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Broken Love: Ersehntes Verlangen

von Ana L. Rain (Autor:in)
359 Seiten
Reihe: Broken Love, Band 3

Zusammenfassung

Es ist der Anfang einer großartigen Liebe–und es ist das Ende von etwas ganz Großem. Jasons Herz wurde im Sturm von Amelia erobert. Als Jason mit seinen Kollegen in einer Bar sitzt, um seinen alten Kollegen zu verabschieden, kommt sie plötzlich herein. Amelia, seine neue Kollegin und er spürt sofort, dass mit ihr alles anders werden wird.Doch um Amelias Herz zu erobern, muss Jason ihr zeigen, wie schön die Liebe sein kann und er versucht alles, um sie zu ihrem Glück zu zwingen. Allerdings riskiert er bei diesem Kampf, sich selbst zu verlieren.Mit der Vorgeschichte aus Jasons Sicht, schließt die Trilogie ab. Broken Love ist eine Trilogie und muss in der korrekten Reihenfolge gelesen werden. 1. Broken Love Verhängnisvolle Nähe 2. Broken Love Verführende Liebe 3. Broken Love Ersehntes Verlangen

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Ana L. Rain

Broken Love

Ersehntes Verlangen

Roman

Band 3

Für meine Leserinnen und Leser,

die von Anfang an dabei waren.

Meine Dankbarkeit ist kaum in Worte zu fassen.

Erstes Kapitel

Wir sind alle auf morgen gespannt. Unsere neue Kollegin kennen wir bloß von einem Foto. Ihre Akte und die Bewerbung gingen durch unsere Hände. Sie war die Beste ihres Jahrgangs. Hoffentlich ist sie nicht so eine Streberin. Wenn sie es ist, hat sie es auf dem Bewerbungsfoto gut versteckt.

Bill hat sich schon Gemeinheiten für sie ausgedacht. Da musste ich ebenfalls durch. Jeder von uns ist auf sie neugierig, außer Henning. Ab morgen hat er frei und das für immer, denn er geht in Pension. Er hat uns seit Monaten die Ohren zerkaut, was er alles in seiner Freizeit anstrebt. Oben auf seiner Liste stehen Reisen mit seiner Frau. Aus seinem frisch gezapften Weizen, dass die Kellnerin ihm auf den Tisch gestellt hat, nimmt er einen Schluck. Bill und ich trinken Whiskey und Chris hat das Lieblingsgetränk des deutschen Mannes: Bier. Keine Ahnung was alle an einem Schoppen so toll finden oder an Weizen, mir schmeckt es nicht. Außer Corona.

»So Jungs, meint ihr, ihr schafft es ohne mich?« Henning grinst fröhlich und ein wenig beschwipst, denn seine Wangen sind von dem Alkohol leicht gerötet. Ich schnalze mit der Zunge und schaue die anderen beiden an.

Bill richtet sich auf und dreht sein Glas. »Also ich denke, ich habe noch ein bisschen zu tun, um die Jungs zu erziehen. Vielleicht habe ich Glück und die Frau, die dich ersetzt, hilft mir dabei. Chris’ Ehefrau ist mir ja keine große Hilfe.«

Um diesen Irrsinn von Bill zu verdauen, trinkt Henning einen großen Hieb und Chris schüttelt bloß den Kopf. »Wahr-scheinlich wird sie eher dich erziehen, als uns beide.«

Währenddessen läuft an uns eine Brünette mit langen Haaren vorbei. Auffällig wackelt sie mit ihrem Arsch, dreht sich noch einmal um und fängt den Blick von Bill ein, der ihr hinterherschaut. Bis sie ihrem eher schmächtigen Freund die Hand reicht.

»Tzzz«, ertönt es aus Bills Mund. Ich schüttele nur den Kopf.

»Genau das meine ich«, beginnt Chris wieder zu zetern. »Wenn du unsere Neue so anglotzt, wirst du bestimmt von Alex einen auf den Deckel bekommen.«

Jetzt muss ich lachen, denn Alex hat uns einen langen und ausgiebigen Vortrag gehalten, dass Bill und ich die Finger von ihr lassen sollen. Eigentlich hat er damit mehr Bill als mich angesprochen. Unser Chef denkt, dass es nur Ärger geben würde, wenn einer von uns Amelia Malek anbaggert, und Alex will sie nicht verlieren, weil sie wohl sehr gut ist. Er kennt Bill einfach zu gut.

»Jungs, Alex hat recht, am Arbeitsplatz gehört sich das nicht«, erklärt Henning uns und mischt sich ein. Der kalte Wind von draußen zieht in meinen Nacken. Mein Kopf bewegt sich zur Tür. Wir hätten uns tatsächlich einen anderen Platz suchen sollen. Ich sitze genau im Zug und draußen fegt der Wind, dass man es bis hier drinnen merkt. Es nervt mich. Chris geht es genauso und er zieht sich seine komische Zopfmusterstrickjacke an, dabei streicht er sich über seine dünnen Arme. Obwohl er ein Nerd ist und bei Big Bang Theory nicht auffallen würde, ist er herzensgut und freundlich.

»Ey, ist sie das nicht?«, flüstert Henning plötzlich und macht eine hektische Kopfbewegung zu der Frau, die gerade mit irgendeinem Typen, der aussieht wie ein Schrank, hereinkommt.

»Könnte sein. Sie muss sich mal umdrehen«, wispert Chris und ich verstehe nicht, warum sie so leise reden. Immerhin sitzen wir in einer Kneipe, in der momentan ein Boxkampf ausgestrahlt wird.

»Also heiß ist sie.«

Ich verdrehe die Augen und betrachte die Frau.

»Schade, dass du deine Cam ausgerechnet heute zuhause gelassen hast«, sagt Bill weiter.

»Henning wollte es«, sage ich und bemerke, dass Bill recht hat. Sie ist heiß. Eine Haarsträhne fällt aus ihrem locker gesteckten Dutt in ihr Gesicht. Sofort legt sie diese hinter ihr Ohr. Mein Blick wandert an ihrem Körper auf und ab. Mit der Leggings zeigt sie ihre langen Beine und an den Füßen trägt sie knallrote Turnschuhe. Endlich dreht sie sich um. Sie verdreht die Augen und legt ihre Jacke auf den neben ihr stehenden Barhocker.

»So schnell verfallen Männer also in eine Beobachtung. Sie ist es jedenfalls. Außer sie hat einen Zwilling, davon stand aber nichts in ihren Unterlagen«, sagt Henning und lacht. Ich trinke von meinem Whiskey und Bill grinst und schluchzt gleichzeitig.

»Verdammt!«, flucht er. Die Neue bemerkt unsere Beobachtungen nicht und bekommt ein Whiskeyglas hingestellt. In solchen Situationen ist Bill viel zu oberflächlich. Sein erster Gedanke ist immer: vögeln.

»Also sympathisch ist sie mir auf jeden Fall«, beginnt Bill von neuem und mir fällt auf, dass wir vier sie weiterhin beobachten, um irgendetwas über Amelia zu erfahren. Der Schrank neben ihr redet mit ihr und tätschelt ihr Bein. Anscheinend gefällt Amelia das nicht. Sofort steht sie auf, wickelt ihren schwarzen Schal um ihren Hals und zieht sich die olivgrüne Jacke an. Der Typ hebt beide Hände, als wolle er sich entschuldigen. Doch sie winkt ab, nimmt den Becher und ext das karamellfarbene Getränk. Schließlich verschwindet sie.

»Mir graut es schon«, gibt Chris zu und klingt besorgt. Aus vollem Hals lacht Bill. Seine Lache ist so eigenartig, dass ich sofort mit einsteigen muss, obwohl ich es nicht lustig finde.

»Da wirst du bestimmt Spaß haben«, wirft Henning plötzlich ein und bekommt gleichzeitig einen Schluckauf. Dabei klopft er Chris auf die Schulter, sodass der sich fast an seinem Bier verschluckt.

»Also ernsthaft, die ist ja so was von heiß. Chris, da geht dir doch selbst einer ab.« Bill wird gleich ordinär. Als ich brumme, bemerkt er meinen bösen Blick und reagiert nur mit einem kurzen Schulterzucken. In dieser Hinsicht ist mein Freund und Kollege ganz anders. Manchmal übertreibt er es maßlos. Wir schweigen uns an. Am letzten Abend mit Henning haben wir uns nichts mehr zu sagen. Als ob alles Wichtige in den vorherigen Jahren gesagt wurde.

Irgendwann steht Bill auf und macht sich an einen Rotschopf ran, der ihn die ganze Zeit schon beäugt hat. Henning zückt sein Handy und schreibt eine Nachricht an seine Frau.

»Jason, schau mal, ich hab meine andere Brille nicht mit.« Henning wechselt seinen Blick von über zu durch seine Brille.

Ich reiße ihm das Handy aus der Hand. Da kann ja keiner zuschauen und ich schüttele gleichzeitig verständnislos meinen Kopf. »Du solltest dir mal eine Gleitsichtbrille zulegen. Was willst du denn an Margot schreiben?«, frage ich grinsend, denn ich kenne keine Margot und ich weiß, er wollte Martha, seiner Frau, texten.

»Steht da Margot, ändere das bitte. Schreib Martha, sie soll mich abholen. Ich kenne den Schuppen nicht. Ist jedoch ganz nett«, redet er weiter und beobachtet Bill, wie er der Rothaarigen unter den Rock greift und sie die Augen schließt.

»Der muss sich seine Hörner noch abstoßen«, sagt Chris ein bisschen hochnäsig. Nur weil er schon eine Frau gefunden hat. Ich tippe schnell die Nachricht und lege meinem Ex-Kollegen das Handy hin. Bill macht echt eine Show. Er kommt an unseren Tisch, klopft drauf und verabschiedet sich mit einer männlichen Umarmung von Henning. Schließlich verschwindet er mit der rothaarigen Frau.

»Womit hat die Menschheit so einen verdient?« Chris schüttelt den Kopf und Henning und ich lachen gleichzeitig auf.

»Chris, du bist ebenfalls ein suspekter Geselle«, antworte ich, trinke meinen Whiskey aus, stehe auf und verabschiede mich von Henning, genauso wie Bill es tat. Ich mag Henning. Er war ein toller Kollege und Mentor, auch nach meinem Studium half er mir immer. Sein Wissen und seine Erfahrungen haben uns stets weitergebracht und uns viel genützt.

Draußen vor der Tür fällt mir ein, dass ich kein Auto dabeihabe, damit ich trinken kann. Chris hat mich mit hergenommen. Sonst hätte ich die Strecke schon herlaufen müssen, denn ich hasse Bahnfahren.

Na ja, der kleine Spaziergang wird nicht so schlimm sein. Die Straßen sind fast leer. Bevor ich meine Hände in die Jackentasche stecke, stelle ich den Kragen hoch. Der Winter naht und der kalte Wind ist einfach nur eklig. Nach einer guten Dreiviertelstunde zu Fuß bin ich zu Hause.

Als ich die Tür aufschließe, ertönt ein ungewöhnliches aber dennoch bekanntes Geräusch. Am liebsten würde ich rückwärts raus laufen. Anscheinend übernachtet Judith heute bei uns. Ich sollte wirklich meinen Papa fragen, ob ich nicht doch ausziehen sollte oder er zu ihr ziehen will. Meistens hängen sie sowieso beieinander. Normalerweise schläft Edmund bei Judith, damit sie und ich Ruhe haben. Vielleicht dachte er, ich würde woanders nächtigen. Wobei er eigentlich weiß, dass ich momentan keine Frau habe.

Als ich aus dem Badezimmer laufe, enden endlich die fürchterlichen Geräusche in dem Zimmer nebenan. Seine Eltern oder einen seiner Elternteile beim Sex zu hören ist furchtbar. Nach vielen Jahren wundere ich mich immer noch, dass mein Vater wieder jemanden gefunden hat. Er ist so störrisch und Judith ist sehr warmherzig. Sie ist ganz anderes als meine Mum, für die ich selbst keine Worte finde. Obwohl ich schon achtundzwanzig Jahre alt bin, fühle ich mich bei ihr immer, als wäre ich ein kleiner Junge, der seine Mum ständig zufriedenstellen will. Ich schließe die Augen und muss an unsere neue Kollegin denken. Sie war wirklich scharf. Wie die Leggings an ihrem Körper lag, man hat all ihre Proportionen gesehen. Wäre ein Fettpölsterchen dort gewesen, hätte man es erkannt. Bloß war da nichts. Sie trug ein längeres Top, das ihren Po halb bedeckte und eng anlag, und einen weiteren übergroßen Pulli, der weit ausgeschnitten war. Dadurch konnte man ihre nackte Schulter sehen. Hätte sie das Top nicht darunter gehabt, wäre sie wegen des kurzen Pullis bauchfrei herumgelaufen. Als wäre sie vom Sport gekommen, denn so laufen die Mädels beim Turnen ebenfalls rum. Nur wollen sie mit ihren Ärschen rumwackeln und sich einen Typ angeln. Frau Malek schien nicht so, als wäre sie darauf aus.

Schade, dass ihr Auftritt so kurz war. Der Typ muss sie ziemlich verärgert haben. Ob er ihr Freund ist? Jedoch ist er sitzengeblieben und unterhielt sich mit der Kellnerin. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich ohne zu zögern meine Sachen genommen und wäre ihr schnellstmöglich hinterhergelaufen.

Meine Augen schließen sich ganz von selbst.


Zweites Kapitel

Der Wecker klingelt. Während ich mich strecke, drücke ich ihn aus.

Scheiße! Mir fällt ein, dass Judith eventuell noch da sein könnte. Ich springe schnell auf. Shit, Shit, Shit! Das hätte ich zeitlich einplanen müssen.

Als ich aus meinem Zimmer laufe, ist es jedoch recht ruhig.

»Hallo?«, rufe ich im Flur, bleibe stehen und klopfe an der Badezimmertür, bevor ich sie nackt sehen muss. Nichts. Niemand ist da. Ich mach mich im Bad fertig, schiebe mir vier Toast in den Toaster und stelle die Kaffeemaschine an. Der Duft von frischem Kaffee zieht in meine Nase. Ein wundervoller Geruch. Zügig esse ich mein Frühstück und genieße den Wachmacher.

Auf dem Weg zur Arbeit denke ich an die Neue. Seltsam, dass sie mir nicht mehr aus dem Kopf geht, obwohl ich sie erst gestern das erste Mal gesehen habe.

»Stopp!«, ruft Chris, als ich den Fahrstuhlknopf drücke, und ich halte ihm noch schnell die Tür auf. Er rennt und sieht wieder total gehetzt aus. Völlig aus der Puste steht Chris neben mir.

»Du solltest einfach früher aufstehen. So wärst du nicht morgens schon gestresst«, schlage ich vor und grinse ihn gehässig an. Mein sarkastischer Ton ist kaum zu überhören. Chris ringt noch nach Luft. »Es ist nicht das Aufstehen. Ich frühstücke nur gerne mit meiner Ehefrau. Das kannst du nicht nachvollziehen.«

Ich lache, weil ich mit so einem Schachzug nicht gerechnet habe. Nicht bei Chris. »Der war gut, Chris. Wir färben wohl ab, Bill und ich«, antworte ich, nachdem ich mich beruhige.

»Ich bin ab heute der Älteste. Verteidigen kann ich mich schon von jeher«, erwidert er und ich schüttele lachend meinen Kopf. Er muss lernen, sich durchzusetzen. Das ist wohl die bessere Wortwahl.

Bill ist noch nirgends zu sehen. Dafür dieselbe Frau, die gestern schon einmal hier war. Sie vermutet, dass ihr Freund mit Drogen dealt. Was will sie denn schon wieder? Ich straffe meine Schultern und laufe auf sie zu.

»Frau Blum.« Mein Ton ist ernst und dominant. Sie dreht sich um und lächelt. Ihre Zähne sind faul. Das ist mir die letzten Male schon aufgefallen.

»Tut mir leid, dass ich nochmal da bin. Aber … aber …« Sie stottert und ihre Stimme bebt. »Ich weiß nicht. Seit ich hier war, habe ich Angst, dass er herausfindet, dass ich ihn verpetzt habe. Was ist, wenn er mir etwas antut? Ich bin schon ewig mit ihm zusammen …« Frau Blum blickt auf ihren Schoß und ich räuspere mich.

»Frau Blum, wir haben noch keine weiteren Informationen außer ihren. Wir sind noch nicht sehr weit und haben nicht einmal ihren Freund, Herrn Konrad, befragt.« Ich hole tief Luft. »Dass Sie uns den Hinweis gaben, werden wir ihm nicht sagen. Fahren Sie zur Arbeit, kaufen Sie ein, machen Sie das, was sie immer tun, und warten Sie ab. Wenn Sie jeden Tag herkommen, wird uns das nicht helfen, außer Sie haben weitere Informationen.«

Sie schaut mich an, nickt und steht auf. »Okay, danke.«

Ich zucke mit den Schultern und schaue zu Chris. Sie verschwindet und ich laufe zu meinem Kollegen, der sich die Aussage von ihr gerade noch einmal durchliest.

»Morgen Jungs«, begrüßt uns Alex, unser Chef. Mit einem kurzen Nicken begrüße ich ihn, um über Chris’ Schulter den Bericht ebenfalls wiederholt durchzulesen.

»Wo ist Bill? Ich wollte noch kurz etwas sagen.«

»Er kommt bestimmt bald. Was gibt’s, Boss?«, schnalze ich mit der Zunge und verschränke meine Arme. Wenn Alex so beginnt, weiß ich, dass es um die Neue geht. Chris weiß es auch, denn er grinst und denkt wahrscheinlich an gestern Abend, so wie ich. Er legt die Aussage vor sich hin.

»Hm, also richtet ihm aus, dass heute Frau Malek anfängt und er es nicht wagen soll … Wenn einer von euch«, drohend zeigt er auf mich und auf Bills Schreibtisch, »sie anmacht oder nur daran denkt, sie zu daten.« Ich winke mit der linken Hand ab. Bill hat sicherlich gestern schon daran gedacht und mir geht sie seit jenem Augenblick nicht mehr aus dem Kopf … Habe ich mich so schnell in sie verguckt?

»Alles klar, wir haben verstanden«, betone ich lässig und er zieht seine Brauen hoch.

»Das hoffe ich.« Er lässt unüberhörbar den Chef heraus-hängen und Chris lacht. Henning hat recht. Chris wird seinen Spaß haben und Alex läuft zurück in sein Büro, weil er wahrscheinlich auf sie wartet.

»Er kennt euch, besser gesagt Bill. Andererseits hast du sie ebenso angestarrt.«

»Chris, das ist meine Sache«, verteidige ich mich und fühle mich von ihm ertappt.

»Ehrlich gesagt nicht. Wenn einer von euch Scheiße baut, stecken wir alle drin. Du fandest sie selbst heiß. Da kommt sie übrigens.«

Mein Kopf richtet sich sofort Richtung Fahrstuhl und Bill läuft ihr hinterher. Ob er sich schon vorgestellt hat? Er wackelt jedenfalls mit seinen Augenbrauen und spielt mit seiner Mimik. Die Neue sieht wieder nicht glücklich aus. Vielleicht ist das ihr Gemüt? Sie geht in Alex’ Büro und Bill kommt zu uns und grinst.

»Verdammt, ist die heiß«, platzt es aus ihm heraus. »Hat Alex noch was gesagt?« Er setzt sich auf seinen Stuhl und ich lehne mich an seinen Schreibtisch.

»Nur, dass ihr die Finger von Frau Malek lassen sollt«, erklärt ihm Chris.

Bill grinst verschmitzt. »Aus Jasons Arsch fliegen schon Vögelchen.«

Auf dieses Thema gehe ich nicht ein und beginne mit ihm ein Gespräch über Frau Blum. Weil sie uns kaum Informationen gab, überlegen wir uns, wie wir weiter vorgehen.

»Herr Konrad wäre ein guter Start für unsere Neue – oder wollen wir ihr gleich die dicke Mappe von den Kelten hinlegen?«, sagt Bill.

»Dafür würde sie uns bestimmt hassen, weil sie Tage damit zu tun hätte, alle Infos zu lesen«, erklärt Chris.

»Ich denke auch, Konrad ist ein guter Anfang. Sie sollte langsam ankommen und nicht gleich von uns ins kalte Wasser geschmissen werden«, gebe ich mein Statement ab.

»Immerhin sind wir nur Männer und wer weiß, wie das dann auf uns zurückfällt«, brummelt Chris hinterher.

»Darauf sollten wir keine Rücksicht nehmen. Sie wollte den Job, dann muss sie auch durch die unangenehmen Arbeiten durch. Ich werde ihr den Arsch nicht pudern«, sagt Bill und grinst.

»Wenn wir Rücksicht nehmen, kann uns das auch in Schlamassel führen und zum Schluss fällt sowieso alles auf Alex zurück«, sage ich und bin Bills Meinung.

»Stimmt, egal wie wir es machen, es ist falsch«, bemerkt Chris mit einem Lächeln.

»Wer A sagt, muss auch B sagen. Wir behandeln sie wie alle anderen auch«, erkläre ich.

»Also sind wir uns einig, Frau Malek bekommt Konrad mit dir und Chris und ich arbeiten solange an den Kelten weiter?«, hakt Bill nochmal nach und wir nicken zufrieden.

Ich hole mir die Aussage von Frau Blum und notiere alles auf einem Brett. Bis Alex Amelia das ganze Präsidium gezeigt und sie die Einweisung von ihm bekommen hat, ist es wahrscheinlich Mittag. Schließlich setze ich mich an den Tisch und schalte zur Kelten-Gang um. Manchmal muss man eben zweigleisig fahren.

»Endlich«, sagt Chris und deutet auf unseren Chef und Amelia Malek hin, denn sie laufen direkt auf uns zu.

»Sie war übrigens heute Morgen schon distanziert«, erzählt uns Bill, als ich zu seinem Schreibtisch laufe.

»Wenn du sie abgecheckt hast, wie die Frauen gestern Abend, ist es kein Wunder«, tadelt Chris ihn.

Aus einem dünnen Schlitz zwischen seinen Lippen pfeift Bill und ich schaue lachend zu ihr. Darüber, dass Chris ihn durchschaut hat, sind wir alle sehr amüsiert. Ich versuche, Blickkontakt mit ihr aufzunehmen.

Einmal will ich Amelia Malek genau in die Augen schauen, um herauszufinden, was sie für eine Person ist. Plötzlich schaut sie mich an und ich schenke ihr ein herzliches Lächeln. Vielleicht ist sie aufgeregt und sieht deshalb so angespannt aus? Als wir uns in die Augen schauen, öffnet sie kurz den Mund und schnappt nach Luft. Bill hat unrecht. Sie ist nicht heiß, sondern wunderschön. Frau Malek trägt wie gestern Abend einen Dutt. Diesmal ist er streng nach hinten gebunden und an ihrer grünen Jacke wackeln Bänder hin und her, wie die Pendeluhr bei meiner Mum.

Erneut schaut sie direkt in meine Augen. Shit! In ihren großen, rehbraunen Augen könnte ich mich, wie in einem Labyrinth, sofort verlieren. Bill stupst mich am Bein an. Keine Ahnung, was er mir damit sagen will. Ich ignoriere es und schenke ihr Aufmerksamkeit.

»Jungs, ihr bekommt weibliche Unterstützung, seid nett zu ihr. Bill, nicht zu nett, ihr seid Kollegen, verstanden? Das ist Amelia Malek.«

Bill lacht und Alex hebt seinen Zeigefinger, als ob er ihm erneut einen Vortrag halten will. Bitte nicht noch einmal, das wäre jetzt sehr unangenehm.

»Wir hatten ja schon das Vergnügen. Nenn mich Bill«, stellt er sich vor und lächelt sie schief an. Anscheinend lässt es Alex damit auf sich beruhen. Chris schließt sich an und geht auf sie zu. »Freut mich, ich bin Christian Janzen. Chris reicht völlig aus.«

Let’s go. Ich schenke ihr weiterhin ein Lächeln. Sie schaut mir direkt in die Augen und wendet den Blick nicht ab. Keiner von uns kann den Blick lösen. Es ist, als würde gerade etwas in mir passieren.

»Sie brauchen vor Bill keine Angst haben. Er tut nichts«, breche ich das unangenehme Schweigen. Schlagartig zieht sie ihre Augenbraue hoch, als wäre es ein Mechanismus.

»Er will nur spielen oder was?« Sie ist schlagfertig und peppt damit die Stimmung auf. Nun lächelt sie gleichermaßen und wir schauen uns von neuem in die Augen. Obwohl ihre Hand recht zart ist, hat sie für eine Frau einen ziemlich starken und selbstbewussten Händedruck.

»Jason Hasley. Wenn für Sie das Du in Ordnung ist, dann nur Jason.«

Abrupt lässt sie meine Hand gehen, die plötzlich leicht feucht wurde. Was zum Teufel?

»Ja, das Du ist vollkommen in Ordnung«, antwortet sie mir.

»Also dann, gutes Gelingen«, verabschiedet sich Alex von uns – oder besser gesagt von ihr – und lässt sie mit uns alleine. Wie ein Huhn bei den Füchsen.

»Also, wir haben von einem Mädchen eine Spur bekommen. Sie hat die Vermutung, dass ihr Freund mit Drogen dealt«, erklärt Chris, der absolut nicht in ihren Bann gezogen wird. Ob es nur mir so geht oder ob Bill von ihr genauso benebelt ist? Chris reicht Amelia alle zusammengetragenen Informationen und sie blättert darin herum. Sie holt tief Luft und lässt sie laut aus ihrem Mund entweichen.

»Habt ihr noch nie eine Frau gesehen, die liest und Kommissarin ist? Oder habe ich auf der Stirn stehen, dass ihr mich anstarren sollt?«, fragt sie uns kühl. Irgendwie erschrecken mich ihre Worte. Jedoch merke ich, dass ich der Einzige bin, der noch wie angewurzelt hier steht und sie begutachtet. Bill und Chris sitzen schon an ihren Schreibtischen und beobachten sie von dort. Mein Körper bleibt und beobachtet diese hübsche Frau weiterhin. Shit.

Als würde sie ihre Haare aus dem Gesicht schütteln wollen, bewegt sie ihren Kopf hin und her. Doch sie trägt einen Dutt.

»Du hast nichts zu tun?«, spricht sie mich direkt an und ist genervt.

»Nein, eigentlich nicht«, amüsiere ich mich auf ihre Kosten und versuche, cool zu bleiben. Tatsächlich habe ich einiges zu erledigen, aber ich lehne mich an den Schreibtisch von Bill und beobachte unsere Neue. Plötzlich tippt mich Bill am Rücken an und ich zucke kurz. Amelia wühlt mit ihrer Hand in ihrer Jackentasche und verdreht die Augen. Daraufhin lächelt sie, das ist kein gutes Zeichen. Wahrscheinlich ist der Typ von gestern ihr Freund.

»Sie hat einen Freund. Ihr könnt eure Eier wieder einpacken«, zieht Chris uns auf. Mein Blick wandert zu Bill und ich weiß genau, was er denkt: Kein Wunder bei diesem Erscheinungsbild.

»Nein, habe ich nicht, trotzdem könnt ihr eure Eier verstauen«, erklingt ihre Stimme kräftig und dennoch weich. Ich wende mich kurz zu Bill und pfeife vergnügt. Von meinem Schreibtisch behalte ich sie weiter im Auge. Selbstverständlich weiß ich, dass es nicht unbedingt gutes Benehmen ist, und ich erinnere mich an meine Mum, die mir genau dies eingetrichtert hat. Gute Manieren. Bestimmt bin ich im Präsidium der einzige Mann, der alle Kniggeregeln kennt und sie nicht gebraucht. Jedenfalls nicht kontinuierlich. Mir fällt auf, dass Bill mich anstarrt, weil ich sie so anschaue. Was soll ich sagen? Ich kann mich dagegen nicht wehren. Es ist, als würde ich in einem Museum stehen und bin von einem Bild fasziniert, wie manche von Mona Lisas Lächeln.

»Sind das alle Informationen?«, fragt sie ungläubig und ich wende mich ihr zu.

»Ja«, antworte ich, denn Bill schaut mich weiterhin an und Chris ist an seinem Computer beschäftigt. Typisch für ihn.

»Und wir gehen der Sache nach? Das ist ja nichts. Gar nichts«, sagt sie vorwurfsvoll und wirft die Unterlagen auf den Tisch. Damit hat sie die volle Aufmerksamkeit von uns dreien.

»Wir sollten uns diesen Malte vornehmen, wenn ihr tätig werden wollt.« Sie ist völlig selbstsicher. Wir waren uns einig, dass dieser Fall für sie bestimmt ein guter Start ist, dass sie gleich so vorangehen will, hätte niemand von uns gedacht. Also versuche ich, sie auszubremsen, denn von meinen zwei Kollegen tut es keiner.

»Du bist sehr eifrig, manchmal ist Ruhe jedoch besser.« Ohne mit mir etwas zu besprechen steht sie auf, blickt mich böse an und schreibt sich irgendetwas auf. Wenn Bill mit ihr fährt, wird er sie vielleicht nerven oder flachlegen … Dann sind meine Chancen verspielt.

»Ich fahre«, fordere ich und stehe ruckartig auf. Ohne weiter nachzudenken, greife ich nach meiner Jacke und schaue noch einmal zu Bill herüber. Er grinst, als wolle er mir freiwillig den Vortritt lassen. Als wäre es ein Wettbewerb … Niemals würde ich um eine Frau wetten – und er ebenfalls nicht. Bill trägt die Damen in dieser einen Nacht auf Händen als wären sie Königinnen.

Auf dem Weg zu meinem Auto redet Amelia kein Wort mit mir, bis ich mein Baby entriegele.

»Du fährst einen Camaro?«, fragt sie ungläubig, als ob sie es lächerlich findet. Ich liebe dieses Auto.

»Ja, hast du ein Problem damit? Was fährst du, einen Ford KA?«, platzt es aus mir heraus. Ich hoffe, sie ist nicht so empfindlich und kann damit umgehen. Immerhin hat sie Pfeffer und wer austeilt, muss einstecken können. Dann passiert es erneut, wir schauen uns in die Augen und langsam wird es mir selbst unangenehm, dass wir uns andauernd anschauen. So intensiv … Als würde uns ein Band verbinden.

»Nein, einen alten 3er BMW. Als Polizist so einen Wagen zu haben, finde ich sehr auffällig«, rechtfertigt sie sich. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Auffällig … tzz. Ich steige in meinen Liebling, drehe das Radio auf und fahre los, als sie sich anschnallt. Amelia Malek ist irgendwie anders. So ruhig und tiefsinnig. Ob es an ihrer Adoption liegt? Ob sie deshalb nach Berlin zog? Sie war auf jeden Fall die Beste ihres Jahrgangs. Vielleicht ist das ein gutes Thema, um mit ihr ein Gespräch zu starten. Ich drehe leicht am Lautstärkeregler und dämpfe die Musik. »Du warst die Beste?«

»Ja, richtig«, antwortet sie freundlich. Das erste Mal, dass sie diese Seite von sich zeigt. Ein stolzes Lächeln.

»Du siehst nicht aus, als wärst du eine Streberin.« Und das ist wirklich so. Jedenfalls stelle ich mir Streberinnen anderes vor. So wie die Mädels damals in meiner Klasse, mit Brille, dann hatten sie ständig mit ihrem Gesicht irgendwelche Zuckungen und dieses ­´Hier, Herr Lehrer, ich weiß was´-Getue.

»Tja, vielleicht habe ich mit dem Ausbilder gevögelt«, antwortet sie und ich bin darüber erschrocken, was sie da sagt. Denn Heiko ist soweit ich weiß glücklich verheiratet und kein Frauenschwarm. Damit sie meine Fassungslosigkeit nicht in meinem Gesicht lesen kann, presse ich schnell meinen Kiefer zusammen und versuche ernst zu bleiben. So viele Facetten zeigt sie an einem Tag. Ich schaue kurz zu ihr und fange an zu lachen, weil sie selbst grinst, als würde sie kaum glauben, dass sie das gerade gesagt hat.

»Das glaube ich nicht. Heiko ist glücklich verheiratet und er ist nicht dein Typ«, antworte ich ehrlich und schließlich lacht sie laut.

»Woher willst du wissen, was mein Typ ist? Vielleicht stehe ich ja auf Ü-Vierzig?« Selbstsicher hebt sie ihr Kinn ein Stück. Sie fordert mich heraus, doch ich kann ihr schlecht sagen, dass wir sie gestern mit diesem Schrank gesehen haben. Vielleicht ist sie nicht mit ihm zusammen, trotzdem ist es möglich, dass mit ihm etwas läuft.

»Das bezweifel ich, du siehst nicht danach aus«, erkläre ich ihr. Für einen Moment schweigt sie, als ob sie mich weiter herausfordern will. Bestimmt denkt sie nach.

»Ich sehe auch nicht aus wie eine Streberin.« Ich hatte recht. Mein Grinsen in meinem Gesicht bekomme ich nicht mehr gezügelt, weil sie meine Worte gegen mich verwendet. Als die Ampel rot wird, wende ich meinen Blick kurz von der Straße zu ihr. Sie versucht es zu ignorieren, doch sie merkt diese Spannung zwischen uns auch, denn manchmal lächelt sie, bevor ihre Gesichtszüge wieder ernst werden, und dann beißt sie sich auf die Wangeninnenseite.

»Trotzdem eher wie eine Streberin als wie eine, die mit Heiko vögelt«, sage ich und schaue sie von oben bis unten an.

Bis ich mein Auto parke, schweigen wir uns an. Solange hat sie aus dem Fenster geschaut. Wir befragen diesen Malte und er zeigt eindeutig Symptome eines Konsumenten. Ihre Fragen sind recht gut und mit Bedacht gewählt. Leider können wir ihm vom Dealen nichts nachweisen. Noch nicht. Amelia wollte danach noch durch die Straßen laufen und sich umschauen. Die Idee ist nicht schlecht, wenn wir nicht mitten in Berlin Kreuzberg wären.

»Glaubst du, uns wird irgendwer etwas sagen? Amelia, hier wird niemand den Mund aufmachen und seine Dealer verpetzen. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung«, erkläre ich. Sie nickt und sieht ein, dass es keinen Sinn macht, weiter durch die dunkle, kalte Gegend zu laufen.

»Er wirkte nervös. Nicht, weil er voll drauf war, sondern weil irgendetwas nicht stimmte«, flüstert sie und ihren Atem sieht man in der frischen Luft. Vielleicht ist sie wirklich gut in ihrem Job, allerdings reicht es für heute. Mein Magen knurrt.

»Ich habe Hunger, lass uns noch etwas essen«, biete ich an, denn in der Nähe meines Autos steht ein Imbisswagen, bei dem es sehr gute Brat- und Currywürste gibt. Meine neue Kollegin willigt ein und folgt mir.

»Hey Carlo, alles klar?«, frage ich den Besitzer und schließlich dreht er sich zu uns um.

»Na Jason, du weißt doch, schlechten Menschen geht es immer gut. Was kann ich euch bringen?«

Ich entscheide mich für eine Currywurst mit Pommes mit einer Cola. Irgendwie sieht Amelia unsicher aus.

»Was möchtest du essen oder trinken?«, frage ich freundlich und Carlo wartet auf Amelias Bestellung. Sie schaut noch einmal auf Carlos Speisekarte und beißt sich auf ihre Unterlippe.

»Ich hätte gerne eine Currywurst mit Brötchen und ein Wasser«, bestellt sie und schenkt mir ein Lächeln. Dieses Lächeln ist wunderschön und ich könnte es täglich sehen, wenn ich aufwache. Jeder Mann kann sich glücklich schätzen, sie als Freundin zu haben. Da kommt mir eine Frage in den Sinn. Warum hat sie keinen Freund?

»Carlo, du hast gehört, was die Frau möchte.« Er nickt mir zu, wirft die Pommes ins heiße Fett, holt uns die Getränke aus einem Schrank und ich bezahle schnell alles. Unser Trinken nehme ich ihm ab und stelle sie auf einen Stehtisch ein Stück abseits von den anderen Kunden.

»Also Amelia, erzähl mir von dir.« Ich muss mehr über sie erfahren. Persönliches, Privates, egal, nur irgendetwas.

»Habt ihr mich vorher nicht durchleuchtet oder so?« Sie weiß, wie das läuft. Alex hat recht, sie ist gut und eine hervorragende Partie für unser Team.

»Klar, jedoch leben wir dann nicht so in der Stille«, antworte ich ihr und lächle.

»Ich mag die Stille«, flüstert sie und es ist irgendwie einleuchtend, weil sie so wenig spricht. Sie mag die Ruhe, das habe ich noch nie von jemandem gehört.

»Siehst du, das steht nicht in deinen Unterlagen. Ich schweige auch gerne, trotzdem mag ich genauso gerne gute Gespräche.« Immerhin lebe ich viel in der Stille, wenn ich zu Hause bei meinem Papa bin. Es ist manchmal so, dass ich denke, ich wäre alleine daheim. Er sitzt in seinem Sessel und liest oder macht irgendetwas anderes. Carlo pfeift uns zu und unterbricht damit das Gespräch. Amelia nickt, läuft zu Carlo und holt unser Essen. Als sie wiederkommt, nimmt sie ein Stück Wurst in den Mund und schluckt gleich noch eins runter. Als wolle sie nicht mit mir reden. Plötzlich beginnt sie: »Bill ist ein Frauenheld und Chris wohl das Gegenteil, dafür hat er eine Frau.« Sie deutet auf ihren rechten Ringfinger. »Zu welcher Sorte Mann gehörst du?«, fragt sie direkt. Ich muss lachen, weil sie mir so eine Frage stellt, und ich überlege kurz, wie ich am besten testen kann, ob sie genauso auf mich reagiert wie ich auf sie. Obwohl diese Blickkontakte mir schon als Beweis reichen.

»Du hast sie schon gut analysiert«, antworte ich, nähere mich ihr und atme ihren Duft ein. Sie riecht nach Sheabutter oder Mandeln, irgendetwas angenehm Dezentes.

»Ich gehöre zu den Männern, die wissen, was sie wollen«, hauche ich ihr ins Ohr und Alexander Kowalski geht mir gerade kreuzweise mit seinem Vortrag am Arsch vorbei! Ich spüre, wie sie die Luft anhält – und nicht aufgrund dessen, dass sie sich unwohl oder angegriffen fühlt, sondern weil sie auf mich genauso reagiert. Sie schaut auf ihre Pappschale, pikst ganz schnell ein Stück Wurst an, schlingt es regelrecht runter und sofort folgt das Nächste. Sie redet kein Wort mehr mit mir. Was sie wohl denkt? Genüsslich esse ich auf und amüsiere mich, dass ich ihr in diesem Moment so zu schaffen mache. Ob es ihr unangenehm war und ich ihr zu nahe getreten bin? Sie pult in ihrem Brötchen herum und holt das ganze Weiche heraus. Dann isst sie das Äußere. Irgendwie witzig. Ich habe noch nie eine erwachsene Frau gesehen, die so Brötchen isst.

»Isst du deine Schrippe immer so?«, versuche ich ein neues Gespräch zu führen. Ihre braunen Augen blicken in meine und sie sieht plötzlich sanft auf, als würde sie sich ertappt fühlen.

»Lass uns zurück zum Auto laufen«, sage ich, ohne dass sie auf meine erste Frage geantwortet hat.

Im Auto würde ich gerne ihre Hand kurz halten, obwohl wir uns nicht kennen und nur Kollegen sind. Einerseits fühlt es sich falsch, andererseits irgendwie richtig an. Mein Gedanke ist total dämlich. Ich nehme Abstand von dem Versuch, sie zu berühren. Vielleicht sollte ich sie nach einer Weile zu einem Date einladen, außer Bill versaut es mir.

Als wir am Präsidium sind, lasse ich sie gleich nach Hause fahren und ich übernehme das Dokumentieren. Amelia kann morgen noch den Rest ergänzen und es sich durchlesen. Im Augenblick brauche ich Ruhe und wenn ich Glück habe, sind Bill und Chris auch schon weg. Im Fahrstuhl lehne ich mich gegen die kalte Blechwand und atme tief ein und aus.

Shit! Wir haben es Alex versprochen. Die Türen öffnen sich und ich laufe zu meinen Schreibtisch. Bill sitzt noch und erledigt irgendeinen Schreibkram.

Drittes Kapitel

»Na, Herr Hasley, wie war es mit unserer neuen Kollegin?«, fragt mich Bill. Meine Miene verzieht sich und ich brumme kurz. Seine Anspielung würde sogar ein Zehnjähriger verstehen.

»Ach komm, Jason, gib es zu, du stehst auf sie, mehr als ich.« Er wackelt mit den Brauen.

»Shit Bill. Sie haut Sachen heraus, die man ihr gar nicht zutraut. Dazu ist sie wahnsinnig hübsch, was dir ja sofort auffiel.« Meine Stimme verändert sich und ich spiele zum Schluss mit Sarkasmus und bringe Bill zum Lächeln.

»Abgesehen davon, dass Alex uns mehrere Vorträge hielt, lasse ich dir gern den Vortritt. Versagst du, kann ich sie immer noch vögeln.«

Ich brumme noch einmal. Diesmal ziemlich verärgert, denn ich glaube nicht, dass Amelia Malek eine Frau ist, die man nur flachlegt. So eine Frau hat es verdient, geliebt zu werden.

»Dir fliegen wirklich Vögelchen aus dem Arsch!« Er fängt fürchterlich an zu lachen und ich ignoriere das Ganze. Das kann ich mir heute nicht anhören, ich nehme auf meinem Stuhl Platz und beginne, den Bericht zu schreiben.

Immerhin dreht sich schon alles, wenn ich allein an Alex denke. Ich sehe ihn längst vor mir, mit seinem Zeigefinger wedelnd und völlig echauffierend.

Als ich zu Hause bin, sitzt mein Papa auf dem großen Sofa. Alleine.

»Judith ist nicht da?«, frage ich gleich, als ich die Tür hereinkomme und die Wohnung mit einem Rundumblick abscanne. »No, she’s at home.« Er beginnt, mit mir auf Englisch zu reden, wie jedes Mal, wenn wir alleine sind. Ich unterhalte mich kurz mit ihm, jedoch merke ich schnell, dass er seine Ruhe haben möchte. Er liest irgendeine medizinische Fachzeitschrift.

»Can I turn the TV on?« Er blickt über die Zeitschrift und nickt. Mein Weg geht zuerst in die Küche und ich stöbere nach etwas essbaren.

»Was suchst du?«, fragt er weiter auf Englisch und ich stöhne kurz.

»Nichts«, antworte ich in seiner Muttersprache und laufe zurück zur Couch. Ein knarrendes Geräusch ertönt, als ich mich auf sie lege, und ich schalte den Fernseher mit der Fernbedienung an.

Das Programm ist wie gehabt spektakulär und ich wälze mich auf dem Sofa herum. Mein Papa ist genauso wie Amelia. Er schweigt ebenfalls gerne. Hin und wieder brummt er mal.

»Möchtest du mir etwas sagen?«, hakt Edmund nach, legt seine Zeitung auf den Tisch und ich pruste.

»Ja … Soll ich ausziehen? Oder wir kündigen die Wohnung, du ziehst zu Judith und ich such mir eine eigene Bleibe?« Jetzt brummt er, weil ich Deutsch spreche.

»Jason, warum? Wir sind nur selten da. Gestern war eine Ausnahme.«

»Papa, du schläfst mehr bei Judith als zu Hause und ich kann mir auch etwas Eigenes suchen. Das tue ich nur, wenn du ausziehst. Ich lasse dich nicht alleine auf den Kosten und der Wohnung sitzen«, erkläre ich ihm und er schnalzt mit der Zunge.

»Wir bleiben hier wohnen. Das habe ich dir schon die ganze Zeit gesagt und meine Meinung hat sich nicht geändert.« Er brummt und ich tue es ihm gleich. Schließlich schalte ich den Fernseher aus. Mein Zimmer ist ausreichend für mich und ich könnte mir dennoch eine kleine Wohnung suchen. Ich brauche nicht viel Platz und auch nicht so ein Apartment wie Bill mit riesiger Dachterrasse. Obwohl sie wirklich toll ist, besonders im Sommer.

Wenn mein Papa allerdings meint, es ist alles gut, so wie es ist … Vielleicht möchte er nicht zu Judith ziehen und ich bin sein perfektes Alibi. Manchmal versteht man seine Angewohnheiten und sein Handeln nicht. Er ist ein Sturkopf!

Morgen ist ein neuer Tag mit Amelia Malek. Ich sollte mir eher über sie Gedanken machen, als um die Wohnung. Immerhin fällt es Chris und Bill auf, dass ich an ihr interessiert bin. Bis es Alex mitbekommt, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Bill und ich haben ihm mehrmals gesagt, dass wir mit der Neuen nichts anfangen werden. Keiner konnte wissen, dass sie so begehrenswert ist. Vielleicht ist sie ganz anders und verstellt sich, bis ihr wahres Gesicht zum Vorschein kommt. Ich werde sie auf jeden Fall im Auge behalten.

Amelia sitzt an ihrem Schreibtisch als ich zu meinem laufe.

»Na dann los«, sagt Bill enthusiastisch, grinst mich gehässig an und Amelia steht auf. Sie würdigt mich kaum eines Blickes. Vielleicht war ich gestern zu voreilig oder besser gesagt zu distanzlos? Sie hat auf mich reagiert. Das ist klar und ich habe mich nicht getäuscht. Ich täusche mich in solcher Hinsicht selten. Eigentlich nie. Leider ist sie abgesehen davon, dass ich erkenne, dass sie auf mich anspricht, sonst sehr geheimnisvoll.

»Amelia und ich wollen noch einmal einer anderen Spur auf den Grund gehen«, informiert mich mein Lieblingskollege und zeigt auf die Unterlagen der Kelten-Gang. Wir haben sie so genannt, weil alle Mitglieder dieser Bande ein keltisches Tattoo irgendwo an ihrem Körper haben. Lange sind wir hinter ihnen her, doch momentan ist es ruhig geworden. Ich verstehe gerade nicht, warum er sie jetzt doch mitnimmt, wenn wir uns doch gestern einig waren, dass sie langsam beginnt.

Ich schaue zu Bill, wie seine Mimik ernst wird, und dann blicke ich zu ihr. Amelia schaut mir direkt in die Augen und lächelt, welches jedoch schnell verfliegt. Als wäre ihr gerade ein dunkler Gedanke gekommen. Diese Augen sind unglaublich. Sie sind wie ein Blitz und dann folgt ein Donnerschlag, wenn man in sie schaut. Unsere neue Kollegin dreht uns den Rücken zu und läuft schon einmal vor, während Bill seine Jacke holt.

»Heute ist sie anders. Was hast du mit ihr gemacht?«, fragt Bill im Flüsterton und ich schüttele den Kopf.

»Nichts«, wehre ich mich. Seine Augen durchbohren mich, als ob er in meinen Kopf schaut und erkennen kann, ob ich ehrlich bin.

Er nickt. »Na ja, schauen wir mal, was sie sagt.«

Ich verdrehe die Augen und lasse mich in meinen Stuhl fallen. Was soll ich getan haben? Chris schaut zu mir rüber und sein Blick ist nicht freudig. Haben sich plötzlich alle gegen mich verschworen? Ich wühle am Schreibtisch herum und suche meinen Bericht.

»Bill hat ihn Amelia heute Morgen gegeben. Er müsste noch bei ihr liegen«, informiert mich Chris nach einer Weile teilnahmslos.

»Warum geben wir ihr jetzt doch schon den Kelten-Fall?«, hake ich nach.

»Weil sie gefragt hat, worum es dabei geht.« Chris zeigt abwertend auf die Tafel, auf dem alle zusammengetragenen Infos stehen, die uns weiterhelfen könnten.

»Alter, was ist dein Problem?«, frage ich ihn eindringlich und meine Stimme wird lauter. »Hast du schlechten Sex, lass es nicht an mir aus«, rede ich weiter.

»Besser schlechten Sex als gar keinen, Jason.« Chris blickt über seinen Computer.

»Das ist Bills Spruch.«

Er zuckt mit den Schultern. »Mein Problem ist, dass ich dieses Benehmen von Bill erwartet hätte, nicht von dir. Es hieß, ihr lasst die Finger von ihr und du beginnst schon beim Vorstellen mit …« Chris fuchtelt wild mit seinen Händen und haut schließlich mit der Faust auf den Tisch. »Mit was weiß ich«, schimpft er. Dabei dreht er sich um und schaut, ob irgendwer uns gehört hat.

Abrupt fange ich an zu lachen. »Mit was weiß ich?«, hake ich nach, er winkt ab und lacht, weil er nichts dergleichen aussprechen kann. Manchmal frage ich mich ehrlich, wie er es hinbekam, seine Frau zu finden und dann noch zu heiraten.

»Ich war nur freundlich.« Mein Zungenschnalzen ertönt durch den Raum und ich widme mich meiner Arbeit. Mit was weiß ich … Eigentlich hat er recht. Ich weiß selbst nicht, was ich da tue, was sie mit mir macht. Warum musste Alex unbedingt eine Frau und dann so eine junge ins Team holen? Ein Mann wie Henning wäre vollkommen ausreichend gewesen. Er war ein guter Kollege. Bestimmt frühstückt er gerade mit seiner Martha. Sie unterhalten sich über irgendwelche Nichtigkeiten oder was er alles von nun an mit ihr vorhat. Viel reisen, das ist sein Plan. Seine ersten Ziele sind Italien, die Toskana, der Schiefe Turm von Pisa und Carrara Marmor. Dann sollen Schottland und Irland drankommen. Er wollte unbedingt Haggis probieren, die Nordwest Highlands sehen und schließlich sollen noch unzählige andere Dinge hinzukommen. Er und Martha haben jahrelang auf Urlaub verzichtet. Selbst ich weiß nicht, wann ich zuletzt verreist bin. Ich glaube, vor meinem Studium bin ich mit meinem Vater zu meinen Großeltern geflogen. Das war kein richtiger Urlaub, das war ein Familienbesuch. Vor zehn Jahren war ich das letzte Mal dort. Ab und zu skypen wir mit meiner Tante. Ein lautes Stöhnen dröhnt durch den Raum und ich drehe den Kopf zu Chris.

Als ich in der Pause in mein Brot beiße, schaue ich auf die Tafel der Kelten und schließlich auf die von Konrad.

»Chris«, sage ich mit vollem Mund und er schaut zu mir und schluckt sein Baguette runter.

»Ja?«

»Meinst du, Konrad könnte zu den Kelten gehören? Oder zumindest seine Drogen von ihnen bekommen?«, frage ich ihn, als ich mein Brot aufgegessen habe.

»Vielleicht, dafür bräuchten wir weitere Infos.«

»Er würde auf jeden Fall ins Muster passen«, erkläre ich ihm und er schaut auf die Tafel.

»Das stimmt. Verrenn dich nur nicht. Eventuell haben wir Glück oder er ist einfach ein kleiner Deal vom Block.« Chris sieht alles viel zu realistisch und deshalb werde ich jetzt versuchen, mögliche Verbindungen zu finden.

»So eine Scheiße«, schimpft Chris und krallt sich an einen Stift.

»Was ist los?«, hake ich nach.

»Ich bekomme einfach keine weiteren Infos der Mitglieder der Kelten«, brüllt er mich schon fast an und wirft den Stift von sich, der schließlich auf den Fußboden runter rollt. »Fuck!« Chris steht sofort auf, um ihn aufzuheben.

Das erste Mal nach meiner Pause schaue ich auf die Uhr und mir fällt auf, dass wir schon fast Feierabend haben. Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, Berichte zu schreiben und Informationen zusammenzufassen.

Amelia und Bill kommen zurück. »Sie ist wirklich gut«, sagt Bill laut und sie lächelt. Ihr Lächeln ist so schön, bis sie zu mir schaut, dann ist es wie heute früh, ihre Mimik wird ernst. Sie blickt über ihren Schreibtisch und ich weiß, was ihr auffällt.

»Ich brauchte ihn noch einmal und habe ihn mir genommen. Immerhin habe ich ihn geschrieben«, erkläre ich ihr und schaue Amelia mit ernster Miene an. Was sie kann, kann ich schon lange. Wenn sie spielen will, dann los. Sie kommt zu mir und hält ihre Hand auf.

»Darf ich ihn zurückbekommen?«, bittet sie mich freundlich aber dennoch unnahbar.

»Er ist fertig«, antworte ich, stehe auf und stelle mich vor sie. Ihre Augen sind aufgerissen, ihre Pupillen geweitet und ihre Atmung ist stark. Sie schaut mir direkt in die Augen. Dann passiert irgendetwas mit ihr. Plötzlich stemmt sie ihre Hände in die Hüfte und prustet kurz.

»Ich möchte ihn gerne noch einmal lesen. Also bekomme ich ihn?«, fragt sie ziemlich fordernd. Mein Grinsen verkneife ich mir, lockere meine Schultern, drehe mich zur Schublade um und hole ihn schließlich heraus. In ihre ausgestreckte Hand lege ich den Bericht und während dieses Moments scheint sie bei mir zu sein. Sie reagiert sofort auf mich, denn ihre Augen funkeln und ihr Gesicht wird freundlich.

Was geht nur in ihrem hübschen Kopf vor sich, wenn sie erst solch eine Wärme in ihren Augen hat und dann so kalt wirkt? Als würde man heiß duschen und plötzlich betätigt jemand die Klospülung und das Wasser wird eiskalt. Ob ihr irgendeiner einst so weh tat, dass sie seit dieser Zeit bei jeglichen Gefühlen zu Männern Angst bekommt? Gestern war sie jedenfalls noch nicht so. Irgendetwas muss über Nacht passiert sein.

»Habt ihr was Neues herausgefunden?«, hake ich nach, um mich abzulenken, und spreche Bill an.

»Na ja, es scheint so, als würden sie jetzt auch ein Café und eine Bar in Tempelhof beliefern«, berichtet er.

»Ich bin heute vielleicht auf etwas gestoßen«, informiere ich Bill und Amelia. »Möglicherweise gehört Konrad zu den Kelten, er würde definitiv ins Profil passen: deutsch, hat einen mittelgut bezahlten Job, unscheinbar unauffällig.« Ich deute auf die Mitglieder der Gang und auf Konrad, die äußerlich schon sehr zusammen passen.

»Das wäre mal eine gute Nachricht. Wenn er tatsächlich so ist, wie Frau Blum ihn beschrieb, haben wir vielleicht gutes Spiel, um an ihn heranzukommen«, sagt Bill und lächelt.

»Ich werde morgen mit Alex reden, jetzt gehe ich in meinem wohl verdienten Feierabend«, verabschiede ich mich von Bill und Amelia, denn Chris will selbst gehen und hat seine Tasche schon umgehangen.

Im Auto ertönt sofort die Musik und ein wenig erschrecke ich mich, weil sie noch so laut ist. Nachdem ich mit dem Regler die Musik gedämpft habe, fahre ich zur Turnhalle.

Eine kurzhaarige Blondine kommt aus dem Gebäude, lächelt mich an und hält mir die Tür auf.

»Danke«, sagte ich zu ihr und das Strahlen wird breiter. Ich merke, wie sie mir noch einmal hinterherschaut. So wie der Parkplatz ist auch die Umkleide leer. Es standen nur drei Autos mit meinem dort. Das ist wahrscheinlich der Vorteil, wenn man den Schlüssel hat und den Geschäftsführer kennt. Man kann kommen, wann man will. Thomas ist da und als ich weiter in Richtung Halle laufe, höre ich Frauengekicher. Oh nein, heute ist Donnerstag: Bauch, Beine, Po. Die Blondine, die mir eben die Tür aufhielt, steht nun in kurzer Hose und Top im Flur. Dabei quatscht sie mit den anderen. Ich gehe an ihnen vorbei und jogge ein paar Runden um den Block, um mich warm zu machen. Wegen des kalten Windes, der mir ins Gesicht bläst, habe ich das Gefühl, meine Nase ist eingefroren. Es ist zwar arschkalt, doch Joggen geht zu jeder Jahreszeit. Als ich an dem Parkplatz vorbeilaufe, vermute ich, dass womöglich alle Frauen mit der Bahn fuhren. In dem Moment, als ich wieder hereinkomme, sind die Mädels schon alle in ihren Gymnastikhaltungen und Sandys Stimme hallt durch den Raum.

»Bildet euch ein, ihr würdet in ’ner Disco am Klo hocken. Ihr setzt euch nicht direkt auf die Brille. Das ist die beste Übung dafür.« Sie sieht mich und winkt in ihrer albernen Klositzübung. Jetzt, wo ich das sehe, bin ich froh, dass ich ein Mann bin und im Stehen pinkeln kann. Mit meinem Schlüssel öffne ich ein Tor, hole den Barren und das Pauschenpferd heraus, kreide meine Hände ein und beginne am Barren mit Schwung und Überschlagbewegungen. Danach alles, was ich kann. Als ich mich kurz über Kopf mit den Händen am Turngerät halte, kann ich den ganzen zwanzig Frauen auf die Pos schauen. Keine haut mich so um wie Amelia Malek. Keine Ahnung, ihr Hintern sah vorgestern in ihrer Leggings zum Anbeißen aus. Ich würde alles mit ihr anstellen. Alles, was sie mir von sich geben würde.

Alles, was sie möchte.

»Na, genießt du den Ausblick?« Ich höre Thomas Stimme in meinem mit Blut gefüllten Kopf, schwinge mich herum und lasse mich auf dem Boden nieder. Während ich meine Kreidespuren weggewischt habe, brumme ich kurz und schiebe den Barren zurück in das Tor, danach das Pauschenpferd.

»Ne, nicht mein Beuteschema.«

»Ich glaube, ein paar der Weibchen stehen auf dich.« Er lacht und ich tue es ihm gleich.

»Ich habe jemand anderen im Auge, sorry«, entschuldige ich mich und Thomas hebt seine Hände.

»Hey, bei mir musst du dich nicht rechtfertigen«, sagt er lächelnd und klopft mir auf die Schulter.

Die Gymnastikstunde scheint vorbei zu sein, als ich gerade aus der Dusche, nur umwickelt mit einem Handtuch, komme. Die Bauch-Beine-Po-Mädels schauen mich an, als sie mir entgegenlaufen.

Wäre ich nicht schon halb nackt, würden sie mich wahrscheinlich mit ihren Blicken ausziehen. Ich beachte sie kaum, dagegen starren manche mich an als wäre ich Freiwild und kichern.

»Wirklich heiß«, flüstert eine der anderen zu und ich muss laut loslachen. Stets sind es dieselben Frauen, die solche Kommentare ablassen. Ich sollte mir den Donnerstag merken, falls ich Amelia vergessen muss. Dann mach ich es wie Bill und vögele eine nach der anderen durch. Das ist mein Plan.

Zuhause setze ich mich vor den Fernseher und zocke noch ein bisschen an der Playstation. Bill ist online und wir spielen FIFA gegeneinander. Seine Atemzüge von der Zigarette kann ich genau hören.

»Also, wie gehts deinen Vögelchen?«, fragt er und ich weiß ganz genau, worauf er anspielt.

»Hast du mit ihr darüber geredet?«, frage ich ihn. Es interessiert mich. Wenn er irgendetwas zu ihr gesagt hat, werde ich zu ihm fahren und … Er lacht.

»Nein, sollte ich?«

»Nein«, brumme ich ihn durch das Headset an.

»Sie ist sehr nett und meine Gemeinheiten lasse ich. Sie ist zu schlau dafür. Amelia redet wenig. Das ist manchmal gruselig.« Also ist sie wenigstens nicht nur zu mir so. Das ist ein gutes Zeichen. Wobei sie sagte, dass sie die Stille mag.

»Wieso gruselig?«, schmunzel ich.

»Na ja, hast du jemals eine Frau kennengelernt, die wenig redet? Außer du schläfst mit ihnen, dann sind sie alle ruhig«, antwortet er mir und lässt dabei den Ball rein. »Ach scheiße«, flucht Bill, bevor ich einwenden kann.

»Hm … Bill, ich kenne keinen Typ, der so viel redet wie du.«

Er pustet den Qualm der Zigarette hörbar heraus. »Möglich. Ich habe halt zu Hause niemanden zum Reden. Immerhin hast du Edmund.«

»Der selbst wenig redet.«

»Also falls Amelia auf dich steht und ich glaube, dass sie das irgendwie tut, wirst du mit ihr gut klarkommen, denn sie ist im Endeffekt wie dein Edmund.« Herzhaft beginnt er mit seiner komischen lustigen Lache erneut und ich steige diesmal mit ein, obwohl es überhaupt nicht amüsant ist. Aber diese Lache …

»Und wie willst du sie für dich gewinnen?«, fragt er und seine Stimme ist plötzlich heißer. Ich schieße noch ein Tor und er flucht wieder. »Jason, du Drecksau.«

»Keine Ahnung, ich warte ab.« Das wird das Beste sein. Sie soll nicht denken, dass ich ein Idiot bin, was jedoch viele Frauen von mir behaupten würden. Im Gegensatz zu Bill. Wenn er alte Betthäschen trifft, freuen sie sich und schlingen sich um seinen Hals. Keine Ahnung, warum und wie das funktioniert. Entweder habe ich die falschen Frauen oder mit seinen Grazien stimmt irgendetwas nicht.

»Ernsthaft, abwarten?«, posaunt er entsetzt ins Headset.

»Ja, Bill, Geduld wird meistens belohnt.« Ich schieße noch ein Tor, weil er sich von unserem Gespräch ablenken lässt.

»Jason, mit dir macht das keinen Spaß.«

»Ich konzentriere mich eben auf das Spiel und nicht auf unsere Unterhaltung.«

»Ich höre auf. Du bist ein unfairer Spieler«, murmelt er und ich freue mich, dass ich gewinne.

»Bis morgen.«

Ich spiele noch ein paar Runden gegen virtuelle Gegner und gehe schließlich ins Bett. Heute bin ich alleine in der Wohnung. Mein Papa schläft bei Judith.

Viertes Kapitel

Die nächsten Tage sind wirklich ruhig. Amelia versucht mir aus dem Weg zu gehen, aber jedes Mal, wenn wir etwas bereden müssen, merke ich, dass eine Spannung herrscht. Irgendetwas hindert sie daran, darauf einzugehen. Wie lange sie das wohl durchhält? Ich kann jedenfalls recht gut damit umgehen, allerdings habe ich den Eindruck, sie flüchtet vor ihren Gefühlen.

Chris hat mich schon mehrmals angesprochen, dass ich sie in Ruhe lassen soll, wobei ich im Grunde gar nichts mache. Er fing mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und so einem Scheiß an. Bill war fast vom Stuhl gefallen vor Lachen und ich war so rasend, dass ich ihm fast an die Gurgel gesprungen war. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wäre es, wenn sie überhaupt nicht an mir interessiert wäre und ich sie anmachen würde. Amelia und mich verbindet etwas. Nur einer von uns versucht es zu ignorieren, und ich baggere sie nicht mal an.

Frau Blum stand die letzten Tage täglich vor meinem Schreibtisch und Bill nahm heute Amelia mit zur Observation. Alex hat angewiesen, dass die zwei es machen, weil ich von diesem Fall genervt bin, wenn man es überhaupt Fall nennen kann. Wir haben keine richtigen Beweise, um in sein Haus zu stürmen und es zu durchsuchen, und ob meine Vermutungen richtig sind, werden wir hoffentlich bald erfahren. Nachdem ich zu Alex gegangen bin und ihm die Sachlage erklärt habe und auch, dass die gute Frau ständig vor meinem Schreibtisch steht, hat er nun eine Observation angeordnet. Wenn bis heute Abend nichts passiert ist, wird das Ding erstmal geschlossen und vergessen. Hauptsache die Frau lässt mich endlich in Ruhe. Während die beiden eine Observation durchführen im Fall Konrad, werden Chris und ich zu einem der Cafés fahren und dieses beobachten.

»Amelia hat es dir angetan, richtig?«, fragt Chris, als wir auf das Café starren.

»Willst du mir jetzt wieder Vorwürfe machen?«

»Nein, aber du solltest dir überlegen, ob sie auch Interesse an dir hat.«

»Chris, ich weiß, du wohnst auf einem Nerdplaneten, der wenig Ahnung davon hat, aber selbst du musst doch merken, dass sie so sehr versucht, mich zu ignorieren, dass es komisch wirkt«, sage ich.

»Ja, sie versucht, dich zu ignorieren. Ich weiß auch nicht, du hast schon recht. Würde sie dich nicht mögen, würde sie sich anders verhalten.«

»Genau.«

Plötzlich kommt ein junger Mann mit großem Rucksack aus dem Café und steckt gerade noch seinen Geldbeutel in die Hosentasche. »Ich fahr langsam hinter ihm her«, informiert mich Chris und startet das Auto. Zwei Ecken weiter halten wir an und folgen dem Mann, um ihn kurz vor der Bahn zu stoppen.

»Hallo, warten Sie mal«, sage ich freundlich und wir laufen zu dem Schwarzhaarigen.

»Kommen Sie, wir gehen mal kurz an die Seite, wir sind von der Polizei«, informiert ihn Chris.

»Können Sie uns bitte Ihren Ausweis zeigen?«, frage ich.

»Meinen Ausweis habe ich verloren. Er ist neu beantragt worden.«

Ich habe das Gefühl, dass der Mann nichts mit den Kelten zutun hat.

»Haben Sie irgendwelche Sachen dabei, irgendwelche Drogen?«, fragt Chris und ich kontrolliere solange den Rucksack und den Geldbeutel des Mannes.

»Nein, ich bin Krankenpfleger und muss zum Nachtdienst.«

»Und wo wohnen Sie?«, frage ich nach und er erklärt uns, dass er über dem Café wohnt, welches wir beschatten.

Fuck. Gemeinsam laufen wir zurück zum Auto und Chris ruft Alex an, dass wir zurückkommen.

Nachdem wir Alex von dem Vormittag berichten, sitzen wir bis Abends am Computer.

Mein Handy vibriert und ich schiele darauf. Bill schrieb:

Jo, kommen jetzt zurück. Nichts ist passiert.

Morgen versuchen wir noch einmal unser Glück.

Morgen? Ich dachte, wenn sie heute nicht weiterkommen, ist es vorbei. Egal, wenn sie zurückkommen, werden sie Chris, Alex und mich bestimmt aufklären. Solange widme ich mich meiner Arbeit und schreibe auf unser Whiteboard. Gemeinsam mit Chris gehe ich ein anderes Szenario durch, von unserer Kelten-Gang. Dass wir momentan zweigleisig fahren, macht es nicht unbedingt einfach, dafür abwechslungsreich.

»Mit wie vielen Leuten hatte die Frau die letzten Tage Kontakt?«, frage ich Chris, der alle Daten auf seinem Computer hat. Bevor er antworten kann, klingelt plötzlich mein Handy und ich laufe zu meinem Schreibtisch. ›Sophia‹ prangt auf dem Display.

»Sophia, ist etwas passiert?«, frage ich, denn sie ruft mich nie an. Sie schreibt mit ihren fast siebzehn Jahren bloß irgendwelche kurzen Nachrichten.

»Jason«, piepst die Tochter von Judith ins Telefon.

»Sophia?«, frage ich noch einmal nach.

»Ja, alles gut. Kannst du mir einen Gefallen tun?«

Ich lasse mich in den Stuhl sinken, in dem Moment kommen Bill und Amelia. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, bin ich hin und weg von ihr. Obwohl es ziemlich kalt und regnerisch ist, trägt sie eine schwarze Lederjacke. Ihre Haare sind wie immer hochgesteckt. Amelia lächelt stark und Bill sagt etwas, was ich nicht verstehen kann, danach lacht sie laut auf. Ein wunderschönes Geräusch.

»Jason, tust du mir diesen Gefallen?«

Shit, ich hab nicht zu gehört. Nochmal nachfragen ist mir gerade unangenehm, weil Sophia die ganze Zeit geredet hat und ich ihr absolut nicht zugehört habe.

»Äh ja, mach ich. Erinnere mich noch einmal bitte dran.«

»Supi, du bist der Beste«, quietscht sie in den Hörer.

Bill nickt mir zu.

»Machs gut, Jason.«

»Jo, machs gut.« Ich zucke mit den Schultern und habe keine Vorstellung, was ich Sophia gerade für ein Versprechen gab. Ich lehne meinen Kopf nach hinten und Chris blickt zu mir rüber.

»Du hast keine Ahnung, oder?«

»So dramatisch wird nicht gewesen sein, was sie wollte«, antworte ich mit einem breiten Grinsen und bin auf Amelia fixiert. Unsere Blickkontakte kann sie selbst nicht meiden. Sie schaut mir in die Augen und ist todernst.

»Warum wollt ihr morgen nochmal hinfahren?«, erkundige ich mich.

»Weil heute ständig irgendwelche Leute in dieses Haus rein sind. Keine Ahnung, ob sie dort wohnen oder nicht. Wir haben sie nicht abgefangen, deshalb wollen wir morgen nochmal hin. Sollte es morgen wieder so sein, dann werden wir definitiv mal ein paar Besucher stoppen. Wir war’s bei euch?«, erklärt und fragt Bill.

»Ruhig. Wir haben einen angehalten, aber der wohnt über dem Café und hat mit Drogen nichts am Hut«, erzähle ich und Chris packt schon langsam zusammen.

»Jason und Chris, ihr werdet morgen hierbleiben. Ich denke, wir warten auf Amelias und Bills morgige Observation und dann überlegen wir, wie wir weiter vorgehen.«

»Alles klar«, murmeln wir alle vor uns hin. Sofort stehe ich auf und beschließe, Feierabend zu machen.

Daheim erwartet mich dann eine Überraschung. Wie ein altes Ehepaar liegen Judith und Edmund auf dem Sofa. Na ja, sie sind alt, bloß nicht verheiratet. Ich glaube, das wird nicht mehr passieren. Edmund hat meine Mum nur geheiratet, weil ihre Eltern darauf bestanden, denn ein uneheliches Kind wäre ein Satansbraten oder so ähnlich. Ich war geplant, allerdings haben weder meine Mum noch mein Vater damit gerechnet, dass sie heiraten müssten.

»Essen ist im Kühlschrank«, informiert mich Judith mit einem Lächeln. Anscheinend bleiben sie heute hier. Mit meinen Hausschuhen schlurfe ich in die Küche und öffne den Kühlschrank. Dort steht eine große Portion Lasagne á la Judith. Mit enormem Hunger nehme ich den Teller, stelle ihn für zwei Minuten in die Mikrowelle und schließlich ist mein Essen warm. Judith kommt in die Küche, setzt sich auf die Eckbank, legt ihre langen braunen Haare über ihre linke Schulter und beobachtet mich.

»So, was wolltest du denn mit mir bereden?«, fragt sie und ich habe keine Ahnung, was sie meint, und überlege. Mir fällt nichts ein und ich beschließe, mit den Schultern zu zucken.

»Sophia sagte, du wolltest mit mir reden und deshalb sollen wir heute hier schlafen«, erklärt sie lauter und ich ärgere mich über mich selbst. Shit. Was hat sie nur gesagt? Welchen Gefallen sollte ich ihr machen? Ich habe absolut keine Ahnung. »Meine Mädels und ich«, waren ihre ersten Worte. Danach habe ich nicht mehr zugehört. Wegen Amelia war ich nicht mehr aufnahmefähig. Diese Frau wird mir echt zum Verhängnis.

»Du weißt es nicht?«

Ich wische mir mit einer Serviette den Mund ab und trinke einen Schluck Wasser.

»Sorry, nein, sie hat angerufen und hat es erzählt, allerdings wurde ich von der Arbeit abgelenkt und dann habe ich nur noch gesagt, dass ich ihr den Gefallen tue. Hat sie dich gar nicht gefragt oder irgendetwas gesagt, worum es geht?«, erkläre ich mich.

Judith schüttelt mit einem vorwurfsvollen Blick den Kopf. Sie ist sauer, denn ich habe ihrer Tochter mein Wort gegeben, habe aber keine Ahnung wofür. Sie hätte wirklich alles sagen können und ich hätte ja gesagt, weil ich von dieser unglaublichen Frau abgelenkt war.

»Ruf sie an und kläre das, dann können wir morgen früh beim Frühstück darüber reden. Sophia schläft heute bei ihrem Papa«, schimpft sie und hat diesen Blick drauf, den nur Sozialpädagogen draufhaben können. Furchtbar. Sie hat recht. Ich muss Sophia anrufen und fragen, was sie wollte. Sie wird schon nicht sauer sein. Aus der Hosentasche hole ich mein Handy und gehe auf Sophias Namen. Judith steht auf, geht zurück ins Wohnzimmer und schließlich laufe ich in mein Zimmer. Während es weiter tutet, lege ich mich ins Bett und warte, dass Sophia endlich an ihr Handy geht.

»Jason, hat sie ja gesagt?«, fragt sie, als würde sie vor Freude ausflippen.

»Sophia, ich muss dir sagen, ich habe keine Ahnung, worum du mich bittest. Ich war durch die Arbeit plötzlich abgelenkt. Kannst du es mir noch einmal sagen?«

Sie schnieft. »Och Jason.«

»Sophia, wenn es dir wichtig ist, dann sage es noch einmal und dann tue ich es, wenn es nichts Schlimmes ist«, füge ich hinzu.

»Also du bist doch alt.« Sie lacht.

»Danke, aber nein, alt bin ich nicht«, korrigiere ich sie reserviert.

»Eben hast du es bejaht«, kichert sie.

»Eben war ich abgelenkt, also schieß los, sonst überlege ich es mir mit dem Gefallen anders.«

»Ja, ist ja gut. Meine Mädels und ich wollen ins Confessions. Ich brauche einen Erwachsenen. Keine Ahnung, wen die Mädels haben, jedoch gehen sie dort öfter hin. Mama verbietet es mir. Also kamen wir auf die Idee, meinen coolen Stiefbruder zu fragen.« Ihr Lachen ist unbeschreiblich und ich stöhne. Disco. Confessions.

»Wann denn? Dieses Wochenende arbeite ich.«

»Dieses ist fast rum.« Da hat sie recht.

»Nächste Woche Samstag. Fragst du Mama? Du bist ja dabei, du musst ihr versprechen, dass mir nichts passieren wird und dass du auf mich aufpasst. Wir können ja drinnen dann getrennte Wege gehen. Du willst bestimmt nicht den ganzen Abend bei uns rumhängen und wir wollen dich ebenfalls nicht die ganze Zeit bei uns haben. Immerhin wissen die Mädels, dass du Bulle bist, und du bist halt alt. Das ist nicht unbedingt cool. Das macht dein gutes Aussehen nicht weg«, sagt sie rechthaberisch.

»Sophia, wenn ich mitkomme, werde ich sicherlich nicht die ganze Zeit bei euch sitzen. Ich werde einen Kumpel mitnehmen und ich nehme dich mit hin und mit nach Hause, selbst wenn ich nach zwei Stunden wieder fahre. Alles klar? Außerdem werde ich dich im Auge behalten.«

»Was, nach zwei Stunden?« Sie ist entsetzt und ich brumme laut. »Ja, alles klar.«

Ich muss wohl ein paar Regeln aufstellen. »Wenn du muckst, mach ich es gar nicht.«

»Ja, alles gut, ich freue mich. Wann holst du mich ab? Die Mädels fahren so um zehn hin.«

Will sie jetzt schon eine Zeit ausmachen? Oh Mann. »Keine Ahnung, ich sag dir nochmal Bescheid. Außerdem muss ich mit deiner Mum erstmal reden.«

»Ach, du machst das schon als großer Bruder, bloß lass die Kamera daheim.«

Jetzt bringt sie mich zum Lachen. Großer Bruder … und mich gleichzeitig alt nennen. Ich verabschiede mich, lege auf und starre die Decke an.


Fünftes Kapitel

Judith ist nicht gerade begeistert. Sie ließ sich dennoch von meinem Charme und vielen guten Worten von Edmund überreden. Lange werde ich sowieso nicht im Confessions verweilen. Ich schreibe meinem Kumpel Cedrik, mit dem ich in letzter Zeit öfter weggehe. Mit ihm bin ich schon ewig befreundet und er ist solo wie ich. Wir haben uns beim Turnen kennengelernt. Bloß dass er noch besser in seinen Bewegungen und Abläufen ist als ich. Seine sind flüssiger. Er antwortet schnell und ich fahre zur Arbeit. Wenigstens habe ich das nun geregelt.

Als ich im Präsidium bin, sind nur Chris und Alex schon da. Bevor ich zu ihnen laufe, stelle ich meine Tasche ab und ziehe die Jacke aus.

»Guten Morgen«, begrüße ich schließlich beide.

»Guten Morgen«, antworten sie gleichzeitig.

»Kaffee?«, fragt mich Alex, ich hole eine Tasse aus dem Schrank und er gießt mir ein. Die Küche ist oft unsere erste Anlaufstation morgens. Meistens stehen noch andere Kollegen in dem kleinen Raum, allerdings sind heute nur wir hier.

»Wie läuft es denn mit Amelia?«, hakt unser Chef nach und ich habe das Gefühl, er erwartet eine Antwort von mir und nicht von Chris.

»Bill war die letzten Tage mit ihr unterwegs. Er hat noch nichts Negatives über sie erzählt«, antwortet ihm unser Rotschopf, doch Alex schaut mich weiter an.

»Jason, was sagst du?«, bohrt er nach.

»Ja, ich denke, sie ist ganz gut«, sage ich und drehe mich um, damit ich den Raum verlassen kann. Doch Bill kommt in unsere Runde und verhindert, dass ich gehen kann.

»Moin«, sagt er und begrüßt uns mit einem strahlenden weißen Lächeln, während er sofort eine Tasse aus dem Schrank holt, sich an Alex und Chris vorbeizwängt, um an die Kaffeekanne zu kommen.

»Bill, du hast am meisten mit Amelia zusammengearbeitet, was hältst du von ihr?«, fragt Alex ihn und das Gefühl, dass er irgendetwas von mir mitbekommen hat, vergeht.

»Amelia ist gut. Sie ist ziemlich pfiffig und kann auch mal ums Eck denken.« Bill schlürft seinen Kaffee und redet dann weiter. »Na ja, sie ist halt sehr ruhig. Es ist schon komisch, mit ihr zusammen stundenlang in einem Auto zu sitzen. Manchmal denke ich, ich führe Selbstgespräche, weil sie nicht antwortet.«

»Schläft sie?«, hakt Alex nach und grinst.

»Nein, sie ist wach und sagt einfach nichts.«

»Jason, das wäre die beste Partnerin für dich. Henning ist ja fort und dein Vater ist ja auch ein stiller Zeitgenosse«, sagt Alex. Jetzt beschließe ich, wirklich zu gehen. Das wird mir zu bunt. Einerseits hätte ich die Chance, Amelia kennenzulernen, andererseits würde ich dann völlig durchdrehen wegen ihr. Verdammt, ich kann mich nicht erinnern, jemals so verknallt gewesen zu sein. Die anderen drei kommen mir nach und Amelia läuft auf uns zu.

»Guten Morgen, Baby«, begrüßt Bill Amelia genauso glücklich wie uns eben.

»Baby? Ist das dein Ernst?«, fragt sie ihn vorwurfsvoll. Ich kann gar nicht anders als Bill anzustarren. Wenn sie ihn nicht schon gefragt hätte, würde ich ihn das jetzt fragen.

»Na ja, Baby hört sich doch gut an. Du bist allein unter uns Männern und das Küken. Also Baby«, erklärt er und trinkt noch einen Schluck Kaffee, um seine Tasse schließlich auf seinen Schreibtisch zu stellen.

Ich tue es ihm gleich und beginne, am Computer zu arbeiten. Irgendwann fahren Bill und Amelia gemeinsam los, um noch einmal diesen Malte zu observieren. Vertieft in die Arbeit bekomme ich nicht mal mit, dass es dunkel wurde. Arbeit ist die beste Medizin, um sich abzulenken.

»Hey Jason, willst du mit zum Schießen kommen?«, fragt mich Chris und ich schaue das erste Mal bewusst von meinem Bildschirm weg.

»Komm, du bist völlig neben der Spur wegen Amelia, ich meine das nicht böse. Es fällt nur extrem auf«, sagt er, während er aus meiner Stiftebox einen Kugelschreiber herausholt und damit auf dem Schreibtisch klopft.

»Jo, ich komme mit. Du hast recht«, gebe ich zu und schließe das Programm. Ich mache alles aus und stehe auf.

»Warum gehst du schießen? Das machst du doch sonst nicht«, frage ich, als wir zum Aufzug laufen. Chris drückt den Knopf für den Fahrstuhl und seine Mundwinkel gehen leicht nach oben, allerdings nur für den Bruchteil einer Sekunde, um dann ernst zu schauen.

»Zu Hause herrscht dicke Luft«, erklärt er mir, als wir in den Fahrstuhl einsteigen. Von wegen besser schlechten als gar keinen Sex …

»Ich dachte, ihr lebt in einer Seifenblase«, sage ich mit Ironie und er lacht.

»Nein. Schön wäre es«, antwortet er wieder ernst.

»Was hast du gemacht?«, hake ich nach, um mich weiter mit seinen Problemen zu beschäftigen statt mit meinen.

»Warum denkst du, dass ich einen Fehler gemacht habe?«, stellt er eine Gegenfrage und ich grinse breit.

»Weil man als Mann immer schuld ist, egal ob man etwas falsch gemacht hat oder nicht. Irgendwer muss doch schuld sein. Du kennst doch das andere Geschlecht, das immer recht hat und nie schuld ist«, erkläre ich ihm und er beginnt diesmal mit mir zu lachen.

»Ich habe mich auf die Seite ihrer Mutter gestellt. Das ist ein ganz böser Fehler gewesen«, murmelt er.

Chris und ich bewaffnen uns, dann geht es los. Worum es ging, habe ich nicht erfahren, aber das spielt eigentlich auch keine Rolle. Als wir fertig sind, fahren wir wieder hoch und packen unsere Tasche zum Gehen.

»Wo wollen wir hin?«, richtet Amelia das Wort an und ihren Blick auf Bill als die beiden von ihrer Observierung kommen und ich gerade Platz nehme. Ich sitze steif in meinem Stuhl und meine Hände glühen. Warum fällt Bill mir jetzt in den Rücken? Mit Schwung hängt sie ihre Tasche über ihre Schulter und Bill lächelt mich an.

»Wir wollen einen trinken gehen, wollt ihr mit?« Schließlich zwinkert er mir zu. Eigentlich wollte ich nach Hause. Nun haben sich meine Pläne kurzfristig geändert.

»Nein danke, ich will heim«, sagt Chris und ich nicke. Trotz des Stresses zu Hause will er dorthin? Crazy.

»Wo wollt ihr denn einen Absacker trinken?«, hinterfrage ich. Bill blickt über seine Schulter zu Amelia, die knurrig schaut. Ob es an mir liegt?

»Wir könnten in die Bar gehen, wo wir mit Henning waren. Die war ganz nett oder nicht?«, bietet Bill an. Ich habe nichts einzuwenden.

»The Lazy, weißt du, wo die ist?«, fragt Bill Amelia und er spielt den Ahnungslosen.

»Ja, ich fahr los. Wir treffen uns dort«, sagt sie hastig und verschwindet. Schnell wie ein Blitz dampft sie ab.

»Alter, du setzt ihr ziemlich zu«, behauptet Bill plötzlich und ich schaue ihn erschrocken an.

»Was meinst du damit? Ich mach doch überhaupt nichts.«

»Sie mag es nicht, angestarrt zu werden, und das machst du. Das kann jeder von uns bezeugen. Ich würde meinen Arsch verwetten, dass es sogar Alex schon aufgefallen ist.«

Ich brumme. »Sie ist bildhübsch.«

Er grinst und klopft mir auf die Schulter. »Du drehst völlig durch wegen ihr«, stellt er die nächste Behauptung auf, bei der er nicht ganz unrecht hat. Tatsächlich drehe ich bald durch und sie ist erst eine Woche bei uns.

»Du dachtest, ich hintergehe dich.«

Ich weiß, was er meint. »Keine Ahnung, sie ist …« Ich höre auf zu reden, denn ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll.
»Na ja, du kannst heute Abend dein Glück versuchen. Ich kann ja früher abhauen«, bietet er mir an, als wir gemeinsam zum Fahrstuhl laufen. Die Türen gehen sofort auf, nachdem ich den Knopf drücke, und wir steigen ein.

»Ey man, du musst das mit Alex ausmachen. Ich stehe dir nicht im Weg, wenn sie dir so zusetzt. Allerdings … Was willst du machen, wenn du sie nicht bekommst?«, beginnt er von neuem und hat mein kritisches Gesicht gesehen.

»Darüber denke ich später nach. Allerdings glaube ich ehrlich gesagt, dass ihr irgendetwas Angst macht, dass sie mich deshalb nicht an sich ran lässt und es mir daher erschwert«, antworte ich ihm, er nickt und öffnet sein Auto.

»Möglich wäre es. Bis gleich.«

Wir steigen in unsere Autos und fahren zum Lazy. Als ich parke, stehen Bill und Amelia schon vor der Tür und Bill zieht noch eine Kippe durch. Kurz blicke ich auf den Rücksitz, wo meine Kamera liegt. Ob ich sie mitnehmen soll? Als ich aussteige, entscheide ich mich dafür, hole sie vom Rücksitz und bemerke beim Autoabschließen, dass Amelias Auto nirgends parkt. Ob Bill sie abgeholt hat? Jedoch wäre er dann später als ich gekommen. Wir suchen uns einen Tisch in der Kneipe.

Heute bedient uns relativ schnell eine Kellnerin, obwohl es voller ist als beim letzten Mal.

»Hallo Amelia, wie immer?«, wird unsere Neue begrüßt. Anscheinend ist sie öfter hier. Sie nickt und lächelt die Brünette an.

»Und die Herren?« Ein Lippenbandpiercing kommt zum Vorschein, als die Kellnerin uns anlächelt.

»Ich trinke ein Bier.«

»Und ich einen Single Malt«, bestellen Bill und ich nacheinander. Die Brünette notiert es sich und verschwindet. Diesmal bin ich der Angestarrte. Amelia schaut mich an und ich versuche, es zu ignorieren. Es stimmt, es ist unangenehm, ständig unter Beobachtung zu stehen. Vielleicht sollte ich damit aufhören, aber ich bin ihr verfallen.

»Also du bist öfter hier?«, beginnt Bill ein Gespräch. Er redet gerne und versteht sich gut mit ihr. Ich kann mir vorstellen, dass Amelia ihm zuhört und er ihr während der Observationen die Ohren fusselig quatscht.

»Ja, ich kenne den Inhaber, er besitzt ein Boxstudio, welches ich regelmäßig besuche.«

Sie boxt? Amelia sieht nicht aus, als würde sie Kampfsport betreiben. Ich dachte eher an Yoga, Pilates oder Joggen. Eben das, was Frauen an Sport machen.

»Also kannst du auf dich alleine aufpassen?«, richte ich eine Frage an sie, ziehe meine Lederjacke aus und schiebe die Ärmel des Shirts hoch. Sie starrt regelrecht auf das Tattoo, das ein Stück zum Vorschein kommt. Ich spanne absichtlich meine Muskeln an und ihre Augen fixieren sich noch mehr auf meinen Arm. Man könnte meinen, sie hätte noch nie eins gesehen. Habe ich sie damit jetzt sprachlos gemacht?

»Nicht dass du uns verhaust, wenn wir nicht spuren«, scherzt Bill und grinst.

»Ich denke nicht«, antwortet sie frech. Sie hat auf meine Frage nicht einmal geantwortet. Also probiere ich noch ein weiteres Mal, ein Gespräch mit ihr zu beginnen, nachdem uns die Kellnerin die Getränke hinstellt.

»Wie kommt eine Frau wie du zum Boxen und zur Polizei?«

Amelia zuckt mit ihren Schultern. »Warum nicht? Warum bist du denn bei der Polizei? Und du machst sicherlich auch Sport.« Sie nimmt ihr Glas und deutet auf meinen Körper, während sie trinkt. Am liebsten würde ich laut loslachen, denn es erinnert mich an die Frauen bei der Gymnastik. Ihre Augen funkeln mich gnadenlos an und ich bin mir nicht sicher, ob sie flirtet oder mich provozieren möchte.

»Weil hübsche Frauen nicht zur Polizei gehen – jedenfalls nicht so hübsche wie du – und nicht boxen. Ja, ich turne«, versuche ich meine Meinung zu vertreten. So bezaubernde Polizistinnen kenne ich nicht. Die Attraktiven sitzen im Büro und sind Sekretärinnen und keine Bullen. Bill hat, glaube ich, alle, die jünger sind als er und gut aussehen, durchgenommen. Mit einer hatte er eine Liebschaft. Eine richtige feste Beziehung. Das, was Bill meistens ablehnt. Irgendwann wollte sie bei ihm einziehen und sprach vom Kinderkriegen. Bill schob einen Riegel davor und beendete die Sache.

»Du turnst und ich verurteile dich deshalb auch nicht, oder? Ich wollte schon von klein auf zur Polizei«, erklärt sie mir mit einem bissigen Nachgeschmack. Bill amüsiert sich gerade köstlich, dafür kenne ich ihn gut genug. Seine Mimik kann ich lesen wie ein Buch und wenn er an den Wangen Grübchen bekommt, versucht er, sein Lächeln zu verstecken.

»Man könnte sich ebenso gut für das Kompliment bedanken«, sage ich reserviert, schaue ihr dabei in die Augen und presse meinen Kiefer zusammen. Nach einer Weile weicht sie meinem Blick aus und schließlich trinke ich einen Schluck Whiskey. Sie trinkt dasselbe. Das wusste ich nicht, weil sie ja ›wie immer‹ bestellte.

»Solange du mich ständig beobachtest und anstarrst, habe ich kein Verlangen, dir gegenüber gutes Benehmen zu zeigen. Denn sowas gehört sich gleichermaßen nicht«, sagt sie und fühlt sich sofort angegriffen. Langsam finde ich es selbst amüsant, wie sehr ich sie auf die Palme bekomme, und lehne mich zurück. Mit der Hand fahre ich über meine kurzen Locken und plötzlich beißt sie sich auf die Unterlippe und starrt mich an.

Was sie in diesem Augenblick denkt? Als wolle sie ihr Haar aus dem Gesicht schütteln, bewegt sie ihren Kopf hin und her, dabei sind sie wie eh und je zu einem Dutt gebunden. Ob sie ihre Haare überhaupt offen trägt? Sie hat sie die ganze Woche zusammengesteckt.

Auf einmal steht sie auf und läuft in Richtung Toilette.

Bill lacht. »Das wird ja noch ein Spaß. Sie ist scharf auf dich, trotzdem will sie dich nicht«, sagt er überzeugt und belustigt sich. »Das ist wie früher: Was sich neckt, das liebt sich.« Meint er das ernst? Nun stehe ich selbst auf. Mit beiden Händen klopft Bill auf den Tisch. »Wollt ihr mich alleine lassen?«

Von selbst hebt sich meine rechte Hand und winkt ab.

Was sich neckt, das liebt sich. Tzzz. Irgendwie muss ich doch unter ihre harte Schale kommen.

Als ich aus der Herrentoilette gehe, kommt sie gerade aus der Damentoilette heraus. Sofort läuft sie einen Schritt zurück, sodass ich direkt in diese wunderschönen Rehaugen blicken kann, in denen ich mich jedes Mal verliere. Mein Herz macht viele schnelle Sprünge. Vielleicht ist das die Gelegenheit und das Schicksal will es so? Langsam stütze ich mich mit der linken Hand am Türrahmen ab und beuge mich leicht zu ihr. Am liebsten würde ich sie jetzt küssen.

»Ich schaue dich an, weil du so wahnsinnig attraktiv bist. Warum gehst du mir aus dem Weg, Amelia?« In dem Moment, als ich das sage, weiten sich ihre Augen noch mehr und ihre Beine sind leicht geöffnet. Abwechselnd starrt sie auf meinen Mund und in meine Augen. Vorsichtig kommt sie ein Stück auf mich zu, ich rieche ihren Duft von Sheabutter und ergreife die Chance, über ihre Wange zu streichen. Scheiß drauf! Ich küsse sie einfach. Ihre Körpersprache spricht Bände, trotz dass sie sonst so verschlossen ist. Bevor meine Lippen auf ihren landen können, stößt sie mich weg und läuft unter meinem angehobenen Arm durch. Ich blicke ihr nach und lehne mich nun selbst am Türrahmen der Damentoilette an, um kurz tief durchzuatmen.

Amelia ist wirklich schwerer zu bekommen, als ich für möglich gehalten habe. Wenigstens wurde ich bestätigt, zumindest von ihrem Körper. Der will mich. Als wir nacheinander zu unserem Tisch laufen, grinst uns Bill an.

»Ihr habt das Beste verpasst. So ein Fettsack hat gerade sein Bier auf sein Date geschüttet. Die Frau ist sofort herausgerannt und er hat versucht, sie einzuholen, ohne zu bezahlen«, erzählt er uns und Amelia lächelt ihn an. »Na ja, er kam kurze Zeit später zurück, um zu bezahlen. Sein Date hat er nicht einholen können.« Bill klopft mit der Faust auf den Tisch und lacht. »Ihr habt echt was versäumt. Alle haben zu ihm geschaut. Manche haben ihn sogar angefeuert.«

»Hauptsache du hattest deinen Spaß«, sage ich und schaue dabei Amelia an, die ihre Augenbraue hochzieht und schweigt.

Schließlich erzählt mein Kollege Geschichten über Henning.

»Amelia, du musst seine Position in Ehren halten. Henning war für Jason sowas wie ein Ratgeber. Sein Vater ist etwas schweigsam«, erklärt er ihr und während sie ihm zunickt, wandern ihre Augen zu mir. Plötzlich tippt mich jemand an meinem Fuß an. War sie das? Unauffällig lehne ich mich am Stuhl zurück und schaue unter den Tisch. Tatsächlich - sie war es.

»Das heißt aber nicht, dass ich jetzt die neue Frau Ratgeberin bin, oder?«, fragt sie und lacht unerwartet. Macht sie sich über mich lustig?

»Nein«, antworte ich lächelnd.

Ihr Lachen ist engelsgleich.

Bill streckt sich und gähnt. Das ist das Zeichen. Er will mir eine Chance geben. Sie hat ihren Becher noch fast voll.

»So, ich sage gute Nacht«, verabschiedet sich Bill, steht auf und klopft auf den Tisch, um an der Theke zu bezahlen. Ruckartig steht Amelia mit auf und ext ihr Glas weg. Sie verwundert mich immer wieder. Als sie mit dem Schrank letzte Woche hier war, exte sie ebenfalls alles runter.

Erneut flüchtet sie vor mir und ich habe keine Chance, mit ihr alleine zu sein. Hat sie gerade eben nicht versucht, mit mir zu füßeln? Bill huscht in sein Auto und fährt los. Er ist echt ein feiner Typ, wenn es darum geht. Wie konnte ich eben plötzlich so schnell eifersüchtig werden? Das ist überhaupt nicht meine Art.

»Ich kann dich mitnehmen, dann musst du nicht alleine nach Hause laufen«, biete ich Amelia an, als ich der Kellnerin das Geld in die Hand drücke. Ich spiele meine letzte Chance aus, mit meiner Kollegin kurz zu reden. Als ich ihr die Bartür aufhalte, schaut sie mein Auto an und schließlich nach links. Wahrscheinlich muss sie in diese Richtung laufen. Ich öffne die Autotür und versuche, liebevoll nach ihrer Hand zu greifen, um sie zu überreden. Doch sie zieht sie schnell weg und ihre Hand entgleitet mir wie ein nasses Stück Seife.

»Danke, das Stück kann ich laufen. Ich bin auch hergelaufen.« Warum ist sie nur so vorsichtig? Die Autotür bekommt von mir einen kleinen Schubs, dass sie sich schließt, und ich riegel das Auto mit dem Schlüssel ab. So weit wird es schon nicht sein, also begleite ich sie. Langsam komme ich mir selbst dämlich vor. Irgendwie kommt der Jäger in mir hervor und ich will sie. Ich will sie verdammt nochmal mit Haut und Haaren.

»Was machst du? Ich kann alleine nach Hause laufen. Ich bin schon groß.« Endlich schenkt sie mir ein Lächeln. Es ist nur für mich.

»Ich bringe dich ein Stück, dann weiß ich, wo du wohnst«, antworte ich und zwinkere ihr ungewollt zu.

»Jason, wir sind Kollegen.« Ehrlich, versucht sie es auf diese Tour? Hat Alex ihr das eingebläut und ist sie deshalb so zu mir?

»Genau aus diesem Grund möchte ich, dass du sicher zu Hause ankommst und morgen gut ausgeschlafen zur Arbeit erscheinst.« Jetzt zwinge ich mir ein Lächeln auf und versuche, nicht die Beherrschung zu verlieren wegen Alex. Wie kann er einer Neuen sowas sagen? Oder ist sie selbst der Auffassung?

Ich probiere, mehrmals mit ihr das Gespräch zu suchen, aber sie schweigt mich an. Damit kann ich leben. Das bin ich gewohnt von meinem Papa, wobei er mich nicht anschweigt, weil er versucht, mir zu entweichen, sondern weil er nicht sehr gesprächig ist. Stattdessen pfeife ich und beobachte sie von der Seite. Sie wird mich nicht hereinbitten. Dafür kämpft ihr Kopf zu sehr gegen mich.

Kurz schaut sie mich von der Seite an und bleibt bei der Haustür eines Wohnblocks stehen. Ihre Augen funkeln in dem Straßenlicht, sie ruhen in meinen und mein Herz macht einen gewaltigen Sprung. Gleichzeitig beißt sich Amelia erneut auf die Unterlippe und zieht ihre Augenbraue hoch, als ob sie den Hopser meines Herzens mitbekam.

Verdammt macht sie mich an. Allein bei dem Gedanken könnte ich sie, wenn sie nicht so gegen sich kämpfen würde, jetzt küssen.

»Also hier wohnst du?«, versuche ich mich selbst abzulenken.

»Ja, sieht so aus«, antwortet sie erneut mit einem Lächeln und schaut hoch zu den Fenstern. Laut Klingelschild wohnt sie ganz oben. Ohne weiter darüber nachzudenken, ziehe ich sie an ihrer Jacke zu mir und drücke meine Hand liebevoll an ihren Rücken, sodass sie näher bei mir ist. Hörbar schnappt sie nach Luft und atmet schnell. So schnell, wie mein Herz klopft. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Wenn ich es überhaupt jemals so intensiv erlebt habe. Ihr Körper schmiegt sich an meinen und ihr Kopf neigt sich nach hinten und …

»Amelia, wenn du dich nicht so wehren würdest, würde ich …« Ich stoppe mein Wispern vor ihren Lippen und lasse sie gehen. Sie ist mir total verfallen, aber ich weiß, würde ich sie küssen, wäre es nicht gut. Sie muss es selbst zulassen und aufhören zu kämpfen. Als sie Abstand hat, schaut sie mich mit einem liebevollen Blick an, dreht sich um und öffnet die Tür.

»Also dann, bis morgen«, verabschiedet sie sich und schließt die Tür, bevor ich etwas sagen kann. Jedoch spüre ich, dass sie noch hinter der Tür steht. Ich lache auf und laufe zu meinem Auto zurück. Sie wohnt wirklich nicht weit von der Kneipe entfernt.

Sechstes Kapitel

Die Musik von Limp Bizkit ist eigentlich zu laut zum Joggen, allerdings ist mir das egal. Meine Füße tragen mich und ich bin außer Atem, als ich vor der Tür stehe und mich dehne. Meinen Kopf drücke ich gegen die kalte Hausmauer, öffne die Haustür, laufe die Treppe hoch und dusche schließlich. Die letzte Nacht habe ich nicht gut geschlafen, ich musste die ganze Zeit an Amelia Malek denken, die mir seit unserer ersten Begegnung den Kopf verdreht hat, ohne dass sie es wollte. Sie wollte einfach nur arbeiten und nun hat sie mich an der Backe.

Heute habe ich mir vorgenommen, Alex zu greifen. Meine Frage lautet, ob er Amelia diesen Scheiß von wegen ›Finger weg von den Kollegen‹ eingebläut hat. Bei diesem Gespräch werde ich erfahren, ob es von ihr kommt oder von ihm, dass sie so gegen mich ankämpft.

Das Wasser prasselt auf mich nieder und fließt an meinen Muskelumrissen runter, als wären sie eine Straße. Nach dem Duschen frühstücke ich schnell und hole mir einen ›Coffee to go‹ beim nächsten Bäcker.

Niemand von unserem Team ist da, nicht einmal Alex. Das ist gut. So kann ich ihn gleich abfangen und niemand wird es mitbekommen. Etwas blöd ist es schon, wenn ich ihn darauf anspreche, jedoch habe ich keine andere Wahl. Ich will sie, auch wenn das heißt, dass ich gleich einen Einlauf vom Chef kassiere. Geradewegs und gut gelaunt läuft Alex zu mir. Das einzig Positive ist, wir haben einen guten Draht zueinander. Nicht nur auf Arbeitsbasis, sondern auch auf persönlicher Ebene.

»Guten Morgen, du bist außergewöhnlich früh«, begrüßt er mich.

»Ja, ich wollte mit dir sprechen«, antworte ich und er schaut mich mit seinem Chefblick an.

»Ich glaube, ich weiß, worum es gehen könnte. Lass uns in mein Büro gehen.«

Ruhig und sachlich bleiben …

»Was denkst du denn, worum es geht?«, frage ich und versuche, ihn auf persönliche Ebene zu erreichen und nicht als Chef. Er lächelt, allerdings ist es schon eher ein Auflachen.

»Um Amelia.« Das ist eine reine Feststellung, die sogar korrekt ist. »Jason, ich kenne euch und sehe jedem Einzelnen an, wenn er ein Päckchen mit sich herumträgt, und ich weiß sofort, worüber ihr reden wollt, wenn ihr in mein Büro kommt. Ich bekomme viel mit, trotz dass ich oft in meiner Kammer sitze.« Er blickt um sich und lächelt. Wir denken oft, dass er total abgeschottet ist und nichts mitbekommt. Letztlich überrascht er uns mit seinem Wissen.

»Also meine kleine Ansprache hat bei Bill und dir nicht funktioniert. Bill ist ja ziemlich zuvorkommend, das hätte ich nicht gedacht. Ich habe euer Knistern schon beim Kennenlernen gemerkt. Sie hat dich angeschaut, wie meine Inka mich beim ersten Zusammentreffen ansah«, erläutert er weiter.

»Hast du ihr auch einen Vortrag gehalten im Sinne von ›keine Beziehung unter uns Kollegen‹?«, frage ich sofort nach. Völlig verwirrt sieht er mich an.

»Nein, das kann ich ihr nicht vorschreiben, denn ich kenne sie ja nicht so wie euch. Ich habe es nur bei euch getan. Es galt eher Bill.«

Also kommt dieses »Wir sind Kollegen« nicht von ihm, sondern von ihr.

»Wolltest du das wissen, weil sie sich nicht auf dich einlässt?«

Darauf werde ich nicht eingehen, das ist privat und es geht ihn im Grunde nichts an. Bill und Chris mischen sich schon viel zu sehr ein. Alex streckt den Kopf und gibt mir mit seiner Gestik ein Zeichen. Sofort drehe ich mich um und sehe sie durch sein Fenster. Amelia blickt auf meinen Schreibtisch. Sie schaut nicht böse oder ernst. Ihr Ausdruck sieht entspannt aus, wie ihre ganze Körperhaltung.

Ohne dass ich meinen Blick von ihr wenden muss, weiß ich, dass Bill auch da ist, denn seine Lache ist einzigartig. Egal was er ihr sagte, es muss sie nerven, denn sie verdreht die Augen und konzentriert sich auf ihre Arbeit.

»Jason, sie ist gut, ich will sie im Team nicht verlieren, nur, weil ihr zwei eure Gefühle nicht in den Griff bekommt. Lass ihr Zeit und sei nicht so. Wenn du zu jeder deiner Freundinnen so warst, ist es kein Wunder, dass es nicht hielt.«

Ich schenke ihm einen bösen Blick. »Meistens habe ich mich getrennt und sie ist anders. Halt dich da raus«, warne ich ihn und erschrecke mich selbst vor meinem Tonfall.

Er räuspert sich. »Gut, dann werde ich als Chef deutlich: Ich möchte nicht, dass es eure Arbeit beeinflusst.« Sein Ton ist ziemlich streng und laut. Er hat ihn nur, wenn er den Chef heraushängen lässt und man keine Einwände mehr bringen soll. Das Einzige, was ich tue, ist nicken und mich zur Tür begeben. Wenigstens bin ich schlauer geworden und weiß, dass Alex nichts mit ihrem Kampf gegen mich zu tun hat. Ich wusste, dass Alex sauer sein wird. Wobei das Gespräch eigentlich ganz gut verlief. Bis zum Schluss.

Bevor ich aus dem Zimmer laufe, beginnt Alex von Neuem: »Du nimmst sie übrigens heute mit, ihr werdet heute Herr Konrad herholen.« Seine Mimik lässt keine Widerrede zu, also nicke ich erneut. Mein Kiefer spannt sich an und Amelia blickt zu mir. Man erkennt sofort, dass sie sich ein Lächeln verkneift. Als würde sie sich freuen, mich zu sehen, und will es nicht zeigen.

»Wir sollen Herr Konrad herholen«, teile ich ihr mit. Sie ist verblüfft.

»Amelia und du?«, fragt Chris noch blöd nach.

»Ja, Anweisung vom Chef. Wir sollen ihn befragen«, antworte ich. Amelia bewegt sich von ihrem Stuhl und zieht ihre Jacke an.

»Dann los«, sagt sie selbstbewusst und schenkt mir doch ein Lächeln. Habe ich irgendetwas verpasst, warum ist sie plötzlich so? Hat sie gemerkt, dass der Kampf anstrengend ist und ich hartnäckig bin?

Zwei Streifenpolizisten begleiten uns. Als wir bei Herr Konrad ankommen, läuft ein zugedröhnter Junkie aus seiner Wohnung und Konrad will im selben Augenblick die Tür vor unseren Nasen zuschließen. Amelia stoppt den Junkie, während ich die Tür festhalte und sie öffne.

»Na, da kommen wir ja gerade richtig«, sage ich laut. Mit einer Handbewegung und einem Nicken gebe ich den Kollegen ein Zeichen, dass sie ihn festnehmen dürfen.

»Scheiße, das ist nicht meins. Das hat der Kerl liegen gelassen«, versucht sich der Schuldige herauszureden.

Ein ziemliches Angebot liegt auf dem Wohnzimmertisch. Ich verschränke meine Arme und nicke interessiert.

»Und der Herr lässt diese Auswahl von verschiedenen illegalen Substanzen bei Ihnen einfach so liegen?«, hake ich nach.

»Ich sage nichts mehr ohne meinen Anwalt«, brüllt er und versucht, sich aus dem Handgriff der Polizisten zu befreien. Ich muss kurz auflachen und die Arbeitskollegen bringen ihn weg. Amelia ruft weitere Kollegen, die die Substanzen einsammeln, und wir schauen uns weiter um, machen Notizen, Beweisfotos. Jeder durchsucht einen Raum, denn die Dealer verstecken in den kleinsten Ecken ihre Sachen.

Als wir die Wohnung gefilzt haben und soweit sind, fahren wir zurück.

Im Auto schenke ich Amelia ein Lächeln. Immerhin ist es ihr erster Fall und ihretwegen, weil sie so eifrig war, haben wir den Kerl.

Mein erster Fall war ein ziemlich dicker Brocken. Die meisten Dinge habe ich mit Henning gemacht. Er war der Älteste und ich hab mich an ihn drangehangen, wie wir alle. Um viel von ihm zu lernen. Der Brocken sitzt jedenfalls seine Strafe ab.

Amelia ignoriert mein Lächeln. Wie immer. Wobei ich an ihrer Wange sehe, dass sie selbst grinsen möchte, was sie versucht zu verstecken.

»Es ist dein erster erfolgreicher Fall, du darfst dich freuen. Das ist erlaubt«, sage ich und sie blickt zu mir. »Ich sehe, dass du es dir verkneifst, deine Wange zuckt«, rede ich weiter und lache.

Sie kichert und lächelt mich an. »War dein erster Fall damals erfolgreich?«

Wow, ich bin überrascht, dass sie von sich aus ein Gespräch mit mir beginnt.

»Ja, ich habe mich an Henning drangehangen, den du ersetzt hast. Das war ein schwieriger Fall.«

Sie nickt und ihr Lächeln verschwindet. »Worum ging es?«

Mein Blick wandert kurz zu ihr rüber, als ich warte, dass die Ampel grün wird.

»Drogen wurden durch arme Familien über die polnische Grenze geschmuggelt. Den Eltern wurde viel Geld angeboten. Familien, die auf Geld angewiesen waren und wirklich am Existenzminimum lebten. Man vermutet bei Familien eben nicht, dass sie Drogen schmuggeln. Jedenfalls mussten wir vier Elternteile verhaften. Von zwei Familien kamen die Kinder bei ihren Großeltern und Paten unter. Von den anderen beiden wurden die Kinder in Heimen untergebracht.« Damit habe ich damals ziemlich gekämpft. Wenn ich daran denke, dass mein Kind später in ein Kinderheim muss, weil irgendetwas mit mir und der Mum passiert. Das ist unvorstellbar …

Amelia nickt und schaut mich mit einem liebenswerten Blick an. »Das hat dich ziemlich mitgenommen«, flüstert sie. Anscheinend sieht sie mein Unbehagen.

»Ja, ich finde es furchtbar, wenn Kinder in Heimen aufwachsen.« Sie nickt und steigt aus, als wir im Präsidium ankommen.

»Möchtest du ihn vernehmen?«, frage ich sie, aber Amelia schüttelt ihren Kopf.

»Nein, du darfst.«

»Du bist doch die Beste«, versuche ich sie aufzuziehen. Nun zieht sie ihre Augenbraue hoch, verdreht ihre Augen und schenkt mir schließlich ein Lächeln.

Der Typ ist nervös und ihm wird ein Anwalt gestellt, weil er dafür kein Geld hat. Amelia und ich laufen in den Raum und begrüßen ihn. Dann geht’s los.

»Also, Herr Konrad, können Sie uns Ihr Angebot an illegalen Substanzen erklären?«

Zuerst beginnt er zu stottern. »Äh, ähm, das sage ich euch bestimmt nicht.«

»Herr Konrad, es ist ganz einfach, entweder erzählen sie uns etwas oder für sie gibt es nur einen Weg und der führt so schnell nicht mehr hier heraus«, sage ich laut und deutlich. Nachdem ich ihm eine klare Ansage gemacht habe, wie das läuft, wenn er nicht redet, packt er zügig aus.

Er ist nicht vorbestraft, das heißt, er wird nicht viel bekommen. Für Amelia ist es hingegen ein Erfolg – für uns alle. Der Täter nennt uns sogar noch ein paar weitere Namen und seinen Verkäufer und es ist wie vermutet die Kelten-Gang. Ich habe es gewusst! Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht und ich hoffe, dass wir weitere Informationen von ihm über die Kelten bekommen.

»Wo und wann?«

»Sie haben einem Gastronom in Tempelhof Geld angeboten, damit er unter der Theke das Zeug verkauft. Mittwochs und freitags treffen sich dort immer die Mitglieder. Die Bar heißt Caesar.« So rasch bekommt man Antworten. Heute war ein guter Tag für uns.

Bill und Chris packen ihre Sachen. Soweit ich weiß, will Bill heute pünktlich gehen, weil er irgendeine Frau zu Gast bekommt. Gewissenhaft schreibt Amelia mit mir den Bericht und sie geht alles genau durch. Alles. Ich glaube, so viel wie heute hat sie noch nie mit mir geredet.

»Im Kleiderschrank war auch etwas, richtig?«, fragt sie nach und blickt kurz zu den anderen beiden, die sich ihre Jacke anziehen.

»Ja, fünfzig Gramm Pulver und vier Blättchen«, antworte ich und sehe Alex in seinem Büro stehen, wie er uns beobachtet. Im Gegensatz zu mir lässt sich Amelia davon nicht ablenken. Als sie ihren Kopf bewegt, fällt ihr eine Haarsträhne ins Gesicht. Aus irgendeinem Grund nehme ich sie und lege sie ihr hinters Ohr. Sie schmiegt kurz ihren Kopf an meine Hand, um mich schließlich todernst anzuschauen.

Sogar Alex hat es bemerkt, lacht und geht von seinem Fenster weg.

»Ach Jason, hast du eigentlich herausgefunden, welchen Gefallen du Sophia machen sollst?«, hakt Chris fast nach einer Woche nach.

»Ja klar weiß ich das jetzt. Das fällt dir aber früh ein«, ant-worte ich ihm und lache ihn an.

»Was ist es?«, erkundigt sich Chris, als er seine Jacke zu macht.

»Nichts Spektakuläres. Ich sollte Judith überreden, dass sie mit ihren Mädels weggehen darf.« Er nickt und verabschiedet sich.

»Das wird Zeit, das arme Mädchen verpasst ihre einzige Jugend, nur weil ihre Mum Pädagogin ist«, sagt Bill ernst.

Plötzlich beginnt Amelia vor Lachen zu prusten. Bill und ich schauen uns an und weder er noch ich haben eine Ahnung warum. Sie bekommt sich gar nicht mehr ein. Sogar Alex schaut wieder aus seinem Zimmer. Er grinst uns an.

»Warum lachst du so?«, hinterfragt Bill. Amelia holt tief Luft und versucht sich zu beruhigen. Ihre Augen sind mit Tränen gefüllt und sie hält ihren Bauch.

»Was hat das mit Pädagogen zu tun? Mein Papa ist Oberstufenleiter also ebenfalls Pädagoge. Ich durfte trotzdem weggehen. Ich glaube, das hat etwas mit der eigenen Einstellung zu tun oder mit Übermuttis.«

Mir bleibt der Mund fast offen stehen. Ich habe sie noch nie so locker reden hören. Jedenfalls in meiner Gegenwart nicht. Anscheinend hat sie heute einen guten Tag.

»Du bist auf ’nem Dorf aufgewachsen. Da ist es anders«, sagt Bill platt.

»Kleinstadt«, verbessert sie ihn.

»Egal, jedenfalls nicht Berlin. Das ist ein anderes Pflaster.« Er winkt ab. »So, ich wünsche euch ein wunderschönes, freies und erholsames Wochenende.« Bill schleudert sich seine Tasche um und ruft noch: »Hoch die Hände, Wochenende.«

Noch einmal lacht Amelia und dann schaut sie mir innig in meine Augen und errötet.

»Also, lass uns weiterarbeiten. Damit wir schnell Wochenende haben«, sagt sie und wir tun es. Wir schreiben unseren Bericht und bearbeiten alles, was wir noch machen können. Die Auswertungen des Labors, um welche Substanzen es sich genau handelt, werden wir erst Montag bekommen. Es sind fast überall die Schreibtischlichter aus und durch das fehlende Licht ist es dämmerig im Büro. Judith würde es gemütlich nennen. Als wir fertig sind, fahren wir mit dem Fahrstuhl runter und ich höre meinen leeren Magen.

»Hast du Hunger? Wir könnten noch essen gehen«, frage ich und nutze die Gunst, dass sie heute so fröhlich ist. Hätte ich mit Bill hier gesessen oder mit Chris, hätten wir uns irgendein Essen bestellt. Sie beißt sich auf die Lippen.

»Ja schon, allerdings wartet für mich wahrscheinlich zu Hause Essen.«

Wie soll ich das denn verstehen? »Und unwahrscheinlich?«

Sie zückt mit den Schultern. »Da gibt es Brot.«

»Dann holen wir uns eine Pizza, der Italiener Gaetano macht die besten Pizzen, und wenn du sie nicht mit mir essen möchtest, kannst du sie zu Hause essen«, biete ich ihr an. Sie schaut mich an, zückt ihr Handy und wählt eine Nummer. Währenddessen schweigen wir uns an.

»Annamaria, hast du für mich Essen aufgehoben?«

Wer ist Annamaria? Ich weiß kaum etwas von ihr und warte, bis sie fertig ist mit telefonieren. Bill hat bestimmt schon mehr über sie erfahren.

»Ja okay, danke.« Sie lächelt und legt auf. »Danke, aber auf mich wartet türkisches Essen«, erklärt sie mir, schaut mich ernst an und steigt mit einem Wink ins Auto.

In Ordnung, dann hole ich mir alleine eine Pizza.


Amelia

Einerseits hätte ich gestern gerne mit Jason etwas gegessen, andererseits habe ich diese Stimme im Hinterkopf, dass ich dann schwach werde.

Ich sah dieses Beziehungstrallala bei meiner Schwester Emma und wie oft sie gelitten hat. Den ersten Freund hatte sie mit fünfzehn Jahren und das war ihre erste große Liebe. Plötzlich war sie so glücklich und ich dachte mit zwölf, dass ich das irgendwann auch haben möchte. Schließlich habe ich miterlebt, wie die beiden sich stritten, obwohl man im Teenageralter gar keine richtigen Beziehungsprobleme haben konnte.

Steve hat alles beendet und was ich dann erlebte, hat mir gezeigt, was Liebe in Wahrheit bedeutet: Schmerz und Leid. Vielleicht ist man anfangs glücklich und auf Wolke Sieben, aber irgendwann kommt die Realität. Emma war am Boden zerstört, nachdem Steve Schluss machte, und als er dann schnell eine Neue hatte, hat sie nur noch geweint und kaum gegessen.

»Hey Amelia«, begrüßt mich Peter, mein Boxtrainer, und läuft zum Ring mit den Schlagpolstern.

»Hallo Peter«, sage ich und lächle ihn an, weil ich heute dieses Training mehr denn je brauche, um mir Jason aus dem Kopf zu schlagen. Ich darf ihn einfach nicht gernhaben. Warum musste ich mich ausgerechnet in ihn vergucken?

»Wollen wir loslegen?«, fragt Peter. Ich nicke und boxe das erste Mal das Polster, was er hält. In dem Moment fallen mir meine Schwester und ihr zweiter Freund ein: Vincent.

Dieser Arsch hat sie so verarscht, weil er ein notorischer Fremdgeher war und sie es mir nicht glauben wollte, bis ich mit ihm ins Bett stieg. Klar war das keine tolle Idee, aber sie hat es mir vorher nicht geglaubt und ich konnte nicht zusehen, wie sie sich geradewegs ins Unglück stürzte. Selbstverständlich hat sie das dann wachgerüttelt und ihr ging es wieder schlecht. Dieser Herzschmerz begann von Neuem und da wusste ich, dass ich diesen Schmerz wegen so blöden Arschlöchern niemals haben will. Wie oft soll ein Herz gebrochen werden, bis man den Richtigen gefunden hat?

Woher weiß man überhaupt, dass man den Richtigen gefunden hat? Wahrscheinlich nie, denn sonst würde die Scheidungsquote nicht so hoch sein.

Mit den Fäusten schlage ich weiter, links – rechts- links – rechts, und mein Atem geht schnell. Peter blickt zu mir und sein Kiefer presst sich zusammen, dass Grübchen an seinen Wangen entstehen.

Als wir in Peters Bar waren, hätte ich Jason beinahe an mich herangelassen. Wenn ich wüsste, dass er mir nicht das Herz brechen wird ... Meine Gefühle fahren Achterbahn, wenn ich allein schon daran denke, wie mich seine grünen Augen in den Bann ziehen. Doch habe ich zu viel Angst, dass er mich verletzten wird, wie meine Eltern mir wehtaten, als sie mir sagten, ich bin adoptiert. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir das Herz rausrissen und es mit ihren Worten zerquetschten. Dieses Gefühl, allein zu sein, hat mich völlig überwältigt und eingenommen. Seitdem habe ich mich daran gewöhnt, ein Einsiedler zu sein, abgesehen von meinen Freunden, denen ich mittlerweile mehr vertraue als meinen Eltern. Wenn ich jetzt meinen Gefühlen zu Jason nachgebe und er mich schließlich verletzt ... Bei dem Gedanken schlingt sich ein unsichtbares Band um meinen Hals und Angst überrollt mich. Ich schüttele den Kopf und bemerke, wie schnell mein Herz rast und die Hände in den Boxhandschuhen kochen. Ein weiteres Mal schlage ich zu und treffe genau die Mitte des Schlagpolsters, welches Peter festhält. Er hält still und ich kann meine überschüssige Energie auslassen. Ich muss mal wieder einen Straßenkampf mitmachen, der lastet mich vollkommen aus. Der Schweiß läuft mir über das Gesicht und in den Ausschnitt. Immer weiter boxe ich und versuche, die Gedanken über Jason aus meinem Kopf zu bekommen.

Ich pruste und atme schnell.

»Amelia, wir sollten mal eine Pause machen«, fordert Peter. Ich hebe den Kopf und höre auf, wie eine Wilde auf das Schlagpolster zu boxen. »Was ist denn los mit dir? Läuft’s mit der Arbeit nicht? Männerprobleme können es ja nicht sein.« Er zieht mich auf. Wenn er wüsste!

Ich winke ab, damit er versteht, dass ich darüber nicht reden möchte. Schließlich wirft er mir eine Wasserflasche zu und lächelt. Während ich die Flasche aufschraube, klingelt mein Handy und ich trinke mehrere große Schlucke, bevor ich die Nachricht lese.

Harin schrieb mir.

Hast du Lust, heute Abend mit mir wegzugehen?

Klar, wann und wohin?

Sei um elf unten. Ich will ins Confession, heute ist R’n’B Abend. :) Ich weiß, es ist nicht dein Musikgeschmack, aber ich glaube, du brauchst mal Ablenkung von deinem neuen Arbeitskollegen. Oder willst dir doch einen Ruck geben?

Ich bin um elf fertig.

Ob ich mir wegen Jason einen Ruck gebe, weiß ich selbst nicht und werde deshalb darauf nicht antworten. Harins Mama versucht mich ständig zu überreden, mich mit Jason auf ein Date einzulassen, um zu sehen, ob wir überhaupt zusammenpassen. Dafür brauche ich kein Date. Ich spüre jetzt schon, dass wir eine Verbindung zueinander haben, obwohl ich versuche, dagegen anzukämpfen.

Siebtes Kapitel

Jason

»Du bringst sie gesund und munter wieder nach Hause und wehe, sie ist betrunken.« Judith schaut mir mit ihren dunkelbraunen Augen direkt in meine grünen. Ihr Blick ist so streng, dass man denken könnte, es wäre die Eiszeit ausgebrochen und ich muss mir echt ein Lachen verkneifen. Sie ist eine Glucke. Selbst mein Papa verdreht die Augen und klopft mir nur auf die Schultern.

»Mama, nerv Jason nicht. Ich bin immerhin schon sechzehn und kein Kind mehr. Andere gehen viel früher in Discos«, mischt sich Sophia ein, die nicht aussieht, als wolle sie in eine Disco gehen, sondern eher in eine Bibliothek oder ins Kino. Sie trägt eine Jeans und ein weites Oberteil, welches ihren Po verdeckt.

»Andere in deinem Alter sind schon drogenabhängig, schwanger oder im schlimmsten Fall beides«, sagt Judith vorwurfsvoll. Oh Gott.

»Wir sollten los. Cedrik wartet«, unterbreche ich ihr Mutter–Tochter-Gespräch und gehe aus der Wohnungstür.

»Pass auf sie auf, sonst bist du morgen Hackfleisch«, brüllt mir Edmunds Freundin hinterher und ich lache, weil ich Edmund brummen höre. Sophia setzt sich auf den Beifahrersitz und winkt ihrer Mum noch aus dem Fenster zu.

»Ich dachte, du willst trinken?« Da hat sie recht. Nach dieser Woche muss ich das tun. Sophia zieht ihren langen Wintermantel aus und öffnet ihre Hose.

»Sag mal, was machst du da?«, frage ich erschüttert.

»Jason, hab dich nicht so. Glaubst du, ich gehe so weg? Ich wollte ein Kleid anziehen und Mama ist durchgedreht. Also lass mich mich bitte umziehen. Vor Cedrik mach ich das nicht«, sagt sie genervt und zickig. Teenager … »Du brummst genauso wie Edmund, weißt du das eigentlich?«, fragt sie und spricht mich auf mein Brummen an.

»Ja.«

Sie trägt plötzlich eine schwarze Lackleggings und ihr weites Oberteil entpuppt sich als Kleid. Mit den Pumps sieht sie nicht mehr aus wie sechzehn, sondern eher wie sechsundzwanzig. Aus ihrer großen Tasche holt sie zwei Kleine heraus und klappt den Spiegel runter. Mein Auto wird zu einem Schminksalon und ich kann nichts dagegen tun. Worauf habe ich mich bloß eingelassen?

»Glaubst du, das geht so?« Sie wirkt unsicher, weil sie noch nie aus war. Bill hat recht, sie verpasst ihre Jugend. Als sie vor mir steht und wir darauf warten, dass Cedrik sein Auto aus der Garage fährt, schaue ich sie mir nochmal genau an. Sie sieht gut aus und ist Judith sehr ähnlich. Ihre dunkelblonden Haare wehen umher als sie sich um ihre eigene Achse dreht, um sich mir zu präsentieren. Durch die Laterne leuchten ihre Sommersprossen und das Kleid sieht eindeutig besser mit Leggings aus.

»Ja, das geht so.«

Cedrik steht mit seinem Astra vor uns und wir steigen ein.

»Ey Alter, so früh war ich noch nie unterwegs«, sagt mein Kumpel gut gelaunt.

»Meinst du, ich? Wenigstens ist es noch nicht so voll und wir müssen nicht so lange bleiben.«

Er lacht. »Mal schauen, wie deine kleine Sister es findet.«

Ich drehe mich zu ihr. Sie ist glücklich und freut sich richtig, dass sie aus Mamas Nest raus darf.

Als wir ankommen, ertönt die Musik. Der Bass ist extrem laut.

»Verdammt, ich muss sonst immer anstehen«, betont Cedrik fasziniert und lacht.

»Warum willst du nichts trinken?«, erkundigt sich Sophia neugierig und Cedrik zuckt mit den Schultern.

»Ich hab gestern schon hart Party gemacht und heute brauche ich Ruhe. Immerhin sind wir alt.« Er lächelt sie an.

»Achso. Also die Mädels schrieben, sie wären an der Bar und würden auf mich warten.«

Ich bezahle den Eintritt für uns beide, gebe den Zettel ab, dass ich auf Sophia aufpasse, und lasse mir ein Bändchen um das Handgelenk kleben.

»Dann bringen wir dich hin und ich schau mir deine Mädels an. Du wirst keinen Alkohol trinken, ich habe keinen Bock auf Stress morgen früh«, drohe ich ihr.

»Jahaaa«, sagt sie gereizt.

Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Wir bringen sie an die Bar und ich bestelle uns allen etwas zu trinken. Zwei Cola und einen Whiskey für mich. Mit aufgerissen Augen starren die Mädels Cedrik und mich an, als wären wir Aliens. Mein Blick bleibt ernst und Cedrik spuckt seine Cola beinahe aus, als eine den Weg zu uns findet. Sie streift meinen Arm und hält ihn fest.

»Wir nehmen Sophia mit, ist das okay?«

Bin ich hier in einem Hollywood-Teenagerfilm gelandet? Sie kommt mir so vor, als wäre sie die Chefin dieser Clique. Ich muss mir echt das Lachen verkneifen, was Cedrik nicht hinbekommt. Ihre Miene verzieht sich und sie versucht, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen. Es funktioniert nicht und jetzt ist es bei mir ebenfalls vorbei, ich muss anfangen zu lachen. Sie lässt mich ruckartig gehen.

»Sorry, du bist sechzehn. Nimm Sophia mit. Ich behalte euch im Auge.« Ich lache weiter.

»Ich bin siebzehn«, eifert sie und ich drehe ihr den Rücken zu und winke ab. Als ob es ein Unterschied macht.

»Scheiße, die Mädchen von heute haben gar keine Scheu«, grölt Cedrik über die laute Musik. Hauptsache wir haben unseren Spaß. Wir laufen durch die Disco und suchen uns einen Bartisch, wo wir alles gut im Blick haben. Vor allem Sophia. Während Sophia einen schönen Abend hat, verweilen Cedrik und ich. Manchmal unterhalten wir uns, aber die meiste Zeit schweigen wir, weil wir uns sonst, durch die laute Musik, ständig anbrüllen müssten.

»Ich fühle mich wie ein Bodyguard«, werde ich von meinem Kumpel nach einiger Zeit angebrüllt. Doch ich antworte nicht, trinke noch einen Schluck vom Whiskey und schaue mich weiter um. Es wird voller und umso mehr muss ich versuchen, Sophia im Blick zu behalten. Heute ist Hip-Hop- und R’n’B-Nacht. Das ist nicht unbedingt meine Musik, andererseits ist sie zum Tanzen gut. Wenn ich denn jemanden zum Tanzen hätte. Seit wir hier angekommen sind, tanzt Sophia fast durchgängig.

Mein Glas ist wieder leer. Ich schaue kurz auf die Uhr und überlege, ob ich ihr sage, dass wir fahren werden. Immerhin ist es 01:00 Uhr und ich bin nicht mehr nüchtern.

»Lass sie noch kurz und hol dir noch einen Drink. Sie ist gerade erst tanzen gegangen«, versucht mich mein Kumpel zu überreden.

»Sie tanzt schon zum fünften Mal.«

»Lass sie, sie ist heute zum ersten Mal aus. Oder hat Judith eine Uhrzeit genannt?«

Ich schüttele lachend meinen Kopf. Das hätte noch gefehlt.

»Willst du noch eine Coke?«, frage ich ihn, als ich zur Bar zeige, und bemerke die wunderschönste Frau in der Disco. Ich habe das Gefühl, als hätte ich einen Schlag bekommen. Sie unterhält sich mit einem Typen und lacht. Die beiden sehen vertraut aus. Ihr langes braunes Haar fällt wellig über ihren nackten Rücken und zu gerne würde ich derjenige sein, der ihr heute Nacht das rote Kleid auszieht. Ihre strahlend weißen Zähne leuchten in dem Discolicht und mein Herz bleibt für einen Moment stehen, als sie erneut lacht und ich mir einbilde, ich würde den Engel hören.

»Na, bist du doch noch fündig geworden?«, fragt Cedrik und holt mich zurück ins hier und jetzt.

»Ich komm gleich zurück, willst du was?«, hake ich noch einmal nach und wedle mit meinem Glas.

»Ne, ich hab noch.« Er zeigt auf sein halb volles Getränk mit Cola. Sie sieht unglaublich aus. Fast hätte ich sie nicht erkannt. Wenn ich ihr Profil nicht gesehen hätte, wäre sie eine von vielen gewesen. Obwohl es nicht so ist, denn sie ist die Eine. Wer weiß, wie lange sie dort schon sitzt und ich sie nicht bemerkt habe. Der Typ neben ihr steht mit einer Blondine auf und läuft Richtung Tanzfläche. Er sieht türkischer Abstammung aus, vielleicht auch aus einem anderen Südland. Ich schätze, Türke, denn gestern hat türkisches Essen auf sie gewartet. Amelia hebt den Arm und schnippt, sodass der Kellner kommt. Sie wedelt mit ihrem Whiskeybecher und bestellt. Ich zeige mit den Fingern, dass er zwei bringen soll. Sie hat mich noch nicht registriert, obwohl sie ihren Kopf nach links und nach rechts drehte. Als ob sie irgendetwas suchen würde. Der Kellner bringt uns die Getränke und sie will ihr Geld zücken.

»Lass stecken, ich gebe dir einen aus.« Ich streiche kurz über ihren nackten Rücken, als sie ihren Kopf zu mir dreht, und entdecke eine goldene Kette, die den Wasserfall-Rückenausschnitt an den Schultern zusammenhält. Ob sie keinen BH trägt? Sie zuckt kurz zusammen und der Kellner nimmt mir meinen Schein ab. Ich setze mich auf den Stuhl von dem Kerl, der vor Kurzem neben ihr saß, und versuche, sie in ein Gespräch zu verwickeln.

»Und bist du alleine hier?«, frage ich scheinheilig, weil sie bestimmt mit dem Typen hier ist.

»Nein, ich bin mit Harin aus«, antwortet sie, währenddessen dreht sie sich desinteressiert zur Tanzfläche und ich folge ihrem Blick. Anscheinend war sie nur gestern nett zu mir. Warum kämpft sie so gegen mich an? Wenn sie heute wieder auf Abwehrhaltung ist, muss ich sie nicht mal fragen, ob sie tanzen will.

Mit einem Rundumblick versuche ich, Sophia durch die tanzende Menschenmenge zu entdecken, doch ich kann sie nicht finden und schaue zu Cedrik, der noch dort sitzt, wo ich ihn verlassen habe. Er bemerkt mein Suchen und zeigt mir, wo Sophia ist. Als ich mich wieder Amelia widme, ext sie ihren Whiskey und schaut den Typen auf der anderen Seite an.

»Willst du tanzen?«, fragt sie ihn laut. Der Typ sieht furchtbar aus. Nicht ihrer würdig. Der Freak grinst mich an, als ob er mir sagen wollen würde, er hätte gewonnen. Tzz … Wenn er wüsste, dass sie auf mich steht und nur vor mir flüchtet. Nur das Warum ist mir ein Rätsel. Die Schöne und das Biest stehen auf und bewegen sich auf die Tanzfläche. Kurze Zeit später kommt Cedrik zu mir, als er sieht, dass ich nicht zu ihm zurückkomme.

»Sophia tanzt noch«, informiert er mich, zeigt auf sie und ich nicke.

»Kanntest du die?« Er deutet auf Amelia.

»Ja, sie ist unsere Neue im Team. Sie ist für Henning gekommen.«

»Sie sieht heiß aus und kann sich bewegen.« Seine Zunge lässt er kurz zwischen seinen Zähnen hervorblitzen und ich schaue ihn zerknirscht an.

»Oh, du stehst auf sie, sorry, das wusste ich nicht«, sagt er unschuldig, hebt seine Hände und ich beobachte Amelia weiter, denn er hat recht. Sie bewegt sich wie eine Göttin. Schließlich erzähle ich ihm kurz von Amelia und daraufhin sagt er etwas, woran ich noch nicht gedacht habe.

»Vielleicht musst du sie, wenn sie auf dich steht, zu ihrem Glück zwingen. Momentan sieht es nicht danach aus, als würde sie auf dich abfahren.« Er schaut kurz zu ihr und dann blickt er mich an.

»Sie guckt dich an und tanzt mit ihm, vielleicht hast du doch recht«, widerspricht er sich und zuckt mit seinen muskulösen Schultern.

»Sicherlich habe ich recht«, murmel ich und er lacht. Plötzlich lässt Amelia den Typen links liegen und will von der Tanzfläche gehen, dabei fokussiert sie mich.

»Oh oh, vielleicht landest du heute doch bei ihr«, stellt Cedrik eine Behauptung auf und ich hoffe es so sehr. Der Typ packt sie am Arm und ich bin in Alarmstellung. Mein ganzer Körper spannt sich an und meine Hände ballen sich zu Fäusten. Ganz ruhig, Jason, sie kann sich verteidigen. Sie dreht sich zu ihm und redet mit ihm. Schließlich wendet sie sich von dem Typen ab und zeigt ihm den Mittelfinger.

»Verdammt sieht die scharf aus – und die ist Bulle?«, sagt Cedrik, als sie direkt auf uns zu läuft.

Oh ja, sie ist Bulle, kaum zu glauben. Ich starre sie an, obwohl ich weiß, sie mag es nicht, doch ich kann nicht anders, denn sie tut dasselbe.

»Wenn sie dich schnappt, passe ich auf Sophia auf.«

Ich nicke nur noch, denn bei diesem Anblick setzt bei mir alles aus. Sophia hatte ich schon ganz vergessen, gut, dass er an sie denkt. Zwischen meinen Beinen hat Amelia mit ihren Pumps ihren Platz gefunden. So nah stand sie noch nie bei mir. Sie nimmt mir mein Glas aus der Hand und trinkt es leer. Als bräuchte sie mehr Alkohol. Mit ihrem typischen Blick und der hochgezogenen Augenbraue schaut sie Cedrik an. Sofort muss ich grinsen.

»Mit der wirst du deinen Spaß haben«, flüstert Cedrik mir ins Ohr. Da hat er ins Schwarze getroffen und mein Schmunzeln wird zu einem Lachen.

»Also willst du tanzen oder den ganzen Abend sitzen bleiben? Eigentlich dachte ich, du fragst mich, als du dich bei mir hingesetzt hast.«

Sie will mit mir tanzen? Dafür brauchte sie wahrscheinlich den Alkohol. Mut.

»Oh, sie redet mit mir«, scherze ich und sie verdreht ihre wunderschönen Augen und will sich schon wieder von mir abwenden. Ich versuche, ihre Hand zu greifen und unerwartet hält sie meine ganz feste, als ob sie mich nie wieder loslassen möchte. Auf der Tanzfläche schaue ich kurz nach Sophia und ziehe dabei Amelia zu mir. Sie schnappt nach Luft und ihre Brust bewegt sich weiter zu mir. Ein neues Lied beginnt und es ist wie für uns gemacht. P. Diddy und Usher mit ›I Need a Girl‹ wird gespielt und ich nutze diesen Song, um ihr näherzukommen. Mit meinen Händen streichle ich ihren Rücken und sie bekommt sofort Gänsehaut an den Armen. Langsam schmiegt sie sich an mich und gleitet an meinem Bein und an meinem Körper zum Rhythmus. Es ist elektrisierend und verdammt erotisch. Ihre Augen schließen sich und es fühlt sich an, als wären wir zwei Puzzleteile, die ewig darauf gewartet haben, zusammengesteckt zu werden. Sie ist mir total verfallen. Vorsichtig streicht sie über meine Arme hoch zu meinem Nacken, an dem sie Halt sucht, während meine Hände sich an ihren Körper schmiegen. Gerade lässt sie alles zu und ich versuche, es nicht auszunutzen. Für einen Moment bekommt meine Stiefschwester Aufmerksamkeit, denn sie läuft breit grinsend an uns vorbei und geht von der Tanzfläche runter.

Ich wende mich wieder Amelia zu und ihr Hals ist meinem Mund so nahe, dass ich ihn Küssen könnte. Plötzlich bleibt ein Typ vor uns stehen und als ich ihn mir genauer betrachte, erkenne ich, dass es der Südländer ist. Für einen Moment beobachtet er uns und ich schaue ihn grimmig an, als er mich gehässig angrinst.

Achtes Kapitel

»Seit wann tanzt du denn?«, fragt er Amelia, während das Lied zu Ende spielt. Sie schreckt auf, stellt sich aufrecht hin und schaut mich an, um schließlich ihren Blick von ihm zu mir zu wechseln. Ihre Mimik wird so, als würde die Dusche wieder kalt werden. Was passiert dann nur mit ihr? Ich hatte sie und jetzt nicht mehr.

»Ähm, ja, ich … Harin, wir sollten gehen«, stottert sie unüberhörbar, nimmt seine Hand und zieht ihn hinter sich her. Warum flüchtet sie vor mir? Das Tanzen hat ihr doch auch gefallen! Sofort laufe ich ihr durch die Menschenmenge nach, gehe an Sophia vorbei, die am Rand der Tanzfläche steht, und nehme ihren Arm.

»Wir fahren«, sage ich entschlossen, damit sie keinen Einspruch erhebt. Ich lasse sie los, gebe Cedrik ein Zeichen, um danach Amelia einzuholen.

»Amelia, Amelia, warte«, rufe ich, als sie ins Auto steigt. Der Typ wartet kurz mit dem Losfahren. Dennoch ist es zu spät. Als ich bei ihnen angelangt bin, fährt er los. Cedrik kommt mit Sophia hinter mir her. Ziemlich sauer sieht meine kleine Stiefschwester aus und müde und …

»Hast du getrunken?«, brülle ich sie außer Puste an. Was mir sofort leidtut, weil ich nicht deshalb sauer bin, sondern wegen Amelia. Sie zuckt mit den Schultern.

»Lass mich, ich bin ja nicht so betrunken wie du.«

»Ich bin nicht betrunken.«

»Nö, aber verknallt. Kommt im Endeffekt auf dasselbe hinaus«, sagt Cedrik und wirft mir meine Jacke zu.

»Wir fahren dich nach Hause«, bestimme ich und keiner sagt noch ein Wort, bis wir bei Judith angekommen sind.

»Machs gut Sophia«, verabschiede ich mich von ihr und sie nickt müde.

»Gute Nacht ihr zwei«, flüstert sie und steigt aus.

»So und wohin jetzt?«, fragt Cedrik und ich blicke zu ihm.

»Zu ihr.« Ich beschreibe ihm den Weg. Dass mir das nochmal zunutze kommt, wusste ich, als ich sie heimbrachte. Das Auto von ihrem Kumpel parkt am Straßenrand und Cedrik bleibt davor kurz stehen, damit ich schnell aussteigen kann. Ein Klingelschild unter ihrem steht Harin und Annamaria Helal. Er ist ihr Nachbar. Ich drücke auf die Klingel, auf der Malek steht, und hoffe, dass die Tür aufgeht.

»Hallo?« Eine Männerstimme entgegnet mir durch die Freisprechanlage. Na toll ... Er ist bei ihr. Ob sie ihn sicherheitshalber mit zu sich nahm? Oder ob die beiden miteinander was haben und sie deshalb so ist? Warum reagiert sie dann so auf mich und wollte mit mir tanzen?

»Halllooo?«, wiederholt er sich.

»Hallo, hier ist Jason Hasley. Amelias Kollege.«

»Ach, der Arsch, warte, ich mach dir auf«, antwortet er mir und ich höre ihn kurz auflachen. Die Tür surrt und ich drücke sie auf. Was will er mir mit seiner Aussage »Ach, der Arsch« vermitteln?

Als ich oben bin, muss ich ehrlich sagen, bin ich ein wenig außer Atem. Die Treppenstufen sind so hoch und es sind unfassbar viele. Wahnsinn, dass sie diese jeden Tag mehrmals läuft. Bevor ich die letzte Stufe erreicht habe, öffnet abrupt die Tür und der schmale Kerl steht in ihr.

»Harin Helal«, stellt er sich vor und reicht mir die Hand.

»Jason Hasley.« Ich nehme seine Hand mit einem festen Handschlag und er grinst süßsauer. Was hat das zu bedeuten? Sein Verhalten fördert meine Laune nicht.

»Sie zieht sich gerade um. Mich wundert es, dass du weißt, wo sie wohnt.« Er zeigt auf eine Schiebetür und lässt mich in die Wohnung. Sofort stehe ich mitten im Wohnzimmer, weil sie keinen Flur hat. Die Bude ist klein. Küche und Wohnzimmer sind ein Raum.

»Ich habe sie einmal nach Hause gebracht«, antworte ich ihm genervt. Was meint er mit, es wundert ihn, dass ich wüsste, wo sie wohnt?

»Das wundert mich noch mehr. Hat sie nicht erzählt.« Er amüsiert sich weiter.

»Muss sie das?«, hinterfrage ich seine blöden Kommentare.

»Nö, sie ist mir keine Rechenschaft schuldig«, antwortet er schulterzuckend. Ich beschließe, an dieser Schiebetür zu klopfen, und höre ein kurzes Schnauben.

»Harin, Moment, ich bin noch nicht soweit«, ruft sie gereizt. In der Sekunde als ich ein Stück von der Tür Abstand nehme, geht ruckartig die Schiebetür auf. Sie trägt eine Leggings und ein weites Shirt. Amelia ist sprachlos und schaut an mir vorbei zu Harin, der in jenem Augenblick einen Abgang hinlegt.

»Ich sollte mal runtergehen und euch alleine lassen.« Er öffnet die Wohnungstür und sie schreit ihn sofort an.

»Moment, Harin, so schnell kommst du mir nicht davon! Du machst ihm die Tür auf und willst dich dann verpissen?«

Er zuckt von Neuem mit den Schultern und verschwindet. Als würde es ihn nicht interessieren. Was ist nur ihr Problem? Sie geht an den Kühlschrank, holt eine Flasche Jacky und ein Glas aus dem Schrank daneben heraus. Ich versuche, auf sie zuzugehen, aber ich werde zum Stehenbleiben gezwungen.

»Bleib da, wo du bist«, kommandiert sie regelrecht.

»Amelia, was ist los, warum bist du plötzlich weggelaufen?« Ich beschließe nun doch, auf sie zuzulaufen, und versuche, mir ein Glas zu holen. Auf den Schock brauch ich ebenfalls einen. Am besten wären zwei. Ungern will ich sie bedrängen, allerdings lässt sie mir keine andere Wahl, als sie zu ihrem Glück zu zwingen, wie Cedrik es mir riet.

»Ich habe gesagt, du sollst da stehenbleiben«, herrscht sie mich an. Ruckartig bleibe ich stehen.

»Ich will mir nur ein Glas holen, okay?« Ich hebe meine Hände unschuldig hoch. Sie nimmt an ihrem kleinen Tisch Platz und erlaubt mir mit einer Geste, ein Becher aus ihrem Schrank zu holen.

»Also?«, hake ich nach, als ich mich ihr gegenüber hinsetze und mir einschenke.

»Also was?«, fragt Amelia nach.

»Ich will wissen, warum du weggelaufen bist«, versuche ich entgegenkommend und verständnisvoll zu klingen, dennoch kommt meine Souveränität durch. Was vielleicht nicht ganz verkehrt ist. Sie schaut mir in die Augen und ich könnte in ihren versinken.

»Weil ich die Kontrolle verloren habe. Du bist ein Kollege, wir arbeiten zusammen.« Sie fuchtelt mit ihren Armen wild umher. »Das geht nicht«, sagt sie voller Überzeugung und wird immer leiser. Ich verstehe nicht warum und finde es belustigend, dass sie sich deshalb so gegen mich wehrt.

»Was geht nicht?«, erkundige ich mich und kann mir das Grinsen nicht verkneifen.

»Lachst du mich aus?«, fragt sie empört. Sie ist wirklich zum Anbeißen, vor allem, wenn sie so sauer ist. Streiten macht mit ihr sicherlich Spaß. Mit meinen Ex-Freundinnen war das nicht einmal ansatzweise so interessant wie mit ihr und wir streiten noch nicht mal richtig. Wie gerne würde ich sie über den Tisch nehmen und zur Vernunft vögeln. Einfach, dass sie versteht, dass es möglich ist.

»Nein. Was geht denn nicht?«, frage ich noch einmal. Ich will es aus ihrem Mund hören. Ich will genau wissen, was ihrer Meinung nach nicht geht.

»Das wir miteinander ficken«, platzt es aus ihr heraus. Damit habe ich nicht gerechnet, dass sie es so vulgär sagt. Denkt sie wirklich, ich will nur vögeln wie Bill? Darauf trinke ich einen Schluck und brauche selbst ein bisschen Mut, um ihr zu sagen, dass ich nicht nur ficken will. Wie sie es formulierte. Also stütze ich mich an ihrem kleinen Tisch ab und bin schon fast bei ihr. Los, Jason.

»Wer sagt denn, dass ich dich ficken will?« Okay, das kam hoffentlich nicht falsch herüber. Ihre Augen sind klar und man erkennt, dass sie genauso wenig nüchtern ist wie ich selbst. Deshalb redet sie mit mir Tacheles.

»Willst du nicht? Dann solltest du mal an deiner Körpersprache und deiner Wortwahl arbeiten«, sagt sie ruhiger und enttäuscht.

Oh Amelia, was denkst du denn nur von mir? Ich muss lachen und schaue sie an. Mit einem Blick fixiere ich sie und sehe, wie sie auf mich reagiert. Ihre Haltung sagt mir alles. Sie will mich und kämpft innerlich gegen sich. Warum ist sie nur so?

»Ich will dich auch ficken, aber bei dir hört es sich so an, als würdest du denken, ich will nur das. Ich will, dass du mein bist. Ich will mit dir schlafen, dich küssen und wenn du frech bist, werde ich dir den Arsch versohlen. Ich will dich in jedem einzelnen Zimmer deiner kleinen Bude vernaschen und ich würde dir dein Hirn rausvögeln, wenn du so zur Vernunft kommst. Ich will dich nicht nur einmal haben. Ich will dich immer und ich will dein Letzter sein.«

Nun ist es heraus. Sie ist die Erste, bei der ich es ein Leben lang aushalten könnte, obwohl wir uns kaum kennen. Es gibt eine Verbindung zwischen uns. Ich bin kein Romantiker, vielleicht täusche ich mich und meine Vögelchen im Arsch flattern zu sehr umher. Einen Versuch wage ich, ihre Hand zu streicheln, und erstaunlicherweise lässt sie diese Berührung zu. Ein kurzes Lächeln huscht ihr ins Gesicht.

»Ich bin kein Beziehungsmensch. Sowas ist nicht meins. Sowas hatte ich auch noch nie. Dieses Beziehungstrallala ist nichts für mich. Du solltest gehen und dir jemand anderen suchen. Ich will ins Bett, sorry«, sagt sie und zieht ihre Hand weg.

Wie bitte, was? Das verstehe ich nicht. Wie kann man kein Beziehungsmensch sein? Sie macht mich für einen kurzen Moment sprachlos, bis ich schnell von neuem einen klaren Gedanken fassen kann und sie darauf direkt anspreche.

»Wie, du bist kein Beziehungsmensch«?

»Ich hatte nie eine Beziehung, das ist nicht meins. Dieses Händchenhalten und Küsschen hier und Küsschen da und Schatz und Liebling dort und jetzt ... Geh bitte. Ich habe ebenfalls nie Übernachtungsgäste.« Amelia steht auf, öffnet ihre Tür und bittet mich somit zum Gehen.

Nein, ich bleibe sitzen und muss mehr wissen. Die Flasche Jacky kommt mir recht und ich schenke mir nochmal ein.

»Ich gehe nicht, ich muss bei dir schlafen. Mein Fahrer ist weggefahren und hat meinen Schlüssel mitgenommen und Bahn fahre ich bestimmt nicht«, rede ich mich heraus.

»Dann freunde dich mit meinem Sofa an. Ich gehe ins Bett, gute Nacht.« Sie lässt die Tür zufallen und verschwindet in ihrem Schlafzimmer. Die Wohnung ist überschaubar. Diese wundervolle Frau ist kein Beziehungsmensch, wie ist das möglich? Bill ist ebenso kein Beziehungsmensch. Er hatte hingegen schon welche und irgendwann wird er hoffentlich eine Beständige finden. Das mit den Übernachtungsgästen ist genauso suspekt. Sie ist wirklich kompliziert. Das Glas exe ich weg und schaue mir ihr Sofa an, drehe mich schließlich um und laufe zu ihr ins Schlafzimmer. Mit dem Licht meines Handys suche ich ihr Bett und versuche, sie nicht zu blenden. Vielleicht ist sie kein Beziehungsmensch, weil sie noch nie Sex hatte? Eventuell ist sie doch eine Streberin und trinkt bloß gerne?

»Ich schlafe nicht neben jemandem und ich werde nicht mit dir schlafen. Ich glaube, ich habe mich eben deutlich ausgedrückt«, sagt sie und es ist mir egal. Ich habe Fragen, die nur sie mir beantworten kann. Ganz genau kann ich erkennen, dass ihr Atem unregelmäßig geht.

»Ich stehe auf, wenn du mir noch ein paar Fragen beantwortest«, sage ich ruhig und suche im dunklen ihre Hand. Kurz zuckt ihre Hand, als ob sie sich erschrocken hat, und dennoch lässt sie es schließlich zu.

»Jason, ich bin keine Verdächtige von dir«, wendet sie ein.

»Ich weiß, allerdings versuche ich, dich zu verstehen.«

»Frag, damit ich schlafen kann. Übrigens, du hast deinen Schlüssel nicht mitnehmen lassen. Das war eine billige Ausrede, um nicht gehen zu müssen.«

Leise lache ich und freue mich, dass sie meinen Vorwand durchschaut hat. »Gut erkannt und es hat trotzdem geklappt.«

Kurz ist es still und keiner sagt ein Wort. Ihr Atem ist weiterhin schwer und ich versuche, sie mit ein paar ruhigen Berührungen an ihrer Hand zu beruhigen.

»Also frag deine blöden Fragen, damit ich schlafen kann«, bricht sie unsere Stille.

»Warum bist du kein Beziehungsmensch? Hat dir jemand so das Herz gebrochen, dass du nie wieder eine Beziehung angefangen hast?«

»Ich hatte noch nie eine Beziehung. Mir hat niemand mein Herz gebrochen, aber es hat auch noch nie jemand so erobert wie …« Sie stoppt und ich weiß sofort, was sie sagen will.

»So wie ich?«, hake ich sicherheitshalber nach, lasse ihre Hand gehen und drehe mich zu ihr. Darauf bekomme ich keine Antwort. Also habe ich recht.

»Du solltest auf dein Sofa gehen.«

Ja, definitiv habe ich recht.

»Amelia, ich weiß, wie du auf mich reagierst. Wenn ich dich küssen würde, würde ich nur bestätigt werden, dennoch tue ich es nicht, weil du dich so gegen diese Gefühle und mich wehrst, dass ich es lasse. Du begehrst mich, so wie ich dich. Ich gehe noch nicht aufs Sofa. Ich habe noch Fragen.«

Plötzlich atmet sie hörbar aus, denn sie hat den Atem angehalten. Sie hat regelrecht nach Luft geschnappt.

»Dann frag bitte alle Fragen und ich beantworte sie.«

Die wahrscheinlich unwahrscheinlichste Möglichkeit stelle ich jetzt, ich muss es wissen. Immerhin ist sie nicht ganz an den Haaren herbei gezogen.

»Bist du noch Jungfrau? Wenn du noch nie eine Beziehung hattest ... und warum darf ich nicht neben dir schlafen?«

Sie lacht laut. »Nein, ich bin keine Jungfrau mehr. Ich habe nur Sex. Ich kann neben niemandem schlafen, das ist eben so.« Sie hat nur Sex gehabt? Ihr erstes Mal muss ja furchtbar gewesen sein. Sex ohne Liebe kann man haben, es sollte jedoch mit Liebe am schönsten sein.

»Hast du nicht das Verlangen, mit jemandem zusammenzusein, dein Leben lang?«

»Bis zu diesem Moment hatte ich es noch nicht und nun geh bitte auf dein Sofa«, antwortet sie genervt und das waren auch vorerst meine Fragen. Bevor ich aufstehe, krieche ich zu ihr und spüre, wie sie sich verspannt. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und flüstere: »Gute Nacht Amelia.«

Vorsichtig krabbele ich aus dem Bett und bevor ich aus dem Zimmer gehe, raschelt die Decke und ich drehe mich zu ihr um. Durch das Licht im Wohnzimmer erkenne ich ihre Silhouette, die zu mir gedreht ist.

»Gute Nacht Jason«, murmelt sie. Ich gehe aus dem Schlafzimmer, schiebe die Tür zu und lasse sie somit alleine, denn ich muss über ihr Gesagtes nachdenken. Jetzt verstehe ich jedenfalls, warum dieser Harin sich gewundert hat, dass ich sie heimbrachte.

Ihr kleines Sofa wartet auf mich. Wenigstens hat es eine Bettfunktion und ich kann mich ordentlich drauflegen und schlafen. Ich muss sagen, die Wohnung ist hübsch eingerichtet und liebevoll dekoriert. Klein aber fein. Jedoch sehe ich keine einzigen Bilder von ihrer Familie oder ihren Freunden. Ich schaue mich nach einer Wolldecke um, doch finde ich nichts. Die Klappe vom Schlafsofa ist leer. Wenn sie sieht, dass ich in ihre Schränke geschaut habe, wird sie mir nie vertrauen. Also lasse ich es, lege mich ohne Decke hin und versuche zu schlafen. Mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf und alle drehen sich um sie. Um Amelia.

Neuntes Kapitel

Irgendetwas rappelt und ich wache dadurch auf, schaue mich um und merke auf mir eine warme kuschelige Decke. Anscheinend hat mich Amelia irgendwann mit der anthrazitfarbenen Decke zugedeckt. Auf der Fensterscheibe klappert der Regen. Wahrscheinlich schläft sie noch, weswegen ich beschließe, ins Bad zu gehen, um nach einer Ersatzzahnbürste zu suchen. Nach einer Weile stelle ich fest, eine zweite Zahnbürste gibt es aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen, die nur für sie plausibel sind, nicht. Gut. Ich brauche einen Plan. Zuerst ziehe ich mir meine Jeans und mein weißes Hemd an, um schließlich mit ihrem Auto zu mir zu fahren. Sie wird bestimmt sauer sein, aber damit kann ich leben. Das ist die einzige Absicherung, noch einmal hereinzukommen, und ich muss zu mir. Bloß nirgendwo liegt ein Schlüssel. Gestern lag er doch auf dem kleinen Tisch neben der Wohnungstür. Hoffentlich ist sie nicht schon weg. Als ich die Schiebetür zu ihrem Schlafzimmer vorsichtig öffne, um nach zu schauen, finde ich ein leeres Bett vor.

»Shit«, fluche ich laut und schlage gegen die Wand. Wann ist sie aufgestanden und vor allem: Warum habe ich es nicht gehört? Nun muss ein anderer Plan her. Ich überlege kurz und beschließe, diesen Harin zu fragen. Eventuell hat er einen Schlüssel, damit ich später wieder hereinkomme.

Nur wo ist sie hin? Ich schätze, Brötchen für Frühstück holt sie nicht, immerhin ist sie nicht froh darüber gewesen, dass ich hier schlafe.

Mein Klopfen an der Wohnungstür von Harin schallt durch das ganze Treppenhaus. Hoffentlich ist dieser Kerl schon wach, denn es steht nicht jeder um 9:00 Uhr sonntags auf, wenn man irgendwann in der Nacht heimkam.

»Ja«, erklingt eine freundliche Frauenstimme. Die Tür öffnet sich und eine ältere Frau mit kurzen dunklen Haaren steht vor mir. Sie schaut mich verdutzt an.

Mein Gott, was ich alles für diese Frau tue, ist unglaublich. Ich will sie unbedingt und kämpfe für uns beide, wenn sie es nicht tut.

»Wohnt hier ein Harin?«, frage ich sicherheitshalber nach. Sie nickt und ruft einmal durch die Wohnung. Der Kerl von heute Nacht kommt verschlafen aus einem Zimmer und reibt sich die Augen.

»Ach, der Arsch oder Nicht-Arsch«, begrüßt er mich und ich brumme, weil ich seine Anmerkung nicht verstehe.

»Amelia ist weg. Hast du einen Schlüssel, dass ich nochmal hereinkomme? Ich muss kurz zu mir nach Hause.«

Er schaut mich skeptisch mit seinen fast schwarzen Augen an und grinst.

»Du hast wohl bei ihr geschlafen. Das ist dann mal eine weitere Premiere für unsere Amelia Malek«, verkündet er und schaut auf die Uhr, die in seinem Flur hängt.

»Hm … Amelia geht an freien Sonntagen um 08:00 Uhr boxen. Manchmal geht sie danach auch noch in die Kirche. Wenn du in einer Stunde zurück bist, öffne ich dir die Tür. Wenn nicht, musst du es mit ihr klären.«

»Eine Stunde?«, frage ich ungläubig nach und er nickt trocken. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich drehe mich um, laufe die vielen Treppenstufen runter und zur Haustür hinaus. Ich gebe mir einen Ruck und beschließe, Bahn zu fahren. Das, was ich wahrscheinlich mit am meisten hasse. Von der U-Bahn-Station bis zu Cedrik ist es nicht weit und von dort rase ich mit meinem Auto zu mir. Wenn ich ein Taxi nehmen würde, wäre ich nicht in einer Stunde zurück.

Für das Duschen habe ich keine Zeit. Also packe ich alles Nötige ein und hoffe, dass Amelia mit mir den Sonntag verbringt. Diesmal kommt meine Cam mit. Irgendwann muss sie doch lockerer werden … Ich kann die Hoffnung noch nicht aufgeben und muss sie vielleicht wirklich zu ihrem Glück zwingen. Wenn sie nie eine Beziehung hatte, hat sie keine Ahnung, was sie verpasst. Wie viel Spaß man gemeinsam haben kann. So, wie Sophia ihre ganze Jugend versäumt, wenn Judith ihre Leine nicht lockert. Auf dem Weg zurück halte ich noch schnell bei einem Bäcker an und kaufe Brötchen. Möglicherweise hat sie nach dem Sport Hunger. Jedenfalls würden sich die meisten darüber freuen. Perfekt! Ich habe noch fünfzehn Minuten, um mich bei ihr zu duschen und fertigzumachen. Als ich an Harins Tür klopfe, höre ich schon Schritte, die hinter der Tür näher kommen. Er steht vor mir und grinst.

»Bravo«, begrüßt er mich sarkastisch. »Warte, ich öffne dir die Tür. Sie ist übrigens noch nicht zurück. Wie ich sehe, willst du dich bei ihr frischmachen. Das war wohl nicht machbar.« Er blinzelt mich gehässig an und schaut auf die Kamera.

»Nein, war es nicht, aber ich habe es innerhalb einer Stunde geschafft«, sage ich etwas außer Puste.

»Filmst du?«, hakt er nach.

»Ja, meistens. Das ist ein langes und altes Hobby«, erkläre ich ihm. Gemeinsam läuft er mit mir die Treppen hoch.

»Wenn du sie weichklopfst, darfst du nicht ihr Herz brechen«, sagt er dominant und ich verstehe nicht genau, was er mir damit sagen will. Sein Blick ist jedoch ziemlich teuflisch und herrisch. Er schließt die Tür. Sofort lege ich die Brötchen auf den kleinen Küchentisch und decke ihn ein. Danach mache ich mich frisch und dusche in ihrer mintfarbenen Badewanne mit grauem Duschvorhang. Sie hat trotz dieses Retrostils irgendwie ein recht schönes Flair ins Badezimmer gezaubert. Die Fliesen sind mintfarben. Genauso wie Wanne, Waschbecken und Toilette. Sie hat graue Akzente gesetzt durch Handtücher, Duschvorhang, Deko und Teppich.

Nach dieser chaotischen Nacht ist es eine Wohltat, heiß zu duschen, und am liebsten würde ich stehenbleiben. Das graue Handtuch, das ich mir von zu Hause mitgenommen habe, weil ich nicht bei ihr herumwühlen wollte, lasse ich trocknen. Mein Blick wandert in dem Spiegel und ich erkenne, dass meine Haare schon wieder am wachsen sind. Diese blöden Locken.

Als ich aus dem Badezimmer komme, gibt es nach wie vor noch keine Spur von Amelia und ich suche Marmelade oder Ähnliches. Jedoch besitzt sie nur je eine Sorte Wurst und Käse. Dann hat sie Butter, Nutella und Honig, um sich ein Brötchen zu belegen. Okay, sie ist alleine und braucht nicht viel Abwechslung. Noch einmal laufe ich zu Harin runter, klopfe und Harin öffnet mir genervt die Tür.

»Was ist denn schon wieder?«

»Habt ihr Marmelade und Eier?«

»Warum, sind deine verschwunden?« Er lacht und findet es witzig.

»Ach Harin«, schimpft die ältere Dame. »Ich bin Annamaria, Harins Mama. Also wir haben verschiedene Marmeladen. Zwei Eier reichen, oder?«

Ich nicke und sie packt alles in einen kleinen Korb.

»Jason Hasley«, stelle ich mich vor und Sie nickt mit einem Lächeln.

»Das weiß ich. Von dir habe ich schon gehört.« Sanft streicht sie mir über meinen Arm. Mit dieser liebevollen Geste will sie mir irgendetwas sagen. Nur kann ich mit diesen ganzen Anspielungen heute nichts anfangen. Ich bin nicht verkatert, dafür habe ich zu wenig getrunken. Harin verdreht die Augen, kommt mit mir und schließt mir die Wohnungstür erneut auf. So ist es zwar kompliziert, aber andererseits gibt es keine Alternative. Ich stelle die Marmeladengläser auf den Tisch und lasse Wasser in einen Topf fließen. In dem Moment wird die Tür aufgeschlossen und Amelia steht vor mir. Ihre Haare sind offen und als sie die Jacke auszieht, trägt sie ein rotes Pulloverkleid und eine Strumpfhose. Sie schaut zuerst mich verdutzt an und schließlich auf den Frühstückstisch. Ihr Blick wechselt hin und her.

»Du hast mich heute Nacht zugedeckt, danke«, breche ich das Schweigen. Sie lächelt kurz und wuschelt sich in ihren Haaren herum.

»Du hast geschnarcht und ich wurde irgendwann wach, ich dachte, du würdest gerne eine haben wollen. Ich bin ja kein Unmensch.« Dass sie ein Unmensch sein könnte, passt überhaupt nicht in meine Vorstellung. Sie ist so wundervoll und gleichzeitig so stur. »Ich muss ehrlich sagen, ich bin froh, dass du nicht in meinen Schränken danach gesucht hast.«

Gut, dass ich auf mein Gefühl gehört habe.

»Ich dachte mir, dass es dir nicht gefallen würde. Ich hoffe, du hast Hunger? Ich musste durch das ganze Haus laufen und nach Marmelade und Eiern betteln.« Sofort schenkt sie mir ein Lächeln und ich schätze, sie weiß, dass ich ein wenig übertreibe, nur um sie dazu zu bekommen. Dieses kleine kurze Grinsen gehört nur mir.

»Ja, ich habe Hunger. Hat Harin dich wieder herein-gelassen?«, fragt sie, zeigt auf meine Kleidung und kennt eigentlich schon die Antwort.

»Ja, hat er. Er stellte mir sogar ein Ultimatum«, erzähle ich ihr und ihr Lächeln wird breiter.

»Was für eins?«, fragt sie neugierig, als wir uns setzen und ich erkläre es ihr während des Frühstücks.

»Ich musste innerhalb einer Stunde wieder zurück sein. Ansonsten hätte er mir nicht aufgemacht«, antworte ich ihr.

»Das kann ich mir bei Harin gut vorstellen.« Sie findet es lustig, was ich mir schon gedacht habe. Mal schauen, wie lange ihre Laune so bleibt und wann ihre kalte Dusche kommt. Vielleicht hat ihr das Boxen gutgetan. Sie schaut sich um und sieht die Kamera, die auf der Küchenzeile steht.

»Warum filmst du ständig?«, fragt sie neugierig und legt ihre Haare auf die linke Schulter.

»Es nervt dich genauso wie die anderen.«

Sie nickt, obwohl es nicht mal eine Frage von mir war, sondern eine Feststellung.

»Keine Ahnung, ich habe irgendwann damit angefangen, es macht mir Spaß und deshalb mache ich es weiterhin.« Mein Handy klingelt und ich hole es aus der Jogginghosentasche heraus. Es war nur eine Nachricht und ich schaue zurück zu Amelia. Trotzdem hat es irgendetwas bei ihr ausgelöst und die kalte Dusche kam, dabei verändern sich ihre Augen immer. Sie schaut mich an, guckt sich um und steht auf. Mit ihrer Brötchenhälfte läuft sie durch ihre kleine Wohnung. Ich beobachte sie die ganze Zeit, aber sie sagt nichts. Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass ich drei Nachrichten habe.

Hello Jason, where are you? I want to have a talk with you!

Your Father

Hoffentlich hat Sophia nicht geredet. Das kann ich überhaupt nicht gebrauchen. ›Your Father‹ zeigt mir, dass er sauer ist. Die Blicke von Amelia spüre ich genau auf mir. Sie setzt sich zurück zu mir und beobachtet mich mit ihren Kulleraugen.

Ey Alter, warst du erfolgreich?

Melde dich.

Cedrik

Darauf werde ich nicht antworten.

Danke, dass du mir den Abend versaut hast!

Nur weil du schwanzgesteuert bist!

Mama und Edmund wollen mit dir reden.

Dachte, du bist zu Hause … bist du aber nicht.

Versaut? Sie durfte das erste Mal Samstag Abend das Haus verlassen. Darüber, dass sie mit mir wegging, sollte sie froh sein. Es war lange genug. Von 22:00 Uhr bis nachts um 2:00 Uhr reicht.

Amelia hat bestimmt nicht viel geschlafen, wenn sie um 8:00 Uhr schon zum Sport ist. Ich habe um halb vier das letzte Mal auf die Uhr geschaut. Ehrlich gesagt sieht sie ziemlich fit aus.

»Du hast nicht viel geschlafen?«, versuche ich sie wieder für mich zu gewinnen.

»Nein«, antwortet sie knapp und irgendwie ist es schon amüsant. Einerseits ist sie so unbeschreiblich und andererseits passiert irgendetwas in ihrem hübschen klugen Köpfchen und sie ist eiskalt. Nein, eiskalt ist der falsche Begriff. Sie ist dickköpfig und vorsichtig. Es klingelt erneut ein Telefon, jedoch ist es nicht mein Handy, sondern ihres. Kurz schaut sie drauf und lässt es weiter klingeln.

»Möchtest du nicht dran gehen?«, frage ich nach. Sie blickt einem Moment lang von ihrem Teller hoch zu mir und schenkt mir einen bösen Blick. Womit habe ich den denn verdient? Meine Hände heben sich ganz von selbst und ich beschließe, meinem Papa und Sophia eine Nachricht zu schreiben.

I’m at a womans place. What’s up?

Jason

Ein weiteres Telefon klingelt. Amelia verdreht die Augen und bleibt jedoch stur und wie angewurzelt auf dem Stuhl sitzen. Jetzt vermute ich, dass ich den bösen Blick zwar bekam, aber er nicht mir galt.

»Hier ist der persönliche Anrufbeantworter von Amelia Malek«, fängt ihr AB an zu reden.

»Amelia, hier ist dein Vater. Deine Mutter ist ziemlich traurig, dass du dich seit dem Beginn deines neuen Jobs kaum gemeldet hast. Sie lässt fragen, ob du an Weihnachten und deinem Geburtstag vorbeikommst oder ob du da arbeitest? Wenn du es abhörst, ruf uns an. Wir haben dich lieb. Pass auf dich auf.«

Amelia stöhnt und verdreht die Augen. Der Ton ihres Vaters ist ziemlich streng. Warum meldet sie … Ich verkneife mir jegliche laute Frage. Mein Kopf neigt sich zu meinem Handy und ich schreibe Sophia.

Sophia, wir waren lange genug dort.

Sei froh, dass du weggehen durftest.

Was wollen Judith und Edmund?

Jason

Der Abgang war scheiße!!!!

Sagen wir es so, ich habe mich heute Morgen entleert …

Na toll. Sie hat doch nicht viel getrunken.

Wie viel hast du gebechert?!

Keine Ahnung, die Mädels haben es geholt.

Mir ging es gut, bis ich im Bett lag …

Da kann ich mir eine Predigt anhören. Nicht mein Ding. Ab heute Nacht darf sie wahrscheinlich erst mit achtzehn wieder ausgehen und das nur mit Keuschheitsgürtel.

Anscheinend ist Amelia fertig mit frühstücken, denn sie steht auf. Mein Tee ist schon fast kalt. Tee. Sie hat keine Kaffeemaschine oder Ähnliches.

»Danke für das Frühstück«, sagt sie und lächelt. In dem Moment, als sie mir in die Augen blickt, werden ihre wieder warm. Sie räumt ihr Geschirr in die Spüle und lässt heißes Wasser hinein.

»Lass es, du kannst noch ein bisschen schlafen. Immerhin hast du wahrscheinlich weniger geschlafen als ich. Ich wasch ab und bring die Marmelade zurück zu ihrem Eigentümer«, biete ich ihr an und greife nach ihrer Hand, als sie meinen Teller nehmen will. Sie schnappt kurz nach Luft und zittert leicht.

Steht sie eventuell doch nicht auf mich? Hat Chris vielleicht recht? Warum hat sie dann gestern mit mir getanzt? Ich werde einfach nicht schlau aus ihr und ihrem Verhalten.

»Hast du Angst vor mir?«, frage ich sicherheitshalber nach und halte sie immer noch locker am Handgelenk fest.

»Was? Nein«, antwortet sie mit einem kurzen Lachen, danach ist sie wieder ernst und ich lasse sie los.

»Dann sag mir, warum du dich mir gegenüber so verhältst. Warum willst du das nicht? Warum kämpfst du dagegen so an?«

Kaum spürbar streicht sie mir über meine Brust und schaut mir erneut tief in die Augen.

»Ich, es …«, stottert sie, dreht sich um und geht ins Schlafzimmer. Dabei erkenne ich, dass sie sich mit ihrer Handfläche übers Gesicht wischt.

»Amelia ...«, flüstere ich.

»Du hast ja gesagt, ich darf mich ausruhen. Wenn ich wach bin, bist du weg«, äußert sie sich. Nein, jetzt kann ich doch nicht verschwinden, ohne mit ihr geredet zu haben, nach so einer Situation. Wenn sie mir keinen richtigen Grund nennen kann und so lange sie so auf mich reagiert, bleibe ich, um sie zu verstehen. Cedrik hat recht, manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden. Mit irgendwem redet sie. Wahrscheinlich ruft sie ihre Eltern an. Warum meldet sie sich nicht bei ihnen? Immerhin hatten wir ausnahmsweise ein freies Wochenende, da kann man ruhig telefonieren. Die Konfitüre packe ich in den Korb und bringe sie runter. Diesmal macht Annamaria die Tür auf und sie lächelt mich sofort freundlich an. Sie bittet mich herein und räumt die Marmelade in den Kühlschrank.

»Ihr ist das alles nicht geheuer. Sie kennt das nicht. Sie wird mir ziemlich sauer sein, wenn sie weiß, dass ich mit dir darüber geredet habe.«

»Du solltest es lassen, Mama«, weist Harin sie zurecht und kommt zu uns gestoßen. Er schaut mich ziemlich sauer an. Was habe ich ihm getan?

»Muss ich dir wieder die Tür aufmachen oder hast du irgendetwas zwischen die Tür gelegt, dass sie nicht zufällt?« Ich winke mit dem Schlüssel von Amelia und er nickt.

»Harin, sie braucht jemanden in ihrem Leben. Man kann nicht ewig alleine leben«, tadelt sie ihren Sohn und wendet sich an mich. »Ich denke, du würdest ihr guttun.«

Meine Arme verschränken sich und sie streicht mir noch einmal liebevoll über den linken Oberarm.

»Wenn du sie wirklich gern hast, wird sie es merken und nachgeben.« Harins Mutter bringt mich zur Tür und als ich im Treppenhaus bin, höre ich, wie sie mit Harin lauter diskutiert.

»Amelia hat ihn gern und kann es nicht zugeben.«

»Mama, das ist nicht unsere Sache.«

»Natürlich geht es uns etwas an, Amelia ist deine Freundin und unsere Nachbarin. Sei nicht so gemein zu ihm.« Ich lausche kurz und gehe schließlich die Treppe hoch.

Als ich in Amelias kleiner Wohnung bin, schaue ich fern und beschließe, meinen Papa anzurufen. Er ist nur ein bisschen sauer im Gegensatz zu Judith, sie ist außer sich. Dass sie nicht durch das Handy krabbelt, ist alles. Meine Worte beruhigen sie. Griesgrämig ist sie dennoch. Das Einzige, was ich hoffe, ist, dass ich Amelia nicht aufgeweckt habe durch mein lautes Reden. Immerhin lasse ich mich nicht von Judith anbrüllen. Nach meiner lauten Ansage war sie ruhig.

Sophia wird bei unserem nächsten Treffen eine ordentliche Meldung bekommen und dann war es das für mich als Babysitter.

Über meine Brust und mein Gesicht streicht eine sanfte Brise von …

Schlagartig öffne ich die Augen und Amelia zieht ihre Hand von meiner Brust weg. Bis zu diesem Augenblick wusste ich nicht, wie unbeschreiblich schön dieses Gefühl ist, Amelia als Erstes zu sehen, wenn ich die Augen öffne. Sie hat mich wieder zugedeckt und hat irgendein wirklich hässliches Teil an. Es sieht aus wie ein Omaschlafanzug und ich würde es ihr am liebsten von ihrem Körper reißen. Sie krabbelt auf das kleine Sofa und zieht ein Stück der Decke zu sich. Jedoch so, dass ich weiterhin zugedeckt bin. Jegliche Körperberührung versucht sie zu vermeiden. Durch ihr albernes Benehmen verhalte ich mich selbst wie der letzte Vollidiot. Zügig schaltet sie durch die Fernsehprogramme. Als sie mich sah, hatte sie anscheinend das Bedürfnis, mich zu berühren. Vermutlich dachte sie, ich würde es nicht merken.

Schlaftrunken beobachte ich sie, wie sie mit ihrer linken Hand an ihrem geflochtenen Zopf spielt. Der Anblick von ihrem Haar in jeglichen Variationen ist ungewöhnlich und zugleich schön, denn sonst trägt sie auf der Arbeit einen Dutt. Ich strecke mich und reibe mir die Augen.

»Du bist noch da?«, werde ich im Flüsterton begrüßt und sie schaut mich an.

»Anscheinend bin ich selbst eingeschlafen«, rede ich mit Sarkasmus und lächle sie an.

»Du hättest nach dem Aufräumen gehen können und hast es nicht getan, warum?«, fragt sie weiter nach.

»Na, das ist ja eine schöne Begrüßung beim Aufwachen«, sage ich, während ich mich langsam hinsetze, und neige den Kopf zu ihr, damit ich sie anschauen kann.

»Du bist nicht fort und es ist meine Wohnung.«

»Also schmeißt du mich raus?«, frage ich, stehe auf und hole mir ein Glas Wasser zu trinken. Sie antwortet nicht und schnaubt.

»Ich würde gerne wissen, warum du nicht fort bist«, wiederholt sie nach mindestens fünf Minuten Schweigen.

»Weil ich versuche, dich kennenzulernen«, erkläre ich ihr. Amelia steht nun auch auf und ich halte sie fest, als sie vor mir am Küchenschrank steht.

»Amelia, bitte rede mit mir, erkläre es mir. Ich versuche, dich wirklich zu verstehen«, bitte ich. Mit einem Ruck reißt sie sich los, holt sich ebenfalls ein Glas und nimmt die Wasserflasche aus meiner Hand. Schließlich läuft sie mit ihrem Glas zurück zum Sofa und setzt sich der Länge nach hin, daher hebe ich ihre Beine hoch, setze mich ebenfalls und lasse ihre Beine vorsichtig auf meinen Schoß fallen. Meine Hände berühren sie und ihre ganze Körperhaltung ist angespannt. Dennoch bleibt sie sitzen und lässt es sich gefallen. Anscheinend kämpft sie selbst mit sich. Wäre ich Pädagoge wie Judith, würde ich behaupten, Amelia ist ambivalent. Ein lautes Magenknurren aus ihrem Bauch übertönt den Fernseher und ich schaue auf die Uhr.

»Wir könnten uns Essen bestellen?«, biete ich an.

»Ich dachte, du fährst zu dir nach Hause«, sagt sie verwundert.

»Echt? Wann denn? Ich habe noch Kleidung für morgen dabei«, amüsiere ich mich und ihre Augen sind aufgerissen.

»Jason, ich wohne alleine.«

»Ich weiß und ich will dich. Außerdem habe ich meine weiteren Fragen nicht beantwortet bekommen.« Eigentlich habe ich mit einem Aufstehen von ihr gerechnet, allerdings sitzt sie und lässt ihre Beine, die ich mittlerweile über der Decke streichle, auf mir liegen. Manchmal zuckt sie und lächelt, als hätte ich sie gekitzelt. Wenn ich mir vorstelle, es könnte jeder Abend so sein …

Noch nie habe ich mich einer Frau so nah gefühlt, obwohl sie so fern ist. Als Nächstes brummt mein Bauch. Wir haben heute Morgen das Letzte gegessen. Ich jedenfalls. Vielleicht hat sie zwischenzeitlich noch Brot oder eins der übriggeblieben Brötchen gegessen.

»Also ich bestelle mir Essen. Entweder du bestellst mit oder ich tu es alleine«, verkünde ich, strecke mich über ihren Tisch und greife nach meinem Handy. Sie zieht eine Augenbraue hoch.

»Wo oder was willst du bestellen?«

Aha, sie hat doch Hunger.

»Mir egal, worauf hast du Hunger?« Persönlich würde ich italienisch bestellen, wenn sie etwas anderes will, dann passe ich mich an.

»Was steht denn zur Auswahl?«, hakt sie nach.

»Italienisch, chinesisch, griechisch«, antworte ich und zucke mit den Schultern.

»Pizza klingt gut«, antwortet sie lächelnd und ich nicke.

»Was hättest du denn gerne für eine Pizza?«

»Eine normale Pizza.«

»Also Thunfisch-Spinat?«, frage ich, denn das ist mein Favorit. Sie schüttelt den Kopf.

»Hawaii oder Salami, Schinken, Pilze. Wer isst denn bitteschön Thunfisch-Spinat.« Sie macht ein extrem angewidertes Gesicht.

»Aber Hawaii?«, schieße ich gegen sie. Sie kichert kurz und ihre Augen leuchten.

»Also ich will Hawaii und keinen Spinat auf meiner Pizza.«

Ich rufe meine Lieblingspizzeria an und bestelle die zwei Pizzen und einen Salat, sonst bekommen wir den Lieferpreis nicht zusammen.

Eine Stunde später läuft mir Lorenzo im Treppenhaus halb entgegen.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du mal umziehst. Fünfzehn Euro bekomme ich von dir, Jason«, sagt Lorenzo.

»Nein, ich bin nicht umgezogen«, antworte ich ihm und gebe ihm drei Fünf-Euro-Scheine.

»Oh, amore«, sagt er und läuft die Treppen runter. Mit unserem Essen laufe ich wieder hoch und gebe Amelia ihre Pizza, auf die sie sich sofort stürzt. Gemeinsam essen wir vor dem Fernseher und genießen den Abend.

In der Werbung steht sie auf, läuft ins Bad und beobachtet mich von der Tür, während sie sich die Zähne putzt.
»Morgen schläfst du bei dir.«

Ich folge ihr und suche in meiner Tasche die Zahnbürste. »Warum hast du eigentlich keine Ersatzzahnbürste?«

Sie zuckt mit den Schultern und spuckt den Schaum aus. »Das war die Letzte, ich muss mir erst Neue kaufen. Morgen schläfst du zu Hause«, wiederholt sie mit schärferem Ton.

Sie wartet auf eine Reaktion von mir, jedoch ignoriere ich das Ganze. Als ich mich nach ihr auf das Sofa setzen möchte, hebt sie schon ihre Beine hoch, damit sie sie auf mich legen kann. Dieser Triumph bringt mich zum Lächeln. Gemeinsam schauen wir ›Batman Begins‹ weiter und ihr ganzer Körper wird schwerer. Langsam entspannt rutscht sie Stück für Stück zu mir und hält meine Hand fest. Als die Massenpanik in Gotham ausbricht, wegen des Halluzinogens, fallen Amelia die Augen zu. Am liebsten würde ich sie schlafen lassen und mich einfach an sie kuscheln. Doch so würde ich niemals ihr Vertrauen gewinnen und das brauche ich, um sie zu bekommen. Amelia sieht friedlich und entspannt aus. Ich schalte den Fernseher aus, hebe sie hoch und trage sie in ihr Bett. Kurz wird sie wach, hebt ihren Kopf und schaut mich müde und verwirrt an.

»Was machst du?«, fragt sie schläfrig.

»Ich bringe dich ins Bett. Du schläfst doch neben niemandem«, flüstere ich. Schließlich legt sie ihren Kopf zurück an meine Brust und vergräbt ihr Gesicht in meinem Shirt. Die Schiebetür ist offen und ich lege sie vorsichtig ins Bett und decke sie zu.

Zehntes Kapitel

Die nächsten Tage sind ruhig und morgen ist schon wieder Freitag. Ich stelle ihr Tee und mir meinen altmodischen Filterkaffee auf den Tisch, während Amelia eine letzte Haarnadel in ihren Dutt steckt. Meine Augen schweifen über ihren Körper und sie lächelt kurz.

»Kannst du bitte während des Frühstücks die Kamera ausmachen?«, fragt sie mit einem höflichen, aber dennoch bestimmenden Ton.

»So, sie ist aus. Lass uns frühstücken, sonst kommen wir zu spät«, sage ich und lüge sie an, denn ich schalte die Kamera nicht aus.

»Wir werden sowieso getrennt fahren. Du kannst dein Bettzeug und deinen Kaffee wieder mitnehmen. Das Teil ist immer noch an, ich bin nicht blöd«, sagt sie schnippisch. Here we go again.

»Amelia, ich trinke nun mal gerne Kaffee. Vielleicht überlege ich mir noch, ob ich wieder hier schlafe. Du könntest mir auch einfach einen Schlüssel geben. Harin muss mir ständig die Tür öffnen, weil du die Klingel nicht hörst«, meckere ich ein wenig und dürfte eigentlich gar keine Ansprüche stellen. Sie sollte zum Vermieter oder Hausmeister gehen und sie reparieren lassen. Mich würde interessieren, ob sie mich unten stehenlassen würde oder ob sie mir die Tür aufmacht, wenn ich davor stehen würde. Aber diese Frage werde ich wahrscheinlich nie beantwortet bekommen.

»Sag mal, tickst du noch ganz richtig?«, sagt Amelia etwas entsetzt, nimmt mir mein gerade fertiggeschmiertes Marmeladenbrötchen aus der Hand, beißt genussvoll herein, lässt es im Mund und zieht sich derweil ihre Jacke an. Schließlich verschwindet sie aus der Tür und ich muss einfach nur lachen. Selbstverständlich weiß ich, dass es sich nicht gehört, bei ihr zu schlafen, weil sie mich nicht darum bat. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass sie die gemeinsamen Fernsehabende mit mir genießt. Gestern lag sie mit dem Kopf auf meinem Bauch und ich habe sie ganz sanft gekrault.

Ich fahre zur Arbeit und grinse sie dort an. Das ist nun schon das zweite Mal, dass sie mir mein Frühstück geklaut hat. Vorgestern tat sie es schon einmal. Wahrscheinlich habe ich es verdient.

Der Tag geht zügig vorbei und Bill und ich rauchen zusammen noch eine vor dem Präsidium. Amelia steht am Auto, schaut mich lächelnd an und verabschiedet sich von uns.

»Na, es geht voran, was?«, fragt Bill sofort, als Amelia im Auto sitzt und losfährt.

»Na ja, es könnte besser sein«, antworte ich ihm, Bill lacht und klopft mir auf die Schulter.

»Du bist aber auch ganz schön ungeduldig.« Mein Brummen kann ich nicht unterdrücken und Bill kriegt sich nicht mehr ein. »Jason, sie ist nicht wie andere Frauen.«

»Das musst du mir nicht sagen«, sage ich ihm und steige schließlich auch ins Auto ein.

Wie gewohnt klingel ich bei Helals.

»Ja?«, höre ich Harin durch die Freisprechanlage.

»Harin, ich bin’s.« Die Tür surrt und ich laufe die Treppen hoch. Als ich fast oben bin, winkt Harin mir mit einem Schlüssel.

»Also nach mehreren Selbstgesprächen und Überlegungen mit meiner Mutter hat meine gutmütige Seite gewonnen.«

»Und was willst du mir damit jetzt sagen?«, frage ich und verschränke die Arme vor ihm.

»Du bekommst meinen Schlüssel. Benutze ihn klug und tu Amelia nicht weh«, antwortet er mir und lächelt. »Ich glaube, du meinst es wirklich ernst mit ihr. Deshalb gebe ich dir eine Chance, okay?«, redet er weiter und ich nicke.

Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer: »Danke.«

»Bitte.« Harin drückt mir seinen Schlüssel in die Hand und geht wieder in seine Wohnung. Nun habe ich das Gefühl, ich bin Harin etwas schuldig. Irgendwann werde ich ihm einen Gefallen tun und dann habe ich meine Schuld bezahlt.

In dem Augenblick, als ich die Wohnungstür aufschließe, läuft Amelia nur im Handtuch umwickelt an mir vorbei.

»Ich habe mir den von Harin geliehen. Ist doch okay, oder?«, sage ich und freue mich wie ein Glücksbärchie, dabei zeige ich ihr den Schlüssel. Kurz bleibt Amelia stehen.

»Jason, verschwinde. Es ist meine Wohnung. Hast du keine eigene?«, schimpft sie ein wenig, während sie mit dem Fuß auf den Boden stampft, und legt den Kopf nach hinten. Ein Stück gehe ich auf sie zu, weil sie einfach atemberaubend ist, wenn sie so ein kleiner Giftzwerg ist. Sie dreht mir den Rücken zu und läuft ins Badezimmer. In der Zeit während sie im Bad ist, bereite ich unser Abendbrot vor und gieße Wein in zwei Gläser.

Plötzlich geht die Badezimmertür auf und sie erscheint in diesem furchtbaren Schlafanzug. Sie rutscht mit ihren Socken über den Fußboden, als würde sie Schlittschuhlaufen. Ihr Ziel ist der Esstisch, auf dem die Gläser und die Teller stehen. Mit einem Lächeln nimmt sie sich von beiden jeweils eins und setzt sich schließlich auf das Sofa.

»Wenn du hier schon nächtigst, könntest du auch mal Essen kaufen und dich an der Miete beteiligen«, sagt sie unerwartet. Okay, den Wein habe ich gekauft sowie die Brötchen oder das Toast, was wir täglich frühstücken. Aber an der Miete?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752122749
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Lovestory Drama Zeitgenösische Frauenliteratur Moderne Belletristik für Frauen

Autor

  • Ana L. Rain (Autor:in)

1991 erblickte Ana L. Rain im schönen Hessen die Welt. Wo sie heute liebt, liest, schreibt und lebt. Ana ist ein sehr emotionaler Mensch. Genau aus diesem Grund schreibt sie dramatische und zugleich traurige Liebesgeschichten. Sie hat eine Vorliebe zur Körperkunst, die unter die Haut geht und Katzen.
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Titel: Broken Love: Ersehntes Verlangen