Lade Inhalt...

Schnee von gestern

von Lillith Korn (Autor:in)
30 Seiten

Zusammenfassung

Edna ist das fehlende Puzzleteil in Marlenes Leben und alles scheint perfekt zu sein. Bis ein winziger, vermeintlich unscheinbarer Moment ihr Glück zerstört und dramatische Folgen nach sich zieht. Eine kurze Geschichte über die Liebe, das Verzeihen und den Tod.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Schnee von gestern

»Nach diesem heißen Sommer finde ich den Winter so erholsam.« Edna seufzte. Sie breitete die Arme aus und drehte eine Pirouette auf einer vereisten Pfütze. Die naturroten Locken wirbelten um ihr schmales Gesicht. Wahrscheinlich versuchte sie, Marlene mit ihrer lustigen Art vom Todestag ihrer Mutter abzulenken – und es funktionierte, wenngleich sich ein wenig Sorge in Marlene ausbreitete, als sie Edna kurz schwanken sah.

»Fall nicht hin!«, warnte sie und runzelte die Stirn. »Ich brauch dich noch. Und zwar jeden einzelnen Partikel.«

Nun schlitterte Edna galant auf der Pfütze zu ihr und umfasste Marlenes Gesicht. »Keine Angst. Wenn du willst, bleiben wir für immer zusammen. Und ich will, das kann ich dir versichern.« Sie gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und grinste das freche Grinsen, das Marlene so an ihr liebte.

Wohlig seufzend genoss Marlene das Gefühl der Verliebtheit, das gar nicht mehr abebbte. »Gar keine Frage. Natürlich möchte ich das!«

Zufrieden nickte Edna. »Irgendwann werden wir alt und grau sein und die Kinder unserer Kinder werden um uns herumtanzen, während wir wunschlos glücklich sind, dass wir die harten Tage der Erziehung hinter uns haben und nur noch die netten Omis sein müssen.«

Marlene lachte. »Das wäre ein Traum. Vorsicht, nicht die Schneeglöckchen zertreten! Das bringt vielleicht Unglück!«

Kopfschüttelnd erwiderte Edna: »Du und dein Aberglauben. Es gibt keine Zeichen, die dir den Weg weisen, Schatz.«

»Die gibt es sehr wohl. Und alle haben mich zu dir geführt.« Damit entlockte Marlene ihrer Freundin ein Schmunzeln. Sie wandte den Blick zum Nachbarshund, der an einem bemoosten Baum schnupperte und ihn anschließend für eine Markierung auserkor. »Feiner Troubadix«, lobte sie den Dalmatiner.

Edna hingegen kicherte. »Süße, warum lobst du ihn denn? Er ist doch stubenrein und kein Welpe mehr, oder?«

»Ja, schon, aber es ist trotzdem schön, wenn er draußen macht. Gutes kann man nie oft genug sagen.«

»Da hast du natürlich recht.«

Während sie dem schwanzwedelnden Troubadix hinterherliefen, raschelten ihre Schritte leise auf den frostigen Blättern.

»Hm«, sagte Edna und fasste sich nachdenklich mit Zeigefinger und Daumen ans Kinn. »Wenn ich also dein Lob möchte, muss ich an einen Baum pinkeln?«

»Sicher, dass es Lob ist, was du möchtest? Oder etwas ganz anderes …«

Sie grinsten beide und Edna zog Marlene schwungvoll an sich heran, sodass diese auflachte.

»Was tust du?«

»Das.«

Damit wirbelte sie Marlene herum, drückte sie sanft gegen einen Baum – nicht den, den Troubadix für sich reserviert hatte, sondern eine dicke Eiche, um die sich Efeu rankte – und erstickte ihre Worte mit einem Kuss. Und der war so viel besser als jedes Wort, das eine von ihnen jemals hätte sprechen können.

»Grrrr … wuff!« Troubadix saß vor ihnen und wedelte eine kleine Schneise in das vertrocknete Laub.

»Wie kannst du nur deine Aufmerksamkeit auf mich richten anstatt auf ihn?«, feixte Marlene.

Erneut schüttelte Edna den Kopf. »Ungeheuerlich, wirklich. Dabei laufen wir ja erst zwei Stunden durch die Gegend …« Demonstrativ schlotterte sie.

»Sollen wir uns langsam mal auf den Rückweg machen? Ich bin ganz schön durchgefroren.«

Edna zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Was meinst du, Troubadix?«

Zur Antwort kläffte er, flitzte los und legte ihr Sekundenbruchteile später ein Stöckchen vor die Füße.

Marlene und Edna tauschten einen Blick. Anschließend hob Edna brav das Stöckchen auf und warf es. Sie beobachteten, wie der Hund hinterherjagte, als handelte es sich um ein Stück Gourmetfleisch. Troubadix hielt offenbar nichts davon, zurück nach Hause zu seinem Frauchen zu gehen.

»Na gut, noch ein paar Minuten«, sagte Edna. Der Hund liebte sie, denn er wusste genau, wie schnell sie sich erweichen ließ.

Marlene sah gern dabei zu, wie die beiden spielten. Heute war sie besonders dankbar dafür, weil die Gedanken an den zu frühen Tod ihrer Mutter schmerzten. Immerhin war der Tod nach all dem Leid höchstwahrscheinlich eine Erlösung gewesen. Damals war die Welt in Weiß versunken – draußen im Schnee, drinnen in den kahlen Wänden des Krankenhauses.

Wie aufs Stichwort begann es zu schneien. Nicht dass Wolken nicht bereits zuvor den Himmel bedeckt hätten, aber Marlene kam es viel zu kalt vor, als dass es hätte schneien dürfen. »Edna Yepa!«, schimpfte sie spielerisch. Der Verlockung, Edna mit ihrem Nachnamen anzusprechen, konnte sie nicht widerstehen, denn er bedeutete Schneemädchen. »Hättest du deinen Flockenschluckauf nicht ein bisschen länger unterdrücken können?« Sie zog die Kapuze ihres braunen Wollmantels tiefer ins Gesicht, während sie aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Edna sich den weißen Schal fester um den Hals wickelte.

»Nein, siehst du doch. Warte mal ab, bis ich erst Blähungen habe …«

»Was? Du pupst? Und das als Frau?«

»Finds raus …« Edna wackelte mit den Augenbrauen, was Marlene lediglich ein Kopfschütteln entlockte. Selbst in diesem Augenblick schaffte es ihre Freundin, süß und verführerisch auf sie zu wirken. Sie erinnerte sich an das erste Mal, das sie Edna gesehen hatte, und wie frech diese auf ihre unbeholfenen Flirtversuche reagiert hatte. Damals war Marlene ja nicht einmal selbst klar gewesen, dass sie flirtete.


Seit Tagen hatte es Marlene in das süße Café gezogen, in dem die Rothaarige arbeitete, die immer so nett lächelte, wenn Marlene daran vorbeischlenderte. Heute beschloss sie, einzutreten und einen Kaffee zu trinken. Warum auch nicht? Kaum öffnete sie die Tür, rannte sie bereits in jemanden hinein. Es schepperte, als das Tablett auf den Boden fiel. Obwohl sich kalte Flüssigkeit auf Marlenes Brust ergoss, schaffte sie es, das Glas aufzufangen. Was sich da auf ihrem Shirt ausgebreitet hatte, roch nach Eiskaffee. Im Gegenzug dazu begann ihr Gesicht sofort zu glühen – wäre das Getränk nur besser dort gelandet …

»Huch, entschuldige, das tut mir leid!«, stotterte Marlene. »Eiskaffee … den wollte ich eh bestellen. Dann zahle ich wohl zwei.«

Die Rothaarige musterte sie von oben bis unten und begann zu grinsen. »Du willst mich auf einen Kaffee einladen? Ich bin dabei – aber ich zahle.« Sie zwinkerte und Marlenes Wangenröte brannte inzwischen wie Feuer. »Übrigens«, fügte die Kellnerin hinzu, »du hättest auch einfach fragen können, statt mich umzurennen. Ich hatte ohnehin ein Auge auf dich geworfen.«


Unglaublich, dass inzwischen neun Monate vergangen waren. Und davon wohnten sie bereits vier zusammen – es hatte von Anfang an gepasst. Edna hatte eine Lücke in Marlenes Leben geschlossen, derer sie sich bis dahin nicht bewusst gewesen war.

Der Schnee wirbelte immer dichter um sie herum, wirkte beinahe wie Nebel, sodass sie den Hund anleinten und zusahen, dass sie schleunigst aus dem Wald herauskamen.

Frau Meyer öffnete die Tür mit einem Handtuch in der Hand und kniff die Augen zusammen, als der Hund sich schüttelte, bevor sie ihn mit dem Tuch erwischte. Edna war bereits vorgegangen und Troubadix hatte verwirrt zwischen den Türen hin und her geschaut, als wüsste er nicht, zu wem er sich gesellen sollte: zu seinem Frauchen oder seinen heißgeliebten Ersatzfrauchen. Er mochte Marlene ebenfalls, sie war für die Streicheleinheiten sowie fürs Lob zuständig und Edna fürs Spielen. Troubadix winselte abermals, dann bellte er und stürmte in die Wohnung, ehe Frau Meyer ihn aufhalten konnte. »Trouba…, nicht wieder nass ins Bett!«

Hektisch bedankte sich die Nachbarin bei Marlene und schloss die Tür, um sich um den Dreckspatz zu kümmern.

Marlene huschte in die eigene Wohnung, zog erleichtert die ersten zwei Zwiebelschichten aus und rieb sich die Hände. Schon die freundlichen Holzdielen strahlten Wärme aus, ebenso die orange und terracottafarben gestrichenen Wände. Die kleine Stehlampe im Wohnzimmer und eine Kerze auf dem Holztisch verbreiteten eine heimelige Atmosphäre.

»Ich mach Tee. Was möchtest du für einen?«, rief Edna aus der Küche.

Um zur Antwort nicht brüllen zu müssen, durchquerte Marlene das Wohnzimmer und bog in die Küche, wo Edna geschäftig herumwuselte. Der Wasserkocher blubberte vor sich hin. Edna kramte in der Teebox, zog einen Beutel heraus, blickte aus ihren grünen Augen nach oben und fragte: »Schoko-Chai?«

Nickend rieb Marlene sich über die verspannten Schultern. »So durchgefroren, wie ich bin, klingt das perfekt.« Es wurde Zeit, dass der Tag zu Ende ging. Alles hatte sie heute angestrengt und die Erinnerungen an die Beerdigung vor fast genau einem Jahr hatten sie nicht losgelassen. Noch ein bisschen aufwärmen und kuscheln, dann wollte sie schlafen.

Es klackte – das Wasser kochte. Edna griff in den Schrank, holte ihre eigene Lieblingstasse mit den Mohnblumen hervor und Marlenes. Darauf war ein kleiner Elefant abgebildet, der gemütlich auf einer Wiese saß. Ihre Mutter hatte sie ihr geschenkt, nicht allzu lang, bevor sie an Krebs gestorben war.

Als Marlene gerade über das Wort gestorben nachdachte, lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Der Moment gefror. Die Tasse ihrer Mutter rutschte Edna aus der Hand. Es klirrte. Sekunden später lag das Erinnerungsstück in Scherben verteilt auf dem Boden.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752114232
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
drama lgbtq tod trauer winter kälte Liebesroman Liebe Drama Theater Drehbuch Schauspiel Fantasy Urban Fantasy

Autor

  • Lillith Korn (Autor:in)

Lillith Korn wollte gar keine Autorin werden. Als sie eine frustriert-ironische Kleinanzeige mit dem Titel "Suche: Sinn des Lebens" veröffentlichte, änderte sich alles. Suizidempfehlungen und Hilfsangebote folgten - und der Vorschlag zu schreiben. Dieser Welt eine kleine Spur, ein winziges Sandkorn in der Wüste zu hinterlassen, das erhalten bleibt, wenn man eines Tages nicht mehr da ist. Inzwischen hat Lilliths Muse ADHS - wenn die mal in Rente geht, schreibt Lillith wieder eine Kleinanzeige.
Zurück

Titel: Schnee von gestern