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Tumult auf der Dult

von Petra Breuer (Autor:in)
123 Seiten
Reihe: Abenteuer in München, Band 3

Zusammenfassung

Im Jahr 1318 findet in Munichen am Anger die Jakobidult statt. Wie ein Magnet zieht dieses Fest die unterschiedlichsten Personen an. Weitgereiste Händler bieten wertvolle Waren feil und fahrendes Volk hält die Dultbesucher mit akrobatischen Darbietungen in seinem Bann. Das bunte und fröhliche Treiben nimmt jedoch eine plötzliche Wende und gerät außer Kontrolle. Die Zwillinge Anna und Ben befinden sich unerwartet inmitten dieses Tumults und greifen beherzt ein. In der Gegenwart erkunden Anna und ihr Opa den Alten Hof, die Alte Münze und den Jakobsplatz. Eine Sage und die Geschichte des Brezenreiters sowie ein liebevolles Geschenk auf der Auer Dult vollenden das spannende und informative Wochenende der beiden

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. Schmerzhafte Rutenschläge

Anna rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her. Wann verkündete der Schulgong endlich den Unterrichtsschluss? Heute kam aus ihrer Lieblingsreihe der dritte Band auf den Markt und sie konnte es kaum erwarten, die Lektüre endlich in Händen zu halten. Anna hatte sich schlauerweise schon vor Monaten beim Verlag dafür vormerken lassen, das Buch direkt mit der Post nach Hause geschickt zu bekommen. Und heute war es soweit. Endlich ertönte der Gong und alle Kinder stürmten nach Hause.

»Ist mein dritter Band da?«, rief Anna, ohne überhaupt ihre Mutter zu begrüßen.

»Hallo erstmal, meine Liebe. Ja, das Buch liegt schon für dich bereit. Wasche dir bitte noch die Hände und komm dann zu Tisch.«

»Was gibt es heute zu essen?«

»Spanferkelhappen mit Petersilienwurzelmus, Lammbissen im Senfmantel, gedünstetes Zicklein, Aal in Kräutertunke, gefüllte Forelle, Huchen in Salzkruste sowie Mäuchen in weißer Soße. Zum Nachtisch reiche ich dir Honigkuchen und Veilchenpudding sowie einen Pfurz-Kuchen.«

»Häää? Mama, waaaas gibt es?«

Annas Mutter grinste leicht.

»Ich habe ganz neugierig in deinem neuen Buch geblättert. Das scheint ja wirklich wieder sehr interessant zu sein. Und um dich jetzt ein bisschen auf die Schippe zu nehmen, habe ich dir diesen Bären aufgebunden.«

»Mann, du bist heute wieder sehr komisch«, brummte Anna, huschte mit noch feuchten Händen in die Küche und schnappte sich freudestrahlend ihr neues Buch.

Sie blätterte es hastig durch. Tatsächlich, es ging um wirklich tolle Münchner Themen aus der damaligen Zeit. Anna stolperte über das Wort »Brezenreiter« und staunte über eine große Zeichnung der Jakobidult.

»Aha, deswegen wohl der süße Honigkuchen«, lächelte Anna. »Diesmal wird über einen Jahrmarkt geschrieben.«

Sie durchforstete nochmals das Inhaltsverzeichnis und ihr Blick blieb an der Überschrift des Kapitels 7, Abrahams leise Tränen, hängen. Annas Spannung wuchs.

Schnell stopfte sie das Mittagessen in sich hinein, erledigte die Hausaufgaben in Windeseile und warf sich nach getaner Arbeit schwungvoll auf ihr Bett. Jetzt war den ganzen freien Nachmittag bis zum Abendbrot Lesen angesagt. Lesen, lesen und nichts weiter als lesen.

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»Ben, konzentriere dich, sonst bekommst du die Birkenrute zu spüren. Du träumst heute bereits die gesamte Unterrichtsstunde vor dich hin.«

Schulmeister Adalbert Scholasticus schwenkte eine eng gebundene Rute aus Birkenzweigen drohend über dem Kopf seines Schülers. Ben zuckte leicht zusammen und verhielt sich still. Stefan schielte seinen Freund vorsichtig von der Seite aus an. Seit den frühen Morgenstunden saßen die Schüler in ihrer einfachen Schule auf dem kalten Lehmboden. Der Unterrichtsraum war karg ausgestattet. Das einzige Möbelstück bestand aus einem Stuhl mit hoher Rückenlehne, von welchem aus der Schulmeister mit strengem Blick seine Schützlinge überwachte. Der Raum hatte ein kleines Fenster, durch das der Wind etwas frische Luft hereinwehte. Zum Leidwesen der Kinder passierte dies jedoch auch zur kalten Jahreszeit. Nicht selten flogen Schneeflocken, Hagelkörner oder Laub ins Klassenzimmer. Von den Insekten ganz abgesehen, die natürlich auch etwas lernen wollten. Bei Starkregen wurden manchmal sogar das Gewand der Kinder sowie das ausgelegte Stroh auf dem Boden nass. Sonnenstrahlen fanden nur nachmittags den Weg in die kleine Räumlichkeit, denn direkt vor dem Haus stand ein großer, dicht beblätterter Baum, der viel Licht abhielt. Die Kinder saßen eng beieinander auf spärlich ausgestreutem Stroh. Eine Stunde nach Sonnenaufgang begann der Unterricht und er endete bei Einsetzen der Dunkelheit. Jedes der Kinder besaß mehrere Wachsplatten zum Schreiben und einen spitzen Griffel aus Holz oder Metall, einen sogenannten Stilus, mit dem sie Buchstaben oder Zahlen in das Wachs ritzten. Diese Wachsplatten waren sehr praktisch. Sie bestanden aus einem Holzbrett, das in der Mitte eine ausgehöhlte Vertiefung hatte. In diese Mulde wurde das Wachs gegossen. Die Schüler waren dadurch in der Lage, mit ihrem Stilus auf dem gehärteten Wachs zu schreiben. Abends nach der Schule wurde das Wachs wieder geglättet, sodass am nächsten Schultag eine unbeschriebene Tafel zur Verfügung stand.

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Schulmeister Adalbert Scholasticus lobte wenig und schimpfte viel. Gelegentlich bekamen seine Schützlinge die Birkenrute zu spüren. War er schlecht aufgelegt, ließ er sich schmerzvollere Bestrafungen einfallen. Jeder seiner Schüler hatte Angst vor diesen Maßnahmen. Ständig fror der alte Lehrmeister, da er sehr dürr war. So trug er sommers wie winters mehrere Beinlinge übereinander sowie zwei langärmlige Oberkleider. Um seine Schultern legte er sich gerne ein wärmendes Schaffell. Beide Füße steckten in dicht gewalkten Filzschuhen, die er zusätzlich mit einem Haufen Stroh zudeckte. Seine alten, knöchrigen Finger tasteten permanent den langen Kinnbart ab. Schlohweiße Haare hatten sich in Form eines Kranzes um seinen Kopf formiert. Der Schulmeister war ein extrem strenger Mann, der bereits seit vielen Jahren die Kinder der wohlhabenden Bürger Munichens unterrichtete. Ausnahmslos der Nachwuchs der Mittelschicht, also Kinder von reichen Handwerkern sowie vermögenden Kaufleuten und Salzhändlern, hatten das Recht und das Geld, den Unterricht zu besuchen. Insgesamt 25 Schüler wurden von Adalbert Scholasticus in den Fächern Schreiben, Rechnen und Lesen unterrichtet. Zusätzlich stand noch Gehorsam, Ordnung, Sauberkeit und Fleiß auf dem Stundenplan. Es war ausschließlich Jungen gestattet, die Schule zu besuchen. Mädchen erhielten keinen Unterricht.

Seit vier Jahren ging Ben nun bereits in die Schule. Tagein und tagaus wurden das Schreiben aller Buchstaben sowie das Errechnen von Mengen oder Beträgen geübt. Permanent mussten sie ellenlange Texte auswendig lernen. Flink im Kopf sollten die zukünftigen Schulabgänger sein, unterstützten sie doch zukünftig ihre Eltern im Laden, auf dem Markt oder auf Reisen beim Handeln und Feilbieten der Waren. Lediglich in den warmen Sommermonaten wurde nicht unterrichtet. Viele der Kinder mussten dann zusätzlich noch bei der Ernte mithelfen. Jeder hatte Verwandte mit Feldern oder Obstbäumen, die abgeerntet werden mussten

»Aua, das tut weh!«, schrie Felix vor Schmerz auf.

»Dir werde ich es zeigen, aus dem Fenster zu schauen. Halte deinen Stilus über deiner Wachsplatte und löse die Rechenaufgabe!«

Erneut sauste die Rute auf den Rücken von Felix. Sein leises Wimmern war im Schulraum zu hören.

»Ab in die Ecke. Dort wirst du bis zur Dämmerung stehen bleiben.«

Felix erhob sich mühsam und schlurfte wütend in die Ecke. Mit einem heftigen Fußtritt schleuderte er die am Boden kauernde Ratte zur Seite.

»Wer nicht aufpasst, bekommt ebenfalls die Rute zu spüren. Los, ihr Nichtsnutze, jetzt wird gerechnet«, schimpfte der Schulmeister mit den Knaben und wedelte warnend seine Birkenrute, die schon so oft einen Schüler getroffen hatte.

»Meister Scholasticus«, unterbrach Emmeram die Stille. »Ich muss dringend austreten.«

»Das ist heute bereits das zweite Mal. Wenn du es dir wirklich nicht länger verkneifen kannst, so gehe vor die Türe. Aber beeile dich, hier wird nicht gefaulenzt.«

Emmeram erhob sich, hastete vor das Haus und machte mitten in die Gasse. Während er sein privates Geschäft verrichtete, wurde er, ohne es zu ahnen, von oben herab beobachtet.

»Psst«, kam es aus dem Baum gezischt.

Emmeram hielt inne und linste in das undurchsichtige Grün der Blätter. Nach einigem Suchen konnte er einen langen, blonden Haarzopf und ein Mädchengesicht erkennen. Da wusste er, wer oben im Baum kauerte und ihn beobachtete. Hastig zog er seine Beinlinge nach oben.

»Sag Ben, dass ich hier draußen auf ihn warte«, wisperte Anna Emmeram leise zu.

Dieser nickte fast unmerklich und huschte schnell in das Haus hinein, um dem Unterricht weiter zu folgen. Er wollte heute nicht noch einmal die Birkenrute zu spüren bekommen. Als er kurz Blickkontakt mit seinem Freund Ben hatte, nickte er verstohlen mit seinem Kopf in Richtung Fenster. Ben senkte daraufhin unauffällig seine Augen. Er hatte verstanden. Vor dem Haus, hoch oben im Baum, wartete seine Zwillingsschwester Anna auf ihn.

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Anna legte ihr spannendes Buch zur Seite und holte sich das Telefon.

»Opi, du, stell dir vor! Ich habe heute den dritten Band aus meiner Lieblingsreihe ›Abenteuer in München‹ erhalten. Jetzt wollte ich dich natürlich fragen, ob …«

»Aber natürlich werden wir wieder munichen, meine Liebe«, unterbrach sie lachend Opa Leander. »Was denkst denn du?«

»Wann düsen wir los, zum Munichen, in die Innenstadt?«, rief Anna ganz aufgeregt.

»Wohin darf ich dich diesmal begleiten?«, wollte der Opa neugierig wissen.

»Äh, weiß ich nicht. Ich bin erst ganz am Anfang, im ersten Kapitel.«

»Na, dann schlage ich vor, du liest noch ein bisschen weiter. Du hast ja in der Schule sowieso nicht mehr viel Lernstoff, so kurz vor den Sommerferien. Wir werden uns dann alle interessanten Themen aus deinem Buch in der Innenstadt ansehen. Versprochen! Allerhöchstes Indianerehrenwort.«

»Bingo, das freut mich! Auf alle Fälle sind wieder Anna und Ben mit dabei, das konnte ich bereits herauslesen. Opa, du glaubst es kaum, Ben geht zur Schule und die Schüler werden mit einer Birkenrute geschlagen.«

»Ja, so was, das ist natürlich bedauerlich«, brummte der Großvater betrübt. »Gut, Anna. Ich schlage vor, du vertiefst dich wieder in deine Lektüre und meldest dich, wenn du Fragen hast oder ein Wochenende bei mir reservieren möchtest. Abgemacht?«

»Abgemacht, Opa. Ich freue mich schon so riesig. Mama und Papa schicken wir wieder weg in die Berge und du und ich werden munichen. Echt cool. Servus und bis bald«, flötete Anna überglücklich ins Telefon und beendete das Gespräch.

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Adalbert Scholasticus hatte den Unterricht für heute als beendet erklärt und zog sich ein Stockwerk höher in seine Privaträume zurück. Die Sonne ging bereits unter, als die Knaben aus dem Schulhaus traten.

»Anna, wo bist du?«, rief Ben in die dichte Blätterdecke über ihm. »Bist du noch da?«

»Ich komme!«, rief seine Schwester und glitt flink am Stamm des Baums hinab.

»Auf geht’s, lass uns nach Hause laufen, ich sterbe vor Hunger.«

Ben verabschiedete sich von seinen Kameraden und lief mit Anna an der Stadtmauer entlang durch die engen und verwinkelten Gassen, über den Marktplatz und weiter bis kurz vor das Sendlinger Tor. Dort wohnten sie.

»Na, da seid ihr zwei ja endlich.« Die Mutter der Zwillinge breitete ihre Arme aus und empfing beide Kinder herzlich.

»Meister Scholasticus hat uns heute wieder geschlagen und unendlich lange mit blöden Rechenaufgaben gequält«, jammerte Ben.

»Sei froh, dass du eine Schule besuchen darfst. Anna ist es nicht gestattet. In drei Tagen sind die vier Schuljahre vorbei und du wirst die Rute des Schulmeisters nicht mehr zu spüren bekommen. In einer Woche, am Jakobitag, kannst du gleich an unserem Verkaufsstand auf der Dult deine Rechenkünste anwenden.«

»Mutter, hast ja recht. Die paar Tage schaffe ich jetzt auch noch«, pflichtete ihr Ben bei.

»Sag mal, Anna, hast du heute viel mitbekommen von deinem Baum dort oben?«, wollte die Mutter von ihrer Tochter wissen.

»Ja, schon. Heute konnte ich einigermaßen dem Unterricht folgen. Nur die letzte Rechenaufgabe habe ich einfach nicht verstanden. Ich werde später noch mit Ben oder Vater ein bisschen üben, denn ich will ja auch auf der Dult mithelfen«, gab Anna zurück.

»Nein, ihr beide geht lieber noch in den Stall. Der Braune muss von den Kletten befreit werden und ihr könnt ihm noch frisches Wasser bringen. Vorher wird aber noch eine Kante Brot und etwas Käse gegessen. Marsch an den Tisch, ihr zwei!«

Die Geschwister standen im Stall und kümmerten sich um Wiggerl, ihr Pferd, als der Vater zu ihnen kam.

»Kinder, stellt euch vor! Ich habe heute gehört, dass nächste Woche auf der Dult Fahrende kommen werden, und es soll sogar ein Bärenbändiger mit seinem Tanzbär dabei sein.«

»Ein Tanzbär? Was ist denn das, Papa?«

»Na, ein Bär, der tanzt.«

»Du erzählst uns doch jetzt eine erfundene Geschichte?«, fragte Anna ungläubig.

»Ich würde euch niemals anschwindeln«, versicherte der Vater mit ernster Miene. »Ich schlage vor, ihr vergewissert euch nächste Woche auf der Dult selber. Ihr werdet genügend Zeit haben, um ausgiebig den Marktplatz zu erkunden. Wenn ihr mir und eurer Mutter kräftig an unserem Stand aushelft, dann ist da sicherlich auch eine ausgedehnte Pause möglich. Ach, da fällt mir ein, Anna, bist du denn jetzt einigermaßen geübt im Rechnen?«

»Na ja, vom Baum aus bekommt man halt nicht alles mit. Ich muss bestimmt noch viel mehr lernen. Ben wollte mir ein bisschen dabei helfen. Vielleicht kann ich mit Mama auf der Dult den Verkauf übernehmen und du und Ben nehmt die Silbermünzen entgegen und zahlt das Restgeld aus.«

»Das können wir sicherlich so machen. So, jetzt aber hinein mit euch ins Haus. Es ist Schlafenszeit.«

2. Ziegenbärtchen

»Ben, aufstehen! Der Hahn hat gekräht und die Sonne schickt ihre ersten Strahlen. Mach dich fertig für deinen letzten Schultag«, hörte Ben aus weiter Ferne die Stimme seiner Mutter ans Ohr dringen.

Schlaftrunken schlüpfte er in seine Beinlinge und sein Überkleid und löffelte etwas Hafergrütze aus einer Schale. Anna blinzelte ihren Bruder an.

»Soll ich mich heute auch noch einmal in den Baum setzen? Vielleicht verstehe ich dann die Rechenaufgaben?«

»Nein, Anna, ich werde dir noch vor Beginn der Jakobidult diese komplizierte Rechnung beibringen. Du wirst sehen, dass du das auch im Gras liegend und nicht auf dem Baum sitzend schaffst«, grinste Ben.

Er schnappte sich seine am Vorabend geglätteten Wachstafeln und band diese an seinem Gürtel fest. Dann verließ er das Haus in Richtung Schule. Sein letzter Schultag begann gleich.

»Du Taugenichts«, schrie Schulmeister Scholasticus den völlig erschrockenen Emmeram an. »Ich werde dir zeigen, was passiert, wenn du nicht aufpasst und lieber zum Fenster hinaussiehst.«

Die Birkenrute klatschte auf Emmerams Finger. Dieser schrie heftig auf und versuchte, seine Hände schnell wegzuziehen, um sie in seinem Schoß zu verbergen. Mit dieser automatischen Reaktion reizte er jedoch den Lehrmeister noch mehr.

»Na warte, du undankbares Geschöpf. Zur Strafe wirst du an deinem letzten Schultag Buße tun und bis zum Ende des Tages auf Kirschkernen knien.«

Scholasticus schlurfte geräuschvoll in seine Kammer im oberen Teil des Hauses und holte eine Kiste mit getrockneten Kirschkernen. Vor Emmerams Füße legte er ein dickes Holzbrett auf den Boden. Darauf verstreute er geschickt die Kerne.

»So, du kniest jetzt auf den Kirschkernen. Wenn ich ein Jammern von dir höre, schlage ich dich zusätzlich mit dem Rohrstock auf deinen nackten Hintern. Dir werd ich’s zeigen!«, rief der Schulmeister, packte den armen Schüler links und rechts an den Schultern und drückte ihn in die Knie, bis er auf den Kernen aufkam.

Dicke Tränen rollten über Emmerams Wangen. Seine Mitschüler hatten großes Mitleid, tauschen wollte aber keiner mit ihm. Alle wussten, dass Scholasticus noch getrocknete Erbsen und, wenn er besonders grimmig aufgelegt war, sogar kleine Kieselsteinchen hatte, die er nur allzu gerne aus seiner Kammer holte, um die Kinder zu peinigen.

»Ben, wie lautet die Lösung zu meiner Rechenaufgabe?«

»Meister Scholasticus, das Ergebnis lautet: 25 Körbe voller Schafwolle«, kam die überzeugte Antwort.

»Du bist ein Schaf. Kannst du denn nach vier Jahren Schule immer noch keine Rechenaufgaben korrekt lösen?«, wetterte der Schulmeister erzürnt und klatschte mit seiner flachen Hand auf die Armlehne des Stuhls.

Plötzlich schnellte Scholasticus von seinem Sitzmöbel hoch und kam die wenigen Schritte auf Ben zugeeilt, bückte sich nach unten und umklammerte mit seinen knöchrigen Fingern beide Ohren des völlig überrumpelten Schülers. Sodann zog er den armen Jungen in die Höhe, währenddessen er kräftig Bens Kopf hin und her rüttelte.

»Du armseliges Würmchen. Stell dich in die Ecke! Für dich ist der Unterricht hiermit für immer beendet.«

Ben zog seinen Kopf zwischen den Schultern ein und schlich traurig in den Winkel gegenüber dem Fenster. Vorsichtig tastete er mit seinen Fingern die schmerzenden Ohren ab, die wie das Johannisfeuer vor fast einem Monat brannten. Traurig blickte er zu Boden und hoffte, dass sein allerletzter Schultag keine weiteren bösen Überraschungen mehr brachte.

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Völlig schockiert legte Anna das Buch auf die Bettdecke und berührte behutsam ihre beiden Ohren.

»Mann, wenn Frau Birnbaum das auch mit uns Schülern machen würde! Nicht auszudenken, was das für Konsequenzen hätte. Im alten Munichen war das wohl damals so üblich. Kaum zu glauben.«

Anna ging in die Küche zu ihrem Vater. Er war gerade hungrig von der Arbeit nach Hause gekommen und beugte sich neugierig schnuppernd über den geöffneten Kochtopf.

»Mmh, Anna. Was du immer für tolle Mahlzeiten von deiner Ma gekocht bekommst. Putencurry mit Reis. Einfach göttlich. Ich möchte auch einmal so verwöhnt werden.«

»Apropos verwöhnen, Papi. Wurden denn wirklich die Schüler damals in der Schule geschlagen?«

»Ja, das war früher eine ganz normale Erziehungsmethode. Auch mich hat mein Lehrer noch an den kleinen Kotelettenhärchen hier gezogen, wenn ich unartig war.«

Er deutete mit dem Zeigefinger auf die kurz geschnittenen Haare, die schräg oberhalb seiner Ohren wuchsen.

»Grässlich, das muss ja entsetzlich wehtun, oder?«

Ihr Vater nickte und schob sich schnell einen weiteren Löffel Reis in den Mund.

»Ich glaube, ich lese noch das Kapitel zu Ende. Bin ja mal gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Im alten Munichen ist in ein paar Tagen nämlich Jakobidult und das wird bestimmt spannend zu lesen sein. Die Zeichnung auf dem Buch vorne macht mich so neugierig, du ahnst es nicht, Daddy.«

Anna verschwand gutgelaunt in ihrem Zimmer. Jetzt war bis zum Abendbrot nur eins angesagt, und das war weiterlesen!

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Es wurde dunkel und die Schüler trotteten aus dem Schulraum hinaus in die Gasse. Zwei von ihnen hielten Emmeram stützend in ihrer Mitte, denn er konnte weder gehen noch stehen. Seine ausgestreckten Arme lagen auf den Schultern der Kameraden links und rechts. Sein Kopf hing kraftlos nach unten und die Fußspitzen schliffen über den Boden.

»Hierher zu mir«, rief Anna und führte den Braunen ganz nahe an den Hauseingang.

Anna hatte am Nachmittag vom Baum aus die Bestrafungen verfolgt. Es war nicht das erste Mal, dass sie nach Schulschluss mit dem Pferd vor dem Gebäude stand und einem geschundenen Schüler nach Hause half. Diesmal war es Emmeram, der vor Schmerzen nicht mehr gehen konnte. Sofort verteilten sich die Schulfreunde um Emmeram herum und gemeinsam hievten sie den vor Schmerzen wimmernden Jungen auf den geduldig wartenden Gaul. Als der Gequälte endlich bequem auf dem Rücken von Wiggerl saß, zogen die große Schar Kinder sowie das Pferd zu ihm nach Hause los. Sie gingen entlang der Herrscherresidenz der Wittelsbacher, der sogenannten Veste, und bogen dann in eine schmale Gasse, die entlang der Innenseite der Wehrmauer führte.

»Ich bin so froh, dass ich den gemeinen Meister Scholasticus nun nicht mehr sehen muss«, stöhnte Ben und langte sich an seine immer noch schmerzenden Ohren.

»Ich möchte mich am liebsten an ihm rächen«, schimpfte Felix. »So gemein kann doch niemand sein. Sogar am letzten Schultag quält der uns noch stundenlang.«

»Wir sollten wirklich Vergeltung üben, Felix hat recht«, gab Matthias von sich. »Wer hat eine Idee, mit was wir ihm so richtig die Laune verderben könnten?«

»Vielleicht sollten wir einen Kübel Schweinemist von unserer Toni und ihren Ferkeln in sein Klassenzimmer kippen?«, schlug Rudolf vor.

»Ein Kübel reicht nicht. Jeder von uns sollte einen Eimer mitbringen«, konterte Ulf.

»Hat noch jemand einen Geistesblitz?«, fragte Ben in die Runde.

Nach einiger Zeit lachte Valentinus lauthals auf und fing vor Freude an herumzuhüpfen.

»Los, sag schon, was ist dir eingefallen?«, drängten ihn seine Mitschüler.

»Wie wäre es, wenn wir dem Meister Scholasticus seinen Ziegenbart nachts heimlich abschneiden?«

Schallendes Gelächter war die Antwort der Kinder. Der Lehrer liebte nämlich sein Bärtchen, das er den ganzen Tag über antastete und abfühlte. Dadurch hatte es die Form einer langen Rübe erhalten. Sein Bart war bei vielen Bürgern in ganz Munichen bekannt. So kam es nicht von ungefähr, dass des Schulmeisters Spitzname »Ziegenbart« war.

»Das finde ich einen genialen Einfall!«, rief Emmeram vom Pferderücken herab.

»Ja, da mach ich mit! Bart ab«, lachte Felix und die restlichen Kinder stimmten mit ein und sangen im Chor: »Bart ab, Bart ab, Bart ab.« So marschierten sie fröhlich im Stechschritt an der Wehrmauer entlang, bis sie beim Unteren Tor ankamen. Wiggerl hob schnaubend seinen Kopf und trabte brav nebenher.

»Das ist ganz einfach, Anna. Schau mal her.«

Ben legte eine Handvoll Steine zur Veranschaulichung in das grüne Gras, um seiner Schwester eine Rechenaufgabe zu erklären.

»Hier sind drei Honigfladen. Daneben liegen fünf Stücke Speckfladen. Für ein Stück Schleckerei bezahlen unsere Kunden zwei Pfennige. Wie viele Münzen hast du dann im Säckchen, wenn ein Kunde unser gesamtes Naschwerk kauft?«

Anna betrachtete die Münzen.

»Ben, ich habe vom Baum aus diese Rechenart einfach nicht verstanden. Und in letzter Zeit hat es so oft geregnet, da konnte ich dann gar nicht kommen. Ich habe einfach zu viel verpasst, im Baum in luftiger Höhe.«

»Aber wir haben doch schon so oft das Einmaleins gelernt, oder? Mehr brauchst du hier gar nicht«, versuchte Ben seine Schwester zu ermutigen.

»Ich sehe hier kein Einmaleins. Ich sehe hier nur Steine anstatt Leckereien. Ich kapiere das nie.«

»Gut, dann zählen wir eben zusammen. Wie viel kostet ein Honigfladen?«

»Zwei Münzen.«

»Und zwei Honigfladen?«

»Vier Pfennige«, gab Anna genervt von sich.

Auf einmal erhellte sich ihr düsterer Blick.

»Klar, ist doch einfach. Ich muss hier das Einmaleins einsetzen und rechne dann drei Fladen mal fünf Honigkuchen. Das ergibt fünfzehn Münzen! Richtig, mein Bruderherz?«

»Knapp daneben.«

Anna war am Verzweifeln. Sie sah Ben traurig an. »Kannst du nächste Woche auf der Jakobidult die Geldstücke der Marktbesucher annehmen und das Wechselgeld aushändigen? Ich schaffe das nicht. Ich durfte nie in die Schule und du hast dort so viel gelernt.«

»Gut, aber die Rechnung erkläre ich dir jetzt noch, du schaffst das schon.«

So saßen die beiden Geschwister in der Vormittagssonne im Gras und übten Rechnen. Die Sonne stand schon auf Mittag, als Anna endlich verstand, wie viel die Kunden ihr für das Naschwerk schuldig waren.

»Sechzehn«, triumphierte sie und umarmte freudestrahlend Ben.

Die Mutter der Zwillinge stand vor dem Haus und lächelte über die Erfolge ihrer Tochter.

»Ganz fein, Anna. Ich freue mich. So kannst du jetzt auf der Dult wirklich mithelfen. Kommt ihr beide bitte rein, es gibt Gemüseeintopf zu essen. Am Nachmittag müsst ihr mir und Vater dann kräftig in der Backstube helfen. Wir backen auf Vorrat für die drei Tage dauernde Dult, in der Hoffnung, dass alle bei uns Schlange stehen und uns die Leckereien aus der Hand reißen.«

3. Die Jakobidult beginnt

Mutter, Vater und die Zwillinge standen in der Backstube und kneteten, rührten und formten Teige. Morgen war Jakobidult und alle Backwaren sollten hierfür frisch sein. In den vergangenen Jahren hatten ihnen die hungrigen Dultbesucher ihre Köstlichkeiten regelrecht aus der Hand gerissen. Diesmal plante der Vater die doppelte Menge an Naschwerk, Speckfladen, Broten und Brezen ein.

»Anna, bitte lauf schnell in den Hühnerstall und hole alle Eier, die Glucki, Gucki, Gacki und Gicki zwischenzeitlich neu gelegt haben. Nimm den strohgefüllten Korb und sei bitte vorsichtig. Wir sind auf jedes Ei angewiesen, möchten wir doch so viel wie möglich noch bis zum Beginn der Dult backen.«

»Schon gut, ich pass auf. Sag mal, Mama, kannst du uns nach meiner Rückkehr die Geschichte unserer Familie erzählen? Die ist immer so spannend und dann ist es nicht so langweilig in der Backstube.«

Sie erntete ein bereitwilliges Kopfnicken der Mutter und lief freudestrahlend zum Hühnerstall, um die frisch gelegten Eier aus den Legenestern zu holen. Ben war zwischenzeitlich auch unterwegs, um Honig zu holen, denn der Vorrat reichte nicht aus für die große Menge an Honigfladen, die noch gebacken werden mussten. Der Vater kippte währenddessen den Inhalt eines Mehlsackes auf seinen Arbeitstisch, gab Wasser und ein paar weitere Zutaten hinzu und begann, den immer fester werdenden Teig kräftig zu kneten. Heute mussten noch viele Brezen gebacken werden. Als alle vier wieder versammelt waren und jeder seinen Aufgaben nachging, begann die Mutter die Geschichte der Familie zu erzählen:

»Unsere Familie lebte bereits vor der Gründung der Siedlung ›apud Munichen‹ durch Heinrich den Löwen hier. Damals kam ein Junge namens Benedictus in unsere Siedlung, um sich vor den Flammen im brennenden Föhring zu retten. Anna, ein junges Mädchen, machte seine Bekanntschaft und freundete sich mit ihm an. Heinrich der Löwe baute hier unterhalb unseres Ortes über die große Kiesbank in der Isar eine neue und solide Brücke, um dort den Zoll für die Salztransporte abzukassieren. Benedictus wurde der Brückenwart und heiratete Anna. Sie bekamen vier Kinder und diese Kinder bekamen wieder Kinder …«

»… und unsere Familie wurde immer größer und größer«, unterbrach Ben seine Mutter lachend.

»Ja, genau. Wir sind eine richtig große Familie geworden. Alle eure Tanten und Onkel leben in Munichen und üben verschiedene Berufe aus. Wir beispielsweise sind Bäcker und Zuckerbäcker, die Resl betreibt Schankstuben und Unterkünfte für die Reisenden im Tal. Dann haben wir noch Quirin, unseren Schuster, und Jacob, den Goldschmied. Salzsender, Müllner und sogar einen Kupferschmied zählen wir zu unserer Familie. Euer Vater Quintus beliefert zweimal wöchentlich den Wittelsbacher Hof mit unseren feinen Backwaren. Ludwig der Bayer liebt unsere selbstgebackenen Honigfladen, Brote und Leckereien und Resls Mann, euer Onkel Taddäus, hält immer ein feines Tröpfchen Wein für ihn bereit. Bei eurem Onkel Jacob hat Ludwig der Bayer sogar einmal einen kostbaren Ring für seine Frau anfertigen lassen. Und die Füße der herrschaftlichen Gesellschaft stecken in feinstem Schuhwerk von Onkel Quirin. So leben wir nun glücklich und zufrieden hier in Munichen bereits seit etwa 200 Jahren. Ihr seid mit euren Cousins und Cousinen die nächste Generation in diesem schönen Ort. Mittlerweile umgibt ein unfertiger zweiter Mauerring unsere stetig größer werdende Siedlung und wenn der Zuzug von Handwerkern und Kaufleuten weiter anhält, dann platzen wir in der Tat bald wieder aus allen …«

»… Mauern?«, grinste Anna und formte gekonnt eine Breze. »Und, Mama, eins darfst du nicht vergessen. Immer wieder bekommt eine Mutter aus unserer Familie Zwillinge. Diesmal warst du es, stimmt’s?«

»Ja, genau. Und die Zwillinge werden stets Anna und Ben getauft. In Erinnerung an unsere ersten Vorfahren hier in Munichen, die alte Anna und den Krüppel Benedictus.«

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Alle vier standen bis in die späten Abendstunden in der Backstube der Pfisterei. Als alle Arbeit getan war, schichteten Mutter und Anna die süß duftenden Honigfladen in die vorbereiteten Weidenkörbe und wickelten die krossen Brezen und saftigen Speckfladen in festes Tuch. Der Vater legte noch frisch gebackenes Brot in den Regalen bereit, sollte der Andrang auf der Dult größer sein als gedacht. Immerhin mussten die Backwaren für drei Tage ausreichen. Nach getaner Arbeit in der Pfisterei richtete Quintus noch alle Bretter und Bohlen für ihren Verkaufsstand auf den Pferdekarren, der vor dem Stall bereitstand. Ben stellte einen Eimer Wasser neben die Eingangstüre und richtete Wiggerls Futter für den nächsten Tag. Nach Einbruch der Dunkelheit legten sich alle zur Ruhe, denn am nächsten Morgen, noch vor dem ersten Hahnenschrei, mussten sie aufstehen, um einen guten Platz auf der Jakobidult vor dem Kloster und der Kirche am Anger zu ergattern.

Der Pferdekarren rumpelte durch den Durchlass am Sendlinger Tor aus der Siedlung hinaus in Richtung Anger, einer großen, grasbewachsenen Fläche vor den Stadtmauern. Die Torwachen hatten bereits in aller Frühe die schweren Eichentore geöffnet, damit alle Händler und Kaufleute aus Munichen in Richtung Anger ziehen konnten. Sie wurden von fröhlichem Amselgesang begleitet und von den ersten Sonnenstrahlen gewärmt. Auf der Wehrmauer standen die Türmer mit ihren Armbrüsten und überwachten das umliegende Land. Jede verfügbare Wache war während der drei Tage dauernden Dult eingeteilt. Die Zünfte hatten jeweils ihre Bereiche auf den einzelnen Mauerabschnitten zugeteilt bekommen und übernahmen größtenteils die Nachtwachen. Selbst entlang der Wege in Richtung Munichen wurden die anreisenden Dultbesucher bereits beschützt. Ludwig der Bayer hatte dies angeordnet. So zog nun die Wagenkolonne der Händler im Schritttempo in Richtung des Angers. Entlang der Sendlinger Gasse grasten bereits hungrige Schafe auf den eingezäunten Weiden und Enten watschelten über die Wiese zum Bach. Aus allen Richtungen strömten die Leute auf den Platz vor dem Kloster, um dort ihre Stände und Buden aufzubauen. Jeder wollte den besten Fleck sein Eigen nennen. Ben und Anna hopsten vom Karren und liefen voraus. Der Vater hatte sie angewiesen, in der Nähe der auswärtigen Kaufleute einen geeigneten Platz zu finden und ihn dorthin zu lotsen. Die Zwillinge bugsierten sich durch die Menge bis auf den Dultplatz. Anna deutete auf eine Gruppe Männer, die in feines Gewand gekleidet waren. Ben betrachtete die fremden Personen und nickte.

»Genau das ist der richtige Ort für uns. Hier kommen die wohlhabenden Käufer her, denn diese fremden Händler aus den südlichen Ländern bieten bestimmt sehr außergewöhnliche Waren an, die sich nur die Reichen leisten können.«

»Ich denke auch, Ben, hier sollten wir bleiben. Ich lauf schnell unseren Eltern entgegen, damit Vater unseren Wiggerl hierher kutschiert.«

Anna lief los und Ben betrachtete bis zum Eintreffen der restlichen Familie die ortsfremden Kaufleute, die sich bereits eingefunden hatten. Zwei von ihnen zogen Bens Aufmerksamkeit vollkommen in den Bann. Ihr Äußeres ließ darauf schließen, dass sie tatsächlich aus Regionen südlich der Alpen angereist kamen. Die Kleidung der Männer war aus kostbarem Tuch, welches Ben noch nie gesehen hatte. Weich fließende Stoffe umhüllten locker die Körper der Fremden. Ihr Übergewand war in der Taille durch einen kunstvoll bestickten Gürtel gerafft. Anstatt einfarbiger Beinlinge trugen die Unbekannten spiralförmig gestreifte Beinkleidung, die farblich mit der Oberkleidung Ton in Ton harmonierte. Das Schuhwerk war aus feinstem Leder gefertigt. Die leicht sonnengebräunte Haut verlieh den Männern zudem ein exotisches Aussehen. Ben erhaschte ein paar Gesprächsfetzen, die er jedoch nicht verstand. Die Fremden begannen, ihre Ware aus einem großen Weidenkorb zu entnehmen. Jeder griff sich eine sonderbare Rolle, die etwa eine Spanne breit und zwei Ellen lang war, heraus. Diese Rollen wurden nun durch eine geschickte Handbewegung ausgerollt und auf dem Boden ausgebreitet. Nach kurzer Zeit lagen viele bunte Stoffbahnen vor den Händlern ausgelegt, welche die Dultbesucher zum Kauf anregen sollten. Ben rätselte, was die Fremden wohl für eine Ware feilzubieten hatten, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. Kostbare Tuche konnten es nicht sein, denn die sonderbaren Stoffflecken waren daumendick und warfen keine Falten. Plötzlich kam ein großer Herr in dunkler Kleidung, langem Bart und gelbem Hut auf die Kaufleute zu. Er sprach kurz in einer fremden Sprache zu den Südländern, suchte sich eine besonders große und leuchtende Stoffbahn aus, zahlte, und ging mit der zusammengerollten Ware unter dem Arm wieder weiter. Ben beobachtete sprachlos die Szene, als er plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wurde.

»Da habt ihr einen sehr guten Platz ausgewählt«, lobte der eingetroffene Vater.

Nach geraumer Zeit hatte Quintus mit Ben den Verkaufsstand aufgebaut. Über zwei Stangen oberhalb des Tischs spannten die Mutter und Anna ein buntes Tuch. Dies schützte die Familie vor der starken Sonneneinstrahlung. Immerhin schrieb man den 25. Juli zu Jakobi und sollte es nicht regnen, so schien die Sonne gnadenlos bis in die späten Abendstunden. Ben führte den Braunen samt Karren zurück in den schattigen Stall. Anna und ihre Eltern richteten zwischenzeitlich fleißig die Körbe mit den Backwaren her.

»Wenn ihr wollt, dürft ihr euch auf der Jakobidult umsehen. Momentan sind alle Aussteller mit dem Aufbau beschäftigt und die Dultbesucher gehen erst in die Frühmesse in St. Peter und St. Jakob. Bis die ganze Meute hier eintrifft, dauert es sicherlich noch einige Zeit.«

Das ließen sich die Zwillinge nicht zwei Mal sagen. Sie sausten neugierig los. Gab es doch so viel zu sehen und zu staunen.

»Komm, Anna, wir suchen unsere Freunde und Verwandten. Vielleicht dürfen die mit uns über die Dult streunen. Ich bin so neugierig, wann die Fahrenden eintreffen und ob wirklich ein Bärenbändiger dabei ist.«

Die Kinder liefen über den Festplatz vor dem Kloster und suchten angestrengt nach bekannten Gesichtern. Das war mühselig, denn immer mehr Leute strömten auf das Gelände am Anger. In der Klosterpforte standen zwei Klarissen, dort wohnhafte Nonnen, und beobachteten das geschäftige Treiben interessiert. Als sie Ben und Anna entdeckten, winkten sie diese lächelnd zu sich heran.

»Gütige Kinder, wir bitten euren Vater um eine kleine Gabe«, bettelte die ältere der beiden Nonnen Ben an.

Die Kinder kehrten nochmals zurück an den Stand und Mutter gab ihnen jeweils einen Honigfladen für die Klarissen aus dem Kloster in die Hand.

Dankend und sich verneigend nahmen die Nonnen die Spende an.

»Ben! Anna!«, drang es an die Ohren der Geschwister. »Hier bin ich!«

Nach kurzem Suchen entdeckten die beiden ihren Cousin Valerius, den Sohn des Schuhmachers, der ihnen von seinem Verkaufsstand aus mit einem Lederschuh in der Hand kräftig zuwinkte.

»Das ist ja wunderbar, dass ich euch beide entdeckt habe. Unser Cousin, der Steffl, und die beiden Cousinen Apolonia und Margaretha treffen hier auch gleich ein. Wir wollen über die Jakobidult streifen. Vater hat mir erzählt, dass ein Fahrender mit seinen dressierten Holzwürmern hier auftreten soll. Kommt ihr mit, ihn zu finden?«

»Gibt es denn überhaupt gezähmte Holzwürmer?«, fragte Anna ungläubig.

»Keine Ahnung, ich bin schon gespannt wie ein Flitzebogen«, lachte Valerius.

Kurze Zeit später trafen Steffl, Apolonia und Margaretha, genannt Loni und Marga, ein. Die sechs Kinder zogen los.

Es ging hoch her, denn nach wie vor drängte eine große Anzahl Personen auf den Dultplatz. Viele von ihnen kamen mit voll beladenen Pferdekarren, manche bugsierten sich mit prall gefüllten Körben durch die Menge und ein paar wenige gingen neugierig über den Jakobsplatz, um die teilweise bereits feilgebotene Ware zu begutachten. Keine zehn Jahre gab es inzwischen die Jakobidult, ein Kirchenfest, welches zu Ehren des Heiligen Jakobs stattfand. Mit den Jahren gesellten sich immer mehr fremde Kaufleute und Händler aus fernen Orten und Ländern hinzu und bereicherten das bestehende und alltägliche Warenangebot vom Marktplatz inmitten der Siedlung. Wurden ursprünglich nach der Heiligen Messe in St. Peter Wollsocken, Bienenwachskerzen, Honig, Schuhe oder auch Kämme und Rosenkränze an den Holzbuden angeboten, so hatte sich im Laufe der Jahre das Angebot zunehmend erweitert. In diesem Jahr sollte es jedoch neue Attraktionen geben. Es wurde gemunkelt, dass Gaukler, Marionettenspieler und Akrobaten auftreten wollten. Die sechs Kinder suchten nach dem Bärendompteur und der Bude des Holzwurmbändigers. Sie waren neugierig, denn Fahrende sorgten immer für eine besondere Belustigung und das wollte sich keiner entgehen lassen.

»So ein Bär muss doch zu sehen sein«, murrte Ben ungeduldig.

»Jedenfalls besser als die Holzwürmer«, prustete Anna und Marga lachte herzhaft mit.

»Vielleicht sollten wir jemanden fragen?«, schlug Steffl vor.

Sie hielten Ausschau nach einem bekannten Gesicht, welches sich auch nach kurzer Zeit fand.

»Da! Da vorne steht Onkel Sixtus, den fragen wir!«, rief Loni und lief los.

Sixtus schaute die Kinder ungläubig an.

»Seid ihr sicher? Ein Bärendompteur und ein Holzwurmbändiger? Das klingt mir nach einem kleinen Scherz. Das gab’s ja noch nie hier.« Er hielt kurz inne, kratzte sich nachdenklich an seinem Bart und meinte: »Hm, vorhin habe ich etwas brummen gehört. Ich habe es nicht richtig beachtet, aber jetzt fällt es mir wieder ein. Es könnte das Brummen eines Bären gewesen sein.«

Sixtus zeigte den Kindern die Richtung, aus welcher er gerade gekommen war, und meinte, von dort die Bärenlaute gehört zu haben. Die Kinder liefen aufgeregt los.

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Anna legte ihr Buch zur Seite und ging in das Büro ihrer Eltern.

»Mama, darf ich mal in deinem Computer etwas suchen?«

»Ja klar, was denn?«

»Die Größe von Holzwürmern.«

»Von was, bitte schön?«, fragte ihre Mutter ungläubig und schaute ihrer Tochter über die Schultern.

Anna öffnete ein Suchprogramm und tippte das Wort Holzwurm ein. Sekunden später erhielt sie eine große Auswahl an Vorschlägen und klickte den obersten an.

»Aha, der heißt ja auch noch Hausbock und ist ein Käfer«, murmelte sie vor sich hin. Ihr Blick schweifte über den Bildschirm.

»Für was brauchst du das denn? Nehmt ihr in der Schule gerade krabbelnde Insekten durch?«, fragte eine extrem neugierige Mutter ihre überaus gespannte Tochter.

Sie bekam aber keine direkte Antwort darauf.

»Uiii, da steht etwas über die Größe«, rief Anna erfreut und las nun auch laut für ihre Mama vor: »Der ausgewachsene Käfer erreicht eine Körperlänge von 8 bis 26 Millimetern.«

Schnell überflog Anna die restliche Beschreibung und grinste dann triumphierend.

»Mama, ich glaube, die meinen in meinem Buch den Käfer und keinen Wurm. Sonst wäre das doch totaler Quatsch«, rief sie aufgeregt und lief zurück in ihr Zimmer. Im Büro blieb eine kopfschüttelnde und leicht sprachlose Mutter zurück.

4. Der Bär ist los

Ein lautes Gebrüll half den Kindern, die Bühne des Bärenbändigers zu finden. Sie lag nahe dem Weinausschank von Tante Resl und Onkel Taddäus, den Eltern von Marga und Steffl. Es hatte sich bereits eine neugierige Menschentraube um das kleine Podest geschart. Anna, Ben und die restliche Bande quetschten sich erwartungsvoll direkt vor der Holztribüne neben bereits sitzende Kinder auf den staubigen Boden. Die Aufregung stieg. Jeder war gespannt darauf, was er gleich zu sehen bekam. Die Kinder tuschelten untereinander und zwei Mädchen hielten sich ängstlich an den Händen. Hinter der Stoffwand war ein leises Brummen und metallisches Klirren zu hören. Die Augen der Wartenden begannen zu leuchten und die Vorfreude wurde größer. Endlich teilte sich der Vorhang im Hintergrund und ein Mann in einem grünen Überkleid mit Kapuze betrat die kleine Bühne. Alle Augen waren erwartungsvoll auf ihn gerichtet. Anna rückte etwas näher an Ben heran. Der Bärenbändiger verneigte sich leicht vor seinem Publikum, blickte ruhig von links nach rechts alle Schaulustigen an und begann dann zu sprechen:

»Wertes Publikum, liebe Kinder. Gleich wird Euch mein Tanzbär sein Können zeigen. Es ist ein ganz besonderes Tier, denn es kann sensationelle Kunststücke vollführen! Kunststücke, die Euch den Mund offenstehen lassen. Kunststücke, die Ihr noch nie gesehen habt. Kunststücke, die selbst ein Mensch nicht kann.«

Ein Raunen ging durch die Zuschauermenge und immer mehr Umstehende drängten sich noch enger um die Holzbühne. Vom gegenüberliegenden Weinstand von Resl und Taddäus kamen mehrere Männer angetorkelt. Sie hatten wohl bereits zu früher Morgenstunde einige Becher Baierwein probiert, die ihnen offensichtlich geschmeckt hatten.

»Psst. Ich bitte um absolute Ruhe. Mein Bär wird gleich mit seinem Tanz und waghalsigen Kunststücken beginnen.«

Die neugierige Menschenmenge, die sich um die Holztribüne versammelt hatte, verstummte nun endlich. Hinter der Stoffwand waren erneut Brummlaute zu hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit teilte sich der Vorhang und der Dompteur führte einen riesengroßen braunen Bären an einer Metallkette vor die wartende Menge. Anna stieß einen spitzen Schrei aus und deutete auf die Schnauze des Bären.

»Schau mal, Ben, wie grausam! Der arme Bär hat ja einen Ring durch die Nase gezogen bekommen und daran hängt diese schwere Kette. Das muss dem Tier doch schrecklich wehtun.«

Auch Loni und Marga pressten ängstlich ihre Handflächen an den Mund. Es herrschte gespanntes Warten auf die angekündigte Vorstellung. Der Bärenbändiger zog das zottelige Tier in die Mitte der Bühne, verneigte sich erneut, drehte sich zu seinem Tier und führte mit der linken Hand einen langen Stock durch die Luft nach oben.

»Auf, hoch mit dir!«, rief der Dompteur und der Bär stellte sich auf seine Hinterbeine.

Ein »Aaah«, »Oooh« und »Uiii« ging durch die staunende Menge.

Sekundenlang stand das Tier auf zwei Beinen und ruderte mit den Vorderbeinen in der Luft. Dabei hob es immer wieder den Kopf ruckartig an und brummte laut. Die Kinder in der ersten Reihe rutschten erschrocken nach hinten, denn jeder hatte großen Respekt vor dem braunen Zottel. Der Bändiger schrie das Tier an und zog kräftig an der Eisenkette. Der Nasenring schmerzte den Bär sichtlich, denn er fletschte seine Zähne und schnellte mit seiner Pranke flink nach vorne, in Richtung des Peinigers. Der Dompteur wich geschickt aus und ließ nun den Stab langsam von oben herab nach unten durch die Luft in Richtung Bretterboden gleiten. Das war das Kommando für den Tanzbär, sich zeitgleich ebenfalls nach unten zu bewegen. Wenige Sekunden später stand das Tier wieder auf allen vier Tatzen fest auf dem Bretterboden und schüttelte sein Fell. Die Zuschauer jubelten und klatschten. Alle riefen durcheinander und der Bär brummte und fletschte erneut drohend die Zähne. Es war dem Tier zu laut. Angstvoll bewegte es sich rückwärts in Richtung des Vorhangs und zerrte an der Metallkette.

»Ruhe, absolute Ruhe, bitte. Die Bärin muss sich konzentrieren für das nächste Kunststück.«

»Habt ihr das gehört?«, rief Loni aufgeregt. »Das ist ein Weibchen.«

Exakt in diesem Moment bewegte sich die Stoffwand im Hintergrund etwas und ein leises Winseln war zu hören. Die Bärin tänzelte hin und her, zog noch fester an der Kette und brummte und fauchte bedrohlich laut.

»Ruhe, absolute Ruhe, bitte«, wiederholte sich der Bärendompteur.

Plötzlich wurde der Vorhang von der hinteren Seite knapp über dem Boden leicht ausgebeult. Alle Blicke waren neugierig auf den Stoff gerichtet. Jeder fragte sich, ob diese mysteriösen Geschehnisse hinter der Trennwand etwas mit dem Programm zu tun hätten. Das schwach hörbare Gewinsel steigerte sich in einen lauten, klagenden Ton. Die Bärin wurde nervös und warf ihren Kopf kräftig hin und her. Sie zerrte erneut an der Metallkette und entblößte ihre spitzen Zähne bedrohlich. Der Vorführer hatte alle Mühe, das Tier zu bändigen.

»Was ist denn hinter dem Vorhang bloß los?«, überlegte Steffl laut.

»Keine Ahnung, irgendwas scheint da zu sein«, meinte Valerius, der ebenfalls ratlos war.

Alle Zuschauer blickten neugierig in Richtung des ausgebeulten Stoffes, der sich nach mehreren sanften Bewegungen auf einmal in der Mitte teilte. Ein kleines, weißes Knäuel purzelte vor die Pranken der Bärin. Diese senkte den Kopf und stupste mit der schwarzen, haarlosen Nase das Fellbündel sanft an. Vier kleine Pfötchen wurden sichtbar und nachdem sich das Knäuel entfaltet hatte, stand ein winziges Bärenkind auf der Bühne. Entzückte Rufe gingen durch die Menge und der Bärenbändiger bat erneut eindringlich um Ruhe. Er näherte sich langsam der Bärenmutter, doch ein Fauchen ließ ihn innehalten. Ein kleines Kind aus der Zuschauermenge begann ängstlich zu weinen.

»Wieso ist denn das Bärenkind nicht braun wie seine Mama, sondern weiß?«, fragte Loni in die Runde.

»Stimmt, ihr Kleines sieht ihr gar nicht ähnlich, weil es so hell ist«, bestätigte Anna die Frage ihrer Cousine. »Keine Ahnung, komisch schaut das schon aus.«

»Ich kenne auch so ein blasses Tier. Es ist ein Reh aus dem nahen Auwald. Ich war mit Mama schon oft im Wald an einer bestimmten Lichtung, um Kräuter zu sammeln«, erklärte Marga. »Dort sehen wir es immer gleich, da es ja so auffällig hell ist. Papa hat gemeint, es sei dadurch sehr gefährdet, denn die natürliche Tarnfarbe eines Waldtieres ist nun mal ein dunkler Ton.«

»Dann hoffen wir, dass dieses kleine süße Bärenkind noch etwas nachdunkelt«, lachte Anna.

Der Dompteur unterbrach das Gespräch der Kinder, als er sich nochmals eindringlich an die erwartungsvolle Zuschauermenge richtete.

»Ich bitte Euch, liebes Publikum, die Bärin ist aufgeregt. Sie hat Angst um ihren Nachwuchs. Wenn Ihr noch weitere Kunststücke sehen wollt, so verhaltet Euch bitte absolut ruhig.«

Das kleine Bärchen schmiegte sich dicht an seine Mutter. Die Bärenmama beruhigte sich ganz langsam und die Vorführung konnte nach einiger Zeit fortgesetzt werden.

»Aufgepasst! Als nächstes wird Euch mein Bär einen Tanz vorführen.«

Der Dompteur holte eine Flöte aus seiner Tasche und hob abermals den Stock nach oben. Er forderte die Bärenmutter dadurch auf, sich erneut auf die Hinterpranken zu stellen.

»Aaah« und »Oooh«, staunte die Zuschauermenge.

Sanfte Flötenmusik erklang und die Bärin trat von einem Bein auf das andere. Dabei drehte sie sich im Kreis. Das Bärenbaby wollte jedoch weiter mit seiner Mama kuscheln und lief ihr aufgeregt um und durch die Beine. Das Publikum lachte laut, klatschte wild in die Hände und feuerte den tanzenden Bären an. Die Vorführung dauerte noch eine Weile und wurde durch akrobatische Kunststücke der Bärin keinesfalls langweilig. Das Bärchen ließ die Mutter während der weiteren Vorführung keinen Augenblick aus den Augen und lief immer wieder zu ihr hin. Auch als das Muttertier durch einen hochgehaltenen Ring aus Weidenruten sprang und einen riesigen Knochen mit der Schnauze in der Luft auffing, um ihn sofort wieder in einen bereitgestellten Korb zurückzuwerfen, versuchte der flauschige Nachwuchs, seiner Mama auf Schritt und Tritt zu folgen. Aufgeregtes Rufen, lautes Johlen und begeisterte Rufe waren der Lohn für den Dompteur und seine zwei Tiere. Nach der gelungenen Aufführung ging der Bärenbändiger von einem Zuschauer zum nächsten und sammelte in einem Weidenkörbchen Münzen ein. Jeder gab einen Pfennig und das metallene Klirren war wie Musik in den Ohren des Jahrmarktgauklers.

Das Publikum war dabei, sich zu zerstreuen, als es plötzlich von einer neuen Attraktion in den Bann gezogen wurde, denn ein Seiltänzer lief über ihren Köpfen auf einem straff gespannten Seil entlang. Augenblicklich blieben alle Leute stehen und neugierige Augenpaare richteten sich nach oben. Kleine Kinder deuteten mit dem Zeigefinger freudig in den Himmel und erneut ging ein »Aaah«, »Oooh« und »Uiii« durch die staunende Menge. Ein bunt gekleideter Akrobat balancierte flink etwa vier Meter über die Besucher hinweg. Ein langer Stab, den er quer vor seinem Körper hielt, half ihm, das Gleichgewicht zu halten. Der Artist zeigte eine perfekte Darbietung, denn er lief rückwärts, vorwärts, manchmal schnell und selten langsam auf dem Seil entlang. Immer wieder lösten seine gewagten Sprünge spitze Angstschreie im Publikum aus. Auch die sechs Kinder blickten gebannt nach oben und staunten von einem Moment zum nächsten immer mehr.

»Ich glaub’s ja nicht. Der tanzt einfach über unsere Köpfe hinweg auf einem Seil«, rief Ben fasziniert.

»Ja, das gefällt mir, das sollten wir auch ausprobieren«, rief Loni und ihre Augen strahlten.

»Nein, wirklich nicht. Ich bleibe lieber auf dem Boden, das ist mir sicherer«, lachte Valerius und hakte sich bei seiner Cousine unter.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739400266
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Schlagworte
Jakobidult Brezenreiter Alter Hof Abenteuergeschichte Alte Münze Mittelalter Stadtgeschichte Münchens Roman Abenteuer Kinderbuch Jugendbuch Humor

Autor

  • Petra Breuer (Autor:in)

Petra Breuer ist als Autorin und Verlegerin tätig. Sie schreibt Schulbücher, Sachbücher, Bildwörterbücher und Kinderbücher mit einem Schwerpunkt auf Wissensvermittlung – u.a. zu historischen Themen. Zudem unterstützt sie Volkshochschulen aus München und dem Umland sowie diverse Museen als freie Dozentin und Kursleiterin. Ein Schulklassenprogramm rundet das Programm ab. Weitere Informationen zur Person, den Werken und aktuellen Aktivitäten finden Sie im Netz.
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Titel: Tumult auf der Dult