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Mysteriöse Botschaften

von Petra Breuer (Autor:in)
124 Seiten
Reihe: Abenteuer in München, Band 6

Zusammenfassung

Im Jahr 1810 findet nicht nur eine königliche Hochzeit in München statt – nein, auch mysteriöse Botschaften wechseln heimlich den Besitzer. Die Zwillinge Anna und Ben vermuten hinter den sonderbaren Nachrichten eine Diebesbande, die Hunde entführt. Mit ihrem Freund Max legen sie sich auf die Lauer und staunen nicht schlecht, als sich alles anders entwickelt als gedacht. In der Gegenwart erkunden Anna und ihr Opa den Englischen Garten, den Viktualienmarkt sowie die Bavaria mit der Ruhmeshalle. Mit dabei ist diesmal eine Überraschung auf vier Pfoten – die das Duo zu einem Spürnasen-Trio macht.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Langfinger auf Achse

An einem frühen Septembermorgen des Jahres 1810 schlichen drei schwarz gekleidete Diebe durch die noch dunklen Gassen Münchens. Sie führten nichts Gutes im Schilde und huschten lautlos von einem Schlupfwinkel zum nächsten, um nicht entdeckt zu werden. Seit dem Frühjahr hatte die Königlich Bayerische Gendarmerie ein Auge auf die Langfinger geworfen und war ihnen seither dicht auf den Fersen. Als die Ganoven in der Weiten Gasse an der Frauenkirche ankamen, blieben sie stehen, lauschten und lächelten sich schelmisch zu, denn das verräterische Hufgeklapper der berittenen Gendarmen war nicht zu hören, dafür aber Hundegebell – und das war gut so! Nun hieß es, schnell und geschickt zu sein. Um ihr Raubgut transportieren zu können, führte jeder der Diebe einen großen Sack mit sich. Je voller und schwerer dieser am Ende ihres Raubzugs war, umso lauter würden am kommenden Sonntag die Münzen in ihren Geldsäckchen klimpern. Auf leisen Sohlen verteilten sie sich über den Frauenplatz vor dem Dom und schlichen einzeln in die angrenzenden Gassen. Die Jagd hatte begonnen und die Diebe mussten flink vorgehen, wollten sie nicht erwischt werden. Andreas hieß der ältere und Johannes der jüngere. Simon war zwar der kleinste, aber der pfiffigste. Er war es, der als Erster blitzschnell in einer Toreinfahrt verschwand und mit einem jaulenden Opfer in seinem Sack zurückkam. Nun hieß es, schnell zu sein, denn die Gendarmen waren nicht taub. Rasch lief Andreas in die ihm bekannten Ecken, Treppenhäuser und Einfahrten und füllte seinen Sack. Johannes hingegen durchwühlte die Abfallberge vor einer Gaststätte mit beiden Händen. Doch er hatte Pech, denn direkt neben weggeworfenem Unrat lag gut versteckt und im Dunkeln ein Schäferhund, der sich allerdings kräftig zu wehren wusste. Das Tier biss Johannes kräftig in die Hand, sodass er vor Schmerzen brüllte. Durch seinen lauten Schrei wurden einige Anwohner wach, öffneten ihre Fenster, blickten in die Gasse und drohten wütend damit, die Gendarmen zu rufen. Auch eine Dackelmutter, die ihren Nachtplatz in der Nähe des Schäferhundes hatte, wurde aufgeschreckt und zwei ihrer Welpen flüchteten auf den Domplatz. Nun mussten sich die drei Langfinger beeilen, um diese besonders gewinnbringende Beute einzufangen. Das Trio hetzte aus den Gassen heraus auf den Frauenplatz und umzingelte die verängstigten Hundekinder. Sie schnappten sich die zwei zitternden Tierchen, steckten sie in den Sack zum restlichen Diebesgut und schwupp – war bereits wieder alles zu Ende. Heute hatten sie doppeltes Glück, denn sie wurden weder erwischt noch schlimm gebissen – Johannes mal ausgenommen. In einem dunklen Innenhof um die Ecke hatten sie tags zuvor einen Handwagen abgestellt. Auf diesen luden sie ihre vollen und gut verschnürten Säcke ab und zogen los, begleitet von lautem Kläffen, Knurren, Jaulen und Bellen.

In flottem Tempo eilten die drei Diebe bis zu ihrem Versteck nahe der Hirschau und sperrten die Säcke samt Inhalt in einen großen Käfig. Kaum lagen die vollen Bündel auf dem Boden, kam Bewegung auf. Aus ihnen kroch eine knurrende Dogge, gefolgt von einem kleinen Spitz, der sich ängstlich umblickte. Zwei kleine Dackelwelpen tapsten unsicher ins Freie und suchten ihre Mutter. Ein pechschwarzer Pudel bellte laut und verschreckte einen Terrier, der daraufhin beinahe einen Cocker Spaniel umrannte. Als Letztes kam ein junger Schweißhund aus dem Sack. Das war ein hervorragender Jagdhund und die Hundediebe sahen sich zufrieden an – ja, heute war ein guter Tag!

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Anna legte ihr Buch auf die Seite und blickte verdattert aus dem Fenster. Was hatte sie gerade gelesen? Hundediebe? Das war ja kaum zu glauben! Noch während sie darüber nachdachte, klingelte das Telefon. Anna ging ran, es war Opa Leander – ihr Großvater für alle Fälle.

»Wie ist denn dein neues Buch, Anna?«, sprudelte der alte Herr gleich los.

»Du, Opi, stell dir vor, mein sechster Band beginnt mit einem Diebstahl«, rief Anna aufgeregt ins Telefon. »Ganz viele Hunde haben die drei Langfinger in ihre Säcke gesteckt!«

»Mauserl, jetzt beruhige dich doch erst einmal.«

»Kann ich nicht, das ist so eine Gemeinheit, da habe ich sicherlich heute eine schlaflose Nacht.«

»Apropos schlafen – wann kommst du wieder zu mir?«

»Bald, noch bevor wir in den Urlaub fahren! Ich muss aber erst mein Buch zu Ende lesen, damit ich weiß, welche Ziele wir diesmal haben.«

»Das habe ich bereits getan. Ha, ha«, lachte der Großvater. »Ich bin schon kräftig am Pläne schmieden. Beeil dich, dann können wir bald auf die Pirsch gehen. Und nach deiner Rückkehr aus dem Urlaub machen wir diesmal sogar weiter!«

Anna verabschiedete sich glücklich von ihrem Großvater und schmiss sich schwungvoll in ihren Lesesack. Sie freute sich bereits auf das Munichen mit ihrem Opa. Munichen war ein Geheimwort der beiden. Als Anna für den Heimat- und Sachunterricht nach den Pfingstferien ein Referat über die Gründung Münchens halten sollte, half ihr der Großvater aus der Patsche, indem er geduldig alles erklärte und mit ihr die Innenstadt erkundete. Da ihre Mama nichts von alledem erfahren sollte, schworen sich die beiden, niemandem etwas über ihre Erkundungen zu erzählen. Annas Referat war jedoch so gut vorgetragen und inhaltlich interessant aufbereitet, dass sie dafür die doppelte Note Eins bekam. Seitdem eroberten die beiden Detektive nach jedem Band aus Annas Lieblingsbuchserie die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in München und erlebten so allerlei Interessantes miteinander. Kürzlich hatten die Sommerferien begonnen, und damit auch weiterhin keine Langeweile aufkam, hatte Opa Leander tags zuvor seiner Enkelin den druckfrischen sechsten Band aus ihrer heißgeliebten Buchreihe geschenkt. Den beiden standen somit wieder einmal ein paar erlebnisreiche Tage bevor, in denen gemunicht werden konnte, was das Zeug hielt! Anna freute sich auf die gemeinsame Zeit mit ihrem herzallerliebsten Opa. Zuerst musste sie aber das Buch lesen. Sie war sehr neugierig, denn der sechste Band begann soooo spannend und sie liebte Hunde über alles.

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Die drei Hundediebe betrachteten die eingefangenen Straßen­hunde neugierig und gaben ihnen zu fressen.

»Diese Köter können wir allesamt am Sonntag auf dem Viktualienmarkt verkaufen. Ihr werdet sehen, wenn wir jede Woche ein paar von diesen herrenlosen Wadelbeißern einfangen, ist bis Weihnachten unser Geldsäckel prall gefüllt wie der Sack vom Nikolaus«, meinte Andreas und rieb sich freudig die Hände.

»Hm, die zwei kleinen Dackel werden am meisten einbringen, da verwette ich meine Großmutter«, grinste Simon.

»Dann füttern wir sie gut her und am Samstag soll die Uschi den Viechern den Dreck aus dem Fell herauswaschen und sie bürsten«, entschied Johannes.

Die Glocken des Doms läuteten die Bürger Münchens wach. Die Zwillinge Anna und Ben blinzelten unter ihren Bettdecken hervor. Sie freuten sich auf diesen Sonntag, denn heute sollten sie endlich ein Haustier bekommen. Beide hatten sich einen Hund gewünscht. Vormittags wollte die gesamte Familie am Viktualienmarkt ein passendes Tier aussuchen.

»Ich kann es kaum erwarten, Ben. Ich freue mich schon den ganzen Sommer auf den heutigen Tag.«

»Mir geht es genauso, Anna. Komm, lass uns frühstücken und danach ziehen wir unsere beste Sonntagskleidung an. Unser neuer Vierbeiner soll doch einen guten Eindruck von uns bekommen.«

Die beiden kicherten und flitzten ins Esszimmer, wo Mutter Emilia und Vater Carl bereits am Frühstückstisch saßen und Annamirl, die Dienstmagd, das Essen servierte, das Fanny, die Köchin, vorbereitet hatte. Das Kindermädchen Walburga hatte heute ihren freien Tag.

»Kinder, nach dem Frühstück muss ich mein Bild zu Ende malen, und dann können wir losgehen.«

»Was fehlt denn noch, Papa?«, fragte Anna neugierig.

»Ein paar Stacheln am Kaktus, dann bin ich zufrieden damit.«

»Carl, dass du aber bitte nicht in deiner Sonntagsgarderobe in dein Malzimmer gehst. Unsere Annamirl bekommt die Farben schon gar nicht mehr aus deiner Kleidung heraus.«

»Doch, gnädige Frau, ich kann sie ja rausschneiden«, gab die Dienstmagd keck zur Antwort und erntete dafür einen tadelnden Blick der Hausherrin.

Die Zwillinge lachten lauthals, und als das Frühstück beendet war, liefen sie fröhlich durch die Zimmer des Hauses und spielten Fangen.

Die gesamte Familie verließ das Haus in der Weinstraße und überquerte den Marktplatz, um am Rathaus vorbei nach rechts in Richtung Viktualienmarkt einzubiegen. Die Kinder hopsten fröhlich vor ihren Eltern her, denn sie waren aufgeregt und konnten ihre Freude kaum verbergen. Von Weitem hörten sie bereits das laute Gebell der Hunde. Sie folgten dem Lärm und standen kurze Zeit später vor den Hundezwingern, in denen sich die Tiere befanden. Drei Verkäufer standen davor und warteten auf Kundschaft. Eine Dame mit weißem Kleid, ausladendem Hut und aufgespanntem Sonnenschirm näherte sich den Käfigen, denn sie beabsichtigte, ein kleines Schoßhündchen zu kaufen.

»Junger Mann, ich hätte gerne einen Hund, der zu mir passt. Verstehen Sie?«

»Sehr wohl, Madame. Ihr Wunsch sei mir Befehl! Wie wäre es mit diesem kleinen Mops?«, fragte Andreas.

»Sind Sie taub, Sie Lackl? Ich wollte ein Tier, das zu mir passt. Schaue ich etwa wie ein Mops aus?«, kreischte die Dame aufgebracht.

Simon, der den Handel bereits platzen sah, drängte Andreas zur Seite und übernahm das Gespräch.

»Gnädige Dame, wie ich sehe, brauchen Sie einen zierlichen, klugen und wunderschönen Hund. Wie wäre es mit diesem Pudel?«

»Nein, so ein gewöhnliches Tier steht mir nicht. Ich möchte etwas ganz Besonderes haben«, nörgelte die Interessentin pikiert und rümpfte ihre Nase.

»Hier hätten wir einen Zwergspitz, das ist ein sehr treues Hündchen, ideal für eine elegante Dame Ihres Standes. Dieses Prachtstück würde Ihre ohnehin umwerfende Erscheinung noch mehr schmücken, Madame!«

Strahlend hielt Simon das Tierchen mit beiden Händen zur Ansicht in die Luft. Der Hund blickte verängstigt mit seinen dunklen Knopfaugen die finster dreinblickende Frau an. Mit einem Mal erhellte sich ihr Gesicht, ein Lächeln huschte über ihre Lippen und sie rief entzückt:

»Was für ein Prachtexemplar! Sein wuscheliges, weißes Haarkleid ist ja so unglaublich plüschig. Und er hat sogar eine kleine Mähne – wie ein Löwe. Ich werde ihn Leo nennen. Was soll das kleine Schnuckelchen denn kosten?«

»Weil Sie es sind, heute nur 12 Gulden«, schlug Simon vor.

»Was? Sie sind ja ein Beutelschneider. Ich zahle Ihnen die Hälfte, mehr nicht«, rief die Dame aufgeregt.

Die drei Hundediebe sahen sich fragend an.

»Selbstverständlich, Madame. Mein Kamerad hat sich etwas vertan. Sie erhalten den Köt… äh, das niedliche Hündchen für sechs Gulden. Haben Sie eine Leine dabei? Dann könnte ich sie Ihrem kleinen Löwen gleich um den Krag… äh, Hals legen«, lächelte Johannes überaus freundlich.

Die feine Dame holte aus ihrer großen Handtasche ein Halsband samt Lederriemen und reichte beides weiter. Kurz darauf war der Handel abgeschlossen.

»Komm, Leo, jetzt gehen wir nach Hause«, rief die glückliche Hundebesitzerin und zog ihren neuen Vierbeiner an der Leine hinter sich her.

Die Zwillinge sahen sich aufgeregt an, denn nun waren sie an der Reihe.

»Was darf es denn sein, die Herrschaften?«, erkundigte sich Johannes.

»Haben Sie einen kleinen Hund für unsere Zwillinge?«, fragte Vater Carl und blickte neugierig in die drei Käfige.

»Gnädiger Herr, da hätten wir eine absolute Besonderheit, einen Hund, der in München nicht fehlen darf – einen Dackel!«, antwortete Simon schnell und stellte bereits den kleinen Welpen in seiner Handfläche zur Schau.

Anna und Ben blickten sprachlos auf das winzige, behaarte Knäuel, das in Simons Hand lag und am ganzen Körper zitterte.

»Was können Sie sonst noch empfehlen?«, fragte Vater Carl.

»Hm, einen Cocker Spaniel oder einen kleinen Schweiß­hund!«, stotterte Andreas.

»Sehe ich aus, als ob ich auf die Jagd gehen würde? Ich bin Maler und die einzige Jagd, an der ich maximal teilnehmen könnte, ist die auf meiner Leinwand«, schimpfte das Familien­oberhaupt und wollte bereits gehen.

»Papa, bitte, wir wollen das kleine Hundekind haben«, quengelten die Zwillinge.

Da schaltete sich Simon wieder ein und meinte: »Ja, gerne. Das Hündchen hat aber noch ein Geschwisterchen, einen Zwilling sozusagen, schaut mal her.«

Er griff in den Käfig und holte den zweiten Welpen he­raus. Nun hielt er in jeder Hand ein ängstlich bibberndes Tierchen.

Anna und Ben schmolzen dahin, und auch ihrer Mutter entwichen jauchzende Töne und sie hauchte: »Ach, wie süß!«

»Papa, bitte, wir wollen die beiden Hundekinder haben«, drängelten Ben und Anna erneut.

»Gnädiger Herr, ich mache Ihnen einen besonders guten Preis. Sie bezahlen heute nur zehn Gulden«, versuchte Simon das Geschäft abzuschließen.

»Für beide, das versteht sich doch von selbst – oder?«, fragte der Vater.

»Äh, n…, äh, ja, natürlich für das Zwillingspärchen«, stotterte Simon, der eigentlich zehn Gulden für jeden Hund haben wollte und nun etwas überrumpelt wurde.

Die Kinder jubelten, als der Vater bezahlte. Mutter Emilia reichte dem Hundeverkäufer den mitgebrachten Weidenkorb und die Welpen wurden auf die flauschige Decke gebettet. Kurz darauf schlenderte eine glückliche Familie über den Viktualienmarkt. Die Zwillinge hielten den Korb in ihrer Mitte und trugen die zwei kleinen Zamperl leicht schaukelnd in ihr neues Zuhause. Doch nicht überall auf dem Markt herrschte solch ein Glück. Am Stand der Hundediebe brach zuerst Streit, und dann eine kleine Rauferei aus, denn ihre Gier nach einem noch volleren Münzsäckchen war groß. Wäre nicht in diesem Augenblick ein Gendarm auf dem Markt aufgetaucht, wären wohl die Fetzen noch gewaltiger geflogen. So hielt sich das Trio nach einem kräftigen Kinnhaken, den Andreas Johannes verpasst hatte, ruhig. Als der Ordnungshüter an ihrem Stand vorbeikam, drehten die Langfinger ihre Gesichter in Richtung des Alten Peter und hofften, sie und ihre Hundezwinger würden der Kontrolle durch den Gendarmen entgehen.

2. Lumpi und Bazi

Zuhause angekommen, hoben die Zwillinge die kleinen Welpen vorsichtig in den bereitgestellten Korb und setzten sich daneben. Sogleich schauten die Welpen Ben und Anna neugierig an.

»Ich bin so glücklich, dass wir jetzt endlich ein Haustier haben, Ben.«

»Ja, ich auch, Anna. Und weil wir Zwillinge sind, hat uns der Herr Papa sicherlich für unsere guten Bewertungen in der Schule belohnen wollen und gleich ein Zwillingspärchen gekauft.«

Die Geschwister betrachteten ihre kleinen Hunde liebe­voll. Nach einiger Zeit trauten sie sich dann sogar, die Neuankömmlinge zu streicheln. Anfangs zitterten die Babys am ganzen Körper, doch nach kurzer Zeit gefiel ihnen die liebevolle Behandlung der Kinder. Sie schlossen ihre Augen und ließen sich die Streicheleinheiten gefallen. Plötzlich bildete sich neben dem Korb eine kleine Pfütze und Anna und Ben sahen sich erschrocken an.

In diesem Augenblick kam das Dienstmädchen Annamirl aus dem Wohnraum gehetzt, blieb ruckartig stehen und rief grantig:

»Was ist denn das? Zwei greisliche Hundsviecher? Haben wir jetzt auch noch eine kläffende Meute hier im Haus, die nichts als nur Dreck und Arbeit macht? Habe ich nicht schon genug zu tun? Tagein, tagaus lauf ich den Staubwolken hinterher und wasche die Farbkleckse des feinen Herrn aus seiner Kleidung. Und was ist der Dank dafür? Dass zwei haarige Bestien das Parkett nass machen. Und – wer putzt das wieder weg? Die dumme Annamirl natürlich. Irgendwann rutsche ich noch darauf aus und breche mir den Hals – ihr werdet es schon sehen. Aber dann ist es zu spät. Dann ist die dämliche Annamirl nämlich nimmer da, um Hundepipi aufzuwischen!«

Anna und Ben sahen sich erschrocken an. Was war denn mit ihrer Dienstmagd los?

»Nein, Annamirl, das brauchst du nicht zu machen. WIR werden unsere Hunde erziehen und WIR machen auch den Dreck weg. Versprochen!«, sagte Ben und holte einen Putzlappen, um den Parkettboden zu reinigen.

Annamirl schaute weiterhin finster drein, warf einen kurzen Blick aus dem Fenster auf die Straße und ging dann wutschnaubend ins nächste Zimmer, um dort die Betten zu machen. Mutter Emilia, die das Donnerwetter der Dienstmagd gehört hatte, kam zu den Zwillingen und meinte:

»Was hat denn Annamirl für ein Problem? Die fährt doch sonst nicht so schnell aus der Haut. Irgendetwas muss sie unglücklich machen, ich sehe es ihr schon die ganzen Tage an. Aber nun zu euch beiden. Habt ihr schon Namen für die Hunde ausgesucht? Ich bin neugierig«, lachte die Mutter.

Die Zwillinge sahen sich ratlos an.

»Nein, noch nicht, aber wir werden das bis zum Mittagessen erledigt haben. Was gibt es denn heute? Ich habe so einen großen Hunger«, sagte Anna und fasste sich theatralisch an den Magen.

»Heute hat Fanny ein Böfflamott zubereitet.«

»Lecker«, riefen Ben und Anna gleichzeitig.

»Ich liebe Rinderbraten«, rief Vater Carl aus seinem Malzimmer. »Was gibt es als Beilage?«

»Bohnen und dieses neumodische Zeug, diese Kartoffeln. Dieser Graf Rumford will ja, dass wir alle diese komische Knolle essen, damit wir nicht verhungern«, rief Fanny laut aus der Küche heraus.

»Fanny, sei dankbar, uns geht es gut«, tadelte Carl die Köchin. »Viele Teile der Münchner Bevölkerung leiden jedoch unter großem Hunger. Deswegen hat Graf Rumford die Suppenanstalten für die Bedürftigen eingeführt. Dort bekommen die armen Leute etwas Warmes in den Magen, eben eine nahrhafte Rumfordsuppe.«

»Ich unterstütze die Hungernden morgen wieder und werde beim Austeilen der Speisen in der Suppenküche helfen«, sagte Mutter Emilia und verschwand in der Küche, um nach dem Rechten zu sehen.

»Und wie sollen wir jetzt unsere beiden Neuankömmlinge nennen?«, fragte Anna ratlos.

»Ich habe schon einen Namen. Mein Hund heißt Lumpi! Und deiner?«, grinste Ben.

»Hm«, grübelte Anna. Dann erhellten sich ihre Züge und sie rief: »Bazi!«

»Lumpi und Bazi?«, rief Vater Carl lachend. »Na, das nenne ich mal echte Münchner Zamperlnamen.«

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»Hallo Opa, schenkst du mir einen Hund?«

Kaum hatte der Herr Professor den Telefonhörer am Ohr, bettelte seine Enkelin bereits am anderen Ende. Leicht verdattert fragte er sicherheitshalber nochmals nach: »Was willst du haben? Einen Hund?«

»Ja, einen zum Streicheln und Schmusen.«

»Ja, sapperlot, so was. Glaubst du, ich lass mich freiwillig von deinen Eltern aus der Stadt jagen, Anna? Wie stellst du dir das denn vor?«

»Ach, Opi, das ist doch ganz einfach. Du kaufst dir einen Hund und ich komme, wann immer möglich zu dir und kümmere mich um ihn. Indianerehr…«

»Nix da mit Indianerehrenwort. Das kenn ich schon. Na, na, mit mir nicht, meine Kleine. Mich wickelst du nicht um den Finger, mich nicht«, grantelte der Großvater.

»Ach geh, das ist doch ganz einfach. Wir gehen ins Tierheim und wählen einen lieben Hund aus. Hast du heute Nachmittag Zeit? Ich schon, es sind doch Ferien. Und außerdem bist du dann nicht mehr so alleine, mein lieber Opili«, flötete Anna ins Telefon.

»Was? Ich soll das Tier bei mir halten?«

»Ja, das wird dein neuer treuer Freund. Der geht mit dir durch dick und dünn!«

»Hm, muss mal darüber nachdenken«, grummelte Opa Leander und verabschiedete sich von Anna.

In diesem Moment schaute ihre Mutter ins Zimmer herein.

»Na, du kleine Lesemaus. Wie ist dein sechster Band?«

»Ja, recht spannend. Aber das Tollste sind die zwei Welpen. Ich habe gerade mit Opa telefoniert und im verklickert, dass er auch einen Hund braucht.«

»Aha«, lachte Annas Mutter. »Und was hat er dazu gemeint?«

»Er wollte darüber nachdenken«, antwortete Anna.

»So, so. Ich glaube, du hast ihm da einen Floh in den Kopf gesetzt. Seit ich mich erinnern kann, hatten wir immer Hunde. Als deine Oma starb, war unser damaliger Hund das Einzige, was Leander fröhlich stimmte und über den Verlust hinweghalf.«

Anna blickte ihre Mutter fragend an.

»Du machst mir Hoffnung?«

»Ich sage nichts dazu. Ach, bevor ich es vergesse, es gibt Mittagessen. Kommst du zu Tisch?«

»Ja, mir knurrt schon der Magen. Was gibt’s denn heute, Mama?«

»Ein französisches Menü: Filet mit Sauce, dazu Porree und Püree

»Ups, das klingt ja sehr … interessant.«

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Lumpi, Bazi und die Geschwister Ben und Anna gewöhnten sich schnell aneinander. Schon bald waren die vier unzertrennlich. Bevor die Zwillinge von der Schule nach Hause kamen, ging Annamirl immer rechtzeitig mit den Welpen vor die Tür. Kaum waren die Kinder in Sicht, ließ sie die Hunde von der Leine. Bellend liefen sie auf Anna und Ben zu. Das Dienstmädchen nutzte die Zeit, um sehnsüchtige Blicke in Richtung Schrannen­platz zu den auf Kundschaft wartenden Kutschern zu werfen. Meistens ging sie dann schlecht gelaunt und mit gesenktem Kopf ins Haus zurück, während die Kinder sich in den Wohnraum verzogen und mit ihren beiden Zamperln spielten. Die Meute lief gerade lärmend durch das Haus, als auf einmal energisch an der Eingangstür geklopft wurde. Annamirl kam hastig angelaufen und öffnete. Vor ihr stand der königliche Briefbote und hielt eine Nachricht für Vater Carl in den Händen. Das Dienstmädchen nahm die Post entgegen und brachte sie in das Arbeitszimmer des Hausherren. Dieser sah neugierig auf den Umschlag, öffnete ihn und las mit immer größerem Erstaunen die Worte, die dort in geschwungener Schrift standen. Schließlich legte er die Nachricht ungläubig beiseite und rief nach seiner Frau.

»Emilia, kannst du bitte zu mir kommen?«

»Gnädiger Herr, Ihre Frau ist in der Suppenanstalt beim Austeilen der Speise und wird in Kürze erwartet. Der Mittagstisch ist gleich fertig angerichtet, Sie können sich bereits ins Esszimmer begeben«, rief Fanny laut aus der Küche.

»Ah, ja, danke«, erwiderte Vater Carl, um dann sofort nach dem Kindermädchen zu rufen. »Walburga, kommen Sie für einen Moment zu mir.«

Walburga, die soeben erst eingetroffen war, legte ihren Mantel beiseite und lief schnell die Stufen hoch in die erste Etage zum Hausherrn. Nach kurzer Zeit kam sie aus seinem Zimmer und ging strahlend auf die nun auch neugierig gewordenen Zwillinge zu.

»Kinder, was für ein Glück euch beiden widerfahren ist! Geht die Hände waschen, wir essen gleich. Wenn eure Mutter eingetroffen ist, wird euer Vater eine wundervolle Nachricht verkünden.«

Anna und Ben sahen sich fragend an und wuschen artig ihre Hände, um sich schnellstens an den Tisch setzen zu können. Zwischenzeitlich traf auch die Hausherrin Emilia ein. Als Annamirl allen vier Familienmitgliedern die Suppe serviert hatte, begann Vater Carl, den Inhalt des Briefes zu erklären.

»Liebe Kinder, zuerst möchten wir beide betonen, dass wir unendlich stolz auf euch sind. Unserer Familie ist durch euch eine sehr große Ehre zuteilgeworden, denn unsere Majestät, König Maximilian I. Joseph, hat euch beide mit weiteren 15 Kinderpaaren auserwählt, bei der Hochzeit seines Sohnes, Kronprinz Ludwig, in einer besonderen Zeremonie dem Brautpaar zu huldigen!«

»Waaas sollen wir zwei machen?«, rief Anna ungläubig.

»Wir sollen mit 30 anderen Burschen und Mädeln das junge Hochzeitspaar im Namen aller hochjubeln lassen und Glückwünsche überbringen«, erklärte Ben.

»Ja, genau! Der Kronprinz wird am 12. Oktober seine Braut Therese von Sachsen-Hildburghausen zur Frau nehmen. Dazu wird es in der Stadt ein großes Fest geben, das mehrere Tage dauern soll. Der Höhepunkt wird ein Pferderennen vor den Toren unserer Residenzstadt sein, bei dem auch der Kutscher Franz Xaver Krenkl mitmachen wird«, erklärte die Mutter.

Kaum hatte sie den Namen des Kutschers ausgesprochen, knallte in der Küche die Suppenterrine scheppernd auf den Boden und die restlich verbliebene Flüssigkeit verteilte sich großzügig über Möbel, Boden und Fannys Schürze.

»Ach herrje, was für ein unglaubliches Glück«, rief die Köchin und sammelte die Scherben auf.

Am Tisch sahen sich alle fragend an. Weswegen sollte eine kaputte Suppenterrine nun einen Glücksfall darstellen? Annamirl trat ans offene Fenster und fächerte sich hektisch mit einer Stoffserviette Frischluft zu. Walburgas Wangen liefen knallrot an und sie murmelte etwas von einer ›großen Chance‹. Der Hausherr schüttelte nur ungläubig den Kopf – waren jetzt alle irgendwie aus dem Häuschen?

»Papa«, fragte Anna, »warum sind gerade wir beide dafür ausgesucht worden und wie geht es nun weiter?«

»Ich bin ein sehr angesehener Maler hier in München und König Maximilian schätzt meine Bilder sehr. Da er wohl nach Geschwisterpärchen sucht, war es naheliegend, dass ihr beide ausgewählt wurdet. Ich habe mit eurem Kindermädchen Walburga bereits gesprochen, denn es kommen viele Vorbereitungen auf uns zu. Zuerst müssen wir euch gegen die Blattern impfen lassen. Dann benötigt ihr die passende Garderobe, die von Schneidermeister Rupperti nach Maß angefertigt wird. Anschließend muss von euch die Huldigung eingeübt werden, da darf nichts schieflaufen. Walburga wird sich um alles kümmern.«

Die immer noch hochrote Walburga nickte nur und erntete einen giftigen Blick von Annamirl.

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Das Telefon läutete und der Herr Professor hob ab.

»Opa, was sind die Blattern?«

»Ah, das ist eine interessante Frage. Die Kindsblattern-Seuche kennst du unter dem Begriff ›Pocken‹. Früher sind viele Kinder bereits in jungen Jahren daran gestorben, da die medizinische Versorgung extrem schlecht war. Zum Glück sind die Pocken in unserer heutigen Zeit weltweit ausgerottet, dank Impfungen und modernster Medizin.«

»Ah ja, ich erinnere mich! Der Kinderarzt hat mich auch schon mal mit einer Spritze in den Oberarm gepikst.«

»Genau! Übrigens, wie ist denn dein Buch, Anna? Können wir bald wieder losziehen und munichen?«

»Ach, Opa, jetzt mach keinen Stress, sonst bekomme ich noch die Pocken. Apropos losziehen – warst du schon im Tierheim?«

»Ah, du Anna, es hat gerade an der Tür geläutet, ich muss Schluss machen. Pfiat di!«

»Ja, servus, du Lügenbaron«, kicherte Anna und las weiter.

3. Haltet die Diebe!

Die Kutsche wartete vor dem Haus in der Weinstraße. Kurz darauf traten die Zwillinge, begleitet von Walburga, aus dem Haus. Das Kindermädchen hatte sich herausgeputzt und trug ihr schönstes Sonntagskleid. Von der Hausherrin Emilia hatte sie sich heimlich ein paar Spritzer Parfüm in das Dekolleté gesprüht. Auf dem perfekt frisierten Haar thronte ein auffälliger Hut, so groß wie das Wagenrad der Kutsche von Franz Xaver, der vor dem Haus wartete. Der Maler Carl hatte Walburga beauftragt, mit den Geschwistern in das neu erbaute Allgemeine Krankenhaus vor dem Sendlinger Tor zu fahren. Dort sollten die beiden Kinder eine Impfung gegen die Blattern bekommen. Bevor Anna und Ben in die Kutsche stiegen, winkten sie ihren Hunden noch einmal zum Abschied zu. Annamirl hielt beide an der Leine und lächelte von einem Ohr zum anderen, als der Kutscher ihr einen kurzen Blick zuwarf. Oben in der ersten Etage stand Fanny am Fenster und beobachtete alles. Sie lehnte sich weit nach vorne, um das Geschehen auf der Straße verfolgen zu können, das ihr gar nicht gefiel. Und da geschah es! Die Vase, die sie in der Hand hielt, entglitt ihr. Hektisch griff sie danach und bekam sie gerade noch zu fassen. Trotzdem ergoss sich ein nasser Blumenregen über Walburga, die direkt unter dem Fenster stand. Das Kindermädchen schrie laut auf und blickte erst an sich hinab und dann erbost nach oben. Doch dort war niemand mehr zu sehen, denn Fanny war schleunigst in die Küche gelaufen. Die Zwillinge sahen sich belustigt an.

»So eine Unverschämtheit. Wie ich aussehe – wie eine Vogelscheuche!«, schimpfte Walburga, nahm den Hut ab und goss das Blumenwasser aus der Hutkrempe. »Zum Glück ist mein Kleid nicht getroffen worden.«

Der Kutscher trat nahe an Walburga heran, entfernte höflich ein paar Wasserspritzer von ihrer Schulter und bückte sich dann nach einer rosa Nelke, die direkt vor ihren Füßen auf dem Boden lag. Die Blume überreichte er allerdings Annamirl, die daraufhin heftig errötete und verlegen auf den Boden sah. Als endlich alle in der Kutsche saßen, konnte die Fahrt in Richtung Sendlinger Tor losgehen. Walburga blickte wütend aus dem Kutschfenster und bebte am ganzen Körper vor Zorn.

Ein paar Häuser weiter schlenderten zeitgleich drei finster dreinblickende Gestalten durch die Gassen, um nach neuer Beute Ausschau zu halten. Das Trio hatte kürzlich Glück gehabt, dass der Gendarm auf dem Viktualienmarkt sie nicht kontrolliert hatte. Für heute Nacht planten die Langfinger wieder einen Raubzug, da Vollmond war. Als sich die Hundediebe in Höhe des Marktplatzes befanden, sahen sie eine Dienstmagd mit zwei kleinen Dackeln das herrschaftliche Haus in der Weinstraße verlassen. Über die Gesichter der drei huschte ein Lächeln und sie blickten sich verschwörerisch an. In sicherem Abstand folgten sie der Magd, denn so eine Beute wollten sie sich nicht entgehen lassen – zwei junge Hunde! Annamirl merkte nichts von den Verfolgern, denn sie schwebte wie auf einer Wolke. Die vom Kutscher überreichte Nelke hatte sie sich in den Ausschnitt gesteckt. So ging sie die Weinstraße entlang in Richtung der Kirche Sankt Kajetan. Ihre heutige freie Stunde wollte sie an der frischen Luft verbringen, war ihr doch vorhin mächtig heiß geworden. Mit den Welpen kam sie nicht besonders schnell voran. Immer wieder musste sie anhalten, denn die Hunde schnüffelten an jedem Baum oder spielten miteinander Fangen. Deswegen zog sich Annamirls Spaziergang in die Länge. Als sie sich bereits in der Residenzgasse befand und die Türme der Theatinerkirche sehen konnte, rempelte sie plötzlich eine Person von hinten an. Annamirl strauchelte und wäre beinahe auf den Bürgersteig gefallen, hätte sie nicht ein neben ihr gehender Herr aufgefangen. Das Dienstmädchen war verwirrt und merkte nicht, wie ein weiterer Fremder ihr die Hundeleinen aus der Hand nahm. Als sie wieder aufrecht stand und ihre Kleidung glatt strich, hörte sie von hinten eine ihr bekannte Stimme aufgeregt rufen:

»Haltet die Diebe!«

Annamirl drehte sich überrascht um und sah ihren Dienstherren Carl auf sich zulaufen. Dieser rief nochmals lauthals durch die Gasse.

»Haltet die Diebe!«

Da erst bemerkte Annamirl, dass sie keine Hundeleinen mehr in der Hand hielt und auch sonst weit und breit keines der Hundekinder zu sehen war. Vor Schreck wurde sie kreidebleich und hielt sich die Hand entsetzt vor den Mund. Ein paar Passanten liefen zusammen und zwei mutige Burschen nahmen die Verfolgung auf. Sie rannten dem Trio hinterher in Richtung des Schwabinger Tors.

»Annamirl, ist Ihnen etwas passiert?«, fragte Carl.

»Nein, ich bin mit dem Schrecken davongekommen. Aber die Hunde – die sind weg, Jessas, Maria und Josef. Das ist das größte Unglück meines Lebens«, jammerte die Dienstmagd.

»Das kriegen wir schon wieder hin, ich laufe den Halunken hinterher.«

Die Hundediebe schienen sich zwischenzeitlich in Luft aufgelöst zu haben. Als Carl, atemlos vom Laufen, in Höhe der Kirche Sankt Kajetan war, hörte er einen entsetzlichen Schrei aus dem Inneren, der jedoch sofort unterdrückt wurde. Carl hatte einen Verdacht. Sollten das die Hundediebe sein? Falls ja, brauchte er Verstärkung. Hilfesuchend sah er sich um und winkte Annamirl aus der Ferne zu sich. Zwei Minuten später stand sie schnaufend neben ihm und berichtete, dass die zwei helfenden Burschen soeben durch das Preysinggässel gelaufen seien und sich somit in unmittelbarer Nähe befanden. Carl schickte die Dienstmagd los, um die Helfer zu finden, während er einen prüfenden Blick in die Kirche warf, und dann vor dem Kirchenportal Wache hielt. Kurz darauf kamen die drei heftig schnaufend angerannt.

»Ich vermute, die Hundediebe sind in der Kirche. Ich habe einen verdächtigen Schrei gehört und glaube, dass einer von ihnen gebissen wurde. Wollt ihr beide mir helfen? Gehen wir in die Kirche rein?«, überschlug sich Carl fast mit Worten.

»Warten Sie, gnädiger Herr«, unterbrach ihn Annamirl. »Da vorne sehe ich zwei Gendarmen. Ich lauf schnell hin und hole sie her.«

Einen Wimpernschlag später war der perfekte Plan zur Rettung der Welpen ausgeheckt und fünf Männer machten sich daran, die Hundediebe aufzuspüren. Äußerst vorsichtig schlichen sie durch das Hauptportal in die halbdunkle Kirche und lauschten. Nachdem sie nichts gehört hatten, verteilten sie sich nach rechts und links und schlichen geduckt nach vorne. Immer wieder hielten sie inne und lauschten, warfen sich fragende Blicke zu, die aber nur mit einem Kopfschütteln beantwortet wurden. Niemand hatte etwas gesehen oder bemerkt. Mit einem Mal ließ ein markerschütternder Schrei den fünf Helfern die Haare zu Berge stehen. Nun waren sie sich sicher, dass sie hier in der Kirche am richtigen Fleck waren. In geduckter Haltung bewegten sie sich in Richtung des Altars. Plötzlich war ein leises Winseln und Bellen zu hören. Carl wusste sofort, dass dies seine Hunde waren. Hoffentlich taten ihnen die Halunken nichts Böses an. Einer der Gendarmen winkte die anderen zu sich, hielt sich den rechten Zeigefinger an die gespitzten Lippen und deutete mit der linken, ausgestreckten Hand nach unten, in Richtung der Gruft. Da waren sie also, diese Halunken! Auf leisen Sohlen schlich die Gruppe hintereinander die Treppen abwärts zur Grablege der Wittelsbacher. Doch sie waren nicht leise genug, denn mit einem Mal kamen die drei Hundediebe laut schreiend und mit den Armen um sich wirbelnd die Stufen hinaufgelaufen und quetschten sich an den fünf Suchenden vorbei. Dies kam so überraschend, dass sie nahezu ohne eine Schramme abzubekommen, flüchten konnten. Die überrumpelten Männer waren ihnen jedoch nach einigen Schrecksekunden wieder auf den Fersen. Die Langfinger liefen schnurstracks auf den großen Einlass des Hauptportals zu, denn von dort aus war das Entkommen ein Kinderspiel. Als die drei an den großen, schweren Türen zogen, um ins Freie zu gelangen, gingen diese jedoch nicht auf. Verdattert probierten sie es immer wieder – und verloren dadurch viel Zeit. So kam es, wie es kommen musste, die Falle schnappte zu und die drei Ganoven wurden umzingelt und festgehalten. Sogleich versuchten die Ordnungshüter, ihnen Handfesseln anzulegen, doch Simon, Johannes und Andreas waren äußerst geschickt und schafften es, sich aus der Umklammerung zu winden – und schwupps, liefen sie über den Seitenausgang ins Freie und verschwanden in einer angrenzenden Gasse. Die verdatterten Gendarmen nahmen die Verfolgung auf. Als die restlichen Männer vor die Kirche traten, wurde Carl klar, warum es den Dieben nicht gelungen war, ins Freie zu laufen. Annamirl hatte eine beachtliche Menge an Helfern um sich versammelt. Die Aufgabe dieser Menschen bestand darin, mit aller Kraft das Öffnen der Kirchentüren zu verhindern und dadurch die Diebesbande am Flüchten zu hindern. Dies war ihnen gelungen – nur leider hatte keiner an den Seitenausgang gedacht. Aber: Wo steckten eigentlich die Hunde? Zusammen mit dem Dienstmädchen ging der Maler nochmals in die Kirche und rief laut die Namen der beiden Zamperln. Und da – sie bekamen ein Japsen zur Antwort. Carl und Annamirl gingen den Lauten nach und fanden die zwei Hunde zitternd und verängstigt in einer Ecke der Gruft. Als sie ihre Retter erkannten, liefen beide bellend auf sie zu und ließen sich auf den Arm nehmen. Allen fiel ein Stein vom Herzen. Wieder an der frischen Luft, bedankte sich Carl bei den mittlerweile mit leeren Händen eingetroffenen Gendarmen und suchte die zwei Burschen, die er kurz darauf ausfindig machen konnte und sogleich ansprach.

»Ich bin euch beiden zu großem Dank verpflichtet. Darf ich euch zu einem Glas Wein und einer Partie Billard einladen?«, fragte Carl.

Die zwei, die sich als Studenten der Medizin entpuppten, nickten erfreut und gingen mit Carl ins Café Tambosi, den Lieblingsort des Malers.

Im Hofgarten hingegen huschten drei Gestalten von Busch zu Busch. Sie hatten es sehr eilig, unerkannt wegzukommen. Beinahe wären sie im Gefängnis gelandet – dann wäre es aus gewesen mit dem lockeren Leben als Hundedieb.

4. Der junge Max Pettenkofer

Die Zwillinge lagen im Bett und fühlten sich schrecklich elend. Gestern waren sie mit ihrem Kindermädchen Walburga im neu erbauten Allgemeinen Krankenhaus gewesen, um dort gegen die Pocken geimpft zu werden. Der Einstich mit der Spritze war nicht so schlimm, wie die beiden ursprünglich befürchtet hatten, trotzdem brannte die Stelle am Oberarm leicht. Allerdings fühlten sich Anna und Ben seitdem so, als ob sie eine schlimme Grippe bekommen würden – sie hatten Kopfschmerzen und erhöhte Temperatur. Fanny brachte ihnen eine kräftige Suppe, doch die Geschwister hatten kaum Hunger. Sie schüttelten verneinend die Köpfe und sanken noch tiefer in ihre Federkissen zurück. Bettruhe war angesagt. Walburga nutzte die freie Zeit und ging in ihre Kammer, um die löchrigen Strümpfe der Zwillinge zu flicken, denn Annamirl hatte einfach zu viel zu tun und kam mit der Arbeit nicht mehr hinterher. Plötzlich klopfte es laut an der Eingangstür. Walburga warf einen neugierigen Blick aus dem Fenster und erkannte die Person, die vor dem Haus stand. Aufgeregt warf sie die Nähsachen in eine Ecke, raffte gehetzt ihren Rock hoch und sauste wie der geölte Blitz die Stufen hinab ins Erdgeschoss. Annamirl und Fanny folgten ihr einen Wimpernschlag später. Walburga rauschte wie ein Wirbel­wind in die Eingangshalle und riss schwungvoll die Tür auf. Zum Entzücken der Damen stand dort der Finessensepperl – ein stadtbekannter Überbringer von Liebesbotschaften. Er wurde wegen seiner Verschwiegenheit sehr gerne von Verliebten beauftragt. Die Herzensnachrichten waren bei ihm sicher aufgehoben, denn er konnte weder schreiben noch lesen, zudem war er äußerst vertrauenswürdig und verriet niemals seine Auftraggeber oder die Empfänger der Liebesbriefe. Walburga wartete daher nicht lange auf eine Erklärung des Briefboten und griff beherzt nach dem Umschlag, den er in seiner Hand hielt. Sie nickte ihm kurz zum Gruß zu und verschloss schwungvoll die Tür vor seiner Nase. Annamirl und Fanny schauten sprachlos dabei zu. Walburga verzog sich daraufhin schnurstracks in ihre Kammer und stellte einen Stuhl unter die Türklinke, damit niemand zu ihr eindringen konnte, denn sie wollte von den zwei anderen Dienstboten nicht gestört werden. Errötend betrachtete sie den zartrosa Umschlag, auf dem in geschwungenen Lettern ›Für meine Liebste‹ geschrieben stand. Zwischenzeitlich kamen die beiden ausgetricksten Mägde angelaufen und standen schimpfend und klopfend vor Walburgas Kammer, denn eine jede behauptete, der Brief sei für sie. Nach einiger Zeit öffnete das Kindermädchen die verbarrikadierte Tür und tänzelte mit strahlender Miene federleicht an den beiden vorbei in die Küche. Dort nahm sie sich einen Apfel aus der Obstschale und biss kräftig hinein. Kauend und mit hoch erhobenem Kopf verschwand sie wieder in ihrer Kammer, um die himmlischen Zeilen erneut zu lesen. Annamirl und Fanny sahen sich ratlos an und nahmen nach einer kräftigen Schimpftirade vor Walburgas Tür ihre Arbeit wieder auf, denn von alleine erledigte sich diese nicht. Fanny schnitt wütend fingerdicke Brotscheiben ab und Annamirl schrubbte grantelnd den Fußboden mit einem nassen Wischlappen. Beide waren neugierig und wollten wissen, für wen diese besondere Nachricht nun eigentlich bestimmt gewesen war und wie der Inhalt lautete.

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»Anna, der Opa ist am Telefon.«

»Danke, Mami«, sagte Anna und nahm den Hörer in Empfang.

»Na, meine Liebe, wie geht’s dir heute?«, wollte der Großvater wissen. »Hast du schon Fragen zu deinem Buch, die ich dir im Voraus erklären könnte?«

»Ist dir langweilig, Opi? Mich interessiert viel mehr, ob du schon einen Hund ausgesucht hast!«

»Ach, Anna, du immer mit deinen Ideen. Nein, habe ich nicht. Enttäuscht?«

»Nein, Schwamm drüber. Aber sag mal, hast du damals der Oma Liebesbriefe geschrieben?«

Ein herzhaftes Lachen war die Antwort.

»Hast du oder hast du nicht? Los, sag schon!«, drängelte Anna.

»Natürlich habe ich das. Ich war ja mächtig verliebt in sie. Früher war das ganz normal, seine Gefühle oder beispiels­weise eine Einladung zum Tee oder Tanz auf diese Weise mitzuteilen. Die meisten von uns hatten doch die Hosen gestrichen voll und trauten sich nicht, ihre Herzensdame anzusprechen.«

»Wow, wie schnulzig. Waren die Briefe rosa und mit Parfüm eingesprüht?«

»Meine nicht, aber da gab es sicherlich ein paar Kandidaten, die etwas über die Stränge geschlagen haben. Übrigens, Anna, hätten wir nicht den Briefwechsel aus vergangenen Zeiten, wüssten wir über viele Vorkommnisse oder Geheimnisse nicht so gut Bescheid. Zum Beispiel sind Briefe von der Kriegsfront, Post zwischen Adeligen und Regierungen oder einfache Liebesbriefe heute eine sehr wichtige Quelle, um die damaligen Lebensumstände besser zu verstehen. Nehmen wir doch einmal als Beispiel den Musiker und Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. Den kennst du doch, oder?«

»Ja, ich klimpere doch immer seine kleine Nachtmusik auf dem Klavier. Was hat der denn für Briefe geschrieben?«

»Mozart starb im Jahr 1791 und fällt somit in etwa in die Zeit, in der dein Buch handelt. Er hat sehr lustige Briefe geschrieben – das glaubst du nicht, was da alles drinstand.«

»Mann, Opa, jetzt spann mich doch nicht so auf die Folter. Los, sag schon, was der so alles aufs Papier gebracht hat außer seinen Noten«, drängelte Anna neugierig.

»Mozart hat viele Briefe an seine Cousine geschrieben, warte mal, ich habe ein Buch darüber.«

Nach kurzer Zeit nahm er den Hörer wieder auf und las aus dem Buch, das er geholt hatte, vor:

»Ich dachte, der macht schöne Musik und schreibt nicht darüber, wie er auf die Toilette geht! Dass der so einen Schmarrn in seine Briefe hineinschreibt, das haut mich echt um. Weißt du was, Opa? Ich lese jetzt lieber in meinem Buch weiter. Bis dann!«

Der Großvater verabschiedete sich noch schnell mit einem Ausspruch Mozarts:

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»Was machen wir jetzt?«, fragte Andreas die beiden anderen Gauner.

»Keine Ahnung, in München können wir uns vorerst nicht mehr blicken lassen. Sämtliche Gendarmen sind auf uns angesetzt. Und diese zwei kleinen Köter, die wir gestern in der Gruft lassen mussten, sacken wir später einmal ein. Die sind ihr Geld wert, die lassen wir uns nicht entgehen und verkaufen sie einfach ein zweites Mal auf dem Viktualienmarkt. Nächsten Monat ist Gras über die Sache gewachsen, und dann schlagen wir erneut zu! Die dumme Dienstmagd überrumpeln wir bestimmt noch einmal. Nur, wo sollen wir jetzt bloß untertauchen?«, murmelte Johannes niedergeschlagen.

»Wir reisen mit der Postkutsche nach Garching. Mein Bruder Willi arbeitet dort in einer Tavernwirtschaft. Sicherlich kann der uns helfen, für einige Zeit unterzutauchen. Vielleicht werden Aushilfen in der Wirtschaft, der Schmiede oder der Wagnerei gesucht. Ehrliche Arbeit soll ja angeblich besser sein als Stehlen. Garching ist nicht weit weg und innerhalb kürzester Zeit können wir wieder in unsere schöne Residenzstadt zurück, um unserem eigentlichen Beruf nachzugehen, dem Handel mit Hunden. Morgen fahren wir nach Garching, packt schon mal euer Säckel. Ich gehe in die Stadt und erkundige mich, wann die Postkutsche abfährt«, schlug Simon vor.

»Hier, nimm meinen großen Hut und ziehe ihn dir tief ins Gesicht.«

Johannes gab Simon seine Kopfbedeckung und eine Jacke, die er aus einer ausgebeulten Tasche hervorkramte. Von Andreas erhielt Simon noch einen großen Korb, wie ihn Bauern benutzen. Simon stopfte seine langen Haare unter den Hut und zog sich die Jacke an. Mit dem Weidenkorb unter dem Arm verließ er das Versteck der Hundediebe und marschierte in Richtung Hofgarten. Er wollte sich über das Schwabinger Tor in die Stadt hineinschleichen. Als das Einlasstor nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt lag, senkte er seinen Kopf und begann, ein Liedchen zu pfeifen. Den Korb drückte er fest an sich. So ging er festen Schrittes auf eine um Einlass wartende Kutsche zu, die gerade vom Wächter überprüft wurde. Just in dem Moment, als der Aufpasser seinen Kopf in das Innere der Kutsche steckte, huschte Simon an der hinteren Seite des Gespanns ungesehen vorbei. Schnell beeilte er sich, im Schatten der nächsten Gasse unterzutauchen. Kurz darauf stand er auf dem Schrannenmarkt und beobachtete das bunte Treiben. Hier würde er niemandem auffallen. Als er einen Post­kutscher Brot einkaufen sah, ging er auf ihn zu und fragte nach Uhrzeit und Abfahrt der Postkutsche in Richtung Landshut. Der Kutscher sah ihn etwas irritiert an und meinte dann:

»Du kennst dich hier nicht aus, oder? Bist wohl fremd? Es sind so viele Kutscher momentan erkrankt, dass die Postkutschen zurzeit nur Briefe und Pakete befördern, aber keine Personen. Da musst du schon großes Glück haben, wenn du doch eine Lücke findest, mitfahren kannst und dir keine blauen Flecken holst, weil die Wägen so vollgestopft sind. Frag doch lieber den Milchkutscher, der kommt hier jeden Morgen um sechs am Markt an, vielleicht nimmt der dich ja mit, wenn er wieder zurück aufs Land fährt.«

Simon bedankte sich und eilte zu seinen Kameraden zurück. Morgen um sechs sollte es also losgehen!

Während die Hundediebe sich auf ihre Abreise vorbereiteten, hatten Anna und Ben nach wie vor hohes Fieber. Annamirl wurde daher frühmorgens zur Apotheke in die Residenzgasse geschickt. Sie sollte bei Franz Xaver Pettenkofer eine Medizin besorgen. Annamirl wollte die Gelegenheit gleich nutzen, um die Hunde auszuführen und legte beiden eine Leine an. Als sie das Haus verließ, war auf dem Marktplatz bereits großer Trubel. Heute war Schrannentag und viele Kornhändler entluden ihre Pferdekarren, die mit schweren Kornsäcken beladen waren. Ganz am Rande des Marktes kletterte gerade der Millimo von seinem Kutschbock, um seine Lieferung abzuladen. Er nahm eine Milchkanne nach der anderen von der Ladefläche seiner Milchkutsche und stellte sie ab. Gleich würde er wieder seine Rückfahrt antreten, musste aber auf dem Markt noch Brot, Kerzen und ein fettes Huhn für seine Frau besorgen. Mit einem kleinen Weidenkäfig unter dem Arm, suchte er den Geflügelhändler auf. Annamirl ging die Weinstraße entlang in Richtung der Residenz. Die beiden Hunde freuten sich über den frühmorgendlichen Ausflug und zogen kräftig an der Leine. Als Annamirl in die Residenzgasse einbog, kamen ihr drei Männer mit gesenkten Köpfen entgegen. Die Hunde reagierten sofort, begannen zu knurren und laut zu bellen und zogen das Dienstmädchen kräftig mit sich. Das Trio erkannte die zwei Hunde ebenfalls und noch ehe Annamirl sich versah, waren die Gestalten in einer Gasse verschwunden. Sie wunderte sich über die Hunde, denn normalerweise waren die Welpen lieb und knurrten nie. Kurz darauf stand sie vor der Hofapotheke und blickte an dem schönen Gebäude hoch. Über der Apotheke lagen die Wohnräume des Apothekers Pettenkofer sowie Trockenböden für Wurzeln und Tees, die er dort lagerte, um sie zu Medizin zu verarbeiten. Annamirl öffnete die Tür und betrat den Ladenraum. Ein Glöckchen verkündete ihre Ankunft. Verschüchtert blieb sie vor dem Verkaufstresen stehen und betrachtete die teilweise deckenhohen Regale. Diese waren gefüllt mit Gefäßen aus Porzellan oder Glas, die allesamt handbeschriebene Etiketten trugen. Ein Mann stand an einem Tisch und verarbeitete Kräuter in einem Mörser. Da hörte Annamirl die Treppen knarzen und kurz darauf stand der Herr Apotheker mit einem Knaben an seiner Hand vor ihr. Als der Junge die Welpen erblickte, stürzte er sich jauchzend auf sie, um mit ihnen zu spielen. Die kleinen Hunde freuten sich und liefen schwanzwedelnd auf ihn zu. Alle drei wälzten sich auf dem Boden und erst ein strenger Ausruf beendete das Spiel.

»Max, nicht doch, bleib bitte bei mir«, tadelte der Apotheker den Knaben.

Der Bub stand auf, glättete seine Kleidung und stellte sich neben den Tresen. Von dort aus behielt er die zwei Dackel fest im Blick.

»Entschuldigen Sie bitte, gnädiges Fräulein. Mein Neffe Max ist etwas keck.«

»Aber nicht doch, ich kenne das von unseren Zwillingen. Die spielen doch genauso ausgelassen mit den Hunden«, lachte Annamirl und blickte neugierig auf den jungen Pettenkofer, der mit seinen schwarzen Locken und den braunen Augen herzzerreißend aussah.

Franz Xaver Pettenkofer hörte sich Annamirls Schilde­rungen zum Krankheitsverlauf der Zwillinge an, nickte dann ruhig und holte aus einem Regal ein dickbauchiges Porzellangefäß. Einen Teil des Inhalts füllte er in eine Papiertüte und überreichte sie mit einem Lächeln.

»Bitte mit heißem Wasser aufgießen. Jedes Kind soll eine Tasse davon morgens und abends trinken. Ich denke, morgen springen die Zwillinge schon wieder durch die Gegend und machen alles unsicher. Richten Sie bitte dem Carl einen schönen Gruß aus, morgen Abend spielen wir wieder eine Runde Billard im Café Tambosi. Ich hoffe, er kommt auch.«

»Ich werd’s meinem Hausherren ausrichten. Vielen Dank an Sie für die Medizin«, verabschiedete sich Annamirl und bezahlte noch schnell.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783943814316
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Oktoberfest Viktualienmarkt Englischer Garten Roman Abenteuer

Autor

  • Petra Breuer (Autor:in)

seit 2014 Dozentin an diversen Volkshochschulen in der Erwachsenenbildung und der jungen VHS seit 2014 Schulklassenprogramm für Grundschulen im Münchner Stadtmuseum seit 2014 Museumsführungen im Münchner Stadtmuseum 2012 Gründung und Leitung Verlag Phantasiereich seit 2010 Autorin
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Titel: Mysteriöse Botschaften