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Rendezvous mit meiner Seele

Vom eigenverantwortlichen Leben

von Friedlinde Eichhorn (Autor:in)
172 Seiten

Zusammenfassung

Was wäre, wenn »Wellness« für die menschliche Seele und den Geist genauso wichtig wäre wie die Fürsorge für unseren Körper? Doch ausgerechnet mit Ihrer Seele kommunizieren viele Menschen nicht oder zu wenig. Basierend auf einem vierzigjährigem Leben im Glauben zeigt die Autorin in einer ebenso lebensnahen wie ganzheitlichen Betrachtung beachtenswerte Perspektiven zu dem Umgang mit unserer Seele und deren Kostbarkeit auf. In diesem sehr persönlich gehaltenen Buch voller Lebenserfahrungen gibt sie Einblick in die inneren Kämpfe zu dem Thema, schärft den Blick für eine unsichtbare Welt, beleuchtet die zwei Seiten der Herrlichkeit Gottes und zeigt Wege auf, Gott zu hören und ihm zu vertrauen. »Gott vertrauen zu können ist kein Hormon, das der eine hat und der andere nicht.«

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Ein wichtiges Vorwort

Der Gedanke an ein Buch ist schon lange in mir.

 

Die Tatsache, dass in der heutigen Zeit das Bücher schreiben sehr populär geworden ist einschließlich Autobiografien, hat mich lange zögern lassen. Aber ein Sabbatjahr, das ich „von oben“ verordnet bekam und so manches in den letzten Jahren erschienene Buch hat mich dann doch zu diesem Schritt ermutigt.

 

Was will ich mit diesem, meinem ersten Buch, das vielleicht einmal viele Menschen lesen werden, und wie komme ich zu dem herausfordernden Titel?

 

Meine Absicht ist weder die Verarbeitung meiner Biografie, noch verbinde ich damit in irgendeiner Weise politischen, theologischen oder fachbezogenen Anspruch. Ich möchte einfach andere teilhaben lassen an dem, was ich seit sehr vielen Jahren mit Gott erlebe und es nicht für mich behalten. Das tue ich in der Hoffnung, dass das Geschriebene vielen Menschen in vergleichbaren Situationen und mit ähnlichen Fragen eine Hilfe wird. Oder eine Ermutigung und Anregung, ein Gedankenanstoß, eine Bereicherung oder irgendetwas Ihnen Dienliches. Ich öffne in diesem Buch für den Leser meine Seele und lasse Sie ein bisschen hinein schauen, weil ich finde, dass es genau darüber zu wenig Literatur gibt. Erfahrungsgemäß bereichern uns aber genau diese Art Hilfestellungen im alltäglichen Leben.

 

Inhaltlich ist das Buch eine Mischung aus vieljährigen Wahrnehmungen, Beobachtungen, Erkenntnissen, eigenen Erfahrungen und der anderer, die mir berichtet wurden. Da, wo es aus meiner Sicht passend und hilfreich erschien, habe ich eigene Tagebucheintragungen aus der Zeit des Sabbatjahres sowie der davor und danach liegenden Zeit eingefügt. Punktuell erschien es mir auch angebracht, zu bestimmten Themen Autobiografisches hinzuzufügen. Bibelstellen sind, falls zitiert, in der Luther- oder der Neues Leben Übersetzung wiedergegeben.

 

Im Zentrum des Buches soll die persönliche Gottesbeziehung stehen, so wie ich sie erlebe, gleichzeitig die Beziehung zu mir selbst auf der besonderen Ebene der Seele. Das tue ich deshalb, weil mir diese Konstellation eine existentiell wichtige geworden ist. Ich habe selbst und bei anderen viele Male erlebt, wie hilfreich der Zugang zur eigenen Seele für eine lebendige und wachsende Gottesbeziehung ist. Ich kenne sehr viele Menschen, die eine tiefe Sehnsucht haben, in eine ganzheitliche und wirklich vertrauensvolle Beziehung zum lebendigen Gott zu finden. Dem Gott, der in der Bibel als der Dreieinige in Vater, Sohn und Heiligem Geist beschrieben wird.

 

Wie komme ich zu dem Titel des Buches?

 

So, wie ich es immer wieder erlebe: der Impuls dazu war in einem völlig anderen Zusammenhang plötzlich klar und ist in mir geblieben. Auf gleiche Weise habe ich andere Dinge erlebt und erkannt, so auch, dass Gott für mich ein volles Jahr der Auszeit in Schottland haben möchte. Dabei griff er einen von mir viele Jahre im Stillen gehegten Herzenswunsch auf, von dem ich weder den Glauben noch den Mut hatte, dass er sich realisieren könnte. Etwa eineinhalb Jahre vorher wurde dies deutlich. Ich war vom ersten Moment an gewiss, das ist von Gott gewollt und er wird für die Realisierung sorgen.

Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich sorgfältig und verantwortungsvoll darauf vorbereitet.

 

Alle Menschen, mit denen ich zu tun habe, Freunde, Klienten und Bekannte, fanden das nicht nur eine gute Idee, sondern sie gönnten mir die bevorstehende Auszeit von Herzen. Auch wenn es so manchem schwer fiel, mich in absehbarer Zeit ziehen zu lassen.

Der Gedanke, ein Jahr lang frei zu sein, meinen Alltag in jeder Hinsicht selbst gestalten zu können, ohne Zeit- und Termindruck, ohne ein „muss“, gab mir große Kraft und eine wohltuende Perspektive. Ich kannte bis dahin in erster Linie einen von außen und anderen vorgegebenen Alltag, was nicht heißt, dass ich meine Arbeit, insbesondere die mit tief verletzten Menschen, nicht sehr gerne getan hätte und nach wie vor gerne tue.

 

Bis zur Abreise, für die ich konstant ein bestimmtes Datum im Kopf hatte, hatte ich weit über drei Jahrzehnte bis auf Krankheitszeiten ohne Unterbrechungen hart gearbeitet und alleine für meinen Lebensunterhalt sorgen müssen. Oft war das mit vielen Überstunden und vor allem mit einer hohen Verantwortung für andere Menschen verbunden. Diese hatte mich nicht nur einmal seelisch und körperlich erheblich gestresst, sodass ich öfter Sorge hatte, einen Herzinfarkt zu erleiden. Ich bin Gott sehr dankbar, dass das bisher nie geschehen ist.

Viele Menschen waren direkt und indirekt an der Vorbereitung des Sabbatjahres beteiligt. Ohne sie und ihre zum Teil sehr konkreten Hilfen unterschiedlicher Art wäre die Umsetzung für mich undenkbar gewesen. Ich bin immer wieder tief berührt, wenn Menschen ihr Herz für das Reden Gottes öffnen, um einander zu helfen und füreinander einzustehen.

An dieser Stelle möchte ich all diesen vielen Menschen von Herzen danken, angefangen von der Studienzeit bis zum heutigen Tag. Meine Bitte ist, dass der Allmächtige Dir und Euch alles das, was Ihr mir an Gutem gegeben habt und gewesen seid, reichlich erstatten möge! Ich möchte bewusst keine Namen nennen, es sollen sich alle Beteiligten davon angesprochen wissen. Danke auch an alle, die das Buch während der Entstehung gegengelesen und mich dabei liebevoll da und dort korrigiert haben!

 

Was ist das Anliegen dieses Buches?

 

Wie oben bereits kurz erwähnt, ein in erster Linie teilhaben lassen an persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen, eigenen Wahrnehmungen und Berichtetem von vielen anderen Menschen, mit denen ich aus unterschiedlichen Gründen in Beziehung und Kontakt bin.

Was verstehe ich unter „Seele“?

Detaillierter wird das immer wieder in diesem Buch deutlich werden.

Vorneweg aber, um auch den Einstieg des Buches besser zu verstehen: ich persönlich bin kein Freund der Trennung von Leib, Seele und Geist. Gott spricht diese drei Ebenen gezielt an, wenn er besonders auf einer dieser etwas bewusst machen will.

Im übrigen sind biblische Aussagen ganzheitlich zu verstehen. In sehr vielen Bibelstellen ist das nachzulesen, unter anderem auch im Buch Josua 24, Vers 23. Außerdem verschärft eine Trennung dieser Ebenen die Problematik, die meiner Erfahrung nach viele Christen haben. Sie leben ihren Glauben gewissermaßen gespalten. Damit meine ich, dass die Gefühle auf der seelischen Ebene nicht konform sind mit dem biblischen Wissen auf der kognitiven. Nicht selten habe ich erlebt, dass Menschen dadurch in tiefe Konflikte bis hin zur inneren Zerrissenheit geraten sind. Für mich gehören Leib, Seele und Geist zusammen, im besonderen Geist und Seele. Das ineinander Wirken der drei beziehungsweise zwei Ebenen ist seit Jahrzehnten in der psychosomatischen Medizin bekannt und beschrieben. Auch in der Bibel wird das nachvollziehbar berichtet. Unser Leib ist bekanntermaßen vergänglich, nicht aber Seele-Geist. Und ausgerechnet damit kommunizieren viele Menschen nicht oder wenig oder zu wenig. Aber die Ewigkeit, von der Menschen christlichen Glaubens überzeugt sind, werden von Geist und Seele erlebt werden. Es gibt zwar Berichte, die sogar eine gewisse Körperlichkeit in der Ewigkeit beschreiben, diese wäre dann aber in einer anderen Art und Weise als im Diesseits zu verstehen.

Die Frage des „Gerichts“ und dem, was danach sein wird in Verbindung mit dem Grundthema dieses Buches, lasse ich bewusst offen. Es ist nicht das Thema, das mir hierfür wichtig ist, Fachleute mögen mir das bitte nachsehen. Ich möchte den Schwerpunkt auf den persönlichen Dialog mit Gott und damit verbundene Erlebnisse und auf den Dialog mit meiner und unserer Seele legen. Bevorzugt werde ich vom „Inneren“, dem „Innersten“ sprechen, eine Begrifflichkeit, die meines Wissens vor allem im Hebräischen und Alten Testament gebraucht wird. Sie beschreibt für mich wunderbar die Gott gewollte Einheit von Seele und Geist. Immer wieder betont Gott, sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament, wie wichtig ihm unser Herz, unser Innerstes ist.

 

Ich hoffe, dass es mir gelingt, die Dringlichkeit bewusst zu machen, uns selbst und unser Innerstes ernst zu nehmen, um damit in Wahrhaftigkeit und uneingeschränkt vor Gott zu sein. Es macht uns möglich, auch auf der tiefsten Ebene unseres Seins mit ihm Beziehung erleben zu können. Etwas, wovon ich überzeugt bin, dass es ein Herzenswunsch Gottes für uns Menschen ist, und auch ein Stück Wiederherstellung dessen, was der Schöpfer in Beziehung zu uns Menschen ursprünglich beabsichtigte.

Ich möchte das im Besonderen gegenüber Menschen mit christlicher Glaubensüberzeugung betonen, weil ich so oft erlebt habe und erlebe, dass genau das Hören auf unsere Seele und unsere Befindlichkeit vernachlässigt wird. Das geschieht nicht selten in Verbindung mit verdrehten Rückschlüssen von biblischen Aussagen.

Wir glauben, dass Gott unser persönlicher Schöpfer ist. Wäre es nicht absolut paradox, wenn er von uns wollte, das zu „verleugnen“, was in Ewigkeit, hoffentlich, bei ihm „wohnen“ wird?

 

In Exkursen greife ich Themen auf, über die es sich meiner Meinung nach lohnt, tiefer nachzudenken und nachzuspüren. Man kann sie problemlos einzeln nachlesen und sie sind deshalb im Inhaltsverzeichnis als Kapitel aufgeführt.

Ich habe bei allem, was ich beschreibe, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Manche Themen werden nur impulshaften Charakter haben können. Da und dort auch fragenden und bewusst unvollständigen. Auch möchte ich dieses Buch nicht als ein therapeutisches im eigentlichen Sinn verstanden wissen, auch wenn es da und dort vielleicht für so Manchen heilsamen Charakter haben könnte.

 

Und noch ein letztes: bitte seien Sie sich bewusst, dass dieses Buch meine Geschichte ist. Insofern beinhaltet es meine Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erkenntnisse. Sie haben Ihr Eigenes und sollten Gelesenes nur als Impuls, als Hilfestellung wo möglich, als Bereicherung verstehen und als mein persönliches Zeugnis eines für mich lebendigen Gottes. Möge das so manchem vor allem Hoffnung geben für die Beziehung zu dem Gott „Abraham, Isaaks und Jakobs“. Der Gott, der in Jesus Mensch wurde, um uns als Menschen zu begegnen und zu verstehen, und um eine ewige Brücke zurück zum Schöpfer von Himmel und Erde zu bauen.

Mir ist natürlich bewusst, dass dieser Buchinhalt zum Teil ein sehr persönlicher ist. Damit gehe ich auch bewusst das Risiko ein, verletzbar und angreifbar zu sein. Vermutlich werde ich so manchen nicht daran hindern können, das zu tun.

Aber: jedes Mal, wenn wir andere in unser Innerstes schauen lassen, sind wir angreifbar. Das ist ja mit ein Hauptgrund, warum viele es nicht tun. Es geht mir in diesem Buch um die Kostbarkeit unserer Seele, um damit verbundener Menschlichkeit und darum, dass auch in unseren christlichen Gemeinden vieles noch viel menschlicher werden sollte, als es da und dort hoffentlich schon ist.

Denn Gott selbst will durch seinen Geist in uns leben, um uns untereinander als Menschen in Gott gewollter Liebe zu begegnen. In Ergänzung, Bereicherung, liebevoll korrigierend, um so sein Reich hier auf der Erde immer mehr für alle Menschen erlebbar zu machen.

 

Ich mache Ihnen Mut das, was Sie anspricht, in Ihr Leben zu „übersetzen“ und eigene Erfahrungen damit zu wagen.

 

Friedlinde Eichhorn

Es kommt alles anders als gedacht

Ich saß völlig abwesend in der Schalterhalle und konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Das einzige, was ich allerdings klar hatte war, dass das, was ich gerade erlebte, leider kein Traum, sondern Realität war. Eine vollkommen andere als eineinhalb Jahre erhofft und mit Gewissheit geglaubt. Sie entsprach in keiner Weise dem, was Gott mir für ein Sabbatjahr deutlich gemacht hatte. Bis zu diesem Moment lief alles in der Zeit der Vorbereitung ohne nennenswertes Hindernis, und da waren viele zu überwinden. Ich hatte so viel Wunderbares erlebt, für alles hatte Gott vorgesorgt, so schien mir. Jetzt saß ich hier, die sehr lange Fahrt war gut gegangen, sogar eine Freundin hatte mich begleitet und wir waren zeitig da. Beim Check-In wurde mir dann die Auffahrt aufs Schiff aus formalen Gründen verweigert.

In mir war es derart leer, dass ich zu nichts fähig war, außer dass ich fühlte, dass alles, was mir von außen vorgeschlagen wurde, nicht passte und auch nicht im Willen Gottes war. Ich wusste zutiefst, dass es in seinem Sinn war, heute Abend auf diesem Schiff zu sein, ich und meine beiden Hunde.

Im Stillen ganz innen versuchte ich Gott zu fragen, was da los sei und was ich tun solle. Irgendwo ganz weit weg vernahm ich „warte“. Aber worauf?

Auf eine zauberhafte, unmittelbare Änderung von Regelungen? Ganz sicher war das nicht gemeint.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, dass im Hintergrund Beter emsig am Gott hören und gemäß Impulsen am Handeln waren. Mein Handy hatte ich auf stumm geschaltet, sodass ich nicht mitbekam, dass sie verzweifelt versucht hatten, mich zu erreichen. Die Zeit verstrich Stunde um Stunde, ich ging ab und zu zum Schalter, es hätte ja sein können, dass die Dame umdenkt? Sicher nicht, obwohl sie wirklich bemüht war, ihr Bestmögliches zu tun. Sie brauchte eine bestimmte Information, an die war sie gebunden.

Eine halbe Stunde war noch Zeit, dann würde das Schiff ohne uns ablegen. Abgesehen von einem hohen finanziellen Verlust, den ich dann hätte, weil ich nicht nur das Schiff, sondern ab dem Ankunftstag schon für längere Zeit eine Unterkunft gebucht hatte.

Irgendwann in der Zwischenzeit war ich auf die Idee gekommen, mal wieder auf mein Handy zu schauen und dann ging alles in Windeseile. In der letzten halben Stunde kam die notwendige Information und ich bekam grünes Licht. Fünfzehn Minuten vor Abfahrt durfte ich mit dem Auto die Absperrung passieren. Zum Glück fiel mir noch ein, dass die Beamtin doch bitte Bescheid geben möge, damit ich überhaupt noch durchgelassen würde.

Sie hätte es tatsächlich vergessen.

Wir waren auf dem Schiff auf dem untersten Deck angekommen, direkt hinter mir wurde sofort die Heckklappe geschlossen.

An dem Tag war es für die Jahreszeit ungewöhnlich warm, die Hunde hechelten. Ich versuchte sie zu beruhigen und wollte ihnen in aller Ruhe den Platz, den sie dann für die ganze Nacht hatten, gemütlich machen. Da sagte der Schiffsbeamte, ich müsse dringend raus. Ich dürfe nicht mehr länger unten bleiben.

So gab ich den Hunden in aller Eile zu trinken, stellte Futter hin, machte die Fenster soweit wie möglich auf und ging mit dem Mitarbeiter nach oben zum Empfang.

In der ganzen Hektik hatte ich keine Ahnung, wo ich das Auto abgestellt hatte. Erst später wurde deutlich, dass ich mir den Platz und den Ausgang hätte merken müssen.

Am Empfang wurde ich von einer ausgesprochen schlecht gelaunten Mitarbeiterin empfangen, die mir knapp in Englisch wenige Informationen gab, was das Schiff und meine Kabine betraf. Dort eingetroffen versuchte ich erst einmal mit einer Tasse Kaffee etwas zur Ruhe zu kommen. Mein Verstand wusste, dass ich doch tatsächlich, fast in letzter Minute, da angekommen war, wo ich zutiefst überzeugt gewesen war, dass ich am heutigen Tag sein sollte. Meine Gefühle waren irgendwo, von Freude war überhaupt nichts zu spüren. In erster Linie fühlte ich eine riesige Erschöpfung und eine gewisse Irritation. Ich hatte aber keine Kraft mehr, dieser nachzugehen.

Nach einer kurzen Pause war meine innere Unruhe wegen der Hunde zu groß, und ich erkundigte mich, wie ich zu ihnen kommen konnte und wie oft das möglich sei. Erneut war ich an die sehr unfreundliche und genervt wirkende Dame geraten, die mich außerdem an einen völlig falschen Platz schickte. Das Ganze wiederholte sich ein paarmal, bis endlich ein Mitarbeiter die Geduld aufbrachte, mir erstens richtig zuzuhören und zweitens mit mir mein Auto zu suchen. Nur andeutungsweise konnte ich ihm erklären, wo es vermutlich stand. Viel später hatte ich wahrgenommen, wie viele Autos auf mehreren Decks mit zahlreichen Eingängen standen.

Im Auto war es immer noch sehr schwül, nicht nur ich war erschöpft, die beiden Hunde waren es offensichtlich auch.

Ich schickte danach nochmal eine SMS mit der Bitte um Gebet, was dann auch prompte Erhörung fand. Endlich geriet ich an einen sehr netten und wirklich hilfsbereiten Mitarbeiter, der mir nicht nur versicherte, dass ich zu jeder Zeit und solange ich wollte zu den Hunden könne, um sie gut zu versorgen. Sondern er wartete auch geduldig am Auto, bis ich beruhigt wahrnahm, dass es inzwischen gut abgekühlt, die beiden satt und müde waren, und ich sie nun den Rest der Nacht beruhigt alleine im Auto lassen konnte.

Zurück in der Kabine schlief ich erschöpft gegen Mitternacht ein.

Punkt sechs Uhr war ich schlagartig wach und es trat wieder eine große Unruhe auf.

Würde ich ohne größere Probleme die Grenze nach Verlassen des Schiffes passieren können, oder würde die Prozedur von vorne beginnen?

Schiffserfahrene wüssten das bestimmt, für mich war eine Reise dieser Art das erste Mal in meinem Leben. Dazu noch mit zwei Hunden, die ich noch gar nicht so lange hatte. Die Anspannung vor dem unmittelbaren Linksverkehr, dem Cottage, das ich nur aus dem Internet kannte und vor vielem mehr wuchs immer mehr.

Die Zeit bis zur Ankunft erschien mir wie eine Ewigkeit. Ich durfte nur kurz vorher endgültig im Auto bleiben, war aber sehr beruhigt zu sehen, dass es den Hunden gut ging. Mir ging es mit ihnen vermutlich wie vielen Müttern mit ihrem ersten Kind. Ich war sehr in Angst, etwas falsch zu machen, wodurch sie krank werden oder noch Schlimmeres geschehen könnte. Umso mehr als eine der beiden eine ehemalige Straßenhündin ist die, als ich sie vom Transport nach Deutschland abgeholt hatte, ein einziges Häufchen Elend gewesen war. Ich vermute, ein mir sehr bekanntes Gefühl aus meiner langen Kinderheimzeit identifizierte sich damals sehr mit ihr.

Endlich setzte sich die Autoschlange auf dem Deck in Bewegung, immer links fahren dachte ich, links! Hilfreich war, dass die Autos nur langsam fahren konnten. Ich bekam einen Riesenschrecken, als ich während des Abfahrens von Deck fotografiert wurde. Das löste in mir panische Angst aus, unwillkürlich empfand ich eine Assoziation zu Diktaturen und Überwachung. Bestimmt würde ich jetzt zur Seite fahren müssen, um kontrolliert zu werden.

Ich hatte den Schalter erreicht und sorgfältig alle Papiere in der Hand, versuchte ein entspanntes und freundliches Gesicht zu machen und stellte mich auf tausend Fragen ein. Der Beamte wollte aber nicht mal die Papiere im Einzelnen sehen, grüßte mich und die beiden Hunde freundlich, wünschte mir einen schönen Aufenthalt in Schottland und eine gute Reise.

Wir waren im verheißenen Land! Ich konnte es kaum fassen. Mein Sabbatjahr hatte wie geplant zu dem Zeitpunkt begonnen, den ich gemeint hatte von Gott gehört zu haben. Immer und immer wiederholte ich laut und informierte meine Hunde darüber, dass wir „da“ seien. Vermutlich wussten sie nicht, was ich meinte, aber sicher spürten sie meine unglaubliche Erleichterung.

Immer schön links fahren. Dank einem international gültigen Navi, den mir vor meiner Abreise ein guter Freund geschenkt hatte, musste ich nicht auf allzu viele Dinge gleichzeitig achten. Die Dame im Navi sprach gutes Deutsch, allerdings nur bis zu meinem ersten Ziel, seither redete sie nicht mehr mit mir. Aber auch an ein stummes Navi kann man sich gewöhnen.

Die dreihundertfünfzig Kilometer, die noch zu fahren waren, verliefen problemlos. Ich nahm mir viel Zeit, da ich ohnehin erst nachmittags erwartet wurde. Zumindest nach schlichter britischer Zeitrechnung. Alles vor zwölf Uhr ist „good morning“, alles danach „good afternoon“.

Ein Navi ist Gold wert. Ich hatte das Cottage fast auf Anhieb gefunden.

Dort wurden ich und meine beiden Hunde sehr herzlich empfangen.

Das Cottage hatte eine angemessene Größe für uns drei und alles was ich brauchte.

Außerdem hatte ich von einem Raum aus einen sehr schönen Blick auf Edinburgh.

Ich wusste, dass es jetzt sehr viel Grund zur Freude gab, um sie zu fühlen war ich vermutlich viel zu erschöpft.

Gegen Abend machte ich mit den Hunden einen ersten Spaziergang bei noch strahlendem Sonnenschein, nahezu sommerlichen Temperaturen, blühenden Rapsfeldern und einer bezaubernden Landschaft.

Jetzt konnte meine Sabbatzeit beginnen, ein volles Jahr lang, ganze zwölf Monate, zweiundfünfzig Wochen, dreihundertfünfundsechzig Tage!

Gott hatte doch alles sehr gut gemacht. Dankbar beschloss ich den Abend.

Morgen würde Karfreitag sein und Ostersonntag würde ich in „meine“ Kirche in die Innenstadt von Edinburgh gehen. Dort war ich genau ein Jahr davor bereits gewesen und hatte mich in sie verliebt, in die Lebendigkeit dort im Gottesdienst, das Wehen von Gottes Geist. Unzählige Male hatte ich mich seither auf den noch vor mir liegenden Moment gefreut: auf die spürbare Gegenwart Gottes am Auferstehungsfest Jesu. Und das in dem Land und in der Stadt, mit der für mich bereits etwas ganz Besonderes verbunden war, nämlich einfach nur „sein“, Zeit verschwenden dürfen und so vieles mehr.

 

Ostersonntag

Es ist erneut strahlender Sonnenschein, oh wie ich mich nachher auf den Gottesdienst freue! Gibt es einen passenderen Zeitpunkt für den Beginn eines Sabbatjahres und einer besonderen Zeit mit Gott? Ich mache mich für den frühmorgendlichen Spaziergang mit den Hunden fertig und realisiere erst dann, dass ich den Gottesdienstbesuch innerlich ohne zwei Hunde geplant hatte, ebenso auch ohne Linksverkehr in einer nicht gerade kleinen, recht hektischen Stadt! Als mir das bewusst wird, werde ich sehr traurig. Es ist das zweite Mal, dass sich in mir bei dieser Reise eine tiefe Irritation breit macht darüber, dass sich das meiste bisher keineswegs nach Sabbat und „heiliger Auszeit“ erlebt und sich noch viel weniger danach anfühlt.

Aber gemäß meiner Natur und auch im mich ihm emotional mitteilen kam mir die geniale Idee, dann eben in den Ostergottesdienst der kleinen weltberühmten Rosslynchapel zu fahren.

Das traute ich mir nach den wenigen Tagen hier im Land zu. Dort kann ich die Hunde in der Zeit im Auto lassen, dachte ich. Der Gedanke löste erneut große Freude in mir aus, und ich machte mich mit den beiden auf den Weg.

Ich sehe in einem ziemlichen Tempo jemand mit einem Unimogähnlichen Gefährt auf uns zukommen, rechts und links von zwei Hunden begleitet. Ich gehe zur Seite und bin froh, dass alle an uns vorüber sind, als einer dieser Hunde umdreht und auf uns zu rennt. Es gibt ein Hundegebelle und Hundegeknäuel, und ich falle aus dem Stand zu Boden. Eigentlich ganz sanft. Ich stehe auf und habe sehr starke Schmerzen im Brustkorbbereich, denke, ich habe mich eben ungeschickt bewegt und laufe langsam weiter. Der Mann sieht das, dreht sogar um und fragte etwas erschrocken, ob ich ok wäre? „Ja, ich bin ok“.

Nein, ich war nicht ok! Innerhalb kurzer Zeit nahmen die Schmerzen enorm zu, und ich realisierte zum wiederholten Male, dass dieses Sabbatjahr nicht so anfing wie ersehnt und geglaubt. Als Medizinerin wurde mir im wahrsten Sinn des Wortes schmerzhaft bewusst, dass ich mir durch einen banalen Sturz eine Rippenverletzung zugezogen hatte!

An einen Gottesdienstbesuch an Ostersonntag war nicht mehr zu denken, stattdessen musste ich mich aufgrund der starken Schmerzen hinlegen und möglichst nicht bewegen.

Enttäuschung

Kennen Sie das? Ich vermute ja.

Sie haben eine tiefe innere Gewissheit über etwas, was Sie tun sollen, alle Zeichen von außen bestätigen, was Sie meinen von Gott gehört zu haben. Dabei meine ich jetzt nicht eine bestimmte Art Gottes Stimme zu „hören“, denn das kann ja für jeden von uns auf sehr unterschiedliche Weise erlebt werden.

Doch dann kommt das eigentliche Erleben sehr anders. Es tauchen plötzlich Hindernisse auf, und das vielleicht nicht nur vorübergehend, sondern grundsätzlich anders als der Gewissheit entsprechend oder gemäß dem Geglaubten. Jemand Krankes wird nicht gesund, jemand sehr lieb gewordenes stirbt trotz intensivem Gebet vieler Menschen. Ein wertvolles Geschenk geht sofort kaputt und, und …

Viele Menschen, auch oft solche, die schon lange in einer bewussten Beziehung zu Gott leben, sind dann verständlicherweise sehr irritiert und schließen viele Dinge daraus. Zum Beispiel, dass sie etwas falsch gemacht haben, dass sie nicht „brav“ waren und Gott sie strafe, dass er eben doch kein Interesse an den Menschen habe und wenn, dann sicher nicht an ihnen und so vieles mehr.

Dann empfinden sie unter Umständen sogar, je nach Thematik, eine Predigt oder vergleichbares, was sie zu diesem Zeitpunkt hören oder lesen, wie eine Bestätigung Ihrer Gedanken und Gefühle. Die Folge ist dann nicht selten, dass sich im Inneren ein tiefes Gefühl von Enttäuschung und Irritation an Gott, vielleicht sogar eine depressive Verstimmung breit macht. Und dann? Entweder wir ziehen uns zurück und verschließen, verdrängen unser Inneres, manchmal „spalten“ wir das entsprechende Gefühl sogar ab. Vielleicht werden wir sogar bitter, verbittert. Oder wir setzen nach außen unser „Sonntagsgesicht“ auf, weil wir nicht nach unserem Inneren gefragt werden wollen, oder das dazugehörende Gefühl nicht aushalten können.

Ich kenne das auch von mir früher und ich bin froh, dass diese Zeiten hinter mir liegen. Ich hoffe sehr, für immer.

Wenn es ein erstmaliges Ereignis dieser Art ist, kommen viele nach einer gewissen Zeit darüber hinweg. Oder sie versuchen sich noch mehr anzustrengen. Wir tauschen uns auch mit Freunden gleicher Gesinnung aus, je nachdem bewundern wir jemanden für seinen und ihren Glauben, der um so viel besser erscheint als der unsrige.

Vielleicht wagen wir früher oder später wieder auf etwas zu hoffen und auch wieder mehr Persönliches in unser Gebet einzubringen.

Oder auch nicht.

Wie oft habe ich gehört, dass gläubige Menschen ohne Probleme für andere Menschen und deren Belange beten können, nicht aber, wenn es um die eigenen, vor allem um die Herzensangelegenheiten geht.

Doch bevor ich in diese existentielle Thematik unseres Seins tiefer einsteige, will ich Sie noch etwas mehr davon miterleben lassen, wie ich mit der beschriebenen Enttäuschung umgegangen bin und was aus der Folgezeit wurde.

 

Mai

Mittlerweile war ich einmal in der Rosslynchapel zum Gottesdienst, einmal auch in meiner Lieblingskirche, und auch in Gottesdiensten an anderen Stellen. Ich fahre inzwischen recht sicher im Linksverkehr in die Innenstadt von Edinburgh und bin auch ein bisschen stolz darauf. Die Hunde lasse ich solange im Auto, denn ich soll sie nicht alleine im Cottage lassen. Auch etwas, was ich vorher nicht wusste. Leider bin ich auch heute von dem Gottesdienst sehr enttäuscht. Natürlich wusste ich, dass wir Menschen in wesentlichen Dingen einander sehr ähnlich sind. Aber ich hatte so sehr auf eine innere Stärkung dadurch gehofft, wie sehr hatte ich mich danach gesehnt. Mal abgesehen davon, dass ich mehrmals das Empfinden hatte, in der Sabbatzeit Gott in besonderer Weise begegnen und seine Herrlichkeit ein Stück mehr erleben zu dürfen. Ich war auch heute deshalb so enttäuscht, weil ich wieder einmal erlebte, wie ein Programm „abgespult“ wurde und die Menschen es sehr eilig hatten, nach dem Gottesdienst nach Hause zu kommen. Außerdem wirkte der Reverend sehr gestresst, nervös und erschöpft. Von der Predigt hatte ich bei deutlich schottischem Akzent nur wenig mitbekommen, aber selbst das wenige sprach mich nicht an.

Anstatt innerer Stärkung erlebe ich die Tage sehr von meinen Hunden geprägt. Ebenso von einer fast langweiligen Alltagsroutine mit schlafen, essen, spazieren laufen, lesen, fern sehen und anderem. Auch wenn ich ein bisschen anfangen kann zu genießen, das alles seit sehr vielen Jahren in diesem unbegrenzten Ausmaß haben zu können.

Die Hunde empfinde ich zeitweise als sehr anstrengend, denn sie sind für mich immer noch sehr ungewohnt, vor allem sie Tag und Nacht um mich zu haben.

Mache ich etwas falsch?

Von solchen Denkweisen als innere Grundhaltung bin ich inzwischen abgekommen, stattdessen versuche ich, mich immer wieder neu genau auf das Alltägliche einzulassen.

Die Sonne scheint, der Raps blüht immer noch wunderbar, die Pentlandhills wirken heute Morgen besonders klar und schön.

Abends sehe ich einen wunderschönen, dreireihigen Regenbogen über dem Cottage und danke Gott für dieses Zeichen seines Bundes. „Friede sei mit dir“ höre ich tief innen, das tröstet und tut sehr gut.

 

Juni

Die Tage wechseln zwischen ein bisschen genießen können, Langeweile, mich getröstet und getragen fühlen, schönen Wanderungen und wenig zwischenmenschlichen Begegnungen. Diese bestehen nahezu ausschließlich aus „Hello, hi there, how do you do?“.

Zeitweise holt mich eine Einsamkeit ein, andererseits bin ich dankbar für die Ruhe und Auszeit.

Die Zeit in der Nähe Edinburgh geht Ende Juni zu Ende. Schön finde ich, am Schluss von den Vermietern einmal zum Essen eingeladen worden zu sein, das miteinander reden, auch etwas tiefergehend, tut gut. Sie bezeichnen mich jetzt als ihre „Freundin“.

Gehört habe ich auf spätere Grüße meinerseits von ihnen nie mehr etwas.

Ich freue mich zunehmend auf einen Cottage- und Ortswechsel in den Nordwesten Schottlands an den Atlantik. Das hatte ich mir für die Sommerzeit ausgesucht. Auch dieses Cottage kenne ich nur übers Internet, ein Telefonat mit dem Eigentümer empfand ich als sehr angenehm. Das Cottage soll am Meer liegen, für die Hunde geeignet und sicher eingezäunt sein, einen kleinen Garten und schöne, umgebende Wanderwege haben.

Die Vorfreude war groß.

Noch in der Dunkelheit frühmorgens packe ich die restlichen Sachen ins Auto und will einige Gegenstände mit einem Gummispannseil fixieren, als dieses mir voll ins Gesicht knallt.

Ein einmaliges Ereignis? Nein, davon hatte ich in der Zwischenzeit bereits mehr als genug auf unterschiedliche Art und Weise erlebt.

Sabbat- und Ruhezeit, Entspannung?

Mein Empfinden war, dass jedes Mal, wenn zunehmend Freude und ein mich innerlich auf diese Zeit einlassen können eintrat, etwas Unvorhergesehenes geschah, was körperlich oder auch seelisch schmerzte, enttäuschte, ja vielleicht sogar im eigentlichen Sinne verletzte.

War ich im Willen Gottes in Schottland oder war das alles eine einzige Täuschung gewesen?

Erst sehr viel später bekamen die Ereignisse für mich eine Art inneres Bild, einschließlich dem Impuls über „seine Herrlichkeit“, die ich erleben sollte und worauf ich mich so sehr lange davor gefreut hatte.

 

Juli

Das Cottage lag schön und sah von außen ganz gut aus.

Schnell musste ich leider feststellen, dass der deutlich schönere Teil zu der größeren Ferienwohnung gehörte. Außerdem war niemand vor Ort, ich fand aber einen Schlüssel. Anders als beschrieben war der Zaun, er zeigte sich zum Teil sehr instabil, halb liegend und teilweise alles andere als hundesicher. Es kam bei mir sofortiger Stress auf, da direkt daneben Schafe waren und meine kleinere Hündin es liebt, Schafe zu jagen.

Ich versuchte also als erstes, den Zaun etwas zu stabilisieren. Inzwischen kam der für das Cottage zuständige Verwalter, der genau darüber etwas verärgert war.

Innen war das Cottage sehr viel kleiner als es im Internet schien, ich empfand es aber als ausreichend, wenngleich die Küche auf mich sehr ungepflegt wirkte. Aber was soll‘s?

So etwas kann man putzen.

Beim ersten Spaziergang las ich eine Warnung, dass Hunde, die ohne Besitzer herumlaufen, Gefahr laufen erschossen zu werden. An „Wanderwegen“ gab es eine einzige Straße hin und zurück, die Wiesen rechts und links waren durchgehend wegen Schafen eingezäunt.

Der Strand bestand aus riesigen Steinen, die schlecht begehbar waren. Die nächste Einkaufsmöglichkeit war circa zwanzig Kilometer entfernt, an Ort und Stelle gab es derlei gar nicht.

So viel zur Realität.

Ich versuchte das Beste aus all dem zu machen. Das Wetter war erfreulicherweise sehr schön. An viel Autofahrerei war ich eh gewohnt. So fuhr ich ab und zu in die nicht allzu weit entfernten Highlands zum Wandern oder in den nächst größeren, recht netten Ort Gairloch. Dort fand ich sogar eine Reit-Trekking Möglichkeit.

Eines Tages lief ich eine längere Strecke bis ans Ende der örtlichen Küste, so ziemlich am Ende der Welt gelegen. Dort gab es einen sehr schön anzuschauenden Leuchtturm. Das Wetter war phantastisch.

Auf dem Rückweg ging ich einfach aus Neugier einen Seitenweg hoch, und sah ein Lamm links von mir in einer Art Straßengraben liegen. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, stutzte dann aber zunehmend, weil etwas weiter weg ein großes Schaf auffallend unruhig hin und herlief. Es wirkte deutlich gestresst. Eigenartig fand ich auch, dass das Lamm trotz meiner vorbeigehenden Hunde sich überhaupt nicht rührte, mich aber permanent mit den Augen beobachtete.

Merkwürdigerweise waren meine beiden Hunde sehr still. Mir dämmerte, dass dieses Lamm verletzt sein musste, und das Schaf weiter oben vermutlich das äußerst beunruhigte Mutterschaf war.

Solche Situationen, ob Mensch oder Tier, berühren mein Innerstes und mich packte das Erbarmen. So machte ich mich auf den Weg zurück zum Leuchtturm in der Hoffnung, dass dort jemand dem Lamm und dem Mutterschaf helfen könne. Dem war auch so. Die Frau verständigte sofort ihren Ehemann und zeigte sich sehr dankbar für die Information.

Etwa eine Stunde später goss es in Strömen. Ich war so sehr froh, dass ich mich durch keine falsche Scham hatte zurückhalten lassen. Am nächsten Tag fuhr ich zur Sicherheit an dieselbe Stelle, es war kein Lamm mehr dort im Straßengraben. Danke!

Im Gebet bewegt mich das Erlebte noch sehr und mir scheint, als ob Gott mich an das Gleichnis von dem verirrten Schaf erinnert, das Jesus seinen Jüngern erzählte. Es wird von Gott gerettet, wofür er die neunundneunzig anderen erst mal „alleine“ zurück lassen musste. Nachzulesen im Matthäusevangelium, Kapitel 18, Vers 12.

Ich würde nicht anders handeln wollen.

An einem anderen Tag gehe ich bei strahlendem Sonnenschein an den Steinstrand und sehe etwas Eigenartiges in etwa fünfhundert Meter Entfernung. Etwas bewegt sich sehr unruhig, mit der Kamera kann ich per Zoom erkennen, dass es ein Wal ist! Er scheint viel zu sehr an die Küste geraten zu sein und wirkt in Gefahr. Was kann ich tun? Ich überlege, zu dem einzigen Pub am Ort zu gehen und dort Hilfe anzufordern. Gleichzeitig schicke ich ein Stoßgebet nach oben, Gott möge bitte eine Riesenwelle kommen lassen, die den Wal wieder richtig ins Meer treibt. Für einen Moment schaue ich woanders hin, als ich wieder an die Stelle schaue, ist kein Wal mehr zu sehen und das Meer wirkt unruhiger als vorher.

Am nächsten Tag lese ich, dass an der Nordwestküste vermehrt Wale gestrandet waren.

Vielleicht konnte ich auf meine Art beiden rechtzeitig helfen, dem Lamm und dem Wal?

Ich hoffe sehr, dass ja.

Heute, wieder während einer Fahrt in den nächstgrößeren Ort, nehme ich zum ersten Mal sehr deutlich wahr, dass es mir an dem Ort und in dem Cottage seelisch überhaupt nicht gut geht. Viel mehr, dass es mir immer schlechter geht.

Es ist nach wie vor sehr schönes Wetter, und ich ertappe mich beim Erreichen des anderen Ortes dabei, wie ich mich nach Cottages umschaue. Dabei sind plötzlich Gedanken da wie: da wäre ich gerne, da ist es schön, da ist Weite. Plötzlich wird mir sehr bewusst, wie sehr eingeengt, abgetrennt und einsam ich mich zunehmend fühle. Ich gebe diesem aktuellen Gefühl und dessen Entdeckung Raum und Berechtigung, und ich spüre sehr deutlich, dass mein Innerstes dort dringend weg muss, weil meine Seele enorm leidet. Ich wage konkret hin zu spüren, woran. Sie leidet an dem sehr kleinen und engen Cottage, das für ein bis zwei Wochen im Sommer sicher kein Problem ist, wohl aber für mehrere Monate. So lange hatte ich im Voraus gebucht und weitgehend schon bezahlt. Ich leide an den unzähligen Zäunen, die in diesem Ort sind, sie versperren ein freies Laufen auf den Wiesen. An dem äußerst kleinen Wohnsitzraum von etwa vier Quadratmetern, der einzig und allein eine Blickrichtung auf das Meer erlaubt. Vor diesem „Meerblick“ sind aber mehrere Schichten von Zäunen. Ich sehe also zuerst auf Maschendraht, der zum Teil bis zwei Meter hoch ist. Das Schlafzimmer bedrückt mich, weil es sehr eng ist und diese Art Gitterbetten „irgendetwas mit mir machen“. Gegenüber vom Cottage-Eingang stresst mich täglich diese scharfe Warnung an Hundebesitzer.

Erst jetzt nehme ich wirklich wahr, wie sehr ich mich seit einigen Wochen arrangiere, und realisiere, dass ich deshalb seit einiger Zeit nächtliche Weinattacken und Todesgedanken habe.

Es dämmert mir, dass sich sehr wahrscheinlich meine Seele gefühlsmäßig an die frühe Kinderheimzeit erinnert. Deshalb lasse ich einen sehr unlogisch wirkenden Gedanken zu. Wie fühlt es sich für mich an, wenn ich das Cottage meiner Seele zuliebe kündigen und mir eine andere Bleibe suchen würde? Nicht nur überwältigend befreiend, sondern auch richtig. Niemals hätte ich früher überhaupt den Gedanken an so etwas zugelassen! Aber in vielen Jahren habe ich begriffen und gelernt, wie wichtig Gott unsere Bedürfnisse und unsere Wahrhaftigkeit darin sind. Deshalb bringe ich dieses Bedürfnis offen vor meinen himmlischen Vater. Dabei entsteht das Empfinden, dass er mich zu diesem Schritt ermutigt. Konkret würde das für mich einen sehr hohen finanziellen Verlust bedeuten, da das Cottage ja nicht nur weitgehend bereits bezahlt war, sondern der Vermieter vermutlich auch noch eine finanzielle Entschädigung verlangen würde. Außerdem müsste ich ja für eine andere Unterkunft ebenfalls bezahlen.

Dennoch gehe ich dem Ganzen weiter ernsthaft nach und schreibe noch am selben Tag die Kündigung mit Begründung. Alles Weitere überlasse ich Gott, ich bitte ihn nur noch, dass er dem Vermieter Verständnis schenken möge und die Bereitschaft für eine angemessene und nicht überzogene Entschädigung.

Zwei Tage später kommt die Antwort des Vermieters, der sich über meine Befindlichkeit sehr bestürzt zeigt und mit dem Vorschlag einer annehmbaren gütlichen, finanziellen Einigung.

Danke Vater!

Ab Ende Juli bin ich ohnehin erst mal eine Woche unterwegs, in dieser Zeit war das Cottage bereits vor mir gebucht gewesen. So mache ich mich auf die Reise nach der Isle of Mull und Iona. Die Hunde kann ich für diese Zeit in einem Kennel auf der Strecke dorthin unterbringen, was mir für einige Tage sehr gut tut.

Sind Gott unsere Bedürfnisse tatsächlich wichtig? Und falls ja, was hat das mit unserer Seele zu tun?

Zuvor möchte ich Ihnen versuchen zu erklären, wie es zu meiner unten beschriebenen Einstellung kam.

Ich lebe nun seit ziemlich genau vierzig Jahren bewusst im Glauben.

Unterschwellig betete ich auch als Kind zu Gott, ich gehöre noch zu der Generation, in der das vermutlich viele Kinder und Erwachsene taten. In mir ist vor allem ein bleibendes Bild, in dem ich auf einem Kinderbett sitzend die Hände falte und „weißt du wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelzelt … Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehle an der ganzen großen Schar“ singe und dabei in aller Not, die da war, Trost empfand.

Ob der Text so stimmt, weiß ich gar nicht, ich hatte ihn jedenfalls so verstanden und gesungen.

Im Laufe der Jahrzehnte hatte ich zum Teil viel Einblick in alle Denominationen. Ursprünglich zur evangelischen Kirche zugehörig, war ich danach lang Mitglied in baptistischen Gemeinden, in denen ich unter anderem Freunde und eine erste geistliche Heimat gefunden hatte. Ich hatte auch viel Einblick in Pfingstgemeinden und die Zeit von John Wimber miterlebt. Ich durfte in einer freien Gemeinde mit leiten, habe also auch diese Seite kennengelernt. Einblick in die katholische Kirche hatte ich in der Kindheit und auch als Erwachsene immer wieder.

Heute finde ich, dass alle Gutes und weniger Gutes haben.

Ich kann mich nicht erinnern dass ich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, in den sehr vielen Jahren etwas lehrmäßig über „Bedürfnisse“ und „Bindung an Gott“ gehört habe.

Inzwischen unterscheide ich aufgrund vieler persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse zwischen dem, was ich im Gebet als Impulse empfinde und dem, was ich im persönlichen Austausch mit guten Freunden meine erkannt und verstanden zu haben. Ich unterscheide auch zwischen „Wünschen“ und „Bedürfnissen“. Wünsche haben ist menschlich, verständlich und völlig in Ordnung. Bedürfnisse haben für mich existentiellen Charakter, und dies keineswegs ausschließlich auf der äußeren, sondern auch auf der inneren Versorgungsebene, also der Seelenebene. Bei Seele kommt mir inzwischen oft das Bild eines zarten, transparenten Schmetterlings, dezent in verschiedenen Farben, zerbrechlich und wunderschön.

Nach meinem Verständnis will die Bibel in den Evangelien auf die Besonderheit hinweisen, wie wichtig Gott unsere Bedürfnisse sind. Jesus vergleicht dieses Thema mit den Spatzen und Lilien, für die der Vater liebevoll sorge und warum denn nicht erst recht für die Bedürfnisse der Menschen?

Für manche Menschen in unserer sogenannten westlichen Welt, erst recht für Abermillionen in anderen Ländern, bedeuten Bedürfnisse tatsächlich in erster Linie äußere Grundversorgungen. Dafür sind in diesen Ländern die familiären Zusammenhalte vielleicht nicht unbedingt gesund, nach unserem Verständnis emotional aber wesentlich dichter.

Wir alle haben innere Bedürfnisse, und ich halte es für sehr wichtig, sie wahr- und ernst zu nehmen und auf diese Art unserer Seele Ausdruck und Lebensberechtigung zu geben.

Meine Erfahrung ist leider, dass viele Christen sich genau das versagen, womit auch immer der Einzelne das begründet. Aber wenn wir die innere Haltung eines Kindes zu Gott hin einnehmen dürfen, gehört dann das Ausdrücken und Bitten im Hinblick auf Bedürfnisse nicht dazu? Ich persönlich bin inzwischen überzeugt, dass Gott das ausgesprochen liebt, unter anderem, weil es ehrlich ist. Gleichzeitig bin ich immer wieder überrascht, wie oft er darauf einzugehen scheint.

Wir haben so viel gelernt, so viel Wissen angehäuft, so viel Technik errungen, das ist alles wertvoll und hilfreich. Aber all das hilft unserer Seele nicht wirklich. Sie hat andere Bedürfnisse.

„Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt besitzt und doch Schaden nimmt an seiner Seele“, Markus Kapitel 8, Vers 36.

Malen Sie doch mal Ihre Seele. Oder geben sie ihr durch Worte und Erzählen Ausdruck. Oder geben Sie ihr Raum, sich in der Natur oder im Tanz oder … zu spüren. Bitte beziehen Sie Ihre Seele ins Gebet mit ein. Zu viele Gebete geschehen auf der kognitiven Ebene, aus Pflichtgefühl, aus Gewohnheit und aus vielen anderen Gründen.

Vielleicht wagen Sie ja sogar den direkten Dialog mit Ihrer Seele.

Als ich zum ersten Mal in meinem Leben in schon mittlerem Lebensalter von meiner Seele hörte, zuckte ich innerlich zuerst jedes Mal zusammen, so fremd war mir das.

Heute kann ich mir ein Leben ohne in Zwiesprache mit meiner Seele nicht mehr vorstellen, ob sie froh ist oder traurig, abenteuerlustig oder verunsichert, aber sie ist da.

Das bedeutet übrigens für mich auch von „ganzem Herzen“.

Unsere Bedürfnisse und alles um unsere Seele herum gehören mit in unsere Gottesbeziehung hinein, das macht sie lebendig, farbig, einzigartig, spannend und so vieles mehr.

 

August

Heute früh bin ich, wieder einmal, gestürzt. So heftig wie bisher in den vier Monaten nicht. Vornüber mit Stirn und Gesicht auf Kies- und Steinboden aufgeschlagen. An den Füßen war ich durch Schnürbänder festgehalten, die sich in der Türe eingeklemmt hatten, so als ob man jemand abrupt und mit Wucht einen Teppich unter den Füssen wegzieht.

Meine Hände sind blutverschmiert und ich stehe wie automatisiert langsam auf, um mich aus der Fußfessel zu befreien. Unterschwellig realisiere ich, dass ich bei Bewusstsein bin, was mich etwas wundert. Ein paar Tränen laufen über mein Gesicht. Meine Labbiehündin wirkt aufgeregt.

Dieser Sturz hätte sehr schlimm ausgehen können. Ich bin überzeugt, dass mich mein Vater im Himmel aufgefangen hat. Als ich mich nach einiger Zeit einigermaßen gefangen habe, frage ich ihn, wie ich das Erlebte einzuordnen habe. War es meinerseits Leichtsinn oder etwas Vergleichbares?

Ich bitte ihn um ein Wort und es kommt unmittelbar in mir: „des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“, Jakobusbrief 5, Vers 16. Und er erklärt mir, dass er damit nicht meine, ich müsse jetzt ein besonderes Gebet sprechen, sondern dass durch die Wirkung vieler Gebete für mich in den letzten Wochen und Monaten im wesentlichen Bewahrung geschehen konnte. Ich weiß, dass viele Menschen für mich beten!

Ich habe das Erleben zwei mir vertrauten Beterinnen mitgeteilt, sie haben das Gehörte indirekt bestätigt empfunden, noch bevor sie von dem Vorfall wussten.

Den weiteren Tag bin ich zwar innerlich wie benommen und unter Schock, fühle mich aber gleichzeitig eigenartig beschützt.

Ein Gedankenaustausch führt mich nicht zum ersten Mal an einen Punkt meiner Vorfahren, wovon ich weiß, dass es in der mütterlichen Linie weit zurückliegend viele Beter gab. Vor langer Zeit gab es in dieser Linie auch Hugenotten, die um ihres Glaubens willen verfolgt wurden. Konkreteres ist mir nicht bekannt.

Ich will dieser Spur zu einem späteren Zeitpunkt versuchen nachzugehen, weil mich der Zusammenhang mit der oben genannten Bibelstelle sehr interessiert.

Das, was ich hier in den letzten vier Monaten geballt erlebt habe, ist nach meinem Verständnis nicht „von dieser Welt“, sondern ich führe es auf einen geistlichen Kampf in der unsichtbaren Welt zurück. Die Botschaften Gottes, die ich immer wieder vernehme, verstehe ich als Bestätigung. Warum das geschieht? „Um eines späteren Auftrages Willen“, so die wiederholte Antwort auf meine mehrfach gestellte Frage.

Geistlicher Kampf in der unsichtbaren Welt

Dies ist eines der schwierigsten Themen unter Menschen christlicher Glaubensprägung und sehr umstritten. Ich fühle mich weder kompetent genug noch berufen, zu diesem Thema allzu viel zu äußern, schon gar nicht von theologischer Seite. Aber einige Gedanken und Impulse aus meinem eigenen Leben möchte ich hier zum Nachdenken weitergeben. Und wie alle Impulse in diesem Buch ist es mit der Bitte verbunden, sofern Sie das möchten, die Gedankengänge und persönlichen Erfahrungen als Anregung zu nehmen, dem einen und anderen, Sie betreffend mehr nachzugehen. Forschend und fragend, in Dialogen mit Gott und Menschen. Zuerst mit Gott, denn wer sonst sollte sich darin besser auskennen als er?

Ich ordne keineswegs alles, was nicht gut läuft, dem Widersacher, so will ich diese Seite mal bezeichnen, zu. Und dennoch bin ich inzwischen der Auffassung, dass zwischen Himmel und Erde, für uns Menschen unsichtbar, enorm viel geschieht.

Vieles, worauf wir vermutlich keinen Einfluss haben und vieles, worauf wir vielleicht Einfluss haben.

Es gibt Situationen, die auf mich sehr eindeutig angegriffen wirken. Vor Seminaren erlebe ich das geradezu regelmäßig, so sehr, dass es auch Außenstehenden auffällt. Da ballen sich Hindernisse wie Technik, finanzielle Herausforderungen, Missverständnisse, völlig Unerwartetes, Erkrankungen von Mensch und Tier, und sie wechseln sich in der Priorität auffallend ab. Mal steht das eine, mal das andere im Vordergrund. Und kaum gebiete ich im Namen Jesu, ist alles wie weg, von jetzt auf gleich.

Zufall? So oft, wie ich und andere Menschen das schon erlebt haben, nein.

Worum geht es bei dem allem? Vermutlich in erster Linie um Störung, Entmutigung, Irritation, vor allem an Gott, also um Beziehungsstörung, und diese auch zwischenmenschlich.

Ein anderer Aspekt ist, dass, so wie ich finde, wir Menschen uns nicht selten vor den „Karren“ des Widersachers spannen lassen, meist ohne es zu bemerken.

Das heißt, wir lassen uns in eine destruktive Richtung im Miteinander führen, und sei es „nur“ in Gedanken. Manchmal wissen wir ganz tief innen, dass nicht richtig ist, was wir tun. Aber wir tun es.

„Das Gute, das ich tun will tue ich nicht und das Böse, das ich vermeiden will, tue ich“, Römerbrief 7, Vers 19.

Und oft verstehen wir uns im Nachhinein selbst nicht.

Damit meine ich nicht Folgen tief erlebter Verletzungen, gerade die sind es meist nicht.

Ich meine, das Böse tun trotz besseren Wissens.

Wir Christen sind der Überzeugung, dass Jesus den Sieg über den Tod und auch über den Widersacher errungen hat. Dennoch leben wir immer noch in dieser Welt und erleben tagtäglich Not in vielerlei Form, an uns und anderen.

Warum gelingt es so sehr schwer, wahre, reine Liebe zu leben? Unter rein verstehe ich ohne egozentrische Absichten, die übrigens bei uns Menschen sehr häufig und sehr versteckt hinter Gutem tun stehen. Rein meint tatsächlich und ausschließlich den anderen, dem anderen zuliebe, auch ohne Erwartung an diesen. Gott allein hat diese reine Liebe, er ist diese reine Liebe.

Ist der Kampf in der unsichtbaren Welt also so etwas wie eine Fortsetzung zwischen Tod und Leben, zwischen Gutem und Bösem?

In gewisser Weise wahrscheinlich ja. Jeden Tag neu spiegelt es sich in dieser Welt, in Deiner Welt, Ihrer und meiner. Oder?

Ich bin immer wieder neu herausgefordert, wem und worin ich vertraue, nach wem oder was ich mich ausrichten will.

Mir geht es hier in erster Linie darum bewusst zu machen, dass unser Leben, so wie wir es leben und vielleicht prozesshaft umlernen, vielleicht in dieser sogenannten unsichtbaren Welt mehr Folgen hat als wir ahnen. Das meine ich ganz und gar nicht bedrohlich, sondern genau gegenteilig.

Wir können teilhaben an diesem Kampf, dass immer mehr in der reinen Liebe überwunden werden kann. Vermutlich geschieht das aber nicht automatisch, sondern mit uns oder eben ohne.

Das ist, was ich meine.

Betonen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich, dass diese Dinge nicht an sehr verletzte Menschen gerichtet sind! Sie brauchen in der Regel erst einmal Zuspruch, Ermutigung und Bestätigung, Wertschätzung und so viel mehr, was sie nicht oder nicht ausreichend bekommen haben.

Ich möchte die erreichen, die sich stark fühlen und die, die sich in Beschriebenem wiederfinden.

 

September

Heute war ein wunderschöner Tag!

Nach wochenlangem, oft den ganzen Tag anhaltenden Regen war heute ein nahezu wolkenloser, strahlend blauer Himmel. Für eine Wanderung in die Berge, die ich schon lange machen wollte, absolut geeignet. Die Hunde nehme ich mit, und wir erwandern zu zweidrittel den höchsten Berg Schottlands, den Ben Nevis. Auf dem Rückweg sind wir drei ziemlich k.o.. Mein blonder Labbie scheint besonders müde Augen zu haben, viele Male kommen von Wanderern entsprechend mitfühlende Äußerungen. Armer Hund.

Spätnachmittags scheint sogar noch die Sonne direkt ins Cottage.

Es war und ist wunderschön heute, danke Papa!

Dies war bisher einer der eher vereinzelten Tage hier in Schottland mit einem gewissen Sabbatfeeling. Durch die Schönheit der Natur, der wunderbaren Schöpfung, und Freiheit und Zeit zu haben. Meine Seele atmet. Ich liebe die Berge.

Eine Beterin gibt mir Rückmeldung, dass sie den Tag über das dringende Bedürfnis verspürte, um Bewahrung zu beten. Ich bin bewahrt geblieben einschließlich der Hunde.

Danke Vater im Himmel!

Unser Vater im Himmel

Niemals hätte ich früher für möglich gehalten, dass ich Gott einmal mit „Vater im Himmel“ oder „Papa im Himmel“ würde anreden können. Das Thema „Vaterschaft“ ist ein biografisch ehemals zu meiner Mutter hin gewaltbesetztes. Ein gläubiger Mensch nahm mir einmal viel Hoffnung, indem er mir erklärte, dass Menschen mit meiner Biografie niemals zu Gott als himmlischen Vater würden eine Beziehung bekommen können. Aber danach habe ich mich immer gesehnt. Ich denke das tut jeder, der sich nach Gott sehnt, oder?

Gott hat es dennoch geschenkt. Es war ein langer Weg für mich, manchmal sehr mühsam und mit kleinsten, sich immer neu wiederholenden, unzählbaren Vertrauensschritten verbunden. Oft war es mir ausschließlich kognitiv möglich. Manchmal war dieser lange Weg für mich auch sehr schmerzvoll, traurig, enttäuschend und mit erneuter tiefer Verletzung verbunden. Irgendwann hatte ich begriffen, dass Gott sehr viel mehr möglich machen kann als wir Menschen zu erdenken fähig sind, und habe mich von der oben berichteten Festlegung gelöst. Außerdem habe ich mich viele Jahre intensiv auch mit diesem Aspekt meiner Biografie auseinandergesetzt. Das bleibt uns in der Regel nicht erspart, und wir sollten das auch tun. Hinschauen woher wir kommen, was und wer uns wie geprägt hat. Ebenso, was unsere Schutz- und Abwehrmechanismen sind, die uns in gegenwärtigen Beziehungen behindern und vieles mehr, je nach Erlebtem.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783946914105
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Februar)
Schlagworte
Achtsamkeit Lebenshilfe Lebenserfahrung Glaube Seele

Autor

  • Friedlinde Eichhorn (Autor:in)

Dr. med. Friedlinde Eichhorn, Jahrgang 1949, Fachärztin der Chirurgie, bildete sich in Sozialmedizin sowie psychotherapeutischem Wissen und Traumatherapie weiter. Auf diesen therap. Gebieten ist sie seit gut zwei Jahrzehnten in eigener privatärztlicher Praxis tätig. Als Autorin, Referentin und Seminarleiterin versteht sie es ausgezeichnet, fachliches Know-how in einen hilfreichen Kontext biblischer Botschaften zu stellen.
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Titel: Rendezvous mit meiner Seele