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Die Seelentöter – Band 6: Das Endspiel beginnt

Meine Erfahrungen in der katholischen Kirche

von Bernhard Veil (Autor:in)
362 Seiten
Reihe: Die Seelentöter, Band 6

Zusammenfassung

Mit falschen Behauptungen, entwürdigenden Äußerungen und Verleumdungsbriefen versuchen die Pfarrerinnen und Pfarrer im Katharinenhospital, ihren Kollegen Thomas von seinem Arbeitsplatz wegzumobben. In seinem Umfeld verbreiten sie Lügengeschichten und erklären, dass es für sie eine Zumutung sei, mit ihm zusammenzuarbeiten. Von seinen Vorgesetzten kann er keine Hilfe erwarten, da sie ebenfalls allesamt Priester und Kleriker sind. Schließlich gelingt es ihnen, Thomas durch massive Verleumdungen zu diskreditieren. Somit ist sein Schicksal besiegelt. Er wird nach Geislingen versetzt. Dort bekommt er jedoch keine ordentliche Arbeitsumschreibung, so dass er auch hier der Willkür seines neuen Vorgesetzten hilflos ausgeliefert ist. Seine früheren Arbeitskollegen geben aber immer noch keine Ruhe. Durch Streuung von Halbwahrheiten und Falschinformationen setzen sie Thomas nach, indem sie ihn auf diversen Tagungen und Konferenzen in Verruf bringen. Sein neuer Kollege, ein Diakon, greift begierig diese üblen Nachreden auf und kostet sie in seinem neuen Arbeitsumfeld schamlos zu seinen Gunsten aus.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Unter der Reihe „Die Seelentöter“ berichte ich von meinen Erfahrungen, die ich als Mitarbeiter in der katholischen Kirche erlebt habe. Damit der Focus der beschriebenen Personen nicht nur auf Priester, Pfarrer und sonstige Kleriker gerichtet ist, habe ich mehrere Episoden aus meinem Leben und Werdegang hinzugefügt.

Alle Namen der beschriebenen Personen wurden abgeändert, die angeführten Institutionen und Handlungsorte jedoch beibehalten, so dass sich jeder ein Bild darüber machen kann, was sich vor wenigen Jahren an diesen Schauplätzen ereignet hat. Die zitierten Schriftstücke sind im Originaltext wiedergegeben, lediglich die Namen wurden geändert. Alle angeführten Briefe und schriftlichen Belege sind wortwörtlich zitiert, so dass der Leser erkennen kann, welche Konsequenzen die kirchlichen Entscheidungsträger aus den vorgegebenen Situationen gezogen haben. Um das Kostenrisiko in Grenzen zu halten, habe ich auf ein Lektorat verzichtet. Sollten sich im Text jedoch Fehler eingeschlichen haben, dann bitte ich Sie, mir diese Mängel zur Berichtigung mitzuteilen.

E-Mail-Adresse: bernhardveil@web.de

Attacken ohne Ende

Seit Paul Gegenfalz im Katharinenhospital mein neuer Kollege ist, habe ich endlich wieder eine einigermaßen geregelte Arbeitszeit. Zwar werde ich auch weiterhin nachts zu Notfällen oder zu Patienten, die im Sterben liegen, in die Klinik gerufen, doch diese Anrufe sind nun doch etwas weniger geworden, seit er hier ist. Über zwei Jahre lang war ich allein für die katholischen Patienten rund um die Uhr zuständig, was mir viel freie Zeit und auch so manchen Schlaf geraubt hatte. Doch vor allem belasteten mich die evangelischen Kollegen mit ihren hinterhältigen Verleumdungen und aufreibenden Attacken. Es war Mobbing der fiesesten Art. Obwohl ich meine Vorgesetzten mehrmals ausführlich mündlich und schriftlich in Kenntnis gesetzt habe und sie alle genauestens darüber Bescheid wussten, haben sie nichts unternommen, sondern es stillschweigend zugelassen. Sie haben geschwiegen und sind nie dagegen eingeschritten. Einige haben meine Widersacher in ihrem boshaften Treiben sogar noch unterstützt. Nie wurde ihnen Einhalt geboten, geschweige denn, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wurden. Um diese schreckliche Zeit überhaupt durchstehen zu können, musste ich mir immer wieder gewisse Leuchtmarken setzen. Nur so konnte ich mir für diese dunkle Zeit immer wieder kleine Hoffnungsschimmer setzen, auf die ich dann zusteuern konnte. Als ich vor Weihnachten des vergangenen Jahres die Mitteilung bekam, dass ich endlich einen neuen katholischen Kollegen bekommen würde, meldete ich mich gleich im Frühjahr zu einer interessanten Studienreise durch Südfrankreich an, die jetzt im Spätherbst stattfand. Damals hatte ich gedacht, dass ich mir nach dieser langen stressigen Zeit nun guten Gewissens einen solchen Reisegenuss gönnen könnte und war der Meinung, dass mein neuer Kollege sich in diesem dreiviertel Jahr dann einigermaßen gut in die Klinikseelsorge hier eingearbeitet hat. Allerdings rechnete ich nicht damit, dass er nach seinem Krankenhausseelsorge-Praktikum und nach seiner Klinikseelsorge-Ausbildung dann nochmals elf Wochen für aufgelaufenen Urlaub und Fortbildungsmaßnahmen frei nehmen würde. Durch meinen bereits fest eingeplanten Urlaub ließ es sich aber nicht mehr vermeiden, dass sich meine Urlaubspläne mit seiner Abwesenheit um drei Tage überschnitten haben.

Kaum bin ich zurück, bringen die evangelischen Kolleginnen diese Überschneidung unserer Urlaubspläne bei unserer ökumenischen Teamsitzung sofort zur Sprache. Weil sie aber meinen Kollegen Paul nicht kritisieren wollen, gehen sie sofort wie die Geier auf mich los, schimpfen auf mich mit den altbekannten Vorwürfen ein, wobei sie Pauls Abwesenheit mit keinem Wort kritisieren. Er bleibt von jeglicher Kritik verschont, so dass er froh und frei mit frischem Elan seiner Arbeit nachgehen kann. Ich dagegen werde sofort nach meinem Urlaub von allen wieder in die Mangel genommen, als ob ich ein Kapitalverbrechen begangen hätte. Die Kollegin Koschinski motzte mich an und beschuldigte mich mit ihren alt bekannten Kamellen und legte permanent dieselbe Platte auf:

„Als der Kollege Gegenfalz auf seiner Fortbildung war, habe ich wieder wegen einer Krankensalbung einen Priester von außerhalb suchen müssen. Herr Zeil war wie üblich nicht hier. Und deshalb mussten wir seine Aufgabe mitübernehmen! Nie ist er am Telefon hier erreichbar, wenn Anrufe für die katholische Seelsorge eingehen.“

Koschinski tut, als ob ich lediglich für den Telefondienst zuständig wäre und die übrigen Pfarrer und Pfarrerinnen die eigentliche Seelsorgearbeit vollbringen müssten. In ihrer Kritik erwähnt sie sogar, dass Paul zwar ebenfalls abwesend war. Als Grund dafür erwähnt sie aber lediglich seine Fortbildung, nicht aber, dass er ebenso vier Wochen Urlaub genommen hatte. Seine Abwesenheit wird von ihr somit beschönigt, mir dagegen lastet sie diese drei Tage unserer gleichzeitigen Abwesenheit als schuldhaftes Vergehen an, obwohl ich nur zehn Tage weg war. Im Grund genommen wäre der Sachverhalt ja nicht der Rede wert, denn wenn unsere Klinikseelsorger-Tagungen und unsere Dekanatskonferenzen stattfinden, dann sind sowohl die evangelischen Kollegen als auch wir nicht im Krankenhaus erreichbar. In anderen Krankenhäusern käme ohnehin keiner auf die Idee, einen anderen Kollegen zu beschuldigen, weil er gerade mal nicht anwesend ist, wenn dringend ein Pfarrer oder Priester gewünscht wird. Doch hier in unserer „ökumenischen Zusammenarbeit“ ist dieses Thema zum Dauerbrenner geworden. Und nur deshalb, weil ich auf diese Weise am besten eines dienstlichen Vergehens beschuldigt werden kann. Und weil sie andere Gründe nicht vorbringen können, beschuldigen sie mich permanent bei jeder Sitzung mit demselben Delikt, obwohl sie diesen Tatbestand genauso gegen meinen Kollegen Paul vorbringen könnten. Er aber bleibt von ihnen verschont, er ist ja Priester!

Bei ihren ständigen Beschuldigungen mag sicherlich auch ein gewisser Neid oder Frust eine Rolle spielen, denn die evangelischen Kolleginnen und ihr Kollege Stolzenburg werden so gut wie nie zu einem Patienten gerufen. Weil sie sich das aber nicht eingestehen können, reagieren sie ihren Frust sofort an mir ab, sobald sie für einen katholischen Patienten einen Seelsorger rufen müssen. Außerdem wissen sie, dass sie nach Lust und Laune ihre Gehässigkeit an mir abreagieren und ihrer Kritik ungehindert freien Lauf lassen können, weil niemand dagegen einschreitet. Doch was soll ich tun? Jeder Widerspruch ist zwecklos und würde sofort zu einem entsetzlichen Eklat führen. Denn sobald ich etwas sage, sind sie sich sofort einig und gehen wie Furien auf mich los. Deshalb lasse ich sie reden und lächele gelangweilt vor mich hin. Doch innerlich gehen mir diese ständigen Beschuldigungen gewaltig auf den Geist.

Nun aber ist Paul hier. Schon dieser Umstand ist für mich eine große Entlastung. Dass bei meiner Rückkehr aus meinem Urlaub auch noch mein Zettel in unserem gemeinsamen Büro am Schwarzen Brett hing, auf dem ich ihnen meine Abwesenheit bekannt gegeben hatte, zeigt mir, dass sie nun nicht mehr so ohne weiteres mir alles in die Schuhe schieben können, was ihnen gerade einfällt. Denn früher hatte vermutlich eine Kollegin immer meine Mitteilungen abgehängt und konnte den anderen gegenüber behaupten, ich würde ständig unentschuldigt fehlen. Trotzdem bin ich mir nicht so ganz sicher, ob Paul ihren verleumderischen Behauptungen nicht insgeheim doch mehr Glauben schenken will, als er mir gegenüber zugibt. Denn jedes Mal, wenn ich ihm etwas von meiner schrecklichen Vergangenheit erzählen möchte, wie sie mit mir umgegangen sind und immer noch umgehen, blockt er sofort ab und will nichts davon wissen. Den evangelischen Kolleginnen aber hört er bei seinen gemeinsamen Mittagessen geduldig zu, denn ansonsten würde er auch von ihnen nicht mehr so ohne weiteres akzeptiert werden.

Durch die ständigen Rangeleien und Anfeindungen bin ich mittlerweile sehr dünnhäutig geworden. Zunehmend beschleicht mich das Gefühl, dass ich in den Augen meiner Kollegen und Kolleginnen an meinem Arbeitsplatz entbehrlich geworden bin und ich nicht mehr gebraucht werde, da für die katholische Klinikseelsorge im Katharinenhospital ja wieder ein Priester zur Verfügung steht. Mag sein, dass ich mir das alles nur einbilde, weil ich jetzt nicht mehr so stark gefordert bin. Jedenfalls bekomme ich unterschwellig mit, dass Stolzenburg und die evangelischen Kolleginnen mich bei Paul mit allen Mitteln madig zu machen versuchen. Jede Gelegenheit nehmen sie wahr, mir irgendwelche Fehler und Versäumnisse anzulasten. Wenn ich mich ihm gegenüber aber rechtfertigen will, gibt er mir zu verstehen, dass er sich aus all diesen Konflikten heraushalten will. Ihrem intriganten Ränkespiel kann er sich aber trotzdem nicht entziehen, da er ihre diffamierenden Äußerungen ja nicht zurückweisen kann, um sie nicht zu verprellen.

Als ich Paul eines Morgens in der Eingangshalle der Klinik begegne, kommt er lachend auf mich zu uns berichtet:

„Ich glaube, demnächst wird bezüglich der Sprechstunden, die wir hier anbieten, etwas auf dich zukommen!“

Ich kann mir zwar nicht so recht vorstellen, was er damit meint und frage ihn:

„Warum? Es läuft doch alles gut so. Oder nicht?“

„Ich halte mich da ganz raus“, schmunzelt er, „das sollen sie dir lieber selbst sagen. Es geht um die Sprechstunden und das Abendgebet, wo du dich ja ganz ausgeklinkt hast, solange du hier allein warst. Doch da ich jetzt hier bin, fällt dieses Argument der Überbelastung ja weg. Deshalb sind die evangelischen Kolleginnen der Meinung, dass du dich abwechslungsweise wieder daran beteiligen müsstest.“

„Gut“, antworte ich, „dann sollen sie ihr Anliegen ruhig in der nächsten Teamsitzung vorbringen“, antworte ich und bin gespannt, welche neue Attacke sie wieder gegen mich reiten werden. Insgeheim bin ich aber froh, dass er mich wenigstens vorgewarnt hat.

„Na, na, ich glaube, dass für dich diese Sache nicht so ganz angenehm sein wird“, erhebt Paul warnend seine Stimme, „denn sie wollen mal wieder ein ernstes Wörtchen mit dir reden!“

Es klingt fast so, als würde auch er seine Freude daran haben, wenn sie schon wieder einen Angriff gegen mich starten wollen.

„Gut, wir werden ja sehen, was sie vorhaben“, antworte ich ihm und bin gespannt, was da auf mich zukommt.

Bei der nächsten Teamsitzung bringen die evangelischen Kollegen den Wunsch vor, dass ich wieder wie früher wöchentlich eine Sprechstunde anbieten und abwechslungsweise das wöchentlich stattfindende Abendgebet im Andachtsraum abhalten müsse. Natürlich ist es die Koschinski, die diesen Wunsch in ihrem äußerst unangenehmen und oberlehrerhaften Befehlston an mich richtet. Sie schließt ihre Aufforderung mit der Bemerkung:

„Ihre Schonzeit ist nun abgelaufen! Nachdem nun der Kollege Gegenfalz schon eine geraume Zeit hier ist, können Sie, Herr Zeil, sich nicht mehr auf die Ausrede berufen, dass Sie hier allein die ganze katholische Seelsorge bewältigen müssen.“

Auf ihre überspitzte Formulierung gehe ich nicht weiter ein, sondern berichtige sie lediglich:

„Als diese Sprechstunden hier eingeführt wurden, war ich lediglich dazu bereit, für ein halbes Jahr wie alle anderen eine Sprechstunde anzubieten. Damals hatten wir vereinbart, dass zuerst geprüft werden solle, ob diese Sprechstunden von den Patienten überhaupt angenommen werden. Da aber nie ein Patient in meine Sprechstunde kam, um ein seelsorgerliches Gespräch mit mir zu führen, sah ich es nicht mehr ein, nur unnütz in unserem Seelsorgezimmer herumzusitzen. Ich bin auch heute noch der Meinung, dass es viel sinnvoller ist, die Patienten auf den Krankenstationen zu besuchen, statt hier die Zeit zu verplempern. Und außerdem“, so bemerke ich ironisch, „sollten diese Sprechstunden doch wohl nur deshalb angeboten werden, dass bei den Leuten und vor allem bei der Klinik-Verwaltung der Eindruck entstehen sollte, es würden in unserem Büro wichtige Gespräche stattfinden. Denn durch die mattierten Glaswände ist ja von draußen leicht erkennbar, wenn hier das Licht brennt. Ist es aber aus, könnte man den Eindruck haben, dass hier nichts gearbeitet wird. Andererseits sitzt man während dieser Sprechstunden hier nur sinnlos herum, weil eh keiner kommt. Das war doch ursprünglich auch der Grund, weshalb ich dagegen war, diesen Raum für die Seelsorge zu übernehmen. Er ist zwar sehr zentral gelegen, hat aber den Nachteil, dass man von außen jederzeit sehen kann, ob sich hier jemand aufhält oder nicht. Und nur das Licht brennen lassen, wie schon des öfteren vorgeschlagen und dann auch noch mit Stimmenmehrheit von den evangelischen Kollegen beschlossen wurde, damit draußen die Leute den Eindruck haben, hier würde gearbeitet, ist doch reine Energieverschwendung und geradezu lächerlich, mehr aber auch nicht.“

„Das ist doch unmöglich“, fährt die Koschinski mich unwirsch an. Doch ich fahre fort und rufe:

„Halt, ich bin noch nicht fertig. Genauso ist es doch mit dem Abendgebet! Es findet jeden Mittwochabend um 18 Uhr statt. Die meisten Patienten haben um diese Zeit noch ihre Besuche oder sitzen beim Abendessen. Bei mir haben höchstens ein oder zwei Patienten am Abendgebet teilgenommen. Meistens kam jedoch gar keiner. Auch in dieser Zeit kann ich mit ein paar Besuchen auf den Krankenstationen doch wesentlich mehr Patienten erreichen als durch dieses Abendgebet im Andachtsraum, bei dem fast nie jemand anwesend ist.“

Sichtlich ist den evangelischen Kolleginnen anzumerken, dass sie wie auf Kohlen sitzen und ihnen meine Argumentationsweise völlig zuwider ist. Paul dagegen hält sich bei der ganzen Diskussion wie immer sehr vornehm zurück, vor allem auch dann, wenn ich von ihnen so unwirsch angegangen werde. Ihr Zorn könnte ja ansonsten auch ihn treffen. Da es nun aber so aussieht, dass die evangelischen Kolleginnen mit mir zu keiner Einigung kommen, faucht die Rallinger nun plötzlich ihn an:

„Sag doch du auch einmal etwas! Du warst doch auch dafür, dass er die Sprechstunde und das Abendgebet wieder halten soll. Du hast doch sogar die Sache ins Rollen gebracht und jetzt hältst du dich so zurück!“

Peinlich berührt von diesem plötzlichen Angriff, stottert er erst etwas daher und erklärte schließlich:

„Ja, Thomas, auch ich glaube, dass es doch ganz gut wäre, wenn du ebenfalls wieder bei diesen Sprechstunden mitmachen würdest. Dann wäre es auch viel einfacher für mich, wenn einer von uns ausfällt, dass wir einander vertreten könnten.“

Nun wird mir klar, wer eigentlich die treibende Kraft war und mich zu dieser Sprechstunde und zum Abendgebet verpflichten wollte. Da mein Kollege Paul jeden Montag seine Sprechstunde halten muss und die evangelischen Kollegen ihn nicht vertreten, weil sie grundsätzlich montags auf ihren freien Tag nicht verzichten wollen, er aber ebenfalls gelegentlich montags gerne frei haben möchte, soll nun ich die Sprechstunden wieder abhalten, damit er mich als Vertretung einspannen kann. Selbst aber wollte er mit diesem Anliegen nicht auf mich zukommen! Vielmehr benützt er diese Kampfhennen dazu, um diese Attacke gegen mich zu reiten. Als ihr Angriff aber nun zu scheitern drohte, musste auch er Farbe bekennen und zugeben, dass es vor allem sein Wunsch war, dass ich bei den Sprechstunden wieder mit ins Boot geholt werde. Um es nicht erneut zu einem Streitgespräch kommen zu lassen, zeige ich mich kompromissbereit und willige ein. So bieten die evangelischen Kollegen weiterhin jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ihre Sprechstunden an, damit sie wie gewohnt ihr verlängertes Wochenende gegebenenfalls auf Montag und Freitag ausdehnen können. Den Montag übernimmt mein Kollege Gegenfalz ganz so, wie es Arno gemacht hatte, so dass ich nun wieder am Freitag meine unnütze Sprechstunde absitzen muss. Doch kaum habe ich meine Einwilligung dazu gegeben, kommt wenige Tage später die Koschinski in meine Sprechstunde und sagt:

„Sie haben ja gewollt, dass Sie jetzt freitags wieder eine Sprechstunde anbieten, dann müssen Sie nun auch dafür sorgen, dass die Sprechstundenzeiten auf den Begrüßungskarten für die Patienten und auf den Hinweisschildern vor unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer und im Andachtsraum entsprechend abgeändert werden. Am besten, Sie lassen dafür Aufkleber mit den neuen Sprechstundenzeiten drucken, dann können Sie damit die Begrüßungskarten überkleben.“

„Wer hat das gewollt?“, frage ich erstaunt.

„Ja, Sie haben doch das so gewollt, wer denn sonst?“, faucht sie mich barsch an, „Sie wollen doch nun wieder Ihre Sprechstunde hier anbieten!“

„Wegen einer einzigen zusätzlichen Sprechstunde, zu der sowieso keiner kommt, soll ich jetzt auch noch neue Aufkleber drucken lassen und dafür unnötig Geld ausgeben? Und womöglich soll ich dann auch noch stundenlang mehrere tausend Begrüßungskarten ganz alleine überkleben? Ich glaub, da tickt es bei Ihnen wohl irgendwo nicht ganz richtig! Nicht ich habe diese Sprechstunde gewollt, sondern Sie und Ihre Kollegen. Sie haben doch diesen Wunsch im Team eingebracht und ich habe lediglich zugestimmt! Ich bin Ihrem Wunsch entgegengekommen und nicht umgekehrt. Wenn Sie also neue Aufkleber drucken lassen wollen, dann machen Sie das doch bitte selbst. Ich jedenfalls mache diesen Unsinn nicht mit“, entgegne ich fest entschlossen, worauf sie wutentbrannt abdampft.

Am nächsten Morgen kommt mir Paul entgegen und sagt:

„Die Kollegin Koschinski hat bei mir angerufen und hat mir berichtet, dass es mit dir anscheinend wieder Zoff gegeben hat.“

Da ich aber von einem „Zoff“ nichts weiß, frage ich ihn:

„Warum? Was hat sie denn dir erzählt?“

„Du hättest dich geweigert, die Aufkleber für die Begrüßungskarten drucken zu lassen und außerdem willst du die Hinweisschilder mit deiner neuen Sprechstunde nicht entsprechend abändern“, teilt er mir unverhohlen mit.

Daraufhin erkläre ich ihm:

„Ja, das mit den Aufklebern stimmt, das andere mit dem Hinweisschild aber nicht. Auf den Hinweisschildern an unserem gemeinsamen Büro und im Andachtsraum werde ich meine Sprechstunde einfügen.“

Am selben Abend setze ich mich zuhause an meinen PC und drucke ein Blatt Papier mit den angebotenen Sprechstunden aus, wobei ich meine Sprechstunde am Freitag wie versprochen hinter denen meiner Kollegen einfüge. Dabei übernehme ich, wie sie es auf den bisherigen Hinweisschildern gemacht hatten, ihre Namen mit ihrem jeweiligen Zusatz „Pfarrer“ beziehungsweise „Pfarrerin“ und füge hinter meinem Namen meinen akademischen Titel „Diplom-Theologe“ und meine psychotherapeutische Ausbildung in Logotherapie und Existenzanalyse hinzu. Meine Berufsbezeichnung „Pastoralreferent“ lasse ich weg, weil diese Berufsbezeichnung immer noch unbekannt ist und die Leute ja gar nicht wissen, dass dafür ein abgeschlossenes Theologiestudium mit einer dreijährigen pastoral-praktischen Ausbildung erforderlich ist.

Als ich am nächsten Tag das Hinweisschild an unserem gemeinsamen Büro mit den ausgedruckten Sprechstundenzeiten überkleben will, sitzen in unserem gemeinsamen Büro wie üblich die evangelischen Pfarrerinnen bei ihrer Kaffeerunde zusammen und begutachten mein Druckwerk. Gnädig wie eine strenge Oberlehrerin, schaut die Kollegin Koschinski das Blatt mit meiner zusätzlich aufgeführten Sprechstunde an, schüttelt den Kopf und sagt:

„So kann man das aber nicht stehen lassen! Diplom-Theologe! Wie das schon klingt! Und das mit Ihrem Psychologie-Kurs, den Sie da gemacht haben? Also der muss ja wirklich nicht erwähnt werden! Wir sind der Meinung, dass Ihr Name ausreicht, alles andere ist Unsinn.“

„Das war kein Psychologie-Kurs, sondern eine psychotherapeutische Ausbildung, die fünf Jahre gedauert hat. Dafür musste ich eine schriftliche Abschlussarbeit verfassen und musste mehrere schriftliche Prüfungen ablegen. Und außerdem, alle Firmen sind bemüht, ihren Kunden durch entsprechende Qualifikationszusätze anzuzeigen, dass sie ein qualifiziertes Personal haben, das von ihnen auch entsprechend bezahlt wird. Und hier soll dieser Grundsatz wohl nur für Pfarrer und Pfarrerinnen gelten? Für mich aber nicht? Von ihnen lasse ich mir doch nicht vorschreiben, wie ich mich hier zu präsentieren habe! Das kann ich ja wohl noch selbst bestimmen“, entgegne ich ihr entschieden.

Doch nun schalten sich auch die beiden anderen Kolleginnen ein und sind einhellig der Meinung, dass sie mit meiner „Selbstdarstellung“ absolut nicht einverstanden sind. Sie machen mich lächerlich und schlagen vor, dass diese Sache unbedingt auf der nächsten Teamsitzung geklärt werden müsse. Erst dann könne ich dieses Hinweisschild mit meiner Sprechstunde entsprechend ihrem gemeinsamen Beschluss hier anbringen. Gegen diese vereinte Übermacht kann ich nun allerdings nichts mehr ausrichten. Ich nehme mein Sprechstunden-Hinweisschild wieder ab und verlasse wortlos das Büro.

Am späten Nachmittag treffe ich Paul, der bereits von den evangelischen Kolleginnen informiert wurde, dass mein Entwurf zum Überkleben des Hinweisschildes von ihnen abgelehnt werde. Ich erkläre ihm, wie ich es gestaltet habe und teile ihm mit, dass sie auf der nächsten Teamsitzung darüber beratschlagen wollen. Dabei äußere ich die Befürchtung, dass es mal wieder ein endloses Palaver werden könnte. Verständnisvoll lacht er und meint:

„Das kann ich mir recht gut vorstellen! So, wie ich sie mittlerweile kenne, haben sie an allem etwas auszusetzen. Wenn mir das passiert wäre, dann wäre ich auch ausgerastet.“

„Ausgerastet?“, frage ich erstaunt zurück, „haben sie tatsächlich gesagt, dass ich ausgerastet sei?“

Lachend nickt er, worauf ich ihm antworte:

„Das ist doch unmöglich! Wenn ich nicht alles so ausführe, wie diese Damen es wünschen, und ihnen widerspreche, dann nennen sie das gleich 'ausrasten'.“

Kopfschüttelnd und lächelnd hört er mir zu und ich sehe ihm an, dass er heilfroh ist, nicht im Kreuzfeuer ihrer Kritik zu stehen. Doch nun bringt er folgenden Vorschlag:

„Wir können ja ganz neue Begrüßungskarten drucken lassen. Dann bräuchte man gar keine Extra-Aufkleber drucken und könnte sich das Überkleben der alten Karten sparen.“

„Aber es sind noch mehrere tausend Begrüßungskarten vorhanden. Soll man denn die einfach wegwerfen nur wegen dieser einen zusätzlichen Sprechstunde, zu der doch sowieso keiner kommt?“, frage ich erstaunt.

Diesen Einwand wehrt er jedoch ab und meint:

„Die jetzigen Karten sind ja nicht gerade besonders geschmackvoll gestaltet. Man könnte die neuen Karten mit schönen Bildern oder Grafiken bedrucken, damit sie einladender wirken. Vielleicht kannst du unter deinen Dias, die du in Israel gemacht hast, mal nachschauen, ob du da nicht einige Bilder zur Gestaltung der neuen Karten beisteuern kannst.“

Als er auf diese Weise mir eine Neuauflage der Begrüßungskarten schmackhaft machen will, bemerke ich, dass er das schon alles mit den evangelischen Kolleginnen abgeklärt hat. Deshalb stimme ich ihm zu und erkläre mich bereit, in den nächsten Tagen einige meiner Dias mit Motiven vom Heiligen Land in sein Fach zu legen. Er ist sichtlich erfreut, dass ich auf seinen Vorschlag eingehe und sagt schmunzelnd:

„Wenn ich dann mit den evangelischen Kolleginnen zusammensitze, um die Bilder für die Begrüßungskarten auszuwählen, werde ich ihnen natürlich nicht sagen, dass diese Dias von dir sind. Sonst würden sie ja gleich von vornherein diese Bilder ablehnen. Sie könnten es ja nicht ausstehen, wenn die neuen Begrüßungskarten mit deinen Bildern bedruckt werden.“

Ich stimme ihm zu und lege ihm am nächsten Tag einige Dias mit Motiven vom Heiligen Land in sein Fach.

Paul zeigt sein wahres Gesicht

Um mich meinem neuen Kollegen Paul gegenüber stets loyal zu verhalten, übernehme ich häufig Aufgaben für ihn, die ich gar nicht tun müsste. Auch weil er sich im Katharinenhospital noch nicht überall auskennt, komme ich ihm in Vielem entgegen, um ihm meine gutwillige Zusammenarbeit zu zeigen. Als wir in unserem ökumenischen Team die bevorstehende Patienten-Weihnachtsfeier besprechen, stellen wir fest, dass dieses Jahr entsprechend dem jährlichen Wechsel wieder die katholischen Klinikseelsorger für die Organisation dieser Veranstaltung zuständig sind. Mit dieser lapidaren Feststellung wurde in den vergangenen Jahren üblicherweise dieser Programmpunkt in unseren Teamsitzungen abgehakt. Doch nun meldet sich hierzu sofort die Kollegin Koschinski zu Wort und gibt in ihrer wichtigtuerischen Art die Empfehlung:

„Ich fände es gut, wenn dieses Jahr der Kollege Paul die Ansprache übernimmt, damit er bei den Patienten und Mitarbeitern im Haus noch besser bekannt wird.“

Dass diese Empfehlung nichts mit den Patienten und auch nichts mit den Mitarbeitern zu tun hat, ist sofort allen klar. Denn die Patienten sind nur relativ kurz hier im Haus und lernen ohnehin nur diesen Seelsorger kennen, der für ihre Krankenstation zuständig ist, vorausgesetzt dass er sie überhaupt besucht. Und die Mitarbeiter unserer Klinik haben zumeist gar keine Zeit, an dieser Patienten-Weihnachtsfeier teilzunehmen, da sie arbeiten müssen. Sollten sie jedoch frei haben, dann kommt bestimmt kein einziger von ihnen extra wegen unserer Patienten-Weihnachtsfeier hierher ins Krankenhaus, zumal diese Feier vor allem für unsere Patienten abgehalten wird und nicht für die Mitarbeiter. In ihrer übereifrigen Fürsorge möchte die Kollegin Koschinski durch ihre vorlaute Äußerung lediglich darauf Einfluss nehmen, dass nicht ich, sondern mein Kollege Paul die Weihnachtsansprache hält, mehr aber auch nicht. Da mir ihre ständige Einmischung in unsere Angelegenheiten so ziemlich auf den Wecker geht, weise ich ihren Vorschlag zurück und erkläre:

„Bei uns war es schon immer so, dass derjenige, der die Organisation dieser Weihnachtsfeier ausrichtet, auch gleichzeitig die Ansprache dazu hält. Und das schon deshalb, weil er den thematischen Schwerpunkt dieser Feier bestimmt.“

Auf meinen Einwand reagiert die Koschinski jedoch äußerst gereizt. Theatralisch streckt sie mal wieder beide Hände empor, schaut dabei zur Decke hinauf, und ruft laut in die Runde:

„Natürlich, natürlich, Herr Zeil! Ich wollte ja auch nur einen Vorschlag machen und sagen, was ich für sinnvoll erachte.“

Die weiteren Tagesordnungspunkte werden wie üblich mit langem und ausführlichem Gelaber durchgeackert. Die Übertragungsanlage, die unsere Gottesdienste vom Andachtsraum auf die Hörmuscheln in die Patientenzimmer überträgt, funktioniert nicht überall. Der Aufbahrungsraum ist immer noch nicht so gestaltet, wie es einige Kolleginnen gerne hätten, und dann steht außerdem noch die Frage an, wie meine Sprechstunde auf den Begrüßungskarten formuliert werden soll, ebenso auf dem Hinweisschild, das an unserem gemeinsamen Büro angebracht ist. Nach langem Hin und Her sind sich alle einig, dass ein akademischer Titel wie „Diplom-Theologe“ nichts mit Seelsorgearbeit zu tun habe und daher nicht angemessen sei. Auch meine psychotherapeutische Ausbildung soll nicht erwähnt werden, da wir ja keine „Psychologische Beratungsstelle“, sondern die Krankenhausseelsorge sind. Daher plädieren die evangelischen Kollegen einstimmig dafür, dass hinter der Zeitangabe meiner Sprechstunde lediglich mein Name „Herr Zeil“ stehen solle, mehr aber nicht. Auf meinen Einwand, dass doch auch ihr Titel „Pfarrer“ beziehungsweise „Pfarrerin“ anfügt werde, echauffieren sie sich heftig über mein Unverständnis:

„Das ist doch gerade das Typische an der Seelsorge, dass Pfarrerinnen und Pfarrer hier ihren Dienst tun!“, blökt die Rallinger mich spöttisch an, „begreifst du denn das nicht?“

„Das ist doch selbstverständlich, dass unser Beruf für die Seelsorge hier ausschlaggebend ist!“, stimmt Koschinski ihr zu und wispert mit hämischem Blick zu mir herüber, „dem geht so etwas wohl nie in den Kopf.“

Als die Kolleginnen sich weiterhin über mich lustig machen, weil ich angeblich so verblendet sei, sehe ich es nicht ein, dass lediglich mein Name genügen müsse, um mich und meine berufliche Arbeit zu präsentieren. Deshalb drohe ich damit, keine Sprechstunden anzubieten, falls ich nicht ebenfalls meine fachliche Qualifikation zu meiner Namensnennung hinzufügen darf.

„Mit Ihnen haben wir immer nur Probleme“, schreit mich Koschinski an und ihre Kollegin Rallinger pflichtet ihr bei:

„Aber wirklich, mit so einem kann man doch nicht zusammenarbeiten! Immer mit seinen Sonderwürstchen! Der hält doch unsere ganze Arbeit hier auf! Mit dem kommen wir doch nie weiter! Es ist und bleibt eine einzige Katastrophe!“

Obwohl diese despektierlichen Äußerungen mich innerlich sehr treffen, bleibe ich ruhig und zeige mich unnachgiebig. Als sie sich wieder beruhigt haben und keiner weiß, wie es nun weitergehen soll, sagt Paul:

„Vielleicht könnten wir es mit einem Kompromiss versuchen? Anstatt der beiden Zusätze, die Thomas hinter seinem Namen anfügen möchte, könnten wir ihm vielleicht wenigstens einen dieser beiden Namenszusätze genehmigen. Es fragt sich dann nur welchen?“

Mit Zornesröte im Gesicht schauen sich die evangelischen Kolleginnen einander an, Stolzenburg hält sich zurück. Da auf den eingebrachten Kompromiss von Paul keine Zustimmung kommt, wird er konkret und schlägt vor:

„Also ich finde, dass der Zusatz „Dipl.-Theol.“ durchaus angemessen ist. Das mit der psychotherapeutischen Ausbildung würde ich auch nicht für gutheißen. Das klingt eher wie auf einem Schild bei einer psychologischen Beratungsstelle. Deshalb stelle ich den Antrag, dass hinter dem Namen von Thomas Zeil der Zusatz „Dipl.-Theol.“ angefügt wird. Er hebt die Hand und fragt: Wer ist dafür?“

Zögerlich heben die evangelischen Kollegen nacheinander die Hand, ich enthalte mich der Stimme und somit wird dieser Kompromissvorschlag per Mehrheitsbeschluss von ihnen abgesegnet. Nach dieser Abstimmung frage ich mich, was wohl der eigentliche Grund dafür ist, dass sie meinen Wunsch nicht akzeptieren wollten. Weshalb sind sie so strikt dagegen, wenn ich meinen Studienabschluss in Theologie und meine psychotherapeutische Qualifikation meinem Namen hinzufügen möchte? Sind sie mir tatsächlich so neidisch, weil ich eben mehr zu bieten habe als sie? Befürchten sie, dass zu meinen Sprechstunden dann mehr Patienten kommen als zu ihren? Oder liegt es daran, dass sie über den gemeinsamen Anrufbeantworter und die vielen Telefonanrufe bereits mitbekommen haben, wie oft ich von vielen Patienten und vom Pflegepersonal gewünscht und zu einem Gespräch gerufen werde? Sind sie tatsächlich so neidisch, weil ich weitaus häufiger angefragt werde als sie? Ständig hocken sie doch in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer und bekommen mit, wenn ein Anruf für mich eingeht. Haben sie vor lauter Neid mich bei meinen Vorgesetzten deshalb madig gemacht, weil sie doch jederzeit am Telefon erreichbar sind, ich aber nicht? Und haben sie deshalb die Besuchswünsche der Patienten an mich nicht weitergegeben, damit ich sie nicht besuchen kann, so dass die Patienten und das Pflegepersonal von mir enttäuscht werden sollen? Dass so viel Neid und Missgunst im Spiel ist, hätte ich nie gedacht. Ist das wohl auch der Grund, weshalb ich von meinen Vorgesetzten nie unterstützt wurde? Sollen deshalb nur Priester, Pfarrer und Pfarrerinnen den Schutz und die Gunst der Vorgesetzten erhalten, damit sie als die „wahren Seelsorger“ zur Geltung kommen? Verweigern sie mir deshalb meinen Wunsch, meine Berufsabschlüsse öffentlich kund zu machen, um ihre Vorrangigkeit mir gegenüber abzusichern? Nie hätte ich gedacht, dass berufliche Qualifikationen in unserer Kirche so wenig gefragt sind. Obwohl mir meine Verwaltungsausbildung in vielen Bereichen schon oft von Nutzen war, wenn ich in Ludwigsburg mit dem Kirchenpfleger oder auch hier im Krankenhaus mit den Verwaltungsangestellten so einiges zu klären hatte, verzichte ich selbstverständlich darauf, auch diesen Berufsabschluss zu nennen. Und trotzdem, auch da könnte so mancher Patient sein Herz bei mir ausschütten, wenn er schlechte Erfahrungen mit Behörden machen musste und fachlichen Rat gebrauchen könnte. Auch hier könnte ich weitaus mehr bewirken als ein Pfarrer oder eine Pfarrerin, die in solchen Fragestellungen lediglich liebevolle Gefühlsduseleien verabreichen können. Wie oft habe ich bei meinen Gesprächen mit so manchem Patienten ganz lapidare und alltägliche Probleme besprochen. Theologische Fragen sind ohnehin oft zweitrangig. Vielleicht werde ich auch deshalb von vielen Patienten und vom Pflegepersonal so akzeptiert, weil sie merken, dass sie mit mir über alles reden können und ich die Menschen nicht nur vom kirchlichen und theologischen Aspekt aus betrachte. Weil aber Stolzenburg und die evangelischen Kolleginnen vor Jahren beschlossen haben, alle Angelegenheiten der Klinikseelsorge im Katharinenhospital in „ökumenischem Sinne“ mit Mehrheitsbeschluss zu regeln, hatte ich als Einzelner nie eine Chance, andere Sichtweisen in diese Runde einzubringen.

Als ich wenige Tage später mit meinem Kollegen Paul die bevorstehende Patienten-Weihnachtsfeier bespreche, kommt er auf den Vorschlag der evangelischen Kollegin Koschinski zurück und meint, dass es doch durchaus sinnvoll sei, wenn er die Ansprache dieses Jahr übernehmen würde. Ich könnte ihm ja dann bei der Organisation etwas behilflich sein. Ich gebe ihm zu bedenken, dass durchaus viele Einzelheiten zu berücksichtigen seien und er doch erst einmal miterleben solle, wie die Weihnachtsfeier hier im Katharinenhospital vonstatten geht. Dann könne er ja beim nächsten mal diese Feier organisieren und die Ansprache übernehmen. Doch er bleibt stur. Obwohl er gar nicht weiß, wie diese Weihnachtsfeier hier abläuft und keine Ahnung davon hat, was alles getan werden muss, besteht er darauf, dass er diese Weihnachtsfeier gestalten will. Ich vermute, dass ihn die evangelischen Kolleginnen dazu aufgestachelt haben. Ohne lange zu zögern, gehe ich auf seinen Vorschlag ein und suche in meinem Aktenschrank die Faltblätter der vergangenen Jahre heraus, damit er ein ähnliches Programm zusammenstellen kann. Ich erkläre ihm, dass zuerst mit der Verwaltung ein Termin vereinbart werden müsse, um die Besucherhalle für diese Veranstaltung zu reservieren. Wenn dieser Termin festgelegt sei, müssen die Männer der Haustechnik benachrichtigt werden, damit sie die Übertragungsanlage, die Mikrofone und Verstärker installieren, das Klavier herbeischaffen und für die Bestuhlung sorgen können. Eine Musikgruppe oder ein kleiner Chor muss gesucht und engagiert werden, vom Pflegepersonal müssen zwei oder drei Leute angesprochen werden, die einen besinnlichen Text vortragen, und außerdem müssen der Verwaltungsdirektor und ein Chefarzt gebeten werden, eine Ansprache oder ein Grußwort zu sprechen. Angemessene Weihnachtslieder müssen herausgesucht und in den Programmverlauf integriert, sowie ein Bildmotiv für den zu erstellenden Flyer besorgt werden, damit dieses Faltblatt von der Verwaltung gedruckt und an die Patienten verteilt werden kann.

Da mein Kollege angesichts dieser vielfältigen organisatorischen Aufgaben sich überfordert zeigt, bittet er mich, ihm dabei zu helfen und diese Dinge zu erledigen, da ich ja schon wissen würde, an wen ich mich bei diesen verschiedenen Aufgaben wenden könnte. So bleibt mir also nichts anderes übrig, mehr oder weniger für ihn diese Weihnachtsfeier zu organisieren, damit er dann nur noch seine Ansprache halten kann.

In Absprache mit der Verwaltung lege ich den Termin auf Mittwoch, den 16. Dezember fest. Denn angeblich hat der Verwaltungsdirektor nur an diesem Tag Zeit, um an der Weihnachtsfeier teilzunehmen und seine Ansprache zu halten. Gleich danach hefte ich in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer einen Zettel mit diesem Termin ans Schwarze Brett, damit meine Kollegen und Kolleginnen möglichst frühzeitig darüber informiert sind und sich diesen Termin in ihrem Kalender vormerken können. Auf diese Weise bekommen alle nun mit, dass ich die Organisation dieser Feier übernommen habe. Sofort hat die Koschinski wieder etwas daran auszusetzen und heftet gleich darauf einen zweiter Zettel dazu, auf dem Folgendes steht:

„Ich finde es nicht gut, wenn der Termin für die Weihnachtsfeier ein Mittwoch, also Abendgebetstermin ist. In den Jahren zuvor gab es Donnerstag oder Dienstag auch schon genug Möglichkeiten. Neuester Stand, nachdem Verwaltungsdirektor Weiß am 15. Dezember nicht im Hause ist: Donnerstag 17. 12.!“

Da mir diese Terminverschiebung doch sehr sonderbar vorkommt, rufe ich die Chefsekretärin des Verwaltungsdirektors an, die mir sehr wohlgesonnen ist, und frage sie, wie es denn dazu kam, dass die Weihnachtsfeier nun am Donnerstag stattfindet, wo sie mir doch mitgeteilt habe, dass ihr Chef lediglich am Mittwoch Zeit habe? Sie klagt sofort:

„Oh je, Herr Zeil! Sie glauben es nicht! Ihre Kollegin Koschinski hat sich darüber empört, weil wir die Weihnachtsfeier auf Mittwoch gelegt haben. Da mittwochs immer im Andachtsraum das Abendgebet stattfinden würde, hat sie uns solange bekniet und mit uns herumgestritten, bis mein Chef dann schließlich nachgab und seinen Auswärtstermin verschoben hat. Er ist ja wirklich euch Krankenhausseelsorgern sehr wohlgesonnen! Aber über diese Pfarrerin hat er sich dann schon so ziemlich geärgert!“

Ich kann es nicht fassen. Nun hat doch tatsächlich die Koschinski sich hintenherum in meine Arbeit eingemischt und mit der Verwaltung einen anderen Termin ausgehandelt, weil sie das Abendgebet an diesem Mittwochabend absolut nicht ausfallen lassen wollte. Da zu diesem Abendgebet normalerweise höchstens ein oder zwei Patienten kommen, oft aber auch gar keiner anwesend ist, bin ich selbstverständlich auf den Vorschlag des Verwaltungsdirektors eingegangen, zumal er angeblich sehr unter Zeitdruck stand. Doch wenn dieser Koschinski etwas nicht passt, setzt sie ihren Willen unnachgiebig durch. Selbst der Verwaltungsdirektor des größten Krankenhauses von Stuttgart muss nach ihrer Pfeife tanzen! Ob sie allerdings ebenfalls so rigoros ihren Willen durchgesetzt hätte, wenn mein Kollege Paul diese Feier organisieren würde, ist fraglich. Vielleicht wollte sie mir nur wieder einmal zeigen, dass sie es sehr viel besser machen kann. Außerdem macht es ihr wohl besonders viel Spaß, in meine Arbeit hineinzuregieren und ständig an allem herumzukritisieren. Das alte Spiel geht unvermindert weiter! Alles, was ich mache, wird bemängelt und geändert.

Als ich Paul auf diese Terminänderung anspreche und ihn ironisch frage, ob denn nun die Kollegin Koschinski die Organisation der Weihnachtsfeier übernommen habe, zeigt er sich hilflos und meint, dass „man halt um des lieben Friedens willen“ nun mal ihr übereifriges Engagement doch ertragen müsse. Ich bekomme bei ihm den Eindruck, dass er es wohl für selbstverständlich erachtet, dass ich für ihn die zeitaufwändige Organisation der Weihnachtsfeier übernehmen soll und mir zusätzlich auch noch die Einmischung der evangelischen Kolleginnen gefallen lassen muss. Mehr und mehr fühle ich mich von ihm ausgenützt und spüre, dass er zwar ständig von mir meine loyale Zusammenarbeit einfordert, andererseits mich aber nie unterstützt oder verteidigt, wenn ich von den evangelischen Kolleginnen angefeindet und schikaniert werde. Und wenn ich ihn auf sein Verhalten anspreche, dass er doch ab und zu in solchen schwierigen Situationen Stellung für mich nehmen könnte, erwidert er jedes Mal:

„Ich möchte mich aus diesen Konflikten heraushalten. Das ist ganz Eure Sache, wie Ihr miteinander umgeht.“

Immer mehr stelle ich fest, dass er nichts, aber auch gar nichts für mich tun will und mich ständig im Regen stehen lässt. So langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich irgendwann einmal von ihm abserviert werde, wenn er sich hier im Katharinenhospital vollends eingearbeitet hat.

Kaum ist die Weihnachtsfeier vorbei, bringt in unserem ökumenischen Team die Kollegin Rallinger den Vorschlag ein, dass sie mit Paul zusammen auf allen Krankenstationen die Hinweisschilder der Krankenseelsorge neu gestalten möchte. Mich wundert, dass dieses Thema schon wieder behandelt werden soll, denn es ist gerade einmal zwei Monate her, dass diese Schilder im ganzen Haus neu gestaltet und ausgetauscht wurden. Doch inzwischen hat die Kollegin Rallinger in einem der umliegenden Krankenhäuser andere Hinweisschilder mit anderem Design gesehen, die ihr außerordentlich gut gefallen haben. Dieses Design möchte sie unbedingt übernehmen und neue Hinweisschilder drucken lassen. Mit Beschluss der Kollegen wird festgelegt, dass auf der nächsten gemeinsamen Teamsitzung die Gestaltung der neuen Schilder besprochen werden soll. Insgeheim bin ich total gegen diesen Vorschlag, halte mich aber bei der Debatte ganz zurück und enthalte mich meiner Stimme, als der Druck der neuen Hinweisschilder beschlossen wird. Schließlich will ich nicht als Einziger gegen die Initiative der Kollegen stimmen, auch wenn ich nicht einsehe, dass nach zwei Monaten schon wieder Geld für solch einen unnützen Firlefanz ausgegeben werden soll, der nur einen ungeheuren Arbeitsaufwand verursacht, jedoch für die Patienten und fürs Personal gar nichts bringt. Im Gegenteil! Wenn nun auch noch die Namen der einzelnen Klinikseelsorger auf diesen Schildern aufgeführt werden, dann müssen bei jedem Stellenwechsel eines Klinikseelsorgers sämtliche Hinweisschilder für die Stationen neu gedruckt und ausgetauscht werden. Der ganze Arbeitsaufwand kann dann jedes Mal wieder von Neuem beginnen.

Als wir jedoch zu diesem Punkt der Tagesordnung kommen, bei dem es darum geht, was genau auf den neuen Schildern aufgeführt werden soll, stellen die Kolleginnen Rallinger und Koschinski die einzelnen Vorschläge für die neuen Hinweisschilder vor. Als ich sie näher betrachte, muss ich nun allerdings feststellen, dass sie jetzt vorhaben, künftig auf den neuen Hinweisschildern nur die Namen der Pfarrer und Pfarrerinnen aufzuführen, nicht aber meinen Namen. Deshalb frage ich sie:

„Warum soll denn ich nicht mit meinem Namen auf diesen Schildern aufgeführt werden?“

Doch darauf bekomme ich gar keine Antwort. Ich schaue in die Runde. Betretenes Schweigen. Und nochmals frage ich sie:

„Warum soll denn mein Name auf diesen Schildern nicht aufgeführt werden? Warum sollen denn nur die Pfarrer und Pfarrerinnen genannt werden?“

Doch wieder bekomme ich keine Antwort. Alle schweigen, keine Reaktion. Ich muss tief durchatmen. Dann sage ich langsam und deutlich:

„Noch bin ich hier im Haus und bin von der Diözese hier als hauptamtlicher Klinikseelsorger angestellt. Daher erwarte ich auch, dass ich wie jeder andere auf diesen Schildern aufgeführt werde, ansonsten werde ich das Bischöfliche Ordinariat informieren.“

Betroffenes Schweigen steht im Raum, keiner wagt etwas zu sagen. Was mich bei dieser Vorgehensweise aber besonders ärgert, ist die Tatsache, dass mein Kollege Paul sich auch bei dieser Auseinandersetzung wiederum total zurückhält. Allzu deutlich kann ich aus seinem Verhalten entnehmen, dass er sich bereits im Vorfeld über diese Aktion mit den evangelischen Kolleginnen geeinigt hat und mich völlig ignorieren will. Mit seiner Zustimmung soll ich jetzt nicht einmal mehr auf den neuen Hinweisschildern erwähnt werden. Über diese niederträchtige und hinterhältige Vorgehensweise kann ich erneut nur meine eigenen Vermutungen anstellen. Eine ehrliche Antwort würde ich ja ohnehin nicht bekommen, wenn ich sie auf ihr erbärmliches Gebaren ansprechen würde. Da sie sich mittlerweile inzwischen in allem einig sind, wenn es um meine Person und meine Interessen geht, kann ich von ihnen wohl nichts mehr erwarten. Bei jedem Wunsch, bei jeder Berücksichtigung meiner Person habe ich nur neue Streitgespräche und neue Auseinandersetzungen, nur neuen Spott und Hohn zu erwarten. Ich frage mich, ob sie inzwischen sogar von meinem Vorgesetzten, Pfarrer Sauer, oder gar vom Bischöflichen Ordinariat bereits instruiert wurden und sie mich so behandeln sollen, als ob ich schon gar nicht mehr hier wäre? Vielleicht wird es ohnehin nur noch wenige Wochen dauern, bis ich vollends das Feld hier räumen muss? Es scheint jedenfalls so zu sein, als ob sie bereits fest damit rechnen könnten, dass ich nicht mehr lange hier arbeiten werde. Soll ich etwa deshalb auf den neuen Hinweisschildern nicht mehr aufgeführt werden? Doch andererseits, als ich damit gedroht habe, diesen Vorfall ans Bischöfliche Ordinariat zu melden, lenkten sie sofort ein. Was soll denn das nun bedeuten? Soll dieses Mobbing unvermindert so weitergehen? Und Paul hat bei diesem schändlichen Treiben bereits von Anfang an mitgemacht, will es aber nie zugeben! Welch ein hinterhältiges Intrigenspiel treibt er eigentlich mit mir? Fühlt er sich von mir denn nicht durchschaut? Fragen über Fragen türmen sich auf. Es ist zum Verrückt-werden! Doch jetzt, da sie anscheinend alle nicht wollen, dass ich meine Drohung wahrmache, geht es bei unserer Auseinandersetzung nur noch darum, wie und auf welche Weise ich auf diesen Schildern erwähnt werden soll. Die Kolleginnen und Kollegen sind sich einig, dass sie ihre Berufsbezeichnung Pfarrer beziehungsweise Pfarrerin zu ihrem Namen selbstverständlich hinzufügen. Mir aber wollen sie nicht zugestehen, dass ich zu meinem Namen irgendeine meiner beruflichen Qualifikationen hinzufügen darf. Wieder sind sie sich alle einig, dass nur sie als Pfarrerinnen und Pfarrer für die Klinikseelsorge relevant sind. Bei mir würde es völlig ausreichen, wenn auf dem Hinweisschild lediglich mein Name aufgeführt werde, mehr aber nicht. Doch ich bleibe stur und bin nicht damit einverstanden. Und wieder erkläre ich:

„Es ist doch sinnvoll, wenn die Leute auf dem Schild erkennen können, dass die katholische Kirche in der Krankenhausseelsorge neben einem Priester namens Paul Gegenfalz auch noch einen zweiten qualifizierten Mitarbeiter eingestellt hat. Jede Firma, die etwas auf sich hält, wirbt doch bei ihren Kunden damit, dass sie qualifiziertes Personal vorweisen kann, das übrigens auch teuer bezahlt werden muss. Und bei uns soll das verschwiegen werden, nur wie die Pfarrer und Pfarrerinnen das nicht wollen?“

Mein Argument wird von allen übergangen. Sie halten es nicht einmal für nötig, eine adäquates Gegenargument zu liefern, sondern lachen verächtlich über mich:

„So kann man es natürlich auch interpretieren! Du willst dich doch nur wichtig machen und so tun, als ob du hier etwas Besonderes wärst!“, giftet mich Rallinger wütend an. Und die Koschinski pflichtet ihr bei:

„Nein Herr Zeil, wir bestimmen hier alle gemeinsam mit Mehrheitsbeschluss, wie wir uns auf diesen Schildern präsentieren wollen. Und bei uns können Sie, Herr Zeil, nicht ihre Sonderwürstchen braten. Sie können hier nicht tun und lassen, was Sie wollen. Für die Klinikseelsorge sind vor allem wir Pfarrer und Pfarrerinnen zuständig und Sie haben sich uns zu fügen!“

Wiederum halten sich auch bei dieser Auseinandersetzung der Kollege Stolzenburg und mein katholischer Kollege Paul vornehm zurück. Sie überlassen es diesen „Kampfhennen“, mich zu malträtieren und lächerlich zu machen. Sie tun absolut nichts, wenn es darum geht, dass auch ich einen adäquaten Platz und Stellenwert hier im Kreise der Klinikseelsorger bekomme. Da ich aber standhaft bleibe und nicht nachgebe und erneut damit drohe, beim Bischöflichen Ordinariat eine schriftliche Auskunft einzuholen, ob ich meinen akademischen Titel und meine fachliche Qualifikation auf den Hinweisschildern anführen darf, lenkt Paul mal wieder ein und schlägt einen Kompromiss vor. Es ist derselbe Kompromiss, den wir bereits bei den Begrüßungskarten ausgehandelt haben. Somit darf ich lediglich den Titel „Diplom-Theologe“ als Berufsbezeichnung meinem Namen hinzufügen, mehr jedoch nicht. Obwohl ich es nicht einsehe, weshalb meine psychotherapeutische Ausbildung nicht ebenfalls genannt werden darf, stimme ich „um des lieben Friedens willen“ auch diesem Kompromiss wieder zu. Allerdings habe ich mal wieder deutlich zu spüren bekommen, dass Paul mich in meinen Auseinandersetzungen mit den evangelischen Kolleginnen nicht im Geringsten unterstützt. Er brachte seinen Kompromiss nur deshalb erneut ins Spiel, damit wir bei dieser langatmigen Streiterei endlich zu einem Abschluss kommen.

Unterschiedliche Behandlung

Wieder stehen in unserer Diözese die Wahlen für die MAV (Mitarbeitervertretungen) an, zu der alle Bediensteten vom Bischöflichen Ordinariat angeschrieben werden, um Kandidaten dafür zu suchen und vorzuschlagen. Mit meinem Kollegen Hans Fetzer vom Bürgerhospital und der Kollegin Dagmar Bauer-Stock vom Karl-Olga-Krankenhaus machte ich keine guten Erfahrungen, als ich sie wegen meiner Mobbing-Situation um ihre Unterstützung gebeten hatte. Ihr anbiederndes Verhalten bei Pfarrer Sauer, der sich selbst durch Intervention beim Stadtdekan Karst zu meinem Vorgesetzten erhob, ärgerte mich sehr. Da mir bekannt ist, dass die Sauer-Karner-Mürther-Clique auch anderen Kollegen ein Dorn im Auge ist, wurde ich sofort von mehreren Kollegen als Kandidat für diese Wahl vorgeschlagen und von ihnen unterstützt in der Hoffnung, dass durch mich diese Seilschaft Sauer-Karner-Mürther endlich zurückgedrängt werde. Meine Kandidatur wird meinem Vorgesetzten, Pfarrer Sauer und seiner gesamten Clique gewiss nicht gefallen. Doch da ich von mehreren Kollegen unterstützt werde, kann er nichts dagegen machen. Und siehe da, ich werde tatsächlich mit einer erstaunlich guten Stimmenzahl in diese Mitarbeitervertretung gewählt. Allerdings sind erneut die Kollegen Fetzer und Bauer-Stock in diesem Gremium vertreten, so dass ich mich auf so manch kontroverse Sichtweise der arbeitsrechtlichen Vorgängen einstellen muss. Ich gebe zu, dass ein weiterer Aspekt für mich eine wichtige Rolle spielte, mich in dieses Gremium wählen zu lassen. Es ist meine eigene Mobbing-Situation, die nun zunehmend prekärer wird. Da ich jetzt weiß, dass auch Paul die Intrigen und fiesen Attacken des Kollegen Stolzenburg und der evangelischen Kolleginnen unterstützt, und dies insgeheim wohl schon immer getan hat, muss ich nun alles unternehmen, mir meinen Arbeitsplatz zu erhalten. Denn seit den letzten Auseinandersetzungen fühle ich mich wie auf einem Schleudersitz, aus dem ich jederzeit herauskatapultiert werden könnte. Um dieser Gefahr einen Riegel vorzuschieben und selbst mehr Einfluss in arbeitsrechtliche Vorgänge zu gewinnen, habe ich die Wahl zur Mitarbeitervertretung angenommen. Zwar bin ich mir bewusst, dass einige Sitzungstermine auf mich zukommen werden, doch ich denke, dass diese sich durchaus bewältigen lassen, zumal sich mein neuer Priesterkollege Paul im Katharinenhospital inzwischen gut eingearbeitet hat.

Somit sitze ich im Gremium der MAV für die Klinikseelsorger, die von Hans Fetzer geleitet wird. Deutlich bekomme ich seine Abneigung und die der Kollegin Bauer-Stock zu spüren. Wie könnte es auch anders sein, sie fühlen sich in gewisser Weise von mir kontrolliert. Da ich aber nicht zur Seilschaft Sauer-Karner-Mürther gehöre, hatten sie nicht damit gerechnet, dass ich auf Anhieb mehr Stimmen bekam als sie und mit so großer Mehrheit in dieses Gremium gewählt wurde. Bald lerne ich bei diesen Sitzungen die Gepflogenheiten kennen, mit welchen Problemen und Anträgen sie konfrontiert werden und vor allem, welche Rechte sich diese Mitarbeitervertreter gegenüber ihren eigenen Vorgesetzten herausnehmen. Dabei bemerke ich, dass sie sich selbst an ihren Arbeitsplätzen wesentlich mehr Freiheiten genehmigen, als es mir meine Vorgesetzten im Katharinenhospital jemals zugestanden haben. So müssen sie sich in ihren Krankenhäusern keineswegs von ihren evangelischen Kollegen beaufsichtigen und bevormunden lassen, wie ich es mir seit meinem Dienstantritt im Katharinenhospital gefallen lassen musste. Auf einer der folgenden Sitzungen nehme ich die Gelegenheit wahr und spreche ganz offen diese überaus lästigen Bedingungen an, die mir Pfarrer Sauer auferlegt hatte, als Arno Rappe gestorben ist. Er hatte damals die Dienst- und Fachaufsicht, die ursprünglich Stadtdekan Karst von der Domgemeinde St. Eberhard über mich ausübte, regelwidrig auf sich übertragen lassen, weil ich damals durch einen Verleumdungsbrief des evangelischen Dekans Kumpf auf betreiben meiner evangelischen Kollegen diffamiert wurde. Daraufhin forderte Sauer von mir, dass ich meine Urlaubswünsche künftig bei folgenden Personen schriftlich einreichen muss:

  • beim Stadtdekan Karst, da meine Arbeitsstelle im Katharinenhospital zu seiner Pfarrei gehört,
  • beim Dekan von St. Fidelis, der nach einer Umstrukturierung nun mein Vorgesetzter im Dekanat ist,
  • bei meinem Priesterkollegen im Katharinenhospital, mit dem ich meinen Urlaub ohnehin absprechen muss,
  • beim Personalreferat im Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg und
  • bei ihm selbst, Pfarrer Sauer, der als Vorsitzender unserer katholischen Klinikseelsorger informiert sein will, wenn ich im Katharinenhospital nicht anwesend bin.

Sauer machte mir aufgrund des Verleumdungsbriefs des evangelischen Dekans schwere Vorwürfe, weil angeblich Beschwerden bei ihm eingegangen seien. Von wem diese Beschwerden kamen, sagte er nie. Strikt verlangte er von mir, seine Anordnung zu befolgen. Somit musste ich mich seinen Wünschen beugen und jedes Mal diese aufwändige Prozedur starten und an alle aufgeführten Personen einen Brief mit meinen Urlaubsmeldungen schreiben, obwohl dies weder in meiner Arbeitsumschreibung, noch aus sonstigen dienstrechtlichen Vorschriften herauszulesen war. Diesen Aufwand, jedes Mal für meine Urlaubsmeldungen fünf Briefe zu schreiben, wollte ich nicht mehr hinnehmen, zumal ich erkannt habe, wie bei meinen Kollegen in den anderen Krankenhäusern die Urlaubsmeldung geregelt ist. Sie müssen ihren Urlaub lediglich ihrem Dekan und dem Personalreferat im Bischöflichen Ordinariat melden, mehr jedoch nicht. Deshalb bringe ich auf einer unserer Sitzungen bei der Mitarbeitervertretung die Prozedur meiner Urlaubsmeldung auf die Tagesordnung, so dass sich nun auch meine MAV-Kollegen damit befassen müssen. Nachdem ich meine Situation geschildert habe, fassen sie den Beschluss, bei unserem Vorsitzenden der katholischen Klinikseelsorger, Pfarrer Rainer Sauer, diesbezüglich nachzuhaken und der Kollege Fetzer schreibt folgenden Brief:

Lieber Rainer,

eine Unklarheit ist aufgetaucht, die zu bereinigen uns als Mitarbeitervertreter wichtig erscheint und die Dich und eventuell auch andere Kollegen in der Funktion eines Inhabers des Klinikseelsorgepfarramtes betrifft. Nach Auskunft von Thomas Zeil wurde er schon vor längerer Zeit (ca. drei Jahren) von dir aufgefordert, Dir seinen Urlaub anzuzeigen, während zum Beispiel ich und meines Wissens auch andere Kollegen dies als Pflicht nur gegenüber dem Dekan als Dienstvorgesetzten haben und Dich lediglich im Rahmen einer internen Information über längere (Urlaubs-) Abwesenheiten benachrichtigen.

Da eine (dienstrechtliche) Regelung für alle gleich sein sollte, möchten wir Dich bitten, zu einer Klärung in dieser Sache beizutragen (eine schriftliche Anfrage und Antwort schiene dazu am hilfreichsten):

Gibt es für Thomas Zeil und/oder andere in dieser Frage der Urlaubsgenehmigung eigene Regelungen? Und wenn ja: welche Begründungen gibt es dafür?

Mit herzlichem Gruß, Hans Fetzer

Zur Kenntnis auch an das Bischöfliche Ordinariat, Personalreferat, P. Seiler

Zehn Tage später erhalte ich ein Schreiben vom Kollegen Fetzer mir folgendem Inhalt:

Lieber Thomas,

mein Schreiben an Rainer Sauer in Deiner Angelegenheit wirst Du erhalten haben – hier nun die Kopie von seiner Antwort:

keine Verpflichtung zur Urlaubsmeldung/-absprache/-genehmigung im dienstrechtlichen Sinne (dafür ist generell der Dekan zuständig)

lediglich eine Bitte zur Information im Blick auf die (nicht endgültig definierte) Aufgaben des Inhabers eines Klinikenpfarramtes für Koordination und Kooperation.

Warum dieser Punkt in der Vergangenheit unterschiedlich aufgefasst wurde und zu Dissens führte, ist für uns nicht zu klären; die Sachlage jedenfalls ist meines Erachtens mit der Antwort von Rainer Sauer geklärt, deinem Anliegen damit entsprochen und unsere Aufgabe – wie ich hoffe, zu Deiner Zufriedenheit – erfüllt.

Mit freundlichen Grüßen,

Hans Fetzer

Seinem Brief legt Fetzer eine Kopie das Antwortschreiben von Pfarrer Sauer bei, in dem es heißt:

Lieber Hans,

zur Klärung deiner Frage bezüglich Urlaubs-Mitteilung möchte ich folgendes bemerken:

Wie Du selber weißt, habe ich immer in Konferenzen wie auch in persönlichem Gespräch darum gebeten, mir den Urlaub mitzuteilen. Meine Begründung für diese Bitte ist, dass ich bei Anfragen, die ans Krankenhauspfarramt kommen, Auskunft geben kann, warum der jeweilige Krankenhausseelsorger nicht zu erreichen ist. Diese Anfragen kommen, obwohl ja eine Vertretung geregelt sein sollte. Ich habe immer darauf hingewiesen, dass Urlaubsgesuche dem zuständigen Dekan eingereicht werden müssen.

Ich bin mir sicher, dass ich niemals diese Bitte als eine Dienstverpflichtung dargestellt und behandelt habe, auch Thomas Zeil gegenüber nicht. Ich kann mir nicht erklären, wie Thomas Zeil zu einer solchen Behauptung kommt. Zudem habe ich dies Thomas Zeil auch schon wiederholt deutlich dargelegt. Ich verstehe nicht, warum Thomas Zeil dies weiterhin nicht akzeptiert.

Es ist für mich selbstverständlich, dass eine dienstrechtliche Regelung entweder für alle oder für keinen zu gelten hat.

Ich hoffe, Deine Frage klar beantwortet zu haben und grüße Dich,

Rainer Sauer

Kopie zur Kenntnisnahme an:

Domdekan Bopp

Personalreferat, P. Seiler

Über diesen Brief kann ich nur lachen. Jedes Mal, wenn er mich erwähnt, nennt er meinen Vor- und Zunamen. Man kann buchstäblich aus diesem Schreiben herauslesen, wie er schäumt vor Wut. Mit einer sachlichen Klärung oder einer nüchternen Auseinandersetzung über einen strittigen Sachverhalt hat dieser Brief nichts zu tun. Im Gegenteil, er versucht jetzt im Nachhinein es so darzustellen, als ob er gar nichts damit zu tun hätte, dass ich an fünf verschiedene Personen meinen Urlaub melden muss. Er tut so, als ob ich selbst auf diese absurde Idee gekommen wäre! Dabei war es doch seine Anordnung, die er einführte, als Arno gestorben ist, so dass ich nun jedes Mal diese fünf Briefe schreiben muss, wenn ich ein paar Tage freinehmen oder Urlaub beantragen möchte. Diese Anordnung hat doch er getroffen, weil er ständig den hinterhältigen Verleumdungen meiner evangelischen Kollegen geglaubt hatte! Nach meiner telefonischen Rücksprache bei Referent Seiler im Bischöflichen Ordinariat, der mir dann auch noch bestätigt hatte, dass ich mich diesen Anordnungen von Sauer beugen müsse, habe ich mich zähneknirschend diesem dämlichen Schwachsinn dann beugen müssen! Auf solch eine bescheuerte Idee bin doch ich nicht gekommen! Sicherlich, weder in meiner Arbeitsumschreibung, noch in irgendwelchen anderen dienstrechtlichen Unterlagen ist festgelegt, dass ein kirchlicher Mitarbeiter an fünf verschiedene Dienststellen seinen Urlaub melden muss. Wenn ich aber von bösartigen und intriganten Kollegen heimlich angeschwärzt werde, die behaupten, dass ich unentschuldigt von meinem Dienst fernbleibe, so frage ich mich, ob solche Auflagen einfach zusätzlich verhängt werden können? Und da Sauer nie diese Denunzianten namentlich nannte und immer so getan hatte, als ob irgendwelche Patienten oder das Pflegepersonal sich über mich beschweren würden, musste ich diese Anordnung einfach akzeptieren. Auch Referent Seiler vom Personalreferat wollte mich von dieser schikanösen Auflage nie befreien! Auch er hat es nie für nötig befunden zu klären, wer mich ständig beschuldigt, dass ich angeblich unerlaubt von meinem Dienst fernbleiben würde. Wenn die eigenen Vorgesetzten gegen Lügen und Verleumdungen nicht einschreiten, kann jeder über einen unerwünschten Mitarbeiter herziehen und ihn verleumden. Und darf sich dabei sicher sein, dass er nie dafür zur Rechenschaft gezogen wird! Deshalb konnte Sauer auch meinen evangelischen Kolleginnen in allem entgegenkommen und ihnen ihre Schikanen gestatten, so dass sie mir meine Arbeit im Katharinenhospital zur Hölle machen konnten. Wie leicht hätte er ihr böses Gerede stoppen können, wenn er nur ein einziges Mal konkret nachgefragt hätte, wann ich meinen Dienst vernachlässigt oder unentschuldigt gefehlt habe. Da sie ihm aber nie eine konkrete Auskunft geben mussten, konnten sie ihre bösartigen Anschuldigungen endlos fortsetzen. Stattdessen hielt er diese Gerüchteküche absichtlich ständig am köcheln, denn dadurch konnte er seine eigene Unfähigkeit kaschieren und bezweckte zudem, dass mein Ruf vollends beschädigt wurde und auch er mit seinen ungerechtfertigten Beschuldigungen Recht behielt. Eigene Fehler zugeben oder seine eigene Meinung ändern und sich gar für sein konspiratives Verhalten entschuldigen, das kommt für einen Kleriker ohnehin nie in Frage! Da ein Einlenken von ihm nicht zu erwarten ist und ich in meinem Arbeitsumfeld bezüglich meiner Mobbing-Situation keine Veränderung erwarten kann, muss ich weiterhin davon ausgehen, dass Gerüchte über mich verbreitetet werden dürfen und niemand dagegen etwas unternehmen wird. Auch nach dem Dreiergespräch mit Domdekan Bopp ist nicht daran zu denken, dass eine Besserung in meiner Arbeitssituation eintreten wird, obwohl er in meiner Anwesenheit Pfarrer Sauer auf seine Versäumnisse angesprochen hatte.

Dass Sauer von seinem Antwortschreiben an Fetzer sogar zwei Kopien ans Bischöfliche Ordinariat sandte, nämlich an Domdekan Bopp und an Referent Seiler, zeigt, wie sehr er sich über mein Argument der Ungleichbehandlung geärgert haben muss. Weil Fetzer seine schriftliche Anfrage zusätzlich an Referent Seiler nach Rottenburg sandte, musste sich Sauer selbstverständlich auch ihm gegenüber mit einem Antwortschreiben verteidigen. Doch dass er außerdem auch noch den Domdekan Bopp über unsere erneute Zwistigkeit informierte, war völlig unnötig.

Im Grunde genommen wäre es von Fetzer gar nicht notwendig gewesen, auch das Bischöfliche Ordinariat über diese Angelegenheit zu informieren. Da aber Fetzer mit Sauer verbandelt ist, hat er diese Vorgehensweise sicherlich im Vorfeld mit ihm abgesprochen, um mich erneut als „Querulant“ im Bischöflichen Ordinariat in Misskredit zu bringen, denn mir ging es ja lediglich darum, meinen Urlaub nicht mehr an fünf verschiedene Stellen schriftlich melden zu müssen. Wie ich aber im Nachhinein feststellen muss, hat Fetzer dieses Problem in seinem Brief an Sauer gar nicht geschildert. Er fragte ihn lediglich, ob ich ihm als „Vorsitzender der Klinikseelsorger“ meine Urlaubsmeldungen schicken müsse. Die vier übrigen Dienststellen nannte er in seiner Anfrage nicht. Die Schikane und Ungleichbehandlung wurde somit gar nicht angesprochen.

Noch ein weiterer Aspekt könnte ebenfalls eine Rolle spielen, dass Fetzer kein Interesse hat, diese Ungleichbehandlung sachlich richtigzustellen. Als ich vor einigen Wochen bei einer Tagung der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse teilgenommen hatte, erfuhr ich von einer Teilnehmerin, dass Fetzer die Ausbildung in Logotherapie und Existenzanalyse begonnen hatte, aber nach einiger Zeit aufgab und nicht zu Ende führte. Ob ihm diese Ausbildung zu anstrengend war oder ob er die Prüfungen nicht schaffte, wusste sie nicht. Es kann durchaus sein, dass Fetzer mich wegen meiner psychotherapeutischen Ausbildung als Konkurrent betrachtet, jetzt um so mehr, seit ich mich in die MAV wählen ließ und er aufgrund seiner Nähe zur Sauer-Karner-Mürther-Clique bei vielen Kollegen an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatte. Auf solche Neid-Aspekte zu achten, bin ich von meinem Naturell her gar nicht gewohnt. Erst eine Kollegin hatte mich vor Jahren auf den Aspekt des Neides aufmerksam gemacht, als sie mir von meinem Kollegen Karl Schmerl vom Krankenhaus in Stuttgart-Bad Cannstatt erzählte, der mir sehr neidisch auf meine Dienststelle sei, weil er in einer Runde von Kollegen die Absicht geäußert habe, dass es sein Wunschtraum wäre, irgendwann einmal Klinikseelsorger im Katharinenhospital zu sein. Das wäre für ihn sozusagen die Spitze seiner Kariere. War Neid wohl auch der Grund, weshalb er in Heidelberg bei unserer Klinikseelsorger-Ausbildung so abfällig über mich redete? Jedenfalls scheint es so zu sein, dass ich allein aufgrund meines Arbeitsplatzes im Katharinenhospital keinen Mangel an missgünstigen und neidischen Kollegen habe. Und wie dieser Briefwechsel zwischen dem Kollegen Fetzer und Pfarrer Sauer mal wieder zeigt, wird jeder Wunsch, eine Erleichterung meiner Arbeitssituation herbeizuführen, sofort in völlig verdrehter Weise ans Bischöfliche Ordinariat weitergeleitet, um mich dort als unbequemen und streitsüchtigen Mitarbeiter darzustellen.

Jegliche Hoffnung schwindet

Die jahrelangen Intrigen, Anfeindungen und Verleumdungen, dazu noch das scheinheilige und heuchlerische Getue meiner Kolleginnen und Kollegen verbrämt mit ihrem pastoralen Gehabe, setzt mir ungemein zu. Wer nicht hinter diese Kulissen und Fassaden schauen kann, ist sicherlich der Auffassung, dass meine Kolleginnen und Kollegen sehr liebe und gutmütige Menschen sind, die keiner Fliege etwas zuleide tun können. Wie kaltblütig sie aber gegen andere vorgehen, wenn etwas nicht nach ihrem Willen geht, und wie rigoros sie jemanden abservieren und mundtot machen, habe ich nicht nur selbst, sondern auch bei anderen kirchlichen Mitarbeitern erlebt. Gerade weil ich in meinem beruflichen Umfeld so viele arglistige Kollegen kennengelernt habe, wurde mein Vertrauen in die kirchlichen Mitarbeiter aufs Gründlichste zerstört. Meine Zuversicht, dass ich an meinem Arbeitsplatz etwas zum Positiven verändern könnte, und meine Hoffnung auf eine unbeschwerte Zusammenarbeit mit ihnen sind mittlerweile auf den Nullpunkt gesunken. Die vielen Gespräche, die nicht enden wollende Suche nach Hilfe, Anerkennung und Erleichterung in meiner beruflichen Situation zehrt gewaltig an meinen Nerven. An einen ruhigen und erholsamen Schlaf ist nicht mehr zu denken. Meine Angst und Befürchtung, dass schon am nächsten Tag eine neue Attacke gegen mich geritten wird, hält mein Nervenkostüm pausenlos in Alarmbereitschaft und bei jedem Gespräch mit einem Kollegen oder gar mit einem Vorgesetzten gerate ich innerlich in Panik. Ständig befinde ich mich in einer „Hab-Acht-Stellung“, denn jeden Tag kann mich jemand beschuldigen und irgendein Versäumnis oder Versagen anlasten. Niemand wird mir beistehen und diese Lügner und Verleumder zur Verantwortung ziehen.

Dass ich psychisch am Ende und nur noch ein Schatten meiner Selbst bin, ist mir längst bewusst. Mit schweren Depressionen gehe ich zu meinem Hausarzt und schildere ihm meine Situation, ohne ihm die genauen Hintergründe zu erklären. Vermutlich könnte er auch gar nicht verstehen, dass es solche Schikanen und Mobbing-Situationen unter den kirchlichen Mitarbeitern gibt. Deshalb schildere ich ihm lediglich meine körperlichen Symptome, die ich auf meine große Arbeitsbelastung im Krankenhaus zurückführe. Er empfiehlt mir, unbedingt einige Wochen aus meinem Umfeld wegzugehen und eine Auszeit zu nehmen. Er verordnet mir eine Rehabilitationsmaßnahme in einer psychosomatischen Klinik, damit ich mich von diesen stressbedingten Einflüssen regenerieren kann. Notgedrungen stimme ich seinem Vorschlag zu, worauf er alles in die Wege leitet, mir diese Reha-Maßnahme zu ermöglichen.

Sämtliche Termine und alle anstehenden Patientengespräche versuche ich so bald wie möglich zu erledigen, damit ich für die nächsten sechs Wochen meine Arbeit im Katharinenhospital unterbrechen kann. Aufgrund meiner Trauerseminare und meiner Vorträge bei verschiedenen Bildungseinrichtungen werde ich oft von Menschen aufgesucht, die mit mir über ihre Probleme und über ihre unverarbeitete Trauer sprechen wollen. Da viele unter ihren Ängsten und depressiven Verstimmungen leiden und dafür viel zu wenige Therapieplätze vorhanden sind, bringe ich es kaum fertig, sie abzuweisen, wenn sie mich um einige Gesprächstermine bitten. Vor allem Teilnehmer, die mich in meinen Trauerseminaren näher kennengelernt haben, kann ich kaum abweisen oder vertrösten.

Auch unsere Orgelspielerin, Frau Leiss, hat mich vor einiger Zeit darum gebeten, ihre Freundin einmal anzuhören. Weil sie mir ihre persönliche Leidensgeschichte erzählen möchte, nahm Frau Leiss sie bereits mehrere Male in meine Gottesdienste mit, damit sie mich auf diese Weise etwas kennenlernen kann. Eines Sonntags nach meinem Gottesdienst stellt Frau Leiss mir diese Frau vor und bittet mich, mit ihr einen Gesprächstermin zu vereinbaren und ihre Leidensgeschichte anzuhören. Schwere Depressionen machen ihr zu schaffen, die von ihrem Hausarzt lediglich mit Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten behandelt werden. In mehreren Sitzungen erzählt mir diese Frau, dass ihre Familie während des Krieges aus Ungarn vertrieben wurde und sie auf der Schwäbischen Alb eine neue Heimat gefunden haben. Ihr Bruder habe geheiratet, ein Haus gebaut und drei Kinder bekommen. Sie selbst sei ledig geblieben und habe als Taufpatin der Kinder die Familie unterstützt. Deshalb fühlte sie sich mit ihm und seiner Familie sehr verbunden. Als die Kinder noch klein waren und ihr Bruder das Haus gebaut habe, sei ihr ganzes Erspartes ebenfalls in dieses Haus geflossen. Sie hatten damals vereinbart, dass sie später einmal, wenn sie alt sei und nicht mehr in Stuttgart wohnen möchte, in das obere Stockwerk dieses Hauses einziehen könne. Nun aber seien viele Jahre vergangen und sie lebe und arbeite jedoch immer noch hier in Stuttgart. Einer der Söhne habe inzwischen geheiratet und sei nun mit seiner Frau in die obere Wohnung des Hauses eingezogen, wobei sie doch annahm, dass sie selbst dort einmal wohnen könnte. Ihre gesamten Ersparnisse und ihren ganzen Verdienst habe sie in den vergangenen Jahren an ihren Bruder überwiesen, damit er dieses Haus bauen und abbezahlen konnte. Und nun wolle er nichts mehr davon wissen. Leider habe sie nie aufgeschrieben und auch nie etwas vertraglich vereinbart. Wenn sie aber diesen Punkt bei ihrem Bruder anspreche, würde er sie jedes Mal zurückweisen oder vertrösten. Nach vielen Jahren dieser ständigen Enttäuschungen sei sie nun völlig ruiniert. Sie lebe von ihrer kleinen Rente in einem winzigen Zimmer hier in Stuttgart zur Miete. Oft könne sie wochenlang nicht mehr aus dem Haus, weil sie aufgrund dieser Enttäuschung an schweren Depressionen leide.

Obwohl ich selbst sehr angeschlagen bin, höre ich auch dieser Frau geduldig zu und kann sie bestens verstehen. Vielleicht fühlen sich viele Patienten auch deshalb so gut von mir verstanden, weil ich ähnliche Erfahrungen selbst erlebt und durchlitten habe. Viele von ihnen haben kaum noch den Mut und können nicht mehr die Kraft aufbringen, sich einen Therapeuten zu suchen. Deshalb kommen sie einfach auf mich zu, um ihre Probleme, ihre persönlichen Konflikte und Schwierigkeiten mir anzuvertrauen. Allerdings stehe ich in den nächsten sechs Wochen auch für diese Menschen nicht mehr als Ansprechpartner zur Verfügung. Meine treue Frau Mitterer rufe ich in Bietigheim an und gebe ihr Bescheid. Sie schaut immer noch etwa alle drei Wochen bei mir vorbei, obwohl sie schon lange nicht mehr zur medizinischen Nachsorge ins Katharinenhospital kommen muss. Sie möchte lediglich eine Weile mit mir reden und überreicht mir danach ein kleines Kuvert mit einem Geldbetrag, den ich für Kerzen in unserem Andachtsraum verwenden solle. Es kam leider des öfteren vor, dass Frau Mitterer in verschiedenen Krankenstationen nach mir suchte, wenn sie von den evangelischen Kolleginnen in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer unwirsch abgewimmelt wurde.

Auch mit einem anderen Klienten muss ich für die kommenden sechs Wochen die wöchentlich vereinbarten Gespräche unterbrechen. Einen jungen Patienten, dem es psychisch sehr schlecht ging, sollte ich auf die Bitte einer Krankenschwester für längere Zeit betreuen. Als er aus dem Katharinenhospital entlassen wurde und keinen Psychotherapeuten fand, der ihn behandelte, kam er zu mir und bat mich, ihn weiterhin in seiner schweren Depression zu begleiten. Auch er kam einmal in der Woche ins Katharinenhospital und berichtete mir seine leidvolle Lebensgeschichte. Er war in einem Waisenhaus aufgewachsen, weil ihn seine Eltern und seine Geschwister vernachlässigt hatten. Dort ging es ihm jedoch sehr schlecht, weshalb er des Öfteren ausgebüxt sei. Mit Mühe und Not habe er einen Hauptschulabschluss machen können und nach mehreren Anläufen konnte er sogar den Beruf als Einzelkaufmann abschließen. Wegen seiner schweren traumatischen Erlebnisse sei er schon mehrmals in psychotherapeutischer Behandlung gewesen und musste mehrere Wochen stationär in der psychotherapeutischen Klinik in Bad Grönenbach verbringen. Das alles habe ihm zwar sehr geholfen, doch nach seiner Entlassung ging es ihm leider wieder sehr schlecht und nun müsse er mindestens ein halbes Jahr warten, bis er erneut einen Therapieplatz bekommen könne. Er ist deshalb sehr froh, dass er mit mir einige „unverdaute Dinge“ besprechen kann, da er zu mir ein großes Vertrauen aufbauen konnte. Bei seinen vielen traurigen Erfahrungen, die er, wie er mir gesteht, so offen noch nie habe jemandem erzählen können, gehe es ihm wesentlich besser. Als ich auch ihm nun mitteilen muss, dass diese Gespräche nun für sechs Wochen lang ausfallen müssen, bedauert er es sehr und fragt, ob er doch hoffentlich danach wieder einige Termine bei mir bekäme, da er mit mir viel offener und freier reden könne als mit seinen bisherigen Psychotherapeuten. Auch ihm verspreche ich, dass ich nach meiner Rückkehr mit ihm diese Gespräche fortsetzen werde. Zu seiner Beruhigung vereinbare ich gleich einen neuen Termin mit ihm, damit er die Zeit meiner Abwesenheit leichter überstehen kann.

Zunehmend vermeide ich es aber, meine psychotherapeutische Qualifikation publik zu machen, da immer mehr Patienten mit ihren Problemen auf mich zukommen. Außerdem wird diese zusätzliche Arbeit von meinen Vorgesetzten und Kollegen ohnehin nicht geschätzt. Im Gegenteil, ich muss sogar hinnehmen, dass sie mir immens neidisch sind und mich deswegen sogar lächerlich machten.

Als ich meinen Beruf als Pastoralreferent begonnen hatte, wurde ich von manchen Priestern und Pfarrern hinter vorgehaltener Hand als „Möchte-Gern-Priester“ belächelt, weil ich in der Kirchengemeinde in direkter Konkurrenz zu ihnen stand. Und jetzt, da ich zusätzlich diese psychotherapeutische Ausbildung absolviert habe, werde ich von meinen Kollegen und Kolleginnen im Katharinenhospital als „Möchte-Gern-Psychologe“ bezeichnet, weil sie mich in der Klinikseelsorge ebenso eher als Konkurrent betrachten, nicht aber als Jemand, der eine Bereicherung und Ergänzung ihres seelsorgerlichen Angebots anbieten kann.

Während meines Aufenthalts in der Reha-Klinik versäume ich allerdings eine sehr interessante Seelsorger-Konferenz. Pfarrer Sauer kündigte in seinem Einladungsschreiben an, dass zu dieser Konferenz der Domdekan Bopp eingeladen sei und die neue Struktur der katholischen Klinikseelsorge vorstellen werde. Zwar kann ich mir nicht so recht denken, was an dieser Struktur verändert werden soll, zumal sie doch ganz einfach gegliedert ist. Trotzdem wäre ich gerne auf dieser Klinikseelsorger-Konferenz mit dabei gewesen und bin gespannt darauf, was mir mein Kollege Paul nach meiner Rückkehr über diese Konferenz berichten wird. Damit der Domdekan aber weiß, weshalb ich an dieser Konferenz nicht teilnehmen kann, schreibe ich ihm einen Brief und entschuldige mich. Ebenso teile ich sämtlichen Dienststellen mit, denen ich bisher meine Abwesenheit vom Katharinenhospital mitteilen musste, damit auch sie wissen, dass ich aus gesundheitlichen Gründen für die nächsten sechs Wochen eine stationäre Reha-Heilbehandlung absolviere.

Wenige Tage vor meiner Abreise erreicht mich abends zuhause ein Anruf, der mich innerlich sehr bewegt. Es meldet sich Frau Buchholz, die zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern an einer Studienreise teilnahm, die ich vor über zehn Jahren durch Israel geführt hatte. Ihr Mann war Verleger und hatte sich auf die Herausgabe theologischer Fachliteratur spezialisiert und brachte viele christliche und besinnliche Bücher heraus. Von meiner Führung durchs Heilige Land war ihr Mann damals sehr angetan und schenkte mir am Schluss der Reise einen Gutschein. Er überreichte ihn mir mit den Worten:

„Mit diesem Gutschein können Sie Bücher aus meinem Verlagsprogramm aussuchen, die ich Ihnen dann gerne zusenden lasse. Sollten Ihnen jedoch mehrere Bücher gefallen und ihre Wünsche den eingesetzten Betrag übersteigen, dann greifen Sie ruhig zu. Bei mir ist es wie bei einem Metzger, denn auch da kommt es auf ein oder zwei Würste mehr oder weniger nicht so genau an.“

Seine Frau, die mich nun anruft, hatte mir vor wenigen Wochen in einem Brief mitgeteilt, dass ihr Mann nach schwerer Krankheit, jedoch völlig unerwartet, aus dem Leben geschieden sei. Sehr betroffen über diese schmerzliche Nachricht antwortete ich ihr und sprach ihr und ihren Kindern mein Mitgefühl über diesen schweren Schicksalsschlag aus. Dabei berichtete ich ihr, dass ich mich noch sehr gut an sie erinnern könne, wie sie mit ihrer Familie voller Interesse in meiner Reisegruppe die heiligen Stätten besucht und immer sehr aufmerksam meinen Ausführungen gefolgt seien. Sie berichtet mir am Telefon, dass sie sich sehr über meinen Brief gefreut habe und erzählt:

„Wie oft haben wir uns an diese wunderschöne Reise zurückerinnert. Mein Mann und ich haben zusammen mit den Kindern, wenn wir Zeit hatten, sehr gerne die Fotos angeschaut, als Sie uns damals geführt haben. Wir konnten diese schöne Reise noch ohne gesundheitliche Einschränkungen genießen. Doch bald danach ist mein Mann immer depressiver geworden. Er musste sich schließlich in eine psychotherapeutische Behandlung begeben. Daraufhin wurde es wieder besser, doch dann kamen Rückschläge, die ihn völlig lähmten. Das Problem war, dass unser Verlag zu sehr auf christliche Literatur ausgerichtet war und wir mit unserem Verlagsprogramm zu stark von den Aufträgen der katholischen Kirche abhängig waren. Aufgrund verschiedener Druckaufträge, die mein Mann von der katholischen Kirche angenommen hatte, musste er oft mit den kirchlichen Behörden kämpfen, die uns mit ihren unangemessenen Wünschen und Forderungen an den Rand der Existenz gebracht hatten. Diese rigorose Vorgehensweise konnte er einfach nicht mehr verkraften. Mein Mann vermutete sogar, dass sie ihn vernichten wollten. Denn wenn wir insolvent geworden wären und die Banken uns keine Gelder mehr bewilligt hätten, dann hätten wir Konkurs anmelden müssen. Für die Kirche wäre es ein Leichtes gewesen, unseren Verlag zu übernehmen. Da wir aber fünf Kinder haben und dieser Verlag unsere Lebensgrundlage ist, mussten wir alles tun, um unseren Betrieb zu retten. Der dauernde Kampf mit den kirchlichen Behörden ist meinem Mann schließlich so zu Herzen gegangen, dass er dadurch seinen Glauben verloren hat.“

Die Frau des Verlegers schluchzt und ich spüre, wie sehr sie unter diesen traumatischen Erfahrungen leidet. Und schließlich fängt sie an zu weinen. Als sie wieder reden kann, sagt sie mit stockender Stimme:

„Mit dieser Israel-Reise, Herr Zeil, die Sie so schön geführt haben, wollten wir unseren Glauben und unsere Verbundenheit mit der Kirche nochmals erneuern und sozusagen einen Neuanfang beginnen. Doch als wir zurückkamen, war alles beim Alten. Wir waren wieder mit diesen kirchlichen Aufträgen konfrontiert und diese ständige Existenzangst hat meinen Mann vollends ruiniert. Er bekam eine sehr schwere Depression und als er nach vielen Wochen aus der Klinik zurückkam und wir alle meinten, dass es ihm nun wieder besser ginge, hat er sich dann plötzlich das Leben genommen.“

Sie weint, ich höre ihr zu und sage dann langsam:

„Liebe Frau Buchholz, es tut mir sehr, sehr leid. Was Sie durchmachen mussten, ist kaum zu ertragen.“

Nach einer Zeit des Schweigens erzählt sie:

„Wissen Sie, Herr Zeil, das alles hat mein Mann nicht mehr verkraften können. Er war so ein liebevoller Mensch und wollte es immer allen recht machen. Er hielt es aber nicht mehr aus und konnte mit dieser ständigen Existenzangst nicht mehr leben.“

Nachdem sie vom schmerzlichen Schicksal ihres Mannes noch einiges berichtet hatte, frage ich sie:

„Wer führt denn nun Ihren Verlag weiter?“

„Mein Sohn“, sagt sie erleichtert, „er ist nach seinem Studium gleich ins Verlagsgeschäft mit eingestiegen und hat zusammen mit meinem Mann die Neuausrichtung des Verlagsprogramms zügig vorangetrieben. So stehen wir nun auf mehreren Standbeinen und sind ganz gut aufgestellt. Doch so eine Umorientierung braucht sehr viel Zeit und ist mit einem hohen Kostenaufwand verbunden. Der Konkurrenzdruck ist in unserem Bereich ja immens hoch.“

Nochmals bedankt sie sich herzlich bei mir, dass ich mir soviel Zeit genommen und ihr zugehört habe. Diese Reise und mein Brief hätten ihr viel Trost geschenkt. Und bevor wir uns verabschieden, sagt sie:

„Ach, Herr Zeil, das wollte ich Ihnen auch noch sagen. Wenn Sie einmal ein Buch schreiben und es veröffentlichen lassen wollen, dann dürfen Sie sich gerne an mich wenden.“

Dieses Angebot freut mich sehr. Wir verabschieden uns voneinander mit den besten Wünschen. Ob jedoch mein Buch, das ich später einmal schreiben werde, ins Verlagsprogramm dieser Verleger-Familie passen wird, ist allerdings sehr fraglich.

In der Rehabilitationsklinik

Schnell lebe ich mich in der psychosomatischen Klinik ein. Ich bin heilfroh, endlich allen Ballast und alle Verpflichtungen hinter mir zu lassen. In den Gruppengesprächen halte ich mich weitgehend zurück, denn ich schäme mich, dass ich als Mitarbeiter der katholischen Kirche in eine solch widerliche Mobbing-Situation hineingeraten bin. Wenn ich darüber reden wollte, wo sollte ich denn beginnen? Und wie könnte ich meinen Mitpatienten klar machen, dass Priester und Pfarrer so niederträchtig handeln können? Würden sie mir überhaupt glauben? Alles ist viel zu kompliziert, so dass ich befürchte, ich könnte von meinen Mitpatienten bei meiner Mobbing-Geschichte gar nicht verstanden werden. Zu viele Hintergründe müsste ich erklären und müsste mich vor allem dann auch rechtfertigen, wenn ein gläubiger Katholik oder Protestant sich von mir in seinem Glaubensverständnis angefeindet fühlte. Für der Vorstellung vieler Christen ist die Kirche ein Hort der Nächstenliebe, in dem es keinen Zank und Streit unter den kirchlichen Mitarbeitern geben darf. Die meisten von ihnen sind ja der Meinung, dass die Priester und Pfarrer auch das in ihrem Umkreis verwirklichen, was sie predigen. Um mich in den Gruppensitzungen und bei den Gesprächen gegenüber meinen Mitpatienten nicht rechtfertigen zu müssen, ziehe ich es vor, meine traurigen Erlebnisse lediglich meinem Psychotherapeuten in den Einzelsitzungen zu erzählen, dem ich zugeteilt bin.

Bei diesen Gesprächen wird mir nochmals deutlich bewusst, dass unsere gewählte Mitarbeitervertretung (MAV) in der katholischen Kirche total versagt hat. Sie ist eine einzige Farce. Der Kollege Fetzer vom Bürgerhospital und die Kollegin Bauer-Stock vom Karl-Olga-Krankenhaus hätten sofort einschreiten müssen, als ich mit meinen Sorgen und Nöten zu ihnen kam. Denn sie sind die Ansprechpartner für Mitarbeiter, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Doch beide hielten es nicht einmal für nötig, meine schriftliche Gegendarstellung zum Verleumdungsbrief des evangelischen Dekans Kumpf zu lesen. Im Nachhinein empfinde ich ihr Verhalten geradezu infam, zumal ich mich hier in der Reha-Klinik bei den Gesprächen mit meinem Therapeuten nochmals intensiv mit meiner aussichtslosen Mobbing-Situation auseinandersetze. Da ich mich aber selbst nun in dieses Gremium habe wählen lassen, bekomme ich von ihnen erneut zu spüren, wie abweisend und distanziert sie sich mir gegenüber verhalten. Ich entschließe mich daher, während meines Klinikaufenthalts meinen ganzen Frust über diese Erfahrungen niederzuschreiben, zumal auch die Kollegin Bauer-Stock nichts für mich getan hat. Schonungslos schreibe ich alles auf, wie sehr sie als Mitarbeitervertreterin ihre eigenen Interessen vertritt und ihre Vorteile daraus zieht, indem sie mit unseren Vorgesetzten bestens zusammenarbeitet und andere Kollegen/innen dabei ausspielt. Ich schreibe ihr einen langen Brief und halte ihr ihre Fehler und Versäumnisse vor, damit sie sich bewusst werden soll, wie schlecht sie ihr Amt als Mitarbeitervertreterin (MAV) in der Diözese Rottenburg-Stuttgart wahrnimmt. Natürlich kann ich mir denken, dass dieser Brief sich nicht gerade positiv auf unsere künftige Zusammenarbeit in unseren künftigen MAV-Sitzungen auswirken wird. Bereits bei der letzten Jahresversammlung, die kürzlich bei unserer Klinikseelsorger-Tagung im Kloster Reute stattfand, hatte ich ebenfalls den Kollegen Fetzer und die Kollegin Bauer-Stock offen kritisiert, weil sie nie etwas gegen meine Mobbing-Situation unternommen haben. Auf meine Kritik hin wurde dann lediglich beschlossen, die Bearbeitung meines Anliegens an den Kollegen Wecka in Heidenheim zu übertragen, der den Auftrag zwar gerne annahm, aber kurze Zeit später die Unterlagen an die Kollegin Bauer-Stock zurückschickte mit der Begründung, dass er vom Ort des Geschehens zu weit entfernt sei. Wie ich von einigen Kollegen später erfahren habe, war dies aber lediglich eine vorgeschobene Begründung. Denn in Wirklichkeit bekam er selbst große persönliche Probleme, so dass er als MAV-Vertreter keine Aufgaben mehr wahrnehmen konnte. Er hatte sich nämlich von seiner Frau getrennt und kurz darauf seine neue Lebensgefährtin geheiratet. Eine standesamtliche Heirat mit einer anderen Frau wird jedoch von der katholischen Kirche nicht akzeptiert, da nach ihrer Lehre die Ehe ein unauflösliches Sakrament ist. Somit hat Wecka mit seiner zweiten standesamtlichen Heirat den Tatbestand des „Ehebruchs“ begangen und wurde daraufhin sofort von seinem Arbeitgeber Kirche entlassen. Möglicherweise hatte sich Wecka dadurch irritieren lassen, dass er der Meinung war, auch für ihn als Pastoralreferent würden dieselben großzügigen Regelungen in der katholischen Kirche angewandt werden, die das Bischöfliche Ordinariat üblicherweise den Priestern zubilligt, wenn diese ihr Gelübde der Ehelosigkeit brechen und eine Lebensgemeinschaft der unterschiedlichsten Art eingehen. Dem gutgläubigen Kollegen Wecka ist wohl entgangen, dass die Kirchenoberen sich streng an die Fakten halten und außerdem zwischen „Klerikern“ und „Laien“ einen großen Unterschied machen. Das war also der Grund, weshalb er sich nicht mehr um meine Angelegenheiten kümmern konnte.

Dass ich der Kollegin Bauer-Stock von meiner Reha-Klinik aus einen langen Brief geschrieben habe, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass ich endlich mal wieder Zeit hatte, mich um meine Angelegenheiten zu kümmern und sich in meiner gesamten Mobbing-Situation bis heute nichts verändert hat. Alle Vorgesetzten, Kollegen und selbst die Berater in dienstrechtlichen Angelegenheiten, die ich aufgesucht hatte, hörten mir zwar mehr oder weniger bereitwillig zu, manche von ihnen brachten mir mitunter auch großes Verständnis entgegen und bemitleideten mich sogar, doch wirklich aktiv ist keiner gegen diese Missstände eingeschritten. Alle ließen weiterhin diese Priester, Pfarrer und Pfarrerinnen gewähren und waren nur darauf bedacht, das Ansehen der „kirchlichen Würdenträger“ zu schonen. Für alle ist es am einfachsten, so zu tun, als ob ich derjenige sei, der mit den Kollegen und Kolleginnen nicht zurechtkomme. Meine Erfahrung lehrt mich also, dass es schlicht und einfach unmöglich ist, in diesen beiden Kirchen gegen die Schandtaten der Priester und Pfarrer vorzugehen. Und damit bleibt auch in meiner Mobbing-Situation alles beim Alten.

Zurück von der Reha

Während meines Aufenthaltes in der Reha-Klinik habe ich zwar einen gewissen Abstand von meiner zermürbenden Situation im Katharinenhospital gewonnen, so richtig erholen konnte ich mich allerdings nicht. Zu tief sitzen die Enttäuschungen, die ich im Laufe der Jahre hinnehmen musste. Zu sehr schmerzen die ständigen Demütigungen und Verleumdungen, die mich zermürbt haben und mich immer noch aufwühlen, wenn ich nur daran denke. Den permanenten Anfeindungen meiner evangelischen Kolleginnen bin ich nach wie vor ausgesetzt und die Tatsache, dass im Hintergrund ihrer fiesen Machenschaften unser Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger, Pfarrer Sauer, mitsamt seinem „Clan“ steht, lässt mir kaum noch Raum zum Atmen. An einen erholsamen Schlaf ist nicht zu denken und ohne Schlaftabletten brauche ich mich erst gar nicht ins Bett zu legen. Trotzdem wurde ich nach sechs Wochen aus der Reha-Klinik entlassen und muss nun zusehen, wie ich täglich mit Hilfe meiner Beruhigungspillen und Schlaftabletten im Katharinenhospital zurechtkomme.

Zunächst brauche ich mehrere Tage, bis ich mich wieder in der Klinik eingearbeitet habe. Ich konzentriere mich vor allem auf meine Patientenbesuche und versuche, den Berg meiner Post abzuarbeiten, der sich während meiner Abwesenheit angesammelt hat. Darunter ist auch ein Schreiben vom Domdekan Bopp, der mir Folgendes mitteilt:

Sehr geehrter Herr Zeil,

wegen einer stationären Reha-Heilbehandlung konnten Sie beim Treffen der Krankenhausseelsorger/innen nicht dabei sein. Vielen Dank für Ihre Nachricht.

Ich hoffe sehr, dass Ihnen der Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik gut tut. Wenn Sie wieder in Stuttgart daheim sind, hätte ich gerne einmal telefonisch mit Ihnen gesprochen.

Gute Tage und freundliche Grüße,

Domdekan Bopp

Kaum habe ich diesen Brief gelesen, gehen mir allerlei Gedanken durch den Kopf. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn ich daran denke. Was will er mir bei diesem Telefonat wohl mitteilen? Haben sich meine Widersacher nun durchgesetzt und endlich erreicht, was sie schon immer wollten? Konnten sie den Domdekan inzwischen ebenfalls davon überzeugen, dass ich von meinem Arbeitsplatz auf eine andere Stelle versetzt werden soll, so dass alle anderen Kollegen daraus ableiten können, dass ich quasi strafversetzt werde? Oder soll ich möglicherweise sogar entlassen werden? Es wurden mir in letzter Zeit ja so viele Fehler und Mängel angedichtet, um mich überall zu diskreditieren und mich auf diese Art und Weise los zu werden. Selbst mein Kollege Paul hat nie etwas dagegen unternommen, obwohl er längst die hinterhältigen Machenschaften der evangelischen Kollegen durchschaute. Nie stellte er etwas richtig und hatte sich gleich von Anfang an auf die Seite der evangelischen Kollegen geschlagen, ganz so als ob er schon immer ein Teil des Sauer-Clans gewesen wäre. Mit diesem Telefongespräch, das mir der Domdekan in seinem Brief nun ankündigt, ist vermutlich für mich der Zeitpunkt gekommen, wo er mir mitteilen will, dass ich im Katharinenhospital nicht mehr gebraucht werde. Für mich steht die bange Frage im Raum: Was ist während meiner Abwesenheit geschehen? Wie sieht die Umstrukturierung der Klinikseelsorge nun aus, die er angekündigt hat? Und was ist während meiner Abwesenheit wieder einmal gegen mich gelaufen?

Mit einem äußerst unbehaglichen Gefühl rufe ich im Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg an und teile der Sekretärin des Domdekan Bopp mit, dass ich nach meinem Klinikaufenthalt wieder zurück in Stuttgart bin und der Domdekan mir schriftlich mitgeteilt habe, dass er mich sprechen möchte. Sie fragt mich, wo ich am besten erreichbar wäre, damit er mich zurückrufen könne. Ich antworte ihr, dass ich am besten abends zuhause nach meinem Dienst im Katharinenhospital anzutreffen wäre und gebe ihr meine private Telefonnummer.

Gleich am nächsten Abend klingelt zuhause mein Telefon. Domdekan Bopp meldet sich und fragt, wie es mir gehe und ob ich mich in der Klinik gut erholt habe. Ich erkläre ihm, dass ich zwar durch den Klinikaufenthalt von meiner belastenden Umgebung etwas Abstand gewinnen konnte, dass ich aber immer noch an Schlaflosigkeit und starker innerer Unruhe leide. An meinem Mobbing-Problem habe sich allerdings nichts geändert. Als er mich fragt, wie ich denn mit meinem neuen Kollegen Gegenfalz zurechtkäme, erkläre ich ihm, dass er freundlich und entgegenkommend sei und ich mit ihm ordentlich zusammenarbeiten könne, allerdings würde er nicht für mich eintreten, wenn ich von den evangelischen Kolleginnen angefeindet werde. Daraufhin kommt er auf die neue Struktur der Stuttgarter Klinikseelsorge zu sprechen, die er bei uns in der Stuttgarter Klinikseelsorgerkonferenz vorgestellt habe. Er berichtet, dass die Klinik-Pfarrstelle von Pfarrer Sauer, die zur Domgemeinde St. Eberhard gehört, nun als eigenes Klinikpfarramt errichtet werden solle. Da Pfarrer Sauer zu Beginn des kommenden Monats seinen Vorsitz der katholischen Klinikseelsorger abgeben werde, könne diese Umstrukturierung sofort in Angriff genommen und mit einem neuen Pfarrer besetzt werden. Wie das Ganze im Einzelnen aber ablaufen wird, sei noch offen. Auch die Villa auf dem Kriegsberg, in der Pfarrer Sauer bisher wohnte und die den Klinikseelsorgern von Stuttgart als Tagungsort zur Verfügung gestellt worden sei, werde künftig einem anderen Zwecke zugeführt. Pfarrer Sauer wird dieses Haus verlassen, sobald er nicht mehr Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger ist. Dies seien sozusagen die wichtigsten Neuerungen, die für Stuttgart im Bereich der Klinikseelsorge getroffen wurden. Nun müsse noch eine Satzung für das neue Klinik-Pfarramt ausgearbeitet werden, damit die Klinikseelsorger in Stuttgart auf einer rechtlichen Grundlage zusammenarbeiten können. Nach dieser Mitteilung wünscht er mir für meine künftige Arbeit alles Gute und für meine Gesundheit eine gute Besserung. Nach diesem Telefongespräch bin ich ungemein erleichtert. Geradezu bass erstaunt bin ich darüber, dass mich der Domdekan eigens deswegen angerufen hat, um mir persönlich diese Neuerungen mitzuteilen. Nun hat doch tatsächlich Pfarrer Sauer von sich aus die Konsequenz gezogen und ist von seinem Amt als Vorsitzender der Stuttgarter Klinikseelsorger zurückgetreten. Oder geschah dies womöglich auf Druck des Domdekans? Im Augenblick weiß ich nicht so recht, wie mir geschah. Soll ich lachen oder weinen? Denn kurz zuvor hatte ich noch die große Befürchtung, dass ich meine Arbeitsstelle im Katharinenhospital verlieren könnte. Und nun wird mir mitgeteilt, dass Sauer zurückgetreten sei. Es ist, also ob mir ein Stein vom Herzen fiele. Endlich hat sich etwas bewegt!

Doch wie wird es weitergehen? Sauer wird zwar nicht mehr Vorsitzender sein, doch er und sein Clan werden weiterhin alle Sitzungen beherrschen. Das bedeutet doch, dass sie noch lange nicht aufgeben und nach wie vor ihre Fäden gegen mich spinnen werden. Und wer von diesen Priestern wird sich nun dazu durchringen und sich für dieses neue Klinikpfarramt bewerben? Wenn ich das ganze Pöstchengeschachere der vergangenen Jahre anschaue, haben doch alle Kollegen der Sauer-Karner-Mürther-Klique bereits zuvor heimlich ihre Köpfe zusammengesteckt und die ausgeschriebenen Stellen denjenigen zugeschanzt, die ihnen angenehm sind. Allein wenn ich schon daran denke, wie und auf welche Weise mein Kollege Paul als Klinikseelsorger ins Katharinenhospital gekommen ist! Sieben andere Priester hatten mit mir Gespräche geführt und wollten sich im Bischöflichen Ordinariat um diese Stelle bewerben! Paul aber hat sie bekommen, ohne dass ich ihn jemals zuvor zu Gesicht bekam oder von ihm gehört habe! Wie diese Prozedur abgelaufen ist, ist mir heute noch ein Rätsel. Dass seine homosexuelle Partnerschaft eine Rolle spielte, weil er natürlich nicht zusammen mit seinem Freund in ein Pfarrhaus einer Kirchengemeinde einziehen konnte, ist mir inzwischen klar geworden. Stattdessen kann er jetzt ohne weiteres mit seinem Lebensgefährten in einer Fünf-Zimmer-Wohnung hier mitten in Stuttgart residieren, die ihm von der Domgemeinde St. Eberhard zur Verfügung gestellt wird. Wo diese Drahtzieher sitzen, die so etwas eingefädelt haben, kann ich mir bestens denken. Mit Sicherheit hatte auch hier der Clan um Pfarrer Sauer seine Finger im Spiel. Denn auch diese offizielle Ausschreibung im kirchlichen Amtsblatt war für diese Priesterstelle im Katharinenhospital geradezu eine Farce. Alle Priester, die sich um diese Stelle beworben und mit mir gesprochen haben, wurden doch lediglich an der Nase herumgeführt, nur um ihnen vorzugaukeln, als ob das Bischöfliche Ordinariat diese Stelle an den geeignetsten Bewerber fair vergeben würde. Doch genau das Gegenteil war der Fall! Weil man Paul Gegenfalz nie und nimmer als Priester in einer Kirchengemeinde hätte einsetzen können, wurde er auf diese Krankenhaus-Stelle gesetzt. Und dass der Clan um Pfarrer Sauer mal wieder kräftig dabei mitgemischt hatte, ist offensichtlich. Denn sie alle leben mit ihren „Konkubinen“ und „Schmuse-Freunden“ zusammen und können sich dem Zölibatsgebot widersetzen, ohne dass ihnen jemand vom Bischöflichen Ordinariat dazwischenfunkt. Daher würde es mich nicht wundern, wenn Paul dieses neue Stuttgarter Klinikpfarramt übernehmen würde. Denn soviel ist klar: Die alte Mannschaft wird weiterhin ihre Macht ausüben, koste es, was es wolle. Es wird sich also trotz dieser „Umstrukturierung“ nichts ändern.

Nach meinem Klinikaufenthalt gehe ich weiterhin regelmäßig im Katharinenhospital von Zimmer zu Zimmer, besuche die Patienten und komme auf diese Weise mit vielen ins Gespräch, ganz gleich welcher Konfession oder Religion sie angehören und welche Lebenseinstellungen sie haben. Von meinen evangelischen Kollegen halte ich mich möglichst fern, um mich vor ihren herabsetzenden Äußerungen und ihren gering achtenden Blicken zu schützen. Da ich sehr dünnhäutig geworden bin, halte ich mich bei unseren ökumenischen Team-Besprechungen sehr zurück, meine Äußerungen und Diskussionsbeiträge werden von meinen Kollegen und Kolleginnen ohnehin nicht geschätzt sondern eher als Störung empfunden. Umso interessanter ist für mich aber nun, in aller Ruhe beobachten zu können, wie mein Kollege Paul sich in unserer ökumenischen Runde durch allerlei Aktivitäten profilieren will und immer wieder neue Aktionen startet. So schafft er für den Altar im Andachtsraum neue Kerzenständer an, beschriftet die Glaswände unseres gemeinsamen Seelsorgezimmers mit großen Lettern, so dass jedem Besucher und Patient das Wort „S e e l s o r g e“ schon von Weitem ins Auge springt, wenn er auf unser gemeinsames Büro zugeht, so dass unsere zentrale Anlaufstelle ganz gewiss von niemandem mehr übersehen werden kann. Auch sonst ist er sehr darauf bedacht, dass alles, was er anpackt, möglichst öffentlich präsentiert und um jede Kleinigkeit sehr viel Aufsehen und Wirbel gemacht wird. Damit liegt er natürlich voll auf der Linie unserer evangelischen Kolleginnen. Auch Stolzenburg ist weiterhin ständig bemüht, die Präsenz der Klinikseelsorger im Krankenhaus als wichtigen Beitrag der Kirchen hervorzuheben, obwohl er selbst die Patienten kaum besucht und lieber bei irgendwelchen Sitzungen und Tagungen mitmischt, um als Vorsitzender der evangelischen Klinikseelsorger die wichtige Funktion des Türöffners, Zuträgers und Kontaktmannes zu erfüllen.

Mit großem Eifer wird in unserem ökumenischen Team nun beschlossen, Fotos von den hier im Katharinenhospital arbeitenden Seelsorgern außen an unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer anzubringen. Die Kollegin Rallinger will besonderen Wert darauf legen, dass die Inhalte unserer Arbeit noch stärker herausgestellt werden. Um dies zu verwirklichen, sollen zwei Werbeständer angeschafft werden, von denen einer vor unserem gemeinsamen Büro in der Empfangshalle und der andere vor dem Andachtsraum im neuen Funktionsbau aufgestellt werden soll. Kaum war dies beschlossene Sache, schreibt Paul einen Brief an die Klinikverwaltung und fragt dort an, ob die Klinikverwaltung sich bei der Finanzierung dieser neuen Werbeständer beteiligen könnte. Die Kosten schätzt er auf etwa 1800 DM. Obwohl ich seine Vorgehensweise äußerst penetrant und unangemessen empfinde, halte ich mich jedoch ganz zurück, um nicht wieder als Störenfried zu gelten. Doch angesichts der übervollen kirchlichen Kassen kann ich nicht verstehen, dass er wegen einer solchen Lappalie auf Betteltour geht. Denn als für unseren Andachtsraum unsere neue Orgel angeschafft wurde, ließ Stolzenburg von der evangelischen Kirchenpflege viele Firmen in der Stadt und auch die Chefärzte unserer Klinik anschreiben und bat sie um Spenden, so dass damals eine sehr große Summe für diesen Zweck zusammenkam. Da wir auf meinen Vorschlag hin aber eine elektronische Sakralorgel gekauft hatten, wurde nur ein Bruchteil der eingesammelten Spendengelder ausgegeben, so dass davon immer noch mehr als 50.000 DM übrig sind. Und als ich Paul bei seinem Dienstantritt unser Seelsorge-Konto vorgelegt habe, wies ich ihn auch auf die Orgel-Spendenkasse hin, die der Kollege Stolzenburg auf einem Konto der evangelischen Kirchenpflege verwaltet. Obwohl ich ihn erneut auf diese Spendengelder hingewiesen habe, weil ich der Meinung bin, dass für die Anschaffung der Werbeständer genug Geld vorhanden sei, will er aber nichts davon wissen. Er ist genau wie Stolzenburg und die evangelischen Kolleginnen der Auffassung, dass „man die Damen und Herren von der Verwaltung bei allen Ausgaben der Klinikseelsorge um eine Kostenbeteiligung bitten sollte, damit sie erkennen, dass wir ebenfalls ein Teil des Krankenhauses sind“.

Nachdem Paul sein Bittgesuch für die gewünschten Werbeständer bei der Verwaltung eingereicht hatte, dauert es mehrere Wochen, bis wir von der Verwaltung eine Antwort bekommen. Endlich aber erhält der Kollege Stolzenburg von Frau Bornemann ein Schreiben, in dem sie uns mitteilt, dass sie sich eine feste Zusage über eine finanzielle Beteiligung an unseren Werbeständern noch offen halten will, weil die Gelder in ihrem Möbel- und Repräsentationsetat für dieses Jahr bereits ausgeschöpft seien. Und im selben Schreiben richtet sie an uns Seelsorger den Wunsch, dass sie unser gemeinsames Seelsorgezimmer gerne der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) zur Verfügung stellen würde, denn die AOK möchte künftig in der Klinik wöchentlich einige Sprechstunden für die Patienten anbieten. Früher war in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer der Krankenhaus-Kiosk untergebracht. Als der Raum uns übergeben wurde, hat man die Glaswände mit einer matten Farbbeschichtung überdeckt, so dass man nicht von außen in diesen Raum hineinblicken kann. Trotz dieser Beschichtung ist aber immer noch gut zu erkennen, wenn in unserem gemeinsamen Büro das Licht brennt. Außerdem kann man durch die Glastür auch sehen, ob sich jemand in unserem gemeinsamen Büro aufhält. Frau Bornemann hat möglicherweise bemerkt, dass dieser Raum in solch zentraler Lage von uns Klinikseelsorgern äußerst schwach ausgelastet ist. Vielleicht hat sie sogar gesehen, dass die Pfarrerinnen lediglich lange Kaffeekränzchen mit einem nicht enden wollenden Palaver veranstalten. Jedenfalls vermute ich, dass die Verwaltung ihren Zuschuss an unseren Werbeständern davon abhängig machen möchte, ob die Krankenhausseelsorger bereit sind, dass die AOK in unserem Büro Sprechstunden anbieten darf.

Bei unserer nächsten Teamsitzung wird heftig über diesen Wunsch der Verwaltung debattiert. Vor allem die evangelischen Kolleginnen sträuben sich vehement dagegen, unser gemeinsames Büro anderen Mitbenutzern zu überlassen. Sie sind der Auffassung, dass man von vornherein solche Wünsche strikt abweisen müsse. Koschinski argumentiert:

„Würde man hier einen Präzedenzfall schaffen, so kämen sicherlich bald auch weitere ähnliche Wünsche auf uns zu. Außerdem wollen wir in unserem Seelsorgezimmer ungestört zusammenkommen und weiterhin unsere Besprechungen abhalten können, ohne dass wir auf andere Rücksicht nehmen müssen. Denn schließlich haben wir extra zwei Stehlampen mit gedämpftem Licht angeschafft, damit wir nicht mehr unter den grellen und ungemütlichen Neonröhren sitzen müssen, die immer noch aus der Zeit stammen, als der Raum noch als Krankenhaus-Kiosk genutzt wurde. Das wollen wir keinesfalls so einfach aufgeben!“

Sicherlich, von der Klinikseelsorge wird täglich eine Sprechstunde angeboten, doch weder die Patienten noch sonst irgendein Besucher oder Mitarbeiter nimmt dieses Angebot auch tatsächlich wahr. So könnte dieser Raum zumindest theoretisch durchaus auch für andere Zwecke wenigstens zeitweise mitbenutzt werden. Da dies allerdings nur meine persönliche Meinung ist, halte ich mich auch bei dieser Diskussion wieder völlig zurück. Denn als „gebranntes Kind“ will ich mich nicht von der einhelligen Auffassung der Kollegen absetzten, ich würde ja nur wieder ihren geballten Zorn auf mich ziehen. Nach langer Diskussion wird schließlich beschlossen, dass der Kollege Stolzenburg und die Kollegin Koschinski an die Verwaltung einen Brief schreiben, indem sie darlegen, wie wichtig dieses gemeinsame Büro für die Klinikseelsorge sei. Außerdem argumentieren sie, dass die Kollegin Koschinski sich vorwiegend in diesem Seelsorgezimmer aufhalten müsse, weil sie mit ihrem 50-prozentigen Dienstauftrag kein eigenes Büro im Krankenhaus zur Verfügung habe. Außerdem kommen Koschinski und Rallinger noch auf die Idee, dass morgens der Erste, der unser Seelsorgezimmer betritt, sofort das helle Neonlicht einschalten und auch brennen lassen solle, damit von außen durch die beschichteten Glaswände deutlich sichtbar wird, dass der Raum auch ständig genutzt werde. Deshalb soll er das Licht auch beim Verlassen des Raumes brennen lassen. Auch bei diesem Diskussionspunkt halte ich mich völlig zurück. Eine solche Effekthascherei geht mir ganz gegen den Strich. Im Gegenteil, ich bin hier ganz anderer Meinung als meine Kolleginnen und Kollegen. Meiner Ansicht nach könnten doch durchaus auch andere diesen Raum benützen, zumal er dann auch wirklich den Patienten für Beratungsgespräche zugute käme. Warum sollten denn die Patienten nicht auch in unserem Seelsorgezimmer von ihrer Krankenkasse beraten werden, zumal dieser zentral gelegene Raum ohnehin die meiste Zeit nur leer steht? Jetzt dient er doch lediglich dazu, dass die Koschinski ihre Kleider hier ablegt und sie ansonsten nur ihren Bastelkram, ihre sonstigen Utensilien und ihre alten Zeitschriften herumliegen lässt. Wenn dieser Raum aber ebenfalls durch die AOK benützt werden würde, dann müssten die Kolleginnen zumindest besser aufräumen und Ordnung halten. Aber nein, zu oft habe ich in der Vergangenheit meine Meinung in unserem Team geäußert, deshalb bin ich auch diesmal mucksmäuschenstill. Ich warte lieber ab und bin gespannt, wie sich die Sache entwickelt und wie Frau Bornemann auf die ablehnende Haltung meiner Kolleginnen und Kollegen reagieren wird.

Dass Paul von der Verwaltung natürlich sehr enttäuscht ist, weil sein Antrag auf Bezuschussung der Werbeständer hinausgeschoben wird, ist verständlich. Dass die Verwaltung dieses Antwortschreiben allerdings an den Kollegen Stolzenburg adressiert hatte und nicht an ihn, obwohl er doch den Brief mit der Bitte um Bezuschussung der Hinweisschilder an die Verwaltung geschrieben hatte, ärgert Paul jedoch sehr. Denn dadurch wird ihm nun deutlich vor Augen geführt, dass sich der Kollege Stolzenburg gegenüber der Verwaltung und überhaupt auch bei der Ärzteschaft und den übrigen Mitarbeitern schon immer als oberster Chef und Ansprechpartner der gesamten Klinikseelsorge präsentiert hat. Auch seine Kolleginnen haben seine ehrgeizige Haltung schon des öfteren heftig kritisiert. Denn jedes Mal, wenn von unserem Seelsorge-Team ein Kollege oder eine Kollegin beauftragt wurde, mit der Verwaltung oder sonst einer Institution Kontakt aufzunehmen oder etwas abzuklären, so besteht die hinterfotzige Masche des Kollegen Stolzenburg darin, dass er nach geraumer Zeit zu den betreffenden Personen hingeht, sich quasi hintenherum als Auftraggeber der Kollegin oder des Kollegen aufspielt und sich über den Diskussionsstand erkundigt, und dabei so tut, als ob er der Chef der gesamten Klinikseelsorger wäre und alle anderen Kollegen und Kolleginnen nach seiner Pfeife tanzen müssten. So musste auch mein Kollege Paul mit diesem Antwortschreiben von Frau Bornemann nun erfahren, dass für die Verwaltung nicht er der adäquate Ansprechpartner ist, sondern Stolzenburg, der wieder unter irgendeinem Vorwand bei ihr vorsprach und so tat, als ob er seinen katholischen Kollegen damit beauftragt hätte, diesen Wunsch an die Verwaltung zu übermitteln.

Da Paul seinen Ärger nicht zurückhalten kann, spricht er Stolzenburg direkt darauf an und fragt ihn, weshalb denn Frau Bornemann ihm geantwortet habe, obwohl er doch diesen Brief mit der Bitte um Bezuschussung der Werbeständer geschrieben hatte. Um dies zu berichtigen, geht Stolzenburg nun umgehend zu Frau Bornemann und bittet sie, dass sie auch seinem katholischen Kollegen Gegenfalz dieses Antwortschreiben zukommen lassen möge, damit er nicht beleidigt sei. Schon am nächsten Tag kommt Paul zu mir und berichtet, dass er nun dasselbe Antwortschreiben wie Stolzenburg von der Verwaltung bekommen habe. Und wenige Tage später erklärt er mir, dass angeblich die evangelischen Kolleginnen ihrem Kollegen Stolzenburg geraten haben, nun nochmals zur Verwaltung zu gehen und sich bei Frau Bornemann dafür zu bedanken, dass sie auch dem katholischen Kollegen dieses zweite Schreiben zugeschickt habe. Ob Stolzenburg dies allerdings getan hat, wusste Paul natürlich nicht. Paul erzählt mir das alles in seiner süffisanten und selbstgefälligen Weise, dass er dies von den evangelischen Kolleginnen erfahren habe, als er mit ihnen eine Zeit lang in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer zusammengesessen sei. Dort habe er sie nämlich angetroffen, wie sie exquisite Pralinenschachteln in exklusives Weihnachtspapier einwickelten. In jedes dieser Päckchen hätten sie zusätzlich eine kleine Weihnachtskarte gelegt, die nur sie beide unterschieben haben. Diese Präsente seien von ihnen sorgfältig mit schönen bunten Bändern verschnürt und mit kleinen, goldenen Sternchen beklebt worden. Es seien exquisite Süßigkeiten, die die Kolleginnen angeblich den Chefärzten zu Weihnachten überreichen würden. Enttäuscht fügt Paul noch hinzu, dass er sich bei dieser Aktion ebenfalls ausgegrenzt fühlte. Er finde das Verhalten der evangelischen Kolleginnen nicht kollegial.

Immer wieder bin ich darüber verwundert, wie sehr sie alle darauf bedacht sind, bei der Verwaltung und bei allen für sie wichtigen Personen sich geradezu einzuschleimen und sich anzubiedern. Das alles bekomme ich jetzt erst so richtig mit, seit Paul ebenfalls oft mit ihnen zusammensitzt und sich längere Zeit mit ihnen unterhält. In früheren Zeiten haben sie diesen Firlefanz sicherlich ebenfalls schon betrieben. Doch Arno und ich haben strikt auf den Krankenstationen unsere Patienten besucht und uns mit ihren Kaffeekränzchen und Basteleien gar nicht abgegeben. Mit einer solchen Arbeitsauffassung bleibt ihre eigentliche seelsorgliche Aufgabe wohl ganz auf der Strecke.

Bei den folgenden ökumenischen Teamsitzungen werde ich von der Kollegin Koschinski jedes Mal gerügt, dass ich mich an die abgesprochene Vereinbarung nicht halten und das Licht in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer immer ausschalten würde. Ich verspreche ihr, mich zu bessern, obwohl mir diese unsinnige Stromvergeudung gegen den Strich geht. Mag sein, dass ich versehentlich beim Verlassen des Raumes das Licht ausknipste, weil ich es so gewohnt bin. Doch jedes Mal werde ich von ihr als Saboteur unserer gemeinsamen Beschlüsse getadelt, damit vor allem auch die anderen Kollegen merken sollen, wie wichtig ihr diese Vereinbarung ist. Da sie aber die übrigen Kollegen nicht rügen will, muss ich eben dafür als Sündenbock herhalten. Mich dagegen wehren hat ohnehin keinen Sinn, da sich ohnehin alle einig sind, dass ich der Tunichtgut, der Querulant und der Böse bin. Weil nach diesen penetranten Ermahnungen sich aber keiner mehr getraut, beim Verlassen des Seelsorgezimmers das Licht auszuschalten, kommt es nun häufig vor, dass die Neonröhren die ganze Nacht über brennen. Somit bewirkt dieser dämliche Beschluss gerade das Gegenteil. Denn niemand von der Verwaltung, vom Pflegepersonal oder von den sonstigen Bediensteten wird doch wohl annehmen, dass hier in unserem Seelsorgezimmer auch die ganze Nacht über bis zum frühen Morgen gearbeitet wird. Eher werden sie zu der Auffassung kommen, dass die Seelsorger nicht gerade ressourcenschonend haushalten und mit ihren zur Verfügung stehenden Mitteln sehr sorglos umgehen.

Ein weiterer Punkt, mit dem sich meine Kollegen in unserem ökumenischen Team nun intensiv beschäftigen, ist die Beschilderung im Krankenhaus. Von jedem Gebäude und von jeder Krankenstation soll künftig der Weg zum Andachtsraum und zu unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer neu und möglichst gut sichtbar ausgeschildert werden. Paul möchte deshalb extra durch alle Gebäude des Katharinenhospitals gehen und einen Gebäudeplan erstellen, in dem er einzeichnet, wo entsprechende Hinweisschilder für die Klinikseelsorge angebracht werden sollen. Mit diesem Plan will er sich an die Verwaltung wenden und dort im Namen Klinikseelsorge den Wunsch vorbringen, dass die bestehende Beschilderung durch neue Hinweisschilder ergänzt werde. Bei dieser Aktion soll es aber nicht nur darum gehen, dass die Patienten und Besucher den Weg leichter zu uns oder zum Andachtsraum finden, sondern vor allem darum, dass möglichst häufig die Schilder „Klinikseelsorge“ und „Andachtsraum“ in den Gängen und Hallen des Klinikums zu lesen sind. Er möchte damit bezwecken, dass durch diesen Werbeeffekt die Besucherzahl für unsere Gottesdienste gesteigert wird. Ob diese Wünsche bei der Verwaltung jedoch gut ankommen, die er nun nacheinander in kürzester Zeit an sie richtet, kann ich nicht genau beurteilen. Ich vermute aber, dass er mit seinem Aktionismus den Damen und Herren in der Verwaltung gehörig auf die Nerven geht und er in seinem Übereifer eher das Gegenteil bewirkt. Würde er in aller Stille sein Bestes geben und das tun, was die Seelsorge im Wortsinn ausdrückt, nämlich die Patienten besuchen und sie in ihren Ängsten und Nöten begleiten, dann würde er sicherlich wesentlich mehr bewirken als durch diesen Aktionismus. Wenn das Pflegepersonal, die Patienten und ihre Angehörigen spüren, dass durch seine menschliche Zuwendung eine gute Arbeit geleistet wird, würde ganz automatisch ein nicht zu unterschätzender Werbeeffekt entstehen. Die Mitarbeiter, die Besucher und die Patienten würden dann von sich aus auf uns zukommen und uns zu den Schwerkranken und Sterbenden rufen. Dieses Konzept hat jedenfalls bestens bei mir funktioniert, ohne dass ich groß Werbung für meine Arbeit machen musste. Als schließlich diese aufwändige Hinweisschilder-Aktion abgeschlossen ist, sagt eine Krankenschwester zu mir:

„Überall nur Hinweisschilder aufhängen und nur ins Büro sitzen und darauf warten, bis jemand kommt, ansonsten aber in kurzen Röckchen sich rauchend vor den Eingang stellen, wenn das bei denen die ganze Krankenhausseelsorge ist, dann ist das uns viel zu wenig.“

Je mehr Aktionen von meinen Kolleginnen und Kollegen gestartet werden, desto häufiger höre ich solche Kritik. Immer mehr wird bemängelt, dass die Seelsorger kaum noch auf den Krankenstationen anzutreffen seien. Immer wieder werde ich gefragt, ob es denn nicht mehr die Aufgabe der Seelsorger sei, regelmäßig die Patienten zu besuchen.

Die Zusage der Klinikverwaltung, ob sie sich finanziell an den beiden Hinweisständern beteiligen möchte, die Paul vor dem Andachtsraum und vor dem Eingang unseres gemeinsamen Seelsorgezimmers aufstellen möchte, dauert ihm viel zu lange. Deshalb fertigt er eine Skizze an, wie er sich die beiden Anzeigetafeln vorstellt, geht damit zur Schlosserei des Katharinenhospitals und fragt die Handwerker, ob sie seiner Skizze entsprechend diese beiden Hinweisständer fabrizieren könnten. Freudestrahlend kommt er zurück und berichtet mir, dass sie den Auftrag angenommen hätten und demnächst die beiden Stellagen für ihn anfertigen würden. Da diese Hinweistafeln mit Neonröhren ausgestattet werden sollen, müssen für den elektrischen Anschluss auch Steckdosen vorhanden sein. Als er jedoch feststellt, dass weder vor dem Andachtsraum noch vor unserem gemeinsamen Büro Steckdosen auffindbar sind, geht er zur Klinikverwaltung und bittet darum, für seine neuen Hinweisschilder die dazu notwendigen elektrischen Zuleitungen für Steckdosen legen zu lassen.

Bereits auf unserer nächsten ökumenischen Teamsitzung bringt der Kollege Stolzenburg dann den Vorschlag, dass er gerne demnächst mit dem Verwaltungsdirektor darüber sprechen und ihn fragen möchte, ob die Eingangstür zum Andachtsraum nicht so umgebaut werden könnte, dass sie sich von selbst öffnet, sobald sich jemand der Eingangstür nähert und auf sie zugeht. Er begründet seinen Wunsch damit, dass diese Tür sich schwer öffnen lasse, was für ältere und geschwächte Patienten sehr mühsam sei. Er habe sich bereits erkundigt, dass ein solcher Umbau etwa 15.000 DM kosten würde. Schon bei der nächsten Sitzung berichtet er, dass die Verwaltung seinem Wunsch entgegenkommen will und ihm vorgeschlagen habe, dieses Problem probehalber dadurch zu lösen, indem sie die Türschlossmechanik vorerst stilllegen lassen will, so dass die Tür dann leichter zu bedienen sei. Doch mit dieser Lösung sind die Kollegen und Kolleginnen nicht einverstanden. Sie laden den Bausachverständigen der Klinik-Verwaltung zu unserer nächsten Team-Sitzung ein, um mit ihm dieses Problem zu besprechen. Als er bei einem anberaumten Treffen seine Bedenken vorträgt und seine ablehnende Haltung unserer Runde kundtut, wird in einer weiteren Teamsitzung erneut darüber diskutiert und diese Umbaumaßnahme für unbedingt notwendig erachtet. Daraufhin beschließen die Kolleginnen und Kollegen, dass Paul nochmals schriftlich bei der Verwaltung diese automatisch sich öffnende Tür beantragen und die Notwendigkeit dieser Baumaßnahme besonders hervorheben solle. Alle sind sich einig, dass diese Sache nun unbedingt mit Nachdruck verfolgt werden müsse.

In einem unserer nächsten Tagesordnungspunkte geht es wieder um unser gemeinsames Seelsorgezimmer. Die Verwaltung verharrt bei ihrem Wunsch, dass sie künftig unser ökumenisch genutztes Büro der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) für ihre Sprechstunden zur Verfügung stellen möchte. Doch Paul und die evangelischen Kolleginnen sind damit absolut nicht einverstanden. Nach langer Diskussion wird beschlossen, dass der Kollege Stolzenburg und die Kollegin Koschinski einen Brief an die Verwaltung bezüglich der geplanten Mitbenutzung unseres gemeinsamen Büros durch die AOK schreiben sollen, in dem sie die Wichtigkeit dieses Raumes für unsere Krankenhausseelsorge darlegen. Dadurch soll mit allen Mitteln verhindert werden, dass künftig die AOK in unserem Seelsorgezimmer wöchentlich einige Sprechstunden für die Patienten anbieten kann. Daraufhin überlegen sie erneut, wie man nach außen hin noch besser demonstrieren könnte, dass unser gemeinsames Büro ständig von uns belegt und fortwährend benützt wird. Wegen der eingeschalteten Neonröhren kann man leicht von außen durch die mattierten Glaswände erkennen, ob von den Seelsorgern sich jemand in diesem Raum befindet. Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn vormittags unsere Sprechstunden stattfinden und nachmittags die Kolleginnen ihre Kaffeekränzchen abhalten, dabei sich mit ihren Bastelarbeiten beschäftigen und sich stundenlang unterhalten. Die übrige Zeit kann man jedoch von außen ebenso leicht erkennen, dass niemand hier anwesend ist und der Raum leersteht. Um diesen Eindruck nun zu vermeiden, macht Paul den Vorschlag, an der Tür ein Schild aufzuhängen mit der Aufschrift „Wir sind auf den Stationen unterwegs“, um somit anzudeuten, dass die Abwesenheit nicht lange dauern und bald wieder jemand zurückkommen werde. Außerdem will die Kollegin Rallinger an den Glaswänden Fotos von uns allen aufhängen, damit auch dadurch unsere Präsenz noch besser sichtbar werden soll. Und der Kollege Stolzenburg meint, man könne doch in irgendeiner Form auch die „Grünen Damen“ mit einbinden. Die „grünen Damen“ sind ehrenamtliche Frauen, welche die neu aufgenommenen Patienten durch das Klinikgelände zu ihren Krankenstationen geleiten. Stolzenburg argumentiert, dass diese Frauen ja ohnehin nur unnütz vor der Patientenaufnahme herumstehen und sich bereithalten würden, bis sie gebraucht würden. Doch dieser Vorschlag wird von unseren Kolleginnen sofort verworfen. Sie befürchten, dass sie dann unser gemeinsames Büro möglicherweise auch noch mit diesen „Grünen Damen“ teilen müssten. Somit bleibt es lediglich bei dem Vorschlag von Paul, dass ein Schild an der Tür unseres Seelsorgezimmers aufgehängt werden soll, das unsere kurzfristige Abwesenheit anzeigt.

Nachdem dieser Punkt abgehakt ist, verkündet Paul nun feierlich, dass Pfarrer Sauer als Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger von Stuttgart zurückgetreten sei und vom Bischöflichen Ordinariat nun er zu seinem Nachfolger ernannt wurde. Ob er sich für dieses Amt beworben hatte, ob er von den Kollegen gewählt oder vom Bischöflichen Ordinariat dazu bestimmt wurde und wie das konkret abgelaufen ist, ging an mir völlig vorbei. Möglicherweise wurde das alles beschlossen, während ich in der Rehabilitationsklinik war. Jedenfalls ist Paul nun Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger von Stuttgart und somit unserem evangelischen Kollegen Stolzenburg ebenbürtig! Diese Beförderung spornt ihn nun mächtig an, um seine neue Stellung anderen gegenüber deutlich hervorzuheben.

Durch diesen Aufstieg beflügelt, versucht er in allen Bereichen die Bedeutsamkeit der Klinikseelsorge noch mehr zur Geltung zu bringen, um auf diese Weise auch seine eigene Person ins rechte Licht zu rücken. Als wir Seelsorger von der Klinikverwaltung eine Einladung zur Einweihung des neu erbauten pathologischen Instituts erhalten, kommt er sogleich auf die Idee, dass er bei dieser „Einweihung“ als Klinikseelsorger irgendwie mitwirken könnte. Deshalb schreibt er an den Krankenhausdirektor und an den obersten Chefarzt jeweils einen Brief mit dem Vorschlag, dieses Gebäude sowie den neuen Aussegnungsraum mit einem Gebet oder einer kurzen Meditation ihrer Bestimmung zu übergeben. Er bietet an, dass sie gerne auf ihn zukommen könnten, wenn sie diese Möglichkeit ins Programm der Einweihungsfeier unterbringen könnten. Seiner jetzigen Bedeutung entsprechend versucht er nun überall, die Klinikseelsorge nach außen hin öffentlichkeitswirksam zu präsentieren.

Mittlerweile sind von der Schlosserei die neuen Hinweisständer geliefert worden und wurden von Paul vor dem Andachtsraum und unserem gemeinsamen Büro aufgestellt. Diese Neuerung ist natürlich auch Frau Bornemann von der Klinikverwaltung aufgefallen, doch leider will sie diesen Alleingang unseres Kollegen Paul nicht tolerieren. Ob das ungefragte Vorpreschen in dieser Sache oder der übereifrige Aktionismus meiner Kolleginnen und Kollegen bei ihr keinen Anklang fand, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls teilt sie uns schriftlich mit, dass „es aus sicherheitstechnischen Gründen nicht erlaubt sei, ohne Genehmigung solche Hinweisständer in der Klinik aufzustellen“.

Paul ist wie vom Donner gerührt. Er fühlt sich durch dieses Mahnschreiben zutiefst verletzt, wo er doch mit so großem Eifer eine Skizze für diese Hinweisständer gezeichnet und sich überall erkundigt hatte, wo er sie anfertigen lassen könnte. Bei unserer nächsten ökumenischen Teamsitzung bringt er diesen Tagesordnungspunkt ein und bespricht mit uns den Brief von Frau Bornemann. Wütend berichtet er, dass die Verwaltung ihm mitgeteilt habe, dass die Hinweisständer wieder entfernt werden müssen, weil sie ein Sicherheitsrisiko darstellen würden, denn das Foyer, alle Durchgänge und Flure müssten immer frei von jeglichen Hindernissen bleiben, damit sie im Falle einer Notsituation ungehindert als Fluchtwege benutzt werden können. Doch Paul kann dieser Argumentation nicht folgen. Er will nicht hinnehmen, dass seine Bemühungen umsonst gewesen sind. Deshalb will er unter keinen Umständen diese Hinweisständer wieder entfernen, zumal sie nun schon einige Wochen vor unserem Büro und vor dem Andachtsraum aufgestellt sind. Er will seine Neuanschaffung mit der Begründung verteidigen, dass diese Hinweistafeln eigentlich schon immer dort gestanden seien und sie aufgrund der sogenannten „Besitzstandswahrung“ somit automatisch von der Verwaltung genehmigt wurden. Als er in unserem Team seine Hinweisständer mit dieser Begründung heftig verteidigt, bin ich der Einzige, der seine Argumentationsweise nicht nachvollziehen kann. Nach noch nicht einmal vier Wochen, seit diese Hinweisständer aufgestellt wurden, sie schon mit dem Argument der Besitzstandswahrung zu verteidigen, finde ich geradezu an den Haaren herbeigezogen. Um ihm aber nicht in den Rücken zu fallen, halte ich mich ganz aus dieser Diskussion heraus. Außerdem haben wir als kirchliche Mitarbeiter unsere Räumlichkeiten in diesem städtischen Krankenhaus doch kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, ohne dass mit uns eine vertragliche oder sonstige schriftlich Vereinbarung getroffen wurde. Angesichts dieser Rechtsgrundlage dann von einem Besitz oder gar von Besitzstandswahrung zu sprechen, ist in meinen Augen geradezu grotesk. Die Klinikverwaltung könnte doch ohne weiteres auch alle uns zur Verfügung gestellten Räumlichkeit grundlos entziehen, zumal die Benutzung dieser Räumlichkeiten durch die Seelsorger vertraglich gar nicht abgesichert ist. Wenn ich meine Bedenken aber nun einbringen würde, wäre ohnehin wieder ich der Einzige, der Paul widersprechen würde, zumal auch Stolzenburg und die Kolleginnen ebenso über den Brief von Frau Bornemann entrüstet sind wie Paul. Eifrig ermuntern sie ihn, sich diesen Tadel keinesfalls gefallen zu lassen. Er müsse jetzt unbedingt auf diesen Brief schriftlich antworten und Einspruch einlegen. Schließlich habe er diese Schilder bereits besorgt und aufgestellt, deshalb sollten sie auch nun stehen bleiben. Stolzenburg und die evangelischen Kolleginnen sind ohnehin von seinen Aktivitäten sehr angetan und finden grundsätzlich alles ausgezeichnet und exzellent, was er anpackt. Und jetzt, da er nun auch noch Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger von Stuttgart geworden ist, darf er keinesfalls klein beigeben. Ohne meine Stimme beschließt unser Team also mit Stimmenmehrheit, dass Paul einen Brief an die Verwaltung schreiben und sich dieser Anordnung, seine Hinweisschilder zu entfernen, mit dem Argument der „Besitzstandswahrung“ widersetzen solle.

Neben anderen Tagesordnungspunkten wird nun ein weiteres Problem angesprochen, das die evangelischen Kollegen schon immer hier bemängelt haben. In diesem Punkt haben sie ihren Unmut in der Vergangenheit vor allem an mir ausgelassen. Es ist das Problem, dass in Notfällen, in denen ein katholischer Priester gewünscht werde, sie als evangelische Kolleginnen ständig belästigt werden. Eigentlich könnte das Pflegepersonal diesen Wunsch ohne weiteres auf den Anrufbeantworter sprechen, doch da die evangelischen Kolleginnen ständig im gemeinsamen Seelsorgezimmer zusammensitzen, nehmen sie bei dieser Gelegenheit die eingehenden Anrufe entgegen und werden somit mit dem Wunsch nach einem katholischen Seelsorger des öfteren konfrontiert. Da nun aber im Telefonverzeichnis nicht ersichtlich ist, welche Telefonnummer der katholischen oder der evangelischen Seelsorge zugeordnet ist, wird weiterhin vom Pflegepersonal die bisherige Telefonnummer 2028 in unserem gemeinsamen Seelsorgezimmer angewählt.

Als ich aufgrund ihres Unmuts für die evangelische und katholische Klinikseelsorge bei der Verwaltung getrennte Telefonnummern beantragt hatte, wollte ich diese beide Nummern auch getrennt entsprechend den beiden Konfessionen ins Telefonregister eintragen lassen. Doch Stolzenburg hatte das verhindert, indem er sich auch damals als Chef der gesamten Klinikseelsorge darstellte und auf diese Weise meinen Wunsch torpedierte. Außerdem konnte er und seine Kolleginnen mich weiterhin bei meinen Vorgesetzten beschuldigen, dass ich nicht erreichbar sei, und sie ständig meine Aufgaben erledigen und nach einem katholischen Priester suchen müssten. Da aber Paul nun hier ist und dieses Problem jedoch immer noch besteht, weil sie ja stundenlang im gemeinsamen Seelsorgezimmer direkt am Telefon sitzen, werden sie auch weiterhin mit diesen ihnen unangenehmen Wünschen belästigt. Da sie aber ihre Aggression nun nicht mehr an mir auslassen können und es mit Paul nicht verderben möchten, bringen sie diese Problematik nun zaghaft und vorsichtig in unsere Teamsitzung ein. Paul verspricht ihnen, sich demnächst um eine Lösung zu kümmern.

Nach einigen Tagen kommt Paul nun auf die Idee, einen sogenannten Notdienst für die Klinikseelsorge einzurichten. Demnach soll sich an den Wochenenden jeweils ein anderer Priester von Stuttgart rund um die Uhr bereithalten, damit dieser in Notfällen angerufen werden kann. Für einen solchen Notdienst soll ein eigenes Funktelefon mit eigener Rufnummer angeschafft werden. Jetzt erst, als nun auch er von den evangelischen Kolleginnen dafür verantwortlich gemacht wird, dass sie trotz seiner Anwesenheit im Katharinenhospital weiterhin in dringenden Fällen einen Priester suchen müssen, führt er nun genau das ein, was ich seit Jahren von Sauer schon gefordert hatte. Eine eigene Rufnummer für die katholische Klinikseelsorge, damit die evangelischen Kolleginnen unsere eingehenden Anrufe nicht ständig abfangen und mich beschuldigen können, ich sei nicht erreichbar gewesen. Da nun aber auch Paul von ihnen dieser Vorwurf gemacht wurde, delegiert er schnell unsere ständige Rufbereitschaft rund um die Uhr, die ich jahrelang alleine leisten musste, auf alle Priester hier in Stuttgart. Er ist ja nun Vorsitzender der Stuttgarter Klinikseelsorger und kann somit solche Unannehmlichkeit ohne weiteres an seine Priester-Kollegen abwälzen. Pfarrer Sauer hatte dagegen meinen Vorschlag permanent abgelehnt und konnte dieses Problem somit mir anlasten und an meiner Person festmachen. Ständig beschuldigte er mich, dass ich nie erreichbar sei. Diese unfaire Unterstellung und die hämischen Bemerkungen meiner evangelischen Kolleginnen konnte ich kaum noch aushalten und machten mich mürbe. Meinen Wunsch, ein Mobil-Telefon anschaffen zu dürfen, hatte Sauer stets mit der ironischen Bemerkung abgelehnt, ich würde mich wohl „sehr wichtig nehmen“. Doch Paul, der nun plötzlich mit demselben Vorwurf konfrontiert wird, kann dieses Funktelefon ohne mit der Wimper zu zucken anschaffen und dazu noch sämtliche Priester in der Stadt verpflichten, die Rufbereitschaft für die Klinikseelsorge zu übernehmen. Sein Argument, dass die meisten dieser Patienten ohnehin aus ihren Kirchengemeinden kämen und sie somit wenigstens am Wochenende ihren Beitrag dazu leisten müssten, mag für alle sogar einleuchtend sein. Doch diesen Dienst musste ich in den vergangenen Jahren rund um die Uhr immer alleine bewältigen. Sobald aber nicht alles reibungslos lief, bekam ich von allen Seiten sofort Vorwürfe zu hören. Oft war ich am Wochenende oder an Feiertagen stundenlang damit beschäftigt, bis ich endlich in der Stadt oder im Umland von Stuttgart einen Priester ausfindig machen konnte, der bereit war, ins Katharinenhospital zu kommen, um eine Krankensalbung zu spenden. Wie viele Nächte hatte ich damit zugebracht und unzählige Überstunden geleistet, wenn ich bei jeder Tages- und Nachtzeit zu Notfällen ins Katharinenhospital gerufen wurde, um die Kranken und Sterbenden zu begleiten oder ihren Angehörigen Beistand zu leisten. Als ich Paul jedoch darauf aufmerksam machen wollte, dass man mir seit Jahren vorwarf, ich sei gelegentlich nicht erreichbar gewesen, was nun auch er von den evangelischen Kolleginnen schon mehrmals zu hören bekam, will er nichts davon wissen. Strikt weist er mich zurück und begründet seine abweisende Haltung damit, dass er unparteiisch bleiben möchte und nicht von mir gegen die evangelischen Kollegen und Kolleginnen, und auch nicht gegen Sauer aufgestachelt werden möchte. Als ich ihn darauf hinweise, dass ich ihn doch gar nicht gegen Sauer und die evangelischen Kollegen aufstacheln möchte, sondern ihm nur darlegen will, dass man mir Unrecht getan hat, indem man mich ständig beschuldigte, ich sei nicht erreichbar gewesen, weist er auch das zurück. Es sei nicht seine Sache, alles was geschehen sei, hier aufzuarbeiten, und gibt mir den Rat, nach vorne zu schauen und nicht an diesen alten Zöpfen hängen zu bleiben. Strikt wehrt er sofort alles ab und sagt:

„Von der Vergangenheit will ich gar nichts mehr wissen. Ich weiß, dass du mit den evangelischen Kollegen schon immer Probleme hattest, da will ich nichts mehr davon hören.“

Nach dieser rigorosen Zurückweisung komme ich mir von ihm sehr ungerecht behandelt und abgekanzelt vor. Jahrelang musste ich ständig parat stehen und vielen Menschen in ihrer größten Lebensnot seelischen Beistand leisten. Von diesen scheinheiligen Priestern und Pfarrern bekam ich nie dafür die geringste Anerkennung, geschweige denn, dass sie mir eine eigene Rufnummer oder ein Mobil-Telefon zubilligten, was dringend notwendig gewesen wäre. Denn dann hätten diese evangelischen Pfaffen-Weiber diese Anrufe nicht mehr abfangen und behaupten können, ich sei nie erreichbar.

Bei all meiner Arbeit ging es mir nie darum, einen besonderen Dank dafür zu bekommen. Nein, es ging mir lediglich darum, dass ich endlich von dem Vorwurf befreit werde, ich wäre nachlässig gewesen und hätte meine Arbeit nicht ordentlich erledigt. Pauls Absicht aber, diesen Vorwurf weiterhin auf mir sitzen zu lassen, ist unverkennbar. Nur dadurch, dass er vor anderen mich als Taugenichts vorführen kann, der in der Vergangenheit nur Mist baute, kann er sich nun als Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger mit seinen Großtaten in Szene setzen und glänzen. Ich aber fühle mich von ihm abgestempelt, unfair behandelt und ausgenützt!

Wenige Tage nach dieser kaltschnäuzigen Abfuhr kommt Paul in mein Büro, begrüßt mich freundlich und fragt:

„Guten Morgen, wie geht es dir?“

Inzwischen bin ich aber schon vorgewarnt und reagiere vorsichtig, wenn er so gut gelaunt auf mich zukommt. Deshalb antworte ich zurückhaltend:

„Ganz gut. Und dir? Was gibt's denn Neues?“

Dass ich mit meiner Einschätzung richtig liege, zeigt sich sogleich, indem er auf meine zweite Frage eingeht und ironisch bemerkt:

„Du hattest doch bei der Verwaltung für die katholische Klinikseelsorge eine eigene Telefonnummer beantragt. Da muss ich dir ja schon sagen, dass du das damals nicht gerade schlau angestellt hast.“

„Wie kommst du denn darauf?“, frage ich erstaunt und fühle mich in meiner Einschätzung sofort bestätigt, dass seine aufgesetzte Freundlichkeit für mich nichts Gutes zu bedeuten hat. Es soll also nur seine Attacke verniedlichen, die er gleich gegen mich abfeuern will. Süffisant berichtet er:

„Na ja, als ich mit den evangelischen Kolleginnen nochmals über ihren Vorwurf geredet habe, dass sie laufend von unseren katholischen Anrufen belästigt worden seien, hatten sie doch recht. Sie mussten doch ständig einen katholischen Pfarrer für uns suchen.“

„Und, was hat das mit mir zu tun?“, frage ich ihn verwundert.

Stolz über seine Neuerung, dass er diesen Notruf mit einer eigenen Telefonnummer eingeführt hatte, fährt er mit spitzer Zunge fort:

„Ja, aber weißt du, wenn man schon etwas Neues einführt, dann muss man es auch richtig machen. Als du nämlich eine eigene Telefonnummer für die katholische Klinikseelsorge beantragt hattest, dann hättest du gleichzeitig bei der Verwaltung auch beantragen müssen, dass diese Rufnummer klar und deutlich im Telefonverzeichnis getrennt von den Rufnummern der evangelischen Klinikseelsorge aufgelistet wird. Stattdessen hast du es aber weiterhin so belassen, dass die Namen der Seelsorger im Telefonverzeichnis einfach in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt werden, ohne dass die Konfession der einzelnen Seelsorger erkennbar ist.“

„Was sagst du da?“, frage ich erstaunt, „genau das habe ich doch getan! Nachdem ich eine eigene Telefonnummer für die katholische Seelsorge bekommen habe, schrieb ich sofort einen Brief an die Verwaltung mit der Bitte, im internen Telefonverzeichnis die Telefonnummern der Seelsorger getrennt nach Konfessionen aufzulisten. Als aber Stolzenburg das erfahren hatte, der sowieso nichts anderes zu tun hat, als bei der Verwaltung herumzuschleimen, machte er sofort wieder alles rückgängig. Deshalb wurde die alte gemeinsame Rufnummer für alle weiterhin beibehalten, obwohl ich für die katholische Seelsorge eine eigene Nummer beantragt habe. Stolzenburg will doch der Chef von uns allen sein und wollte auch damals gegenüber der Verwaltung demonstrieren, dass er der Boss auch von den katholischen Seelsorge ist. Das hast du doch erst kürzlich selbst mit deinem Brief so erfahren.“

„Das glaube ich dir nicht, dass du unsere Telefonnummer ins Telefonverzeichnis eintragen lassen wolltest. Dass du etwas gegen Stolzenburg hast, weiß ich ja schon lange, da kannst du mir nichts vormachen. Ein getrennter Eintrag im Telefonverzeichnis wäre für dich doch eher zum Nachteil gewesen, weil du dann mehr hättest tun müssen“, hält Paul mir entgegen und will nicht einsehen, dass Stolzenburg meinen Änderungswunsch durch seine intrigante Vorgehensweise verhindert hatte. Da ich aber erkennen muss, dass Paul mir nicht glauben will, drehe ich mich wortlos um, gehe an mein Regal und greife den Ordner heraus, in dem ich meinen dienstlichen Schriftverkehr abgeheftet habe. Da Paul nun der Meinung ist, ich hätte mich von ihm abgewandt, will er gehen. Ich aber antworte ihm:

„Bleib nur hier, ich suche gerade das Schreiben heraus, das ich damals an die Verwaltung geschrieben habe.“

Paul bleibt mit skeptischer Miene stehen, ich blättere im Ordner, nehme den Durchschlag meines Schreibens an die Verwaltung heraus und gebe es ihm. Kurz ließt er es durch und kann es kaum fassen:

„Stolzenburg hat aber mir gegenüber fest behauptet, dass er bei der Verwaltung damals einen getrennten Eintrag der katholischen und evangelischen Seelsorge im Telefonverzeichnis beantragen wollte. Du hättest dich aber vehement dagegen gewehrt! Er sagte sogar, dass du unbedingt darauf bestanden hättest, dass nur eine gemeinsame Telefonnummer für die evangelische und katholische Klinikseelsorge beibehalten werden solle. Und er warf dir sogar vor, dass du dich auf diese Weise entlasten wolltest.“

„Das ist doch nicht wahr! Im Gegenteil! Jedes Mal, wenn sie von einem katholischen Anruf belästigt wurden, haben sie immer ein Theater aufgeführt, dass ich nie auffindbar sei. Dabei waren sie doch nur eifersüchtig, dass nicht sie gewünscht wurden, sondern ich und haben ihren ganzen Frust dann an mir ausgelassen. Deshalb wollte ich ja auch getrennte Telefonnummern, damit ich endlich direkt angerufen werden kann“, entgegne ich ihm energisch.

Paul kann es immer noch kaum glauben, dass Stolzenburg genau das Gegenteil von dem erzählte, was ich ihm nun Schwarz auf Weiß bewiesen habe. Er fragt mich, ob er sich eine Kopie von diesem Durchschlag machen könnte und fügt hinzu:

„Man weiß ja nie, wofür man so etwas einmal gebrauchen kann. Auf jeden Fall musst du unbedingt diesen Durchschlag gut aufbewahren. Nein, so etwas hätte ich dem Stolzenburg nun wirklich nicht zugetraut.“

Mit diesen Worten zeigt er sich mir gegenüber wieder etwas versöhnlicher und sein ironisch-süffisantes Lächeln ist einem sehr bedenklichen Gesichtsausdruck gewichen. Er verabschiedet sich mit der Bemerkung:

„Wenn Stolzenburg solche Unwahrheiten behauptet, ist es ganz gut, wenn man die entsprechenden Beweisstücke aufbewahrt.“

Als ich Stolzenburg am nächsten Tag in unserem gemeinsamen Büro antreffe, komme ich auf seine falsche Darstellung zu sprechen und frage ihn, wie er denn meinem Kollegen Paul gegenüber habe behaupten können, dass ich die Verwaltung gebeten hätte, die Rufnummern der Seelsorger nicht nach der konfessionellen Zugehörigkeit, sondern in alphabetischer Reihenfolge ins interne Telefonverzeichnis einzutragen. Überrascht, dass ich über seine falsche Darstellungsweise informiert wurde, wiegelt er sofort ab und behauptet, dass dies wohl ein Missverständnis gewesen sei. Doch mit dieser fadenscheinigen Antwort will ich mich nicht zufriedengeben und frage erneut, wo denn da ein Missverständnis vorliegen soll, wenn er so etwas Falsches behaupte. Doch darauf geht er gar nicht ein, sondern verlässt das Büro mit den Worten:

„Ich habe etwas Wichtigeres zu tun, als mit dir hier über solche Kleinigkeiten herumzustreiten.“

Kurz vor dem Mittagessen treffe ich Paul auf dem Weg in die Kantine. Da mich die falsche Darstellung Stolzenburgs immer noch ärgert, erzähle ich ihm, wie er mich arrogant stehen ließ, als ich ihn auf seine falsche Behauptung angesprochen hatte. Ich erkläre Paul, dass das mal wieder ein typisches Beispiel dafür war, wie die evangelischen Kollegen mit mir in der Vergangenheit umgegangen sind. Obwohl ein getrennter Eintrag nach Konfessionen im Telefonverzeichnis äußerst sinnvoll gewesen wäre, damit das Pflegepersonal sofort den entsprechenden Seelsorger hätte rufen können, ging es Stolzenburg und den evangelischen Kolleginnen nie um die Praktikabilität einer Sache, sondern immer nur darum, dass sie alleine über etwas entscheiden und bestimmen konnten. Wenn ich etwas Sinnvolles einführen wollte, wurde es von ihnen schlichtweg kritisiert und abgelehnt. Vor allem mussten sie grundsätzlich allen anderen klarmachen, dass ich absolut nichts zu melden habe. Paul hört mich an, doch ich merke, dass er mir gar nicht zuhören will. Verärgert, dass er in dieser Sache mir gegenüber keinerlei Solidarität zeigt, werfe ich ihm vor, dass es mir inzwischen schon sehr zu schaffen mache, wenn er mir bei solch offensichtlich falschen Darstellungen keinerlei Schützenhilfe bietet. Denn dadurch würde er deutlich signalisieren, dass Stolzenburg und die evangelischen Kolleginnen weiterhin mit mir so umgehen und mich so behandeln dürfen wie bisher. Diesen Vorwurf weißt er jedoch vehement zurück. Er wirft mir jetzt sogar vor, dass ich doch selbst daran schuld sei, wenn sie auf diese Weise mit mir umgehen können. Das sei doch allein mein Problem und er wolle nichts damit zu tun haben. Im Gegenteil, er setzt mir nun sogar quasi den Spieß auf die Brust und fordert von mir, noch mehr Einsatzbereitschaft zu zeigen, wenn es darum gehe, ihm gegenüber Solidarität zu zeigen und behauptet, ich würde seine Vorschläge und seine Aktivitäten leider viel zu wenig unterstützen. Meine Solidarität könnte ich ihm gegenüber aber in nächster Zeit gerne unter Beweis stellen, wenn er die bevorstehende Adventsfeier für die Konferenz der katholischen Klinikseelsorger vorbereiten müsse. Er fragt mich sogleich, ob ich ihm in der nächsten Woche dabei behilflich sein könnte, diese Adventsfeier mit ihm vorzubereiten.

Enttäuscht über seine abweisende Haltung sage ich ihm zwar zu, ihm bei den Vorbereitungen der anstehenden Adventsfeier zu helfen, betone aber, dass ich bei der nächsten gemeinsamen Teamsitzung auf die falsche Behauptung des Kollegen Stolzenburg nochmals zu sprechen kommen werde und die Sache mit den Telefonnummern richtig stellen möchte. Kann es denn tatsächlich sein, dass Paul mein Schreiben an die Verwaltung nur für seine eigenen Zwecke kopiert hat, um sich selbst irgendwann einmal verteidigen zu können, falls er von den evangelischen Kollegen ungerechtfertigt beschuldigt wird? Wenn es aber um mich geht, will er ihre falschen Behauptungen aber gar nicht richtig stellen? Will er denn wirklich nichts für mich tun? Bitter enttäuscht erkläre ich ihm, dass ich es dann wohl selbst in die Hand nehmen müsse, wenn er mir bei dieser falschen Beschuldigung nicht helfen will. Abschätzig nimmt er es zur Kenntnis und als die Kollegin Rallinger gerade an uns vorbeigeht, um in der Kantine ihr Mittagessen einzunehmen, schließt er sich ihr sofort an und verabschiedet sich von mir mit der Begründung, er habe mit ihr noch etwas Wichtiges zu besprechen. Ich gehe hinter ihnen her, suche mir im Speisesaal jedoch einen anderen Platz aus, wo ich in aller Ruhe meine Mahlzeit einnehmen kann. Von weitem sehe ich aber, dass er sich angeregt und in bester Laune mit Rallinger unterhält. Ob er dabei tatsächlich etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen hat, bezweifle ich allerdings sehr.

Bei unserer nächsten ökumenischen Teamsitzung bringe ich den Tagesordnungspunkt „Unsere Rufnummern in der internen Telefonliste des Katharinenhospitals“ ein. Als dieses Thema zur Besprechung ansteht, weise ich darauf hin, dass ich damals in meinem Schreiben die Verwaltung darum gebeten habe, unsere neue katholische Telefonnummer unter einer neuen Rubrik „Katholische Klinikseelsorge“ getrennt von der „Evangelischen Klinikseelsorge“ im internen Telefonverzeichnis aufzuführen. Ich zeige allen den Durchschlag meines damaligen Schreibens und stelle Stolzenburg zur Rede, weshalb er dem Kollegen Paul diesen Sachverhalt ganz anders geschildert habe.

„Das war alles nur ein Missverständnis“, sagt Stolzenburg sehr echauffiert.

Mit dieser lapidaren Erklärung gebe ich mich aber nicht zufrieden und frage nochmals:

„Was heißt hier Missverständnis? Es ist doch eine falsche Aussage, eine falsche Behauptung, wenn du mir in die Schuhe schieben willst, dass ich den jetzigen Eintrag so gewünscht habe, obwohl doch du ihn auf diese Weise hast abändern lassen. Du bist doch extra zur Verwaltung gegangen und hast meinen Antrag rückgängig gemacht. Wo liegt denn da ein Missverständnis vor?“

„Ja, es war alles nur ein Missverständnis!“, behauptet er steif und fest und schaut mir frech in die Augen.

„Wenn du etwas Falsches behauptest und einen Fehler, den du selbst begangen hast, jemandem anderen in die Schuhe schieben willst, dann ist das kein Missverständnis, sondern dann ist das eine Unverschämtheit, die man nur mit einer Entschuldigung wieder gutmachen kann!“ antworte ich gereizt. Danach wende ich mich an meinen Kollegen Paul und frage ihn:

„Du kannst doch eindeutig belegen, dass der Kollege Stolzenburg dir gegenüber das so behauptet hat? Oder nicht?“

Doch Paul wehrt ab und kann sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Bei dieser Reaktion bleibt mir total die Spucke weg. Obwohl er von mir verlangt hatte, dass ich ihm aufgrund dieser falschen Behauptung meinen Durchschlag des damaligen Schreibens aushändigen solle, damit er sich davon eine Kopie machen kann, will er jetzt von der ganzen Sache nichts mehr wissen. Er lässt mich total im Regen stehen und ist nur darauf bedacht, mit den evangelischen Kollegen gut und bestens zusammenzuarbeiten. Zutiefst enttäuscht antworte ich:

„Ja, ja, Lügen und Verleumdungen, das ist hier die Tagesordnung!“

Die Kollegin Koschinski kontert meine Äußerung mit der verächtlichen Bemerkung:

„Von jemandem, der nur ein paar Stunden hier arbeitet und sonst nie erreichbar ist, von so einem brauchen wir uns doch nichts vorwerfen zu lassen“, und leitet zum nächsten Tagesordnungspunkt über, indem nochmals die Wichtigkeit des gemeinsamen Seelsorgezimmers zur Sprache gebracht wird, und betont:

„Keinesfalls darf die AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) hier in diesem Raum eigene Sprechstunden anbieten!“

Zugleich wirft sie mir in diesem Zusammenhang vor, dass ich nie das Licht brennen lassen würde, obwohl sie hier in der Runde alle gemeinsam beschlossen hätten, dass wir es den ganzen Tag über brennen lassen, damit von außen her deutlich sichtbar sein soll, dass dieser Raum auch ständig von uns benutzt wird. Da ich ihren Vorwurf nicht auf mir sitzen lassen will, erwidere ich:

„Ich halte mich in diesem Raum hier doch kaum auf. Und wenn, dann komme ich nur für kurze Zeit herein und höre den Anrufbeantworter ab. Da ist es mir doch ganz gleich, ob die Lichter brennen oder nicht. Das muss doch nicht an mir liegen, wenn die Lichter von jemandem ausgeschaltet werden.“

Koschinski nimmt meine Erklärung wieder sichtbar gelangweilt zur Kenntnis, schaut stur zur Decke hinauf und kontert meine Erklärung gleich mit ihrem nächsten Vorwurf:

„Ja, ja, wir wissen das ja schon alles und außerdem wissen wir auch, dass Sie nur vormittags hier im Katharinenhospital anwesend sind und sehr lückenhaft Ihren Dienst verrichten.“

Auch diesen Vorwurf weise ich zurück:

„Ich bin oft auch abends noch hier und besuche hier zudem auch nachts die Patienten, wenn ich zu Hause angerufen werde. Außerdem bringe ich samstags den Patienten die Krankenkommunion und wenn ich sonntags den Gottesdienst gehalten habe, dann genehmige ich mir montags nicht wie die evangelischen Kollegen gleich einen ganzen freien Tag, sondern mache nachmittags eben mal früher Schluss, um noch etwas zu erledigen. Außerdem habe ich als Vorstand unseres Berufsverbandes und als Mitglied der Mitarbeitervertretung auch noch einige andere Sitzungen zu besuchen und bei den Dekanats- und Klinikseelsorger-Konferenzen, die immer nachmittags stattfinden, muss ich übrigens auch noch teilnehmen.“

Doch während ich ihr antworte, schaut sie gelangweilt von der Decke nun demonstrativ auf die gegenüberliegende Wand und wartet, bis ich mit meiner Erklärung fertig bin. Wie ihre übrigen evangelischen Kollegen will sie mich lediglich mit haltlosen Anschuldigung diskreditieren. Eine Erklärung will sie gar nicht anhören. Sofort leitet sie zur nächsten Tagesordnung über und ignoriert alles, was ich gesagt habe, indem sie mich keines Blickes mehr würdigt. Mir aber ist die Lust an dieser Sitzung mal wieder so richtig vergangen. Schon lange beteilige ich mich nur noch sehr selten an den einzelnen Diskussionspunkten. Die Art und Weise, wie sie mit mir umgehen, ist mir total zuwider. Auch Paul hält sich bei diesen unfairen Anwürfen der evangelischen Kollegen total zurück. Und die Tatsache, dass er eine Kopie meines Schreibens nur deswegen von mir wollte, um sich selbst irgendwann einmal gegen ihre ungerechtfertigten Vorwürfe verteidigen zu können, falls sie ihm etwas in die Schuhe schieben wollen, zeigt mir, wie sehr er sich einerseits ihrem liederlichen Treiben angepasst hat und andererseits trotzdem mit ihnen kooperieren will. Sein Verhalten empfinde ich unerträglich.

Nach dieser Sitzung versuche ich, nochmals mit Paul zu sprechen. Doch er hat es eilig und erklärt mir, dass er unbedingt vor dem Mittagessen noch einen dringenden Anruf erledigen müsse. Zutiefst enttäuscht gehe ich in die Kantine, doch zehn Minuten später kommen Stolzenburg und die evangelischen Kolleginnen mit ihren Essenstabletts in den Speisesaal und siehe da, Paul ist mit dabei. Als er mich bemerkt, ist es ihm sichtlich peinlich. Ich beobachte sie, wie sie sich weitab von mir einen Platz suchen und alle gemeinsam an einen Tisch setzen. Zwar versuche ich, noch einige Bissen hinunter zu kriegen, doch der Appetit ist mir vergangen. Deshalb nehme ich mein Tablett, gehe zum Ausgang, lege es aufs Laufband der Geschirrrückgabe und fahre zurück in meine Wohnung, um über meine Situation und meinen Priesterkollegen Paul nachzudenken.

Nach langer Überlegung komme ich zu dem Entschluss, dass ich unbedingt mit ihm reden muss. Wenn er noch ein Fünkchen Anstand und Ehrlichkeit im Leib hat, dann muss er doch zugeben, dass er sich mir gegenüber auf dieser Sitzung abscheulich benommen hat. Doch jeder Versuch, ihn in den folgenden Tagen anzusprechen, scheitert. Wenn ich ihn in seinem Büro aufsuchen will, wimmelt er mich sofort ab, geht ans Telefon, wählt eine Nummer und sagt, er müsse ganz dringend jemanden anrufen. Begegne ich ihm irgendwo im Katharinenhospital, dreht er sofort ab und geht in eine andere Richtung. Er weicht mir aus und erteilt mir mit den fadenscheinigsten Ausreden sofort eine Abfuhr, so dass ich jedes Mal vor den Kopf gestoßen bin. Doch sein unverschämtes Verhalten will ich nicht akzeptieren. Schließlich fasse ich den Entschluss, ihn in seiner Sprechstunde aufzusuchen, die er in unserem ökumenischen Seelsorgezimmer anbietet, genau so, wie es die evangelischen Kolleginnen bei mir schon gemacht haben, wenn sie mich ärgern wollten. Da ich aus eigener Erfahrung weiß, dass zu unseren Sprechstunden ohnehin nie jemand kommt, ist das jetzt noch die einzige Möglichkeit, mit ihm über sein Benehmen zu reden. Sein Verhalten auf unserer letzten Teamsitzung hat mich ungemein verletzt. So kann es nicht mehr weitergehen.

Als ich ihn in seiner Sprechstunde besuche, ist er sichtlich angespannt und begrüßt mich mit peinlich aufgesetzter Freundlichkeit:

„Grüß dich Thomas, ich habe es mir schon gedacht, dass du mit mir reden willst. Aber ich hatte in letzter Zeit so viel um die Ohren, da wurde mir einfach alles zu viel.“

Ich setze mich in einen Sessel der Couchgarnitur, um ihm zu zeigen, dass ich nicht nur eine kurze Stippvisite bei ihm einlegen möchte, sondern gebe ihm deutlich zu erkennen, dass ich mit ihm reden will:

„Ja, ich habe mit dir einiges zu besprechen. So wie bisher darf es auf keinen Fall weitergehen.“

„Warum?“, zeigt er sich ahnungslos, „was ist denn passiert?“

Ich mache ihm klar, dass sein Verhalten auf der letzten Teamsitzung alles andere als kollegial war. Ich werfe ihm vor, dass er nicht die Wahrheit gesagt hat, als ich Stolzenburg auf seine völlig verdrehten Behauptungen angesprochen habe. Obwohl er doch genau wusste, dass Stolzenburg gelogen hat, habe er so getan, als wüsste er von nichts. Außerdem habe er auch nichts gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe und nichts zur Richtigstellung der falschen Anschuldigungen der evangelischen Kollegin Koschinski unternommen, die mich ständig mit denselben Vorwürfen attackiert. Ich erkläre ihm, dass je öfter man etwas behauptet, desto eher wird es so nach und nach von allen geglaubt, auch wenn nichts daran wahr ist. Doch Paul versucht sich herauszureden. Er habe zur Zeit viel Arbeit und habe nicht mehr so genau gewusst, wer von uns beiden die Änderung der Rufnummern bei der Verwaltung beantragt habe. Und dann zeigt er sich mir gegenüber plötzlich äußerst empört und hält mir vor, dass ich in dieser Runde nie hätte von „Lüge und Verleumdung“ reden dürfen. Solche Anwürfe dürfe es unter Kollegen einfach nicht geben! Diese Äußerung sei von mir einfach unmöglich gewesen! Meine Kritik an Stolzenburg weißt er total zurück und wirft mir vor, dass ich die evangelischen Kollegen mit diesem Vorwurf der „Lüge und Verleumdung“ beleidigt hätte. Mein Verhalten zeige doch nur, dass ich es ihnen unmöglich machen würde, adäquat mit mir zusammenzuarbeiten. Mein Vorwurf sei absolut fehl am Platze gewesen, deshalb könne ich auch dafür kein Verständnis von ihm erwarten. Daraufhin frage ich ihn, ob er denn inzwischen bei den evangelischen Kollegen schon alles akzeptieren würde und auf Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit keinen Wert mehr lege.

„Das hat nichts mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu tun, sondern mit taktvollem Umgang und Respekt vor den Kollegen“, antwortet er vorwurfsvoll, „und daran mangelt es dir gewaltig!“

Daraufhin schaut er mich starr und rechthaberisch an. Als ich erkenne, dass er alle Unwahrheiten und jede Tatsachenverdrehung seiner evangelischen Pfarrer-Kollegen verteidigt und mich beschuldigt, dass ich taktlos gewesen sei, verlasse ich wortlos den Raum. Mag er mein Verhalten auch für unkorrekt halten, jede weitere Auseinandersetzung mit ihm erachte ich nun für sinnlos, wenn er diese Schandmäuler in Schutz nimmt, die solche Lügen- und Ammenmärchen über mich verbreiten. Andererseits rügt er mich, wenn ich mich dagegen wehre und mich rechtfertigen will. Von einem solch scheinheiligen Pfaffen kann ich nichts mehr erwarten. Tief enttäuscht gehe ich hinüber ins Wirtschaftsgebäude und setze mich in meinem Büro an den Schreibtisch. Alles, was ich in letzter Zeit mit Stolzenburg, mit seinen scheinheiligen und liederlichen Kolleginnen und auch mit Paul erlebt habe, schreibe ich mir von der Seele. Erst nachdem ich dieses niederträchtige Pfaffen-Theater aufgeschrieben und ad acta gelegt habe, kann ich wieder einigermaßen erleichtert durchatmen. Auf den Krankenstationen versuche ich, meinen Patienten besonders intensiv zuzuhören, damit ich von meinen deprimierenden Erfahrungen abgelenkt bin und nicht dauernd an diesen missgünstigen, bösartigen und scheinheiligen Lügen-Haufen denken muss.

Als ich abends nach diesem arbeitsreichen Tag in meine Wohnung komme, sehe ich an meinem blinkenden Anrufbeantworter, dass einige Nachrichten aufgesprochen wurden. Ich höre sie ab und bin überrascht, dass Paul schon heute Vormittag gleich nach unserem Gespräch mir kurz etwas aufs Band sprach. In einem äußerst aggressiven Tonfall bekräftigt er erneut seine Haltung und wirft mir vor, dass ich in meiner uneinsichtigen Art keinerlei kollegiales Verhalten erkennen lasse. Das könne er nicht akzeptieren, vor allem, wenn ich dann im gemeinsamen Team auch noch von „Lüge und Verleumdung“ sprechen würde. Das sei für ihn absolut nicht zu ertragen. Mit diesem Anruf wollte er mir wohl nochmals deutlich machen, dass er nicht bereit ist, mir in irgendeiner Weise zur Seite zu stehen. Obwohl er doch genau mitbekommen hat, wie offenkundig ich von meinen evangelischen Kollegen verleumdet wurde und er genau weiß, dass Stolzenburg und seine Kolleginnen mir immer und immer wieder irgendwelche Versäumnisse und Fehler zuschieben und mich ständig mit neuen Vorwürfen diffamieren wollen, die sie nie belegen und nachweisen können, will er aus „Gründen der Kollegialität“ zu ihnen halten und fordert von mir, dass ich das alles akzeptiere und hinnehme. Er ist wohl der Auffassung, dass er über Konfessionsgrenzen hinweg mit allen Pfarrern und Pfarrerinnen seine berufliche Solidarität zeigen müsse, selbst wenn die Wahrheit dabei auf der Strecke bleibt.

Als ich seine belehrende Stimme und seine herablassende Abkanzelung auf meinem Anrufbeantworter abgehört habe, schwillt mir der Kamm. Nun erlaubt er sich sogar, unseren Clinch, unsere Meinungsverschiedenheit hier in meine Wohnung zu tragen! Ihm scheint wohl meine Privatsphäre völlig gleichgültig zu sein? Im Katharinenhospital verweigert er mir ein persönliches Gespräch, stellt sich stur und meint, wie ein Oberbefehlshaber mir befehlen zu können, dass ich seine anbiedernde Schleimerei einfach akzeptiere. Den ganzen Tag habe ich gearbeitet und versuchte, meinen Ärger über diesen egozentrischen Typen in Grenzen zu halten. Und jetzt erlaubt er sich, mich in meiner Wohnung über meinen Anrufbeantworter auch noch zum Deppen zu machen! An unserem Arbeitsplatz, wo eine solche Aussprache dringend geboten ist, lässt er nicht mit sich reden! Jetzt aber, in meinen eigenen vier Wänden soll ich seinen Mist und sein Gefasel mir anhören! Gerne bin ich bereit, rund um die Uhr für die Patienten da zu sein und mich jederzeit in Notfällen auch zuhause anrufen zu lassen. Dass aber er seinen Frust bei mir hier so einfach ablädt, das geht mir zu weit.

Ich rufe auch ihn in seiner Wohnung an, es klingelt einige Male, sein Anrufbeantworter schaltet sich ein, und lege meinen Hörer auf. Voller Wut gehe ich in meinem Wohnzimmer auf und ab. Nochmals greife ich zum Telefon und spreche ihm ebenfalls in barschem Tonfall auf seinen Anrufbeantworter. Ich teile ihm mit, dass er berufliche Angelegenheiten doch bitte in einem Dienstgespräch mit mir klären solle und meine Privatsphäre von den unhaltbaren Vorwürfen der evangelischen Kollegen verschonen möge. Schließlich sei mir ja nichts anderes übrig geblieben, als in seine Sprechstunde zu kommen, wenn er mir keine Gelegenheit mehr biete, mit ihm zu reden. Und falls er das, was er mir zu sagen habe, mir in einem Dienstgespräch nicht mitteilen könne, dann bleibe mir ja wohl nichts anderes mehr übrig, als diese Problematik bei unserem Dienstvorgesetzten im Bischöflichen Ordinariat zu besprechen.

Nachdem ich ihm diese Mitteilung aufs Band gesprochen habe, sehe ich ihn die ganze Woche über nicht mehr im Katharinenhospital. Ob er überhaupt noch zum Dienst erscheint, ob er krank ist? Ich weiß es nicht. Weder am Schwarzen Brett, noch in meinem Fach hinterlässt er eine Nachricht, warum er nicht zum Dienst erscheint. Ich habe den Eindruck, dass er sich absichtlich nicht mehr blicken lässt, um jedem klärenden Gespräch auszuweichen. Als ich ihn die ganze Woche über nicht mehr gesehen habe, lege ich ihm einen Zettel in sein Fach und teile ihm mit, dass ich mit ihm einen Gesprächstermin vereinbaren möchte. Doch auch in den folgenden Tagen bekomme ich keine Antwort. Erneut gehe ich in seine nächste Sprechstunde, um zu sehen, ob er überhaupt noch hier ist. Ich betrete das gemeinsame Seelsorgezimmer. Da sitzt er doch tatsächlich mit der Kollegin Rallinger zusammen und beide unterhalten sich fröhlich und gut gelaunt miteinander. Sofort geben beide mir mit ihren Blicken zu verstehen, dass ich sie störe. Ich spreche ihn darauf an, dass ich vor mehreren Tagen ihm einen Zettel in sein Fach gelegt habe und gerne mit ihm sprechen würde. Doch äußerst kurz und schnippisch gibt er zur Antwort:

„Du siehst ja, dass ich jetzt keine Zeit habe. Aber Moment mal, hier habe ich unsere neue Liste für unseren Bereitschaftsdienst. Die kannst du auf deinem PC für uns schreiben.“

Er steht auf und drückt mir ein Blatt Papier in die Hand. Dann gibt er mir zu verstehen, dass ich ihn hier zusammen mit der Kollegin Rallinger nun bitte allein lassen solle. Er steht auf, öffnet die Tür und bedeutet mir mit einer abfälligen Handbewegung den Weg nach draußen. Sprachlos bleibe ich kurz stehen, gehe dann aber doch zur Tür hinaus und bin schlichtweg schockiert. Mit dieser Unverschämtheit habe ich nicht gerechnet. Und dass er mir auch noch vor dieser Rallinger ein Blatt in die Hand gedrückt und mich beauftragt hat, eine Schreibarbeit für ihn zu erledigen, das ist für mich der absolute Hammer. Obwohl ich in keinster Weise verpflichtet bin, für ihn irgendwelche Schreibarbeiten zu erledigen, war ich momentan nicht in der Lage, mich dieser Frechheit zu widersetzen. Intuitiv habe ich aber dabei gespürt, dass ich eine offene Auseinandersetzung mit ihm in Anwesenheit der Rallinger nie hätte unbeschadet überstehen können. Sofort hätten beide diese Situation voll ausgenützt und mich als Störenfried und als unkooperativen Kollegen abqualifiziert. So wie ich sie beide inzwischen kennengelernt habe, muss ich bei ihnen mit allem rechnen. Intuitiv zog ich es deshalb vor, mich zu verziehen, um so ihrer ablehnenden Haltung und ihrer fiesen Häme möglichst schnell zu entkommen. Wie belämmert stehe ich draußen vor der Tür und bin geradezu entsetzt über mich selbst, dass ich mittlerweile so unfähig und so machtlos geworden bin, mich selbst zu verteidigen. In einer solchen Situation das Richtige zu tun, ist mir wohl völlig abhanden gekommen. Zuviel habe ich mir in den vergangenen Jahren von diesen anmaßenden Pfaffen gefallen lassen müssen. Über all die Jahre hinweg bekam ich zu spüren, dass sie sich restlos alles erlauben dürfen, ganz gleich, welche Schandtaten und Fehler sie auch begehen. Immer bekommen sie von ihren Vorgesetzten Recht! Dass Paul nun aber auch diese Situation dazu ausgenützt hat, um mich vor der evangelischen Kollegin bloßzustellen, und mich dabei zu seiner Schreibkraft degradierte, indem er mir angesichts dieser dämlichen Person den Auftrag erteilt, für ihn eine Schreibarbeit zu erledigen, ist eine Frechheit, die mich maßlos ärgert.

Jahrelang habe ich die ständigen Anfeindungen und Ablehnungen meiner evangelischen Kolleginnen ertragen müssen, habe mich aufgerafft, auf diesen schmählichen Schandbrief ihres Dekans Kumpf zu antworten und eine umfangreiche Gegendarstellung abgegeben. Nichts, aber auch gar nichts wurde gegen diese Mobbing-Situation von diesen Vorgesetzten unternommen. Dass nun auch Paul aber sich so offensichtlich auf ihre Seite stellt und mich vor dieser Rallinger geradezu der Lächerlichkeit preisgibt, verletzt mich ungemein. Mich in meiner angeschlagenen Konstitution jetzt noch um eine andere Dienststelle zu bewerben und das Katharinenhospital zu verlassen, zu solch einem Schritt bin ich nicht mehr fähig. Zu viel musste ich in den vergangenen Jahren arbeiten, zu viel musste ich ertragen. Diese Anstrengung und diese Kraft bringe ich nicht mehr auf. Mein Selbstbewusstsein ist mittlerweile derart angeschlagen. Ich traue es mir einfach nicht mehr zu, mich in einer neuen Umgebung einzuarbeiten und mit neuen Kollegen zusammenzuarbeiten. Es wäre für mich der absolute Horror, wenn ich jetzt in meinem labilen Zustand, ängstlich, unsicher und innerlich völlig zermürbt, nun in einem anderen Arbeitsbereich ganz von vorne beginnen müsste. Deshalb versuche ich, hier im Katharinenhospital, wo ich mich bestens eingearbeitet habe und von den Pflegekräften sehr geschätzt werde, meine Patienten zu besuchen. Um meinen inneren Frieden und meine Ruhe zu finden, setze ich mich abends zuhause an meinen PC, schreibe für Paul die Liste für unseren Bereitschaftsdienst und lege sie ihm am nächsten Tag in sein Fach.

Es vergehen einige Wochen, in denen ich mich so gut es geht von meinen Kolleginnen und Kollegen fernhalte. Wenn ich ihnen zufällig irgendwo auf den Gängen begegne, nicke ich ihnen nur zu, da mein Gruß von ihnen ohnehin nicht erwidert wird. Doch auch das wird von ihnen ignoriert.

Als die Herbsttagung der katholischen Klinikseelsorger bevorsteht, kommt Paul auf mich zu und fragt, ob ich vorhabe, zu dieser Tagung nach Ravensburg zu gehen und bietet mir überraschenderweise die Mitfahrgelegenheit in seinem Auto an. Ich weiß, dass er die Spesen dieser Dienstfahrt von der Diözese ersetzt bekommt, trotzdem bin ich überrascht, dass er mir jetzt so plötzlich aus heiterem Himmel dieses Angebot macht. Vielleicht möchte er dort auf der Tagung bei anderen Kollegen den Eindruck erwecken, dass er mit mir gut zusammenarbeiten kann und möchte ihnen zeigen, dass er mich großzügigerweise in seinem Pkw mitnimmt. Wie dem auch sei, ich willige ein und fahre mit ihm zur Herbsttagung, die diesmal im St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg stattfindet. Während der Fahrt unterhalten wir uns über allerlei belanglose Dinge und ich vermeide es, auf die evangelischen Kollegen zu sprechen zu kommen, da ich von ihm ja kein Verständnis für meine Situation erwarten kann. Doch nach einiger Zeit kommt er tatsächlich selbst auf dieses Thema zu sprechen und klagt darüber, dass es mittlerweile auch für ihn manchmal nicht einfach sei, mit ihnen bei den vielen gemeinsamen Sitzungen immer zu einem einvernehmlichen Konsens zu kommen. Er habe mitunter schwer mit ihnen zu kämpfen, vor allem, wenn sie partout ihren Willen durchsetzen wollen. Er kommt auf ihre oft sehr überzogenen Wünsche zu sprechen, denen er nicht immer folgen könne, und erzählt in seiner spöttischen Art, dass kürzlich der Kollege Stolzenburg ihm sogar das „Du“ angeboten habe. Da er jedoch inzwischen gemerkt habe, wie falsch und hinterhältig dieser Mensch sei, habe er sein Angebot abgelehnt, weil es wohl besser sei, es angesichts dieser schwierigen Zusammenarbeit beim „Sie“ zu belassen. Nun, da Paul selbst dieses Thema angeschnitten hat, äußere ich den Wunsch, dass er sich doch wirklich etwas mehr auch für mich einsetzen könnte, nachdem er nun doch selbst die Falschheit der evangelischen Kollegen erkannt habe. Doch diesen Wunsch weist er sofort zurück, ganz so, als ob es ihm geradezu von einer höheren Instanz befohlen worden sei. Er begründet dies mit dem lächerlichen Argument, dass bei meinen Differenzen mit den evangelischen Kollegen oft Aussage gegen Aussage stehe, und er sich ganz aus diesen Zwistigkeiten heraushalten wolle. Und das, obwohl er schon mehrmals nun miterlebt hat, dass ich die Aussagen der evangelischen Kollegen durch schriftliche Protokolle widerlegen konnte. Doch leider lässt er in diesem Punkt nicht mit sich reden. Für ihn steht fest, dass er sich keinesfalls für mich einsetzen will. Andererseits fordert aber ständig von mir, dass ich für ihn Gefälligkeiten leiste, die weit über meinen Dienstauftrag hinausgehen. Von einem gegenseitigen Beistand, von einer wechselseitigen Kooperation scheint er nichts zu halten. Manchmal kommt es mir so vor, als müsste er mich geradezu vor dem Kollegen Stolzenburg und den evangelischen Kolleginnen herabwürdigen und niedermachen, damit er sich vor ihnen als Priester und Pfarrer umso besser in Szene setzen kann.

Adventsfeier

Gleich nach der Herbsttagung liegt eine Einladung zur Adventsfeier in meinem Fach, die Paul an alle katholischen Klinikseelsorger in Stuttgart sandte. Nachdem Pfarrer Sauer nicht mehr Vorsitzender der katholischen Klinikseelsorger in Stuttgart ist und uns nun nicht mehr die schönen Räumlichkeiten der Villa auf dem Stuttgarter Kriegsberg zur Verfügung stehen, müssen wir unsere Zusammenkünfte in den Konferenzräumen des katholischen Dekanates ausrichten. Diese nüchternen Büros und Sitzungssäle sind bei weitem nicht so angenehm und ansprechend, wie die herrschaftlichen Salons jener Villa, in der Pfarrer Sauer während seiner Amtszeit residieren konnte. Viele Kollegen bedauern es sehr, dass wir Klinikseelsorger uns nun nicht mehr in altgewohnter Noblesse versammeln können. Hinzukommt, dass es im Zentrum von Stuttgart rund ums Dekanatamt keine freien Parkmöglichkeiten gibt, es sei denn, man stellt sein Auto in einer der umliegenden kostenpflichtigen Tiefgaragen ab oder benützt zur Anreise die öffentlichen Verkehrsmittel. Was mich bei dieser Sache aber wirklich belastet, ist das Gerücht, das von unserer Sauer-Karner-Mürther-Clique in Umlauf gebracht wurde, nämlich dass Sauer durch die ständigen Auseinandersetzungen mit einigen Kollegen sein Amt nicht mehr ausüben wollte und es vor allem wegen mir niedergelegt habe. Somit macht er unterschwellig mich dafür verantwortlich, dass wir uns nicht mehr in dieser schönen Villa auf dem Stuttgarter Kriegsberg treffen können. Doch wie dem auch sei, unsere Adventsfeier müssen wir nun auch in diesen nüchternen Räumen des Dekanatamtes abhalten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739491967
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Macht Demütigung Fürsorgepflicht Pfarrer Arbeitnehmerrecht Priester Rivalität Mobbing Biografie Verleumdung

Autor

  • Bernhard Veil (Autor:in)

Bernhard Veil absolvierte die mittlere Beamtenlaufbahn bei der Stadtverwaltung Aalen. Danach altsprachliches Abitur in Stuttgart, Theologiestudium in München und Jerusalem, Gemeindeseelsorger für Jugendarbeit und Erwachsenenbildung mit regelmäßigem Predigtdienst und Religionsunterricht in Böblingen und Ludwigsburg. Anschließend Klinikseelsorger in Stuttgart. Psychotherapeutische Ausbildung in München und Wien. Klinikseelsorger in Geislingen a.d.Steige und in vier Alten- und Pflegeheimen.
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Titel: Die Seelentöter – Band 6: Das Endspiel beginnt