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I´M ADDICTED to you

von Claire O'Donoghue (Autor:in)
214 Seiten

Zusammenfassung

Hailey Michaels ist eine selbstbewusste, junge Frau, bis ein schrecklicher Unfall für immer ihr Leben verändert. Sie zieht sich zurück und versteckt ihre körperlichen und seelischen Narben vor den Augen ihrer Mitmenschen. An so etwas wie Liebe glaubt sie schon lange nicht mehr. Welcher Mann würde sich auch für die Art von Frau, die sie jetzt nun einmal war, noch interessieren? Als dann allerdings Tyler Krayne wieder in ihr Leben tritt, gerät ihr Entschluss, sich von diesem Mann fernzuhalten, ins Wanken. Doch Hailey wehrt sich gegen die Gefühle, die ihre große Liebe aus vergangenen Tagen noch immer in ihr auslöst und versucht alles, um den attraktiven Herzensbrecher auf Distanz zu halten. Was sie jedoch nicht ahnt: Tyler ist nicht zufällig hier, denn Hailey befindet sich in großer Gefahr! *** Dieses Buch ist der Folgeroman der Bestseller: - "I´m dreaming of you" - "I´m fighting for you" - "I´m thinking of you" - "I´m waiting for you" Alle Teile sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. *** Enthält erotische Liebesszenen. ***

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

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Es war bereits weit nach Mitternacht, als meine Schicht im Harvey´s zu Ende ging und ich endlich in meinen wohlverdienten Feierabend starten konnte.

Langsam ließ ich den Blick über den leeren Parkplatz schweifen. Alle anderen Kellner hatten die Bar bereits verlassen und auch ich hatte mich schon mit ihnen auf dem Weg nach draußen befunden, als ich plötzlich bemerkte, dass ich meine Handtasche im Spind vergessen hatte. So war mir nichts anderes übrig geblieben, als noch einmal in den Aufenthaltsraum zurückzukehren, um sie zu holen. Und jetzt, wenige Minuten später, stand ich zusammen mit meinem alten, dunkelgrünen Ford einsam und verlassen vor dem Eingang der Bar, während von meinen Arbeitskollegen jegliche Spur fehlte.

Na toll!

Ein Frösteln durchlief meinen Körper. Automatisch schlang ich die Arme fester um mich und beschleunigte den Schritt. Das hier erinnerte mich total an diese alten Horrorstreifen, in denen durchgeknallte Serienmörder ihr Unwesen trieben und mit einem gezückten Messer in der Hand hinter der nächsten Ecke lauerten, um einer kleinen, wehrlosen Kellnerin die Kehle aufzuschlitzen.

Ich schüttelte mich und schob diesen grausigen Gedanken schnell wieder beiseite, was mir auch mehr oder weniger gut gelang, bis mich ein dumpfes Geräusch aus einer der Seitengassen zusammenzucken ließ.

Mir stockte der Atem.

All meine Nackenhaare stellten sich auf und plötzlich beschlich mich das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Ich hielt den Atem an und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit, genau in die Richtung, aus der das Geräusch soeben gekommen war. Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nichts Ungewöhnliches erkennen.

Was war nur los mit mir? Wurde ich jetzt etwa paranoid? Wahrscheinlich war es bloß wieder eine dieser streunenden Katzen gewesen, die nachts die Mülltonnen nach Essensresten durchwühlten, versuchte ich mich und meinen rasenden Herzschlag wieder zu beruhigen.

Ich stieß zitternd die Luft aus und ärgerte mich gleichzeitig über mich selbst. Seit wann war ich denn zu einem solchen Angsthasen geworden?

Bloß, weil Nathan gestern dachte, ohne Vorwarnung einfach so vor meiner Wohnung auftauchen zu müssen und mir dabei jede Menge unangenehmer Fragen über Amys Verschwinden zu stellen, musste ich ja nicht gleich ausflippen, oder?

Also atmete ich ein paar Mal tief durch und versuchte, meine flatternden Nerven wieder unter Kontrolle zu bringen, doch das war gar nicht so leicht. Auch wenn ich niemanden sah, blieb dennoch dieses mulmige Gefühl, nicht alleine zu sein.

Hailey, reiß dich zusammen!

Okay, ganz ruhig! Vermutlich ging nur mal wieder meine Fantasie mit mir durch. Ich sah eindeutig zu viele Horrorfilme. So etwas konnte ja auf Dauer nicht gesund sein. Ich räusperte mich und schüttelte über mich selbst den Kopf. Dann setzten sich meine Beine wieder in Bewegung. Während ich hastig auf meinen Wagen zusteuerte, kramte ich fast schon verzweifelt in meiner Handtasche nach dem Schlüssel.

Wo steckte er bloß? Und wer zur Hölle war nur auf diese bescheuerte Idee gekommen, diese riesigen, überdimensionalen Handtaschen zu erfinden? Man konnte alles Mögliche darin finden, außer das, was man gerade suchte. Nämlich seinen verflucht beschissenen Autoschlüssel! Irgendwo musste dieses Drecksteil doch sein?! Das Zuknallen einer Autotür ließ mich erneut zusammenfahren.

Oh, Gott!

Hektisch suchte ich mit zitternden Händen weiter nach meinem Schlüssel. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde ich schließlich auf dem Grund der Tasche fündig. Kurz davor, panisch zu werden, zerrte ich ihn hervor und steckte ihn mit einem undamenhaften Grunzen ins Schloss.

Fast schon filmreif sprang ich in den Wagen und verriegelte sofort hinter mir die Tür. Sicher war sicher. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie Amy all die Jahre mit dieser ständigen Angst im Nacken überhaupt leben konnte?! Während ich lieber nicht genauer darüber nachdenken wollte, startete ich den Motor, stellte den Hebel auf drive und ließ den Wagen vom Parkplatz rollen. In Höhe der Seitengasse warf ich noch einmal einen kurzen Blick aus dem Fenster.

Und da sah ich ihn!

Denselben schwarzen Geländewagen, der mir bereits vor einigen Tagen aufgefallen war, weil er so überhaupt nicht in diese Gegend hier passte.

»Shit«, fluchte ich laut vor mich hin und schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Ich war wirklich zu dumm. Wie konnte ich nur einen Augenblick lang annehmen, jemanden wie Nathan Radford den Dritten mit meinem kleinen Schauspiel täuschen zu können? Aber noch hatte er nicht gewonnen. Wenn dieser Dreckskerl auch nur für eine einzige Sekunde glaubte, er könnte mich einschüchtern, dann hatte er sich geirrt.

»Mal sehen, wer hier die dickeren Eier hat«, stieß ich trotzig hervor, wobei ich das Gaspedal bis zum Boden durchdrückte und mit einem halsbrecherischen Tempo durch die fast menschenleere Stadt in Richtung Küste raste. Mit Genugtuung beobachtete ich, wie die Scheinwerfer im Rückspiegel immer kleiner wurden, bis sie schließlich ganz verschwanden.

Doch das Gefühl der Erleichterung wollte sich nicht einstellen. Ganz im Gegenteil. Irgendwie war es fast schon zu einfach gewesen, meinen Verfolger abzuschütteln. Ich behielt weiterhin mit Misstrauen den Rückspiegel im Auge.

Mist! Bei der ganzen Verfolgungsjagd hatte ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, wo ich überhaupt hinfuhr. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die Stadt bereits weit hinter mir gelassen hatte und mich auf einer der Küstenstraßen befand.

Eine Weile raste ich durch die Nacht, unterdessen ich krampfhaft überlegte, wie es jetzt weitergehen sollte. Umzudrehen und nach Hause zu fahren wäre auf jeden Fall keine Option. Höchstwahrscheinlich versuchte er, mich nur in Sicherheit zu wiegen und wartete bereits vor meinem Appartement auf mich. Nein, ich würde in den nächsten Tagen wohl untertauchen müssen.

Kurz überschlug ich im Kopf, wie viel Bargeld ich noch bei mir hatte. Gott sei Dank war der Abend heute ganz gut gelaufen und ich hatte ein anständiges Trinkgeld kassiert. Doch ich machte mir nichts vor. Wie weit wollte ich schon mit knapp hundert Dollar in der Tasche kommen?

Noch immer völlig in Gedanken bemerkte ich, wie plötzlich erneut ein Lichtkegel hinter mir auftauchte.

Schnell kam er näher.

Mein Herz raste. Kein Zweifel. Es war wieder der schwarze Geländewagen, der von Sekunde zu Sekunde immer mehr aufrückte. Plötzlich war ich gar nicht mehr so cool, vielmehr hatte ich Angst. Angst, was dieser perverse Mistkerl alles mit mir anstellen würde. Und das Schlimmste daran war, hier war niemand, der mir hätte helfen können.

Mit zitternden Händen umschloss ich das Lenkrad noch fester und versuchte bei der hohen Geschwindigkeit den Wagen irgendwie in der Spur zu halten, als plötzlich ein kräftiger Ruck durch mein Auto ging.

Oh, Gott!

Er hatte mich gerammt und das mit voller Absicht. Eine erneute Welle der Angst und Übelkeit stieg in mir auf, doch meine Wut war in diesem Moment stärker. Ich durfte jetzt alles, bloß nicht durchdrehen.

Auch wenn die Chancen schlecht standen, würde ich nicht kampflos gegen ihn aufgeben. Noch einmal drückte ich voller Verzweiflung das Gaspedal bis zum Anschlag durch und doch wusste ich, dass es kein Entkommen gab. Wie befürchtet konnte ich im Seitenspiegel sehen, wie der Geländewagen erneut ausscherte. Dieses Mal rammte er mich jedoch nicht, sondern schoss an mir vorbei und setzte sich direkt vor meine Motorhaube, um mich in einem waghalsigen Manöver auszubremsen.

»Ahhhh!«

Ich schrie laut auf. Instinktiv trat ich auf die Bremse und riss aus Reflex den Lenker zur Seite. Nun verlor ich vollends die Kontrolle über den Wagen, rutschte quer über die Fahrbahn und schlitterte unaufhaltsam über den Asphalt. Mein Herz raste und hämmerte wild gegen meine Brust, während ich zusah, wie die Straßenbegrenzung näher und näher auf mich zukam. Schreckliche Bilder stiegen vor meinem inneren Auge auf. Visionen, in denen ich die Klippen hinunterstürzte und mein Körper an einem der Felsen zerschellte.

Wie in Zeitlupe sah ich dabei zu, wie ich die Leitplanke durchbrach, spürte, wie ich die Bodenhaftung verlor und dann ... stürzte ich ins Nichts!

Ich musste kurz ohnmächtig geworden sein, denn als ich die Augen wieder aufschlug, lag mein Wagen bereits auf dem Dach.

Zitternd rang ich nach Atem. Sekunden lang saß ich einfach nur da und schaffte es kaum, mich zu bewegen, bis plötzlich hinter mir etwas zischte und knackte. Hastig drehte ich den Kopf. Und dann sah ich sie.

Die Flammen.

Sie waren überall. Innerhalb von Sekunden breiteten sie sich wie ein Lauffeuer im Innenraum aus. Ich hielt es kaum noch aus. Die Luft war brennend heiß und ich spürte die Hitze in meinem Gesicht sowie an meinen Händen, die immer unerträglicher wurde. Inzwischen fiel mir das Atmen schwer. In meinen Augen wie auch in meiner Lunge brannten die toxischen Gase des geschmolzenen Kunststoffes.

Panik ergriff von mir Besitz.

Raus! Ich musste hier raus! Und zwar sofort.

In Todesangst riss ich am Sicherheitsgurt, während ich gleichzeitig versuchte, mit dem Ellenbogen die Tür aufzustoßen, doch sie klemmte.

Oh nein, bitte nicht! Geh´auf! Bitte, bitte geh´doch auf!

Die Flammen kamen immer näher. Wie züngelnde Schlangen krochen sie auf mich zu.

Ich konnte sie spüren. Sie waren unerbittlich. Inzwischen war es so heiß, dass ich es kaum noch aushalten konnte.

Und dann passierte es. Sie erreichten meinen linken Arm. Hilflos musste ich dabei zu sehen, wie meine Jacke Feuer fing. Ich hörte Schreie, laut und schrill, und erst wenige Sekunden danach wurde mir bewusst, dass ich es war, die da schrie.

Ich brannte…

 

Kapitel 1

 

Ein Jahr später …

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Zuallererst fiel mir die bedrückende Stille auf. Noch nie zuvor war ich so aufgeregt und durcheinander gewesen, wie in diesem Moment.

Mit zitternden Knien setzte ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Selbst in meinen eigenen Ohren klackerten die Absätze meiner Louboutins auf dem alten Holzboden des Gerichtssaals so unnatürlich laut, dass ich spätestens jetzt bereute, sie heute Morgen überhaupt angezogen zu haben.

Im Vergleich dazu fiel die Tür hinter mir geradezu lautlos ins Schloss.

Scheinwerfer blendeten mich, taten in meinen Augen weh und von jetzt auf gleich breitete sich ein beklemmendes Gefühl in mir aus, das ich so noch nicht kannte. Ein Gefühl, das sich bei jedem meiner Schritte nur noch mehr zu verstärken schien, geradeso, als würde ich ein viel zu enges Korsett tragen, das mir ganz allmählich die Luft zum Atmen abschnürte.

Ich spürte ihre neugierigen Blicke auf mir.

Die Augen, der Reporter und sensationslüsternen Zuschauer, die mich wie eine Laborratte von oben bis unten musterten und mir damit eine Heidenangst einjagten.

Trotz der Hitze legte sich plötzlich eine Kälte über meine Haut und ließ mich erzittern.

Meine Finger tasteten blind nach Amys Hand. Automatisch drängte ich mich näher an meine beste Freundin heran, die sich selbst schutzsuchend an den Arm ihres Mannes Alex klammerte. Gleich vor ihr bahnte sich Ray Nelson selbstbewusst einen Weg durch das Gedränge. Im Gegensatz zu uns schien er wie immer die Ruhe selbst. Was auch nicht verwunderlich war, denn er war den Rummel um seine Person und den Umgang mit der Presse in der Zwischenzeit schon gewohnt.

Mit gerade einmal dreißig war er bereits Juniorpartner in einer renommierten Anwaltskanzlei und einer der Topanwälte des Landes, dem von Beginn an der Ruf eines Pitbulls anhaftete. Es war allgemein bekannt: Sobald sich Nelson einmal irgendwo festgebissen hatte, ließ er nicht mehr locker, bis er sein Gegenüber zur Strecke gebracht hatte.

Und genauso jemanden brauchten wir an unserer Seite.

Jemanden, der für uns kämpfte bis zum Schluss.

Nathan hatte für sich und seinen Bodyguard Igor, der ebenfalls unter Anklage stand, keine Kosten gescheut und die besten Anwälte um sich geschart. Die ersten Prozesstage waren die schlimmsten gewesen. Amy hatte viele demütigende und peinliche Fragen über sich ergehen lassen müssen. Dennoch hielt sie ihnen stand. Ich bewunderte sie dafür, wie stark sie inzwischen geworden war und wie tapfer sie den Verteidigern ihres Ex-Mannes die Stirn bot. Sie ertrug diese aufreibenden Tage mit Hilfe von Alex erstaunlich gefasst. Man merkte sofort, dass sie es aus der Ehe mit Radford nicht anders gewohnt war, als im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen.

Für mich war es jedoch Neuland und alles andere als leicht, durch diesen Fall plötzlich berühmt und auch noch eine der Hauptfiguren in dieser Tragödie zu sein. Natürlich war die Story für die Klatschpresse ein gefundenes Fressen.

Der charmante und charismatische Politiker und ehemalige Senatskandidat Nathan Radford, der seine Frau über Jahre gedemütigt und misshandelt und schließlich vor den laufenden Kameras der Nation fast umgebracht hatte. Und natürlich nicht zu vergessen mich, Hailey Michaels, die beste Schulfreundin seiner Frau, die ihr damals zur Flucht verholfen hat und dadurch selbst in das Visier seiner fiesen Machenschaften geraten war.

Es war so, wie es war. Alle Augen waren auf uns gerichtet.

Mit angehaltenem Atem verfolgte ein ganzer Bundesstaat den letzten Prozesstag eines gefallenen Politikers. Mein Blick huschte hinüber zu meiner schwangeren Freundin Amy. Sie wirkte unnatürlich blass und war kaum geschminkt. Trotz allem tat dies ihrer Schönheit keinen Abbruch, sondern unterstrich nur umso deutlicher, wie reich sie die Natur doch beschenkt hatte.

Ich schluckte.

Früher, das war die Zeit vor meinem Unfall, da hätte ich mich selbst noch als ebenso attraktiv bezeichnet. Aber nach dem, was passiert war, fiel es mir zunehmend schwerer, meinen Körper, so wie er jetzt nun einmal war, zu akzeptieren.

Aber es war eine unumstößliche Tatsache, mit der ich mich früher oder später wohl einfach abfinden und auch leben musste. Der größte Teil der Haut meines linken Armes war nun einmal verbrannt. Kurz nach meiner Einlieferung ins Krankenhaus hatten die Ärzte sich dazu entschieden, mich für drei Wochen in ein künstliches Koma zu versetzen.

Als ich danach endlich wieder aufgewacht war, hatte ich allerdings keine Erleichterung empfunden, sondern vielmehr war es erst der Beginn einer nicht mehr enden wollenden Odyssee. Danach musste ich noch zwei weitere Monate im Krankenhaus verbringen. Unzählige Tage und Wochen, die nichts als Qualen und Schmerzen für mich bedeuteten. Eine Zeit, die nur schwer in Worte zu fassen und die reinste Hölle für mich waren.

Wenn mich heute jemand danach fragte, konnte ich selbst nicht mehr genau sagen, woher ich überhaupt diese Kraft und den unbändigen Lebenswillen genommen hatte. Trotz aller Widrigkeiten hatte ich wie eine Besessene gekämpft, jeden Tag aufs Neue, in der stillen Hoffnung, nicht doch noch an dem Schmerz zu verzweifeln, um eines Tages hier meinen beiden Peinigern gegenübertreten zu können und sie für all das, was sie uns an Leid zugefügt hatten, bezahlen zu lassen.

Als wir nun endlich die erste Sitzreihe erreichten, bekam ich allmählich wieder Luft. Doch die Erleichterung währte nur kurz. Denn kaum hatten wir Platz genommen, schienen die ersten Reporter auch schon wieder aus ihrer Starre zu erwachen und das reinste Blitzlichtgewitter brach über uns herein.

Schützend hielt ich mir die Hände vor die Augen, während Alex versuchte, uns so gut es ging, mit seinem breiten Körper vor der Meute abzuschirmen. Doch es nützte nichts. Erst als das Erscheinen des Richters angekündigt wurde, brachte dies endlich die ersehnte Ruhe im Gerichtssaal.

Die beiden Angeklagten wurden in Begleitung von zwei Polizisten dem Richter vorgeführt.

Mein Herz raste. Doch ich hielt an meinem Vorsatz fest und würdigte sie keines einzigen Blickes. Nur ganz kurz war ich versucht, aufzuspringen und einfach davon zu stürmen. Ich tat jedoch nichts dergleichen. Stattdessen richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit auf meine zitternden Hände, die ich inzwischen auf solch schmerzhafte Weise zusammenpresste, dass die Knöchel bereits weiß hervortraten.

Und dann endlich begann die Verhandlung.

Der Anwalt der Gegenpartei rief den ersten Namen auf seiner Liste auf und fing mit der Befragung seiner Zeugin an. Das ehemalige Dienstmädchen der Radfords mit mexikanischen Wurzeln saß in sich zusammengesunken vor ihm auf dem Stuhl und erinnerte mich in diesem Moment mehr an eine verängstigte, kleine Maus, die man im Vorfeld wohl ordentlich eingeschüchtert hatte, als an eine fünfzigjährige, gestandene Frau. Sie schien kaum unserer Sprache mächtig und es fiel ihr sichtlich schwer, die Fragen des Anwalts einigermaßen verständlich zu beantworten.

Atemlos verfolgte ich auch die Aussagen des restlichen Personals sowie Nathans ehemaliger Pressesprecher, der ebenfalls in den Zeugenstand gerufen wurde. Viel kam jedoch nicht dabei heraus. Letztendlich verliefen die Befragungen allesamt unspektakulär und verfolgten nur das eine Ziel: Nathan in einem besseren Licht dastehen zu lassen.

Nun war die Gegenseite an der Reihe. Ray Nelson erhob sich gewohnt locker von seinem Stuhl, strich sich seine Robe glatt und trat hinter seinem Tisch hervor.

»Euer Ehren«, räusperte er sich, »als erste Zeugin rufe ich Miss Hailey Michaels in den Zeugenstand.«

Der Richter sah mich abwartend an. Erst als ich immer noch keine Anstalten machte, aufzustehen, nickte er mir auffordernd zu.

Ich schluckte trocken. Angst schnürte mir die Kehle zu und für einen kurzen Moment wurde mir ganz schwarz vor Augen. Mit Grauen dachte ich daran, was mich gleich erwarten würde. Bevor es, wenn überhaupt möglich, noch peinlicher werden konnte, schob ich den Stuhl zurück und erhob mich ganz langsam von meinem Platz. Ich geriet kurz ins Taumeln, fing mich dann aber wieder, ehe ich den ersten Schritt wagte, um mich wie geheißen mit rasendem Puls zum Zeugenstand zu begeben.

Während ich mit klopfendem Herzen schwor, die reine Wahrheit zu sagen, schenkte mir Nelson ein kleines, aufmunterndes Lächeln. Dann begann er damit, mir ein paar unverfängliche Fragen zu stellen, die ich, so gut ich eben konnte, beantwortete.

Insgeheim hoffte ich, dass die Befragung bald zu Ende war. Allerdings stand mir ja das Schlimmste noch bevor. Ich wusste, was mich gleich erwarten würde.

»Miss Michaels, wären Sie so freundlich und würden dem Gericht sowie den hier anwesenden Geschworenen mit Ihren eigenen Worten schildern, was genau sich an dem besagten Abend zugetragen hat?«

»Ja, natürlich«, antwortete ich und war froh darüber, dass meine Stimme fester klang, als ich mich fühlte. Meine Finger krallten sich krampfhaft in den feinen, italienischen Stoff meines Hosenanzuges. Nervös befeuchtete ich meine Lippen, ehe ich schließlich stockend zu erzählen begann.

»Ich … ich hatte meinen Wagenschlüssel in meinem Spint im Restaurant vergessen, in dem ich seit einigen Wochen als Kellnerin gearbeitet hatte«, begann ich stockend zu erzählen. Mein Blick schweifte kurz zu Amy, die mir ermutigend zulächelte. Ich riss mich zusammen und versuchte, so ruhig ich konnte, den weiteren Verlauf des Abends zu schildern. Mit belegter Stimme berichtete ich von der halsbrecherischen Verfolgungsjagd, die ich mir mit dem Geländewagen an der Steilküste entlang geliefert hatte und endete schließlich mit dem brennenden Autowrack und der Flammenhölle, in der ich mich befunden hatte.

Stille.

Nelson räusperte sich, ehe er sich dem Richter zuwandte. »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«

Richter Callahan nickte und gab dann das Wort weiter an die Gegenpartei.

»Miss Michaels.«

Mein Kopf ruckte herum. Einer der drei Verteidiger, kaum älter als Nelson, erhob sich gemächlich von seinem Platz und warf noch einen letzten Blick in seine Unterlagen, bevor er seine eiskalten Augen auf mich richtete. Gerade fixierte er mich wie eine kleine, lästige Fliege.

Voller Unbehagen begann ich, auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.

»Wenn ich Sie eben also richtig verstanden habe, behaupten Sie, dass Mr. Radford seinen Bodyguard damit beauftragt hat, Sie mit einem Wagen zu verfolgen und von der Straße abzudrängen. Ist das richtig?«

Irritiert sah ich zu ihm auf. »Warum sagen Sie behaupten? Wollen Sie etwa sagen, dass ich lüge?«

»Na, na … niemand von uns bezichtigt Sie hier der Lüge, Miss Michaels! Alles, was wir tun wollen, ist herauszufinden, was tatsächlich an diesem Abend geschehen ist.«

Ja, genau! Dass ich nicht lache!

Ich biss die Zähne zusammen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, um ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.

»Nun gut, fangen wir nochmal von vorne an. Sie behaupten also, dass Sie von einem großen, schwarzen Geländewagen verfolgt und von der Straße abgedrängt wurden?!« Er legte eine kurze nachdenkliche Pause ein. »Nehmen wir einmal an, dies sei tatsächlich der Fall gewesen. Was aber veranlasst Sie dann zu der Annahme, dass Mr. Radfords Bodyguard, der hier ebenfalls Angeklagte Igor Smirnov, in dem Wagen gesessen und ihn gesteuert hat?«

Ich öffnete bereits den Mund, doch er ließ mir überhaupt keine Chance, ihm zu antworten.

»Oder warten Sie, lassen Sie es mich einmal anders formulieren«, redete er einfach weiter, ehe ich auch nur einen einzigen Ton von mir gegeben hatte. »Können Sie denn beschwören, dass Sie ihn oder gar Mr. Radford selbst in dem Wagen sitzen gesehen haben? Oder ist das bloß eine Behauptung von Ihnen, Miss Michaels?!«

Ich spürte Tränen der Hilflosigkeit und der Wut in mir aufsteigen. »Ich. Behaupte. Es. Nicht! Ich wurde verfolgt und von der Straße gedrängt«, stieß ich aufgebracht hervor.

»Miss Michaels!« Der Verteidiger lehnte sich locker mit der Hüfte gegen die Tischkante. »Warum beantworten Sie nicht einfach meine Frage?«

Seine Stimme klang inzwischen eiskalt. »Haben Sie nun gesehen, dass einer der beiden Angeklagten am Steuer des Wagens gesessen hat, oder nicht?«

Alles schrie in mir, einfach zu lügen, aber ich tat es nicht. Und so schüttelte ich bloß unmerklich den Kopf.

»Miss?! Ja oder Nein?!«

Ich senkte den Blick auf meine zusammengeballten Fäuste und holte tief Luft.

»Nein!«

»Nein?«, wiederholte er laut, beinahe schon triumphierend. »Verstehe ich das also richtig? Sie haben gar nicht gesehen, wer im Inneren dieses Geländewagens gesessen hat?«

»Es war dunkel und alles ging so furchtbar schnell …«, sagte ich hastig.

»Aha! Demnach haben Sie weder Mr. Smirnov noch Mr. Radford am Tatort gesehen? Ist das korrekt?«

Ich versteifte mich.

»Ja, das ist korrekt!«, sagte ich, dabei brannte sich jedes einzelne meiner Worte wie Säure durch meine Kehle.

»Aha!« Rattengesicht rieb sich nachdenklich über das spitze Kinn. »Nun, Miss Michaels, warum erzählen Sie uns dann nicht einfach, was wirklich an diesem Abend passiert ist?!«

Raubtierartig kam er auf mich zu und stützte sich mit beiden Armen locker auf der Holzbrüstung ab.

»War es denn nicht vielmehr so, dass Sie mit Ihrem Wagen viel zu schnell die Küstenstraße entlang gerast sind, plötzlich die Kontrolle über den Wagen verloren und die Klippen hinabgestürzt sind? Und da Sie keine ausreichende Krankenversicherung besaßen, ließen Sie sich dann schnell diese haarsträubende Geschichte mit der Verfolgungsjagd einfallen, um die Tat meinem Klienten anzuhängen, den Sie ohnehin hassten und der genügend Geld besaß, um alle anfallenden Rechnungen zu begleichen und ihn wie eine Weihnachtsgans auszunehmen.«

»Nein!« Ich sprang auf. »So war es nicht!«

»Einspruch, Euer Ehren! Dies ist eine infame Unterstellung!«, hörte ich Nelson fast schon gleichzeitig brüllen.

»Nicht nötig«, sagte Rattengesicht und funkelte Nelson kampflustig entgegen. »Ich ziehe die Frage ohnehin zurück.«

Seine Augen richteten sich wieder auf mich. Eine Weile starrte er mich fast schon bedauernd an, sagte aber nichts. Doch ich ließ mich von diesem Blick nicht täuschen. Ich hatte in den letzten Tagen gesehen, wie hinterhältig dieser Mistkerl in Wirklichkeit war. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.

»Keine weiteren Fragen, Euer Ehren!«, sagte er jedoch stattdessen.

Mit einem debilen Grinsen im Gesicht drehte er sich um und ging zurück zu seinem Tisch.

Wie bitte? Das war alles? Wollte er mich etwa auf den Arm nehmen? Auch wenn er die Frage zurückgezogen hatte, stand sie dennoch im Raum und würde bei dem ein oder anderen Geschworenen einen faden Beigeschmack hinterlassen. Das war so ungerecht. Am liebsten hätte ich vor Frust laut losgeschrien.

»Miss Michaels, die Befragung ist zu Ende. Sie können jetzt den Zeugenstand verlassen und wieder Platz nehmen«, brachte mich die tiefe Stimme des Richters wieder ins Hier und Jetzt zurück.

Wie in Trance erhob ich mich von dem Stuhl und stand noch immer völlig neben mir, als ich mich zurück auf den Weg zu Amy machte. Noch während meine Freundin tröstend meine Hand ergriff, rief Nelson bereits den nächsten Zeugen auf.

Und zwar kein geringerer als Dr. Elliot Lewis, der beste auf seinem Gebiet und eine Koryphäe, wenn es um Brandverletzungen ging und mehr noch, jemand, der sich auch mal nicht davor scheute, neue revolutionäre Wege zu gehen.

Nelson ging zu dem großen Monitor hinüber, den einer der Gerichtsdiener soeben aufgestellt hatte, mit der Absicht, dem Richter sowie den Geschworenen die Fotos, die kurz vor meiner ersten Operation entstanden waren, zu zeigen.

Ich senkte den Kopf und vermied es bewusst, dort hinzuschauen. Warum sollte ich auch? Denn niemand sonst wusste besser als ich, was sie gleich auf diesen Fotos zu sehen bekamen.

Mich erschauderte, sobald ich auch nur an die vielen wulstigen und geröteten Narben dachte. Allesamt waren es Verbrennungen zweiten Grades, bei der sowohl die obere als auch die tieferen Hautschichten betroffen waren.

Trotzdem gelang es mir nicht, das unterdrückte Aufkeuchen und Gemurmel der Geschworenen und des Publikums ganz auszublenden. An ihrer Reaktion war deutlich zu spüren, wie schockiert sie über das ganze Ausmaß meiner Verletzung sein mussten. Kein Wunder! Ging es doch den meisten Menschen so. Denn egal, was und wie schlimm sie es sich in ihrer Fantasie auch ausgemalt hatten, war ich mir sicher, auf diesen abscheulichen Anblick waren sie definitiv nicht vorbereitet gewesen.

Wie auch? Fiel es mir nach all der Zeit auch heute selbst noch schwer, sie anzusehen und so zu akzeptieren. Es war wie es war. Ich würde für immer entstellt bleiben!

Obwohl ich zugeben musste, dass es mich noch viel schlimmer hätte treffen können. Ich hatte großes Glück und einen guten Schutzengel gehabt. Lediglich die Haut meines linken Arms, vom Handgelenk aufwärts bis hin zum Schulterblatt waren von den Verbrennungen betroffen. Alles Körperstellen, die man mit Leichtigkeit unter Kleidung vor neugierigen Blicken verstecken konnte.

Mein Hals sowie das Gesicht waren verschont geblieben. Nichtsdestotrotz stellten die Verbrennungen an meinem Arm, mal abgesehen von dem sichtbaren Makel, auch heute noch eine erhebliche Beeinträchtigung meiner Beweglichkeit dar.

Anfangs, nachdem ich aus dem Koma erwacht war, war es mir zuerst noch nicht so bewusst gewesen, wie schwer es mich tatsächlich erwischt hatte. Die Ziele, die ich mir selbst gesteckt hatte, waren viel zu hoch und ebenso zu ehrgeizig gewesen, dass ich sie jemals hätte erreichen können. Spätestens am ersten Tag der Reha wurde ich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgerissen.

Momentan berichtete Dr. Lewis dem Richter und den Geschworenen von dem schmerzhaften Prozess, den ich jeden Tag aufs Neue durchleben und erdulden musste, aber auch über die Notwendigkeit dieser Maßnahmen, um meine Beweglichkeit wieder zurückzugewinnen und um zu verhindern, dass sich diese Hautregionen durch die Narben verkürzen. Deshalb hatte Dr. Lewis auch kurze Zeit später unter anderem eine Operation an mir vorgenommen, die die Haut unter meinen Achselhöhlen verlängerte, sodass ich den Arm wieder normal heben und senken konnte.

Obwohl ich während seiner Ausführungen den Blick störrisch gesenkt hielt, konnte ich dennoch die mitleidigen, aber auch teils neugierigen Blicke der Anwesenden auf mir spüren. Mir wurde übel. Ich zog den Kopf zwischen meine Schultern, während ich noch tiefer in meinem Stuhl versank. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein. Nach einer gefühlten Ewigkeit endete schließlich Nelsons Befragung.

Auch Nathans und Igors Verteidiger hatten an Dr. Lewis einige skurrile Fragen, die ihn wohl aus dem Konzept bringen sollten, doch Lewis blieb souverän wie immer und meisterte auch diesen Teil mit Bravour.

Noch während Dr. Lewis aus dem Zeugenstand entlassen wurde, beobachtete ich aus den Augenwinkeln heraus, wie einer der Gerichtsdiener durch die Tür schlüpfte, eilig den Gang hinunter huschte und Nelson einen Umschlag überreichte.

Neugierig glitt mein Blick hinüber zu Nelson. Er hatte den Umschlag bereits aufgerissen. Mit zusammengekniffenen Augen stand er nun da, während er angestrengt auf das Papier in seinen Händen starrte.

Vermutlich würde jetzt wohl nicht nur ich mein letztes Hemd dafür hergeben, um zu wissen, welche wichtigen Informationen dieser Umschlag beinhaltete.

Ich wollte zuerst meinen Ohren nicht trauen, aber kurz darauf rief er tatsächlich noch einmal Igor Smirnov in den Zeugenstand.

Was hatte das zu bedeuten? Mein Pulsschlag beschleunigte sich.

Ich sah hinüber zu Amy. Unsere Blicke trafen sich. Sie schien jedoch gerade ebenso irritiert zu sein wie ich, denn sie zuckte lediglich ratlos mit den Schultern.

Auch in den Zuschauerreihen brach plötzlich Gemurmel aus, denn Nelson hatte Igor bereits gestern versucht in die Mangel zu nehmen, aber leider, wie ich zugeben musste, nur mit mäßigem Erfolg.

»Glaubst du, er weiß, was er da tut?«, hörte ich Amy ihrem Mann zumurmeln.

»Ich habe keine Ahnung«, hörte ich Alex sagen, während wir gespannt verfolgten wie Igor erneut den Zeugenstand betrat, seine Hand auf die Bibel legte und vereidigt wurde.

Dann nahm der große, grobschlächtige Mistkerl Platz und starrte zu uns herüber. Mein Puls raste und ich vermied es, ihn weiter anzusehen.

»Mr. Smirnov.« Nelson setzte seine Brille auf und rieb sich die Stirn. »Würden Sie dem Gericht und mir bitte noch einmal erklären, wo genau Sie sich an dem besagten Abend des Unfalls aufgehalten haben?«

Igor linste kurz nervös zu seinen Anwälten, dann erst begann er zu erzählen. Ich fragte mich, was Nelson mit dieser Frage bezweckte?! Igors Alibi war nach wie vor wasserdicht. Das halbe Personal hatte für ihn ausgesagt und bestätigt, dass er sich an dem Abend des Unfalls in der Villa aufgehalten hatte.

»Hmm.« Nelson rückte sich seine Brille zurecht und studierte erneut aufmerksam seine Unterlagen. »Laut der Aussage von Misses Garcia, Mr. Radfords Haushälterin, haben Sie sich etwa gegen 22 Uhr in ihr Zimmer zurückgezogen. Ist das korrekt?«

»Ja … ist schon möglich. Allerdings weiß ich nicht, was die Frage jetzt soll?! Das habe ich Ihnen gestern doch bereits alles erzählt: Ich hatte den Rest des Abends frei und war müde, da hab ich mich ins Bett gelegt, ein wenig durchs Fernsehprogramm gezappt und irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein. Das war auch schon alles«, antwortete er etwas abgehackt mit einem deutlichen russischen Akzent.

Der junge Anwalt tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen den Mund. »Mal etwas ganz anderes. Miss Michaels hat eben ausgesagt, dass ihr schon Tage zuvor in der Nähe ihrer Arbeitsstelle und vor ihrem Haus ein schwarzer Geländewagen, ein GM Yukon, aufgefallen sei und sie sich von ihm verfolgt gefühlt habe. Nun, zufälligerweise von genauso einem Wagen, wie ihn auch Mr. Radford besitzt oder soll ich besser sagen, bis vor kurzem noch besessen hatte, denn er ist ihm ja anscheinend gestohlen worden?! Oder etwa nicht?«

Smirnov rieb sich missmutig über sein vernarbtes Kinn. »Das wissen Sie doch bereits alles. Ich habe doch ausgesagt, dass Mr. Radford den Wagen, sofort als uns sein Verschwinden aufgefallen war, als gestohlen gemeldet hatte.«

»Ach, hat er das tatsächlich?«, murmelte Nelson und fixierte Smirnov mit unnachgiebigen Blick. »Aber laut meiner Akte hier hat Mr. Radford ihn doch erst als gestohlen gemeldet, nachdem die Polizei bei ihm aufgetaucht war und den Wagen nach Miss Michaels´ Unfall auf Spuren untersuchen wollte?! Warum hat er dann Ihrer Meinung nach nicht sofort bei der Polizei Anzeige erstattet?«

»Das hat er doch. Das Verschwinden ist bloß vorher niemandem von uns aufgefallen. Wie Sie wissen, besitzt Mr. Radford einen riesigen Fuhrpark, da verliert man leicht mal den Überblick«, zuckte Igor gleichgültig mit den Schultern.

»Aber Mr. Radfords Chauffeur, Mr. Baker, hat doch eben erst ausgesagt, dass ihm das Verschwinden bereits einen Tag zuvor aufgefallen sei und dass er Sie, den Sicherheitschef, umgehend davon in Kenntnis gesetzt hat. War es nicht so?«

»Ja, kann schon sein! Vielleicht! Vielleicht aber auch nicht! Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, weshalb das jetzt auf einmal so eine große Rolle spielen soll? Das ist doch schon ewig her. Wie soll ich mich jetzt noch daran erinnern?«

Nelson sah ihn eindringlich über seine Brille hinweg an. Igor starrte zurück.

»Mr. Smirnov, darf ich Sie fragen, wie lange Sie inzwischen schon im Sicherheitsdienst tätig sind? Acht, zehn Jahre, vielleicht?«

»Zehn!«

»Zehn Jahre also?! Und ich nehme doch stark an, Sie sind gut in dem, was Sie tun, ansonsten hätte Sie wohl auch kaum so ein bekannter Politiker wie Radford eingestellt, nicht wahr?«

»Ja! Ich bin einer der Besten!«, sagte er selbstgefällig.

»Aha!«, murmelte Nelson. »Nun, wenn Sie wirklich so gut sind wie Sie sagen, wie erklären Sie mir dann, dass Sie nicht einmal wissen, wie und wann Ihnen ein circa neunzigtausend Dollar gepanzerter GM Yukon quasi unter dem Hintern weggestohlen wurde?«

Ein Raunen ging durch den Zuschauerraum.

»Ruhe, im Saal!« Richter Callahan klopfte mit dem Hammer auf das Holz. »Mr. Smirnov, beantworten Sie bitte die Frage.«

Smirnov nuschelte etwas auf Russisch.

»Es gab viel zu tun. Radford befand sich mitten im Wahlkampf«, gab er dann schließlich zurück und zeigte dabei deutlich die ersten Anzeichen von Verärgerung, weil er sich wohl durch Nelsons Fragen in seinem Stolz verletzt fühlte.

»Ja, genau! Warum sollte Ihnen als Sicherheitschef, während des ganzen Trubels und den zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen auch auffallen, dass der einzige gepanzerte und kugelsichere Wagen, der sich in Mr. Radfords Fuhrpark befand, plötzlich wie von Erdboden verschluckt war?!«

»Einspruch, Euer Ehren«, rief Rattengesicht und sprang von seinem Stuhl auf.

»Abgelehnt«, beschied der Richter knapp. »Mr. Nelson, ich hoffe doch, dass Sie mit der ganzen Fragerei etwas Bestimmtes bezwecken?«

»Ja, Euer Ehren, das tue ich.«

»Nun denn, dann kommen Sie auch bald zum Punkt.«

»Ja, Euer Ehren! Das werde ich!«

Also so langsam fragte wohl nicht nur ich mich, was gerade in Nelsons Kopf vorging.

Ja, natürlich spielte der Wagen in den Ermittlungen eine tragende Rolle und wäre das einzige Beweisstück dafür, dass mich Igor tatsächlich von der Straße gedrängt hatte. Trotz allem war er nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt und so wie es aussah, tappte die Polizei weiterhin im Dunkeln. Nun, und da es keinerlei Augenzeugen gab und das Fahrzeug nicht auffindbar war, lag die Wahrscheinlichkeit, dass Igor seine gerechte Strafe für sein Vergehen erhalten würde, unter einem Prozent.

»Mr. Smirnov, sagt Ihnen der Name Ramon Pérez etwas?«, riss mich Nelson Stimme aus meinen Überlegungen.

Igors Kopf ruckte nach oben. Seine Augen funkelten dem Anwalt geradezu wild entgegen.

Inzwischen erfüllte lähmende Stille den Raum.

Alex warf mir einen vielsagenden Blick zu, doch ich war noch immer viel zu benommen, um zu verstehen, was hier eigentlich vor sich ging.

Pérez?! Ramon Pérez?! Wer zu Hölle sollte das sein? Der Name war mir noch nie zuvor begegnet.

»Mr. Smirnov, beantworten Sie bitte die Frage«, ertönte nun die Stimme des Richters.

»Nein!«

»Nein? Sind Sie sich da wirklich ganz sicher?«, hörte ich Nelson fragen. »Überlegen Sie sich gut, was Sie jetzt sagen, denn ich habe soeben wirklich sehr interessante Neuigkeiten in Bezug auf den gestohlenen GM Yukon erhalten.«

»Sie bluffen doch!« Igor schnellte hoch. Sein Gesicht nahm fast schon sardonische Züge an.

»Setzen Sie sich!«, fauchte der Richter.

Im ersten Moment glaubte ich, Igor würde ihm an die Gurgel springen, doch dann schien er sich schließlich wieder zu besinnen und setzte sich hin.

»Ach ja?!« Nelson nahm ein Stück Papier aus dem Umschlag und reichte es Richter Callahan. »Vor knapp drei Stunden hat die Polizei einen Autoschieberring hochgehen lassen. Dabei wurde unter anderem ein schwarzer GM Yukon beschlagnahmt, der laut Fahrgestellnummer eindeutig als Mr. Radfords Wagen identifiziert wurde.« Igor schnaubte und biss die Zähne zusammen, sodass seine Halsschlagader deutlich hervortrat.

»Was glauben Sie wohl, was dieser Mr. Pérez eben ausgesagt hat?«

Smirnov schwieg und starrte stur nach vorne. »Mir doch egal. Ich kann mich an keinen Pérez erinnern.«

»Er sich jedoch eigenartigerweise ganz genau an Sie! Vor allem daran, dass Sie ihm eine ganze Stange Geld dafür geboten haben, um die Spuren zu beseitigen und den Wagen für immer verschwinden zu lassen.«

»Halt´s Maul!«, schrie Igor, sprang auf und mit einem Satz über die Brüstung. »Du lügst doch. Sowas würde Pérez nie tun! Er würde mich nie über die Klinge springen lassen.«

Ich zog scharf die Luft ein und riss die Augen auf, weil ich nicht glauben konnte, was sich da gerade vor mir abspielte.

Auf einmal ging alles ganz schnell. Sicherheitsbeamte stürmten auf ihn zu und rissen ihn zurück, ehe er Nelson an den Kragen gehen konnte.

Ray Nelson wirkte im ersten Moment etwas blass um die Nase, fasste sich jedoch rasch wieder. »Keine weiteren Fragen, Euer Ehren«, sagte er schließlich.

Igor tobte und fluchte noch immer, sodass er von den Beamten in Handschellen aus dem Raum geführt wurde.

Von den Ereignissen und Wendungen des Verfahrens geschockt, nahm ich nur noch wie in Trance die Plädoyers der beiden Parteien wahr, ehe sich der Richter und die Geschworenen zur Beratung zurückzogen.

Amy und Alex unterhielten sich aufgeregt, doch ich bekam kaum etwas mit. Ihre Stimmen rauschten an mir vorbei und ich hatte das Gefühl, bald ohnmächtig zu werden oder komplett durchzudrehen. Doch ich tat nichts dergleichen und riss mich zusammen.

Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten wurden Stunden.

Das war definitiv viel zu viel Zeit, um in Gedanken abzutauchen, den Prozess noch einmal zu reflektieren und Revue passieren zu lassen. Und bei alledem war mir eines klar geworden: Egal, wie das Urteil nun auch aussehen mochte, ich war es leid, weiterhin das Opfer zu sein. Auf einmal spürte ich wieder das altbekannte Feuer, das noch tief in mir loderte und ich wusste, dass es an der Zeit war, loszulassen.

Und es gab nur einen Weg.

Ich musste ihnen vergeben!

Ich gab zu, selbst in meinen eigenen Ohren klang es total verrückt. Ja, jemandem zu vergeben, der dich tief verletzt oder noch schlimmer, sogar die Absicht hatte, dich zu töten, war eines der schwersten Dinge, die man in seinem Leben wohl tun konnte.

Aber ich wusste, wenn ich einen Neuanfang wagen und ein für allemal über meine Vergangenheit hinwegkommen wollte, war es unumgänglich.

Natürlich hatte ich kurz nach dem schrecklichen Unfall eine Scheißwut auf Nathan gehabt, ja, man könnte auch durchaus sagen, ich hatte für diesen blöden Wichser, für all die Schmerzen, die ich durch ihn erleiden musste, nichts weiter als Hass empfunden.

Aber war es nicht so, dass mich dieser Groll ihm gegenüber langsam aber sicher von innen heraus zerfraß und ich mich dadurch bloß selbst zerstörte?

Bis gerade eben hatte ich noch geglaubt, ja war ich sogar der festen Überzeugung gewesen, ich könnte ihm und diesem Schwein, das, was sie mir angetan hatten, niemals verzeihen. Doch dann schwang die Tür auf und Nathan betrat dicht gefolgt von Igor mit nach unten gebeugtem Kopf, die Arme und Beine wie es für einen Schwerverbrecher üblich war in Ketten gelegt den Gerichtssaal.

Mein Herz schlug rasend schnell. Der Ausdruck in seinem Gesicht war kühl und distanziert, geradeso, als würde hier nicht gleich über seine Zukunft entschieden. Im Gegensatz zu ihm war ich das reinste Nervenbündel. Ich hielt den Atem an und hoffte, ja betete zu Gott, dass er endlich, für das, was er Amy und mir angetan hatte, seine gerechte Strafe erhalten würde.

Der Richter stand auf, um das Urteil zu verkünden.

Stille. Die Anspannung im Saal war schon fast greifbar.

Die Umgebung vor mir flackerte und mit letzter Kraft zwang ich mich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, während der Richter den Urteilsspruch von einem der Geschworenen entgegennahm.

Er warf einen kurzen Blick darauf und faltete das Papier wieder zusammen.

»Mr. Nathan Radford der Dritte wird in allen Punkten der Anklage für schuldig befunden«, verkündete der Richter tonlos.

Erwartungsvoll schloss ich die Augen.

»Aufgrund der Schwere der Tat und des skrupellosen Vorgehens des Angeklagten wird die Haftstrafe auf einundzwanzig Jahre angesetzt. Ebenso wird Mr. Igor Smirnov in allen Punkten der Anklage für schuldig befunden. Seine Haftstrafe wird auf achtzehn Jahre festgesetzt. Die Verhandlung ist hiermit geschlossen.«

Der Hammer knallte aufs Holz und dröhnte in meinen Ohren.

Das Urteil war gesprochen.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Wie in Zeitlupe drehte Nathan den Kopf zu mir und starrte mich mit ausdrucksloser Miene an.

Und dann passierte etwas in mir und spätestens da wurde mir klar, es war an der Zeit es zu tun. Jetzt! Und keine Sekunde später.

Ich vergab ihm!

Nein, nicht etwa seinetwegen. Denn Nathan Radford und sein Bodyguard waren mir sowas von egal.

Nein, wenn ich es also tat, dann lediglich aus einem einzigen Grund. Ich tat es meiner selbst willen, tat es einzig und allein für mich. Für meinen Seelenfrieden, damit ich endlich wieder heilen und darüber hinwegkommen konnte. Denn nichts anderes wollte ich. Ich wollte wieder leben!

Trotz allem war mir klar, dass es diese Hailey von früher, die meine Freunde und auch ich selbst so sehr vermissten, nicht mehr gab. Und auch nie wieder geben würde.

Aber auch das würde ich ihm Hier und Jetzt vergeben.

Was jedoch keinesfalls bedeuten sollte, dass ich das Unrecht, das er mir angetan hatte, die höllischen Schmerzen, die ich durch die schweren Verbrennungen durch ihn erleiden musste, billigte oder sogar so tun musste, als wäre das alles nie passiert. Ja, dies bedeutete ganz gewiss nicht, dass ich jemals vergessen würde.

Meine Augen funkelten ihm wild entschlossen entgegen.

Nein! Vergessen würde ich nie!!!

 

Kapitel 2

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Ich parkte meine schwarze Harley Sportster direkt vor dem Eingang eines modernen Bürokomplexes, in dem sich Alex´ Sicherheitsfirma befand.

Mit einem mulmigen Gefühl schwang ich mein Bein über die Maschine und blieb erst einmal etwas erschlagen von diesem Anblick stehen.

Oh, Mann! Ich staunte nicht schlecht. Auf was hatte ich mich da bloß eingelassen?

Das Gebäude war etwa fünfzehn Stockwerke hoch, mit einem Vorbau, dessen Glasfront sich leicht nach außen wölbte. Ich schulterte meinen Rucksack und setzte mich langsam in Bewegung. Nur wenige Minuten später stand ich inmitten eines riesigen Foyers.

Auf den ersten Blick wirkte alles sehr offen, einladend und modern. Der Eingangsbereich war überwiegend in Weiß- und Grautönen gehalten. An den Wänden hingen große, abstrakte Kunstwerke, die dem Innenraum einen ganz besonderen Charme verliehen. Staunend drehte ich mich einmal um die eigene Achse. In der Mitte des sehr offenen und hell gestalteten Eingangsbereiches entdeckte ich einen riesigen Tresen aus Stein, hinter dem sich gerade eine hübsche, junge Empfangsdame befand. Grüne, neugierige Augen funkelten mir entgegen.

Ich verbiss mir ein Grinsen und steuerte auf die Kleine zu, natürlich nicht ohne ihr eines meiner berüchtigten Hammerlächeln zu schenken. Sie erinnerte mich an eine kleine, sexy Streberin aus meiner Schulzeit, die ich mal hinter dem Schulgebäude vernaschen durfte. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass ich in den letzten Jahren wohl nichts verlernt hatte. Denn wie auf Knopfdruck verfärbten sich ihre Wangen zu einem tiefen Rot.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739425214
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (August)
Schlagworte
Liebesroman Leidenschaft gefühlvoll Herz Liebe Erotik Erotischer Liebesroman

Autor

  • Claire O'Donoghue (Autor:in)

Claire O´Donoghue ist das Pseudonym einer 1977 geborenen, deutschsprachigen Autorin. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen zurückgezogen im Südwesten Deutschlands. Bereits in frühen Jahren entdeckte sie ihre große Leidenschaft für Bücher. Seit Anfang 2015 arbeitet sie als freie Autorin und hat sich mit ihrem Debütroman "I´m dreaming of you", einen großen Kindheitstraum erfüllt, dessen Erfolg ihre Erwartung bereits jetzt bei weitem übertroffen hat. Weitere Romane folgten ...
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Titel: I´M ADDICTED to you