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Das Leben ist zerbrechlich

16 authentische Kriminalfälle aus Sicht eines Richters

von Wolfgang Backen (Autor:in)
240 Seiten

Zusammenfassung

In diesem Buch beschreibt der Autor spannend 16 Verbrechen, die in Hamburg stattgefunden haben. Der Autor stellte als Richter den Sachverhalt fest und entschied über das Schicksal der Angeklagten. Schon als Kind kam er mit der Justiz in Berührung, denn schon sein Vater war als Richter und Staatsanwalt tätig. "Er hat immer viel und interessant über seine Arbeit erzählt, so ist das Interesse an der Justiz gereift", sagt Backen, der in unterschiedlichen Kammern überwiegend im Strafrecht gearbeitet hat. "Ich habe meinen Berufswunsch nie bereut. Es ist ein schöner Beruf, der zwar nicht reich macht, aber nützlich für die Gesellschaft ist. Am Anfang gehen die Fälle auch ins Privatleben mit", sagt der Schwurgerichtsvorsitzende.. "Später kann man besser trennen. Aber es gibt immer noch Fälle, die einen nicht loslassen. Schlimm sind die Taten, bei denen die Opfer sehr gelitten haben oder bei denen Kinder Opfer sind. Das geht einem auch noch nach 37 Berufsjahren unter die Haut". (Bettina Mittelacher, Hamburger Abendblatt vom 15./16.August 2016, Seite 10)

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



Prolog

Dies ist kein Kriminalroman. Dieses Buch hat nichts mit den mehr oder weniger an der Wirklichkeit orientierten Kriminalromanen oder Kriminalfilmen zu tun, die spannende Unterhaltung bieten wollen. Den Trost, dass Grausamkeit und Tote nur erfunden seien, kann ich Ihnen leider nicht spenden. Die hier zusammengestellten Fälle haben sich alle so tatsächlich abgespielt. Vielleicht wird der eine oder andere das Buch schnell wieder aus der Hand legen, weil er angewidert denkt, der Verfasser habe eine zu schmutzige Fantasie, so etwas könne unmöglich geschehen sein, denn so böse könne keiner handeln. Leider weit gefehlt! Der Mensch kann zu Unvorstellbarem fähig sein, wenn er Gelegenheit dazu bekommt und entsprechende Anlagen hat. Beispiele in der Geschichte gibt es davon genug. Die Motive sind vielseitig, und es sind keineswegs immer nur die psychisch kranken Mitmenschen, die widerliche Straftaten begehen.

Die folgenden sechzehn Fälle demonstrieren beispielhaft die große Bandbreite menschlicher Schwächen und Abgründe. Ich begegnete im Laufe meiner Tätigkeit als Strafrichter aber nicht nur hartgesottenen Tätern, sondern auch vielen geistig Kranken, Bemitleidenswerten und auch Unschuldigen. So tötete ein Pensionär seine Frau aus lauter Verzweiflung (s. Fall 9) und ein junger Mann saß 16 Jahre lang im Gefängnis, obgleich er die ihm vorgeworfene Straftat gar nicht begangen hatte (dazu Fall 1). Justizirrtum. Lebenszeit, die nie mehr zurückgeholt werden kann. Trotz aller Sorgfalt und Bemühungen der Polizei und Justiz kommt es bedauerlicherweise auch in einem Rechtstaat hin und wieder zu solchen Fehlurteilen. Ein Supergau für die Betroffenen, in deren Leben durch ein derartiges Urteil fatal eingegriffen wird.

Ich möchte den Lesern Einblicke in die Tätigkeit eines Strafrichters verschaffen, die ich viele Jahre lang ausgeübt habe, und den Leser mit in eine Welt nehmen, die vielen fremd sein dürfte.

Wie bin ich zu diesem Beruf gekommen? Die Wurzeln dafür sind in meiner Familie zu suchen. Mein Vater Heinrich Backen war in Hamburg Staatsanwalt, Zivil – und Strafrichter, dann Vizepräsident des Amtsgerichts und beendete seine Karriere mit 65 Jahren 1985 als Generalstaatsanwalt in Hamburg.

Natürlich erzählte er oft über die Fälle, die ihn gerade beschäftigten, wenn unsere Familie beim Essen zusammensaß. Manchmal nahm er uns Kinder mit ins Gericht. Mir erschien seine Tätigkeit – abgesehen von den eher langweiligen Ehescheidungen - spannend und interessant, so dass ich mich nach dem Abitur 1970 zum Jurastudium entschloss. Ich wollte unbedingt Richter werden.

Abgesehen vom Vorbild meines Vaters hatte auch die damalige Zeitströmung einen nicht unerheblichen Einfluss auf meine Berufswahl. Es herrschte an den Schulen und Universitäten der Geist der „Achtundsechziger“, repräsentiert durch politisch deutlich nach links tendierende Schüler und Studenten, die das Streben ihrer aus der Kriegsgeneration stammenden Eltern nach Bequemlichkeit und Wohlstand abgrundtief verachteten und andere Ideale zum Maß aller Dinge machten, um sich von ihren spießigen Eltern, Lehrern und Professoren strikt abzugrenzen. Die Bewegung wurde wohlwollend von großen Teilen der Presse begleitet. Wir wollten unser Land formen und hielten uns angesichts der im „Dritten Reich“ begangenen Gräueltaten für die moralisch besseren Menschen. Das war natürlich naiv, weil wir unter ganz anderen Verhältnissen aufgewachsen waren und keiner unsere moralische Einstellung je ernsthaft auf die Probe stellte.

Ich war zwar eher konservativ ausgerichtet, fand aber wie viele der idealistisch geprägten Studenten, dass jeder etwas zum Bestand, zur Weiterentwicklung und Optimierung der demokratischen Gesellschaft beitragen müsse und ein Beruf nicht nur dem Geldverdienen dienen dürfe. Eine unabhängige Rechtsprechung im Rahmen der Gewaltenteilung war mir wichtig.

Es gelang mir tatsächlich nach vielen, meistens praxisfernen Vorlesungen an der Universität sowie nach zweijährigem Referendariat und zwei nervenaufreibenden Staatsexamen 1979 eine Stelle als Richter beim Landgericht Hamburg zu ergattern. Bis 2016 arbeitete ich dort hauptsächlich als Strafrichter. Zunächst als beisitzender Richter, später als Vorsitzender Richter u.a. in Strafvollstreckungs-, Jugend- und Schwurgerichtskammern.

Die hier geschilderten 16 Fälle wurden fast alle vor einem Schwurgericht verhandelt. Die Schwurgerichtskammern, die in Deutschland bei den Landgerichten angesiedelt sind, sind zuständig für die Verhandlung vorsätzlicher Tötungsdelikte – hauptsächlich also für Mord (§ 211 StGB) oder für Totschlag (§ 212 StGB), aber auch für andere Verbrechen mit tödlichem Ausgang (beispielsweise bei einer Vergewaltigung oder Körperverletzung).

Da viele Leser möglicherweise nicht den Unterschied zwischen Totschlag und Mord kennen, möchte ich ihn kurz erklären: In beiden Fällen tötet der Täter vorsätzlich und nicht fahrlässig. Als Mörder bezeichnet das Gesetz denjenigen, der bei der Tötung bestimmte Merkmale erfüllt, die der Gesetzgeber für besonders verwerflich hält. Beispielsweise eine Tötung aus Habgier oder bei einer heimtückischen oder grausamen Vorgehensweise. Den Mörder erwartet grundsätzlich eine lebenslange Freiheitsstrafe, während andere, die töten, ohne dabei ein Mordmerkmal zu verwirklichen, wegen Totschlags mit einer zeitigen Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren rechnen müssen. Nur in besonders schweren Fällen ist auch beim Totschlag die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe möglich. Für minder schwere Fälle sieht der Gesetzgeber in § 213 StGB Strafen zwischen einem Jahr und zehn Jahren vor. Auf nur fahrlässig begangene Tötungen (§ 222 StGB) stehen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren. Über solche Vergehen entscheidet i.d.R. das Amtsgericht.

Eine Schwurgerichtskammer ist mit drei Berufsrichtern –einem Vorsitzenden, zwei Beisitzern sowie zwei Laienrichtern (Schöffen) - besetzt. Sie werden nur bei Anklagen der Staatsanwaltschaft tätig. Die Anklagen werden vom Gericht geprüft und zugelassen, wenn ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeklagten besteht. Wird ein solcher Tatverdacht bejaht, folgt eine Hauptverhandlung unter der Leitung des Vorsitzenden, in der – nach Verlesung der Anklageschrift - zunächst die Angeklagten Gelegenheit haben, etwas zum Vorwurf zu sagen. Sie müssen aber nicht. Es folgt das Kernstück der Hauptverhandlung: Die Beweisaufnahme. In diesem Abschnitt können beispielsweise Zeugen und Sachverständige vernommen, Urkunden verlesen sowie Fotos und Videos in Augenschein genommen werden. Es soll dadurch für die Richter ein Bild vom Tatgeschehen entstehen. Nachdem die Beweisaufnahme geschlossen worden ist, halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers und der Angeklagte bekommt die Gelegenheit zu einem „letzten Wort“.

Danach ziehen sich die fünf Richter zur Beratung zurück. Sie ist geheim – kein Wort darf nach außen dringen. Einer der Berufsrichter beginnt und schlägt den anderen die Feststellung eines Sachverhalts vor. Seinen Vorschlag zum Tatgeschehen begründet er unter Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Dies ist oft eine äußerst komplizierte Aufgabe, denn es reicht natürlich nicht aus, sich kritiklos auf die Angaben der Zeugen zu stützen, vielmehr muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob diese auch glaubhaft sind. Neben bewussten Falschaussagen kommt es nämlich immer wieder vor, dass das Gedächtnis den Menschen einen Streich spielt. Erlebtes wird teilweise oder ganz vergessen oder die Erinnerung wird durch andere Einflüsse verfälscht. Manchmal füllt ein Zeuge die Lücken, die in seiner Erinnerung entstanden sind, mit Schlussfolgerungen, was er aber vor Gericht nicht zum Ausdruck bringt. Meistens ist er sich darüber nicht einmal bewusst. Zeugen sollen aber wertungsfrei vor Gericht nur das berichten, was sie nach ihrer gegenwärtigen Erinnerung gesehen und gehört haben. Nicht mehr und nicht weniger. Aber auch andere Beweismittel können ihre Tücken haben. Möglicherweise sind Fotos und Videos geschickt manipuliert worden oder Gutachten weisen Fehler auf.

Der Vorschlag zum Tatablauf und zur Täterschaft wird während der Beratung diskutiert. Wenn er nicht von allen akzeptiert wird, weil auch eine andere Variante möglich erscheint, muss abgestimmt werden. Steht der Sachverhalt fest, wird geprüft, ob die Angeklagten durch ihr Verhalten rechtswidrig und schuldhaft gegen ein oder mehrere Strafgesetze verstoßen haben. Falls ja, folgen die Überlegungen zur Bestrafung. Dabei ist der sog. Strafrahmen des Gesetzes Grundlage für die Festlegung der konkreten Strafe. Nehmen wir einmal den Strafrahmen für Totschlag (§ 212 Abs.1 StGB), der von 5 bis zu 15 Jahren reicht. Welche Strafe ist innerhalb dieser sehr großen Spannbreite individuell gerecht?

So etwas ist für das Gericht natürlich mathematisch nicht berechenbar. Die Strafe ist das Ergebnis einer Abwägung von strafmildernden und strafschärfenden Aspekten auf der Grundlage der Schuld des Täters. Die Grundsätze der Strafzumessung sind in § 46 StGB enthalten. Zu berücksichtigen sind danach die Beweggründe und Ziele des Täters, seine Gesinnung, die aus der Tat spricht, seine kriminelle Energie, die Art der Ausführung sowie die verschuldeten Auswirkungen der Tat. Aber auch das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat fließen in die Bewertung ein. Ein Geständnis oder ein provozierendes Verhalten des Geschädigten können beispielsweise die Strafe mildern. Auf der anderen Seite heben einschlägige Vorstrafen oder schwere Tatfolgen die Strafe an. Aber nicht nur die Anzahl der einen oder anderen Art der Zumessungsgründe ist ausschlaggebend, sondern auch ihr Gewicht. Dabei haben die Richter durchaus unterschiedliche Ansichten darüber, wie ein Strafzumessungsgrund zu gewichten ist. Für den einen Richter mag die Biografie des Angeklagten eine große Rolle spielen, während sie für seinen Kollegen eher nebensächlich ist. Die Bildung der Strafe ist somit ein äußerst komplizierter Prozess, der viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert.

Jeder der fünf Richter hat eine Stimme – egal ob er Vorsitzender oder Schöffe ist. Kein Richter darf die Abstimmung verweigern. Zu jeder dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung über die Schuldfrage und die Rechtsfolgen der Tat ist eine Mehrheit von Zweidritteln der Stimmen der Richter erforderlich. Also müssen im Schwurgericht mindestens vier Richter davon überzeugt sein, dass der der die Angeklagte die Tat begangen hat. Sonst muss freigesprochen werden. Nach der Beratung wird das Urteil im Namen des Volkes vom Vorsitzenden in der Sitzung verkündet und mündlich begründet.

Ob der Sachverhalt, von dem das Gericht ausgeht, dem tatsächlichen Geschehen zu 100 Prozent entspricht, ist keineswegs immer gesichert. Das gefundene Ergebnis kann trotz aller Sorgfalt immer nur eine Annäherung an die Wahrheit sein, selbst wenn das Gericht die Qualität der Beweismittel sorgfältig geprüft hat.

Es gibt leider eine Menge Fehlerquellen: Überzeugende Lügner, falsche Geständnisse, Dolmetscher, die unvollständig oder falsch übersetzen, sowie Sachverständige, die nicht erschöpfend alle Anknüpfungstatsachen beurteilen oder falsche Schlüsse aus ihnen ziehen. Nicht zuletzt hindert der Gesetzgeber selbst oft die Wahrheitsfindung, da er sich entschieden hat, einigen Personen ein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht einzuräumen. So habe ich es immer wieder als sehr unbefriedigend empfunden, wenn ein Kind vom Vater missbraucht oder gar getötet worden war, die Mutter des Kindes als Zeugin der Tat dies bei ihrer polizeilichen Vernehmung zwar auch beschrieben hatte, aber vor Gericht von ihrem Aussageverweigerungsrecht als Ehefrau Gebrauch machte, weil sie Angst vor ihrem Mann oder vor den wirtschaftlichen Folgen für die Familie bekommen hatte. Ist die Mutter das einzige Beweismittel, weil das Kind tot oder noch zu jung für eine Aussage ist, führt diese Situation zu einem Freispruch. Die polizeiliche Aussage der Mutter darf vor Gericht nicht verlesen werden, Vernehmungsbeamte der Polizei nicht vernommen werden. Der Gesetzgeber stellt hier den „Ehefrieden“ über die Gerechtigkeit–vielleicht mit der schrecklichen Folge, dass das Kind weiterhin vom Vater misshandelt wird. Den Gerichtsmedizinern ist es oft nicht möglich, eindeutig zu bestimmen, ob eine Verletzung Folge eines Unfalls oder einer Misshandlung ist. Selbst wenn, bleibt meistens die Frage, wer für die Misshandlung verantwortlich ist, offen.

Ein weiteres Beispiel für die begrenzte Gerechtigkeit findet sich in den Verjährungsvorschriften des Strafgesetzbuchs: Nach einiger Zeit wird zu Gunsten des Rechtsfriedens auf die Ahndung einer Straftat verzichtet (dazu siehe den dritten Fall). Selbst beim Totschlag gilt dies – nur Mord verjährt nicht.

Manchmal scheitert die Wahrheitsfindung auch an den Verteidigern. Sie haben natürlich ein legitimes Interesse, ihren Mandanten vor einer Strafe zu schützen oder eine möglichst geringe Strafe für sie zu erkämpfen. Das ist in Ordnung, solange nicht mit unfairen Mitteln gekämpft wird. So hat der Verteidiger z.B. das Recht, Zeugen zu befragen, wenn sie zuvor vom Gericht vernommen und von der Staatsanwaltschaft befragt worden sind. Es gelingt einigen Verteidigern, Zeugen stunden- bzw. sogar tagelang zu vernehmen in der nicht unberechtigten Hoffnung, die Zeugen würden sich irgendwann nicht mehr konzentrieren können und sich dann hier und dort in ihrer Aussage widersprechen. Die Hoffnung erfüllt sich oft, wenn der Zeuge entnervt anfängt, dem Rechtsanwalt nach dem Mund zu reden, weil seine Zeitplanung aus den Fugen gerät, er nach einer Zigarette giert oder er schlicht und ergreifend nach einigen Stunden psychisch am Ende ist. Ich habe sogar Zeugen erlebt, die nach einer solchen Tortur den Gerichtssaal mit der ernstgemeinten Ankündigung verließen, sie würden sich nie wieder in ihrem Leben als Zeugen zur Verfügung stellen. Nicht gut für unseren Rechtstaat, aber aus der Sicht eines Geplagten eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung.

Oft werden Zeugen durch viele Fragen, deren Sinn sie nicht mehr verstehen, provoziert. Die Gereizten reagieren oft aggressiv. Dieser Zustand ist äußerst gefährlich, weil er leicht zu unüberlegten Antworten führt. Triumphierend ruft dann der Verteidiger, der Zeuge sei unglaubwürdig und nicht als Beweismittel zu gebrauchen. Greift das Gericht nach einiger Zeit ein und weist Fragen zurück, weil sie keinen erkennbaren Zusammenhang zum Anklagevorwurf mehr haben, entgegnet der Verteidiger, er müsse mit diesen Fragen unbedingt die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen prüfen. Das sei sein gutes Recht! Ein Argument, das nicht ohne weiteres zurückgewiesen werden kann, will der Vorsitzende sich nicht dem Verdacht der Parteilichkeit aussetzen.

Beliebt ist auch der Versuch, das Gericht mit vielen Beweisanträgen und Ablehnungsanträgen zu bombardieren, was die Hauptverhandlungen verlängert und den richterlichen Terminkalender durcheinander bringt. Der Anwalt hofft auf Verfahrensfehler, die er in der Revisionsinstanz rügen kann, auf die Zermürbung der Richter oder auf ein Entgegenkommen des Gerichts beim Strafmaß. Mit der Strafprozessordnung ist so ein Verhalten vom Gericht kaum zu stoppen. Das Gesetz stammt aus einer Zeit, in der es selbstverständlich war, dass ein Verteidiger als Organ der Rechtspflege an der Wahrheitsfindung mitarbeitet und diese nicht torpediert. Heute verstehen sich viele Verteidiger nur noch als verlängerter Arm ihrer Mandanten. Das veränderte Verhalten sollte eigentlich Gesetzesänderungen nach sich ziehen, was angesichts der mächtigen Lobby der Rechtsanwälte kaum Aussicht auf Erfolg hat.

Wie die Beweismittel letztlich bewertet werden, hängt nicht zuletzt auch von den Persönlichkeiten der Richter ab. Einige glauben Zeugen eher als der andere. Richter, die zu vorsichtig sind und oft Angeklagte freisprechen, werden intern etwas abschätzig als Bedenkenträger bezeichnet. Aber jeder Richter muss schließlich auf sein Gewissen hören.

Die kurze Beschreibung macht vielleicht schon deutlich, welche riesige Verantwortung der Richterberuf mit sich bringt. Er ist nichts für schwache Nerven. Richter müssen neben der Wahrheitsfindung versuchen, verschiedene Interessen zu berücksichtigen und unter einen Hut zu bringen, die Gesellschaft vor Straftätern zu schützen, aber auch danach streben, dem Straftäter das Leben nach Möglichkeit nicht bis zu seinem Lebensende zu verbauen, sondern ihm eine Chance zum Neuanfang einzuräumen.

Mich faszinierten während meiner Berufstätigkeit immer wieder die unterschiedlichen Verhaltensweisen und Beweggründe der Täter. Sehr oft entstehen Straftaten aus gescheiterter Sozialisation, weil das Elternhaus versagt hat oder gar nicht vorhanden war, so dass soziale Normen und Wertvorstellungen nicht verinnerlicht werden konnten (s. z.B. Fälle 12 und 16). Das Beste, was man seinem Kind mitgeben kann, sind daher Liebe, gute Erziehung und Bildung. Aber selbst bei gelungener Sozialisation kann es zu folgenschweren Gesetzesübertretungen kommen, wenn anerzogene archaische Wertvorstellungen, z.B. aufgrund religiöser und kultureller Einflüsse, dominieren, die unserer Kultur und dem hiesigen Recht fremd sind (Fälle 5, 7 und 11).

Straftaten können sogar aus inniger Liebe entstehen (siehe Fall 10). Vor allem dann, wenn die Liebe einseitig ist. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre kam in unsere Hauptverhandlungen oft eine junge sympathische Staatsanwältin als Sitzungsvertreterin, von welcher der Buschfunk behauptete, sie lebe nur für ihre Karriere, Liebe habe es in ihrem Leben noch nie gegeben. Diese Staatsanwältin hatte in ihrem 32. Lebensjahr beruflich bei der Aufklärung einiger Einbrüche mit einem jungen vorbestraften Mann zu tun, in den sie sich schon nach kurzer Zeit unsterblich verliebte. Ihr Freund sah die Beziehung eher geschäftsmäßig und als hervorragende Gelegenheit, die Frau für seine dunklen Machenschaften auszunutzen, was er auch tat. Aus Angst, ihr Freund könne sie verlassen, wechselte die Staatsanwältin die Seiten und gab ihm unter anderem einen Tipp für einen Einbruch bei ihrer Nachbarin, den er daraufhin ausführte. Ihr Amt als Staatsanwältin war sie daraufhin natürlich los. Aber auch ihren Freund, der es sich nicht nehmen ließ, die Lovestory an die Presse zu verkaufen. Eine Zeitung druckte sie im September 1985 unter der Überschrift: „Meine Staatsanwältin war noch Jungfrau“ ab.

Das wohl größte Rätsel im Hinblick auf ihre Absichten gab mir eine Strafverteidigerin auf, die bei unserer Kammer wegen Beihilfe zum Mord angeklagt worden war. Sie hatte den Mörder Pinzner aus dem St. Pauli – Milieu verteidigt, nachdem dieser im Auftrag rivalisierender Zuhälterbanden in den 1980ger Jahren fünf Menschen kaltblütig erschossen hatte. Nach seiner Festnahme wurde er von der Polizei und der Staatsanwaltschaft mehrmals vernommen. Während der Untersuchungshaft versorgte die Rechtsanwältin ihn mit Kokain und schmuggelte – unter Umgehung der gerichtlichen Postkontrolle – Briefe an und von seiner Ehefrau. Die unkontrollierte Post ermöglichte die Planung des Finales. Am 29. Juli 1986 sollte Pinzner erneut und ein letztes Mal im Polizeipräsidium vernommen werden. Bei dieser Vernehmung waren außer dem Beschuldigten und seiner Ehefrau eine Protokollführerin, Kriminalbeamte und der zuständige Staatsanwalt B. sowie die Verteidigerin anwesend. Auf Anweisung ihres Mandanten hatte Letztere, die als Verteidigerin im Präsidium nicht oder nur unzulänglich kontrolliert worden war, eine Schusswaffe nebst fünf Schuss Munition in den Vernehmungsraum eingeschmuggelt und unterhalb der Tischplatte in die Hände ihres Mandanten gespielt. Pinzner erschoss daraufhin den Staatsanwalt, schob dann den Revolver seiner vor ihm knienden Ehefrau in den Mund, drückte ab und tötete sich anschließend selbst.

Im Zusammenhang mit diesem Skandal mussten die Hamburger Justizsenatorin Eva Leithäuser und der Innensenator Volker Lange zurücktreten.

Klar ist, dass die Rechtsanwältin den Tod ihres Mandanten und seiner Frau wollte. Sie hatte ein vitales Interesse am Tod des Ehepaares. Solange die beiden lebten, bestand die große Gefahr, dass der Rauschgift- und Briefschmuggel auffliegen, sie bestraft und ihre Zulassung als Anwältin verlieren würde. Aber ohne Zweifel hatte die Rechtsanwältin auch für den Tod des Staatsanwalts Ursachen gesetzt: Ohne ihr Zutun hätte Pinzner nicht auf ihn schießen können. Aber warum tat sie das? Warum ging sie das hohe Risiko ein und gefährdete noch alle anderen im Vernehmungszimmer? Warum lieferte sie fünf und nicht nur zwei Patronen, die für den Tod des im Waffengebrauch geübten Auftragskillers und seiner Frau ausgereicht hätten? Vertraute sie etwa tatsächlich naiv darauf, der Killer werde sich mit dem eigenen und dem Tod seiner Frau zufriedengeben? Das war nach der Sachlage und der Persönlichkeitsstruktur des Beschuldigten Pinzner vollkommen unwahrscheinlich. Vielleicht war ihr das Hauptziel so wichtig, dass es alle Bedenken überwog, weil sie sich unbedingt retten wollte und dabei sogar den Tod anderer billigend in Kauf nahm. Oder spielten bei ihr inzwischen auch Hass auf Polizei und Staatsanwaltschaft eine Rolle? War vielleicht eine totale Hörigkeit, die alle Bedenken ausschloss, ausschlaggebend?

Nicht selten bleiben die Motive von Straftätern unklar. Sie lassen sich oft in der Hauptverhandlung nicht aufklären, zumal wenn der Angeklagte schweigt. Manchmal aber geben Zeugen oder Indizien einen Wink. Immer häufiger beruht strafrechtlich relevantes Fehlverhalten auf psychischen Erkrankungen (dazu Fälle 2 sowie 8). Daneben begünstigen noch viele andere Faktoren - wie eine geringe Empathiefähigkeit oder Alkohol- und Drogenkonsum-hochkriminelles Verhalten (Fall 12).

Während meiner Tätigkeit beobachteten meine Kollegen und ich, wie sich die Hemmschwelle bei Gewaltdelikten (bei Eigentumsdelikten ohnehin) allmählich immer weiter absenkte und die Aggressivität der Täter deutlich zunahm. Extreme Gewalt wird oft ohne nachvollziehbaren Anlass ausgeübt (Fall 15). Während man sich früher schlug und trat, ist heute ein Messer immer schnell zur Hand, weil viele es ständig bei sich tragen. Dementsprechend sind die Tatfolgen gravierend.

In einigen Fällen bringt aber bereits bloße Passivität Leute mit einer Anklage wegen Totschlags durch Unterlassen vor das Schwurgericht. Dazu mehr im Fall 14.

Was führt zur Tötung eines Menschen? Wie viel kriminelle Energie ist zur Überschreitung der hohen Hemmschwelle, die wir alle haben sollten, erforderlich, um Leben zu vernichten? Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Oft entsteht der Tötungsvorsatz spontan aus einer Situation heraus, die nicht vorhersehbar war. Plötzlich aufkeimende heftige Gefühle - wie Wut und Eifersucht - lenken die Täter. Langfristig geplante Tötungen sind eher selten.

Aus meiner langjährigen Tätigkeit als Richter einer Schwurgerichtskammer habe ich einige typische Fälle ausgewählt, die zeigen, wie vielschichtig menschliches Denken und Handeln sind. Sie lassen vielleicht erahnen, wie spannend und interessant, aber auch überaus verantwortungsvoll der Richterberuf ist.

Meine Quellen sind Erinnerungen und Notizen, die im Zuge öffentlich zugänglicher Beweisaufnahmen entstanden, sowie meine Entwürfe für die mündlichen Urteilsbegründungen. Über die folgenden Fälle wurde auch ausnahmslos in der Presse berichtet. Geändert oder abgekürzt habe ich aus rechtlichen Gründen in den folgenden Fällen die Namen der Betroffenen. Eine eventuelle Namensgleichheit mit noch lebenden oder bereits gestorbenen Personen ist rein zufällig.

Fall 1: 16 Jahre unschuldig in Santa Fu

Nachdem ich einige Jahre schon als Strafrichter gearbeitet hatte, musste ich mich mit einem Fall befassen, der mir sehr deutlich klarmachte, dass auch die Justiz nicht unfehlbar ist. Ich war damals 36 Jahre alt und beisitzender Richter einer Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts.

Alles fing damit an, dass ein Strafverteidiger 1986 auf 247 Seiten einen sogenannten Wiederaufnahmeantrag bei uns einreichte. Der Verteidiger vertrat den u.a. wegen Mordes rechtskräftig verurteilten Otto G., der schon seit 16 Jahren in der Hamburger Strafanstalt Fuhlsbüttel eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßte. In dem Antrag wurde behauptet, das damalige Geständnis des Verurteilten sei falsch gewesen und er sei freizusprechen, weil er ein Alibi für die Tatzeit habe.

Der Erfolg von Wiederaufnahmeanträgen zugunsten rechtskräftig Verurteilter ist nicht besonders groß. Die meisten Anträge scheitern bereits, weil sie nicht zulässig sind. Der häufigste Grund für eine Wiederaufnahme ist das Auftauchen von neuen Beweismitteln, die geeignet sind, einen Freispruch zu erzielen oder wenigstens die Strafe des Verurteilten durch die Anwendung eines milderen Strafgesetzes zu verringern.

Was war passiert?

Ein Schwurgericht hatte Otto G. am 31. März 1971 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er zur Überzeugung des Gerichts im April 1970 die sechsjährige Birgit, Tochter eines Polizeibeamten, in Hamburg-Rahlstedt getötet habe, nachdem er das Mädchen in ein Wäldchen gelockt und sich dort unter grausamen Umständen an ihm vergangen habe.

Die Revision von Otto G. gegen das Urteil wurde im September 1971 vom Bundesgerichtshof verworfen. Das Urteil war damit rechtskräftig geworden. Hinter Otto G. schlossen sich die schweren Türen der Strafanstalt Santa Fu, nachdem er vorher schon in Untersuchungshaft gewesen war. Im Gefängnis beteuerte er immer wieder seine Unschuld und beantragte mehrmals vergeblich die Wiederaufnahme seines Verfahrens.

Es ging um Folgendes: Sexuelle Attacken auf Kinder und junge Frauen verunsicherten damals viele Menschen im Hamburger Osten. Die Presse berichtete mehrfach darüber und kritisierte heftig Hamburgs Polizei, die sie für unfähig hielt, den oder die Täter zu fassen.

Die Empörung erreichte ihren Höhepunkt, nachdem zwei Schüler am 3. April 1970 gegen 12 Uhr das kleine Mädchen mit Spuren ärgster Misshandlungen im Scheidenbereich erdrosselt in einem Wassergraben gefunden hatten. Die Bevölkerung war äußerst alarmiert und besorgt. Die Polizei setzte auf Druck der Presse und Politiker alles in Bewegung, um den Täter zu fassen. Es wurden mehrere Ermittlungsgruppen gebildet, die bereits bekannte Sexualstraftäter überprüfen sollten. Jede Gruppe erhielt etwa zehn Karten aus der Kartei für Sexualtäter.

Bereits einen Tag nach dem Mord wurde auch Otto G. überprüft. Dieser erklärte, er habe die Tat gar nicht begehen können, da er zur fraglichen Tat beim Zahnarzt und Friseur gewesen sei. Diese Behauptung überprüften mehrere Kriminalbeamte. Sie befragten Zeugen und stellten fest, dass G. am Tattag tatsächlich gegen 11:00 Uhr einen Zahnarzt in Wandsbek aufgesucht hatte, bei dem ihm nach einer Wartezeit zwei Zähne unter Betäubung gezogen worden waren. Gegen 11:45 Uhr hatte er die Zahnarztpraxis in der Tonndorfer Hauptstraße verlassen. Dann war er zu einem Friseur in der Jenfelder Straße gegangen. Hier hatte er sich zwischen 12:00 Uhr und 12:30 Uhr die Haare schneiden lassen. Gegen 13:00 Uhr war Otto G. in seine Wohnung nach Barsbüttel zurückgekehrt. Nach Überprüfung des Alibis fertigten und unterschrieben drei Kriminalbeamte am 8. April einen Vermerk, in dem es hieß, Otto G. habe ein einwandfreies Alibi für die Tatzeit und es bestehe kein Tatverdacht gegen ihn.

Damit war der Beschuldigte aus dem Schneider – sollte man jedenfalls denken.

Eine weitere Ermittlungsgruppe befasste sich mit einem anderen Verdächtigen, nämlich Horst L.. Dieser gestand sehr bald, das Mädchen getötet zu haben, wobei er sogar Einzelheiten nennen konnte, die noch nicht von der Presse veröffentlicht worden waren. L. wurde daraufhin festgenommen und das Amtsgericht erließ einen Haftbefehl gegen ihn.

Die Überfälle im Hamburger Osten ließen jedoch nicht nach. Daher gingen Polizei und Justiz schließlich davon aus, dass das Geständnis von L. falsch sei. Er wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.

Die Polizei ermittelte weiter. Nun wurden sogar einige Ehefrauen von Polizeibeamten bei der Fahndung als „Lockvögel“ eingesetzt.

Otto G. geriet im Zuge der Observationen bald wieder in Verdacht und wurde festgenommen. Er gestand sechs Sexualdelikte, bestritt jedoch, das Kind getötet zu haben. Die Vernehmungsbeamten hielten ihm nun Einzelheiten des Falles sowie eine Skizze des Tatortes und Fotos vor. G. bestand immer noch auf seiner Unschuld. Nach ca. einer Stunde schrie er aber entnervt: „Ja, ich habe es gemacht!“

Am 13. August 1970 wurde er von der Polizei zum Tatort ausgeführt. Dabei war es ihm nicht möglich, den genauen Tatort zu bezeichnen. Während einer richterlichen Vernehmung am 27. November 1970 wiederholte er sein Geständnis.

Der Staatsanwaltschaft klagte G. u.a. wegen Mordes an Birgit beim Schwurgericht unter Beifügung der Ermittlungsakte an. Allerdings fehlte in dieser Akte der wichtige Vermerk über das Alibi des Otto G.. Er blieb – warum auch immer - im Besitz der Polizei, obgleich er unbedingt in die Ermittlungsakte gehört hätte.

In der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht, das damals noch mit drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen besetzt war, in der Zeit vom 29. bis zum 31. März 1971 (die Hauptverhandlungen waren damals selbst bei Tötungsdelikten erheblich kürzer), bestritt G. zunächst wieder, das Mädchen getötet zu haben. Er behauptete, den Vorfall nur aus der Akte zu kennen. Nachdem er sich bei der Polizei eine halbe Stunde lang die schrecklichen Fotos des misshandelten Mädchens habe ansehen müssen, sei er fix und fertig gewesen und habe alles gestanden, um endlich seine Ruhe zu haben. Er habe das Verhör nicht mehr ausgehalten.

Bei einem Ortstermin des Gerichts am Fundort der Leiche erklärte er dann auf Befragen jedoch wiederum: „Ich will jetzt alles zugeben“.

Während der Hauptverhandlung wurden die Zeugen nicht vernommen, die Otto G. einen Tag nach der Tat ein Alibi gegeben hatten. Das Gericht wusste zwar von den Besuchen beim Zahnarzt und Friseur; kümmerte sich aber offenbar nicht um die Uhrzeiten, weil der Angeklagte geständig war und ihm das Ergebnis der polizeilichen Befragung der Alibizeugen nicht vorlag. Auch der Verteidiger des Angeklagten problematisierte diesen Punkt nicht.

Nach seiner Verurteilung behauptete Otto G. dann im Gefängnis immer wieder, er habe mit dem Tod des Mädchens nichts zu tun. Die Polizei habe ihn hereingelegt. Aber diese Vorstellung war ungeheuerlich - keiner glaubte ihm.

Erst nachdem sein neuer Verteidiger den Alibi–Vermerk vom 8. April 1970 in der Polizeiakte gefunden hatte, waren die Weichen für ein neues Wiederaufnahmeverfahren gestellt, für das nun unsere Schwurgerichtskammer zuständig war. Der Prozess endete am 15. Dezember 1987 mit einem Freispruch, denn wir waren davon überzeugt, dass unser Angeklagter den Mord nicht begangen haben konnte:

Die Mutter der kleinen Birgit sowie Nachbarn hatten das Kind noch zwischen 10 und 10.45 Uhr in der Nähe seines Elternhauses spielen sehen. Da seine Leiche kurz nach 12 Uhr in der Feldmark entdeckt worden war, musste die schreckliche Tat in der Zeit dazwischen begangen worden sein. Bei einer Ortsbegehung am 3. Dezember 1987 schritten wir im ungefähren Tempo einer Sechsjährigen den Weg vom Elternhaus bis zum Fundort der Leiche, der nach der Spurenlage zugleich der Tatort war, ab und stellten fest, dass der Täter mit dem Mädchen rund 19 Minuten gebraucht haben musste. Die Tat musste also in der Zeitspanne von kurz nach 11:00 Uhr bis ca. 12:00 Uhr geschehen sein.

In dieser Zeit befand sich Otto G. jedoch noch beim Zahnarzt bzw. auf dem Weg zum Friseur. Es wäre ihm vor dem Haareschneiden zeitlich nicht möglich gewesen, das Mädchen anzusprechen, mit ihm zum Tatort zu gehen, die Tat auszuüben und wieder zurückzugehen.

Warum aber gestand Otto G. einen Mord, den er gar nicht begangen hatte, obwohl er mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen musste? Wir Richter hatten dafür zunächst keine befriedigende Erklärung.

Wir versuchten damals mithilfe eines Sachverständigen, dem Psychologen Dr. Maisch, diese Frage zu klären. Es stellte sich heraus, dass die Antwort im Persönlichkeitsbild des Otto G. lag. G. hatte nie während seiner Entwicklung eine persönliche Autonomie erlangt. Er war es gewohnt gewesen, in Abhängigkeit von Institutionen und Autoritäten zu leben – u.a. war er mit 15 Jahren in der Psychiatrie gewesen. Er wurde entmündigt, dann aber wieder für geschäftsfähig erklärt. Man hielt ihn für schwachsinnig – dann aber wieder für verantwortlich. Er hatte es nie gelernt, sich zu wehren. Von Anfang an war ihm ein angepasstes Verhalten anerzogen worden. Seine extrem unterentwickelte sprachliche Kompetenz, verbunden mit einer verringerten geistigen Beweglichkeit, verursachten Sprachbarrieren. Ihm fehlte jegliches Selbstwertgefühl. Aus Konfliktsituationen versuchte er zu fliehen, weil er es nie gelernt hatte, sich durchzusetzen. Daher hielt Otto G. den intellektuellen Anforderungen und dem hohen Druck der Verhöre nicht stand.

Details der Tat, die sich in den Vernehmungsprotokollen von G. befanden, stammten wahrscheinlich aus Zeitungsberichten, denn die Presse hatte viel und umfangreich über den Fall berichtet. Mag auch sein, dass er während der Vernehmungen oder beim Betrachten der Fotos von der Leiche Details erfuhr, die er anschließend als eigenes Wissen wiedergab. Anderseits fanden jedoch andere wichtige Einzelheiten, die aufgrund des gerichtsmedizinischen Gutachtens feststanden, keinen Niederschlag im Geständnis.

So saß Otto G. 16 Jahre im Gefängnis, während der Mörder von Birgit frei herumlief. In der Haft stand er als sog. Kinderschänder weit unten in der Hierarchie der Gefangenen, was mit erheblichen Repressalien von Seiten der Mitgefangenen verbunden war.

Gleichwohl bekam er nach dem Freispruch keine Entschädigung, da er u.a. durch sein falsches Geständnis die Haft selbst verursacht hatte.

Leider blieb der fürchterliche Mord ungesühnt. Der Täter wurde nie gefasst.

Der Fall war mir eine Warnung - selbst einem Geständnis darf man nicht blindlings vertrauen. Bis dahin konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand einen Mord gesteht, den er nicht begangen hat, und dafür einen großen Teil seines Lebens im Gefängnis verbringt. Seitdem war ich auch bei geständigen Angeklagten sehr vorsichtig, hinterfragte die Angaben und verglich sie sorgfältig mit anderen Beweismitteln.

Das Fehlurteil machte mich auch zu einem Feind des „Deals“ (der Gesetzgeber spricht von „Verständigung“), bei dem eine Unter- und Obergrenze für die Strafe erörtert und festgelegt wird, wenn der Angeklagte im Gegenzug ein Geständnis ablegt. Insbesondere dann, wenn der Rabatt den Bereich einer Strafe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, erreicht, ist die Versuchung für einen Angeklagten groß, ein falsches Geständnis abzulegen, um dem Risiko zu entgehen, längere Zeit unschuldig im Gefängnis zu verbringen.

Können sich Angeklagter, Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Gericht einigen und legt keiner ein Rechtsmittel gegen das Urteil ein, wird die Entscheidung nach Verstreichen der Rechtsmittelfrist von einer Woche nach ihrer Verkündung rechtskräftig. Das Gesetz erlaubt dem Gericht in diesem Fall, das schriftliche Urteil auf das Wesentliche zu beschränken, da eine Nachprüfung durch ein höheres Gericht nicht stattfindet. Eine gewaltige und willkommene Arbeitsersparnis. Gericht und Staatsanwaltschaft profitieren daneben von einer kürzeren Hauptverhandlung, da i.d.R. keine oder zumindest nicht so viele Zeugen zu hören sind und die Verfahrensbeteiligten nur noch knappe Ausführungen machen müssen, denn niemand muss mehr von der Schuld des Angeklagten überzeugt werden. Die gesparte Zeit ermöglicht es, andere Verfahren zu fördern. Natürlich wird auf diese Weise auch Geld gespart.

Leider ist gerade bei komplizierten und zeitaufwändigen Verfahren die Versuchung für die Richter groß, dem Angeklagten und dem Verteidiger eine Absprache mit dem Hinweis auf eine unangemessene niedrige Strafe schmackhaft zu machen, was im Vergleich mit anderen ähnlich gelagerten Fällen sehr ungerecht sein kann. Hat z.B. jemand bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung die ihm vorgeworfene Straftat gestanden, wird in der späteren Hauptverhandlung kaum noch Bedarf für eine Verständigung mit dem Angebot eines größeren Strafrabatts sein.

Ein Beispiel aus dem Hamburger Abendblatt vom 11.1. 2019 (S. 14): Ein Chef einer Großfamilie steht vor Gericht, weil er seine 14jährige Tochter brutal mit einem Holzstuhl und Elektrokabel geschlagen und fast zu Tode gewürgt haben soll, da sie einen Freund gehabt habe, der ihm nicht gefallen habe. Seine Tochter habe sich in akuter Lebensgefahr befunden und sich beim Würgen eingenässt. Die Vorsitzende Richterin habe sich an den Angeklagten, der bisher die Tat bestritten habe, mit folgenden Worten gewandt:

„Sollte das Gericht zur Überzeugung gelangen, dass Sie die Taten…begangen haben, droht Ihnen eine heftige Strafe. Zudem ist geplant, Ihre Tochter als Zeugin zu hören. Wenn sie gegen ihren eigenen Vater aussagen wolle, bringe sie das gewiss in eine schlimme psychische Situation…Vielleicht kommen Sie zu dem Schluss, dass es im Hinblick auf das Verhältnis zu ihrer Tochter besser wäre, ein Geständnis abzulegen. Die Strafe könnte dann um ein Drittel geringer ausfallen. Und Sie wollen doch so schnell wie möglich zu ihrer Familie zurück…“

Fraglich ist, ob das auch dem Wunsch der Familie - insbesondere der minderjährigen Tochter - entspricht. Was geschieht wohl, wenn ihr Vater bald wieder in der Wohnung erscheint? Kommt er etwa als geläuterter Mann heim? Darüber hinaus fragt man sich, ob eine derart reduzierte Strafe überhaupt noch wirkungsvoll und schuldangemessen ist.

Fall 2: Der grausame Dealer

Es gab immer wieder Fälle, an die ich mich selbst heute noch mit Schrecken erinnere. Die wohl schlimmste Tat begegnete mir in einer Jugendkammer (Große Strafkammer 27), in der ich ab Mitte der 1980iger Jahre tätig war. Dieser Fall hat mich nie wieder losgelassen und verursacht bei mir immer noch, ein Vierteljahrhundert danach, Gänsehaut, wenn ich an das grausame Ende des jungen Opfers und die Empathielosigkeit seines gnadenlosen Mörders denke.

1992 wurden bei unserer Strafkammer drei junge Männer angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Menschen ermordet bzw. dabei geholfen zu haben. Obgleich zwei von ihnen zum Tatzeitpunkt bereits erwachsen waren, waren wir als Jugendkammer – und nicht ein Schwurgericht – zuständig, da es sich bei dem Dritten um einen sog. Heranwachsenden handelte. Als Heranwachsender wird im Strafrecht jemand bezeichnet, der eine Straftat begangen hat, als er schon achtzehn Jahre, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, § 1 Abs. 2 JGG. Maßgeblich ist das Alter zur Zeit der Tat. Bei Heranwachsenden ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die milderen Maßnahmen des Jugendstrafrechts oder die für Erwachsene geltenden härteren Strafen aus dem Strafgesetzbuch angewendet werden müssen. Dies ist davon abhängig, ob bei den Angeklagten noch Reifedefizite festgestellt werden können oder nicht. Für Jugendliche im Alter zwischen vierzehn und siebzehn Jahren findet dagegen zwingend immer das Jugendstrafrecht Anwendung.

Im Mittelpunkt unserer Verhandlung stand Abdullah A., damals 25 Jahre alt. Er war ein muskulöser, durchtrainierter, machtbesessener und skrupelloser Zeitgenosse, mit dem nicht gut Kirschen essen war. Ein Mann, der größten Wert darauflegte, dass er von den anderen jüngeren Menschen im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg bedingungslos respektiert wurde. Wie so oft bei solchen Typen gab es in seinem Umfeld eine Menge Speichellecker und Kriecher, die sich in seiner Nähe sonnten und wichtig fühlten. Allein hätte sie vermutlich niemand zur Notiz genommen, aber durch die Verbindung zu Abdullah waren auch sie im Viertel gefürchtet. So gingen die anderen ihnen nach Möglichkeit aus dem Weg, um bloß keinen Ärger zu bekommen.

Mitmenschen wie Abdullah begegnen uns im Alltag immer wieder. Typen wie sie haben nicht selten Weltgeschichte geschrieben, weil sie überaus skrupellos und grausam sind, wenn es um die Durchsetzung ihrer Macht und Interessen geht. Zur Erhaltung ihres Einflusses verbreiten sie in ihrer Umgebung Angst und Schrecken, um jeden Widerstand unverzüglich im Keim zu ersticken. Aus solchem Holz sind Diktatoren geschnitzt, denn ohne diese Eigenschaften könnten sie sich nie durchsetzen. Natürlich brauchen sie zum Machterhalt willfährige Handlanger, die sie mit Zuckerbrot und Peitsche dirigieren.

Nun war unser Abdullah keineswegs ein Mann der Weltgeschichte, weil hierfür auch ein Schuss Intelligenz erforderlich gewesen wäre, den er nicht besaß. Aber er hatte doch einen ausgeprägten Machtinstinkt, der ausreichte, in der Hochhaussiedlung ein König zu sein.

Laut Anklageschrift sollte Abdullah A. einen jungen Mann, nämlich Norbert P., damals 19 Jahre alt, im Mai 1990 grausam und aus niedrigen Beweggründen ermordet haben. Den anderen beiden Angeklagten, Michael L. und Kevin H., wurde vorgeworfen, ihm dabei geholfen zu haben.

Abdullah wurde 1966 in einer ländlichen Gegend der Türkei geboren. Mit vier Jahren kam er mit seinen Eltern und einem jüngeren Bruder nach Hamburg. Er wurde altersgemäß eingeschult und erreichte – nachdem er zwei Klassen wiederholen musste – den Hauptschulabschluss. Der Versuch, die Mittlere Reife auf der Berufsfachschule zu erlangen, scheiterte kläglich, weil er zu häufig den Unterricht geschwänzt hatte. 1982 bekam er zum ersten Mal Kontakt zu Drogen. Anfangs konsumierte er zweimal in der Woche Haschisch – ab 1987 darüber hinaus Kokain und Speed, was ihn besonders aggressiv machte. Auch die Wirkung giftiger Pilze probierte er aus.

Zu einer Berufsausbildung hatte er keine Lust. Sein Vater versuchte verzweifelt, der unheilvollen Entwicklung seines ältesten Sohnes entgegenzusteuern. 1985 schickte er Frau und Kinder deshalb zurück in die Türkei, um Abdullah dort unter festen und strengen Strukturen, die nach seiner Ansicht in Deutschland fehlten, einen weiteren Schulbesuch zu ermöglichen und um ihn von seiner deutschen Freundin, die er nicht sehr schätzte, zu trennen. Die Eltern hofften, sie könnten ihren Sohn bei dieser Gelegenheit mit einer jungen und gehorsamen türkischen Muslima verheiraten. In der Türkei kam Abdullah jedoch überhaupt nicht mehr zurecht, denn dort störte ihn die soziale Kontrolle durch die Verwandten und es mangelte an Drogen. So kehrte er bereits nach vier Wochen nach Hamburg zurück.

Die zunehmenden Konflikte mit seinem Vater führten dazu, dass er im Alter von 20 Jahren zu Hause auszog. Er fand eine eigene Wohnung in Mümmelmannsberg und lebte von gelegentlichen Jobs sowie von Arbeitslosen– oder Sozialhilfe. Seine schmalen legalen Einkünfte kümmerten ihn jedoch nicht weiter, denn er fing an, Drogen – hauptsächlich an Kinder – zu verkaufen. In der Sprache der Juristen nennt man dies etwas verharmlosend gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. Abdullah, der im Rechnen nie gut gewesen war, fühlte sich bald als reicher Mann und bestellte bei verschiedenen Versandhäusern auf Teufel komm raus Möbel sowie technische Geräte, und zwar egal, ob er die Dinge gebrauchen konnte oder nicht. Bald hatte er 20.000 DM Schulden.

Sein regelmäßiger Drogenkonsum verstärkte seine bereits vorhandenen Machtfantasien und führte zu einer allmählichen Wesensveränderung. Er bedrohte seine Eltern, behauptete, Hitler zu sein, und er fing an, mit dem Fernseher, dem Hund und Allah zu sprechen sowie nachts mit einem Schwert bewaffnet in seiner Wohnung umherzulaufen. Als es seinen Eltern zu bunt wurde, veranlassten sie seine Aufnahme in eine psychiatrische Klinik, in der Abdullah von Dezember 1987 bis Februar 1988 zum ersten Mal behandelt wurde. Die Diagnose bei der Einweisung lautete: „Akute Psychose, Drogenabusus“. In der Klinik kündigte Abdullah an, unbedingt jemanden töten zu müssen. Eine Pistole sei dafür aber zu kalt, er wolle es genussvoll und langsam mit seinen Händen machen. Wer hätte damals gedacht, dass dieses Verlangen ihn fünf Jahre später tatsächlich zum Mörder machen würde?

Im Übrigen hielt er sich für die rechte Hand Allahs und behauptete, er sei von diesem beauftragt worden, „gewisse Dinge“ auf Erden zu regeln. Er höre aber nicht nur die Stimme Allahs, sondern auch gelegentlich die des Teufels. Er verlangte, dass der Hamburger Bürgermeister sofort abdanken solle, andernfalls würde er ihn umbringen. Er besitze die Fähigkeit, anderen Leuten das Augenlicht zu nehmen. Er malte sich aus, wie es sei, wenn er den Hamburger Stadtteil Billstedt anzünde, um zu zeigen, was für ein guter Türke er doch sei. Er griff das Pflegepersonal im Krankenhaus an und riss dort ein Telefon aus der Wand. In Gesprächen gab er wirre und sinnlose Äußerungen von sich.

Die Ärzte gingen von einer akuten Fremdgefährdung aus. Trotzdem wurde Abdullah wieder entlassen. Wahrscheinlich hauptsächlich deswegen, weil er für Ärzte und Pflegepersonal eine Zumutung war. Jedenfalls ging niemand ernsthaft von einer Heilung aus.

Im Oktober 1988 erfolgte ein zweiter Aufenthalt in der Psychiatrie, nachdem sein Vater sich gezwungen sah, den Notarzt zu alarmieren, weil sein Sohn wieder zunehmend aggressiver geworden war. Dieser hatte nämlich nicht nur das Auto eines Freundes und einen weiteren PKW vollständig demoliert, sondern auch seine hochschwangere Verlobte mit einem Säbel bedroht. Dabei behauptete Abdullah, der Größte zu sein, und faselte unverständliches Zeug vor sich hin.

Sein Zustand und Verhalten waren so schlecht wie beim ersten Aufenthalt. Die Diagnose der Ärzte hieß diesmal: „Exazerbation einer endogenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, drogeninduzierte Psychose nach langjährigem Cannabisgebrauch und fraglichem synthetischen Drogenmissbrauch.“ Ein Drogenhandel auf der Station der Klinik, in den Abdullah verwickelt schien, führte schließlich zu einer Entlassung aus disziplinarischen Gründen. Eine weiterführende ambulante Behandlung wurde dringend angeraten, aber in der Folgezeit nicht durchgeführt, weil Abdullah dazu überhaupt keine Lust verspürte.

Von Mai bis Juni 1990 kam es zu einem dritten Aufenthalt in der Psychiatrie, nachdem Abdullah einen schweren Verkehrsunfall mit seinem teuren BMW, den er sich von seinem sauer im Drogenhandel verdienten Geld gegönnt hatte, verursacht und seine Freundin grün und blau geschlagen hatte. Als ihm seine Mutter daraufhin wegen seines Lebenswandels Vorwürfe machte, packte er sie am Hals und würgte sie heftig. Später versuchte er, einen Autohändler zu zwingen, ihm ein Auto zu schenken. Körperliche und neurologische Untersuchungen waren ohne deutlichen pathologischen Befund. Nach Abklingen der psychotischen Symptome verließ Abdullah gegen ärztlichen Rat die Klinik.

Abdullah, dem normale Arbeit zuwider war, verdiente sich weiterhin Geld durch den Verkauf von Drogen. Zu seinen Kunden gehörte u.a. Norbert, das spätere Opfer. Dieser hatte Anfang April 1991 einmal wieder 10g Haschisch bei Abdullah auf Kredit gekauft und versprochen, das Rauschgift im Wert von 100 DM nach einigen Tagen zu bezahlen.

Als er das Haschisch probierte, wurde ihm speiübel. So erging es auch anderen Kunden von Abdullah in diesen Tagen. Norbert vermutete daher, der Stoff sei gestreckt oder mit Heroin versetzt worden, um die Abnehmer dadurch süchtig zu machen. Er nahm kein Blatt vor den Mund und äußerte seinen Verdacht gegenüber anderen Betroffenen, was ihm schon bald das Leben kosten sollte. Seine Worte verbreiteten sich im Stadtteil in Windeseile.

Norbert wagte es natürlich nicht, Abdullah auf die schlechte Qualität des Stoffes anzusprechen, weil dieser wegen seiner Aggressivität und Gewaltbereitschaft im ganzen Stadtteil bekannt und gefürchtet war. Abdullah galt als Choleriker und als einer, der sich Respekt mit der Faust verschaffte und mit seinen Gegnern nicht viel Federlesens machte. Es hatte sich herumgesprochen, dass derjenige, der sich ihm zu widersetzen wagte, seinen Geschäftsinteressen schadete oder seine Machtposition infrage stellte, mit äußerst unangenehmen Folgen zu rechnen hatte.

Norbert war weder groß noch kräftig, sondern eher ein schwächlicher Typ, der weich, unsicher, ängstlich und auch ein bisschen feige war. Er scheute Auseinandersetzungen jedweder Art und suchte möglichst Konflikte zu vermeiden, indem er ihnen aus dem Weg ging und sich zurückzog. Entsprechend verhielt er sich auch jetzt. Er war aber fest entschlossen, den Kaufpreis für die verpfuschten Drogen nicht zu zahlen. Er ging auf Tauchstation und ließ sich bei Abdullah nicht mehr blicken - er hoffte, von ihm einfach vergessen zu werden.

Seine Rechnung ging nicht auf. Abdullah registrierte Norberts Verhalten genau. Ihm kam natürlich zu Ohren, dass sein Kunde sich über die Qualität des von ihm gelieferten Stoffes überall abfällig geäußert hatte. Dies löste einen Wutanfall aus, weil er nicht zu Unrecht annahm, derartige Behauptungen würden seine Geschäfte schädigen und den Respekt vor ihm untergraben. Er musste unbedingt handeln. Um Norbert zu disziplinieren und um sein Geld einzutreiben, fahndete er nach ihm überall im Stadtteil. Er befragte Freunde und Bekannte und gab ihnen zu verstehen, dass Norbert nicht die geringste Chance habe, sich vor ihm zu verstecken.

Seine Suche trug schließlich Früchte. Einer seiner Freunde verriet ihm Anfang Mai 1991 Norberts Aufenthaltsort. Mit diesem Freund lauerte er Norbert auf und machte ihm zunächst verärgert und aggressiv Vorwürfe. Als Norbert versuchte, Abdullah zu vertrösten, da er gerade kein Geld habe, und abstritt, seine Ware schlechtgeredet zu haben, geriet Abdullah derart in Wut, dass er sich auf Norbert stürzte und mit der rechten Faust wie besessen auf ihn einprügelte. Anschließend zückte er ein größeres Küchenmesser, das in seinem Hosenbund gesteckte, richtete es gegen Norbert und drohte ihm, dass man „das auch anders machen könne“.

Voller Angst und ohne Gegenwehr ließ Norbert den Hagel der Schläge über sich ergehen, bis schließlich sogar Abdullahs Freund sich gezwungen sah einzugreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Das malträtierte Opfer musste demütig versprechen, sich am Vormittag das nächsten Tages mit seinem Peiniger in Verbindung zu setzen, um ihm das Geld zu geben. Nachdem er Abdullah auf dessen Befehl hin die staubigen Schuhe geküsst hatte, durfte Norbert, dem das Blut über das Gesicht lief, endlich den Rückweg antreten.

Auf der Fahrt nach Hause verspürte Abdullah starke Schmerzen im rechten Arm, die eine Folge der mit voller Wucht ausgeteilten Schläge waren. Seine Stimmung verbesserte sich dadurch nicht gerade. Er suchte sogar unter groben Flüchen und Verwünschungen einen Arzt auf, der eine Schwellung in der Mittelhand, einen Bluterguss im Mittelhandrücken und einen Bruch des fünften Mittelhandknochens feststellte.

Norbert wählte die Vogel–Strauß–Politik. Er wollte seine Schulden nicht begleichen und sich lieber in seinem Zimmer in der Wohnung seiner Mutter verstecken. Ein großer Fehler!

Der nächste Tag, es war der erste Sonntag im Mai 1991, sollte der letzte Tag in seinem Leben werden. Als Norbert gegen Mittag aufstand und in den Spiegel schaute, konnte er sich nicht erkennen. Sein Gesicht war unglaublich geschwollen. Grün und Blau waren die dominierenden Farben. Alles schmerzte grässlich. In der Nacht hatte er kaum Schlaf bekommen. Er schluckte ein paar Schmerztabletten, saß oder lag anschließend herum, sah fern und rauchte. Nachmittags besuchte ihn seine Freundin Andrea, die bei seinem Anblick vor lauter Entsetzen einen Schrei ausstieß, ihn dann in die Arme nahm, küsste und tröstete.

Gegen 20:00 Uhr klingelten noch zwei Freunde. Der eine von ihnen, Andreas, war hauptsächlich deswegen gekommen, weil ihm Norbert noch 70 DM schuldete. Es kam zu einem Streit um die Rückzahlung, der schließlich damit endete, dass Norberts Mutter Andreas das geschuldete Geld aus eigener Tasche aushändigte. Andreas fiel auf, dass insbesondere das linke Auge seines Freundes stark geschwollen und bläulich verfärbt war. Er sprach Norbert darauf an, aber dieser log zunächst, er sei die Treppe runtergefallen. Da Andreas dies nicht glaubte, erfuhr er schließlich von seinem Freund die Wahrheit.

Bald verließen Norbert und seine beiden Freunde die Wohnung, um zu sehen, was im Viertel abging. Unterwegs gesellte sich Michael L. zu ihnen. Sie redeten über die Schulden bei Abdullah, den Terror, den er verbreitete, und überlegten, wie sie sich vor ihm am besten schützen könnten. Michael, der damals bei der Bundeswehr diente, wurde von Norbert gefragt, ob er ihm zum Schutz eine scharfe Waffe besorgen könne. Michael verneinte dies, bot ihm jedoch eine 9 mm – Gasdruckpistole für 150 DM an. Norbert wollte diese Waffe unbedingt so schnell wie möglich haben, weil er glaubte, nur mit einer Schusswaffe habe er eine Chance, Abdullah auf Abstand halten. So verabredeten sie für die Übergabe und das Prüfen der Funktionsfähigkeit der Waffe ein Treffen noch am selben Abend.

Nachdem die beiden Freunde sich verabschiedet hatten, beschlossen Norbert und Michael, sich bei ihrem Bekannten Hassan Haschisch zu besorgen. Davor wollte Norbert aber noch seine Freundin Andrea, die bei seiner Mutter geblieben war, nach Hause bringen.

In der Zwischenzeit suchte Michael Abdullah auf, der gerade genüsslich an seiner Wasserpfeife zog. Um seine große Ergebenheit und Solidarität zu demonstrieren und um sich wichtig zu machen, erzählte er ihm mit gespielter Entrüstung davon, dass Norbert sich eine Waffe besorgen und Abdullah damit abschießen wolle. Auch berichtete er ihm empört von dem beabsichtigten Drogenkauf bei Hassan.

Dieser Bericht versetzte Abdullah in maßlose Wut. Er geriet vollkommen außer sich, kreischte herum, zerbrach seine Wasserpfeife und schrie: „Den bringe ich um, den bringe ich um, dem haue ich in die Fresse!“ Dass der Schwächling Norbert sich weigerte, seine Schulden bei ihm zu bezahlen und üble Gerüchte über ihn und seine Ware ausstreute, was sich inzwischen im gesamten Stadtteil herumgesprochen hatte, war in seinen Augen eine bodenlose Respektlosigkeit, äußerst geschäftsschädigend und untergrub seine Autorität. Und dann wollte Norbert noch den Lieferanten wechseln! Wenn das im Viertel Schule machen würde…

Er sah ein, dass die Abreibung vom Vortag, für die er sogar beinahe seine Hand geopfert und starke Schmerzen erduldet hatte, offenbar keinerlei Wirkung gezeigt hatte. Stattdessen musste er nun zusehen, wie der Kerl jetzt sogar noch unverfroren sein Haschisch bei der Konkurrenz kaufte.

Bröckelte etwa seine Macht? Wurde er alt? Achtete ihn hier niemand mehr?

Er sah sich gezwungen, sofort etwas zu unternehmen. Nach kurzem Nachdenken sah er nur eine Lösung: Norbert musste endgültig von der Bildfläche verschwinden! War er weg, würden seine Kunden schon die richtigen Schlüsse ziehen und es nicht wagen, ihre Drogen woanders zu beziehen.

Michael hatte mit heimlicher Genugtuung und großer Freude bemerkt, welche Wirkung seine Mitteilung ausgelöst hatte. Er versuchte erst gar nicht, Abdullah zu beschwichtigen, sondern spielte den selbstlosen Helfer. Natürlich stehe er Abdullah bedingungslos zur Seite und werde ihm bereitwillig uneingeschränkt helfen, Norbert für eine weitere Bestrafung dingfest zu machen. Abdullah klopfte ihm daraufhin mit seiner unversehrten Hand höchst zufrieden und anerkennend auf die Schulter und nannte ihn einen tollen Kumpel sowie einen wahren Freund, auf den jederzeit Verlass sei. Beide verabredeten, Michael solle Norbert auf dem Weg zu Hassan an der nahen Tankstelle vorbeiführen, damit Abdullah ihn dort abfangen könne. Michael freute sich bereits maßlos darauf, Zuschauer eines ungleichen Kampfes zu werden und rieb sich vor lauter Vorfreude die Hände. Dann verschwand er, um den Auftrag sofort auszuführen.

Abdullah rief nun seinen Kumpel Kevin an, der ihm treu ergeben war, und teilte diesem mit, es gebe wieder einmal riesigen Ärger, er solle vorbeikommen und ihm helfen, „Dreck“ zu beseitigen.

Nach dem Telefonat beschloss er, sich erst einmal mit Speed und Kokain in Form zu bringen, da er sich wegen der gestrigen Aktion doch noch ein wenig müde und schwach fühlte.

Schon kurze Zeit später erschien Kevin in seiner Wohnung. Diesem berichtete Abdullah aufgebracht von seinem Problem mit Norbert und erklärte, dass er dieses Verhalten unmöglich dulden dürfe. Norbert müsse unbedingt “weg“ und Kevin solle ihn dabei unterstützen.

Kevin, der schon fürchtete, diesmal werde es sein Kumpel nicht bei den üblichen Prügeln belassen, gelang es nicht, seinen Freund zu beruhigen oder gar umzustimmen. Da er vor der Kraft und den unbeherrschbaren Wutanfällen seines Freundes tiefen Respekt hatte, wagte er es nicht, sich Abdullahs Befehl zu widersetzen, obgleich er spürte, dass es Abdullah ernst war und die Sache ein böses Ende nehmen könnte. Aus Angst erklärte er sich schließlich bereit, seinen Freund bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Knapp dozierte Abdullah, dass er Michael angewiesen habe, Norbert in eine Falle an der Tankstelle zu locken. Da dort aber mit unliebsamen Zeugen gerechnet werden müsse, wolle er Norbert nicht an der Tankstelle, sondern an einer entlegenen, einsamen Stelle vernichten. Dies habe auch den unschätzbaren Vorteil, dass die Leiche nicht so bald gefunden werde und sie nicht in Verdacht geraten würden. Die Gegend um Schwerin, in der Kevin zu DDR-Zeiten aufgewachsen sei und sich bestens auskenne, erscheine ihm passend.

Kevin schlug daraufhin einen etwa 60 km entfernten Torfsee in der Nähe der Ortschaft Püttelkow hinter der ehemaligen Grenze zur DDR vor, an dem er früher oft geangelt hatte.

Beide schritten nun zur Tat. Um Norbert abzufangen, fuhren sie mit Abdullahs dunkelbauen BMW 320 i in die Nähe der Tankstelle Ecke Feiningerstraße/ Kandinskyallee, verließen dort das Fahrzeug und lauerten auf ihr Opfer.

In der Zwischenzeit hatten sich Michael und Norbert – wie verabredet - getroffen. Obgleich Michael natürlich nichts von seinem Treffen mit Abdullah berichtete, hatte Norbert große Angst und ein ungutes Gefühl. Zuvor hatte er sich herzzerreißend von seiner Freundin Andrea mit vielen Küssen verabschiedet und ihr in düsterer Vorahnung weinend prophezeit, Abdullah werde ihn irgendwann in einen Kofferraum packen, irgendwo umbringen und anschließend in den Boberger Sanddünen vergraben. Andrea hatte ihn daraufhin fest an sich gedrückt und ihm geraten, sich sofort in Sicherheit zu bringen und nach Hause zu gehen. Norbert wollte sich aber nicht ewig verstecken. Abdullah würde ihn irgendwann doch finden. Auch brauchte er jetzt dringend Haschisch, um sich zu beruhigen. Er vertraute im Übrigen darauf, dass Abdullah nichts gegen ihn unternehmen werde, solange er sich in Begleitung von Michael befinde. Er betrachte Michael als Freund, der ihm im Notfall schon beistehen werde.

Beide machten sich auf den Weg zu Hassan, wobei Michael sich an die getroffene Abmachung hielt und Norbert in die Nähe der Tankstelle führte. Dort liefen ihnen Abdullah und Kevin, die sich hinter einer Telefonzelle versteckt hatten, bereits entgegen. Ohne ein Wort zu sagen, packten sie Norbert, hakten ihn rechts und links unter die Arme, pressten eine Hand auf seinen Mund und schleppten ihn in Richtung des Autos. Währenddessen umfasste Abdullah mit seiner linken Hand zusätzlich das Genick seines Opfers und drückte mit dem Zeigefinger unterhalb des Ohrläppchens auf eine Stelle, von der er wusste, dass diese unheimlich schmerzempfindlich war.

Norbert wehrte sich erst gar nicht, da er Abdullah nicht noch mehr reizen wollte, und ergab sich in sein Schicksal. Er hoffte inständig, noch einmal glimpflich davonzukommen, wenn er den Einsichtigen und Reuevollen spiele.

Michael, der sich von einer Aufforderung Abdullahs, nun zu verschwinden, weil er sonst auch „ein Ding verpasst kriege“, nicht beeindrucken ließ, weil ihn das bevorstehende Spektakel zu sehr reizte, folgte den anderen. Er wollte sich den Spaß nicht verderben lassen und fieberte dem entgegen, was nun kommen würde.

Am Auto zerrten sie den sich nun doch sträubenden Norbert in den BMW und zwangen ihn auf die Rückbank. Nachdem Kevin sich neben das Opfer gesetzt hatte, nahm Michael auf dem Beifahrersitz Platz, während Abdullah sich hinter das Lenkrad setzte. Er lenkte seinen BMW mit hoher Geschwindigkeit über die B5 auf die Autobahn A24 in Richtung Berlin.

Nach einer Weile nahm Norbert seinen ganzen Mut zusammen und fragte ängstlich, was diese Aktion bezwecken solle. Er erhielt jedoch keine Antwort. Je weiter sie sich von Hamburg entfernten, je mehr geriet er in Panik, weil ihm klar wurde, wie bedrohlich und aussichtslos seine Situation war.

Er versuchte zu beschwichtigen und versprach devot, umgehend seine Schulden zu bezahlen – das Geld habe er zu Hause liegen. Abdullah reagierte auf das Angebot nicht. Nun bettelte Norbert heulend um Gnade, was aber nur dazu führte, dass Abdullah noch aggressiver wurde und wutentbrannt schließlich ausstieß: “Der muss weg, der muss weg!“

Neben der Wut auf Norbert meldete sich bei ihm aber noch ein ganz anderes Gefühl. Eine Art Vorfreude darauf, sich endlich einen langgehegten Wunsch erfüllen zu können: Einen Menschen langsam zu Tode quälen. Macht über Leben und Tod zu besitzen! Was für ein unglaublich toller Kick! Aggressivität und Vorfreude machten sich jetzt immer stärker in seiner Fahrweise bemerkbar. Bei hoher Geschwindigkeit wagte er riskante Überholmanöver, die das Auto zwei- oder dreimal zum Schleudern brachten. Nachdem es beinahe zu einem Unfall auf der Autobahn gekommen wäre, weil Abdullah versucht hatte, während der Fahrt Norbert, dessen Winseln um Gnade ihn nervte, mit dem Ellenbogen gegen den Kopf zu stoßen, fühlte Kevin sich bemüßigt einzugreifen. Während Abdullah sich bemühte, den schlingernden Wagen wieder in den Griff zu bekommen, beschloss Kevin, Norbert zur Ruhe zu bringen, indem er ihm drei kräftige Faustschläge ins Gesicht versetzte. Norbert schwieg daraufhin resigniert. Er registrierte die Ausweglosigkeit seiner Lage und schlotterte vor Angst. Hilflos sah er sein Ende unaufhaltsam mit jedem Kilometer näherkommen. Seine Gedanken gingen zu Andrea und zu seiner Mutter, die sich sicherlich gerade große Sorgen machten, aber er vermochte vor lauter Angst nicht, sich längere Zeit auf sie zu konzentrieren. Vielleicht hatte Andrea die Polizei verständigt. Aber die würde ihn wohl nicht mehr rechtzeitig finden und retten können.

Inzwischen war es draußen dunkel geworden. An der Autobahnausfahrt Wittenburg bog Abdullah auf Anweisung Kevins von der Autobahn ab. Sein Freund leitete ihn auf der Landstraße über Hagenow nach Püttelkow. Dort in der Nähe befand sich an einsamer Stelle der kleine Torfsee, von dem Kevin gesprochen hatte. Sie bogen in einen Feldweg ab, auf dem ihnen jedoch ein Spaziergänger begegnete, der das Fahrzeug und seine Insassen intensiv musterte. Abdullah reagierte darauf nervös, schaltete die Scheinwerfer aus und bemerkte, dass es hier nicht ginge. Er legte den Rückwärtsgang ein, fuhr mit hoher Geschwindigkeit zurück auf die Hauptstraße und bog auf Veranlassung Kevins von dort in den nächsten Weg zum See ab. Auf diesem Waldweg fuhr er ohne Licht etwa 10 Minuten bis zu einer Wiese, die an den See grenzte. Kevin ließ Abdullah hier anhalten.

Nachdem alle vier ausgestiegen waren, forderte Abdullah von Michael dessen Gaspistole, in deren Magazin sich zwei Patronen befanden. Diese Pistole und einen eigenen Gastdruckrevolver gab er zunächst Kevin zur Aufbewahrung.

Kevin begann, auf Abdullah beschwichtigend einzureden. Dieser schien ihn aber gar nicht zu hören. Nach einer Weile stellte Abdullah nochmals fest, Norbert sei des Todes und er habe nicht umsonst das teure Benzin verfahren. Kevin wagte nicht zu widersprechen und sah keinen anderen Weg, als Abdullah weiterhin zu helfen, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen.

Derweil stand Norbert unter der Bewachung von Michael am Auto. Er war vor Angst völlig außer sich, zitterte am ganzen Körper und wagte nicht, sich zu rühren.

Michael wurde befohlen, Norbert zu filzen. Dieser durchsuchte ihn sorgfältig, nahm ihm einige persönliche Sachen und ein in der Hosentasche steckendes Küchenmesser ab und legte alles auf das Autodach.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739450575
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Mord Ehrenmord true crime Strafrichter Totschlag Strafprozess Sadist Unschuld Gerechtigkeit Leichensägerin

Autor

  • Wolfgang Backen (Autor:in)

Wolfgang Backen wurde 1951 in Hamburg geboren. Bereits als Kind kam er über seinen Vater Heinrich Backen, der Richter und zuletzt bis 1985 Generalstaatsanwalt in Hamburg war, mit der Justiz in Berührung. Der Autor studierte Rechtswissenschaften und war von 1979 bis 2016 als Richter beim Landgericht Hamburg tätig. Neun Jahre leitete er eine Schwurgerichtskammer, in der ausschließlich versuchte und vollendete Tötungsdelikte verhandelt wurden. Er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen.
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Titel: Das Leben ist zerbrechlich