Lade Inhalt...

Asche, Schnee und Blut

von Maya Shepherd (Autor:in)
80 Seiten
Reihe: Die Grimm-Chroniken, Band 2

Zusammenfassung

Die zweite Folge der ›Grimm-Chroniken‹ enthüllt ein Schneewittchen, wie es bisher niemand kannte. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, ebenso wie zwischen Wahrheit und Lüge, Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Realität. »Wer hat Ihnen das angetan?«, flüsterte Maggy. Der Mann richtete seine grauen Augen auf sie. »Schneewittchen«, stieß er mit seinem letzten Atemzug hervor, bevor sein Herz zum Stillstand kam.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Was zuvor geschah

1575-1590

Mutter Natur gewährt dem Landgutbesitzer von Ramersdorf und seiner Frau in einem harten und langen Winter einen Wunsch. Sie bitten daraufhin um ein Kind und erhalten eine Tochter, welche sie Mary nennen.

Mit der Geburt des Mädchens beginnen noch im Schnee plötzlich blutrote Äpfel an den Bäumen zu wachsen, welche die Menschen der Umgebung vor dem Hungertod retten.

Mary ist zudem von außergewöhnlicher Schönheit, welche den Neid einer Hexe weckt, die das Mädchen verflucht. Es darf niemals in einen Spiegel schauen, da sonst großes Leid über alle Menschen kommen wird, die es liebt.

Wegen des Fluches wächst Mary sehr abgeschieden auf und fühlt sich einsam. Ihre Eltern machen sich Sorgen um sie und veranstalten deshalb einen Maskenball, der es Mary ermöglichen soll, Gleichaltrige kennenzulernen. Dort trifft sie auf den jungen Apfelhändler Dorian und verliebt sich unsterblich in ihn.

2012

Der siebzehnjährige Will besucht seit seiner frühen Kindheit jeden Freitag seinen Vater Ludwig in der Psychiatrie. Dabei erhält er seelische Unterstützung von Maggy, die wie er im Heim aufgewachsen ist. Ludwig ist besessen von den Märchen der Brüder Grimm und verstrickt sich auch an diesem Nachmittag wieder in Andeutungen und Rätsel. Völlig genervt kehrt Will in die Wohngemeinschaft zurück, die er mit Maggy und ihrem Bruder Joe bewohnt.

Dort taucht am Abend ein seltsamer Besucher auf, der sich als Rumpelstein vorstellt, jedoch mehr an den Zwerg aus dem Märchen ›Rumpelstilzchen‹ erinnert. Der Mann überreicht Will einen Brief, in dem eine ominöse Königin namens Mary ihn bittet, mit dem Zug nach Königswinter zu reisen, um ihr im Kampf gegen ihre Tochter beizustehen. Diese bedrohe angeblich das Schicksal der gesamten Menschheit und Will sei der Einzige, der sie aufhalten könne.

Will glaubt Rumpelstein kein Wort und hält den Brief für einen schlechten Scherz. Seine Freunde Maggy und Joe überreden ihn, gemeinsam mit ihnen zur vereinbarten Zeit zu dem genannten Bahnhof zu gehen, um herauszufinden, wer wirklich hinter dem Schreiben steckt.

Zu ihrer großen Überraschung fährt dort jedoch tatsächlich ein Zug ein. Nach kurzer Unstimmigkeit wagen die drei, einzusteigen, und kommen am nächsten Tag in Königswinter an. Dort schneit es nicht nur roten Schnee vom Himmel, sondern die Stadt wirkt auch wie ausgestorben.

Der unheimliche Gesang von Kinderstimmen lockt sie in den dunklen Wald, wo sie auf ein Lebkuchenhaus stoßen, in dem sie aus Verzweiflung beschließen, die Nacht zu verbringen.

Das Schloss

Königswinter, im Lebkuchenhaus, Oktober 2012

In dem Lebkuchenhaus roch es nach abgestandener Luft, so als ob es schon lange niemand mehr betreten hätte. Maggys Nase kitzelte und sie konnte den Staub, der durch die Luft tanzte, förmlich spüren, auch wenn sie ihn in der Dunkelheit nicht sah.

Sie tastete sich mit dem schwachen Licht ihres Handys vorsichtig vorwärts, bis sie die gegenüberliegende Seite erreicht hatte. Dort roch es nach Asche, als befänden sich ganz in der Nähe die Reste eines längst verglühten Feuers.

Instinktiv drehte sie sich nach rechts. Nur zwei Schritte später stieß sie gegen einen festen Widerstand. Das Licht ihres Handys erlosch – der Akku musste den Geist aufgegeben haben. Ausgerechnet jetzt!

»Mags, ist alles okay?«, hörte sie Will rufen.

Die Jungs befanden sich auch irgendwo orientierungslos im Inneren des Hauses. Sie hörte ihre Jacken rascheln, als sie vermutlich nach ihren Handys suchten.

Blind ließ sie ihre Finger über den rauen Stein des Gegenstandes vor sich gleiten. Das Gefühl war ihr seltsam vertraut. Sie tastete über eine Art Prägung auf Höhe ihres Kopfes, als plötzlich ein gleißendes Licht direkt vor ihr emporschoss.

Entsetzt schrie sie auf, riss die Arme zum Schutz vor ihr Gesicht und taumelte rückwärts. Schlagartig spürte sie, wie sich eine angenehme Wärme in dem kleinen Häuslein auszubreiten begann.

Zögerlich ließ sie die Arme sinken und blickte blinzelnd in ein loderndes Feuer direkt vor ihr. Sie stand vor einem alten Steinofen, wie man ihn früher zum Backen von Brot verwendet hatte. Es schnürte sich ihr der Hals zu, als sie daran dachte, wofür die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel den Ofen benutzt hatte.

Erst das Lebkuchenhaus und nun auch noch der Ofen.

Sie drehte sich zu den Jungs um, die sie mit großen Augen anstarrten.

»Wie hast du das gemacht?«, wollte Joe staunend wissen.

Maggy konnte nur mit den Schultern zucken. Sie wusste es selbst nicht. Das Feuer hatte sich wie von Zauberhand entzündet.

Sie ließ den Blick durch den kleinen Raum wandern und entdeckte neben dem Ofen einen Tisch mit zwei Stühlen, ein schmales Bett, einen Schrank und ein Regal, das mit allerlei seltsamen Gegenständen gefüllt war. Bücher stapelten sich neben Dosen, Kästen und Einmachgläsern, deren Inhalt sich Maggy lieber nicht genauer ansehen wollte. In der Mitte des Raumes, dort, wo Joe und Will standen, befand sich ein roter Webteppich, der den einzigen Farbklecks in dem Zimmer darstellte. Es sah wirklich aus wie das Haus einer Hexe – jedes Detail stimmte, ob das Feuer im Ofen oder der Staub auf den Büchern.

Sie schüttelte irritiert den Kopf. Schlief sie immer noch? War das ein Traum?

Will bewegte sich langsam in ihre Richtung. Der Lebkuchen unter seinen Füßen knackte bei jeder Bewegung. Er hielt seine Hände vor die Flammen, um sie sich am Feuer zu wärmen. »Wenigstens brauchen wir nicht mehr zu frieren.«

Joe ließ sich auf dem Bett nieder, das auf seinen großen Körper mit einem gequälten Quietschen reagierte. »Manche Leute würden für eine Nacht in einem Lebkuchenhaus sicher eine Menge Geld bezahlen«, überlegte er laut. »Ich habe mal eine Dokumentation über die skurrilsten Hotels gesehen. Da waren Leute dabei, die haben tatsächlich dafür bezahlt, eine Nacht in einem Gefängnis verbringen zu dürfen. Verrückt, oder?«

Maggy schnaubte. »Wenn man uns beim Einbruch erwischt, bekommen wir eine kostenlose Übernachtung in der Arrestzelle.«

»Übertreib mal nicht«, versuchte Will, sie zu beschwichtigen. »Wir befinden uns schließlich in einer Notlage.« Er ließ sich auf einem der beiden Stühle nieder.

»Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin ziemlich müde«, meinte Joe gähnend. »Bis es hell ist, können wir ohnehin nichts machen …«

Seine Schwester fiel ihm ins Wort: »Du willst doch jetzt nicht etwa schlafen?«

»Was sollen wir sonst tun?«, entgegnete Joe unbekümmert.

»Es könnte jemand versuchen, in das Haus zu gelangen!«

»Dann schließ die Tür ab.«

Joe ließ sich samt Schuhen in das Bett sinken. Maggy hatte das schon früher aufgeregt, als sie sich im Heim ein Zimmer geteilt hatten. Die Bettwäsche würde bestimmt Flecken bekommen. Auch wenn dieses Haus unbewohnt schien, sollte man trotzdem zumindest den Anstand wahren. Es war jedoch sinnlos, Joe darauf hinzuweisen. Dann würde er es erst recht machen.

»Setz dich, Mags«, forderte Will sie auf und klopfte auf den Stuhl neben sich. »Wir sind lange gelaufen und ein bisschen Ruhe wird uns guttun.«

Erst als sie seiner Aufforderung Folge leistete und sich niedersinken ließ, spürte sie, wie müde sie war. Der Schrecken der vergangenen Stunden saß ihr noch in den Gliedern und nur langsam schaffte es die Wärme des Feuers, diesen zu lindern.

Erst holte ein Zug sie an einem stillgelegten Bahngleis ab, dann landeten sie in einer verlassenen Stadt. Es fiel blutroter Schnee vom Himmel und unsichtbare Kinder lockten sie mit ihrem schaurigen Gesang in einen finsteren Wald, wo das Mondlicht sie zu einem Lebkuchenhaus führte. Es war wie im Märchen, nur dass es keine Gutenachtgeschichte war.

Maggys Magen knurrte, aber sie bezweifelte, dass sie in diesem Haus etwas Essbares finden würde. Und so schloss sie ebenfalls die Augen, als sie Joe leise in der Ecke schnarchen hörte und Will mit dem Kopf auf den Tisch gesunken war.

Will fuhr aus dem Schlaf hoch, als er von einem Hämmern gegen die Tür geweckt wurde. Schwaches Morgenlicht fiel durch die schmutzigen Fenster, gerade genug, um in dessen Schein die Staubkörner durch die Luft tanzen zu sehen. Sein Blick glitt zu Maggy, die schlaftrunken irgendetwas von der Polizei murmelte, worauf Joe mit einem Tzzz reagierte.

Wills Muskeln schmerzten von der Nacht auf dem harten Stuhl. Er fühlte sich wie gefangen in dem Körper eines alten Mannes, als er sich ächzend erhob und zur Tür schlurfte. Das Klopfen war von einer unnachgiebigen Dringlichkeit.

»Wer ist da?«, rief er gegen die geschlossene Tür.

»Der königliche Abholservice«, antwortete ihm eine mittlerweile bekannte männliche Stimme vorwitzig.

Als Will öffnete, blickte er auf Rumpelstein hinab.

Woher wusste er, wo sie waren? Doch eigentlich sollte ihn das nicht wundern, nach dem, was sie am vergangenen Tag erlebt hatten. Nichts, was bisher in Königswinter geschehen war, ließ sich logisch erklären.

»Was machen Sie hier? Wollten Sie uns nicht am Schloss treffen?«, entgegnete Will deshalb nur, worauf Rumpelstein mit einem verschlagenen Grinsen reagierte.

»Ich dachte mir, ich sollte dafür sorgen, dass ihr nicht vom Weg abkommt, nachdem die Vögel eure Brotkrumen verspeist haben.«

»Was für Brotkrumen?«, meldete sich Maggy hinter Will zu Wort.

»Jene, die ihr in der Nacht ausgestreut habt, um euch nicht zu verlaufen.«

»Das war kein Brot, sondern Perlen.« Ihr Magen stimmte dem mit lautem Knurren zu.

Hätten sie Brot bei sich gehabt, hätten sie es gewiss nicht auf dem Waldweg verstreut, sondern selbst gegessen.

»Seid ihr etwa hungrig?«, zog der Zwerg sie gehässig auf.

Maggy errötete, obwohl es keinen Grund gab, sich zu schämen, immerhin hatte sie zuletzt vor über vierundzwanzig Stunden etwas gegessen. »Haben Sie etwas dabei oder können Sie mir sagen, wo ich etwas kaufen kann?«

Rumpelstein sah sie an, als hätte sie ihn gefragt, wie sie auf dem schnellsten Weg zum Mond gelangen könnte. Doch dann griff er in eine Tasche seines abgetragenen Mantels und warf ihr blitzschnell einen funkelnden Gegenstand zu.

Maggy schaffte es gerade so, ihn aufzufangen, und blickte verwundert darauf hinab. In ihren Händen lag ein goldener Apfel.

Joe beugte sich staunend über ihre Schulter, um sich das Obst genauer anzusehen. Sein kurzes blondes Haar war noch von der Nacht zerzaust. »Wow! Kann man den essen?«

»Auf eigene Gefahr«, scherzte der kleine Mann. »Ich habe ihn auf dem Weg hierher frisch aus dem Garten der Königin gepflückt.«

Maggy betrachtete die runde Frucht skeptisch. »Wenn es ein Apfel der Königin ist, müsste er dann nicht rot sein?«

Rumpelstein verzog missbilligend das Gesicht. »Es ist bedauerlich, wie wenig ihr über unsere Welt wisst. Rot ist die verbotene Farbe.«

»Warum ist sie verboten?«

»Ist das nicht offensichtlich?«, entgegnete er mit dem verschlagenen Grinsen, das so typisch für ihn war. Damit sah er wirklich wie die hinterhältige Gestalt aus, die sie aus dem Märchen kannten.

»Nein, ist es nicht. Was ist mit der Farbe Rot?«

Das Männlein räusperte sich. »Das werdet ihr noch früh genug erfahren.« Dann klopfte es demonstrativ gegen das Lebkuchenhaus. »Ihr wohnt in einem Haus, das praktisch nur aus Süßigkeiten besteht, und fragt mich nach etwas zu essen?« Geschickt brachte es sie auf ihr eigentliches Thema zurück.

»Das kann man nicht essen«, widersprach Joe energisch. »Ich habe es selbst probiert.«

Darüber konnte Rumpelstein nur lachen. Er brach sich ein Stück von einem der Fensterläden ab und biss hinein. Noch während er darauf herumkaute, sagte er: »Also mir schmeckt es vorzüglich. Seid ihr sicher, dass ihr nicht kosten möchtet?« Seine krummen Finger brachen noch ein Stück ab, das er Will lockend unter die Nase hielt.

Es duftete verführerisch nach Honig und Zimt. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er rechnete mit einer bitteren Enttäuschung, als er sich tatsächlich dazu überwand, das Stück anzunehmen und hineinzubeißen. Doch es war genauso lecker, wie es roch – süß und klebrig. Er nahm gierig einen zweiten Bissen. In einer Wahnvorstellung – denn etwas anderes konnte es nicht sein –, in der blutiger Schnee vom Himmel fiel, war es auch möglich, Häuser zu essen.

Maggy verstaute den goldenen Apfel in ihrer Manteltasche und tat es Will nach, während Joe sie fassungslos musterte.

»Aber ich habe es gestern Abend doch selbst probiert«, stammelte er. Er brach sich nun ebenfalls ein Stück ab, doch als er hineinbiss, war es genauso ungenießbar wie beim letzten Mal. Angeekelt spuckte er es vor sich auf den mit Schokolinsen verzierten Weg. »Was ist das für ein Trick?«, schimpfte er frustriert.

Maggy und Will hörten auf, sich die Süßigkeiten in den Mund zu stopfen.

»Schmeckt es dir nicht?«, wunderte sich Maggy.

»Das ist Pappe!«

»Nein, es sind Schokolade und Lebkuchen«, beharrte sie und hielt ihm ihr Stück unter die Nase. »Riechst du es nicht?«

Joe gab sich die größte Mühe, irgendetwas zu riechen, doch er nahm lediglich den penetranten Schweiß- und Uringestank wahr, der von Rumpelstein ausging.

»Probier meins«, schlug Maggy ihm einladend vor. »Vielleicht hast du nur zufällig zweimal ein schlechtes Stück erwischt.«

Entnervt nahm Joe ihr den Lebkuchen aus der Hand und biss hinein. Es war, als würde er in einen Karton beißen – widerlich. Er spuckte auch dieses Stück angeekelt auf den Boden. Wenn er wenigstens etwas zu trinken hätte, um den unangenehmen Geschmack wegzuspülen.

»Ich will nach Hause«, knurrte er miesepetrig.

»Nicht so schnell«, rief ihr Gastgeber dazwischen. »Erst müsst ihr erledigen, weshalb ihr gekommen seid.«

»Wir müssen gar nichts!«, widersprach Joe ihm aufgebracht. »Wir werden mit dem nächsten Zug nach Hause …«

Rumpelstein begann aus vollem Hals höhnisch zu lachen. Sein ganzer Körper bog sich vor Belustigung. »Einfaltspinsel, es fährt kein Zug!«

»Wie hast du mich genannt?«, stieß Joe drohend aus und machte einen Schritt auf den Mann zu, der beinahe nur halb so groß war wie er.

Der Zwerg hob warnend seinen Zeigefinger. »Ihr kanntet den Preis für die Zugfahrt«, erinnerte er sie. »Ihr könnt nur vor, nicht zurück. Entscheidungen bringen Konsequenzen mit sich und ihr seid gezwungen, mit diesen zu leben.«

Joe ballte seine Hände wütend zu Fäusten. »Zur Not laufen wir nach Hause«, brüllte er aufgebracht. »Wir haben dieses kranke Spiel lange genug mitgemacht.«

Rumpelstein schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Sieh an! Wenn der immer hungrige Junge nichts zu essen bekommt, wird er zum Tier.«

Joe packte ihn blitzschnell am Kragen und hob ihn vom Boden, sodass seine kurzen Beine in der Luft baumelten. »Ich zeige dir gleich …«

Maggy eilte dem Männlein zu Hilfe und schlang ihre Hände um den linken Arm ihres Bruders. »Lass ihn wieder runter«, forderte sie besorgt.

Joe wollte ihr keine Angst machen, doch als er sah, dass dieser Halunke frech grinste, begann er, ihn zu schütteln. »Wenn ich mir diesen Zwerg erst einmal vorknöpfe, wird es nicht lange dauern und er verrät uns, wie wir wieder nach Hause kommen.«

»Beruhige dich bitte«, flehte Maggy den Tränen nahe.

Doch meistens, wenn jemand Beruhige dich sagt, bewirkt er damit genau das Gegenteil. Dazu schien Rumpelstein sich köstlich über die Wut des Jungen zu amüsieren. Dabei erinnerte er immer mehr an die boshafte Gestalt aus dem Märchen ›Rumpelstilzchen‹. Sein Lachen stachelte Joes Zorn noch mehr an.

»Versuch es nur«, forderte er ihn frech heraus.

Nun griff auch Will ein, der Streit von jeher verabscheute. »Hört auf! Das führt zu nichts.«

Joe zögerte noch einen Moment, ehe er nachgab und den Zwerg so ruckartig losließ, dass dieser anstatt auf seinen Füßen auf den Knien landete. Es schien ihm jedoch nichts auszumachen, denn er klopfte sich lediglich den Dreck von der Hose, als er wieder aufstand.

Will wandte sich an ihn: »Wenn wir Ihnen zu diesem Schloss folgen und versuchen, zu tun, was auch immer Sie von uns verlangen, werden Sie uns dann gehen lassen?«

»Ihr werdet dann nicht mehr gehen wollen«, prophezeite der kleine Mann.

»Und wenn wir scheitern? Zeigen Sie uns dann trotzdem, wie wir wieder nach Hause kommen?«

Rumpelstein wurde ernst – so schlagartig, als trüge er verschiedene Masken bei sich, die er je nach Belieben wechseln konnte. »Wenn ihr scheitert, wird es keinen Ort mehr geben, den ihr Zuhause nennen könntet. Wenn ihr scheitert, wird die Welt untergehen. Wenn ihr scheitert, wird es weder euch noch mich länger …«

Maggy schnitt ihm das Wort ab: »Wir haben es verstanden! Wir dürfen nicht scheitern.« Sie schaute beschwörend zu ihrem Bruder. »Lass uns zu diesem Schloss gehen. Ich will es mir nur einmal anschauen, sonst haben wir den weiten Weg völlig umsonst gemacht.«

Joe wollte bereits ablehnen, doch da setzte sie ein verzweifeltes »Bitte!« hinterher. Sie blickte mit ihren großen braunen Rehaugen zu ihm auf, als hinge ihr Herz an dem Wunsch, dieses Schloss zu sehen. Er war ihr großer Bruder und der Fluch eines jeden großen Bruders ist, dass er seiner kleinen Schwester nur schwer etwas abschlagen kann, ohne sich danach mit einem schlechten Gewissen quälen zu müssen.

»In Ordnung«, gab er widerwillig nach. »Aber sobald wir merken, dass wir diesem Halunken erneut in die Falle gehen, kehren wir sofort um.«

»Abgemacht«, stimmten Maggy und Will ihm gleichzeitig zu.

Rumpelstein klatschte erfreut in die Hände, als habe er nur auf sein Stichwort gewartet. Trotz seiner krummen Beine war er erstaunlich schnell unterwegs, als er vor ihnen den Waldweg entlanghüpfte.

Sie ließen das Lebkuchenhaus hinter sich zurück und erwarteten nicht, dass sie je wiederkommen würden. Maggy war die Einzige, die sich noch einmal fasziniert umdrehte, um den vielen Süßigkeiten ihre Bewunderung zu erweisen.

Bei Tageslicht waren sie in ihrer Farbenpracht noch beeindruckender als bei Nacht. Selbst das Dach, welches sie in der Dunkelheit kaum hatten erkennen können, zeigte sich nun als eine gewaltige Ansammlung von allem, was süß und klebrig war. Neben den weichen Marshmallows befanden sich auch Bonbons zur Zierde um jeden einzelnen schokoladigen Dachziegel. Der Schornstein war komplett aus Muffins erbaut.

Dieses Haus war der Traum eines jeden Kindes. Wenn man dem Märchen jedoch glauben durfte, hatte es den meisten von ihnen den Tod gebracht.

Dieser Gedanke war es, der Maggy den Blick wieder nach vorn richten ließ.

Es schneite nicht mehr, dennoch war es so kalt, dass sich alle drei nach Mützen, Handschuhen und Schals sehnten. Der Frost hatte den Wald in eine weiße Winterlandschaft verwandelt. Sämtliche Blätter und Grashalme waren mit Reif überzogen.

Umso deutlicher waren in den kahlen Baumspitzen die schwarzen Vögel zu erkennen, die sie mit Argusaugen zu verfolgen schienen. Sie waren viel größer als die Krähen, die ihnen aus Berlin bekannt waren. Beinahe dreimal so groß. Ihr dunkles Gefieder glänzte bei einfallendem Sonnenlicht violett, blau und grün. Sie wirkten anmutig, aber dennoch unheimlich.

Erst war es nur einer, doch je weiter sie gingen, umso mehr Vögel schienen es zu werden. Sie hatten sich über den gesamten Wald verteilt, um keinen ihrer Schritte zu verpassen. Ihr starrer Blick war stets auf sie gerichtet. Wenn sie die Richtung änderten, wandten auch die Tiere ihre Köpfe. Es waren stumme Beobachter.

Maggy erinnerte sich an Ludwigs Angst vor den Vögeln. Er hatte behauptet, es seien Späher der Königin. Will hatte seine Worte als Irrsinn abgetan, doch jetzt kamen sie Maggy wieder in den Sinn. Sie beeilte sich, zu Rumpelstein aufzuschließen.

»Die Vögel in den Bäumen«, setzte sie neugierig an. »Sind das Krähen oder Raben?«

Der kleine Mann wandte ihr den Kopf zu. Ein anerkennendes Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen. »Du hast sie bemerkt?«

»Sie sind über den ganzen Wald verteilt und beobachten uns.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Maggy hatte keinen Zweifel daran, dass es so war.

»Es sind Raben«, beantwortete Rumpelstein ihre Frage. »Aufmerksame und intelligente Tiere. Ihrem Blick entgeht nichts.«

Maggy wusste nicht, wie sie ihre nächste Frage formulieren sollte, ohne sich verrückt anzuhören. Aber konnte sie vor jemandem wie Rumpelstein überhaupt verrückt erscheinen? Warum kümmerte es sie?

»Lass mich raten«, ergriff plötzlich Will das Wort, der ihrem Gespräch gelauscht hatte. »Es sind Spione der Königin?« Seine Stimme klang verächtlich.

Es wunderte Maggy, dass er sich an die Worte seines Vaters erinnerte. Für gewöhnlich gab er vor, sie zu vergessen, sobald sie dessen Zimmer in der Charité verließen. Er behauptete immer, dass es Ludwigs Irrsinn nicht wert wäre, sich daran zu erinnern.

Rumpelstein hob die Augenbrauen. »Sieh an, du hast also doch nicht alles vergessen?«

Will schnaufte. »Ich habe nur geraten. Es erschien mir als etwas, das jemand wie Sie behaupten könnte.« Er sagte ihm nicht die Wahrheit, erzählte ihm nicht von seinem Vater.

Maggy betrachtete die Vögel über ihren Köpfen. Ein Schaudern ging durch ihren Körper und mit einem Mal war ihr noch kälter.

»Ein bisschen Beeilung«, tadelte Rumpelstein sie. »Je früher wir das Schloss erreichen, desto weniger Menschen müssen sterben.«

Es war erstaunlich, wie schnell er sich durch den Wald bewegen konnte. Er schien jede Wurzel, die sich aus dem Boden erhob, und jeden Stein, der im Weg lag, zu kennen.

»Was soll das heißen?«, fragte Maggy, die sich über die Wortwahl ihres Reiseleiters wunderte.

»Ihr seid nicht die Einzigen, die versuchen werden, Schneewittchen einen Pflock ins Herz zu jagen. Aus allen Himmelsrichtungen wagen sich die stärksten Männer hierher, um sich als Helden zu rühmen. Jedoch seid ihr die Einzigen, die es schaffen könnten.«

Will konnte sich nur schwer vorstellen, an diesem abgelegenen Ort auf andere Menschen zu treffen. »Einen Pflock?«, wiederholte er skeptisch. »Ist sie nicht an einem Stück Apfel erstickt?«

Er konnte sich vage an den Disneyfilm erinnern, den er Maggy zuliebe schon einige Male über sich hatte ergehen lassen. Meistens war er dabei jedoch eingeschlafen und hatte nur kurz vor dem Ende die Augen aufgeschlagen, um zu sehen, wie ihr vor Rührung Tränen über die Wangen liefen. Natürlich hatte er ihr jedes Mal zugestimmt, dass es ein äußerst ergreifender Film gewesen sei.

Rumpelstein gab ein missbilligendes Schnaufen von sich. »Alles Lügen!«, schimpfte er, während die gefrorenen Blätter unter seinen Füßen knisterten. »Dafür könnt ihr euch bei Jacob bedanken. Wer erstickt schon an einem Apfelstück und wacht wieder auf, sobald dieses aus dem Hals rutscht?«

Ausgerechnet er kam ihnen nun mit Logik!

Diese Neuigkeit verwirrte Maggy. Der Apfel war doch das zentrale Element im Märchen. Immer wenn sie einen rotbackigen Apfel sah, musste sie automatisch an Schneewittchen denken. Wenn es gar kein Apfelstück gewesen war, das ihr aus dem Hals geglitten war, welche Bedeutung hatte der Apfel dann? Sie schloss gedankenverloren ihre Hand um die goldene Frucht in ihrer Manteltasche.

»Also ein Pflock«, murmelte Will nachdenklich. Der Begriff war ihm aus anderen Mythen bekannt. »Ist Schneewittchen ein Vampir?«

»Ist das nicht offensichtlich?«, entgegnete Rumpelstein verwundert. »Haut so weiß wie Schnee. Lippen so rot wie Blut … Jacob hat sich nicht gerade Mühe gegeben, dieses Detail zu verheimlichen.«

Maggy war sprachlos. Eine ihrer geliebten Kindheitsheldinnen sollte ein blutrünstiges Monster sein? Das wollte und konnte sie nicht glauben! Schneewittchen war der Inbegriff alles Guten und Reinen. Sie sang mit den Tieren, machte den Zwergen den Haushalt, war gütig und bescheiden. Es musste sich um einen Irrtum oder eine böswillige Lüge handeln. Warum sollte sie Rumpelstilzchen, der bekanntermaßen einer der Bösen war, glauben?

Bisher hatte sie jedes seiner Worte mit großer Begeisterung wie ein Schwamm das Wasser in sich aufgesogen, weil sie von den Geschichten handelten, die sie seit ihrer Kindheit liebte. Sie mochte an ihnen besonders, dass gute Menschen irgendwann belohnt und die Bösen ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden. Das wahre Leben war selten fair oder gerecht, das hatte sie oft genug am eigenen Leib erfahren müssen.

Will zeigte sich von dieser Neuigkeit weniger beeindruckt. Vielleicht, weil er weder an vergiftete Äpfel noch an Vampire glaubte. »Also stoßen wir ihr den Pflock ins Herz und dann können wir nach Hause gehen?«

Er hatte von seinem Vater gelernt, dass man einen Verrückten niemals auf seinen Wahnsinn hinweisen durfte. Bei ihm hörte sich der Plan an, als wäre es Kinderspiel.

»Ganz so einfach ist es nicht, sonst könnte jeder sie mit etwas Geschick töten«, widersprach Rumpelstein ihm tadelnd. »Hier kommst du ins Spiel, mein alter Freund.«

Will rümpfte die Nase. Er ging schon gar nicht mehr auf die seltsamen Anspielungen des Zwerges ein. »Ach, und was unterscheidet mich von all den anderen?«, fragte er eher gelangweilt.

»Deine Gabe.«

»Was für eine Gabe?« Auch wenn Will sich dagegen sträubte, so war insgeheim sein Interesse nun doch geweckt.

Rumpelstein war stehen geblieben und trat dicht auf Will zu, der sich zwingen musste, nicht vor ihm zurückzuweichen. Nicht aus Angst, sondern wegen des Gestanks. Der kleine Mann sah ihn bedeutungsvoll an. Zum ersten Mal fiel Will die Farbe seiner Augen auf. Sie waren bernsteinfarben und leuchteten wie flüssiges Gold. Er senkte seine Stimme, als er sprach: »Du musst sie nicht nur in der Realität töten, sondern vor allem in ihrem Traum, denn nur dort ist sie verwundbar.«

Wie nicht anders zu erwarten, ergaben Rumpelsteins Worte keinen Sinn. »Wie soll ich in ihren Traum gelangen?«

»Nur wer ein Teil der Geschichte ist, kann sich Zutritt verschaffen.«

Joe stöhnte genervt auf. Das alles war doch völlig sinnlos. So würden sie niemals nach Hause kommen! »Rumpelstein, hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen, und sagen Sie uns, was wir zu tun haben.«

Sie traten gerade aus dem Wald hinaus auf eine Art Lichtung. Der Anblick, der sich ihnen dort bot, verschlug den dreien die Sprache: Auf einem Berg direkt vor ihnen thronte majestätisch das Schloss. Die Herbstsonne, deren schwache Strahlen nicht genug Wärme besaßen, um die Eiskruste der Blätter zum Schmelzen zu bringen, ließ das Schloss in einem märchenhaften Glanz erstrahlen. Die reifbedeckten Dächer funkelten so hell, als wären sie Spiegel, die das Licht der Sonne reflektierten. Das Gemäuer war aus sandfarbenem und burgunderrotem Stein. Eine Mauer zog sich rund um das Gebäude.

Es gelang ihnen nur mit Mühe, den Blick von dieser Schönheit loszureißen.

Die Ablenkung schien ihrem Reiseleiter geradezu gelegen gekommen zu sein, denn dieser war mal wieder verschwunden.

Joe schlug wütend die Hände zusammen. »Na klar, lass uns im Stich«, fluchte er laut. »Verdammter Zwerg!«

Maggy beachtete ihren Bruder nicht, denn ein Schild, das mitten auf der Lichtung stand, hatte ihre Aufmerksamkeit erweckt. Es war alt und verwittert. Das Moos, welches sich über das morsche Holz zog, erschwerte es, die Inschrift zu lesen. Sie fuhr mit ihrem Mantelärmel darüber, der danach grün verfärbt war, doch zumindest war nun die Prägung zu erkennen:

Schloss Drachenburg

Östlich der Sonne und westlich des Mondes

Schneewittchens Opfer

Königswinter, im Siebengebirge, Oktober 2012

Bis sie das Schloss erreichten, war es schon später Mittag. Der Weg war anstrengend gewesen, da sich das Schloss auf halber Höhe eines Berges befand, welcher Drachenfels genannt wurde. Es war somit die ganze Zeit nur bergauf gegangen.

Zumindest hatte die Bewegung sie warm gehalten. Im Verlauf des Tages hatten sich immer mehr Wolken vor die Sonne geschoben. Sie nahmen den unbeschreiblichen Geruch von Schnee wahr. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis wieder dicke Flocken vom Himmel fallen würden. Ihr Atem hinterließ bereits kleine Wolken in der Luft.

Als die drei an der Schlossmauer entlang zum Tor liefen, hielt Joe sich den Bauch, weil sein Hunger mittlerweile unerträglich war. Während zu ihrer rechten Seite eine dicke, mit Efeu bewachsene Mauer verlief, entdeckte er zu ihrer Linken Schienen wie von einer Straßenbahn im Boden. Er folgte ihnen mit den Augen und konnte direkt gegenüber dem Haupteingang des Schlosses eine Art Unterstand wie von einer Bushaltestelle ausmachen.

»Das glaube ich jetzt nicht«, stieß er voller Frustration aus.

Will und Maggy zuckten bei seinem Ausbruch zusammen, erkannten aber sogleich den Grund für seine Wut. Ein großes Schild wies auf die Drachenfelsbahn hin, die vom Tal in Königswinter bis hinauf zur Spitze des Drachenfelsen fuhr und einen Zwischenstopp bei Schloss Drachenburg einlegte.

Hätten sie sich die vielen mühsamen Schritte ersparen und es so bequem und einfach haben können?

Will konnte noch nicht recht daran glauben, denn es erschien ihm zweifelhaft, dass in diesem Ort, wo sie keine Menschenseele außer Rumpelstein angetroffen hatten, eine Bergbahn verkehren würde, für die man sich ein Ticket kaufen konnte. Zumal auf ihrem Weg keine Bahn an ihnen vorbeigefahren war.

»Das sieht diesem gemeinen Zwerg ähnlich, uns hier wie Idioten hinauflaufen zu lassen, während er vornehm mit der Bahn fährt, um dann plötzlich wie von Zauberhand am Schloss wieder bei uns aufzutauchen. Wir würden uns dann wundern, wie er das mit seinen krummen Beinen so schnell geschafft haben kann«, schimpfte Joe außer sich. Der Hunger machte ihn noch leichter reizbar.

»Immer mit der Ruhe«, versuchte Maggy, ihn zu beruhigen, und marschierte auf die Haltestelle zu. Ihr schien der Aufstieg am wenigsten auszumachen, denn mit jedem Schritt, den sie dem Schloss näher kamen, wuchs ihre Aufregung.

Will wusste nicht, was sie erwartete oder hoffte, zu finden. Sie konnte doch nicht ernsthaft annehmen, dass dort ein Glassarg mit einem schlafenden Schneewittchen stehen würde. Und selbst wenn, wäre sie nicht die unschuldige Schönheit, die sie aus dem Märchen kannten. Rumpelstein hatte sie als blutrünstigen Vampir dargestellt, aber auch ihm war nicht zu trauen.

»Joe, du regst dich völlig umsonst auf. Die Drachenfelsbahn verkehrt zu dieser Jahreszeit nicht. Sie ist außer Betrieb«, verkündete Maggy ihrem Bruder, den diese Information jedoch keineswegs besänftigte.

»Können wir jetzt bitte in dieses blöde Schloss gehen, damit wir dann so schnell wie möglich nach Hause fahren können?«, maulte er voller Desinteresse.

Sie befanden sich nun vor dem großen Torbogen, der den Eingang des Verkaufshäuschens durch eine kleine Brücke von der Haltestelle der Drachenfelsbahn trennte. Vielleicht war ihr Ausflug auch an dieser Stelle vorbei, denn ein Verkaufshäuschen erforderte zumindest eine lebende Person, die einen Ticketschalter bedienen konnte.

Will wusste nicht, ob er darauf hoffen sollte. Während Maggys Vorfreude mit jedem Schritt gewachsen war, beschlich ihn immer mehr ein ungutes Gefühl. Ihre Reise entwickelte sich zu einer Irrfahrt. Odysseus war der Einzige, der lebend von der nach ihm benannten Odyssee zurückgekehrt war – all seine treuen Gefährten hatten ihr Leben lassen müssen.

Will könnte es nicht ertragen, wenn ihre Reise genauso enden würde. Maggy und Joe waren die einzigen Menschen, die ihm etwas bedeuteten, abgesehen von seinem Vater. Er schwankte zwischen Angst und der Weigerung, zu glauben, dass irgendetwas von dem, was bisher geschehen war, real sein konnte. Nichts ergab einen Sinn – war es deshalb unmöglich?

Sie überquerten die Brücke und fanden sich vor einer gläsernen Flügeltür wieder, die einen Einblick in das Verwaltungsgebäude gewährte. Nirgendwo brannte ein Licht oder war ein Mensch zu sehen, sodass Will sich sicher war, dass die Türen verschlossen waren. Doch als Maggy dagegen drückte, gaben sie nach und ließen sie in einen kleinen Vorraum mit einem Verkaufstresen ein, auf dem sich eine moderne Kasse befand. Personal gab es jedoch keines.

»Hallo? Ist hier jemand?«, rief Maggy laut. Ihre Stimme zitterte leicht vor Nervosität.

Wills Herz schlug nun ebenfalls schneller, auch wenn er sich das nur schwer eingestehen konnte.

Es blieb still und keiner meldete sich.

»Niemand da. Lasst uns wieder gehen«, meinte Joe erleichtert und wandte sich bereits zum Gehen. Spürte er ebenfalls diese Unruhe? Hatte er es deshalb so eilig?

»Nicht so schnell«, fauchte seine Schwester gereizt und lief weiter in den Raum hinein.

Das Dach bestand komplett aus Glas, sodass kaum Licht benötigt wurde, um das Innere zu erhellen. Maggy wirbelte Staub auf, der vermuten ließ, dass schon lange niemand mehr hier gewesen war. Aber am Boden entdeckte sie frische Fußspuren, die quer durch den Raum in Richtung des Schlosses führten. Es gab jedoch keine, die wieder aus dem Raum hinausführten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739426761
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (September)
Schlagworte
Grimm Rumpelstilzchen Königswinter Schloss Märchenadaption Märchen Schneewittchen Vampire Drachenburg Hexenverbrennung Romance Fantasy düster dark Historisch

Autor

  • Maya Shepherd (Autor:in)

Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, Tochter und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren.
Zurück

Titel: Asche, Schnee und Blut