gar nicht zu oder versuchen, alles sofort so darzustellen, als ob ich mir von ihnen nichts sagen lassen wollte. Auch dem Kollegen Stolzenburg traue ich nicht mehr über den Weg. Auch er wurde inzwischen von den beiden Kolleginnen schon so instruiert, als ob ich sie grundlos beschimpfen würde. Ich spüre, dass bei ihnen sofort eine „Hab-Acht-Stellung“ eingenommen wird, sobald sie mich sehen.

Auch in unseren ökumenischen Teamsitzungen versuchen sie alles, was ich sage, gleich von vornherein abzuwürgen und lächerlich zu machen. Bringe ich einen Vorschlag oder möchte ich mich auch nur ansatzweise am gemeinsamen Gespräch beteiligen, werde ich sofort von den beiden Kolleginnen Rallinger und Koschinski unterbrochen und lächerlich gemacht. Nicht einen einzigen Satz lassen sie mich ausreden. Als ich dieses Phänomen in unserer Runde zur Sprache bringe und Stolzenburg und Arno frage, ob sie denn diese Kommunikationsweise so ohne weiteres akzeptieren könnten, trauen sie sich nicht, gegen diese beiden Kolleginnen etwas zu sagen. Auch sie wollen sich nicht mit ihnen anlegen, damit sie selbst nicht in ihr Schussfeld geraten.

Wieder ist eine ökumenische Teamsitzung angesetzt und wieder läuft dasselbe Kommunikationsschema ab wie immer. Rallinger und Koschinski fallen mir ständig ins Wort, sobald ich etwas sagen möchte. Zwar versuche ich, sie darauf hinzuweisen, dass sie mich doch bitte aussprechen lassen sollen, es nützt aber nichts. Auch Stolzenburg und Arno halten sich völlig zurück. Nochmals setze ich an und versuche, zum anstehenden Verhandlungsthema meine Meinung zu äußern. Sofort fällt mir Rallinger ins Wort und quasselt drauf los, nur um mich auszubremsen. Da platzt mir nun wirklich der Kragen. Ich schlage auf den Tisch und schreie sie an:

„Was erlaubst du dir denn? Mich dauernd so zu behandeln, als ob ich ein Depp wäre? Das ist doch unmöglich!“

Alle halten für einen Moment inne und verstummen. Nun endlich hat sie erreicht, was sie wollte. Vor allen Kollegen habe ich sie nun angeschrien und bin aus der Haut gefahren. Doch unbeeindruckt von diesem Zwischenfall nimmt Rallinger ganz ruhig das Thema wieder auf und tut so, als ob nichts geschehen wäre. Für den Rest der Sitzung halte ich den Mund und verzichte darauf, noch irgend etwas zu sagen. Zwar werden unsere Tagesordnungspunkte bei gedämpfter Stimmung vollends durchgezogen, doch ich erkenne, dass es mir nun nicht mehr möglich sein wird, in dieser Runde noch irgendeinen Beitrag zu leisten.

Deprimierende Nachrichten

Die Renovierung der Kirche in Komotau machte in letzter Zeit zwar einige Fortschritte, allerdings musste Arno mehrmals Urlaub nehmen, um nach Tschechien zu fahren und mit den dortigen Behörden sowie mit den Bauleuten und dem tschechischen Pfarrer zu verhandeln, damit es wieder vorwärts geht. Verständlicherweise wird aus verschiedenen Gründen diese Aktion von der einheimischen Bevölkerung mit einer gewissen Skepsis und einem latenten Argwohn beobachtet, wenn in ihrer Stadt die ehemals deutsche Kirche wieder instandgesetzt werden soll. In Arnos Abwesenheit übernehme ich hier im Katharinenhospital regelmäßig die Vertretung auch für seine Stationen, so wie auch er mich vertritt, wenn ich im Urlaub bin.

Eines Nachts werde ich durch mein Telefon aus dem Schlaf geweckt und bekomme von der neurochirurgischen Intensivstation einen Anruf, dass ich doch bitte so schnell wie möglich zu einer Patientin kommen möge, die im Sterben liegt. Ihr Bruder sei ebenfalls hier und wünsche, dass doch bitte der Pfarrer kommen soll, um ihr die Sterbesakramente zu spenden. Schnell ziehe ich mich an, fahre zur Klinik und als ich auf der Intensivstation diesen Mann begrüße, der mich rufen ließ, stellt er sich mit Namen vor und sagt, dass er der Bruder von Frau Rathgeb sei, die hier über viele Jahre hinweg im Katharinenhospital behandelt wurde. Ich schaue die Patientin an und bin sehr betroffen darüber, wie entstellt sie aussieht. Es ist nicht nur der Umstand, dass ihr Gesicht vom Beatmungsgerät verdeckt ist, nein, ich erkenne sie wirklich nicht mehr, denn nichts an ihr lässt darauf schließen, dass hier vor mir diese Frau Rathgeb liegt, die ich über Wochen, Monate und Jahre hinweg so oft besucht und begleitet habe. Ihr ganzer Körper hat sich verändert. Sanft nehme ich ihre Hand in die meine und streichle sie liebevoll. Tränen kullern mir über die Wangen und als ihr Bruder sieht, wie sehr es mich berührt, dass seine Schwester vor mir in den letzten Zügen liegt, fragt er erstaunt:

„Sind Sie der Pfarrer, der sie jahrelang begleitet hat? Sie hat mir immer sehr viel von Ihnen erzählt. Ich bin ja so froh, dass Sie gekommen sind. Somit darf auch ich Sie noch kennenlernen und weiß jetzt, mit wem sie immer so gerne gesprochen hat, wenn sie hierher fahren musste. Ich möchte mich ganz herzlich für alles bedanken, was Sie für meine Schwester getan haben.“

Gerne nehme ich seinen Dank an und beginne, ein frei formuliertes Gebet zu sprechen, indem ich das reich erfüllte Leben von Frau Rathgeb mit all seinen Höhen und Tiefen in Gottes Hände lege. Ihre Hoffnungen, ihren langen und schweren Kampf, den sie gekämpft hat, ihre schweren Schicksalsschläge und Enttäuschungen, die sie hinnehmen und ertragen musste. Alles möge Gott ihr vergelten und sie aufnehmen in seinen ewigen Frieden. Er möge ihr jetzt all das schenken, was sie sich erhofft, an was sie geglaubt und was sie geliebt hat. Mit einem Psalm beende ich mein Gebet und gebe ihr den Segen, indem ich ihr mit dem Daumen meiner rechten Hand das Kreuz auf ihre Stirn, ihren Mund und ihr Herz zeichne. Noch eine ganze Weile sitzen wir stumm am Bett der Sterbenden. Das Beatmungsgerät gibt in gleichmäßigem Takt seinen blasenden Geräuschton von sich, als ob es die noch zur Verfügung stehende Zeit bis auf die letzte Sekunde genau bemessen wollte. Plötzlich gibt das Herzüberwachungsgerät einen schrillen Alarmton von sich, auf dem Oszillograph schlagen die Kurven unregelmäßig aus und danach erscheint eine durchgehende Linie. Die Nachtschwester kommt herein und stellt das Beatmungsgerät ab, bleibt eine Weile ruhig stehen, verneigt sich vor der Toten und lässt uns wieder allein. Ich bleibe noch eine Zeitlang beim Bruder der Verstorbenen, verabschiede ich mich von ihm und fahre zurück nach Botnang. In meiner Wohnung gehen mir noch viele Gedanken durch den Kopf, vieles, was Frau Rathgeb mir im Laufe der vergangenen Jahre von ihren Söhnen erzählt hatte.

Wenige Tage später komme ich abends vom Katharinenhospital nachhause und als ich die Post aus meinem Briefkasten nehme, ist ein Brief vom Personalreferat des Bischöflichen Ordinariats dabei:

Lieber Thomas,

nachdem ich Dich telefonisch nicht erreichen konnte, schreibe ich Dir.

Über Herrn Stadtdekan Benno Karst erreichte mich ein Schreiben des evangelischen Dekans Edwin Kumpf.

In diesem Schreiben wird Dein Verhalten den evangelischen Kollegen gegenüber dargestellt und wir darum gebeten, einzugreifen, da eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Dir und den evangelischen Kollegen als kaum mehr möglich erscheint.

Zur Klärung dieses Sachverhaltes bitte ich um Deinen Rückruf, um ein Gespräch zu vereinbaren.

Mit freundlichem Gruß,

Paul Seiler

Als ich diesen Brief gelesen habe, bin ich sprachlos. Mit einer solchen Vorgehensweise habe ich nun doch nicht gerechnet. Obwohl der evangelische Dekan mich gar nicht kennt, schreibt er einen Brief an meinen Vorgesetzten Stadtdekan Benno Karst und beschwert sich über mich. Viele Fragen gehen mir durch den Kopf und ich muss mich erst auf meine Couch setzen und meine Gedanken ordnen. Wie kommt es denn, dass dieser evangelische Dekan Kumpf sich schriftlich an meinen Vorgesetzten wendet und nicht mit mir selbst darüber redet, was ihm zugetragen wurde? Warum haben meine evangelischen Kolleginnen mich nie gewarnt, dass sie einen solchen Schritt unternehmen werden? Warum haben sie sich selbst nicht an meinen Vorgesetzten gewandt, sondern den Umweg über ihren eigenen Vorgesetzten gewählt, der dieses Beschwerdeschreiben abschicken soll? Warum hat mein Vorgesetzter, Stadtdekan Benno Karst, nicht mit mir geredet und dieses Schreiben sofort ans Personalreferat nach Rottenburg geschickt? Obwohl ich in seiner Gemeinde seit vielen Jahren die Pfadfinder begleite und gute Jugendarbeit leiste, ist er nicht imstande, mit mir zu reden, wenn irgendwelche Beschwerden über mich an ihn herangetragen werden? Ist das ein Vorgesetzter, der sich um mich kümmert, wenn es Schwierigkeiten gibt? Gerade von ihm hätte ich wenigstens ein persönliches Gespräch erwartet, bevor er einen Beschwerdebrief ans Personalreferat nach Rottenburg weiterleitet! Als er noch Regens im Priesterseminar in Rottenburg war und ich ihm mitgeteilt hatte, dass der Priesteramtskandidat Hans Reger seinen an Aids erkrankten Bruder nicht besuchen will, hat er doch ganz anders reagiert. Mit diesem Priesteramtskandidaten hat er sofort gesprochen und ihm nahegelegt, dass er nach Stuttgart fahren und seinen sterbenskranken Bruder besuchen soll. Und mit mir spricht er kein Wort? Obwohl ich nun schon achtzehn Jahre im Dienst der Diözese arbeite und mir nie etwas zu Schulden kommen ließ? Doch dieser Priesteramtskandidat, der nicht einmal seinen Bruder besuchen wollte, mit dem hat er geredet, hat sein schändliches Verhalten gedeckt, so dass dieser inzwischen zum Priester geweiht wurde! Ich aber bin ja nur ein Pastoralreferent, ein Laie, mit dem man gar nicht spricht. Und für diese Domgemeinde arbeite ich nun schon elf Jahre lang in der Jugendarbeit und ebenso für die vielen Patienten im Katharinenhospital! Für seinen Pfadfinderstamm darf ich mich abrackern, wenn es aber Probleme gibt, kann er nicht einmal mit mir reden!

Dass dieser Beschwerdebrief ein abgekartetes Spiel zwischen meinen evangelischen Kolleginnen und ihrem Dekan Kumpf ist, lässt sich ja leicht durchschauen. Nur deshalb hatten sie mich in den letzten Wochen und Monaten so maßlos provoziert, mich angeschrien und gehänselt, wie es ihnen gerade in den Sinn kam! Sie hatten also nichts anderes im Sinn, mich nur deshalb zu schikanieren und zu demütigen, damit ich mich wehren und sie somit vor Zeugen ebenfalls anschreien muss. Womöglich haben sie für diese perfide Vorgehensweise sogar einen Freibrief von ihrem eigenen Vorgesetzten bekommen, damit sie sich hernach über meine Reaktion beschweren und einen Beschwerdebrief an meinen Vorgesetzten Karst schreiben konnten! Und das haben Stadtdekan Karst und Pfarrer Sauer womöglich einvernehmlich so mitgemacht? Die blanke Wut steigt in mir hoch, wenn ich an dieses hinterhältige und abgekartete Spiel denke. Diese scheinheiligen Pfaffen, die nicht imstande sind, mit mir zu reden, wenn jemand sich bei ihnen über mich beschwert! Hinterhältig, falsch und lammfromm, wie eben nur Kleriker sein können! Den ganzen Abend denke ich darüber nach, was dieser evangelische Dekan wohl in seinem Brief geschrieben haben könnte. Wenn ich nur wüsste, was diese bösartigen Weiber ihm wohl über mich berichtet haben! Und jetzt soll ich Seiler vom Personalreferat zurückrufen, um einen Termin zu vereinbaren, wann ich in Rottenburg vortanzen soll? Ich soll also ins Bischöfliche Ordinariat zitiert werden, ohne dass ich darüber informiert werde, was dieser evangelische Dekan geschrieben hat? Das alles kommt mir äußerst dubios vor. Irgendwie hat das Ganze einen Hauch von „Heiliger Inquisition“, in der der Angeklagte nie genau darüber informiert wurde, weshalb er überhaupt angeklagt war. Somit soll wohl von vornherein verhindert werden, dass der Angeklagte sich adäquat gegen die erhobenen Beschuldigungen verteidigen kann!

Da mich weder die evangelischen Kolleginnen über ihre Beschwerdeaktion vorgewarnt haben, noch dieser evangelische Dekan sich persönlich an mich gewandt sondern gleich einen Beschwerdebrief an meinen Vorgesetzten geschrieben hat, und mein eigener Vorgesetzter Karst diesen Brief sofort ans Bischöfliche Ordinariat weitergeleitet und ebenfalls nicht mit mir über diese Angelegenheit sprach, bin ich fest davon überzeugt, dass alles ein abgekartetes Spiel ist. Vermutlich soll ich jetzt im Personalreferat vor vollendete Tatsachen gestellt und von meiner Dienststelle suspendiert, vielleicht sogar ganz aus dem Dienst entlassen werden? Worüber wollen sie denn sonst in Rottenburg mit mir reden, zumal sie mir den Inhalt dieses Beschwerdebriefes gar nicht mitteilen wollen? Anscheinend soll ich gar nicht dazu Stellung nehmen dürfen? Demnach ist wohl gar nicht vorgesehen, dass ich bei dieser Vorladung mich adäquat verteidigen darf?

Aufgrund dieser üblen und hinterhältigen Vorgehensweise wird mir klar, dass ich mit dem Schlimmsten rechnen muss. Ein Gespräch mit den Herren im Bischöflichen Ordinariat ohne Zeugen, ohne Anwalt und ohne konkrete Angaben? Ein Arbeitgeber, der solche Handlungsweisen seinen Vorgesetzten in leitender Stellung erlaubt und solche Vorgehensweisen praktiziert, bei einem solchen Arbeitgeber muss man mit allem rechnen. Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich morgen Referent Seiler anrufen und darauf drängen werde, dass er mir zuerst eine Kopie des Beschwerdebriefes vom evangelischen Dekan Kumpf zusenden soll, damit ich ihm schriftlich darauf antworten kann. Auf ein mündliches Gefasel mit diesen Herren kann ich mich als sogenannter „Laie“ keinesfalls einlassen. Da sie mich vermutlich auch nicht ernst nehmen wollen, muss ich möglichst alles schriftlich abhandeln, ansonsten bin ich verraten und verkauft.

Nach einem sehr unruhigen Schlaf rufe ich morgens im Bischöflichen Ordinariat Referent Seiler an und möchte gerne wissen, worum es denn konkret in diesem Schreiben von dem evangelischen Dekan Kumpf geht? Doch bevor er mir antwortet, erkundigt er sich auf umständliche Weise über mein Befinden und fragt sehr vorsichtig, wie es mir denn gehe, nachdem ich solange in der Reha-Klinik verbracht und ob ich wieder gut in meine Arbeit hineingefunden habe. Als ich ihm erkläre, dass mir die Arbeit an sich keine Schwierigkeiten bereite, sondern mir allerdings das kollegiale Umfeld sehr zu schaffen mache, nimmt er dieses Stichwort sogleich auf und kommt auf das Schreiben des evangelischen Dekans zu sprechen, weshalb er auch gleich einen Gesprächstermin mit mir im Personalreferat vereinbaren will. Als ich ihn frage, was denn genau in diesem Brief stehen würde, meinte er nur kurz:

„Am Telefon möchte ich nicht darüber reden. Ich bin lediglich vom Domdekan Bopp dazu beauftragt worden, einen Termin mit dir zu vereinbaren, an dem du zu einem Gespräch ins Personalreferat einbestellt werden kannst.“

Als ich ihn darauf hinweise, dass ich mich doch gar nicht rechtfertigen könne, wenn ich nicht wisse, was mir in diesem Schreiben vorgeworfen wird, sagt Seiler in sehr unterkühltem Ton:

„Das wirst du dann schon noch bald genug erfahren, wenn du hier bist.“

Überrascht von dieser rigorosen Gangart, entgegne ich ihm prompt:

„Wenn mir nicht gesagt wird, weshalb ich ins Personalreferat kommen soll, dann komme ich nicht. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen und wenn der evangelische Dekan irgendwelche Vorwürfe gegen mich vorbringt, dann will ich zuerst wissen, was er mir vorwirft und zwar im Originaltext. Erst dann kann ich mich auf dieses Gespräch einstellen und meine Gegendarstellung abgeben. Entweder ich bekomme eine Kopie dieses Schreibens, oder ihr könnt die Sache vergessen.“

Der kurzen Pause, die meiner Antwort nun folgt, entnehme ich, dass Seiler am anderen Ende der Leitung kurz schluckt und neuen Atem holen muss, denn mit einer solchen Reaktion hat er wohl nicht gerechnet. Als er sich wieder gefasst hat, sagt er:

„Dann verbleiben wir erst einmal so, ich rede nochmals mit Herrn Bopp, und wenn er damit einverstanden ist, dass ich eine Kopie an dich schicken soll, dann lasse ich dir eine zukommen, und wenn nicht, dann machen wir eben kurzfristig einen Termin aus.“

„Tut mir leid, dass ich so hartnäckig sein muss, aber das kannst du gleich Herrn Bopp von mir ausrichten, dass ich nicht kommen werde, wenn ich nicht weiß, was in diesem Brief steht. Zuerst bekomme ich eine Kopie dieses Schreibens, dann werde ich schriftlich dazu Stellung nehmen, und wenn ihr meine schriftliche Stellungnahme zu diesem Brief vom evangelischen Dekan gelesen habt, erst dann könnt ihr mich wieder anrufen und einen Gesprächstermin mit mir vereinbaren. Dann bin ich auch bereit, mit Domdekan Bopp über diese Sache zu reden“, erkläre ich Seiler fest entschlossen. Überrascht von meiner unnachgiebigen Entschiedenheit, weiß er augenblicklich nicht, was er sagen soll. Um mit mir aber am Telefon nicht weiter herumzustreiten und weil er wohl gemerkt hat, dass ich nicht nachgebe, geht er auf meinen Vorschlag ein und verspricht mir, nach Rücksprache mit dem Domdekan eine Kopie dieses Schreibens mir in den nächsten Tagen zuzusenden.

Am selben Tag warte ich über die Mittagszeit in unserem Büro auf Arno und zeige ihm den Brief des Referenten Seiler, der mich ins Bischöfliche Ordinariat nach Rottenburg einbestellen will. Ich frage ihn, ob er sich denken kann, weshalb sich dieser evangelische Dekan über mich beschwert haben könnte, obwohl er mich doch gar nicht persönlich kennt? Arno versucht, irgendwelche Gründe aufzuzeigen und meint, dass ich mich vielleicht in letzter Zeit den evangelischen Kolleginnen gegenüber nicht ganz korrekt genug verhalten habe. So genau aber könne er es sich auch nicht denken, was mir der Dekan in diesem Brief vorwerfen will. An seinem unsicheren Verhalten und an seiner Mimik kann ich allerdings erkennen, dass er doch wohl etwas mehr weiß, als er zugeben möchte. Darum frage ich ihn, ob er denn von diesem Brief, den der evangelische Dekan Kumpf an unseren Dekan Karst geschrieben hat, der ihn dann sofort ans Bischöfliche Ordinariat weiterleitete, bereits etwas wusste? Peinlich berührt gibt er zu, dass er irgendwann etwas mitbekommen habe, dass angeblich gegen mich ein Beschwerdeschreiben nach Rottenburg geschickt werden solle. Als ich ihn erstaunt frage, von wem das Ganze denn initiieren worden sei und wer alles dahinter stecke, antwortet er mit Ausflüchten und will keine Namen nennen. Ich sehe es ihm genau an, dass er sich windet, weil er nichts damit zu tun haben möchte. Am liebsten würde er im Erdboden versinken. Empört über seine jämmerliche Hasenfüßigkeit mache ich ihm den Vorwurf, dass er mir zumindest schon vorher etwas hätte sagen können, wenn er darüber Bescheid gewusst hat. Unsicher und wie ein kleiner Bub, der etwas ausgefressen hat, kommt er auf mich zu und will mich besänftigen:

„Bitte reg dich bloß nicht auf, es ist sicherlich nur halb so schlimm, wie es den Anschein hat.“

Ich aber bin sauer und muss erkennen, dass ich in Arno keinerlei Unterstützung habe und die evangelischen Pfarrerinnen mit mir umspringen und verfahren können, wie sie nur wollen. Als er bemerkt, dass ich seine Beschwichtigungsversuche ablehne, sagt er sichtbar getroffen, dass er sich in letzter Zeit selbst so unwohl gefühlt habe und absolut keine Kraft mehr hatte, in diese hässliche Intrigenwirtschaft einzugreifen. Er sei gesundheitlich einfach nicht mehr auf der Höhe und müsse demnächst unbedingt wieder einen Arzt aufsuchen und sich durchchecken lassen. Wir verabschieden uns, ich bleibe noch eine Weile im Büro und muss diese Erkenntnis erst einmal verdauen. Arno, mit dem ich doch immer so offen über alles geredet habe, wusste vermutlich von diesen Vorgängen mehr, als er zugeben will, und vermutlich auch von diesem Beschwerdebrief. Er sagt mir nichts und will damit auch nichts zu tun haben? Dieser Gedanke geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich spüre, dass vermutlich noch wesentlich mehr Kollegen in meinem Umfeld von diesem Brief in Kenntnis gesetzt wurden, ohne dass ich von irgendjemandem vorgewarnt wurde.

Im Laufe des Tages begegne ich dem evangelischen Kollegen Stolzenburg und als ich ihn sehe, gehe ich geradewegs auf ihn zu, begrüße ihn kurz und frage ihn:

„Weißt du auch etwas von dem Beschwerdebrief deines Dekans, in dem er sich über mich bei unserem Dekan Karst beschwert hat?“

Auch er reagiert auf meine Frage völlig verunsichert und bestätigt, dass er davon wisse. Doch eindringlich versichert er mir, dass er absolut nichts damit zu tun habe und inhaltlich nicht daran beteiligt gewesen sei. Bei dieser Sache seien nur seine beiden Kolleginnen die treibende Kraft gewesen, er habe nichts damit zu tun. Als ich von ihm wissen will, was in diesem Brief denn drin stünde, antwortet er mir, dass er mir darüber nichts sagen möchte, weil er in den gesamten Sachverhalt nicht eingreifen wolle. Enttäuscht über sein windiges Verhalten bedanke ich mich für seine „bereitwillige Auskunft“ und mache mich daran, meine Patienten zu besuchen. Bei ihnen komme ich am leichtesten auf andere Gedanken und werde von diesem fiesen und bösartigen Komplott abgelenkt. Es fällt mir zunächst sehr schwer, nach dieser Erfahrung mich voll auf meine Patienten zu konzentrieren und auf ihre Probleme adäquat zu reagieren. Doch wenigstens geht auf diese Weise die Zeit hier im Krankenhaus schneller vorbei, anstatt dass ich nur hier gelangweilt herumsitze und über die deprimierenden Machenschaften dieser evangelischen Intrigantinnen nachdenken würde.

Tagsüber kommt mir noch der Gedanke, ob möglicherweise sogar unser ehrenwerter Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger, Pfarrer Sauer, ebenfalls an dieser Beschwerdeaktion beteiligt sein könnte. Als ich abends zuhause bin, rufe ich ihn gleich nach dem Abendessen an und berichte ihm, dass der Referent Seiler mich aufgrund eines Beschwerdebriefes des evangelischen Dekans Kumpf ins Bischöfliche Ordinariat einbestellen will und frage ihn, ob er darüber womöglich Bescheid wisse. Auch er bestätigt mir in einem höchst vorwurfsvollen Ton, dass er sogar eine Kopie dieses Schreibens erhalten habe und sie alle nun abwarten würden, wie die Sache ihren Verlauf nehme. Als ich ihn frage, ob man denn nicht mit mir vorher darüber reden könnte, bevor man einen solchen Beschwerdebrief ans Bischöfliche Ordinariat schreibe, schnauzt er mich vorwurfsvoll an:

„Dieser Brief war ja wohl längst überfällig! Nachdem, was ich von dir schon alles gehört habe! Da musste ja endlich einmal gehandelt werden!“

„Was ist denn so schlimm an meinem Verhalten? Muss ich mir denn alles gefallen lassen? Und kann man denn nicht vorher mit mir reden, bevor man einen Beschwerdebrief vom evangelischen Dekan schreiben lässt?“, frage ich erneut.

„Das musst du schon uns überlassen, wie wir mit Beschwerden umgehen. Hier musste gehandelt werden und damit ist jetzt Schluss!“, gibt er entschieden zurück und möchte das Gespräch abbrechen. Doch wieder frage ich ihn:

„Welche konkreten Beschwerden hat es denn gegeben? Was habe ich denn falsch gemacht?“

„Das fragst du noch?“, zeigt er sich erstaunt, „schon über viele Jahre hinweg höre ich immer wieder von den verschiedensten Kollegen allerlei sehr unangenehme Dinge über dich! Und du tust so, als ob nie etwas vorgefallen wäre? Da sieht man ja deutlich, wie uneinsichtig du bist!“

Wieder stelle ich die Frage:

„Hast du denn den Wahrheitsgehalt immer auch geprüft, wenn dir etwas über mich zugetragen wurde? Man muss nämlich immer beide Seiten hören, bevor man sich ein Urteil erlauben kann!“

Darauf antwortet er herablassend:

„Es sind durchaus sehr glaubwürdige Informanten, die mich über dein Verhalten unterrichtet haben. Denen kann ich bestens vertrauen. Darüber brauchst du dir bestimmt keine Sorgen machen!“

Als ich erkenne, dass auch er anscheinend bestens über diese Beschwerdeaktion Bescheid weiß und möglicherweise sogar daran beteiligt ist, bemerke ich noch:

„Nun bin ich ja gespannt, was in dem Brief alles steht, den ihr euch da so ausgedacht habt. Allerdings habe ich von dir etwas ganz anderes erwartet!“

„Das wirst du dann schon noch sehen, wie es mit dir weitergehen wird!“, gibt er mir drohend zur Antwort und legt nach einem kurzen Abschiedsgruß den Hörer einfach auf.

Diese fiese Drohung, dieses kaltschnäuzige Gespräch! Es fühlt sich so an, als ob ich mit der Faust eine ins Gedärm bekommen hätte. Seit vielen Jahren hört er sich den Tratsch und die Beschwerden von meinen Kollegen und Kolleginnen über mich an, ohne mich darüber zu informieren oder vorzuwarnen. Womöglich unterstützte er sie noch bei ihren böswilligen Machenschaften und ließ die vielen Mobbing-Attacken zu, denen ich dauernd schutzlos ausgesetzt war! Er ist sogar darüber informiert, dass ein Beschwerdebrief gegen mich geschrieben wird, hat möglicherweise sogar selbst daran mitgewirkt und ist nicht imstande, mit mir darüber zu reden? Obwohl ich ihn in seinen Konferenzen regelmäßig treffe! So langsam weiß ich nun wirklich nicht mehr, wem ich hier noch vertrauen soll. Arno windet sich wie eine Memme, will mich beschwichtigen und trösten, dass alles doch nicht so schlimm sei, wie dies den Anschein habe, Stolzenburg tut so, als ob er nichts mit der Sache zu tun hätte, und Sauer steht voll hinter dieser Aktion und erklärt, dass der Beschwerdebrief längst überfällig gewesen sei. Nun bin ich ja gespannt, was da auf mich zukommt! Und vor allem, was dieser evangelische Dekan in seinem Brief über mich geschrieben hat!

In den folgenden Tagen bin ich voller Erwartung. Jedes Mal, wenn ich abends vom Katharinenhospital nachhause komme, bin ich gespannt, ob ein Schreiben vom Bischöflichen Ordinariat in meinem Briefkasten liegt. Wie wird das Personalreferat wohl reagieren? Wird der Domdekan auf meine Bedingung eingehen und mir tatsächlich eine Kopie dieses Beschwerdebriefes zukommen lassen? Es könnte ja durchaus sein, dass er mir ein Ultimatum stellen wird und mich strikt nach Rottenburg zitiert, um mich ohne jegliche Aussprache zu versetzen oder gar zu entlassen? Diesen Herren traue ich mittlerweile alles zu. Allein, wenn ich schon an Sauer denke, der ebenfalls hinter meinem Rücken agiert, obwohl er über die perfiden Machenschaften meiner evangelischen Kolleginnen längst Bescheid weiß.

Endlich, nach knapp einer Woche ist in meinem Briefkasten unter meiner Post ein Brief dabei mit dem Absender:

Bischöfliches Ordinariat – Personalreferat

Sofort gehe ich in mein Wohnzimmer, setze mich auf meine Couch und öffne ihn. Ich entnehme ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Zeil,

wie bereits mit Herrn Seiler telefonisch besprochen, schicke ich Ihnen die Kopie des Briefes von Herrn Dekan Edwin Kumpf.

Mit freundlichem Gruß,

i.A. Kittel

Kittel ist wohl eine Sekretärin, die beauftragt wurde, mir eine Kopie des Beschwerdebriefes von Kumpf anzufertigen und mir zuzusenden. Die beiliegende Kopie nehme ich zur Hand und lese Folgendes:

An Herrn

Stadtdekan Benno Karst

Stuttgart

Betr.: Krankenhausseelsorge Katharinenhospital / Verhalten Ihres Mitarbeiters Thomas Zeil

Sehr geehrter, lieber Kollege Karst,

heute wende ich mich in einer bedrängenden, aber wichtigen Angelegenheit an Sie.

In den letzten Jahrzehnten hat es sich ergeben, dass die Krankenhausseelsorger/innen unserer beiden Kirchen in den verschiedenen Krankenhäusern gut zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit ist auch wichtig, weil Besprechungszimmer für Seelsorge und Sakralräume (soweit vorhanden) gemeinsam genutzt werden. Auch am Unterricht der Krankenpflegeschulen beteiligen sich katholische und evangelische Krankenhausseelsorger/innen nach gemeinsamer Absprache.

Die ökumenische Zusammenarbeit ist auch für die Wirkung der Krankenhausseelsorge in den Gesamtorganismus Krankenhaus hinein sehr wichtig.

Nun erleben unsere Mitarbeiter/innen im Katharinenhospital in der Zusammenarbeit mit ihrem Mitarbeiter Thomas Zeil ein Verhalten, das nicht mehr hingenommen werden kann.

Schon in den vergangenen Jahren und Monaten wurden mir immer wieder Klagen zugetragen. Am Anfang des Jahres hat Herr Zeil eine längere Kur absolviert und unsere Mitarbeiter hatten die Hoffnung, er könnte dabei auch sein Verhalten im Krankenhaus ändern.

Neueste Erfahrungen haben gezeigt, dass diese Hoffnung enttäuscht wurde.

Herr Zeil hat die Eigenart, auf verhältnismäßig geringfügige Anlässe völlig unverhältnismäßig zu reagieren. Wenn er sich in irgendeiner Weise benachteiligt oder nicht genügend berücksichtigt fühlt, fängt er an zu schreien und unsere Mitarbeiter/innen auf eine nicht erträgliche Art zu beschimpfen. Noch schlimmer ist aber, dass er dabei auch körperlich eine drohende Haltung einnimmt.

Unsere Mitarbeiter/innen werden unsicher, weil sie nicht wissen, ob er handgreiflich wird. Diese Szenen spielen sich häufig so laut ab, dass auch andere Mitarbeiter/innen und Patienten/innen dies miterleben.

Vor einiger Zeit fasste er – während einer solchen Auseinandersetzung – eine unserer Mitarbeiterinnen am Arm, um sie so aus dem gemeinsamen Seelsorgezimmer zu schieben.

Unsere Mitarbeiter/innen haben dies alles über sehr lange Zeit mit Geduld und Verständnis hingenommen. Sie waren bereit, auch das eigene Verhalten kritisch zu betrachten und für möglichen Ärger bei Herrn Zeil Verständnis zu haben. Das Verhalten von Herrn Zeil ist aber in Konfliktsituationen meist so aggressiv und bedrohlich, dass dies mit nichts mehr begründet und gerechtfertigt werden kann. Deshalb muss ich Sie oder die Diözesanverwaltung um ein rasches Eingreifen bitten. Die Situation ist so schwierig geworden, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen unseren Mitarbeiter/innen und Herrn Zeil kaum mehr möglich erscheint.

Bezeichnend für die Atmosphäre ist, dass unsere Mitarbeiter/innen bis jetzt auch deshalb geschwiegen haben, weil sie sich vor der Reaktion des Herrn Zeil fürchteten, wenn dieser von seinen Vorgesetzten auf solche Vorgänge angesprochen würde.

Da ich aber für das Ergehen unserer Mitarbeiter/innen und für die Effektivität der Seelsorgearbeit eine übergeordnete Verantwortung habe, kann ich diese Situation nicht hinnehmen und nicht belassen.

Bitte sagen Sie mir, ob Sie selbst in dieser Angelegenheit tätig werden oder ob ich mich zusätzlich an das Bischöfliche Ordinariat wenden soll.

Mit freundlichem Gruß,

Ihr E. Kumpf

Am Boden zerstört

Ich lege dieses Schreiben weg, schaue vor mich hin und bin fassungslos. Wie kann denn einer so etwas behaupten, der mich überhaupt nicht kennt? Er hat nie miterlebt, wie frech und unverschämt die evangelischen Kolleginnen über Jahre hinweg mit mir umgegangen sind! Und ohne jeglichen Grund soll ich diese beiden Pfarrerinnen beschimpft haben? Eine drohende Haltung soll ich eingenommen und die Rallinger sogar am Arm aus dem gemeinsamen Seelsorgezimmer hinausgeschoben haben? Niemals habe ich auch nur eine dieser Kolleginnen in irgend einer Weise körperlich berührt! Es würde mir auch niemals einfallen, eine mir unsympathische Person anzufassen! Und dieses hässliche Weib, um die doch jeder normale Mann einen großen Bogen macht, die soll ich am Arm aus dem gemeinsamen Seelsorgezimmer geschoben haben? Lüge! Nichts als Lüge! Im Gegenteil, die beiden Weiber kommandierten mich herum, bis ich es nicht mehr aushielt und selbst den Raum verließ. Und das, was dieser Kumpf hier nun beschreibt, lief doch alles ganz anders ab! Die Rallinger gab mir in unserem Seelsorgezimmer Befehle mit ihrem unverschämt frechen Mundwerk sogar in Anwesenheit von Frau Munk, ich ging gar nicht auf sie ein und ließ sie solange quatschen bis sie schließlich von selbst an mir vorbei rauschte und den Raum verließ. Da ich direkt neben der Tür stand, redete sie unter der halboffen stehenden Tür immer noch auf mich ein und als sie nach langem Palaver vollends hinausging und die Tür selbst hinter sich schließen wollte, gab ich der Tür lediglich noch einen kleinen Schubs, damit sie merken soll, dass ich froh bin, wenn sie jetzt endlich draußen ist. Und als sie gemerkt hatte, dass ich der Tür einen kleinen Schubs gab, drehte sie sich wie von der Tarantel gestochen um, kam wieder herein und rief Frau Munk zu:

„Sie haben es gesehen! Sie können es bezeugen!“, worauf Munk ihr sofort laut entgegnete:

„Gar nichts habe ich gesehen! Ich kann gar nichts bezeugen!“

Daraufhin verließ die Rallinger völlig perplex den Raum.

Hunderte von Gedanken gehen mir durch den Kopf. Was habe ich schon alles von diesen beiden Pfarrerinnen erdulden müssen! Wie frech sind sie mir schon so nahe gekommen, dass ich heute noch ihre feuchte Aussprache im Gesicht spüre! Permanent haben sie mich bei jedem Satz unterbrochen und sind mir immer sofort ins Wort gefallen, sobald ich etwas sagen wollte. Wie oft habe ich darum gebeten, mich endlich einmal ausreden zu lassen. Nichts, aber auch gar nichts haben sie akzeptiert. Im Gegenteil, sie haben mich nur verlacht, mich verhöhnt und vor anderen bloßgestellt, und Stolzenburg und Arno haben schweigend zugeschaut, weil sie selbst nicht in ihre Schusslinie geraten wollten.

Dass ich kürzlich bei einer Teamsitzung aus der Haut fuhr und sie lauthals angeschrien habe, weil ich ihre niederträchtigen Torturen nicht mehr ertragen konnte, ist doch noch lange kein Verbrechen! Im Gegenteil, diese Reaktion war doch längst überfällig! Wenn sie ständig meine Persönlichkeitsrechte aufs Schlimmste verletzen und sogar meine Kollegen und Vorgesetzten ein solches Verhalten auch noch zulassen, dann muss ich mich doch wenigstens auf diese Weise wehren dürfen! Und laut Schreien ist ja wohl die geringste Form von Gegenwehr, wenn auf meine Bitten und Ermahnungen nicht gehört, sondern nur darüber gelacht wird.

Und wie falsch sie sind! Sie spielen sich bei ihrem Dekan vermutlich so auf, als ob sie zwei ängstliche, schwache und hilflose Frauen wären, die über Jahre hinweg mit mir Geduld gehabt hätten! Und über alles geschwiegen hätten! Als ob diese beiden widerlichen Emanzen sich jemals vor mir gefürchtet hätten! Wie fies und hinterhältig sie sind!

Als ich diesen Brief nochmals durchlese, stelle ich fest, dass dieser Dekan bei all seinen Beschuldigungen nicht einen einzigen Zeugen nannte, der diese falschen Behauptungen bestätigen kann. Er stützt sich nur auf die Aussagen dieser beiden Pfarrerinnen. Pauschal nennt er irgendwelche „Mitarbeiter/innen und Patienten/innen“, die angeblich das alles miterlebt hätten! Er lügt genauso wie seine beiden frechen Weiber, denen er wohl alles geglaubt hat, was sie ihm vorgegaukelt haben. Und dieser einzige Vorfall, den er konkret benennt, bei dem ich angeblich die Rallinger am Arm zur Tür hinausgeschoben haben soll, ist schlichtweg erlogen! Nie habe ich die Rallinger angefasst! Nie habe ich dieses hässliche Weib berührt!

Erneut lese ich nochmals diesen Brief durch und kann es kaum fassen. In mir steigt eine unbändige Wut hoch und im nächsten Augenblick aber bin ich total deprimiert. Ich sitze da, in meinem Gefühlskarussell, wie ich es noch nie erlebt habe. So ungerecht, so verlogen, so hinterhältig und so abgrundtief gemein wurde ich in meinem ganzen Leben noch nie behandelt! Diese bösartige und niederträchtige Verleumdung geht mir nicht aus dem Kopf. Nie, niemals werde ich das auf mir sitzen lassen! Doch wie soll ich mich denn rechtfertigen? Ohnmächtig stehe ich diesen Pfaffen gegenüber! Obwohl ich mich total erniedrigt fühle und mich einer Übermacht von Verleumdern ausgesetzt sehe, bin ich fest entschlossen, diesen Lügenpfaffen nicht das Feld zu überlassen! Mit allen Mitteln werde ich mich wehren, ganz gleich, was dies auch kosten soll! Zwar weiß ich, dass alle meine Vorgesetzten ebenfalls Priester und Pfarrer sind, die den Aussagen ihrer Standeskollegen, und mögen sie auch von der anderen Fakultät sein, weitaus mehr Glauben schenken werden als mir! Als „Laie“ hat man in der katholischen Kirche ja ohnehin nichts zu sagen! Und außerdem sind die evangelischen Kolleginnen mit ihrem Stolzenburg in der Überzahl und haben zudem noch die volle Unterstützung ihres Dekans. Leider kann ich auf Arno nicht zählen, er ist ständig überbelastet und meidet jegliche Auseinandersetzung wie der Teufel das Weihwasser. Den evangelischen Kolleginnen geht er, so gut er kann, aus dem Wege, und wenn es in unserem Seelsorgeteam um irgendeine Sache geht oder sich irgendwelche Schwierigkeiten anbahnen, dann suchte er sofort das Weite und sagt zu mir:

„Thomas, mach du das, du kannst das viel besser als ich!“

In meinem Wohnzimmer gehe ich auf und ab, überlege, wie ich es angehen soll, lege mir eine Liste zurecht, schreibe mir stichwortartig auf, was ich alles tun könnte und versuche, mir eine Strategie zurechtzulegen, wie ich mich gegen diese niederträchtigen Vorwürfe wehren könnte. Nochmals lese ich dieses Schreiben durch, ein Lügenpamphlet, das mich jedes Mal mehr aus der Fassung bringt, je öfter ich es durchlese. Und plötzlich schaue ich auf das Datum und entdecke, dass dieser Schmähbrief schon vor mehr als fünf Wochen geschrieben wurde! Er lag also über fünf Wochen schon im Bischöflichen Ordinariat und nichts geschah! Vielleicht lag dies beim Stadtdekan Karst in St. Eberhard, der nicht wusste, wie er damit umgehen sollte? Warum haben diese ehrenwerten Herren denn so lange gewartet, bis sie endlich auf mich zukamen? Wo doch der evangelische Dekan ein „rasches Eingreifen“ forderte? Was ist in diesen vergangenen fünf Wochen alles geschehen? Wollten meine Vorgesetzten noch konkretere Angaben einholen, um gezielt gegen mich vorgehen zu können? Wollten sie konkretere Beweise, um mich von meiner Dienststelle zu entfernen oder um mich sogar entlassen zu können? Alle Vorgesetzten kannten also schon wochenlang diesen Brief, und keiner von ihnen hat mit mir darüber gesprochen? Fragen über Fragen türmen sich auf! Alles beginnt sich erneut in meinem Kopf zu drehen. Eine plausible Antwort erschließt sich mir nicht.

Da ich nicht an Schlaf denken kann, setze ich mich an meinen Schreibtisch und schreibe an Arno einen Brief. Vielleicht kann ich so meine Gedanken etwas ordnen. Ich teile ihm mit, was vorgefallen ist, und gebe mein Befremden vor allem über Stolzenburgs Verhalten zum Ausdruck, der sich mit mir in letzter Zeit so oft in überaus freundlicher Weise mit mir über allerlei Themen unterhalten und dabei mit keinem Ton diesen Schmähbrief erwähnt hatte. Was mich dabei völlig irritiert, ist sein scheinheiliges Verhalten, dass er zusammen mit seinen Kolleginnen diese hinterhältige Attacke mit Hilfe ihres evangelischen Dekans gegen mich geritten hat. Zwar hatte Arno mir immer gesagt, dass Stolzenburg sich nie negativ über mich äußern würde. Doch was nützt es mir, wenn er Arno ständig nur nach dem Mund redet, ihm seine Wertschätzung über mich zum Ausdruck bringt, andererseits aber bei seinem Dekan Kumpf zusammen mit seinen Kolleginnen mich in die Pfanne haut? Hat Arno denn sein doppelzüngiges Verhalten nie erkannt und schätzt ihn völlig falsch ein? Hat er denn alle diese Auseinandersetzungen immer nur als harmloses Geplänkel beiseitegeschoben?

Ich entschließe mich, meinen Brief an Arno in sein Fach zu legen, um ihn auf diese Weise zur Rede zu stellen. Nach wenigen Tagen antwortet mir Arno ebenfalls schriftlich und teilt mir mit, dass er meinen Unmut und meine Enttäuschung voll und ganz verstehen kann. Er schreibt mir, dass er in den fünfeinhalb Jahren, in denen wir im Katharinenhospital nun zusammengearbeitet haben, mich immer als zuverlässigen Kollegen erlebt habe und er sich freuen würde, wenn dies auch weiterhin so bleiben würde. Allerdings möchte er mit solchen Spannungen, die in letzter Zeit so offensichtlich aufgetreten sind, nicht länger weiterarbeiten. Am liebsten würde er uns alle miteinander „versöhnt“ sehen, damit er wieder in Ruhe seinem Dienst nachgehen könne. Wie gut kann ich ihn verstehen! Auch ich wäre heilfroh, wenn ich meinen Frieden hätte und ebenfalls in Ruhe meiner Arbeit nachgehen könnte!

Jeden Tag, wenn ich vom Katharinenhospital nachhause komme, bin ich todmüde und kann nichts mehr essen. Ich falle in mein Bett, kann aber kaum noch schlafen. Wie gerädert stehe ich morgens auf, besuche im Krankenhaus meine Patienten und kann es kaum erwarten, bis ich abends an meinen Schreibtisch sitzen kann, um meine Verteidigungsstrategie zurechtzulegen, um mich zu rechtfertigen.

Zuerst nehme ich mir vor, diesem scheinheiligen „Lügen-Dekan“ einen Brief zu schreiben und ihm auf seinen Verleumdungsbrief zu antworten. Wenn dieser Dekan Kumpf der Meinung ist, er könnte mich mit seinen Lügen so einseitig beschuldigen und mich von meinem Arbeitsplatz verdrängen, dann hat er sich gründlich getäuscht. Nochmals lese ich seinen Brief durch, nehme mir dabei Satz für Satz seines schändlichen Machwerks vor und stelle alles in Frage, was er so alles behauptet. Ständig gehe ich dabei in meinem Wohnzimmer auf und ab, notiere mir jeden Gedanken auf einem Blatt Papier, der mir einfällt, und als ich seine Schmähschrift auf diese Weise durchgearbeitet habe, gehe ich in mein Arbeitszimmer und verfasse an meinem Schreibtisch ein Gegenpamphlet. Sorgfältig lese ich es nochmals durch, verbessere einige Sätze und beginne damit, den Brief auf meiner Schreibmaschine vollends ins Reine zu schreiben. Mittlerweile ist es weit über Mitternacht geworden, der Brief ist fertig. Todmüde, und obwohl ich tagelang kaum etwas gegessen habe, falle ich erschöpft in mein Bett.

Sehr früh am nächsten Morgen wache ich auf. Mein Schlaf war sehr kurz, ich nehme den Brief zur Hand und lese ihn nochmals durch. Dabei bemerke ich, dass einige Formulierungen doch etwas zu heftig ausgefallen sind. Nach einem starken Kaffee gehe ich daran, den Brief zu korrigieren, stelle einige Sätze um, ändere in einigen Abschnitten die Reihenfolge meine Argumente und beginne, den abgeänderten Brief erneut abzutippen. Als ich endlich fertig bin, überfällt mich ein unbändiger Hunger. In meiner Küche hole ich sämtliche Fressalien aus dem Kühlschrank, bringe sie ins Wohnzimmer und lasse es mir an meiner Essecke schmecken. Frisch gestärkt packe ich meine Sachen zusammen und fahre ins Krankenhaus, um meiner Arbeit nachzugehen.

Als ich abends nachhause komme, lese ich meinen Brief nochmals durch. Es fallen mir erneut einige Punkte auf, die ich noch ändern könnte, doch ich habe keine Lust mehr dazu. Dieser evangelische Oberpfaffe ist mit seinen Lügengeschichten ja auch nicht zimperlich gewesen. Also brauche ich in meinem Antwortschreiben ebenfalls nicht alles auf die Goldwaage legen. Mit meiner Schreibmaschine adressiere ich fünf Briefumschläge. Einen mit der Adresse des evangelischen Dekans, den ich per „Einschreiben“ an ihn senden werde. Eine Kopie dieses Briefes werde ich mit einem kurzen Anschreiben an meinen Vorgesetzten, Stadtdekan Benno Karst senden, eine an Pfarrer Sauer, eine an meinen Kollegen Arno Rappe sowie eine ans Personalreferat in Rottenburg. Am nächsten Tag gehe ich in der Mittagspause in die Stadt, kopiere meinen Brief, den ich an Dekan Kumpf geschrieben habe, stecke den Brief und die Kopien in die vorbereiteten Briefumschläge und gebe sie bei der Post ab. Nun bin ich gespannt, wie Kumpf und meine Vorgesetzten auf diesen Brief reagieren werden, der folgendermaßen lautet:

An Herrn

Dekan Edwin Kumpf

Stuttgart

Betr.: Ihr Schreiben an Dekan Karst, St. Eberhard, Stuttgart

Sehr geehrter Herr Dekan Kumpf,

vom Personalreferat des Bischöflichen Ordinariats in Rottenburg habe ich Ihr Schreiben erhalten, das Sie an Ihren katholischen Kollegen, Herrn Dekan Karst adressiert haben. Darin erheben Sie über mich die massivsten Vorwürfe und Beschuldigungen in Bezug auf ihre Mitarbeiter/innen im Katharinenhospital Stuttgart. Ich muss gestehen, dass ich sowohl über Ihre Vorgehensweise als auch über den Inhalt Ihres Schreibens zutiefst betroffen und entsetzt bin. Sie werfen mir darin vor,

  • dass Ihre Mitarbeiter/innen im Katharinenhospital in der Zusammenarbeit mit mir ein Verhalten erleben, das nicht mehr hingenommen werden kann,
  • dass schon in den vergangenen Jahren und Monaten Ihnen immer wieder Klagen zugetragen wurden,
  • dass ich die Eigenart hätte, auf verhältnismäßig geringfügige Anlässe völlig unverhältnismäßig zu reagieren,
  • dass ich zu schreien und Ihre Mitarbeiter/innen auf eine nicht erträgliche Art zu beschimpfen anfange, wenn ich mich in irgendeiner Weise benachteiligt oder nicht genügend berücksichtigt fühle,
  • dass ich dabei sogar eine körperlich drohende Haltung einnehmen würde,
  • dass sich diese Szenen häufig und so laut abspielen würden, dass auch andere Mitarbeiter/innen und Patienten/innen dies miterleben,
  • dass ich vor einiger Zeit – während einer solchen Auseinandersetzung – einer ihrer Mitarbeiterinnen am Arm gefasst hätte, um sie aus dem gemeinsamen Seelsorgezimmer zu schieben,
  • dass mein Verhalten in Konfliktsituationen meist so aggressiv und bedrohlich sei, dass dies mit nichts mehr begründet und gerechtfertigt werden kann,
  • dass die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Ihren Mitarbeiter/innen mir kaum mehr möglich erscheint.

Diese überaus massiven und schweren Anschuldigungen, die jeglicher Sachlichkeit entbehren und zum Teil völlig aus der Luft gegriffen sind, weise ich hiermit aufs schärfste zurück! Sie haben sich erlaubt, mir eine ungeheure Anzahl von schuldhaftem Fehlverhalten anzulasten, ohne auch nur einen einzigen konkreten Fall zu nennen und detailliert zu beschreiben, wann, wie, wo und unter welchen Umständen ich mich gegen eine/n Ihrer – übrigens nie namentlich genannten – Mitarbeiter/in angeblich schuldig gemacht haben soll. Diese Vorgehensweise empfinde ich skandalös und lässt Ihr Ansinnen, mich zu verleumden und bei meinen Vorgesetzten hinter meinem Rücken mich aufs übelste anzuschwärzen, klar erkennen. Sie geben die massive Anschuldigungen gegen meine Person an meine Vorgesetzten weiter, ohne den Wahrheitsgehalt zu überprüfen, ohne auch nur eine Gegendarstellung von Dritten oder mir selbst zu hören, und ohne mich überhaupt persönlich zu kennen. Sie lassen sich sogar über Jahre und Monate hinweg Klagen hinter meinem Rücken über mich zutragen, ohne dass ich mich persönlich rechtfertigen kann, ohne dass mir die „Ankläger“ namentlich genannt werden, ohne dass ich zum jeweiligen Sachverhalt konkret gehört werde. Diese Vorgehensweise ist überaus verletzend und verleumderisch, und Sie haben hier einen Weg gewählt, der das Maß des Erträglichen weit überschritten hat.

Deshalb fordere ich Sie zur Klärung der einzelnen vorgebrachten Anschuldigungen auf, folgende Fragen zu beantworten:

  • Welche/r Ihrer Mitarbeiter/innen hat sich in den vergangenen Jahren und Monaten über mich bei Ihnen beschwert?
  • Welche konkreten Beschuldigungen hat der/die einzelne Mitarbeiter/in gegen mich vorgebracht?
  • Wann hat die/der namentlich genannte Mitarbeiter/in mich mit dem jeweiligen Vorwurf beschuldigt?

Weiterhin – um auf Ihr oben genanntes Schreiben einzugehen:

    • Auf welche angeblich „geringfügigen Anlässe“ habe ich „völlig unverhältnismäßig reagiert“?
    • Wann, wo und aus welchem Grund habe ich angeblich zu schreien begonnen?
    • Welche/n Ihrer Mitarbeiter/in habe ich angeblich wann, wo und aus welchem Grund beschimpft?
    • Wie und auf welche Weise soll ich mich angeblich „nicht genügend berücksichtigt gefühlt“ haben?
    • Gegen welche/n Ihrer Mitarbeiter/in soll ich eine „drohende Haltung“ eingenommen haben? Wann, wo und wie oft soll dies angeblich geschehen sein?
    • Wie hat eine solch „drohende Haltung“ ausgesehen, wenn ich mich angeblich nicht genügend berücksichtigt oder benachteiligt fühlte?
    • Welche „anderen Mitarbeiter/innen“ haben angeblich „solch sich häufig und laut abspielenden Szenen“ miterlebt?
    • Welche Patienten/innen haben solche angeblich sich „häufig und laut abspielenden Szenen“ miterlebt?
    • Welche Mitarbeiterin soll ich angeblich und aus welchem Grund am Arm gefasst und aus dem gemeinsamen Seelsorgezimmer geschoben haben?
    • Wann, wo und aus welchem Grund ist angeblich mein Verhalten so „aggressiv und bedrohlich“, dass dies mit nichts mehr begründet und gerechtfertigt werden kann?

Sollten Sie meine Fragen nicht binnen einer Woche ohne jede Ausnahme lückenlos zur Genüge beantworten, werde ich geeignete Maßnahmen ergreifen, um Sie für ihre völlig ungerechtfertigten Anschuldigungen zur Verantwortung zu ziehen!

Außerdem bitte ich Sie, mir mitzuteilen, wer von Ihnen außer Herr Dekan Karst noch über den Inhalt Ihres Schreibens unterrichtet wurde, so dass mir auch hier die faire Möglichkeit gegeben wird, mich zu rechtfertigen. Sollte ich feststellen, dass auch noch andere als die mir von Ihnen genannten Personen Kenntnis über die maßlosen Beschuldigungen Ihres Briefes erhalten haben, werde ich Maßnahmen treffen lassen, um mich auch vor diesen mir unbekannten Personen zu rechtfertigen.

Ich habe mich stets um eine gute und gedeihliche Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern bemüht, habe ihnen jegliche Dringlichkeitsfälle im Katharinenhospital sofort im gemeinsamen Seelsorgezimmer oder, falls sie dort an diesem Tag nicht mehr anzutreffen waren, auch zuhause telefonisch gemeldet, habe mich in allen Konfliktfällen kompromissbereit gezeigt und bin ihnen auch in vielen Dingen weit entgegengekommen. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, dass solch schwere Anschuldigungen gegen mich vorgebracht werden, zumal ich auch stets offen für jegliche Gespräche war. Umso mehr trifft mich auch Ihr Schreiben, weil bis zum heutigen Tag ihre Mitarbeiter/innen mir gegenüber all diese Vorwürfe und Beschuldigungen persönlich nie geäußert haben. Selbst als ich noch in den vergangenen Tagen und Wochen mehrmals mit Herrn Stolzenburg über seinen Urlaub, über meine Predigtvorbereitungen u. ä. in sehr kollegialer Weise geplaudert habe, sagte er mir kein Wort darüber, dass meine evangelischen Mitarbeiter/innen solch massiven Beschuldigungen bei Ihnen gegen mich vorgebracht haben. Auch dieses Verhalten, das angeblich schon Jahre und Monate so praktiziert wurde, hat mich zutiefst erschüttert und das Vertrauen auf eine kollegiale Zusammenarbeit infrage gestellt.

Mit freundlichen Grüßen,

Thomas Zeil

P.S.:

Eine Ablichtung dieses Schreibens erhalten:

  • Dekan Karst, St. Eberhard Stuttgart
  • das Personalreferat des Bischöflichen Ordinariats Rottenburg
  • Pfr. Sauer, der von Ihrem Schreiben über Herrn Dekan Karst unterrichtet wurde
  • Pfr. Arno Rappe, Katharinenhospital Stuttgart

Den im Postskriptum (P.S.) aufgeführten Personen, denen ich eine Kopie dieses Schreibens zugesandt habe, teile ich in einem Anschreiben noch Folgendes mit, nämlich,

dass ich in Kürze einen ausführlichen Bericht über die Vorgänge nachreichen werde, die sich zwischen meinen evangelischen Kollegen/innen und mir abgespielt haben. Darin werde ich aufzeigen, wie ich über Jahre hinweg einem massiven „Mobbing“ ausgesetzt war, wie ich in vielen Dingen übergangen, verleumdet und verspottet wurde, wie versucht wurde, mir Fehler anzulasten, die ich nie begangen habe, wie über mein Eigentum verfügt wurde, ohne mich zu fragen und vieles andere mehr. Alles, was ich in diesem Bericht vorbringen werde, versuche ich durch Zeugen oder schriftliche Nachweise, so gut es geht, zu belegen. Es ist jedoch weitaus mehr geschehen, das ich leider nicht beweisen kann, jedoch nicht minder verletzend war.

In all den Jahren hat meine Gesundheit durch diese Vorgänge hier im Katharinenhospital schwer gelitten, so dass eine Ärztin, der ich mich im Herbst letzten Jahres anvertraute, mir sofort anbot, für mich einen Kuraufenthalte zu beantragen. Als ich dann den Ärzten in der psychosomatischen Klinik in Gengenbach von den Erlebnissen hier berichtet habe, verlängerten sie meinen Kuraufenthalt sofort auf drei Monate, damit ich den nötigen Abstand bekommen sollte.

Weil diese Vorkommnisse so umfangreich sind, wird es noch einige Zeit dauern, bis ich diesen Bericht erstellt habe. Trotzdem appelliere ich aber jetzt schon an die Fürsorgepflicht meiner Vorgesetzten, mir in dieser schweren Auseinandersetzung beizustehen, und bitte darum, mir einen fachlich ausgebildeten Rechtsbeistand zu benennen, der mich in dieser Angelegenheit fachkundig unterstützt.

Mit freundlichen Grüßen,

Thomas Zeil

Es dauert kaum eine Woche, dann kommt ein Antwortschreiben vom evangelischen Dekan Kumpf:

Sehr geehrter Herr Zeil,

ihr Schreiben habe ich erhalten. Zu ihren Ausführungen nehme ich im einzelnen jetzt nicht Stellung.

Da Sie nicht ein mir zugeordneter Mitarbeiter sind, hatte und habe ich nicht die Möglichkeit, Sie über ihr dienstliches Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen oder ihnen Weisungen zu erteilen. Dies ist allein Sache ihrer Vorgesetzten.

Deshalb habe ich mich an Ihre Vorgesetzten gewandt. Es ist deren Sache, zu prüfen und zu entscheiden, wie sie mit den vorgetragenen Gesichtspunkten umgehen und welche Konsequenzen sie daraus ziehen wollen. Selbstverständlich sind unsere Mitarbeiter/innen bereit, alle von mir gemachten Aussagen noch einmal zu bestätigen, möglicherweise mit genauen Angaben von Fakten und Daten. Für Sie wäre es richtig, die Angelegenheit mit ihren Vorgesetzten zu besprechen, da es sich nur um Fragen Ihres dienstlichen Verhaltens handelt. Im übrigen empfinde ich, dass sie mit Ton und Inhalt Ihres Briefes verbal alles bestätigen, was unsere Mitarbeiter/innen Ihnen vorhalten und was ihnen kaum erträglich erscheint.

Mit freundlichem Gruß,

Kumpf

Dass er zu meinen Ausführungen keine Stellung nehmen will, ist nur allzu gut verständlich. Denn wie hätte er auch irgendwelche Fakten benennen können, die nicht vorhanden sind? So bleibt ihm lediglich die Ausrede, dass meine Vorgesetzten seine frei erfundenen Anschuldigungen prüfen und daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen sollen. Warum sollte er schon auch auf meinen Brief eingehen? Denn vermutlich hat er seinen Verleumdungsbrief ja nicht nur auf Betreiben der evangelischen Kolleginnen geschrieben, sondern hat seine gesamte Vorgehensweise sogar im Vorfeld mit meinen eigenen Vorgesetzten abgesprochen. Es ist doch klar, dass er als evangelischer Dekan keine Verfügungsgewalt über mich hat. Doch das bedeutet ja noch lange nicht, dass er mir wenigstens adäquat auf meinen Brief hätte antworten können! Und wenn er jetzt „empfindet“, ich würde „mit Ton und Inhalt meines Briefes verbal alles bestätigen“, was die evangelischen Kollegen/innen mir vorhalten, dann frage ich, was hat er denn erwartet? Soll ich seine Lügen und Verleumdungen einfach so lammfromm hinnehmen? Oder dürfen denn eklatante Falschaussagen, die zudem noch mit der Forderung verbunden sind, dass Vorgesetzte unverzüglich einschreiten sollen, nicht mit aller Entschiedenheit und Schärfe zurückgewiesen werden?

Wie ich seinem Schreiben entnehme, hat er seinen Brief wiederum nur an mich adressiert und hat nicht darauf hingewiesen, dass er ihn auch anderen Personen zukommen ließ. Da ich aber vermute, dass er sein Lügenpamphlet auch Stolzenburg, den evangelischen Kolleginnen, dem Pfarrer Sauer und auch sonst noch irgendwelchen Personen zugesandt hat, will ich in dieser Hinsicht ebenfalls seine Fairness überprüfen. Denn es gehört ja schließlich zum fairen menschlichen Umgang, dass man den Briefpartner auch darüber informiert, wenn man anderen Personen eine Kopie eines Schriftstückes zukommen lässt, damit der Betroffene die Möglichkeit hat, sich auch ihnen gegenüber zu rechtfertigen. Darum rufe ich gleich am nächsten Tag den Referent Seiler im Personalreferat in Rottenburg an und frage ihn, ob auch er eine Kopie dieses Schreibens vom evangelischen Dekan Kumpf erhalten hat. Von meinem Anruf ist Seiler sehr überrascht, doch er bestätigt mir, dass er es selbstverständlich „zur Kenntnisnahme“ erhalten habe. Ich weise ihn darauf hin, dass ich diese Vorgehensweise des Dekans Kumpf für unkorrekt halte, denn bei einer fairen Auseinandersetzung ist es üblich, auch dem Betroffenen per Fußnote mitzuteilen, an wen die Kopien eines Schreibens weitergegeben wurden. Somit ist es für mich ganz klar, dass dieser Kumpf keinen fairen Umgang mit mir anstreben will, sondern hinterhältig, rücksichtslos und verleumderisch agiert ganz so, wie ich es von meinen evangelischen Kollegen/innen seit Jahren gewohnt bin. Da er eine Kopie seines Schreibens auch ans Personalreferat nach Rottenburg geschickt hat, kann ich selbstverständlich davon ausgehen, dass er ebenfalls die Kopien seines Schreibens an Stadtdekan Karst, an Pfarrer Sauer und auch an meine evangelischen Kollegen/innen weitergereicht hat.

Nach dieser Erfahrung bin ich mir sicher, dass sämtliche meiner Vorgesetzten und auch dieser evangelische Dekan bestens von den Auseinandersetzungen Bescheid wussten, die ich seit Jahren mit den evangelischen Kollegen/innen führen musste. Dass sie von Stolzenburg, Rallinger und Koschinski entsprechend einseitig informiert wurden, ist ja offensichtlich. Da aber meine Vorgesetzten und dieser evangelische Dekan Kumpf nie die verleumderische und hinterhältige Vorgehensweise meiner evangelischen Kolleginnen infrage stellten, so dass sie mich mit deren Rückendeckung jahrelang schikanieren, demütigen und verleumden konnten, empfinde ich als skandalös. Um meine Vermutung zu untermauern, frage ich auch Stolzenburg, ob auch er eine Abschrift dieses Schmähbriefes bekommen habe, den sein Dekan über mich geschrieben hat. Auch er bestätigt in sehr überheblicher Weise und fügt noch hinzu, dass er selbstverständlich über alle Vorgänge bestens informiert wurde. Auf meine Frage, ob denn auch die evangelischen Kolleginnen eine Kopie dieses Schreibens erhalten haben, gibt er zu, dass sie ja die treibende Kraft bei dieser Aktion gewesen seien und daher natürlich ebenfalls eine Kopie erhielten. Allerdings, so versichert er mir, sei er lediglich bei diesen Sitzungen immer nur dabei gewesen, die Kolleginnen hätten jedoch das Ganze initiiert, deshalb habe er nichts mit der Sache zu tun.

Als ich das höre, bin ich sprachlos. Es wurden nicht nur hinter meinem Rücken Sitzungen veranstaltet, es wurde nicht nur über mich gehetzt und geredet, ich wurde nicht nur verleumdet, nein, es konnte sogar ein schriftliches Pamphlet ausgearbeitet werden, welches dann dieser evangelische Dekan an meine Vorgesetzten senden und wer weiß, an wen sonst noch alles verbreiten konnte! Und das alles, ohne mich zu informieren! Da auch Rallinger und Koschinski eine Abschrift dieses Schreibens erhalten haben, können sie nun ohne weiteres dieses Lügenschreiben auch an andere weitergeben und somit noch weitere Kolleginnen und Kollegen gegen mich aufhetzen. Nun haben sie es ja schwarz auf weiß, dass ich mit all den genannten Fehlern so bin, wie ihr Dekan es formuliert hat. Über all ihre hinterhältigen Umtriebe und Machenschaften werde ich jedoch erst fünf Wochen später vom Bischöflichen Ordinariat in Kenntnis gesetzt, nachdem dieser Brief geschrieben und inzwischen bereits an mehrere Personen verteilt wurde, wie mir einige Kollegen bereits bestätigt haben.

Niederträchtiger, heimtückischer und gemeiner kann man ja nicht mehr agieren! Und ich werde bei dieser „evangelischen Hexentreiberei“ nicht einmal vorgewarnt! Dass Kumpf in seinem Schmähbrief keinen „Verteiler“ aufführt und mir als Betroffenen nicht einmal mitteilt, an welche Personen er seinen Verleumdungsbrief geschickt hat, zeigt mir, dass er von vornherein gar keine versöhnliche Zusammenarbeit anstrebt, sondern mich absichtlich schikanieren und weg-mobben lassen wollte, um mich bei der nächst besten Widerrede sofort in die Pfanne zu hauen und mich bei meinen Vorgesetzten erneut anzuschwärzen.

In den folgenden Tagen gehe ich weiterhin ins Katharinenhospital und besuche meine Patienten wie gewohnt. Doch bei meinen Gesprächen schweifen meine Gedanken immer wieder ab und ich muss unweigerlich an diesen Verleumdungsbrief denken. Ständig ertappe ich mich, dass ich darüber nachsinne, was ich alles tun könnte, um mich zu verteidigen, um aus dieser fast aussichtslosen Lage herauszukommen. Abend für Abend setze ich mich zuhause an meinen Schreibtisch, wälze mein Tagebuch, in dem ich viele Schikanen und Gemeinheiten meiner evangelischen Kolleginnen aufgeschrieben habe, wähle aus, ordne sie, stelle einige zusammen und formuliere viele Begebenheiten. Schlussendlich verfasse ich ein Schreiben, eine Gegendarstellung, die meine jahrelange Mobbing-Situation schildert. Diesen Bericht schicke ich an Referent Seiler im Personalreferat des Bischöflichen Ordinariat:

Sehr geehrter Herr Seiler,

beiliegend habe ich auf den beigefügten Seiten einige Vorgänge dargestellt, die sich zwischen meinen evangelischen Kollegen/innen und mir im Katharinenhospital abgespielt haben. Alle Ereignisse habe ich durch angeführte Zeugen, Daten und Fakten (Anlagen) belegt. Es sind jedoch weit mehr Dinge geschehen, die ich mangels Beweisen nicht geschrieben habe (weil zum Teil sich die Protokollanten weigerten, bei den ökumenischen Teamsitzungen entsprechende Tagesordnungspunkte zu protokollieren, was ich übrigens aus meinem früheren Beruf als Verwaltungsbeamter so nie kannte!).

Zu den Anschuldigungen von Herrn Dekan Kumpf kann ich hier leider nicht Stellung nehmen, da er es mir verweigert hat, konkrete Einzelheiten anzuführen, obwohl ich ihn in meinem Schreiben mit Nachdruck dazu aufgefordert habe. Leicht hätte er seine Mitarbeiter/innen auffordern können, konkrete Daten und Fakten zu nennen.

Daher empfinde ich es als äußerst ungerecht, dass ich zu Vorwürfen Stellung nehmen soll, bei denen mir keine konkreten Sachverhalte geschildert werden. Lediglich in zwei Fällen, die ich auf den Seiten (Seitenangabe in meinem Brief) dargelegt habe, konnte ich auf die Beschuldigungen des Herrn Dekan Kumpf eingehen – ich hätte meine evangelischen Kollegen/innen angeschrien und beschimpft. Dies habe ich insgesamt nur zweimal getan, weil ich im ersten Fall zuerst angeschrien wurde und mir zu Unrecht ein Versäumnis der evangelischen Kollegen/innen in die Schuhe geschoben werden sollte, im zweiten Fall, weil ich in anzüglicher Weise verhöhnt und verlacht wurde. Hier bin ich auch jetzt noch der Meinung, dass ich mir das nicht gefallen lassen muss.

In meiner nahezu zwölfjährigen Krankenhauserfahrung habe ich vielen Patienten und Klinik-Mitarbeitern (Pförtner, Pfleger und Schwestern) in ähnlichen „Mobbing-Situationen“ beigestanden. Nun bin ich leider selbst Opfer einer solchen Kampagne geworden. Traurig ist dabei jedes Mal, dass diejenigen, die „mündlich hintenherum agieren“, nie konkret zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert werden, das Opfer sich jedoch in stundenlanger Schreibarbeit und in zahllosen Gesprächen für Vorwürfe rechtfertigen muss, die oft völlig aus der Luft gegriffen wurden.

Nachdem ich nun meine Darstellung über die ökumenische Zusammenarbeit mit meinen evangelischen Kollegen/innen hier schriftlich niedergelegt habe, stehe ich meinen Vorgesetzten zu einem Gespräch zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Thomas Zeil

P. S.: Eine Ablichtung dieses Schreibens erhalten:

  • Dekan Karst, St. Eberhard Stuttgart
  • Pfr. Sauer, Stuttgart
  • Pfr. Arno Rappe, Katharinenhospital Stuttgart

Diesem Anschreiben lege ich die nun folgende Ausführungen bei, in denen ich einige Vorfälle schildere und die ich durch entsprechend beigefügte Belege beweisen kann:

Der Anspruch des Herrn Stolzenburg, im Katharinenhospital für sich zwei Bürozimmer zu fordern:

Am (Datum) gab Herr Stolzenburg in der ökumenischen Teamsitzung bekannt, dass von der Klinikverwaltung für die Seelsorger im Wirtschaftsgebäude vier Bürozimmer zur Verfügung gestellt würden. Die Verteilung sollte nach seiner Meinung folgendermaßen geschehen: ein Zimmer für die evangelischen Kollegen, ein Zimmer für die katholischen Kollegen, ein Zimmer für sich selbst und ein Zimmer für seine Sekretärin. Da ich diesem Aufteilungsplan heftig widersprach, weil er doch gar keine Sekretärin habe, wurde dieser Punkt auf die nächste Teamsitzung (Datum) vertagt. Bei dieser darauffolgenden Teamsitzung gab Herr Stolzenburg bekannt, dass er mittlerweile mit der Klinikverwaltung gesprochen und ein fünftes Seelsorgezimmer im Wirtschaftsgebäude angefordert habe. Die anwesenden Kollegen waren empört darüber, dass er ohne Auftrag im Namen aller Seelsorger tätig geworden war. Insgesamt mussten wir drei Teamsitzungen ( siehe Anlage 1-3 Team-Sitzungsprotokolle) verhandeln, bis Herr Stolzenburg seinen Anspruch aufgab, für sich zwei Zimmer zu fordern. Erst meine Anfrage bei Herrn Zittler im Oberkirchenrat, ob es möglich wäre, dass von Seiten der evangelischen Kirche für Herrn Stolzenburg ein eigenes Sekretärinnen-Büro zur Verfügung gestellt werden könnte, bewirkte bei ihm einen Sinneswandel. Diese Klärung wurde mir von den evangelischen Kollegen als „Petzen“ verübelt (siehe Anlage). Entgegenkommenderweise hat mein katholischer Kollege Arno Rappe daraufhin sein Zimmer den evangelischen Kollegen zur Verfügung gestellt, so dass die evangelischen Kollegen nun drei Zimmer zur Verfügung haben, wir katholischen Seelsorger ein Zimmer; ein fünftes Zimmer wurde von der Klinikverwaltung in zentraler Lage des Katharinenhospitals – für alle Patienten leicht zugänglich – uns als gemeinsames Seelsorgezimmer zur Verfügung gestellt.

Meine Einforderung ökumenischer Zusammenarbeit gegenüber Herrn Stolzenburg:

Am ( Datum) berichtete Herr Stolzenburg auf der ökumenischen Teamsitzung, dass Herr Redakteur Sommer für die interne Klinik-Zeitung „KH-aktuell“ über die Krankenhausseelsorge einen Bericht schreiben möchte. Dabei legte Herr Stolzenburg dar, dass er mit Vikarin Rink und Herrn Sommer für diesen Bericht zusammensitzen wolle, um sich interviewen zu lassen. Mein Einwand war, dass dieses Gremium für die Darstellung der ökumenischen Klinikseelsorge im Katharinenhospital (KH) zu einseitig besetzt wäre – ohne die katholischen Kollegen und mit einer Vikarin, die erst seit drei Monaten im KH tätig war. Auch hier mussten wir drei Sitzungen verhandeln (Anlage, siehe Sitzungsprotokolle), bis beschlossen werden konnte, dass mit Herrn Sommer ein Termin vereinbart werden soll, an dem jeder Seelsorger teilnehmen und seine Erfahrungen einbringen könne. So konnte schließlich am (Datum) der Termin mit Herrn Sommer stattfinden, wo auch die katholischen Seelsorger dabei sein durften.

Vorwurf des Herrn Stolzenburg, ich würde meine Arbeitszeit nicht einhalten:

Bei diesen Auseinandersetzungen über die Zimmerverteilung und über den Redakteurtermin wurde Herr Stolzenburg schließlich so wütend, dass er mir dabei den Vorwurf machte, ich würde meine Arbeitszeit nicht einhalten. Ich wies diese böswillige Unterstellung entschieden zurück und erklärte, dass er als evangelischer Kollege keinerlei Aufsichtspflicht über mich hätte. Um ihm einen Einblick in meine Arbeit zu gewähren, zählte ich meine Aufgabengebiete auf: außer des vollen Seelsorgeauftrags im Katharinenhospital

  • sei ich Kurat für die katholischen Pfadfinderschaft im Bezirk Stuttgart mit rund acht Pfadfinderstämmen (insgesamt ca. 45 Pfadfindergruppen),
  • arbeite ich im Auftrag des Bischöflichen Ordinariats an 30 Rundfunkansprachen, die über den katholischen Kirchenfunk ausgestrahlt werden sollen,
  • begleite ich zur Zeit im Auftrag von Herrn Generalvikar Weidbacher einen Praktikanten im Katharinenhospital,
  • sei ich auch abends mit Vorträgen und Seminaren über die Begleitung von Kranken und Sterbenden und ähnlichen Themen an den Volkshochschulen Ludwigsburg, Waiblingen und Esslingen, sowie im evangelischen und katholischen Bildungswerk Esslingen engagiert,
  • habe mir das Bischöfliche Ordinariat eine dreijährige Ausbildung in Logotherapie und Existenzanalyse genehmigt (die ich inzwischen mit Erfolg abgeschlossen habe),
  • sei ich zur Zeit mit der Vorbereitung der katholischen Krankenhausseelsorger-Konferenz auf Diözesanebene beschäftigt, bei der rund 60 katholische Seelsorger im Katharinenhospital erwartet werden. (Die entsprechenden Beauftragungen und Unterlagen sind in der Anlage nicht aufgeführt, können aber jederzeit nachgereicht werden).

Erst nach dieser Aufzählung nahm Herr Stolzenburg seinen Vorwurf, ich würde meine Arbeitszeit nicht einhalten, zurück!

Anrufe auf dem Anrufbeantworter, die an mich gerichtet waren, wurden von Herrn Stolzenburg gelöscht, ohne dass er mir davon eine Nachricht weitergegeben hat: Mangel an ökumenischer Zusammenarbeit?

Wie viele Anrufe, die an mich gerichtet waren und gelöscht wurden, ohne eine Nachricht an mich weiterzugeben, konnte ich nicht feststellen, da sich meist die Patienten, die einen Seelsorger wünschen und auf ihren Anruf keine Antwort erhalten, sich selten nochmals melden. Dass dies jedoch kein Einzelfall war, haben mir eine langjährige Patientin, Frau Mitterer aus Bietigheim, bestätigt. Sie kam zweimal im Jahr zu einer Nachuntersuchung ins Katharinenhospital und wollte mich bei dieser Gelegenheit immer treffen, weil ich sie während ihrer lebensbedrohenden Krebsoperation – sie lag vier Wochen im Koma – begleitet hatte. Ebenso war es bei Schwester Margot vom KH, die mich aufgrund persönlicher Probleme aufsuchen wollte und über den Anrufbeantworter mit mir eine Terminvereinbarung wünschte. Gleichfalls bei einem Herrn Kuletzki, ein Patient, der mich rufen lassen wollte, und den ich dann bei meinen Routinebesuchen auf den Stationen angetroffen habe. Auch er berichtete, dass er auf den Anrufbeantworter gesprochen habe, was mir aber gleichfalls nicht weitergegeben wurde. Bei jeder Überprüfung dieser Vorfälle stellte sich dann heraus, dass Herr Stolzenburg den Anruf abgehört und gelöscht hatte, ohne mir davon eine Nachricht zu übermitteln. Als ich Herrn Stolzenburg darauf ansprach, konnte er sich jedes Mal noch an den Anruf erinnern, nannte sogar zum Teil noch den Namen – „Kochalski oder so ähnlich“, wie er sagte –, hatte aber immer die Ausrede, dass er es ganz vergessen habe, mich darüber zu informieren. Da diese Nachlässigkeiten keine Einzelfälle waren, musste ich schließlich auch damit rechnen, dass sich möglicherweise Patienten über mich bei meinen Vorgesetzten beschweren würden, wenn ich von ihnen gerufen werde, mich jedoch bei ihnen nicht melde. Um solchen Patientenbeschwerden vorzubeugen, habe ich am (Datum) Herrn Pfarrer Sauer (Vorsitzender der Krankenhausseelsorger Stuttgart) darüber informiert. Außerdem forderte ich am (Datum) in der ökumenischen Teamsitzung für die katholische Seelsorge im Katharinenhospital einen eigenen telefonischen Anschluss mit Anrufbeantworter, der allerdings vom Team abgelehnt wurde (Anlage, siehe Sitzungsprotokoll). Von diesem Zeitpunkt an habe ich dann zunehmend den Patienten und Mitarbeitern im Katharinenhospital meine private Telefonnummer zur Verfügung gestellt, damit sie mich auch sicher erreichen konnten.

Ironische Umgangsweise und Befehlston von Frau Rallinger gegenüber meiner Person:

Als ich im Herbst (Datum) im Andachtsraum des Katharinenhospitals einige Dinge für den Gottesdienst herrichtete, war ein Mann anwesend, der diesen neuen Raum gerade besichtigte. Hinzu kam Frau Rallinger, die ebenfalls im Andachtsraum etwas suchte und dabei mir bezüglich der Altarschmückung auf ironische Weise Vorwürfe machte. Zwar störte mich dieser Tonfall, um jedoch hier im Andachtsraum jegliche Auseinandersetzung zu vermeiden, ging ich sofort auf Ihre Wünsche ein. Dies verwunderte diesen anwesenden Mann so sehr, dass er sich an Frau Rallinger wandte, dass sie doch in diesem Ton mit mir nicht so umgehen könne. Daraufhin gab sie diesem Mann in sehr barschem Ton zurück, dass er sich hier gefälligst heraushalten solle. Als dieser Mann sich diesen Ton verbat, schrie sie in voller Lautstärke hemmungslos auf den Mann ein und „duzte“ ihn sogar: „Was willst du überhaupt, das geht dich einen Dreck an, wie ich mit Herrn Zeil umgehe! Da könnte ja jeder dahergelaufen kommen und mir Vorschriften machen“, und so weiter. Zornig und schreiend verließ sie den Andachtsraum. Fassungslos stand der Mann da und konnte kaum noch etwas sagen. Als er wissen wollte, wer diese Person war, sagte ich ihm, dass es die evangelische Kollegin Rallinger gewesen sei. Daraufhin meinte er, dass er ebenfalls evangelisch sei und diesen Vorfall dem Oberkirchenrat schriftlich mitteilen wolle. Er gab mir seinen Namen: Herr Weidmann, Leonberg. Dieser Vorfall ist vermutlich dokumentiert durch einen Beschwerdebrief beim Oberkirchenrat.

Bösartige Beschimpfung meiner Person durch Frau Rallinger und Vikarin Rink und unkollegiales Verhalten des Herrn Stolzenburg:

Als ich Mitte Oktober (Datum) ins gemeinsame Seelsorgezimmer im neuen Funktionsbau des Katharinenhospitals trat, das wir erst wenige Tage zuvor bezogen hatten, standen Frau Rallinger und Frau Rink im Gespräch beisammen. Dabei machte mir Frau Rallinger den Vorwurf, dass ich mich am Umzug ins neue Zimmer überhaupt nicht beteiligt hätte und „nichts tun würde“. Daraufhin wollte ich mich rechtfertigen und begann aufzuzählen, dass ich die Hälfte des Inventars vom alten Zimmer (katholischer Schrank u.a.) alleine in den Neubau herüber geschafft habe (weil mein katholischer Kollege keine Zeit hatte), dass ich drei Altartücher besorgt habe, dass ich mit der Verwaltung die Beleuchtung im Andachtsraum abgesprochen habe (Anlage, Sitzungsprotokoll), usw. Doch die Vikarin Rink unterbrach mich rüde und schrie mich höhnisch an: „Jetzt fängt der auch noch an, das alles aufzuzählen!“ Daraufhin verließ ich sofort wortlos das Zimmer, worauf Frau Rallinger mir noch hinterherrief: „Über dich schimpft sowieso alles!“

Bei der darauffolgenden ökumenischen Teamsitzung am (Datum) sprach ich diesen Vorfall an und fragte die anwesenden evangelischen Kollegen Herrn Stolzenburg, Vikarin Rink und Frau Rallinger je einzeln: „Wer schimpft über mich und was wird über mich geschimpft?“ Schweigen bei Herrn Stolzenburg, Schweigen bei Frau Rink und Schweigen bei Frau Rallinger. Nochmals fragte ich jeden einzelnen von ihnen: „Wer schimpft über mich und was wird über mich geschimpft?“ Wieder schwieg jede/r! Und dann fragte ich dieselbe Frage nochmals reihum jede/n einzelne/n, worauf wieder jede/r schwieg. Darauf sagte ich meinen evangelischen Kollegen in dieser Teamsitzung am (Datum), dass ich es mir vorbehalten würde, über diesen Vorfall dem Oberkirchenrat zu berichten und klären zu lassen, wer über mich schimpft und was geschimpft wird. Zeuge: mein katholischer Kollege Arno Rappe.

Eigenmächtige Verfügung über meine Orgel von Frau Rallinger und Frau Koschinski, die ich im Interesse der ökumenischen Zusammenarbeit beiden Konfessionen zur Verfügung stellte:

Für den neuen Andachtsraum im Neubau des Katharinenhospitals beabsichtigte das Seelsorgeteam, eine neue Orgel anzuschaffen. Damit jedoch bereits die Gottesdienste mit Orgelbegleitung gestaltet werden konnten, solange noch keine Orgel vorhanden war, habe ich im September (Datum) meine eigene Sakralorgel aus meinem Wohnzimmer ins Katharinenhospital transportieren lassen. Es ist eine mittelgroße elektronische Sakralorgel mit 31 klingenden Registern, wie sie für Kirchenräume mittlerer Größe üblicherweise installiert wird. Den Orgelschlüssel deponierte ich im gemeinsamen Seelsorgezimmer und erlaubte auch den evangelischen Kollegen die Benutzung der Orgel für ihre Gottesdienste mit der Bedingung, dass sich jeder Organist vorher von mir persönlich in die Technik der Orgel einweisen lassen müsse. Diese Bedingung habe ich im Seelsorgeteam am (Datum) mitgeteilt. Da ich feststellen musste, dass sich die evangelischen Kollegen/innen an diese Absprache nicht hielten und ohne meine vorherige Einführung bereits ihre Organisten auf meiner Orgel spielen ließen, wiederholte ich meine Bitte nochmals am (Datum) und nochmals am (Datum), die Organisten durch mich persönlich vorher einweisen zu lassen. Leider musste ich dann die Erfahrung machen, dass ständig fremde Personen (evangelische Organisten und ein Patient aus Hemmingen) auf der Orgel übten, ohne dass sie von mir persönlich in das Instrument eingewiesen wurden. Den Schlüssel bekamen sie von den evangelischen Kollegen/innen. Dies ging sogar so weit, dass Frau Rallinger den Orgelschlüssel in einem Versteck im Andachtsraum für diese Organisten deponierte, ohne mich um Erlaubnis zu fragen und ohne mir dies mitzuteilen, so dass ich selbst keinen Zugang mehr zur Orgel hatte. Als ich wieder einen Organisten üben sah, ließ ich mir von ihm am (Datum) schriftlich bestätigen (siehe Anlage), dass er nicht persönlich von mir in die Technik der Orgel eingeführt wurde. Gleichzeitig schrieb ich nochmals am (Datum) an Frau Rallinger eindringlich die Bitte, künftig keine fremden Organisten ohne meine vorherige persönliche Einführung an die Orgel zu lassen (siehe Anlage). Als das immer noch nichts nützte, stellte ich Frau Rallinger im ökumenischen Seelsorgezimmer im Mai (Datum) zur Rede und wollte wissen, weshalb sie sich so vehement gegen diese Vereinbarung widersetze. Dabei beschimpfte sie mich in ihrer unnachahmlich ironisch verletzenden Art, ich solle nicht so kleinlich sein und keinen Terror veranstalten, überhaupt könne man mit mir nicht zusammenarbeiten usw., und verließ wütend den Raum. Da ich an der Tür stand und sie an mir vorbeirannte und mich mit ihrem Arm wohl berührte, bekam sie vermutlich das Gefühl, dass ihre Anwesenheit auch von meiner Seite nicht mehr erwünscht ist. Ich sagte dabei: „Geh nur, auch ich kann mit dir nicht zusammenarbeiten!“

Weil an der Orgel inzwischen Schäden aufgetreten waren, musste ich sie reparieren lassen (siehe Anlage Rechnung). Da ich jedoch niemanden haftbar machen konnte und neuen Ärger mit den evangelischen Kollegen vermeiden wollte, bezahlte ich den Schaden selbst, ohne ihnen etwas zu sagen. Um nun jedoch einen besseren Überblick zu gewinnen, wer auf der Orgel spielte, habe ich ab (Datum) im Spieltisch der Orgel ein Büchlein deponiert, in das sich jeder, der die Orgel benützte, eintragen sollte. Außer Frau Leiss, unsere katholische Organistin, haben sich vom (Datum) bis (Datum) folgende evangelische Organisten eingetragen: Bomme, Hauf, Höger, Eschweiler und Fink (siehe Anlage). Auch diese aufgeführten Personen wurden mir nie vorgestellt und haben sich nie von mir in die Technik der Orgel einführen lassen. Auch Pfarrerin Koschinski erzählte im ökumenischen Team, dass sie ihren Mann auf der Orgel habe spielen lassen.

Verleumderischer Vorwurf des Herrn Stolzenburg, ich hätte den Sonntagsgottesdienst nicht gehalten und vergessen, obwohl es sein eigenes Versäumnis oder das seiner evangelischen Kolleginnen war:

Am Sonntag, den (Datum) beschwerte sich nach meinem Gottesdienst eine Patientin, Frau Lydia Holz aus Niefernöschelbronn, dass am Sonntag zuvor (Datum) im Katharinenhospital kein Gottesdienst stattfand und die Patienten entrüstet wieder auf ihre Zimmer zurückgegangen seien. Wie sich im Gespräch herausstellte, war sie der Meinung, dass der katholische Seelsorger diesen Gottesdienst versäumt habe, weil ihnen dies von evangelischer Seite so gesagt worden war. Als ich daraufhin am nächsten Tag, Montag, den (Datum), Herrn Stolzenburg ansprach, um die Sache zu klären, ließ er mich nicht zu Wort kommen, sondern beschuldigte mich sofort heftig und lautstark, ich hätte den Sonntagsgottesdienst vergessen, und ich sei unmöglich, weil meine Arbeitsauffassung sehr zu wünschen übrig ließe, usw. – bis mir „der Hut hochging“ und ich ihm ebenso lautstark zu verstehen gab, dass ich den Sachverhalt sofort klären würde. Aus der nächstliegenden Krankenstation (U1) holte ich den Gottesdienstplan aus dem Aushang und konnte damit unschwer beweisen, dass an diesem Sonntag (Datum) die evangelischen Kollegen Dienst gehabt hätten. Zeuge dieser Auseinandersetzung, bei der ich zum ersten Mal im Katharinenhospital laut geworden war, weil ich selbst angeschrien wurde, war mein katholischer Kollege Rappe, der bei dieser Situation gerade zur Tür herein kam. Ich war deshalb so empört, weil Herr Stolzenburg ungeprüft nur mir dieses Versäumnis anlastete und nicht etwa auch meinem katholischen Kollegen oder seinen evangelischen Kolleginnen. Erst Tage danach hat er sich dafür entschuldigt (siehe Anlage).

Unkooperatives Verhalten und unverhältnismäßiges Reagieren von Frau Rallinger:

Im Sommer (Datum) wurde vom gemeinsamen ökumenischen Team beschlossen, für den Andachtsraum einen Schriftenstand anzuschaffen, der von beiden Konfessionen je zur Hälfte bezahlt werden solle. Als es darum ging, wie dieser Schriftenstand gestaltet und mit welcher Art von Schriften er bestückt werden sollte, schlug Frau Rallinger vor, dass sie gerne diese Aufgabe übernehmen wolle. Daraufhin machten wir katholische Seelsorger am (Datum) im ökumenischen Team den Vorschlag, dass entsprechend den zwei Regalreihen des Schriftenstandes jede Konfession eine eigene Seite mit ihren Schriften bestücken könne (siehe Anlage, Sitzungsprotokoll). Da Frau Rallinger mit dieser Lösung nicht einverstanden war, jedoch alle übrigen Seelsorger diesem Vorschlag zustimmten, sprang sie voller Wut weinend und schreiend auf und verließ das Zimmer und nahm nicht mehr an der weiteren Teamsitzung teil.

Eigenmächtiges Auswechseln der Stationsschilder durch Frau Rallinger:

Auf jeder Station hängen seit vielen Jahren Hinweistafeln, wie und wo die Seelsorger im Katharinenhospital zu erreichen sind. Am (Datum) musste ich feststellen, dass sämtliche Schilder ausgewechselt waren und zwar mit einer neuen Gestaltung und Beschriftung, die weit weniger ansprechend war, als die vorige (siehe Anlage). Auf meine Frage, wer dies veranlasst habe, erklärte Frau Rallinger, dass sie diese Schilder in Absprache mit meinem katholischen Kollegen Rappe ausgewechselt habe. Als mein Kollege Rappe erklärte, dass er noch nie etwas von diesen neuen Schildern gesehen und gehört hätte, nahm sie sofort ihre falsche Behauptung zurück und meinte, dass es doch selbstverständlich sei, dass auch die katholischen Kollegen hier zustimmen müssten und gestand uns zu, dass auch einige Änderungswünsche unsererseits berücksichtigt würden.

Nicht abgesprochene Einteilung meiner Person zum Heilig-Abend- und zum Weihnachtsgottesdienst durch Frau Rallinger und ihr unkollegiales Verhalten:

Zu meiner großen Verwunderung musste ich anfangs Dezember (Datum) feststellen, dass die Gottesdienstpläne (Anlage), wo bereits die Gottesdienste für das kommende Halbjahr (Datum) bis (Datum) abgesprochen waren, auf allen Krankenstationen des Katharinenhospitals ausgetauscht worden waren und durch einen neuen ersetzt worden sind (siehe Anlage), indem nun beide Weihnachtsgottesdienste den katholischen Kollegen zugeteilt wurden. Empört berichtete ich darüber meinem Kollegen Rappe, der bereits einer Gemeinde zugesagt hatte, dort über die gesamten Weihnachtsfeiertage die Gottesdienste zu halten. Obwohl von evangelischer Seite mit mir diese Änderung nicht abgesprochen wurde, hielt ich eben „um des lieben (Weihnachts-) Friedens willen“ im Jahr (Datum) beide Gottesdienste. Einen Dank für dieses Entgegenkommen bekam ich von evangelischer Seite nie.

Ähnlich war es ein Jahr später, als ich am Montag, den (Datum) am ausgehängten Gottesdienstplan im gemeinsamen Büro sah, dass ich ohne mein Wissen handschriftlich von Frau Rallinger für den ersten Weihnachtsfeiertag (Datum) zum Gottesdienst eingeteilt worden war (siehe Anlage). Auf meine Frage, wie sie dies ohne meine Zustimmung einfach so tun könne, antwortete sie in ihrer schnippischen Art, dass sie dies mit meinem Kollegen Rappe so vereinbart habe – und es eben nicht anders gehe. Als ich mit meinem Kollegen Rappe darüber sprach, war auch er über die Art des Umgangs von Frau Rallinger empört und verstand diese Absprache mit ihr lediglich eine Art Vorschlag, der vorher jedoch mit mir hätte abgeklärt werden müssen.

Mangelnde Ordnung im gemeinsamen Büro und unverschämte Annäherung an meine Person durch Frau Koschinski:

Mehrmals mahnte ich die Sauberkeit und Ordnung im gemeinsamen Büro an (Datum, Datum, Datum, Datum, siehe Sitzungsprotokolle), da sich im Raum oft bis zu über einem Meter hohe Berge von Altpapier (vor allem evangelische Gemeindeblätter, die nicht auf den Krankenstationen verteilt worden waren) auftürmten. Weiter lagen Taschen, Bücher, Zeitschriften, Schreibkram, Kleidungsstücke und Bastelzeug oft wochenlang auf Schreibtisch, Stühlen und Sitzgruppe im gemeinsamen Seelsorgezimmer herum, so dass ich jedes Mal zuerst aufräumen musste, wenn einige Patienten hereinkamen und sich setzen wollten. Mehrmals räumte ich den Papierberg weg und entsorgte ihn, räumte auf, bevor Sitzungen stattfanden oder Besucher zu erwarten waren. Als ich vor ca. drei Monaten eines Morgens Frau Koschinski darauf ansprach, als sie eben wieder auf dem Schreibtisch alles liegen lassen wollte, kam sie mit hoch erhobenem Haupt so nahe an mich heran, dass ihre Nase nur noch ca. 10 cm von meinem Gesicht entfernt war und sagte: „Herr Zeil, Ihre Ordnung und meine Ordnung sind ein großer Unterschied!“ Da sie sich schon einmal einige Zeit vorher mir auf diese Weise genähert hatte und ich ob dieser frechen Annäherung verblüfft war und kein Wort mehr herausbrachte und sofort das Zimmer verließ, beschloss ich damals, mich bei einer weiteren derartigen Annäherung anders zu verhalten. Deshalb wich ich ihr diesmal nicht aus und sagte ihr laut ins Gesicht: „Gott sei Dank haben wir verschiedene Vorstellungen von Ordnung! Dies ist ein gemeinsames Zimmer, wo sich jeder wohlfühlen soll und nicht nur einige Kolleginnen ihren Mist und Dreck überall liegen lassen können, wo sie ihn gerade fallen lassen.“

Einseitige Darstellung der Seelsorge in einem Artikel in „KH-aktuell“ durch Frau Rallinger:

Als ich die Ausgabe (Datum) von KH-aktuell, der Mitarbeiter- und Patientenzeitung des Katharinenhospitals durchlas, fand ich einen Artikel, in dem die Krankenhausseelsorger und ihre Arbeit im Katharinenhospital vorgestellt wurden (siehe Anlage). Mit Erstaunen musste ich feststellen, dass alle Kollegen darin erwähnt und bildlich dargestellt wurden außer mir. In der folgenden Teamsitzung am (Datum) brachte ich deshalb folgende Einwände vor:

  • Die Katholische Seelsorge ist darin zu wenig berücksichtigt, weil nur einer der beiden hauptamtlichen katholischen Seelsorger dargestellt und erwähnt wurde.
  • Frau Rallinger wurde im Verhältnis zu den übrigen Seelsorgern überaus häufig zitiert.
  • Mit diesem Artikel hätte man durchaus warten können, bis ich wieder von meinem Kuraufenthalt zurück gewesen wäre, so dass auch ich gemeinsam mit dem gesamten Seelsorgeteam hätte vorgestellt werden können.

Da Herr Stolzenburg und mein katholischer Kollege Rappe mir in diesen Punkten zustimmten, entschuldigte sich Frau Rallinger nach einiger Zeit über die unglückliche Darstellung des Seelsorgeteams in diesem Artikel, den sie mit Herrn Redakteur Kammer initiiert hatte. Doch gleich darauf verhöhnte sie mich sofort in einem sehr abschätzig bemitleidenswerten Tonfall: „Ach, hat man dich übergangen! Hättest du auch mal in der Zeitung stehen wollen! Ach du Armer, war dein Bild nicht in der Zeitung?“, und so weiter. Durch diese Verhaltensweise von Frau Rallinger musste ich feststellen, dass ihre Entschuldigung gar nicht ernst gemeint war, sondern nur dazu diente, meine Einwände zu beschwichtigen, die sachliche Ebene zu verlassen und mich dabei zu verhöhnen. Da Frau Koschinski ihrer Kollegin beipflichtete, wurde ich wütend und warf Frau Koschinski ihr Verhalten vor, welches sie mir gegenüber einige Tage zuvor gezeigt hatte, als ich die mangelnde Ordnung im gemeinsamen Seelsorgezimmer angesprochen hatte. Ich warf ihr vor, dass ich mich auch von ihr nicht verhöhnen lassen müsse, dass sie, seit sie im Katharinenhospital arbeite, noch nicht ein einziges freundliches Wort mit mir ausgetauscht habe, dass sie, wenn sie mit mir spreche, nicht einmal meine Intimsphäre achten würde und dabei mir so nahe käme, dass gerade noch 10 cm Abstand zwischen unseren Gesichtern sei. Darauf warf Frau Rallinger lachend und sich über mich lustig machend ein: „Wo ist denn deine Intimsphäre? Hast du überhaupt eine Intimsphäre?“ Kurz erklärte ich noch, dass der Abstand von ca. einem Meter zur Intimsphäre jedes Menschen gehöre, den man einzuhalten habe, wenn man mit ihm spricht. Als auch darüber weiterhin gelacht wurde, platzte mir der Kragen, ich schrie los, dass ich mir das nicht mehr gefallen lassen müsse, dass ich die Damen unmöglich fände, dass es eine Sauerei wäre, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten und schlug dabei mit der flachen Hand auf den Tisch. Als ich mich beruhigt hatte, wurde die Sitzung einigermaßen sachlich wieder fortgesetzt.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739490137
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
Macht Kirche Fürsorgepflicht Pfarrer Intrigen Priester Seelsorge Mobbing Biografie Verleumdung

Autor

  • Bernhard Veil (Autor:in)

Bernhard Veil absolvierte die mittlere Beamtenlaufbahn bei der Stadtverwaltung Aalen. Danach altsprachliches Abitur in Stuttgart, Theologiestudium in München und Jerusalem, Gemeindeseelsorger für Jugendarbeit und Erwachsenenbildung mit regelmäßigem Predigtdienst und Religionsunterricht in Böblingen und Ludwigsburg. Anschließend Klinikseelsorger in Stuttgart. Psychotherapeutische Ausbildung in München und Wien. Klinikseelsorger in Geislingen a.d.Steige und in vier Alten- und Pflegeheimen.
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Titel: Die Seelentöter – Band 5: Ein aussichtsloser Kampf