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Pleasure Underground

Leo & Josie Teil 1

von Nic Storm (Autor:in)
250 Seiten
Reihe: Pleasure Underground, Band 1

Zusammenfassung

Josie zieht für ihr Studium in die Großstadt zu Freundin Lisa und startet ihr Betriebspraktikum in einer großen Firma. Der Juniorchef hält sie von Anfang an auf Distanz, kühl, unnahbar, furchtbar spießig und langweilig. Ein zwar attraktiver Workaholic-Typ, mit dem man nicht wirklich viel zu tun haben will und der ihr nur Ablehnung entgegenbringt. Bis sie ihn an unerwarteten Orten wieder trifft und sein ganz anderes Gesicht kennen lernt. Unerwartet tun sich immer mehr Abgründe auf und zufällig taucht sie aus ihrer bisher heilen Welt in eine Welt, die sie so noch nicht kannte und sie an ihre Grenzen bringt. Dann bekommt sie auch noch ein Jobangebot, was sie nicht ablehnen kann, womit sie aber alles aufs Spiel setzt. Sie muss sich für eine Seite entscheiden, wo sie alles verlieren oder gewinnen wird.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Die Firma

Ferdinand Graf von Wartenberg war ein groß gebauter, schlanker Mann, Anfang fünfzig, mit dunkelblonden Haaren und einem gepflegten Bart. Seien blau grauen Augen blickten streng, aber freundlich. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Designeranzug, Hemd, Krawatte, teure Schuhe und eine noch teureren Breitling Armbanduhr. Er strahlte eine wahnsinnige Autorität aus. Was Josephine zwar keine Angst, aber deutlich Respekt machte.
Sein Büro war groß und modern eingerichtet. Bodentiefe Fenster ließen viel Tageslicht herein und boten eine weite Sicht über die umliegenden Gebäude.
Auf dem Tisch, an dem sie saßen, standen Wasser, Kaffee und Plätzchen, während er Josie das wichtigste über die Firma und die nächsten sechs Monate ihres Praktikums erzählte. Ihr Praktikum ging über das gesamte Semester und teilte sich in zwei Blockphase und eine Teilzeitphase auf, da sie zwischendurch auch Tage hatte, wo sie zur Uni musste.
Josies anfängliche Bauchschmerzen wurden langsam besser. Herr von Wartenberg war wirklich sehr nett und bemüht, ihr die Angst und Anspannung zu nehmen. Er redete aber auch Klartext, was seine Erwartungen und Voraussetzungen betraf, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Loyalität innerhalb der Firma.

Das hier war absolut nicht Josies Welt, eine große Firma, moderne Büros und Mitarbeiter in Anzügen. Sie war eher der sportlich, lockere Typ, unkompliziert und natürlich. Doch heute hatte sie sich auch extra schick gemacht mit einer schwarzen Stoffhose, schwarzen Ballerinas und einer hellblauen Bluse. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt und ein wenig Makeup und Wimperntusche aufgetragen. Klar, sie wollte einen guten Eindruck hinterlassen und das sie hier nicht in Speakern und Shirt rumlaufen konnte, war ihr auch klar.
Ferdinand von Wartenberg erklärte ihr, dass es zwar einen gewissen Dresscode gibt, der aber in erster Linie die Mitarbeiter mit Kundenkontakt, im Außendienst und der Geschäftsführung betraf. Hier im Büro waren auch Hose und Bluse in Ordnung, gerade auch bei den Praktikanten. Jeans, Pulli und Turnschuhe durften es aber nicht sein, aber es gab ja noch andere Möglichkeiten, sich vernünftig zu kleiden. Es sollte eben ein gepflegtes Erscheinungsbild sein.

Die Sekretärin Frau Wilmers klopfte und betrat das Büro. „Ihr Sohn ist da. Soll ich ihn direkt rein schicken?“ fragte sie höflich.
Ferdinand von Wartenberg nickte. „Ja bitte, Frau Wilmers.“
Wenig später klopfte es wieder und er betrat den Raum. Schlagartig veränderte sich das Raumklima. Die recht angenehme und entspannte Atmosphäre lud sich schlagartig auf, spannte sich an und die Luft war massiv geladen.
Leonard von Wartenberg war groß, schlank, sportlich und fast schon muskulös. Seine Haare waren hellblond, deutlich heller als die seines Vaters, sein Gesicht war männlich aber auch mit sehr zarten Gesichtszügen, glatt rasiert und die kurzen Haare waren ordentlich gestylt.
Und dann traf sein Blick Josie und strahlend blaue Augen durchbohrten sie förmlich. Ein blau, was Josie so bisher nicht gesehen hatte. Klar, hell, wie türkiesblaues Wasser an einem schneeweißen Sandstrand. So schön und beeindruckend, was man gar nicht mehr wegsehen konnte.
Er lächelte mit einem umwerfenden schönen Lächeln und weißen gepflegten Zähnen. Etwas spitzbübisches steckte in seinem Lachen, fand Josie.

Sie merkte, wie er ihr den Atem raubte und ihr Herz anfing zu rasen. Diesem Mann lagen die Frauen mit Sicherheit reihenweise zu Füßen, soviel war schon mal klar. Er sah aus wie ein Parfum Model, so hübsch und nahezu perfekt in seinem Outfit und seinem Aussehen.
Josie merkte, wie auch Ferdinand von Wartenberg seinen Sohn musterte. Kritisch, sehr kritisch und ernst war sein Blick dabei.
In einem dunkelblauen Designeranzug, mit hellblauem Hemd und Krawatte kam er auf Josie zu und reichte ihr seine wunderbar warme Hand. Sein Blick war freundlich, aber kühl, doch er lächelte. Vermutlich so, wie man es ihm schon von klein auf beigebracht hatte, andere Menschen freundlich und höflich zu begrüßen.
„Leonard von Wartenberg“, stellte er sich mit einer angenehmen warmen, weichen aber doch männlichen Stimme vor.
„Das ist Josephine Wagner, sie ist die Tochter eines Geschäftspartners und wird ihr Betriebs Praktikum im Rahmen ihres Masterstudiums in unserer Firma machen“, erklärte Ferdinand mit strenger Stimme.
„Josephine Wagner“, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme und erwiderte seinen durchaus kräftigen Händedruck.
Sofort stieg ihr sein After Shave in die Nase, männlich, markant, sportlich und sehr angenehm. Es passte perfekt zu ihm und machte sein äußeres Erscheinungsbild so noch attraktiver. Ein verdammt gutaussehender, gepflegter junger Mann, der auch noch atemberaubend roch. Josie stand total auf gut riechendes After Shave, was man immer wieder gerne schnuppern wollte, weil es so unglaublich gut roch.

Leonard ließ ihre Hand wieder los und sah seinen Vater an.
„Sie wird sich erst die verschiedenen Bereiche der Firma ansehen und später dann bei dir in der Projektentwicklung und Personalabteilung sein. Ich habe dir einen Plan gemacht…“, sagte Ferdinand zu seinem Sohn und reichte ihm eine Heftmappe. „… ich gehe davon aus, dass du dir das entsprechend einplanen wirst.“
Leonard hielt kurz inne, sah seinen Vater kühl an und nickte. „Ja. Natürlich.“
Man spürte es regelrecht brodeln. Der Ton der Ferdinand von Wartenberg seinem Sohn gegenüber hatte, war sehr bestimmend und streng. Er duldete keine Widerworte und war sehr dominant. Das zwischen Vater und Sohn eine enorme Anspannung herrschte, war nicht zu ignorieren.
Ferdinand sah Josie lächelnd an. „Würden Sie bitte schon mal draußen warten, Josephine? Leonard wird sie dann zu ihrer ersten Station begleiten“, bat er sie freundlich und begleitetet sie zur Tür.
Josie nickte und ging raus in den Flur, wo sie wieder in der Sitzecke Platz nahm.
Ferdinand hatte seine Bürotür nicht ganz geschlossen und so bekam Josie das Gespräch zwischen Vater und Sohn noch teilweise mit.
„…Ich erwarte von dir in diesem Fall oberste Disziplin und Höflichkeit. Du wirst dich anständig benehmen und Fräulein Wagner mit absoluter höflicher und freundlicher Wertschätzung begegnen“, sagte Ferdinand von Wartenberg in strengen Ton.
„Sicher. So wertschätzend wie du mit mir, oder wie du mit deinen anderen Mitarbeitern umgehst?“ sagte Leonard cool.
Kurze Stille.
„Leonard, Was soll das?“ fragte Ferdinand schroff.
„Ich habe lediglich eine einfache Frage gestellt. Du differenzierst ja gerne in Punkten wie Wertschätzung und Freundlichkeit, zwischen der Geschäftsführung und deinen Angestellten“, sagte Leonard mit ruhiger Stimme.
„Leonard, treib es nicht auf die Spitze… du bist hier Geschäftsführer. Und da erwarte ich von dir ein entsprechend kompetentes Auftreten…“, donnerte Ferdinand von Wartenberg los. „… und spar dir deine provokanten Bemerkungen. Ich erwarte absolut professionelles Auftreten von dir und nichts anderes. Du erledigst deine Pflichten und ansonsten wirst du dich von ihr fern halten. Und ich meine wirklich Fernhalten, so wie du dich im Allgemeinen von allen Mitarbeitern privat fernzuhalten hast. Treib es nicht schon wieder auf die Spitze...“

Josie zuckte erschrocken zusammen, als die Tür ins Schloss fiel und Leonard vor ihr stand. Strahlend blaue Augen sahen sie an und er lächelte. Doch man sah in seinem Blick, dass er vor Wut kochte. Leonard war wirklich sehr höflich und freundlich, aber auch sehr distanziert und kühl, während er Josie die Firma zeigte und die einzelnen Bereiche vorstellte. Man spürte die strenge Kontrolle seines Vaters und seine enorme Vorsicht, die er mit seinem sehr professionellen und vor allem kompetenten Auftreten gut überspielte.
In der Abteilung, wo Josie die ersten Tage bleiben sollte, stellte er ihr Daniel Ziemer als Bereichsleiter vor, der sie dort weiter begleiten würde.
Leonard verabschiedete sich freundlich von ihr und Daniel zeigte und erklärte ihr den Bereich der Wald- und Holzverwaltung. Josie mochte Daniel auf Anhieb gerne, er war Anfang dreißig und sehr sympathisch. Dass auch Leonard und Daniel sich ganz gut verstanden, merkte man schon. Leonard war ihm gegenüber nicht ganz so kühl und distanziert, wie zu den anderen Mitarbeitern der Abteilung. Er war zwar immer freundlich und höflich, mit einem netten Lächeln und lockeren Spruch, aber auch sehr vorsichtig und darauf Bedacht, keine Fehler zu machen und nicht zu locker zu sein. Er musste eine gewisse Distanz wahren.
Den ganzen Tag ging Josie Leonard von Wartenberg nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich von ihrer ersten Begegnung an so in sie eingebrannt, dass sie selbst abends im Bett noch über ihn nachdachte und sein Aftershave riechen konnte.

In den nächsten Tagen sah Josie Leonard fast täglich, da er immer wieder bei ihr vorbei kam und nachfragte, ob alles in Ordnung war. Wieder nett und freundlich, aber sehr distanziert und auch irgendwie kühl. Er fragte nicht, weil es ihn interessierte, sondern weil es sein Job war zu fragen. Dazu siezte es Josie ganz professionell, was Josie etwas komisch fand, da sie vermutlich nur ein paar Jahre jünger war als er. Sie schätzte ihn auf etwa Mitte zwanzig.
Daniel bestätigte ihr dann, dass Leonard fünfundzwanzig Jahre alt war und als so junger Geschäftsführer der Firma bei einigen Mitarbeitern einen schweren Stand hatte. Viele hielten ihn für zu jung, zu unerfahren und zu unreif, eine Firma in der Größenordnung zu leiten.
Auch Ferdinand von Wartenberg kam regelmäßig vorbei und sah nach dem Rechten. Dabei fragte er auch immer, ob sie zufrieden war, es irgendwas zu besprechen gab und ob Leonard sich vernünftig um sie kümmerte. Manchmal bekam Josie das Gefühl, als ob er nur darauf wartete, das Josie etwas an Leonard zu bemängeln hatte. Er schien seinen Sohn sehr deutlich zu kontrollieren.

Insgesamt war das Arbeitsklima in der Firma ziemlich gut. Die Kollegen waren nett und freundlich zu ihr. Allerdings hatte Josie auch mit bekommen, dass es sich herum gesprochen hatte, dass sie die Tochter eines Geschäftspartners, der von Wartenbergs war und man da natürlich auch keinen Stress haben wollte. Die anderen waren daher freundlich aber auch etwas distanziert.
Als Chef der Wartenberg Holding schien Ferdinand von Wartenberg recht beliebt zu sein. Er war wohl streng aber auch sehr gerecht und empathisch gegenüber seinen Mitarbeitern. Er fuhr eine ganz klare Linie und war durchaus angesehen und geachtet.

Was Leonard von Wartenberg betraf, spalteten sich schnell die Lager. Die meisten männlichen Mitarbeiter waren zwar überwiegend positiv auf ihn zu sprechen. Allerdings fielen auch Aussagen wie …von sich selber maßlos überzeugt, egoistisch und arrogant,… verwöhnter reicher Schnösel, der sich für was Besseres hält, …setzt sich immer durch und mit dem Kopf durch die Wand, ...kühl, unnahbar und distanziert… Charaktereigenschaften, die nicht gerade positiv waren, zu mindestens nicht in dem Maße.
Dabei klang allerdings auch oft ein gewisser Neid durch. Da Leonard von Wartenberg eben recht erfolgreich war, Geld und scheinbar einen gewissen Lebensstandard hatte und in seiner Rolle als Geschäftsführer durchaus streng und klar sein musste.
Einige hielten ihn für sehr arrogant und überheblich, stur und dickköpfig. Er setzte durch, was er sich vorgenommen hatte und war groß darin, zu argumentieren, zu diskutieren und andere verbal vor die Wand zu reden. Wer sich mit ihm anlegte, musste schon gut gewappnet sein. Leonard von Wartenberg schien nie um Argumente verlegen zu sein, musste grundsätzlich immer das letzte Wort haben und war dabei noch durchaus überzeugend. Dabei strotze er vor Selbstsicherheit und Arroganz, was nicht alle Mitarbeiter positiv fanden. Auch den Mitarbeitern sagte er schon mal gerne, wie was zu laufen hatte und auch, wenn etwas gar nicht lief. Er wurde dabei nie persönlich oder unhöflich, aber sehr klar und gradlinig, sowie offen und ehrlich, was ihm auch viele wiederum positiv zugutekommen ließen. Diskussionen mit ihm waren allerdings meistens sinnlos und konnten sehr langatmig werden, im Endeffekt setzte er sich sowieso durch.
Er schien ziemliche Macht zu haben und Autorität auszustrahlen, ebenso wie sein Vater, nur viel Distanzierter und Unnahbarer.
Bei einigen Mitarbeitern war der Neid sehr deutlich zu spüren, wie dieser junge Mann mit Mitte Zwanzig schon Geschäftsführer so einer großen Firma sein konnte und so viel Macht und vor allem aber Geld hatte.

Bei den weiblichen Mitarbeiterinnen war Leonard wiederum durchaus beliebt. Sie fanden ihn immer sehr freundlich, zuvorkommend, höflich und gut erzogen. Man spürte das gute Elternhaus und die strenge Erziehung. Er war ein Gentleman und wusste, was sich gehörte. Einige der Damen schwärmten sogar regelrecht von ihm, vor allem natürlich, was sein optisches Erscheinungsbild betraf. Wenn er auftauchte, waren einige ganz aus dem Häuschen und flirteten auf Teufel komm raus mit ihm.
Dabei blieb Leonard immer höflich und freundlich, flirtete sogar etwas mit, aber er hielt immer eine professionelle Distanz zu den Mitarbeiterinnen ein. Scheinbar wusste er genau, wie er auf die Damen hier wirkte und was er sagen musste, dass sie vor ihm fast nieder knieten und er sie sehr leicht um den Finger wickeln konnte. Auch das wurde von den männlichen Kollegen eher missmutig beobachtet. Hier spielte wieder enorm viel Neid und Eifersucht eine Rolle.

Die Gerüchteküche war noch größer, was Leonard von Wartenbergs Privatleben betraf. Dabei schien niemand wirklich zu wissen, wer er eigentlich sonst so war und was er privat machte. Man vermutete eben viel. Die einen meinten, dass er völlig unterm Pantoffel seines Vaters steht und nicht viel machen durfte. Er war selten in der Öffentlichkeit zu sehen, ging nicht großartig raus oder traf sich mit Freunden. Er wäre eher ein Nerd, ein Workaholic, lebe nur für die Firma, fürs Geschäft und habe kein wirkliches Privatleben oder Hobbies oder gar Freunde.
Wieder andere sagten, das komplette Gegenteil. Er wäre ne Partysau und ging gerne ausgiebig feiern. Man traf ihn immer wieder mal in dubiosen Clubs und auf verschiedenen Events. Meistens war er dann mit anderen stinkreichen und merkwürdigen Typen unterwegs und meistens ziemlich betrunken und sehr exzessiv am Feiern. Auch von Drogen wurde dann gemunkelt und eben von sehr düsteren Lokalitäten und fragwürdigen Konzerten. Orte an denen sich Münchens High Society normal niemals aufhielt. In den angesagten Clubs der Stadt oder anderen Feiern der Schönen und Reichen traf man ihn bisher angeblich eher selten.
Wieder ein anderer traf Leonard scheinbar manchmal beim Fußball im Stadion und dort scheinbar auch sehr exzessiv im Partymodus. Auch das Leonard gerne und viel reiste, schnelle Autos, schöne Frauen und Sport mochte, kam aus der Gerüchteküche.
Was man davon nun alles glauben konnte oder nicht, war Josie nach den ersten Wochen ihres Praktikus echt schleierhaft. Irgendwie passte das alles nicht zusammen und ergab so kein schlüssiges Bild, wer Leonard von Wartenberg nun tatsächlich war.
Vermutlich steckte in all diesen Aussagen ein bisschen Wahrheit und jede Menge Fantasie.
Zu ihr war er jedenfalls sehr höflich aber zurückhaltend. Leonard redete nur das nötigste, was die Firma betraf. Auf Private Dinge ging er gar nicht erst ein. Allerdings traute Josie sich auch nicht, ihn irgendwas Privates zu fragen, was sie ja auch nichts anging.

Josie lernte wenige Wochen später, in der Projektabteilung einen der Projektleiter Dirk Beimer kennen, der auf Leonard, als seinen direkten Vorgesetzten gar nicht gut zu sprechen war. Dass hier Knatsch in der Luft lag, merkte man immer, wenn er und Leonard aufeinander trafen. Es machte den Eindruck, als träfen hier direkte Konkurrenten zusammen. Die Atmosphäre war angespannt und eine komische Stimmung lag dann im Raum.
Ganz anders war da Julian Terges als Projektmanager. Der war wirklich nett und hatte scheinbar auch zu Leonard einen guten Draht. Beide duzten sich und schienen auf einer Wellenlänge zu liegen. Das Julian mehr über Leonard wusste als die anderen Mitarbeiter, war Josie schnell klar. Doch Julian hüllte sich in allen privaten Fragen zu Leonard in Schweigen und bewies somit völlige Loyalität. Das allerdings wurde von Dirk wieder missmutig verfolgt. Zwischen Julian und Dirk gab es daher auch leichte Spannungen und oft Unstimmigkeiten.

Die Projektabteilung war bisher der spannendste Bereich. Denn hier war auch Leonard mit am meisten involviert. Er leitete die Teambesprechungen, hatte die Leitung der Abteilung und so saß Josie bei jede Menge Meetings, wo es immer Getränke, Schnittchen und meistens recht interessante Projekte gab.
Und vor allem war Leonard immer mit dabei. Wenn er redete, konnte Josie ihm stundenlang zuhören. Er hatte Witz, Charme und war ein verdammt guter Redner, eigentlich war er wie ein Entertainer. Er konnte begeistern und andere Menschen in seinen Bann ziehen.
Dabei ließ er sich auch von Dirks ständigen Provokationen und Kritik nur selten aus der Ruhe bringen. Er blieb ruhig, gelassen und souverän. Und er konterte selbstbewusst und brachte Dirk so schnell an seine Grenzen, dass dieser automatisch aufhörte ihn zu provozieren. Dass Dirk aber versuchte Leonard das Leben bei jeder Gelegenheit schwer zu machen, war schon nach wenigen Tagen klar.

Meistens war Leonard immer ganz gut drauf, motiviert und gut gelaunt. Es gab dann aber auch Tage, wo er genau das Gegenteil davon schien. Josie merkte, dass er nur eine perfekte Rolle spielte, die ihm die meisten vermutlich auch so abnahmen. Sie spürte es sehr schnell, wenn jemand ihr nur etwas vormachte und nicht mehr authentisch war. Er war an solchen Tagen nicht gut drauf, schien müde, unkonzentriert und irgendwie nicht fit zu sein. Oft eine Mischung aus zu wenig Schlaf, einer langen Nacht und irgendwie verkatert. Dann half ihm oft nur literweise Kaffee beim Überstehen des Tages. Manchmal hatte Josie auch den Eindruck, er hatte einfach zu viel gefeiert. Auch wenn es mitten in der Woche war, merkwürdig war es. Und wie auf Knopfdruck wechselte seine Stimmung dann in den souveränen, professionellen und charmanten Geschäftsführer und Projektleiter.

In der sechsten Woche wechselte Josie dann in die Geschäftsführung und verbrachte einige Tage bei Frau Wilmers, die sie sehr freundlich und herzlich empfing. Sie war schon mehr als zwanzig Jahre die Assistentin von Ferdinand von Wartenberg und das Arbeitsklima war dort sehr angenehm. Margret Wilmers hielt immer die Stellung in der Firma, verwaltete die Termine und erledigte jede Menge Papierkram.
Josie lernte dann auch Christoph Faber kennen, der Assistent der Geschäftsführung war Ferdinand von Wartenberg rechte Hand. Er war bei allen Terminen mit dabei und war ebenfalls super nett zu Josie. Christoph schien so etwas wie der Puffer zwischen Leonard und seinem Vater zu sein, denn er war oft in der Rolle zu vermitteln und zu beschwichtigen, wenn es zwischen den beiden Unstimmigkeiten gab. Das machte Christoph mit bewundernswerter Ruhe und Gelassenheit, dass er vermutlich der Grund war, warum das mit den beiden Geschäftsführern überhaupt irgendwie funktionierte.

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2 Umstrukturierung

Josie bekam nur wenige Tage später einen Arbeitsplatz in Leonard Büro, womit sie absolut nicht gerechnet hatte. Doch die Platzkapazitäten boten es so an, da bei Margret wenig Platz für Josies Arbeitsplatz war und Leonards großes Büro mehr als genug Platz anbot.
Leonard schien ebenfalls nicht damit gerechnet zu haben und trug es mit Fassung, als sein Vater ihn vor vollendete Tatsachen stellte.
Seine Begeisterung hielt sich deutlich in Grenzen als sein Vater ihm mitteilte, dass Josie die nächsten Wochen mit in seinem Büro sitzen sollte und er bereits veranlasst hatte, dass dort ein zusätzlicher Schreibtisch aufgestellt wurde. Leonard fand das in seiner Position als Geschäftsführer als nicht angemessen, dass eine Praktikantin mit in seinem Büro saß. Wie sollte er so ungestört arbeiten und auch vertrauliche Gespräche führen?
Ferdinand sah da allerdings kein Problem und bestand darauf, dass sein Sohn das die nächsten Wochen mal so hinnehmen musste. Alles diskutieren nutzte Leonard daher nichts und er fügte sich wie immer den Anordnungen seines Vaters. Auch wenn Leonard unter gleichwertiger Geschäftsführung etwas anderes verstand.

Aufgrund von Umstrukturierung und Renovierung einiger Büros herrschte gerade Raummangel und so sollte Josie in seinem großen Büro sitzen. Sie sollte nun Einblicke in die Personalverwaltung bekommen. Da das nächste Großprojekt aus dem sozialen Bereich war, passte es besonders gut, dass Josie da war und so ihre Erfahrung mit einbringen sollte.
Leonards Laune war unterirdisch schlecht als er wieder sein Büro betrat, in dem nun Josie an ihrem Schreibtisch saß. Sie fühlte sich mehr als beschissen und wäre am liebsten einfach nach Hause gegangen. Obwohl sie nichts dafür konnte, fühlte sie sich schuldig und völlig fehl am Platz.
Leonard kochte vor Wut, auch wenn er ihr gegenüber versuchte, es professionell wie immer, vor ihr zu verbergen. Die Hände in der Tasche zu Fäusten geballt, stand er am Fenster, starrte schweigend nach draußen und biss sich schnaufend auf die Unterlippe.
„Es tut mir leid…,“ stammelte Josie leise, es war ihr schrecklich unangenehm. „… ich kann noch mal mit ihrem…“
Leonard winkte wutschnaubend ab. „Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Wie viele Wochen sind sie noch hier?“ unterbrach er sie stattdessen. Stahlblaue Augen sahen sie kühl an.
„Noch etwa zwölf Wochen“, antwortete Josie etwas eingeschüchtert und wagte es kaum, ihn anzusehen.
Leonard schnaufte nur und nahm an seinem Schreibtisch Platz. „Naja, das ist ja dann absehbar“, murmelte er genervt. Für einen Moment schaute er auf seinen Pc. Dann stand wieder auf und verließ das Büro. Durch die offene Tür konnte sie hören, dass er nebenan bei seinem Vater im Büro war.
„… die zwölf Wochen mache ich das. Aber das war das erste und letzte mal, dass du mir ne Praktikantin ins Büro setzt. Ich schwöre dir, dass mache ich nicht mit. Das geht gar nicht. Was macht das bitte nach außen hin für einen Eindruck…?“ hörte sie Leonard aufgebracht reden.
„… es sind nur zwölf Wochen und du weißt, dass wir wegen dem Umbau gerade wenig Platz haben. Außerdem solltest du es als Bereicherung sehen. Sie passt gerade gut in das neue Projekt mit ihrer Erfahrung und kann dich bei der Konzeptentwicklung gut unterstützen… und ich erwarte von dir eine ordnungsgemäße und professionelle Zusammenarbeit…“ hörte sie Ferdinand von Wartenberg sagen.

Immer noch, oder vielleicht auch besonders jetzt, war Leonard noch distanzierter Josephine gegenüber. Freundlich, aber sehr zurückhaltend. Auch wenn sie nun des Öfteren nebeneinander am Schreibtisch saßen und er ihr Dinge am Laptop erklärte. Die Ansage seines Vaters hatte wohl gesessen.
Josies anfängliche Nervosität, wenn er den Raum betrat verschwand mit jedem Tag. Es war irgendwann nichts ungewöhnliches, wenn er mit seinem großartig duftenden After Shave direkt neben ihr saß und strahlend blaue Augen sie ansahen.
Er war professionell und kompetent aber seine dicke Eisschicht schien unzerbrechlich zu sein. Er war dafür eher angespannt und immer irgendwie auf der Hut, nichts Falsches zu sagen oder zu tun. Ganz anders war er zum Beispiel bei Margret, wo er immer locker und gelassen war, mit einem coolen oder lustigen Spruch auf den Lippen. Er flirtete schon manchmal mit ihr und machte ihr Komplimente, was Margret auch sehr gerne von ihm zu hören schien und sie beide immer gerne am Schäkern waren. Seinen ganzen Charme versprühte er bei gefühlt allen anderen Mitarbeiterinnen und nur ihr gegenüber war er kälter als jeder Eisblock. Josie war klar, dass sie das nicht persönlich nehmen durfte. Vermutlich lag es einfach nur an der klaren Ansage seines Vaters sich ihr gegenüber professionell zu verhalten. Wie sähe es dann auch nach Außen hin aus, wenn er nun gerade ihr Komplimente machte und so charmant zu ihr war? Das konnte für ihn ja nur nach hinten los gehen und das schien ihm durchaus bewusst zu sein. Josie verstand seine Strategie, dann lieber ein emotionsloser kalter Arsch, dann konnte auch keiner was sagen.

Das Arbeitsprinzip von Leonard von Wartenberg war Josie irgendwie noch nicht ganz klar. Mal kam er einige Tage gar nicht in die Firma, mal erst am Nachmittag oder mittags. Er schien eher zu kommen und zu gehen, so wie er gerade Lust hatte. Jedenfalls hatte er scheinbar keine klaren Arbeitszeiten so wie sie, montags bis freitags von acht bis sechzehn Uhr beziehungsweise freitags nur bis vierzehn Uhr.
Auch Leonard Tagesverfassung war die letzten Tage sehr unterschiedlich gewesen. Mal war er morgens ganz gut gelaunt und ausgeruht, ja fast schon ganz locker und entspannt bis hin zu etwas übermotiviert, mit so guter Laune, dass es schon unheimlich wurde und er sogar Josie gegenüber nicht ganz so steif und eisig war.
Mal war er extrem übermüdet und unmotiviert und schien den Tag nur mit Literweise Kaffee zu überstehen. Er war völlig müde, durcheinander und neben der Spur, konnte sich auf rein gar nichts konzentrieren, dabei vergaß er alles nach zwei Minuten wieder und musste zigmal nachfragen oder an etwas erinnert werden. Was auch Josie dann manchmal sehr anstrengend fand, wenn er scheinbar absolut keinen Plan mehr hatte. Dann war er morgens echt so verpeilt und kam erst gegen Mittag so langsam wieder in die Spur.
Woran Leonard von Wartenbergs Laune morgens abhängig war, konnte Josie sich daher nicht erklären. Oft hing es mit seinem Vater zusammen, denn wenn der nicht im Büro anwesend war, war Leonard immer deutlich entspannter und lockerer.
Eigentlich war es jeden Morgen ein Überraschungsmoment, wie Leonard ins Büro kam. Da er meistens erst zwischen halb neun und halb zehn kam, war Josie meistens schon vor ihm da, da sie ja pünktlich um acht Uhr anfangen musste.
Nur selten war Leonard schon vor ihr im Büro, meistens dann, wenn er ziemlichen Stress und Termindruck hatte und das dann auch wieder mit weniger guten Laune.
Interessant war, dass Ferdinand von Wartenberg ebenfalls fast jeden Morgen ins Büro kam und kurz einen guten Morgen wünschte und Termine mitteilte. Das er dabei auch den Zustand seines Sohnes kontrollierte war nicht zu ignorieren. Er musterte Leonard immer sehr genau und zog in direkt in Gespräche rein, wo er zu merken schien, wie Leonard so drauf war.

Josemi hatte sich nach der ersten Woche mit Leonard in einem Büro vorgenommen, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen und etwas mutiger zu werden. Denn eigentlich war er ja doch ganz nett und würde ihr schon nicht den Kopf abreißen.
Doch die letzten Tage war Leonard merkwürdig drauf gewesen. Er war ja derzeit ohnehin eher etwas gereizt und gestresst, was er Josie zwar nicht direkt zeigte, aber doch deutlich spürbar war. Immer wieder musste er zu langen Meetings und wurde ständig zu seinem Vater zitiert. Bei einem Projekt gab es scheinbar Schwierigkeiten, was nicht gerade zu guter Laune beitrug.
Wenn er gestresst war, rauchte er viel und das bevorzugt am geöffneten Fenster seines Büros. Zum Rausgehen hatte er keine Zeit und immerhin war es auch sein Büro. Seine Vater missfiel das total, da die Büroräume grundsätzlich rauchfrei zu sein hatten.
Josie hielt sich ganz dezent zurück und versuchte so wenig wie nötig, irgendwas zu Fragen. Wie immer blieb Leonard aber freundlich und höflich, was ihm nicht immer so einfach fiel. Leonard ignorierte das allerdings gekonnt. So schlimm fand Josie es jetzt auch nicht, da er wirklich am großen offenen Fenster stand und den Rauch raus blies. Allerdings wurde es dann recht schnell kalt im Büro. Hinzu kam das er verdammt sexy aussah, wenn er rauchte. Obwohl Josie selber Nichtraucherin war und rauchen auch nicht wirklich gut fand, sah er dabei echt attraktiv aus.

Einen Morgen kam Leonard mit Verspätung und deutlich schlechter Laune ins Büro, die er dann auch direkt an Josie auslies und sie sehr unfreundlich wegen einer Kleinigkeit anmaulte. Josie lies das aber nicht auf sich sitzen und konterte direkt ganz offen, dass sie erstens nichts für seine schlechte Laune konnte und noch weniger, dass sie hier mit in seinem Büro sitzen musste. Woraufhin Leonard erst innehielt, sie mit hochgezogenen Augenbrauen etwas irritiert ansah und sich dann auch direkt bei ihr entschuldigte. Ein bisschen war Josie daher schon stolz auf sich, dass sie sich das nicht einfach so gefallen lies und einfach mal in die Offensive ging. Und sie war überrascht, dass Leonard sich tatsächlich bei ihr entschuldigte. Ein arroganter und überheblicher Geschäftsführer hätte das gegenüber einer Praktikantin vermutlich eher nicht getan. Andreas hatte schon gemerkt, dass er ihr Unrecht getan hatte und etwas drüber gewesen war. So ein überheblicher Arsch konnte er da doch nicht sein.

Einen Montagmorgen kam er mit so einer Alkoholfahne ins Büro, dass man den Eindruck hatte, er hätte bis morgens irgendwo gefeiert. Ihm schien es auch nicht wirklich gut zu gehen und Margret brachte ihm direkt einen extra starken Kaffee und ein Glas Aspirin. „Leonard, das ist nicht gut, was sie da machen“, waren ihre besorgten Worte gewesen.
Leonard stöhnte leise auf. „Ich weiß Margret, vielen Dank“.
Das Leonard von dem Wochenende echt fertig war, konnte er nur mit viel Disziplin und Selbstbeherrschung verbergen, denn er hatte direkt um neun Uhr ein Meeting.
Um kurz nach elf am er dann wieder zurück ins Büro und es schien ihm wirklich nicht besonders gut zu gehen.
„Josephine, können sie mir einen Gefallen tun?“ fragte er mit angeschlagener heiserer Stimme.
Josie nickte. Sie fand es noch immer befremdlich, dass er sie siezte.
Ihre Blicke trafen sich und seine Augen waren glasig und dunkel, als er vor ihrem Schreibtisch stand und sie ansah. Dann ging er zum Sofa und setzte sich erschöpft.
„Natürlich, was kann ich für sie tun?“ fragte Josie gut gelaunt.
Leonard legte sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck hin. „Gehen sie bitte an mein Telefon? Ich muss mich kurz mal ne halbe Stunde legen“, murmelte er, legte sich auf den Rücken und schloss die Augen.
Josie musste sich das Grinsen verkneifen. „Gerne, kann ich sonst noch was für sie tun? Starker Kaffee, Aspirin?“ fragte sie übertrieben höflich. Ein bisschen amüsierte es sie schon, dass es ihm so merklich schlecht ging und das vermutlich durch seine eigene Schuld.
„Nein, sehr freundlich, vielen Dank“, murmelte er gähnend und seine Stimme versagte.
Natürlich fragte Josie nicht näher nach. Es ging sie auch absolut nichts an. Er war der Geschäftsführer, sie war nur eine Praktikantin. Das er ihr und auch den anderen Mitarbeitern immer höflich und freundlich war, stand dabei außer Frage, da war er wirklich sehr professionell.
Josie ging an sein Telefon, wenn es klingelte. Professionell machte sie Gesprächsnotizen und entschuldigte ihn. „… nein, tut mir leid. Herr von Wartenberg ist gerade in einer Besprechung…“ bei internen Anrufen sagte sie, dass er gerade nicht im Büro war.

Tatsächlich schlief Leonard nun fast zwei Stunden und er bewegte sich keinen Millimeter, so dass Josie ihn besorgt beobachtete. Er bewegte sich schon länger nicht mehr, er war blass und auch sein Brustkorb bewegte sich nicht wirklich, als er auf dem Rücken auf dem Sofa lag. Ein komisches Gefühl machte sich in Josie breit. Wer weiß was mit ihm los war, vielleicht war doch nicht alles ok. Langsam stand sie auf und ging zu ihm herüber. Sie sah ihn an, wie er da lag, die Augen geschlossen, sein männliches Gesicht mit diesen sanften Gesichtszügen, er hatte immer so hübsche Grübchen, wenn er lachte, die jetzt völlig entspannt waren. Langsam beugte sie sich etwas zu ihm herunter und lauschte, ob sie seine Atmung hören konnte.
Doch, ganz leise konnte sie seine Atmung hören. Sein AfterShave roch so wahnsinnig gut, trotz der Mischung aus Alkohol, Zigarettenrauch und Minze. Plötzlich öffnete er seine Augen. Ihre Gesichter waren nicht weit voneinander entfernt. Josie hielt die Luft an und war wie erstarrt. Das blau seiner Augen zog sie immer tiefer und tiefer, als würde sie langsam in einem tiefen dunkelblauen See versinken, nicht mehr fähig zu atmen, nicht fähig sich zu bewegen. Eine Spannung lag zwischen ihnen, die sie magisch anzog und festhielt. Und er… sah sie einfach nur an.
„Kann ich ihnen helfen Fräulein Wagner?“ hauchte er stimmlos.
Erschrocken zuckte Josie zusammen und wich zurück. „Ja?... ähm… nein… also ich wollte gucken, ob alles ok ist.“

Julian betrat nach kurzem klopfen das Büro. Irritiert sah er Josie und seinen Chef an und grinste nur. „Oh ha, der Herr Geschäftsführer ruht wohl. So möchte ich auch mal deine Kohle verdienen.“
Leonard rappelte sich benommen auf und rieb sich die Augen. „Was denn?“
„Ich hörte schon, dass dein Wochenende mal wieder hart war. Du musstest dich heute Morgen wohl übelst zusammen reißen“, sagte Julian amüsiert und blieb vor dem Sofa stehen.
Leonard streckte sich lang aus und gähnte leise. „Hmm… ging so“
„Julian lachte. „Wow, für vier Tage Druckbetankung geht’s so? Ernsthaft.“
Leonard schnaufte und schüttelte leicht den Kopf. „Ne, geht eben nicht. Ich bin langsam zu alt für so nen Scheiß.“
Julian grinste. „Tja, selber schuld vermute ich mal schwer?“
„Natürlich. Wie kann ich dir helfen Julian?“ schnaufte Leonard. Man merkte das er schnell vom Thema ablenken wollte und es ihm vor Josie unangenehm war
Julian schüttelte nur den Kopf „Och Leo, du hast echt mein vollstes Mitgefühl.“
Leonard fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus.
„Mensch fahr nach Hause. Wenn dich hier so einer sieht, bringt das doch auch nichts. Ganz davon abgesehen, wäre Senior auch nicht gerade begeistert“, meinte Julian ernst.
„Ich hab um zwei ne Telefonkonferenz mit Spanien. Solange muss ich noch irgendwie durchhalten“, murmelte Leonard müde.

Julian sah Josie an, die an ihrem Schreibtisch saß und versucht hatte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. „Aber was ich eigentlich wollte…“, meinte Julian. „… darf ich mir Josephine ausleihen? Gleich kommt der Architekt und wir wollten raus fahren und uns ein paar Einrichtungen in der Nähe ansehen. Wäre schön, wenn sie uns begleiten würde.“
Leonard hielt kurz inne und sah erst Julian und dann Josie an. Dann nickte er. „Ja… sicher… klar, kann sie mit, wenn sie möchte.“
Josies Blick traf Leonard und blaue Augen sahen sie müde an.
Sie nickte. „Klar. Gerne. Wann denn?“
„Jetzt gleich?“ fragte Julian.
Leonard nickte nur. „Is ok.“
Josie packte ihre Sachen zusammen und stand auf. Sie sah Leonard an. „Danke.“
Er lächelte. Und dieses Lächeln nahm Josie den Atem, denn es war anders als sonst. So warm und freundlich, so sympathisch und umwerfend, dass ihre Knie weich wurden.
„Dafür nicht. Ich danke ihnen“, sagte Leonard nur als Josie Julian aus dem Büro folgte.

Josie hoffte ein paar Worte mit Julian reden zu können, doch dazu kamen sie erstmal nicht. Trotzdem wollte Josie noch auf die passende Gelegenheit warten, denn Leonard und Julian hatten scheinbar wirklich einen guten Draht zueinander. Alleine die Tatsache das Julian Leonard Leo nannte zeigte das beide sich näher kannten.
Erst am späten Nachmittag, als sie wieder zurück in der Firma waren, passte es dann.
„Kann es sein, dass Leonard mich ziemlich blöd findet?“ fragte Josie Julian, als sie über den Parkplatz gingen.
Julian sah sie erstaunt an. „Dich? Nein… wie kommst du darauf?“
„Naja, weil er so distanziert zu mir ist. Irgendwie ist er zu allen anderen so locker und freundlich, nur zu mir ist er so abweisend. Er redet nur das notwendigste und mehr auch nicht. Ist komisch, wenn man in einem Büro zusammen sitzt“, gab Josie ehrlich zu.
Julians hellbraunen Augen sahen sie aufmerksam an.
„Nein, nein. Also er hat nichts gegen dich. Wenn das so wäre, würdest du das schon merken. Ok, es passt ihm nicht, dass du in seinem Büro sitzt. Das ist das eine… das andere ist aber eher sein Vater, der ihn dabei gut im Auge hat. Ich habe keine Ahnung, warum der Senior dich in Leos Büro gesetzt hat, aber irgendwas hat er sich dabei gedacht…, “ sagte Julian und beugte sich näher zu Josie heran. „… meine Theorie ist ja, dass du a) Leo ausspionieren sollst oder b) der Senior testen will, ob Leo sich wirklich daran hält, die Finger von Mitarbeiterinnen, insbesondere Praktikantinnen zu lassen“, sagte Julian dann ganz leise zu ihr.
Josie sah ihn ungläubig an. „Ausspionieren? Ich ihn? Weshalb denn das?“
„Naja, der Senior hat ihn halt gerne sehr intensiv im Auge. Er will immer wissen, wo er ist, was er macht, mit wem er sich trifft. Vielleicht wird er irgendwann anfangen dich auszuquetschen, was du so mit bekommst und weißt… keine Ahnung. Ist ein schwieriges Thema“, erklärte Julian leise.
Josie konnte nicht so glauben, was Julian da sagte und schüttelte den Kopf. „Unsinn. Warum sollte Herr von Wartenberg das tun?“
„Weil er seine Gründe hat? Ein noch schwierigeres Thema“, meinte Julian nur.
„Weil er gerne über die Stränge schlägt und gerne feiert?“ fragte Josie geradeheraus.
Julian sah sie an und musste sich ein grinsen verkneifen. “Möglich“ erwiderte er nur knapp.
Josie schnaufte leise. „Was die Praktikantin betrifft frage ich lieber nicht, oder?“
Julian grinste nur als sie zum Haupteingang gingen. „Ne. Besser nicht.“

Zu Joseis Überraschung war Leonard noch immer im Büro. Konzentriert saß er über einem Stapel Unterlagen.
„Hallo“, sagte sie als sie das Büro betrat.
Er sah kurz auf. „Hallo. Sie haben doch schon längst Feierabend.“
„Ich wollte nur meine Jacke holen“, fing Josie sich direkt an zu rechtfertigen.
Leonard sah sie wieder an und nickte. „Schönen Feierabend und Danke für heute Morgen“, sagte er wieder mit diesem umwerfenden Lächeln.
„Dafür nicht“, meinte Josie cool mit einem leichten Augenzwinkern. Ihr Herz hüpfte kurz freudig. War da tatsächlich ein winziger Riss in der kühlen Fassade des Herrn von Wartenberg?

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3 Ungewollte Begleitung

Ferdinand von Wartenberg sah seinen Sohn ernst an. „…Leonard. Wie besprochen wirst du übermorgen nach Amsterdam fliegen und das Meeting übernehmen. Und Josephine wird dich dabei begleiten.“
Innerhalb von Sekunden entglitten Leonard sämtliche Gesichtszüge und er starrte seinen Vater fassungslos und sichtlich überrascht an. „Wie bitte?“ fragte er ungläubig. „Das ist ein Scherz. Auf gar keinen Fall.“
Josie spürte, wie ihr die Röte vor Scham ins Gesicht stieg. Es war ihr schrecklich unangenehm, wie er reagierte.
Plötzlich hielt er inne und sah Josies betroffenes Gesicht. „Sorry Josephine, das ist nichts gegen sie persönlich. Aber ich fliege definitiv alleine“, beharrte Leonard.

Ferdinand sah ihn scharf an und schüttelte den Kopf. „Nein. Leonard. Die Flüge sind gebucht. Josephine fliegt mit, da Christoph dich nicht begleiten kann. Du wirst auf keinen Fall alleine fliegen. Darüber diskutiere ich auch nicht weiter, du weißt genau warum.“
Wie ein kleiner Junge verschränkte Leonard die Arme vor der Brust und schnaufte. „Diese ständige Bevormundung geht mit sowas von auf den Sack. Wann lässt du das mal sein? Du machst dich echt lächerlich“, beklagte er sich.
Ferdinands Blick war streng und scharf. „Leonard, ich verbitte mir diesen Ton“, donnerte er los. „Du machst dich lächerlich. Alleine Josephine gegenüber, ist dein Verhalten eine bodenlose Unverschämtheit. Ich erwarte von dir absolute Disziplin und Professionalität. Sie wird dich begleiten und damit darfst du wieder an deine Arbeit gehen.“
Das Thema war für Ferdinand erledigt und Leonard verließ wutentbrannt das Büro.

Ferdinand hielt Josephine kurz zurück und schloss die Bürotür. Er sah sie ernst an.
„Nehmen sie es nicht persönlich Josephine. Er wird sich damit abfinden, da er genau weiß, dass er nicht ohne Begleitung fliegen wird…“ Ferdinand beugte sich etwas näher zu Josie herüber. „Josephine, ich möchte sie bitten, wenn ihnen irgendetwas auffällt, dann sagen sie mir das bitte. Seine Aufgabe sind die Meetings mit den Geschäftsführern unserer Tochterfirma und mehr nicht. Keinerlei privaten Aktivitäten, egal in welcher Form.“
Josie erwiderte Ferdinand kritischen Blick. „Was genau meinen Sie damit?“
Ferdinand hielt inne, überlegte und lächelte. „Das Leonard ausschließlich zum Arbeiten dorthin fliegt. Treffen mit den Geschäftsführern, Besuch der Firma, mehr nicht. Ich möchte nicht, dass er in welcher Form auch immer dort privaten Aktivitäten nachgeht. Wenn er nicht arbeitet, hat er sich im Hotel aufzuhalten.“
Ferdinand schien Josies kritischen Blick zu bemerken. „Ich verlasse mich auf sie, Josephine. Leonard weiß, was ich erwarte und was ich keinen falls dulden werde und auch, dass sie mich informieren werden.“
Josie nickte nur nachdenklich und beschloss erstmal abzuwarten was kam. Ferdinand schien ja ernsthafte Bedenken zu haben.

Leonard redete an diesem Tag mit Josie nur noch das notwendigste. Er war sauer und das ließ er sie spüren, obwohl sie natürlich am wenigsten dafür konnte. Ihr war es absolut unangenehm.
Auch am Flughafen war er sehr wortkarg. Zwar freundlich, aber mehr auch nicht. Josie hatte gestern noch ein kurzes Gespräch zwischen ihm und seinem Vater mit bekommen, wo Leonard sich wieder aufregte.“
„… findest du es ok, sie als Spitzel für dich zu missbrauchen?...“ hat er seinen Vater gefragt. „… wenn du so wenig Vertrauen in mich hast, warum fliegst du nicht selber mit?...“
Einen Satz hatte Josie dann noch mitbekommen, als Ferdinand zu Leonard sagte, dass er seinen Alkoholkonsum aufs minimalste zu beschränken habe und sich genau überlegen sollte welche wo er sich aufhält.

Leonard war noch immer verdammt sauer über das Misstrauen seines Vaters und hatte null Verständnis dafür.
Nun saß er im Flugzeug neben Josie und las auf seinem Tablett. Wie immer trug er Anzug und Hemd, teure schwarze Lederschuhe und perfekt gestylte Haare. Er sah toll aus, groß, schlank sportlich, absolut hübsch und attraktiv zog er direkt die Blicke sämtlicher Frauen auf sich.
Josie mochte seine Nähe, spürte seine Wärme und konnte sein wunderbares After Shave riechen.
„Waren sie schon mal im Amsterdam?“ fragte er sie irgendwann. Josie war kurz verwundert, dass er überhaupt wieder mit ihr redete.
„Nein. Ich wollte schon immer mal hin. Soll ja toll zum Einkaufen und Bummeln sein, so mit den schönen Grachten und so“, antwortete Josie.
Ihre Blicke trafen sich. Strahlend blaue Augen sahen sie an.
„Ich fliege meistens alle zwei, drei Monate rüber und mache die großen Meetings mit der Geschäftsführung unserer Tochterfirma. Es ist wirklich eine schöne Stadt, es bleibt nur leider zu wenig Zeit, sich alles in Ruhe anzusehen“, meinte er und sah wieder auf sein Tablet.
Josie genoss den kurzen Flug, denn sie flog für ihr Leben gerne. Besonders Start und Landung waren super aufregend und das in Begleitung dieses attraktiven Mannes, der neben ihr saß. Schade nur das er kaum Notiz von ihr nahm und lieber auf seinem Tablett Nachrichten las. Zwischendurch schrieb er Nachrichten auf dem Handy. Ob er wohl eine Freundin hatte? Bei Gelegenheit würde sie Julian nochmal etwas ausquetschen.

Ein privater Fahrdienst holte sie am Flughafen ab und brachte sie ins fünf Sterne Sofitel Hotel, direkt im Zentrum von Amsterdam. Dort bezogen sie ihre beiden Einzelzimmer. Leonard Zimmer war direkt schräg gegenüber von ihrem Zimmer. Und Josie war ganz begeistert von dem sehr schönen und modern eingerichteten Zimmer.
Um sieben Uhr waren sie zum Abendessen mit den beiden Geschäftsführern verabredet. So blieb ihr nur wenig Zeit, sich frisch zu machen, da Leonard bereits um viertel vor sieben draußen vor dem Hotel auf sie wartete und rauchte.
„The Lobby Nesplein“ war ein gehobeneres Restaurant ganz in der Nähe und zu Fuß schnell erreichbar.

Die beiden Geschäftsführer Magnus und Rouven erwarteten sie bereits vor dem Restaurant. Sie waren um die Mitte dreißig und begrüßten Josie und Leo freundlich.
Das Abendessen verlief sehr ruhig und entspannt. Obwohl Rouven und Magnus etwas deutsch sprachen, unterhielten sie sich mit Leo die meiste Zeit in perfektem Englisch. Nur mit Josie redeten sie zwischendurch etwas deutsch, beziehungsweise, sie versuchten es.
Sie fühlte sich ganz wohl, die Herren waren sehr nett und höflich. Leonard, war Josie gegenüber wie immer distanziert und zurückhaltend. Den anderen beiden gegenüber allerdings recht locker und gut gelaunt.
Die meiste Zeit ging es um geschäftliche Themen und zwischendurch um Dinge wie Sport, besonders Fußball und Autos oder auch den letzten Urlauben. Die beiden hatten Familie und erzählten auch gerne von ihren Kindern. Leonard wie immer interessiert, freundlich und ein guter Gesprächspartner, der die Kommunikation gekonnt am Laufen hielt.

Als das Essen kam, wurde es ruhiger und jeder genoss das wirklich gute Essen. Eigentlich fand Josie ihren Job als Babysitter gar nicht so schlecht. Flug nach Amsterdam, tolles Hotel, gutes Essen, in Gesellschafft so netter Herren, konnte bestimmt schlimmeres geben. Anstatt teurem Wein gab es für die Herren Bier und das in einem recht zügigem Tempo. Die Herren waren demnach recht trinkfreudig und schon wurde die nächste Runde gebracht während Josie lieber Bitter Lemon trank. Als wieder eine neue Runde Bier gebracht wurde sah Leonard sie kritisch an.
„Haben sie ordnungsgemäß mitgezählt Fräulein Wagner?“ fragte er sie mit leichter Belustigung in der Stimme. Erst wusste Josie nicht, was genau er jetzt meinte, bis er auf sein Bierglas zeigte und ihr vier Finger zeigte. „Nur fürs Protokoll an den Herrn von und zu Senior Chef. Wir halten das heute auch extra mal etwas gediegener, damit sie nicht den Überblick verlieren“.
Ihre Blicke trafen sich und er sah sie durchaus provokant und amüsiert an. Machte er sich etwa über sie lustig? Stimmt, da war ja was gewesen, dass er seinen Alkoholkonsum aufs Minimum zu reduzieren hatte. Was genau aber nun das Minimum sein sollte, wusste sie nun nicht. Zwei Bier, vier Bier, sechs Bier? Keine Ahnung, was genau das heißen sollte. Aber eigentlich machte sie sich da auch keine großen Gedanken drum, denn Herr von Wartenberg Junior schien ja doch recht trinkfest zu sein. Also wo war dann der Punkt, wo sie etwas sagen sollte? Und ließ er sich von ihr überhaupt etwas sagen? Wohl kaum und das von der Praktikantin? Was hatte Ferdinand von Wartenberg sich dabei nur gedacht? Das sie irgendetwas ausrichten konnte? Im Prinzip hatte sie auch gar kein Interesse daran, mit ihm darüber zu diskutieren, ob er nun vier oder fünf Bier trinken sollte.
Sie erwiderte seinen Blick cool. „Aber natürlich Graf von Wartenberg. Danke für die Info“, konterte sie selbstbewusst.

Gegen zehn Uhr verließen sie das Restaurant und verabschiedeten sich, um zurück zum Hotel zu gehen.
„Um neun ist Meeting, wir sehen uns um acht beim Frühstück“, hatte Leonard vor seiner Zimmertür noch gesagt und ihr höflich eine gute Nacht gewünscht.
Gerade wollte Josie ins Bad gehen, als sie auf dem Flur eine Tür ins Schloss fallen hörte. Intuitiv ging sie zum Fenster, dass schräg oberhalb dem Hoteleingang lag und sah hinaus.
Nur wenige Minuten später verließ Leonard das Hotel. Er trug Jeans und einen dunklen Hoodie. Mit schnellen Schritten, den Händen in den Hosentaschen ging er zielstrebig durch den Innenhof und verschwand aus Josie Sichtfeld.
Sie überlegte kurz, ob sie ihm folgen sollte. Doch ehe sie Schuhe und Jacke anhatte und unten war, war er vermutlich schon lange verschwunden. Aber wo ging er noch hin, abends um zehn Uhr? Diese Frage beschäftigte Josie noch eine ganze Weile, während sie in ihrem Hotelbett saß und Fernseh schaute. Und vermutlich war es genau das, was Ferdinand meinte. Denn geschäftlich schien Leonards verschwinden abends um zehn Uhr nun nicht zu sein.
Irgendwann schlief sie dann ein und wurde nachts gegen ein Uhr wieder wach, als sie wieder eine Zimmertür ins Schloss fallen hörte. Ob das Leonard war? War er zurückgekommen? Um die Zeit? Und vor allem, wo war er gewesen?

Am nächsten Morgen saß Leonard schon am Frühstückstisch, als Josie pünktlich um acht in den Speiseraum kam. Er sah wie immer gut aus. Geduscht, rasiert, gestylt, gut duftend in Hemd und Anzug saß er da, frühstückte und las auf seinem Tablett.
„Guten Morgen“, sagte sie freundlich.
Ihre Blicke trafen sich. „Morgen“, meinte er nur.
Josie musterte ihn kritisch als sie sich ihm gegenüber setzte. Er schien das zu bemerken und erwiderte ihren Blick. „Alles ok? Haben sie gut geschlafen Josephine?“
Sie fand diese siezen so bescheuert. Warum duzte er sie nicht einfach? Immerhin war sie gerade mal ein paar Jahre jünger als er.
„Ja. Ich habe gut geschlafen. Und Sie? Sie sind gestern Abend nochmal weg gegangen?“ fragte sie lächelnd.
Wieder trafen sich ihre Blicke. Eiskalte strahlend blaue Augen sahen sie neugierig an. Dann lächelte er. „Ich habe noch etwas frische Luft geschnappt und Zigaretten geholt.“
Dass das nicht ganz die Wahrheit war, wussten beide ziemlich genau.
„Bis nachts um eins?“ bemerkte Josie skeptisch.
Sein Blick blieb starr auf sie gerichtet und sein Gesicht wurde ernst. „Josephine, ich weiß das mein Vater sie als Spitzel mitgeschickt hat. Wenn sie es für nötig halten, können sie das auch gerne so weiter geben. Scheint ja ihr Job zu sein. Aber geben sie nur das weiter, was sie auch hundertprozentig wissen und nicht, was sie denken oder vermuten. Ich muss mich ständig für irgendwelche dämlichen Dinge rechtfertigen, die ich angeblich irgendwo, irgendwie getan habe. Es nervt einfach nur.“
„Ich habe nicht vor, irgendwas weiter zu geben. Warum sollte ich das tun?“ entgegnete Josie überraschend cool.
„Weil mein Vater sie damit beauftragt hat. Sonst wären sie nicht hier. Er misstraut mir in jeglicher Weise und wartet nur darauf, dass sie ihm bestätigen, wie Recht er damit hat. Nur den Gefallen werde ich ihm bestimmt nicht tun. Sie haben mich gesehen, dass ich das Hotel verlassen habe, mehr nicht“, sagte Leonard leicht gereizt.
„Er wird fragen, wo sie noch waren?“ überlegte Josie laut.
Leonard nickte. „Natürlich wird er das. Und egal, was ich auch sagen würde, er würde es mir nicht glauben. Daher wird ihm diese kleine Info schon reichen, um mal wieder ein gewaltiges Fass aufzumachen. Wieso und weshalb auch immer.“
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. „Im Grunde habe ich auch gar nichts gesehen.“
Strahlendes blau traf sie. „Ihre Entscheidung, Josephine. Ich habe mich meinem Schicksal schon sehr lange ergeben.“ Etwas Trauriges lag nun in seinem Blick und seiner Stimme.

Den Rest des Frühstücks verbrachten sie schweigend. Der Fahrdienst holte sie ab und um neun Uhr begann pünktlich das Meeting. Das zog sich auch über den ganzen Tag und war erst nachmittags gegen vier zu Ende. Nicht nur Josie fand es sehr anstrengend, da nur englisch geredet wurde, auch Leonard schien echt geschafft zu sein.
Sie fuhren zurück zum Hotel, um sich frisch zu machen, bevor ihr Rückflug abends um sieben Uhr ging.
Anschließend checkten sie im Hotel aus und der Fahrdienst brachte sie zurück zum Flughafen. Leonard redete kaum und war ziemlich müde und erschöpft. Am Flughafen aßen sie noch etwas und warteten auf den Rückflug.
Josie war es unangenehm das Leonard ihr Baguette und den Latte Macchiato mit bezahlte und erklärte das bei Geschäftsreisen alles auf Firmenkosten lief. Davon ließ er sich auch nicht abbringen. Wenn sie schon mit musste, dann sollte sie nicht auch noch irgendetwas bezahlen müssen.
Viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum, doch sie traute sich nicht, diese Leonard zu stellen.
Er telefonierte zwischendurch mit irgendwem über geschäftliche Dinge. Allerdings klang es sehr vertraut und angenehm. Sein Vater konnte es daher nicht sein.

Am nächsten Tag schien Ferdinand schon Josies Bericht zu erwarten und er zitierte sie direkt in sein Büro. Doch sie konnte nichts Besonderes sagen. Alles war wie geplant verlaufen. Es gab keinerlei besondere Vorkommnisse, was Ferdinand zwar überrascht aber sehr zufrieden aufnahm.
Josie verstand die scheinbaren Bedenken von Ferdinand von Wartenberg nicht. Leonard machte seinen Job. Zuverlässig, professionell und so, wie es erwartet wurde. Es war nicht mal so, dass er beim Abendessen großartig Alkohol getrunken hatte. Er hatte zwar etwas getrunken aber nicht mal so viel, dass man den Anschein hatte, dass er betrunken war. Selbst da war er sehr diszipliniert.
Josie verstand diese ganz Skepsis von Ferdinand von Wartenberg seinem Sohn gegenüber nicht. Aber irgendetwas schien ja zu sein, dass er so misstrauisch war.
Manchmal bat er Josie dann kurz raus zu gehen und sie konnte draußen hören, wie er Leonard eine Standpauke hielt was seine Pflichten und Aufgaben innerhalb der Firma betraf.

Nur wenige Tage später bekam Josie eine leichte Ahnung, warum das so war. Sie stand vorne bei Margret am Empfang, als sie Leonard eher zufällig beobachtet, wie er kreidebleich aus der Toilette kam, schwankte und sich gegen die Flurwand lehnen musste. Es schien ihm wirklich nicht gut zu gehen, er sah echt fertig und blass aus. Die Augen hatte er geschlossen und er atmete ein paar Mal tief durch, bis er sich zusammen raufen konnte und langsam in seinem Büro verschwand.
Als sie das Büro betrat saß er an seinem Schreibtisch und hatte den Kopf in den Händen vergraben.
„Alles ok?“ fragte Josie vorsichtig als sie sich an ihren Platz setzte.
Leonard sah sie nicht mal an. Sie hörte nur seine schnelle starke Atmung.
Unsicher stand Josie auf und ging zu seinem Schreibtisch heran. „Leonard? Ist alles ok?“ fragte sie nun besorgt.
Keine Reaktion.
Sie ging noch einen Schritt näher heran. „Soll ich ein Glas Wasser oder so holen?“
„Nein danke…“, murmelte er nur leise. Denn hob er wieder den Kopf und sah sie kurz an während seine Finger seine Haare wieder glatt strichen. „…alles ok. Vielen Dank. Mein Kreislauf ist heute nicht so… liegt bestimmt am Wetter.“
Josie blieb wie angewurzelt stehen und sah ihn kritisch an. „Kann ich wirklich nichts…?“
„Nein, Josephine. Es geht mir gut, ok“, meinte er dann etwas schroff.
Sie merkte sofort, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte und nahm wieder schnell an ihrem Schreibtisch Platz.
Die nächste Stunde verbrachten beide schweigend, wobei sie sich nicht sicher war, ob er wirklich etwas las oder nur einfach so in den Ordner vor sich starrte.
Dann klingelte sein Telefon und es dauerte eine ganze Weile bis er das überhaupt registriert hatte und abnahm. Was dann kam, war sehr fragwürdig, denn Leonard war nicht in der Lage, auch nur einen vernünftigen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Er stammelte, stotterte und brachte dabei nichts Gescheites heraus. Scheinbar wusste er nicht mal, was er redete, mit wem oder worüber. Er war völlig verpeilt und planlos. So langsam wurde es unangenehm für Leonard, denn sein Gesprächspartner schien ebenfalls etwas irritiert zu sein.
Josie hörte sich das exakte drei Minuten an, bevor sie aufstand und dem völlig irritierten Leonard das Telefon aus der Hand nahm.
„Josephine Wagner, Guten Tag. Bitte entschuldigen sie die Unterbrechung. Wir haben durch den Umbau im Büro derzeit technische Störungen in der Telefonleitung. Daher kommt bei uns und vermutlich auch bei Ihnen nicht alles richtig an. Aber die Techniker werden heute Nachmittag fertig und es wäre super, wenn sie morgen früh nochmal anrufen. Dann dürfte alles reibungslos klappen. Vielen Dank und auf Wiederhören“, sagte Josie schnell ins Telefon. Herr Fernbach am anderen Ende war erst etwas irritiert aber dann verständnisvoll und wollte morgen nochmal anrufen.

Josie legte auf und behielt das Telefon in ihrer Hand. Fragend sah sie Leonard an, der sein Gesicht wieder in den Händen auf dem Schreibtisch vergraben hatte.
„Sie sollten nicht ans Telefon gehen, wenn sie nicht wissen was und mit wem sie reden. Herr Fernbach war wohl etwas irritiert“, meinte sie schroff zu ihm.
Leonard murmelte etwas unverständliches.
„Das geht nicht. Sie können doch nicht so ans Telefon gehen. Was sollen die Leute denn denken? Das sie besoffen sind? Zu gedröhnt sind oder sowas? Was ist los mit ihnen?“ sagte Josie entrüstet.
Sie bekam keine Reaktion, denn Leonard schien gerade auf einem ganz anderen Planeten zu sein. Erst nach einigen Minuten berappelte er sich wieder und sah sie zerknirscht an.
„Schuldigung“, murmelte er leise. Er setzte sich auf, ordnete sein Haare und seinen Anzug.
„Was ist los mit ihnen?“ fragte Josie erneut.
Er wich ihrem Blick aus und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. Ihm war klar, dass sie auf eine Erklärung wartete.
„Nichts, nichts. Alles gut. Mein Kreislauf ist im Keller, ich habe die letzten Tage zu wenig geschlafen und gegessen… ich war das Wochenende klettern… war ziemlich anstrengend und dazu die Höhenluft… keine Ahnung“, stammelte er dann unsicher.
Josie wusste, dass er log. Sie schnaufte nur. „Ah, klettern, sicher? Wenn das so aufs Gehirn und Kreislauf schlägt, sollten sie mal über einen Alternativsport nachdenken.“
Zack, das hatte gesessen. Mit offenem Mund starrte Leonard Josie nun sprachlos an.
Sie merkte sofort, dass sie den Bogen überspannt hatte. Ihr Puls schoss in die Höhe. „Entschuldigung. Es tut mir leid. Es geht mich auch nichts an. Aber vielleicht fahren sie besser nach Hause und erholen sich etwas… Also, lassen sich nach Hause fahren und fahren nicht selber“, korrigierte sie schnell.
Leonard starrte sie noch immer an. Doch Josie war sich inzwischen nicht mehr sicher, dass er noch wusste, ob er nun sauer war oder nicht. Zu ihrer Überraschung stand er wirklich auf, suchte seine Sachen zusammen und verließ das Büro.
„Bis morgen“, murmelte er nur noch und verschwand.
Josie hoffte, dass er sich nicht in seinen Wagen setzte und selber fuhr.

Umso überraschter war sie dann, als eine knappe Stunde später Julian ins Büro kam und eine Mischung aus besorgt und amüsiert war.
„Ich habe ihn nach Hause gefahren. Irgendwie war er ja ziemlich durch den Wind. Er meinte, du hättest ihn nach Hause geschickt, weil er am Telefon keinen Plan mehr hatte, wegen Kreislauf und so…“, erklärte Julian mit einem verschmitzten grinsen. „… naja. Jedenfalls wars wohl besser so, wenn er hier nichts auf die Reihe bekommt.“
Josie sah Julian mit gerunzelter Stirn an. „Ich hätte sich fast total blamiert, weil er am Telefon nur noch zusammenhangloses Zeug gestammelt hat. Was stimmt mit ihm nicht? Das er so daneben ist? Trinkt er? Nimmt er Drogen? Irgendwelche Medikamente?“
Julian schnaufte leise. „Nein. Quatsch. Denk jetzt blos nichts Falsches von ihm. Normal ist er ja nicht so. Kam vielleicht wirklich vom Klettern. Ein paar Tage unter so extremen Bedingungen, extreme Belastung, wenig schlaf, wenig essen, dazu die Höhe… kann schon sein.“
Josie verzog das Gesicht. „Sicher Julian. Vom Klettern. Ich habe ne ganze Weile mit gewissen Klienten gearbeitet. Also erzählt mir doch keinen Scheiß… von wegen klettern und so.“
Natürlich glaubte Josie auch Julian kein Wort.

Dafür tat Leonard am nächsten Tag so, als wäre nichts gewesen. Er war auch so wie immer und schien wieder ganz fit zu sein. Zeit, um zu reden blieb auch nicht, da sich an diesem Tag ein Meeting an das andere reihte. Und hier lief Leonard wieder zu seiner bekannten Hochform auf. Souverän und kompetent leitete er die Besprechungen und Präsentationen. Sein Charisma füllte den Raum und alle hörten ihm gespannt zu, wie er professionell stundenlang reden und erklären konnte.
Nur Dirk hatte es wieder auf Konfrontationen angesehen und versuchte Leonard zu jeder Gelegenheit rein zu grätschen. Doch auch das konterte Leonard wie immer gekonnt entspannt.
Am Ende der Präsentation packte Leonard seine Sachen zusammen, als Dirk noch am Tisch saß und ihn argwöhnisch beobachtete. Julian und Josie halfen dabei, die Tische im Besprechungsraum aufzuräumen und die Getränkeflaschen in die Kisten zu sortieren.
„Mal wieder ein hartes Wochenende gehabt von Wartenberg? War ja ein kurzer Arbeitstag gestern?“ meinte Dirk provokativ.
Leonard hielt inne und sah Dirk direkt an. „Während du vermutlich erfolglos im Oanser Champagner geschlürft hast, hab ich nen dreieinhalbtausender bestiegen. Na? Und wer war da wohl erfolgreicher im Thema?“ Konterte Leonard cool.
Dirk verzog das Gesicht und stand auf. „Als wenn dir die Sportnummer noch irgendwer hier abnimmt? Ich weiß genau, was du so treibst, ebenso erfolglos vermutlich…“, raunte er Leonard im Vorbeigehen dann zu. „… also hab nicht so eine verdammt große Fresse, Wartenberg.“
Leonard sah Dirk scharf an. „Ich kann mir die große Fresse aber erlauben. Ganz im Gegensatz zu dir.“
Schnaufend verließ Dirk den Raum.
Julian und Josie sahen Leonard an und der schien sich deutlich unwohl zu fühlen.
Plötzlich legte er die Ordner, die er in der Hand hatte, wieder ab und knöpfte sein Hemd auf.
Julian und Josie sahen ihn nun noch fragender und erstaunt an.
Leonard öffnete sein hellblaues langärmeliges Hemd und trug darunter noch ein weißes enganliegendes Kurzarmshirt. Auf dem rechten Arm sah Josie nun ein großes schwarzes Azteken Tattoo das bis kurz vor dem Ellbogen ging. Um den Unterarm war ein Verband gewickelt, den Leonard nun schnell abwickelte.
Julian verzog das Gesicht, als er die blutigen Abschürfungen sah, die nun zum Vorschein kamen und die gesamten Unterarminnenseite großflächig umfassten.
„So, das war eine Felskannte von der Wildspitze im Ötztal, 3768 Meter. Ihr könnt auch gerne den Felix anrufen, das ist mein Kletterpartner, der war auch mit. Nur so viel zu den scheiß Gerüchten, die hier ständig so fleißig verbreitet werden. Und das gestern war wirklich nur eine ungünstige Mischung aus zu wenig schlaf, zu wenig essen, zu vielen, zu starken Schmerzmitteln, der Höhe in so kurzer Zeit und jede Menge Stress.“
Josie spürte, wie sie rot wurde, vor Scham, weil sie Leonard wirklich unrecht getan hatte.
Julian kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Ich hab nie was gesagt, oder?“
Leonard sah ihn an. „Ach komm Julian. Wir kennen uns schon lange. Ich weiß genau was du denkst.“
Ohne ein weiteres Wort packte Leonard seine Ordner wieder zusammen und verließ den Raum.

Als Josie wenig später ins Büro kam, saß er am Schreibtisch und versuchte etwas umständlich mit der linken Hand seinen rechten Unterarm wieder neu zu verbinden. Was natürlich nicht so einfach war.
„Kann ich helfen?“ fragte sie ihn und schloss die Tür hinter sich.
Leonard sah sie an und schüttelte den Kopf. „Danke, geht schon.“
Josie sah ihm eine Weile zu, wie er etwas unbeholfen versuchte den Verband vernünftig zu wickeln. Dann ging sie einfach zu ihm hin, nahm den Verband aus seiner Hand und wickelte ihn etwas ab, um ihn dann ordentlich um die Wundauflage zu wickeln. Ihr Finderspitzen berührten sich dabei und es war wie ein kleiner Blitz, der sie durchzuckte.
„Danke“, meinte Leonard nur und ein winziges Lächeln huschte über seine Lippen.
Leonard von Wartenberg war und blieb ein Mysterium. Zwar ein verdammt attraktives und gut aussehendes, aber er gab absolut nichts von sich preis.

Gegen Mittag, kurz vor zwölf, klopfte es an der Bürotür und eine Frau kam herein. Sie war recht groß, schlank, und vermutlich um die Ende vierzig. Ihre langen blonden Haare hatte sie elegant hoch gesteckt und ihr Erscheinungsbild war sehr gepflegt. Sie trug ein beiges Kostüm und ein leichtes Makeup.
„Hallo“, begrüßte sie Leonard und Josie lächelnd. Sie ging direkt auf Josie zu und gab ihr die Hand. „Katharina von Wartenberg“, stellte sie sich freundlich vor. „Josephine Wagner, freut mich sehr“, sagte Josie höflich. Das war also Leonards Mutter, so ganz anders als Josie sie sich bisher vorgestellt hatte. Sie strahlte unheimliche Sympathie und Wärme aus.
„Ich hoffe sie fühlen sich hier wohl? Ich weiß das die Herren nicht immer ganz einfach sind“, sagte sie mit einem lächelnden Augenzwinkern zu Josie.
„Danke. Ich kann mich nicht beklagen“, antwortete Josie und erwiderte Katharinas Blick freundlich. Katharina lächelte und wandte sich Leonard zu. Leo stand hinter seinem Schreibtisch auf und umarmte sie kurz. Er zuckte kurz schmerzerfüllt zusammen, als Katharina ihn herzlich an sich drückte. Leonard war etwas größer als seine Mutter, die allerdings auch hochhackige Schuhe trug.
„Ich habe dich vermisst mein Großer. Du bist am Wochenende nicht zum Essen gekommen“, sagte sie etwas vorwurfsvoll. Man spürte sofort eine gewisse Wärme und Liebe zwischen den beiden. Ganz anders als Josie das bisher zwischen Vater und Sohn wahrgenommen hatte.
„Ich war klettern, Mama. Hatte ich auch gesagt. Ich muss das gute Wetter immer nutzen, so gut es geht“, sagte Leonard gefühlvoll.
Katharina sah ihren Sohn kritisch an und runzelte die Stirn. „Du siehst schlecht aus. Müde, blass, gestresst.“ Ihr Gesichtsausdruck war besorgt. Sie strich ihm mit den Fingern über die Wange. „Ich muss mit deinem Vater nochmal reden. Er muss dir mehr Freizeit lassen. Du brauchst Zeit für dich, deinen Sport, deine Freunde. Den ganzen Tag in diesem Büro zu sitzen ist nicht gesund“, sagte sie leise, mit ernster Stimme zu ihm.
„Und genau das wird er nicht zulassen. Und das weißt du auch. Für ihn ist jede Minute, die ich hier bin gut und jede Minute, die ich anders Verbringe schlecht“, meinte Leonard kritisch.
Katharina lächelte. „Ich möchte mit dir essen gehen. Dein Vater hat keine Zeit, aber du wirst mich jetzt begleiten.“
Leonard stöhnte leise auf. „Ich kann nicht. Ich hab echt viel zu tun.“
Katharinas Blick wurde streng. „Das mag sein. Aber du kommst jetzt mit. Wenn du dich schon wieder wochenlang nicht zu Hause blicken lässt, bist du mir das jetzt schuldig, Andreas.“
Leonard sah Josie kurz an. „Würden sie das Telefon übernehmen, Josephine? Ich bin gegen zwei wieder da.“
Josie erwiderte seinen Blick und nickte lächelnd. „Natürlich, mache ich das.“

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4 Die Fabrik

Schwarze Wolken verhüllten den Himmel. Blitze zucken in der Ferne und das Donnergrollen wurde immer lauter. Erste Regentropfen fielen vom Himmel.
Josie schob ihr Fahrrad mit dem Platten über den Bürgersteig und zog ihre Sweatjacke noch weiter zu. Ein kühler Wind zog auf und verdrängte die Wärme des Tages. Sie ärgerte sich, dass sie trotz der Gewitterwarnung heute mit dem Rad zur Firma gefahren war.
Immerhin war durch den Park und das Gewerbegebiet der kürzeste Weg zurück zu ihrer Wohnung. Doch jetzt zu Fuß würde sie bestimmt noch zwanzig Minuten unterwegs sein. Trocken kam sie vermutlich eh nicht zu Hause an.

Ein junger Mann stand an einem der zahlreichen Firmen Gebäude unter einem schmalen Dach und telefonierte. Sie schätzte ihn auf Mitte Zwanzig. Er war groß, schlank und hatte kurze braune Haare. Und sie war überrascht, denn er kam ihr total bekannt vor.
Es war Dominik. Dominik Allmann. Josie erkannte ihn sofort. Ihre Mutter war mit seiner Mutter befreundet. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren über ihre Eltern. Meistens trafen sie sich bei irgendwelchen Familien Feierlichkeiten.
Als er Josie sah hielt er kurz inne und sah sie an. Vermutlich überlegte er, was sie gerade hier suchte. Die Gegend war doch recht einsam freitags, am späten Nachmittag.
Josie ging auf ihn zu. Er steckte sein Handy in die Hosentasche und lächelte sie freundlich an.
„Josie? Hey Josie…“, sagte er sofort und umarmte sie freundlich. „…wie geht es dir? Was machst du hier?“
Sie erzählte kurz, dass sie seit kurzem hier in München studierte, von ihrem Praktikum kam und auf dem Heimweg ihr Rad einen Platten bekommen hatte.
Dominik erzählte ihr das er auch hier in München arbeitete und wohnte. So ein Zufall das sie sich hier trafen. Dominik schien sichtlich erfreut zu sein und sie plauderten eine ganze Weile. Der Regen nahm zu und wurde innerhalb weniger Minuten zu einem prasselnden Platzregen. Das Vordach, unter dem sie standen, bot immerhin etwas Schutz.

Ein Wagen näherte sich ihnen. Der schwarze Mercedes fuhr in ihre Richtung, bremste dann abrupt ab und verlangsamte enorm das Tempo, als er an ihnen vorbei fuhr. Was Josie ziemlich merkwürdig vorkam. Sie fühlte sich beobachtet. Entweder sucht der Wagen etwas oder beobachtete sie beide. So langsam wie er fuhr, war es wirklich unheimlich. Durch die verdunkelten Scheiben konnte allerdings niemanden erkennen. Der Wagen fuhr vorbei und Dominik wurde plötzlich ganz nervös.
„Scheiße“, murmelte er nur und zog Josie am Arm mit sich. „Komm mit, wir können hier nicht bleiben“.
Josie sah Dominik irritiert an, folgte ihm aber. Dominik ging mit schnellen Schritten über den Bürgersteig und Josie folgte ihm. Immer wieder sah er sich nach dem schwarzen Mercedes um, der plötzlich anhielt und auf der Straße drehte.
„Was ist los?“ wollte Josie wissen.
„Erkläre ich dir später. Wir müssen hier weg. Kannst du dein Rad stehen lassen?“ sagte Dominik nur und ging in eine Seitengasse hinein.
Josie nickte. „Ja, warum denn? Was ist denn los?“
Sie stellte ihr Fahrrad in der Seitengasse an einen Container und schloss es ab.
Dominik wurde immer unruhiger und griff ihre Hand. „Komm mit, wir müssen hier weg“, sagte er schnell und zog Josie hinter sich her. Mit schnellen Schritten gingen sie die Seitenstraße entlang. Immer wieder den Blick nach hinten gerichtet. Dann fuhr der schwarze Mercedes an der Gasse vorbei.
Es lag die Vermutung nahe, dass Dominiks plötzliche Unruhe mit dem Wagen zu tun hatte. Daher war Josie erleichtert, dass der Wagen vorbei gefahren war. Doch Dominik schien nicht erleichtert zu sein und zog sie nun noch schneller durch den strömenden Regen hindurch mit sich durch die schmale Seitengasse. Fabrikgebäude ragten links und rechts von ihnen hoch.
Der Donner wurde immer lauter und auch die Blitze kamen näher.
Josie und Dominik blickten sich gleichzeitig um, als in dem Augenblick der Mercedes rückwärtsfuhr und in die Seitengasse einbog.
Dominiks Schritte wurden schneller, bis er fast schon lief. Immer noch hielt er Josies Hand fest. Er bog nach rechts in eine andere Seitengasse, die noch schmaler und enger war. Sie liefen und liefen. Regen verschleierte Josies Sicht. Sie hatte keine andere Wahl als ihm zu folgen. Was sollte sie sonst tun? Wenn es einen Grund gab, warum er lief, war es vermutlich nicht klug, einfach stehen zu bleiben und abzuwarten. Also lief sie mit ihm, keine Ahnung warum und wohin.

An einem großen Fabrikgebäude blieb er vor einer Tür stehen. Hinter einer unscheinbaren Klappe tippte er etwas auf ein Zahlenfeld und legte seinen Ringfinger auf ein kleines Feld.
Stille. Nur der Regen prasselte und ein Motorengeräusch schien näher zu kommen.
Ein leises Summen ertönte und Dominik drückte die stabile schwere Eisentür auf. Eine Sekunde zweifelte Josie, ob sie ihm folgen sollte. Doch er griff wieder ihre Hand und zog sie in einen schmalen Flur. Die Tür klickte leise ins Schloss. Es war alt und muffig hier. Eine Putzfrau war vermutlich seit Jahren nicht mehr hier gewesen, denn Spinnweben hingen unter der Decke und in den Ecken.
Gedimmte Deckenlampen gaben ein schummriges Licht ab und beleuchteten einen langen grauen Flur. Dominik schien nun etwas erleichtert und entspannter zu sein. Er ging vor, durch den langen Flur zu einer Aufzugtür. Dort tippe er wieder einen Code auf einem Tastenfeld ein und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Josie überkamen Zweifel, ob der Aufzug hier wohl regelmäßig gewartet wurde? Die Geräusche, die er machte, waren weniger vertrauenserweckend.
„Wo sind wir hier?“ wollte Josie wissen. Aufregung machte sich in ihr breit. Ok, sie kannte Dominik schon viele Jahre. Aber gerade die letzten Jahre hatten sie nicht mehr so intensiven Kontakt gehabt wie früher, als sie Kinder waren.
„Ich treffe mich hier immer mit ein paar Freunden“, war seine knappe Antwort.
Sie stiegen in den Aufzug. Dominik drückte einen der zahlreichen Knöpfe, die alle keine Beschriftung, nicht mal Zahl hatten. Dann fuhren sie hinab.
Oh Gott, was tat sie hier nur? Überlegte Josie. Sie kam sich vor wie in einem schlechten Film, oder wie bei einem schlechten Scherz.
Josie nahm ihr Handy. Sie wollte Lisa ihren Standort schicken, wer wusste schon wofür es gut war. Immerhin fuhr sie mit einem Mann den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, in einem einsamen Industriegebiet in irgendeinem Gebäude mit dem Aufzug ins den Keller. Was zur Hölle tat sie da nur?
Dominik sah sie an. „Was hast du vor?“
„Einer Freundin meinen Standort schicken“, meinte Josie ganz in Gedanken. Scheiße, sie hat gar kein Netz hier unten. Ihr Handy zeigte keinen Empfang an. Dominiks braune Augen funkelten sie an. Blitzschnell nahm er ihr das Handy aus der Hand. „Nein. Lass das sein. Blos keinen Standort verschicken…“, rief er hektisch. „… du hast hier eh kein Netz:“
Josie starrte ihn an, mit einem Anflug von Panik in den Augen und einem Brustkorb, der sich plötzlich zuschnürte. In dem Moment schien er zu realisieren welchen Eindruck er gerade bei Josie hinterließ. Schnell gab er ihr das Handy wieder, als könne er ihre Gedanken lesen. „Ich kann dir das gleich alles erklären, ok. Mach dir keine Sorgen, es passiert dir nichts.“

Die Tür öffnete sich und wieder lag ein langer Gang vor ihnen. Lichter gingen automatisch an. Hier unten war es noch muffiger und älter als oben. Frische Luft wäre hier dringend mal notwendig.
Vor einer großen Stahltür blieben sie stehen. Wieder summte es und Dominik konnte sie aufdrücken.
Sichtlich überrascht betraten sie dann einen ganz neu renovierten und hellen Flur mit hellen Deckenlampen, deutlich freundlicher und angenehmer als bisher und dazu noch gut durchlüftet durch die Klimaanlagenschächte in der Decke. Man spürte einen seichten Lufthauch, nicht kalt aber angenehm frisch. Eine Lüftungsanlage rauschte leise.
Mehrere Türen waren links und rechts zu sehen. Alles schien wirklich recht neu und modern renoviert zu sein.
Dominik ging nach rechts in einen Raum, der sich als Küche heraus stellte. Josie staunte nicht schlecht als sie die nagelneue und hochmoderne schwarze Hochglanz Küche an der linken Wandseite sah.
An der anderen Seite standen ein großer Esstisch und eine schwarze Ledereckbank mit passenden Stühlen. Auffällig war auch der große Kühlschrank, der zur Küche gehörte. Ok, es war alles in schwarz gehalten aber zu der weißen Wand und Decke und dem grauen Fliesenboden passte es irgendwie. Fenster gab es hier natürlich nicht, da sie ja irgendwo im Keller waren, dafür aber wieder die Klimaschächte unter der Decke, die frische Luft hinein pusteten.

Dominik hing seine nasse Jacke an die Garderobe neben der Tür auf und wuschelte sich durch die kurzen braunen Haare. Dann sah er Josie kritisch an. „Du holst dir den Tod in den nassen Klamotten. Ich gucke gleich mal, ob ich was zum Anziehen für dich finde.“
Josie sah sich neugierig um und nickte. Erst jetzt wurde ihr bewusst das sie wirklich klatsch nass war. Diese skurrile Fluchtnummer gerade hatte sie ganz schön aus dem Konzept geworfen. War es eine Flucht gewesen? Ja, irgendwie schon. Aber wovor eigentlich? Fragen über Fragen schossen durch ihren Kopf.

„Willst du nen heißen Tee, Kaffee, Kakao? Oder nen Bier vielleicht?“ fragte Dominik sie freundlich.
„Tee klingt gut. Wohnst du hier?“ fragte Josie nun neugierig. Ihre nassen Klamotten klebten auf ihrer Haut und ihr war nun doch echt kalt.
Dominik grinste und stellte den Wasserkocher an. „Naja, nicht ganz, aber ich bin schon ziemlich oft hier. Früchtetee? … oder… Früchtetee? Ich sehe gerade, unsere Teeauswahl ist eher übersichtlich.“
„Sehr gerne Früchtetee“, nickte sie lächelnd und setzte sich auf die Eckbank an den Tisch. Dominik schüttete den Tee auf und stellte ihn ihrhin. Er ging an den Kühlschrank, öffnete ihn und holte eine Flasche Bier heraus. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wären nur Bier und Schnapsflaschen im Kühlschrank.
„Oder mit Schuss?“ fragte er Josie grinsend.
Sie schüttelte den Kopf. „Ne danke. Gerade nicht.“
Dominik öffnete die Flasche und trank einen Schluck.
„Ich schau mal nach trockenen Klamotten für dich“, sagte er dann und verließ die Küche. Neugierig sah Josie sich um. Die Küche sah noch so neu aus, als ob sie bisher nie groß genutzt wurde. Sehr hochwertig mit teuren Elektrogeräten und einem exklusiven Kaffeevollautomaten.

Dominik kam wieder und reichte ihr einen dunkelblauen Marken Hoodie. „Bitte schön. Direkt rechts ist das Bad. Da kannst du dich umziehen.“
Josie stand auf, ging auf den Flur und betrat die nächste Tür rechts ein kleines modernes Badezimmer. Auch hier war es überraschend sauber und ordentlich. Wieder war alles in schwarz und weiß gehalten. Schwarze Fliesen auf dem Boden und an der Wand, weißer Putz, weiße Decke. Es gab eine Dusche, eine Toilette und zwei Waschbecken, ebenfalls in weiß. In einem Regal lagen ordentlich zahlreiche Handtücher gestapelt, alle in grau. Eine kleine schwarze Wäschetonne stand in der Ecke für dreckige Handtücher. Ansonsten stand nichts herum, bis auf einen Seifenspender neben dem Waschbecken. Auch in der sauberen Dusche stand nichts herum, kein Duschgel, kein Shampoo, absolut gar nichts.
Sie benutzte die Toilette und zog ihre nasse Sweatjacke, Top und ihren BH aus. Alles war pitsch nass. Sie hing ihre nassen Sachen über den Handtuchheizkörper an der Wand und zog den bequemen und vor allem trockenen Pulli über. Auch wenn er etwas groß war, er war warm und gemütlich und roch dazu noch wunderbar frisch gewaschen.
In ihrer Arbeitstasche hatte sie Deo und eine Haarbürste. Sie machte sich frisch und bürstet die nassen Haare durch, die sie dann offen trocknen lies.

Dominik stand in der Küche, diesmal aber nicht alleine. Der junge Mann war ebenfalls groß, aber noch etwas größer als Dominik. Er war groß, stabil, mit kurzen dunkelblonden Haaren und ziemlich muskulös. Sofort fiel Josie die muskulösen Oberarme auf, die bei seinem kurz Arm Shirt besonders gut zur Geltung kamen. Auch sein Oberkörper sah aus wie von einem Bodybuilder. Er war echt verdammt gut trainiert.
Dominik stellte ihr daraufhin Basti vor. Sie gaben sich die Hand und er hatte ein wahnsinnig sympathisches Lächeln und hübsche hellbraune Augen. „Ich bin Basti. Freut mich.“
Basti sah Dominik kritisch an. „Eigentlich kennst du doch die Regeln, oder?“
Dominik nickte. „Ich weiß. Aber es war ein Notfall. Der schwarze Mercedes von Birkners fuhr draußen herum. Wir konnten gerade noch abhauen und ich hoffe sie haben nichts gesehen. Sollte ich sie einfach alleine draußen stehen lassen? Sie haben gesehen das sie mit mir da stand?“
Bastis Blick blieb kritisch. „Ich fürchte das werden nicht alle so locker sehen. Du bringst jemand Fremden mit hier runter. Das ist gegen alle Regeln.“
Josie bekam das Gespräch der beiden mit, obwohl sie sehr leise sprachen und bekam ein ganz schlechtes Gewissen. Oh je, wo war sie hier nur gelandet?

„Ich muss auch jetzt wieder los, danke für den Tee…“, sagte Josie, trank schnell ihren Tee aus und stand auf. „…wenn du mir nur den Weg raus zeigen könntest?“
Beide sahen sie kritisch an.
In diesem Moment kam ein andere junger Mann in die Küche gestürmt. Auch er war klatsch nass und völlig außer Atem. „Scheiße man, was macht der schwarze Benz da draußen? Der steht direkt gegenüber von Tor C und ich musste über die Nordseite rein kommen. Die stehen direkt gegenüber dem Tor. Wie kann das sein?“
Die drei sahen sich vielsagend und etwas ratlos an. Basti nahm sein Handy und tippte etwas. „Ich schicke gleich mal nen Code-Orange an alle raus. Nur das die anderen Bescheid wissen.“
Die Handys von Dominik und dem anderen gaben einen kurzen Signalton ab und gleichzeitig blinkte eine kleine Lampe über der Küchentür orange auf.
„Setzt dich ruhig wieder…“, sagte Dominik leise zu Josie. „… Birkners haben mich vorhin gesehen und sind mir gefolgt. Bin heute schon extra ohne Auto und mit der Bahn gekommen. Sie fahren aber schon seit einigen Tagen verstärkt hier rum. Ich denke sie ahnen etwas“, sagte Dominik zu den anderen.
Nun sah der andere Josie an, die noch immer am Tisch saß. Lächelnd gab er ihr die Hand. „Hi, ich bin übrigens Johannes, oder nur Hannes.“
„Josie. Eine Freundin von Dominik“, stellte sie sich vor.
Hannes war der kleinste der drei, schlank, mit etwas längeren blonden Haaren, die ihm nass in die Stirn fielen. Sein fragender Blick zu Dominik sagte alles.
„Wir haben uns draußen getroffen und gequatscht. Dann kamen Birkners, wir sind abgehauen und ich habe sie mitgebracht, weil ich sie ja kaum alleine draußen stehen lassen konnte“, erklärte Dominik kurz.
„Weiß der Captain das?“ fragte Johannes.
„Nein, noch nicht. Und auch wenn er nicht begeistert sein wird. Es gab keine andere Wahl, als sie mit zu bringen. Birkners haben mich mit ihr gesehen. Da konnte ich sie nicht alleine da stehen lassen. Was ist, wenn sie sie angesprochen oder mitgenommen hätten?“ erklärte Dominik erneut.
Dann sah er Basti an. „Wieso bist du alleine?“
„Weil der Captain noch ein Meeting hat. Ich denke, er kommt später. Er ist aber heute mit der Kneifzange nicht anzufassen, daher ist das jetzt eine denkbar ungünstige Konstellation alles, aber gut… müssen wir wohl durch“, sagte Basti.

Hannes nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und gab eine davon Basti.
„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen, dann können wir mal gucken was draußen so los ist“, meinte Basti und die anderen folgten ihm auf den Flur.
Dominik signalisierte Josie einfach mit zu kommen. Unschlüssig folgte sie den drei jungen Männern.
Hinten links befand sich ein großes Wohnzimmer. Josie staunte wieder nicht schlecht. An der rechten Wand stand eine große graue Sofalandschaft in U Form, davor ein großer Wohnzimmertisch aus schwarzen Holz und an der Wand gegenüber hing ein riesiger Fernseher. Daneben standen mehrere Schränke, natürlich in schwarz. Die Wand war wieder nur weiß verputzt und der Fußboden aus großen grauen Fliesen, wie im Flur und in der Küche. Der Innenarchitekt, der hier am Werk gewesen war, hatte es scheinbar nicht so mit Farben.

Die vier setzten sich aufs Sofa und Hannes schaltete den Fernseher an. Darauf zeigte sich dann ein Bildschirm, der insgesamt acht Kameramonitore zeigte. Alle zeigten verschiedene Aufnahmen vom Innen- und Außenbereich des großen Fabrikgebäudes, in dem sie scheinbar waren. Hannes wählte eine Kamera aus, stellte den Monitor groß und zoomte das Bild heran. Man sah ein großes Fabriktor, einen hohen stabilen Sicherheitszaun und einen Teil der Straße.
„Da steht er“, murmelte Dominik ernst. Am Bildschirmrand erkannte man auf der Seite gegenüber dem Tor einen schwarzen Mercedes.
„Fuck…“, meinte Hannes. „… solange die da stehen müssen wir Tor C dicht machen. Zugang geht dann nur noch über die Nordseite. Ich hoffe nur die anderen lesen es auch.“

Für Josie war das hier alles nur noch ein großes Rätsel. Das zufällige Treffen mit Dominik. Dieser merkwürdige Keller in dieser leerstehenden Fabrik, der scheinbar total geheim ist. Der schwarze Mercedes, der ihnen gefolgt ist und nun vor einem Tor steht. Was auch immer das hier alles zu bedeuten hatte? Die verstand nur noch Bahnhof. Inzwischen war es auch schon zwanzig nach sieben und sie fragte sich, wie lange sie noch hier bleiben würde.
Basti schrieb auf seinem Handy. „Julius bringt was zu essen mit. Was haltet ihr von Pizza?“
Die anderen nickten und sagten Basti ihren Pizzawunsch.
Dominik sah Josie an. „Was willst du? Ich lade dich auf ne Pizza ein. Im Moment kommst du eh nicht hier weg. Oder hast du noch was Wichtiges vor heute? Immerhin ist es jetzt meine Schuld, dass du es hier bei uns aushalten musst.“
Josie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nichts geplant. Alles gut. Dann eine Pizza Hawaii bitte. Ich will aber nicht, dass ihr wegen mir Stress bekommt.“
Basti sah Josie nachdenklich an. „Der Stress ist schon vorprogrammiert, keine Sorge. Wir brauchen nur gute Argumente. Aber es klang ja eher nach einem Notfall und Dominik konnte dich nicht oben stehen lassen. Wichtig ist nur, dass du das hier für dich behältst. Alles was hier passiert bleibt wir, oberste Grundlage.“
Josie erwiderte Bastis strengen Blick und nickte. „Ok, also ich schwöre hoch heilig, dass ich niemals etwas hiervon sagen werde. Ihr könnt euch auf mich verlassen. Und Dominik kennt mich schon ewig. Er weiß, dass ich keine Tratsch Tante oder so bin. Davon abgesehen wohne ich erst seit ein paar Wochen hier und kenne hier sowieso niemanden.“
Basti sah sie fest an. „Das ist echt wichtig, ok? Trotzdem müssen wir nachher mit der Crew darüber reden. Solange musst du eh hier bleiben.“
„Crew?“ Josie sah fragend in die Runde.
Die anderen nickten.
Bastis Blick war weiterhin ernst. „Ja, Crew. Wir besprechen und entscheiden hier im Team, zusammen mit allen.“
„Wer sind die da draußen?“ wollte Josie wissen und deutet auf den Fernseher.
„Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass sie nicht raus finden, wo wir sind“, sagte Basti immer noch ernst.
Dominik sah sie nachdenklich an. „Wir sind noch nicht lange hier. Erst seit knapp zwei Jahren. Unsere alte Basis haben sie damals angezündet. Wir möchten nicht, dass das hier auch passiert.“
„Oh….“, sagte Josie nur erstaunt. „… dann kann ich eure Vorsicht verstehen. Ist das euer Versteck hier? Wovor versteckt ihr euch?“
Bastis ernster Blick verschwand zu einem Lächeln. „Wir verstecken uns vor niemanden. Hier ist unser Cliquen-Treffpunkt. Hier haben wir Ruhe und sind ungestört vor allem was da oben so los ist…Birkners…. Naja Birkners und wir… wir sind keine guten Freunde und sie ärgern uns gerne und wir ärgern dann gerne zurück… ist ne lange Geschichte.“
Josies Blick blieb kritisch. „Seid ihr ne Gang oder sowas?“
Basti musste lachen und sah die anderen fragend an. „Sind wir ne Gang?“
Dominik und Johannes schüttelten schmunzelnd die Köpfe. „Eine Gang?... Ähm ne… nicht so wirklich… wir sind ne Clique und hier ist unser Freizeittreff… sonst nix“, erklärte Johannes sichtlich amüsiert.
Basti nickte zufrieden über diese Antwort.
Josie ahnte, das sie sich etwas lustig darüber machten und sie vielleicht doch nicht so unrecht hatte.

Eine kleine Lampe oben neben der Tür, unterhalb der Decke blinkte plötzlich gelb. Hannes stellte einen der Monitore groß, der ebenfalls gelb aufleuchtete. Die Kamera zeigte eine Tür, vor der eine Person stand. Dunkel gekleidet, mit Kapuze ins Gesicht gezogen.
„Fabi“, meinte Hannes nur.
Auf den Kameras konnte man fast den kompletten Weg verfolgen, den Fabian ging bis zu der eigentlichen Tür zu den Räumen. Bis er letztendlich ins Wohnzimmer kam und die anderen begrüßte. Und wieder sah er Josie überrascht und etwas sparsam an und wieder erklärte Dominik, was passiert war.
Fabian begrüßte die Jungs und Josie freundlich, holte fünf Flaschen Bier aus dem Kühlschrank im Wohnzimmer und gab allen anderen, inklusive Josie auch eine.
Von dem Unwetter draußen, bekam man hier unten nichts mit. Nur auf den Kameras draußen sah man, dass es noch immer schüttete und immer wieder blitzte.
„Irgendwann verlieren sie die Lust, wenn sich eh nichts tut“, überlegte Fabian nachdenklich.
„Dafür ist es wichtig, dass sich auch nichts tut. Absolut nichts darf sich tun was auffällig sein könnte“, meinte Johannes
„Vielleicht ist es auch eher Zufall, dass sie da stehen. Sie fahren die letzten Tage häufiger hier rum“, überlegte Basti.
Dominik kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Na hoffentlich. Ist nur Scheiße, dass sie mich vorhin gesehen haben. Ich glaube das hat sie auf unseren Bereich aufmerksam gemacht. Sie suchen schon einige Wochen hier ganz gezielt nach uns oder unseren Fahrzeugen.“
Fabian sah auf sein Handy. „Wann kommt der Captain?“
Basti sah ihn an. „Keine Ahnung. Wenn er mit seinem geschäftlichen Terminen mal fertig ist. Er braucht ganz dringen Wochenende.“

Die kleine gelbe Warnlampe blinkte wieder irgendwann.
„So, der Julius und das Essen“, meinte Hannes und verließ das Wohnzimmer. Auf den Monitoren sah man, dass Hannes Leo entgegen ging.
Wenig später kamen beide mit den Pizza Kartons ins Wohnzimmer.
Julius begrüßte alle und Josie ebenfalls. Scheinbar war er schon im Bilde. Julius war groß, schlank mit dunkelblonden kurzen, ordentlich gestylten Haaren und graublauen Augen. Er trug teure Lederschuhe, Anzughose und ein Dolce und Gabbana Hemd. An seinem Handgelenk war eine silberne Rolex.
Sie aßen zusammen Pizza und tranken Bier. Josie knurrte auch schon ziemlich der Magen, daher kam die Pizza nun gerade richtig. Sie musterte die Jungs. Alle fünf waren wirklich sehr nett und freundlich. Und sie alle schienen einen recht ordentlichen Eindruck zu machen. Das merkte man daran, wie sie redeten und aussahen. Alle waren sehr gepflegte junge Männer, die Wert auf ihr Äußeres zu legen schienen und gut gekleidet waren. Sie trugen alle Markenklamotten und nicht gerade günstige Uhren oder Schuhe. Auch wenn ihr Kleidungsstil schon eher lässig und sportlich war, kamen die Klamotten nicht vom Discounter. Sie ahnte schon, dass hier Geld im Spiel war, was ja auch dieser moderne „Freizeittreff“ im Keller eines Fabrikgebäudes deutlich zeigten.
Irgendwann wurde von den Monitoren auf Fernseher umgestellt und jemand zappte auf einen Actionfilm. Dafür ging ein zweiter, deutlich kleinerer Fernseher neben der Tür an zeigte den Monitor, wo der Wagen gegenüber dem Tor zu sehen war.
Josie stellte schnell fest, dass die Herren, die alle um die Anfang bis Mitte Zwanzig waren, sehr trinkfreudig waren. Kaum war eine Bierflasche leer, gab es eine Neue. Nach dem Essen gab es Ouzo für alle. Josie trank nur einen mit, wobei der ein oder andere auch zwei, drei nacheinander trank.
Sie war überrascht, wie wohl sie sich in dieser Männerrunde fühlte. Obwohl sie außer Dominik niemanden kannte und es für sie alles völlig Fremde waren. Sie hatte ein positives Gefühl dabei. Und das war wichtig, denn auf ihr Gefühl konnte sie sich eigentlich immer verlassen.

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5 Der Captain-

Wieder blinkte die Lampe und die Jungs schauten kurz auf den kleinen Monitor.
„Der Captain betritt das Schiff“, grinste Basti nur. Es war viertel nach neun und der schwarze Mercedes stand noch immer dort draußen am Tor.
„Oha…“, meinte Basti nur und sprang schlagartig vom Sofa auf. „… ich rede besser vorher mit ihm.“ Schon war er aus dem Zimmer verschwunden. Leider sah man nur den einen Monitor mit dem Mercedes und nicht die Person, die nun herein kam. Wer auch immer dieser Captain war? Es klang als wäre er der Chef der „Gang“.
Josie saß auf dem Sofa, mit dem Rücken zur Tür und hörte nur Stimmen auf dem Flur. Was gesagt wurde, verstand sie leider nicht.

Fabian sah Josie neugierig an „Was machst du sonst so? Wenn du nicht bei dem Wetter mit irgendwelchen Typen in unterirdischen Kellern rum sitzen musst?“
„Ich mache im Moment ein Betriebs Praktikum für mein Master Studium“, antwortete Josie und sah in Fabians graublaue Augen.
Er lächelte und nickte. „Klingt spannend. Wo machst du das denn?“
„In einer Firma hier in der Nähe. Und ich darf direkt bei dem ziemlich egoistischen, arroganten, spießig und oft schlecht gelaunten Geschäftsführer im Büro sitzen“, sagte Josie mit selbstbewusster Stimme.
„Da kann ich auch ein Lied von singen“, murmelte Julius mit vollem Mund.
Josie spürte, wie sich die Atmosphäre im Raum plötzlich veränderte. Eine extreme Anspannung lag in der Luft, woran es lag war nicht ganz klar. Aber es schien mit seinem Erscheinen zu tun zu haben. Seine Aura erfüllte sofort den ganzen Raum und es war plötzlich ganz still, bis auf den laufenden Fernseher. Da Josie mit dem Rücken zur Tür saß, konnte sie nichts sehen, aber dafür stieg ihr ein sehr bekannter Duft in die Nase. Ein After Shave das ihr inzwischen sehr vertraut war. Ihr Herz fing an zu pochen. Langsam, ganz langsam drehte sie sich auf dem Sofa sitzend herum und sah zur Tür.
Ihr Herz setzte für eine Sekunde aus, alles Blut sackte aus ihren Kopf und sie hielt die Luft an. Ihr wurde schlecht und schwindelig zusammen, sie wagte kaum zu atmen. Josie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit…. definitiv nicht mit ihm…

Leonard von Wartenberg…
Er stand im Türrahmen und starrte sie mit offenem Mund an, ebenso überrascht, fassungslos und sichtlich geschockt.
„Ich habs gesagt“, murmelte Basti nur ratlos, als Dominik ihn hilfesuchend ansah.
Für einige Sekunden war es völlig Still. Die Luft war explosiv geladen und extrem angespannt. Leonard stand nur da, wortlos und regungslos. Sein Blick war vernichtend auf Josie gerichtet, so dass es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. Und sie, hielt die Luft an, in der Hoffnung, sich dann ganz schnell auch in Luft aufzulösen und zu verschwinden.
Erst als Leonard merkte, dass auch die anderen ziemlich neugierig Josie und ihn ansahen, erwachte er aus seiner Schockstarre. Er ging langsam auf sie zu, setzte plötzlich ein umwerfendes Lächeln auf und sah ihr direkt in die Augen.
„Hey, ich bin Leo“, meinte er langsam und hielt ihr die Hand hin. Sein Blick durchbohrte sie wie eine Stahlspitze.
Josie versuchte sich ebenfalls aus ihrer Schockstarre zu lösen und bemühte sich, irgendwie zurück zu lächeln. „Josie“, sagte sie leise und schüttelte seine wunderbar warme Hand. Sie wagte es nicht, seinen Blick zu erwidern. Nur kurz sah sie in diese stahlblauen Augen, die sie starr und kühl anstarrten. Sie wagte es kaum zu atmen, am liebsten wäre sie in einem schwarzen Loch im Erdboden verschwunden. Einfach nur weg hier, ganz schnell weg. Es war ihr so schrecklich peinlich und unangenehm. Er hatte genau gehört, was sie über ihn gesagt hatte.

Leonard ließ ihre Hand langsam wieder los und sein Lächeln erstarrte kurz. Sein Blick war so eisig, dass es Josie wieder eiskalt den Rücken hinunter lief und sie zitterte kurz. Doch sie konnte auch nicht wegsehen. Sein Blick hielt sie fest, eiskalt, wie erstarrt. Scharf zog er die Luft durch die Zähne ein und biss sich auf die Lippen. Er wollte etwas sagen, aber schluckte nur.
Seine Anwesenheit und sein Blick waren verdammt einschüchternd. Er strahlte eine unheimliche Präsenz aus. Dominant und fast schon bedrohlich. Josie spürte, wie er vor Wut kochte.
„Ich weiß“, sagte er cool.
Dann lächelte er wieder und es war, als würde wieder etwas Wärme in ihm hervor kommen. Ein kühles Kribbeln durchströmte Josies Körper, während sie von stahlblauen Augen gefangen war. Seine Augen sahen etwas müde und glasig aus. Ob er wohl betrunken war? überlegte sie kurz.
Er ging direkt wortlos an die Bar, schüttete sich ein Glas Whiskey ein, was er sofort auf Ex austrank und direkt wieder füllte und ebenfalls austrank. Er trug, wie so oft eine schwarze, maßgeschneiderte Anzughose und ein hellblaues Designerhemd, die Haare gestylte, so wie er auch immer im Büro aussah. Vermutlich kam er auch gerade aus dem Büro.
Alle anderen sahen ihn an und auch sie schienen nun irgendwie etwas irritiert zu sein. Die merkwürdige Stimmung schienen alle zu spüren und niemand traute sich, etwas zu sagen.

Josie bemerkte, wie Basti einen vielsagenden Blick mit Fabian austauschte. Leonard kochte, Josie wusste es inzwischen genau wenn er total angespannt war und vor Wut anfing zu kochen. Seine Hand umschloss das Glas so feste, dass seine Knöchel ganz weiß waren. Vermutlich fehlte nicht viel und er zerbrach es in seiner Hand.
Basti ging zu Leonard an die kleine Bar und sah ihn kritisch an „Geht’s dir gut?“
Leonard sah Basti kurz irritiert an und lächelte dann aufgesetzt. „Ich glaub ich bin gerade im völlig falschen Film. Was soll die Scheiße hier?“
Wütend schlug er laut mit der Faust auf die Holztheke. „Das darf echt nicht wahr sein“, murmelte er und trank das nächste Glas wieder in einem Zug leer.
Gerade wollte er es wieder auffüllen, als Basti ihm die Whiskeyflasche aus der Hand nahm und ernst ansah. „Leo, bleib mal ruhig und lass uns reden.“
„Lass es Basti“, fauchte er wütend.
Josie beobachtete die beiden. Man sah sofort, dass die beiden sich sehr nah und sehr vertraut waren. Sie hatte sich auch nicht ganz vorstellen können, dass Leonard ein Einzelgänger war und keine Freunde hatte. Basti schien jedenfalls ein sehr enger Freund zu sein.
„Leo, können wir mal kurz nach Nebenan gehen?“ fragte Basti sehr ernst und bestimmt.
Man spürte, die unruhige Atmosphäre im Raum, angespannt, neugierig und verwundert zugleich. Die anderen beobachteten Leonard genau.
„Juhu, Druckbetankung“, murmelte Julius leise.
„Großartig. Wird dann ja ein entspannter Abend“, meinte Fabian angespannt.
Leonard nahm Basti fast schon etwas bockig, die Whiskeyflasche wieder aus der Hand und schüttete sich das Glas wieder voll. Er schüttelte kurz den Kopf und trank einen großen Schluck, während er Josie immer wieder ungläubig ansah. Irgendwann dann lächelte und lässig einen großen Schluck Whiskey trank.
Auffordernd sah Basti Leonard an. Sein Ton wurde härter. „Leo… jetzt sofort. Kapiert?“
Leonard hielt im Trinken inne und sah Basti an. Etwas missbilligend folgte er ihm dann aber durch eine Tür.
Man konnte nicht genau hören was sie sagten, aber es war ein sehr lautes und hitziges Gespräch. Die Wände hier unten waren dicker als vermutet. Während Leonard sich durchaus wutentbrannt auszutoben schien, war Basti eher ruhig. Plötzlich zuckten aber zusammen, als scheinbar etwas gegen die Wand flog und mit einem Knall kaputt ging. Es hörte sich nach einem Glas an.

„Autsch…“, flüsterte Hannes. „….das klang nicht gut.“
Fabian schüttelte nur den Kopf. „Warum tickt der jetzt so aus? Er wusste doch Bescheid, dass wir Besuch haben. Vor zehn Minuten wars für ihn noch ok.“
Man merkte, wie die anderen immer noch angespannt waren und noch immer viele offene Fragen im Raum standen.
Dominik fuhr sich nervös mit den Händen durch die Haare. „Oh Shit. Ich wusste nicht, dass er so sauer wird.“
Fabian sah Dominik an. „Meinst du wegen Josie? Neee. Glaube ich nicht. Das er nicht total begeistert in nen Freudentanz ausbricht, war klar. Aber das hat jetzt nichts mit Josie zu tun.“
Josie atmete tief ein, wenn ihr nur wüsstet, dachte sie. Natürlich lag es an ihr. Es lag nur an ihr, an nichts anderem.
Julius lachte leise. „Krass, ich hab noch nie einen so sprachlosen Leo erlebt. Der war ja völlig irritiert.“
Hilflos sah sie Dominik an. „Ich sollte besser gehen. Ich will echt nicht, dass ihr hier Stress bekommt.“ Sie trank ihr Bier aus und stand auf. Noch nie hatte sie sich so unwohl gefühlt, wie jetzt gerade. Sie wollte weg, nur ganz schnell weg von hier.
„Du kannst eh nicht gehen, solange der Wagen draußen steht. Ein zweiter Wagen steht vorne an der Straße. Sie beobachten die Zugänge“, meinte Fabian.
Julius sah Josie nachdenklich an. „Ich denke auch Leos Ausfall gerade gilt nicht dir. Der ist gerade ziemlich am Limit. So Job mäßig und so.“
Auch Hannes nickte zustimmend. „Ich denke sein Alter reißt ihm im Moment echt den Arsch auf und setzt ihn gewaltig unter Druck. Da kannst du ja nichts für. Normal sind wir hier eine feste Crew. Besuch gibt es hier normal nicht. Frauen schon gar nicht. War vielleicht gerade alles etwas viel auf einmal.“
Josie stand unschlüssig vor dem Sofa und sah von einem zum anderen. „Trotzdem sollte ich besser gehen“, sagte sie leise.
Hannes fasste ihre Hand und signalisierte ihr, sich wieder zu setzen. „Das geht gerade echt nicht. Solange wir beobachtete werden darf niemand das Gebäude verlassen. Die wissen sonst sofort, wo die Eingänge sind oder sie erkennen dich von vorhin und fangen dich ab. Das ist nicht sicher, wenn du jetzt alleine draußen herum läufst.“
Man spürte, wie ratlos die Jungs gerade waren und vor allem irritiert über Leonards Reaktion auf Josie. Natürlich wussten sie nicht, dass Leonard und Josie sich kannten.

Die Tür öffnete sich nach fast dreißig Minuten wieder und Leonard trat nach Basti in den Türrahmen. Er fixierte Josie und verzog keine Miene. Allerdings war sein Blick nun ziemlich dunkel und glasig, die Augen deutlich schwerer als noch vorhin.
Wortlos holte er zwei Flaschen Bier und setzte sich zwischen Dominik und Josie aufs Sofa.
Basti setzte sich ebenfalls wieder dazu. Sein Blick in die Runde und ein leichtes Nicken signalisierte, dass alles soweit ok war.
„Alles ok?“ fragte Dominik Basti leise.
„Geht so“, meinte Basti nur wenig überzeugend.
Leonard reichte Josie schweigend eine Flasche, die sie etwas zögernd nahm. Sie wusste gerade absolut nicht, wie sie ihn einschätzen sollte. Nun saß er neben ihr und stieß mit ihr an. Sie roch wieder sein After Shave, dazu aber noch Whiskey und Zigarettenrauch.
Leonard trank einen Schluck Bier, lehnte den Kopf müde nach hinten und schloss die Augen.
„Wenn gleich die Tiefenentspannung einsetzt, geht’s auch wieder“, meinte Fabian grinsend.
„Naja, Vier Gläser Whiskey auf Ex in fünf Minuten plus das danach, werden sich gleich schon rächen“, bemerkte Dominik.
Julius stand auf und sah Fabian vielsagend an. Der nickte, stand auf und beide gingen ebenfalls in den anderen Raum.
„Wenn ihr jetzt auch rüber geht, können wir zocken heute ja vergessen, oder?“ meinte Hannes noch zu den beiden. Die zuckten nur mit den Schultern.
„Morgen oder so. Ich muss heute auch mal ruhiger machen“, sagte Julius nur und schloss hinter sich die Tür.
Hannes pfiff durch die Zähne. „Natürlich Juli. Du und ruhiger machen.“

Plötzlich sahen alle auf den Bildschirm.
Basti stieß Leonard etwas unsanft in die Seite. Der zuckte kurz zusammen und rappelte sich wieder auf. „Bist du noch ne Minute aufnahmefähig Captain?“
Leonard öffnete mühsam die Augen, sah benommen in die Runde und gähnte. „Ne, aber is doch echt egal. Is alles egal hier.“
Der schwarze Mercedes hatte das Licht angeschaltet und fuhr ganz langsam davon. Immer wieder wurde er wieder langsamer und hielt kurz an, setzte sich dann aber wieder in Bewegung. Basti schaltete verschiedene Monitore durch, bis der Wagen endgültig nicht mehr zu sehen war.
Leonard nickte zufrieden und trank einen Schluck Bier. „Ja. Schön… also nicht schön, dass er hier rum lungert… aber schön… dass er jetzt fährt...“, murmelte er benommen.
Josie fiel auf, dass sie ihn nun zum ersten Mal wirklich angetrunken erlebte. Sein Blick fiel auf Josies Pizzakarton, in dem noch etwas weniger als ein Viertel ihrer Pizza lag. Dann sah er sie an. Sein Blick war müde, glasig und irgendwie leer. „Isst du das noch?“
Josie erwiderte seinen Blick und lächelte. „Nein, darfst du gerne essen.“
Leonard lächelte müde und nahm den Karton um in die kalte Pizza zu beißen.
„Oha, der Fressflash?“ kommentierte Hannes amüsiert.
Dafür warf Leonard ihm einen sehr vernichtenden Blick zu. „Hunger, Hannes… einfach Hunger… war seit acht im Büro… von zwei bis sieben im Meeting… danach essen. Aber son Sterne Menu is ja auch nicht wirklich zum satt werden“, meinte Leonard kauend.
Hannes grinste nur. „Ah ja. Oder so.“
Josie musterte Leonard kritisch. Fressflash hing ja eigentlich mit kiffen zusammen. Ob er bekifft war? So ganz ausschließen würde sie es nicht, ein bischen sah er schon so aus. Oder ob die mindestens vier Gläser Whiskey, die er eben innerhalb von fünf Minuten runter geext hatte nun wirkten? So genau konnte Josie das trotz ihrer Berufserfahrung mit dem entsprechenden Klientel nicht einschätzen. Jedenfalls nicht bei Leonard.
Leonard aß zügig den Rest von ihrer Pizza und spülte reichlich Bier hinterher. Dann sah er sie an, wobei er doch Mühe hatte, die Augenlider länger offen zu halten. Er war vielleicht doch stoned, überlegte sie. Er schien schon irgendwie zugedröhnt, oder eben betrunken. Das wunderschöne strahlende blau seiner Iris war verschwunden und schien nun eher dunkelblau, aber auch eher durch die großen schwarzen Pupillen. Und die waren schon ziemlich groß und glasig.

„Die Firma dankt“, meinte Leonard cool und grinste, als er den leeren Pizza Karton auf den Tisch legte. Dann musste er aber selber lachen und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Er sah Josie direkt mit einem provokativen Grinsen an und sie wusste natürlich sofort, was er dachte. Sein glasiger Blick durchbohrte sie förmlich. Den konnte er aber nicht länger durchhalten, da ihm die Augen immer wieder zu fielen. Er sah schon ziemlich bekifft aus?
Leonard stand auf und schwankte. Er beugte sich zu Josie herunter. So nah, dass ihre Gesichter sich fast berührten. Sie spürte seine Wärme und roch sein After Shave. Josie hielt kurz den Atem an.
„Schöner Pulli übrigens, steht ihnen, Fräulein Wagner“, sagte er zu ihr und sah sie wieder direkt an, dass ihr ein kalter Schauer den Rücken hinab lief. Damit war ihr klar, wem der Pulli eigentlich gehörte.
Schwankend ging er zu Dominik. „Bring sie gut nach Hause, ok?“
Dominik nickte nur. „Sicher, mache ich.“
Leonard ging zu Basti, der neben dem Sofa stand und umarmte ihn von der Seite. „Alter Schwede, ich wäre ready for take off“, sagte er leise zu Basti und lehnte seinen Kopf gegen Bastis Kopf.
Basti tätschelte Leos Wange. „Reicht es, wenn ich gleich nach komme? Schaffst du es dich solange zu benehmen?“
„Aber immer doch?“ murmelte Leonard.
Basti nickte nur. „Natürlich. Lass mal langsam gehen, ok? Du hast nachher noch nen Termin.“
„Türlich…“, grinste Leonard nur. „… Nummer Eins hat die Brücke“, meinte er dann in die Runde, schlurfte schwankend zur Tür und sah Josie nochmal kurz an. „Man sieht sich, Josephine und viele Spaß weiterhin beim langweiligen Praktikum und Grüße an deinen spießigen, arroganten und schlecht gelaunten Chef“, lachte er benebelt und schloss die Tür hinter sich.

Zack, das hatte bei Josie gesessen und sie biss sich schuldbewusst auf die Lippen. Er hatte ihren Wortlaut genauso wiederholt. Wie sie ihm am Montag im Büro wieder unter die Augen treten sollte, war ihr leider völlig schleierhaft.
Hannes und Dominik sahen ihm nur kopfschüttelnd nach. „Für nicht mal zehn Uhr, hat ers ja schon gut geschafft heute“, bemerkte Hannes trocken.
„Ich fürchte, es geht erst jetzt richtig los“, überlegte Dominik leise.
Josie sah die beiden ratlos an und trank aus.
„Denk dir nichts dabei. Er ist manchmal so. Also eigentlich ist er total ok“, sagte Dominik dann.
Hannes sah Basti kritisch an. „Termin mal wieder mit den Russen?“
Basti nickte nur.
„Du bist aber dabei, oder? Bin ich eigentlich der Einzige, der diese Events mit den Russen etwas kritisch betrachtet?“ fragte Hannes Basti.
Ihre Blicke trafen sich. „Ich bin mit dabei. So dramatisch ist es nicht. Die sind etwas speziell aber soweit ok“, meinte Basti nur.

Da Hannes sowieso fahren wollte, bot er an, Josie nach Hause zu bringen. Was für sie auch ok war. Vorher tauschte sie mit Dominik noch ihre Handynummern aus und sie folgte dann Hannes in einen der endlosen Kellergänge.
Nach einigen Metern, Treppen und Türen kamen sie in eine Tiefgarage. Hier standen vier Autos, darunter ein blauer BMW, ein schwarzer BMW, ein grauer Golf und ein weißer Audi A7 auf den Hannes zu steuerte. Josie war sofort klar, dass der Wagen Schweine teuer war und sie fragte sich, wie so ein junger Mann wie Hannes sich so einen Wagen leisten konnte.
Sie stieg auf der Beifahrerseite ein und Hannes fuhr aus der Tiefgarage durch eine Art Tunnel und kam vor einem Tor raus. Das Tor öffnete sich automatisch und sie fuhren in eine Gasse und weiter auf die Straße. Da er Josies Fahrrad noch mitnehmen wollte, versuchte sie den Weg dorthin zu finden. Doch irgendwie sah hier alles gleich aus und sie mussten erst auf die Hauptstraße fahren damit Josie wieder die Orientierung hatte.
Als sie endlich das Fahrrad gefunden hatten klappte Hannes die Rückbank um und legte es in den Kofferraum. Josie überlegte kurz, ob er überhaupt noch fahren durfte und wie viel er vorhin schon getrunken hatte. Doch sie erinnerte sich, dass er sich relativ zurück gehalten hatte. Vielleicht waren es zwei, drei Bier gewesen? Er machte auch noch einen ganz nüchternen Eindruck. Sie fand ihn ganz sympathisch, denn er hatte eine ganz ruhige, freundliche und ausgeglichene Art.

An diesem Tag war Josie froh, abends eine heiße Dusche zu nehmen und sich einfach nur ins Bett zu kuscheln. Ihr Kopf spielte völlig verrückt, die ganzen Gedanken bekam sie gar nicht sortiert und so schlief sie erst sehr spät ein. Leonard von Wartenberg hatte sich energisch in ihrem Kopf festgesetzt. Und noch nie hatte sie eine so peinliche Situation erlebt. Wie sie das wieder gut machen sollte, war ihr ein Rätsel. Leonard hasste sie vermutlich nun noch mehr und würde sie das vermutlich auch deutlich spüren lassen. Sie hatte damit nun bestimmt komplett bei ihm verschissen.
Auf der anderen Seite hatte Josie an diesem einen Abend so viel Einblick in sein Privatleben bekommen, wie noch nie vorher. Allerdings war sie dabei auch extrem in seine Privatsphäre eingedrungen, was ihm natürlich überhaupt nicht passte. Wo er doch so sehr darauf bedacht war, sein Privatleben in der Firma gut unter Verschluss zu halten. Doch vielleicht auch aus gutem Grund. Immerhin war diese ganze Geschichte doch etwas merkwürdig.
Das zufällige Treffen von Dominik, diese merkwürdigen Autos, die sie beobachteten und eine alte Fabrik, die im Inneren eine komplette Wohnung verbarg, scheinbar ganz geheim war und abgesichert wie ein Hochsicherheitsgefängnis. Das alles war doch sehr merkwürdig.
Auch welche Rolle Leonard bei den Jungs spielte, war ihr noch nicht klar. Er schien ja schon sowas wie der Chef zu sein. Der Captain?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752134292
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Geheimnisse Freundschaft Sex Beziehung Familie Liebe Drogen Alkohol Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman Dark Romance

Autor

  • Nic Storm (Autor:in)

Nic Storm - 40+ Pädagogin - schreibt leidenschaftlich gerne Geschichten seitdem sie vierzehn ist - nun endlich der erste veröffentlichte Roman "Pleasure Underground Leo & Josie" der neue Serien Roman. Ihre Romane sind im New Adult Genre und drehen sich um knisternde Liebe, tiefer Freundschaft, herausfordernden Beziehungen, knifflige Familienkonflikte, dunkele Geheimnisse und der aufregenden Sehnsucht nach der wahren Liebe.
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Titel: Pleasure Underground