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Nichts wie weg!

von Mimi J. Poppersen (Autor:in)
198 Seiten

Zusammenfassung

Valentina Kramer hasst nichts mehr als den Valentinstag! Erstens war sie bisher nur unglücklich verliebt und zweitens ist der 14. Februar auch noch ihr Geburtstag. Das hat ihre Mutter vor sechsunddreißig Jahren dazu bewogen, ihr diesen Namen zu geben, den sie nicht ausstehen kann. In diesem Jahr beschließt Valentina, ihrem Geburtstag und der tickenden biologischen Uhr zu entfliehen. Spontan bucht sie einen Flug nach San Francisco, ihrer Traumstadt, in der sie noch nie war, da sie unter starker Flugangst leidet. Den überstürzten Aufbruch kann Valentina sogar als Geschäftsreise verbuchen, da sie einen einzigartigen Reisebericht über San Francisco verfassen will. Sie möchte die Stadt aus einem Blickwinkel erfassen, wie sie sonst kaum ein Tourist zu sehen bekommt. Ihre Reise ins Glück fängt allerdings nicht gut an und scheint in eine massive Pechsträhne auszuarten. Ob sich daran ausgerechnet am Valentinstag etwas ändert?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nichts wie weg!

von

Mimi J. Poppersen

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Text Copyright © Mimi J. Poppersen

Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de

1. Korrektorat: Anja Karl

2. Korrektorat: Jo van Christen

Verwendete Grafiken/Fotos:

depositphotos.com: Cundrawan703 / LyubovTolstova /

dragoana23 / ohmega1982 /Botanical decor

shutterstock.com: Dibrova Art / radionastya

Alle Rechte vorbehalten

“The coldest winter I ever spent was a summer in San Francisco”

Mark Twain

Liebe LeserInnen,

am Ende des Buches habe ich einige meiner persönlichen Lieblingsziele in und um San Francisco zusammengestellt. Ob man diese nun wirklich als „Geheimtipps“ zählen kann, sei mal dahingestellt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass man die meisten davon nicht in jedem Reiseführer findet.

Das Wichtige ist, dass dies mit einer wahren Liebe zu dieser Stadt ausgewählte Ziele sind, da ich fünfzehn Jahre in der Nähe von San Francisco gelebt habe.

Nachreisen empfohlen ; )

Viel Spaß beim Lesen!

Eure

Mimi J. Poppersen


Nichts wie weg!

Mein Gott, wie sie den Valentinstag hasste!

Zufrieden klappte Valentina ihren Laptop zu und klatschte in die Hände. Gerade hatte sie einen Last-Minute-Flug nach San Francisco gebucht. Morgen in aller Frühe würde es schon losgehen in ihre Traumstadt, die sie bisher nur vom Hörensagen, Bildern und Filmen kannte.

Es war der 11. Februar und nachdem sie sich im Büro heute den etwa hundertsten, todlangweiligen Valentinswitz zu ihrem Namen anhören musste, hatte Valentina beschlossen, dieses Jahr einfach die Biege zu machen. Valentinstag war nicht nur deshalb eine Qual für sie, sondern auch, weil sie seit Jahren nur unglücklich verliebt gewesen war, wenn überhaupt.

Valentina Kramer hatte am 14. Februar auch noch Geburtstag. Das hatte ihre Mutter vor sechsunddreißig Jahren dazu bewogen, ihr diesen grauenhaften Namen zu geben. Wahrscheinlich fände sie ihren Namen gar nicht so schlimm, wenn sie schon seit Ewigkeiten einen Mann an ihrer Seite hätte und eine Schar Kinder um sich herum. Wie es bei all ihren Freundinnen der Fall war, nur nicht bei ihr …

Ausgerechnet sechsunddreißig würde sie in diesem Jahr werden, in drei Tagen, um genau zu sein. Das war doch exakt das Alter, in dem offiziell die biologische Uhr anfing, laut zu ticken. Manchmal wachte sie sogar nachts von dem nervigen Ticken auf: Sie war nicht mehr Anfang dreißig, sondern ging rasant auf die Vierzig zu.

In diesem Alter musste man Entscheidungen treffen wie: Endlich seinen langjährigen Partner heiraten, Kinder, ja oder nein?, aufs Land ziehen, ein Haus kaufen für die Kinderschar, Altersvorsorge, einen Platz im Kindergarten reservieren und am besten gleich noch einen im Altersheim dazu.

Im Grunde sollte sie es positiv sehen, denn all diese Überlegungen kamen bei ihr gar nicht erst auf. Sie war eingefleischter Single und hatte mit sechsunddreißig offensichtlich den Stempel „Restposten“ auf der Stirn.

Dabei sah sie gar nicht mal schlecht aus. Sie hatte eine durchaus sportliche Figur und ihr Gesicht war mit den strahlend grünen Augen und den frechen Sommersprossen ohne jedes Make-up hübsch. Früher hatte sie ihre dunklen Haare und die buschigen Augenbrauen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, gar nicht leiden können. Heute aber fand sie, dass dies ihrem Gesicht einen südländischen Touch und etwas Geheimnisvolles verlieh. Sie hätte locker als Italienerin durchgehen können.

Außerdem hatte sie als Journalistin einen einigermaßen spannenden Job und teilweise gar keine Zeit für eine Beziehung, redete sie sich zumindest ein.

Ihrem Chef hatte sie den überraschenden Trip nach San Francisco sogar als halb geschäftlich verkaufen können. Sie würde eine kleine Reisedokumentation über ihre Lieblingsstadt verfassen. Nicht, dass es davon nicht schon genug gab, aber ihre sollte etwas Besonderes werden. Sie wollte herausfinden, wo sich die Einheimischen von San Francisco gerne aufhielten: Welches waren die beliebtesten Restaurants, Bars, Strände, Ausflugsziele, wo es nicht von Touristen wimmelte.

Valentina, die sich von den meisten nur Tina nennen ließ, wollte einen einzigartigen Reisebericht mit vielen Insidertipps zu dieser faszinierenden Stadt verfassen. Zehn Tage hatte sie hierfür Zeit, das sollte reichen. Urlaub hatte sie sich davon nur zwei Tage genommen.

Versonnen blickte sie aus ihrem Wohnzimmerfenster auf das verschneite Heidelberg. Faktisch war es nur noch Schneematsch, der übrig geblieben war. Auch was vom Himmel herabrieselte, konnte man nicht wirklich als Schnee bezeichnen. Das Ganze war eine graue nasskalte Matschepampe, von der man sich nichts sehnlicher wünschte, als ihr zu entfliehen.

Valentina hatte den Wetterbericht studiert. In Kalifornien waren es tagsüber angenehme zwanzig Grad, teilweise sogar wärmer. Nachts konnte es allerdings recht kühl werden.

Packen! Was stand sie hier herum und starrte Löcher in das trostlose Wetter, als gäbe es nichts Schöneres anzusehen? Sie musste unverzüglich mit dem Kofferpacken anfangen, denn das dauerte gewohnheitsgemäß immer länger, als man dachte. Dann sollte sie sich schleunigst ins Bett legen, um vor dem stundenlangen Flug noch ein paar Stunden anständigen Schlaf zu bekommen.

Der Flug! Natürlich wusste Valentina, dass das der eigentliche Grund war, warum sie noch nie in ihrer Traumstadt gewesen war. Ihre Flugangst war „stark ausgeprägt“, wie ihr heute erneut ihr Hausarzt bestätigt hatte. Diesen hatte sie gleich nach der Arbeit aufgesucht, als sich der Plan in ihrem Kopf verfestigt hatte, um sich ein paar Beruhigungspillen verschreiben zu lassen.

Ein ganzes Sortiment an Tabletten hatte sie nun zur Auswahl: Ein leichtes Schlafmittel für die kommende Nacht, eine Pille für vor dem Flug, die nicht schläfrig machte, aber die Aufregung nehmen sollte, wieder eine andere für den Flug, die schläfrig machte und Angstattacken verhindern sollte. Sie hatte sich alles aufgeschrieben, wann sie welche Tablette einnehmen musste. Valentina hoffte inständig, dass die Medikamente wirken würden, denn wenn sie an ihren letzten Flug vor zwölf Jahren dachte, trieb es ihr noch immer die Schamröte ins Gesicht.

Damals war sie mit ihrem Freund Stefan, in den sie unendlich verliebt war, über das Wochenende nach Rom geflogen. Gerade mal ein zweistündiger Flug.

Natürlich hatte sie Stefan verschwiegen, dass dies der erste Flug in ihrem Leben überhaupt war. Das wurde ihm wohl augenblicklich klar, sobald sich die Türen der Maschine schlossen und Valentina ihren ersten hysterischen Schreianfall bekam.

Schon beim Hinflug verwandelte sich der Kurzurlaub, der als romantisches Wochenende gedacht war, in einen Horrortrip. Vermutlich ausgelöst durch ihre Aufregung, bekam Valentina solche Magenprobleme, dass sie am nächsten Tag das Badezimmer nicht verlassen konnte. Der dritte und letzte Tag in Rom hätte das Ruder noch herumreißen können, doch da wurde Valentina bei erster Gelegenheit die Handtasche geklaut, und sie verbrachten den halben Tag auf der Polizeistation. Stefan war mehr als genervt und Valentina nur am Heulen.

Direkt nach ihrer Rückkehr, noch am Flughafen in Frankfurt, machte Stefan Schluss mit ihr. Damals fiel sie aus allen Wolken. Heute konnte sie seine Entscheidung durchaus nachvollziehen. Sie hatten einfach nicht zusammengepasst.

Stefan war auch einer dieser Menschen, die stets gemäß ihrer tickenden, inneren Zeitbombe handelten. Nicht, dass sie über die Jahre beobachtet hätte, was Stefan machte, aber es wurde ihr durch Freunde immer wieder zugetragen. Dann hatte er sie sogar zu seiner Hochzeit eingeladen. Männer waren manchmal solche Idioten.

Was heißt da manchmal?

Neulich hatte Valentina ihn mal wieder in der Stadt gesehen. Mit einem Kinderwagen vor sich herschiebend, einer rosafarbenen Wickeltasche um die Schulter hängend und einem brüllenden Kind an der Hand, schleppte er sich durch die Fußgängerzone. Stefan sah nicht gerade prickelnd aus, wie sie, nicht ohne Genugtuung, feststellte. Er hatte sich augenscheinlich seit Tagen nicht rasiert, dunkle Ringe unter den Augen und sichtlich ergraute Haare, die ihm wirr vom Kopf abstanden.

Aus der Ferne hatten sie sich gegrüßt, aber Abstand gewahrt, um sich einen oberflächlichen Smalltalk zu ersparen, worüber Valentina heilfroh war. Nach diesem Zusammentreffen beschloss sie einmal mehr, dass sie doch kein so schlechtes Los gezogen hatte.

Wenn da nicht immer diese tickende Uhr wäre …

Check-in für Anfänger

Endlich war es soweit.

Valentina stand überpünktlich am Flughafen in Frankfurt und starrte auf die Abflugtafel. Sie hatte noch drei Stunden Zeit bis zum Start. Bisher wirkten die Beruhigungspillen wie gewünscht. Sie hatte geschlafen wie ein Baby.

Warum sagte man das überhaupt? Schliefen die meisten Babys nicht außerordentlich schlecht, wachten alle paar Stunden auf und brüllten sich dann die Seele aus dem Leib? Manchmal machten solche Sprüche wirklich keinen Sinn.

Sie jedenfalls war sogar im Zug noch einmal in einen derartigen Tiefschlaf verfallen, dass sie froh sein konnte, jetzt überhaupt hier zu stehen. Ihre Mutter hatte ihr zwar angeboten, sie zum Flughafen zu fahren, aber das hatte sie dankend abgelehnt. Einmal wegen des immer noch tobenden Schneegestöbers, was auch für ihre Mutter als handfestes Argument zählte, sich nicht unbedingt in einen Wagen setzen zu müssen. Andererseits wollte sie den fünftausend, zwar lieb gemeinten, aber trotzdem nervenden Fragen ihrer Mutter entgehen. Diese hatte von Valentinas Entschluss, nach Kalifornien zu fliegen natürlich genauso wenig gewusst wie sie selbst. Vermutlich dachte sie, ihre Tochter sei übergeschnappt.

„Was, nach San Francisco?“, hatte sie entsetzt gefragt. „Wann denn?“

„Morgen“, antwortete Valentina nur knapp.

„Aber es ist doch dein Geburtstag.“

„Ja, deshalb ja!“

„Kind, ist alles in Ordnung mit dir?“

Ihre Mutter hatte wahrscheinlich schnell die klare Diagnose der Midlife-Crisis gestellt, wie ihr Hausarzt insgeheim wohl auch. Irgendwann hatte sie dann aber eingesehen, dass Valentina noch ihren Koffer packen musste, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihrer Tochter eine schöne Reise zu wünschen.

„Pass auf dich auf. Du weißt, wie gefährlich es in Amerika sein kann“, hatte ihre Mutter zum Abschied noch loswerden müssen. Als würde Valentina in die tiefste Wildnis des afrikanischen Dschungels reisen, um dort ein Überlebenstraining zu absolvieren.

Ein wenig hilflos blickte Valentina sich nun im Flughafen um. Wo die vielen Menschen wohl alle hin wollten? Waren sie alle auf der Flucht vor dem Valentinstag?

Sie unterdrückte ein Gähnen. Vermutlich sollte sie erstmal einen doppelten Espresso trinken, um gegen die Baldrianpillen anzukämpfen, bevor sie eincheckte.

Kurz darauf stand sie an einer Bar, bestellte sich einen doppelten Latte macchiato und betrachtete zufrieden ihre Umgebung. Es war ein angenehmes Gefühl, mal wieder als Reisender am Flughafen zu sein und nicht nur als der Chauffeur für jemanden, der zu einer spannenden Reise aufbrach oder von einer zurückkehrte.

Mittlerweile spürte sie die Aufregung. Es fühlte sich an wie ein Kribbeln, das sich langsam im ganzen Körper ausbreitete. Sollte sie eine der Tabletten nehmen, die ihr der Arzt für vor dem Flug empfohlen hatte? Schaden konnte es ja nichts, bevor die Aufregung in Angst umschlug.

Gesagt, getan, mit sofortiger Wirkung. Ein richtiges Hochgefühl breitete sich nun in ihr aus, das beim Blick auf die Rechnung allerdings jäh zerstört wurde. Zwölf Euro sollte der lächerliche Kaffee mit aufgeschäumter Milch kosten. Da hätte sie ja gleich Champagner trinken können!

Mit reichlich schlechterer Laune, als ein paar Minuten zuvor, trat sie an den Lufthansa-Schalter zum Einchecken. Sie schien einer der ersten Passagiere für ihren Flug zu sein und trotzdem wirkte die Dame hinter dem Schalter schon reichlich gestresst.

„So, Frau Kramer, hier ist Ihre Bordkarte für Platz 54B“, verkündete diese, nachdem sie ein paar Minuten wortlos auf ihrem Computer rumgehackt hatte.

„54B?“, hakte Valentina überrascht nach, „wieso denn das? Ich hatte doch Platz 33C reserviert. Ein Gangplatz mit extra viel Beinfreiheit!“

„Tja, das kommt vor …“, sagte ihr Gegenüber und betonte jedes Wort, als würde sie mit einem Kleinkind sprechen.

„Was heißt da ‚das kommt vor’? Ich habe doch extra dafür bezahlt!“, empörte sich Valentina. Wollte die Lufthansa-Tante sie veräppeln?

„Das können wir ja mit dem Aufpreis für Ihr Gepäck verrechnen“, verkündete die Dame hinter dem Schalter hierauf, als hätte Valentina einen Preis gewonnen.

„Was für einen Aufpreis für das Gepäck denn?“

„Ihr Koffer ist zwei Kilogramm zu schwer“, behauptete die immer unsympathischer werdende Frau und deutete mit ihrem blutrot lackierten Fingernagel auf die Gewichtsanzeige.

25.1 kg stand dort.

„Aber ich dachte, ich dürfe zweiunddreißig Kilo mitnehmen ...“, setzte Valentina an, zu protestieren, als die Ziege unverschämt anfing, zu lachen und laut losprustete: „Wann sind Sie denn das letzte Mal geflogen? Im letzten Jahrhundert?“ Dies hatte sie eher in Richtung ihrer Kollegen an den anderen Schaltern geschrien, die nun fröhlich in ihr Gelächter einstimmten. Sogar ein paar Reisende, die mittlerweile in der Schlange hinter ihr standen, hörte sie darüber lachen.

Schadenfreude pur.

Wobei das auch noch stimmte. Was war schon dabei?

Blöde Schnepfe!

Das Lachen ihres Gegenübers verstummte genauso abrupt, wie es begonnen hatte, und sie funkelte Valentina mit bösen Augen an.

„Habe ich das gerade laut gesagt?“, fragte Valentina erschrocken und befürchtete, dass ihr der Arzt anstatt Beruhigungspillen ein Wahrheitsserum verabreicht hatte.

„Allerdings“, kam es kühl zurück. „Also, was ist jetzt? Zahlen Sie das Übergewicht nun endlich?“

Schnell ging Valentina im Kopf alle Gegenstände durch, die sie mitgenommen hatte und überlegte, was davon zwei Kilo wiegen würde und was sie einfach in die Mülltonne schmeißen konnte.

Im Internet hatte sie gelesen, dass man sich zu dieser Jahreszeit, wie eigentlich zu jeder anderen auch, in San Francisco am besten nach dem Zwiebelprinzip kleiden sollte. Das hieß, morgens verließ man das Haus mit dicker Daunenjacke und Winterstiefeln, legte dann eine Schicht nach der anderen ab, bis man nachmittags im Bikini und Flipflops in einem Café oder am Strand saß. Des Weiteren musste sie für alle Gegebenheiten gewappnet sein: Von der hippen Surferbar, über das Öko-Restaurant, dass man nur nach stundenlangem Fußmarsch erreichen konnte, bis hin zum Gourmet-Schuppen der Schickeria von San Francisco. Unmöglich konnte sie etwas an dem Gewicht ändern.

„Was macht das?“, fragte sie übertrieben cool, als wäre ihr der Aufpreis völlig egal.

„Fünfzig Euro wären das“, erwiderte die Schrulle hämisch.

Mittlerweile fand Valentina, dass diese besser an die Kasse einer Peepshow in der Frankfurter Kaiserstraße gepasst hätte und das wäre noch ein Kompliment.

„Was heißt da wären? Kostet es fünfzig Euro oder nicht?“, gab Valentina pampig zurück und merkte, wie die Luft zwischen ihnen anfing zu kochen.

„Fünfzig Euro. Keinen Cent mehr und keinen Cent weniger.“

Genervt gab sie der blöden Kuh ihre Kreditkarte und bei der Vorstellung, einen Sitzplatz in der Mitte einer Sitzreihe zu haben, überkam sie schon jetzt die Panik. Einen letzten Versuch musste sie noch unternehmen.

„Nochmal wegen des Sitzplatzes. Das geht nicht. Ich habe wahnsinnige Flugangst und muss am Gang sitzen.“

Hierauf griff die blöde Schnepfe einmal tief unter den Tresen und reichte ihr, ohne sie noch einmal anzublicken, einen Stapel Kotztüten.

„Der Nächste bitte!“

„Nur“ zwölf Stunden ins Glück

Das Einchecken war ja eine absolute Unverschämtheit, dachte Valentina verärgert, wollte sich aber die Vorfreude auf ihren Kalifornienurlaub nicht verderben lassen. Durch nichts und niemanden. Langsam schlurfte sie die Gänge des Flughafens entlang, auf der Suche nach ihrem Gate.

Gerade hatte sie Gate 17 passiert, sie musste allerdings zu Gate 104. Das konnte doch unmöglich sein. Es kam ihr vor, als würde sie schon seit einer Stunde durch den Flughafen irren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie endlich Gate 104. Völlig erschlagen ließ sie sich auf einen der Sessel fallen. Ihre Beine waren taub und es überkam sie eine bleierne Müdigkeit. Was war nur los mit ihr?

Hektisch durchwühlte sie ihre Handtasche und kramte die Medikamente heraus. Ihre Vermutung bestätigte sich: Sie hatte die K.O.-Schlaftabletten für den Flug mit den Fit-aber-keine-Panik-Pillen für vor dem Flug verwechselt. Kein Wunder. Kurz darauf war sie tief und fest eingeschlafen.

Ihr eigenes Schnarchen weckte sie auf. Erschrocken fuhr sie hoch und blickte sich um. Vor ihr stand ein etwa fünfjähriger Junge, der sie mit offenem Mund anstarrte, wie es vermutlich vor ein paar Minuten noch alle Passagiere um sie herum getan hatten, die nun so taten, als wären sie mit irgendetwas beschäftigt. Fremdschämen kannten Kinder wohl nicht.

Etwas verlegen lächelte sie dem Rotzlöffel zu, der sie immer noch völlig ungeniert anglotzte und zückte dann ihr Handy, um sich noch einmal von ihrer Mutter zu verabschieden. Sie hoffte, diese würde ihr die Flugangst nicht anhören.

Kurze Zeit später begann bereits das Boarding. Immerhin hatte ihr neuer Sitzplatz den Vorteil, dass er so weit hinten im Flieger war, dass sie direkt nach der Businessclass die Maschine betreten durfte.

Außerdem kann ich von meinem Mittelplatz aus bestimmt den ein oder anderen netten Ausblick aus dem Fenster erhaschen, redete sich Valentina die Situation schön. Nebenbei machte sie die Atemübungen, die der Arzt ihr empfohlen hatte und betrat den großen Blechvogel. Mit langsamen Schritten schleppte sie sich den Gang im Flugzeug entlang, als wäre es ihr Weg zum Schafott.

Immer wieder blickte sie auf die kleinen Metallschildchen über den Sitzreihen, bis sie „54A, 54B, 54C“ entdeckte. Der Fensterplatz war schon belegt. Noch einmal schaute sie auf das Schild, ob dies die richtige Sitzreihe war.

Nun lächelte sie der sehr beleibte Mann, der auf dem Fensterplatz saß freundlich an, was sie etwas verkrampft erwiderte.

Valentina traten Schweißperlen auf die Stirn: Auf Fensterplatz 54A saß definitiv der dickste Mensch, den sie je gesehen hatte. Die Armlehne zwischen den beiden Sitzen war überhaupt nicht mehr zu sehen. Ober- und unterhalb der Lehne quollen Schenkel- und Hüftspeck des Mannes auf ihren Sitz, der in dem Augenblick entschuldigend mit den Schultern zuckte, was vermutlich so viel heißen sollte wie „da müssen Sie jetzt wohl die nächsten zwölf Stunden durch!“

Immer noch starrte sie entsetzt auf die Sitzreihe, ohne sich zu bewegen, als sich jemand hinter ihr räusperte. Ruckartig drehte sie sich um und blickte in ein Paar asiatische Augen über einem professionellen Mundschutz, wie sie ihn bisher nur in Krankenhäusern gesehen hatte. Valentina konnte nicht sagen, ob ihr Gegenüber sie gerade anlächelte oder ihr die Zunge herausstreckte, mit einem Kopfnicken deutete dieser allerdings in Richtung Sitz Nummer 54C.

Ah! Mein anderer Sitznachbar. Wie entzückend.

Blieb nur noch die Frage, ob dieser selbst eine tödlich ansteckende Krankheit hatte oder sich vor einer schützen wollte. Immerhin war er dünn wie ein Streichholz, was sie sehr begrüßte, roch allerdings etwas sonderbar.

Gerade als Valentina es geschafft hatte, sich neben dem Fettwanst unter unglaublichen Verrenkungen und Mithilfe der Stewardess, anzuschnallen, rollte der Flieger schon auf die Startbahn.

Mein Gott, wie das wackelt! Ist das normal? Da fällt doch gleich ein Triebwerk oder der ganze Flügel ab, dachte sie panisch. Sie merkte, dass ihre Atmung schneller und unregelmäßig wurde. Als der A380 dann auf der Startbahn voll beschleunigte, entwich ihr ein entsetzter Aufschrei, und ihr wurde klar, dass sie dies unmöglich durchstehen konnte. Hektisch kramte sie in ihrer Handtasche nach den Tabletten und nahm gleich zwei von den K.O.-Pillen auf einmal. Denn dass diese wirkten, wusste sie ja bereits.

Auf nicht einmal tausend Metern Höhe fielen Valentina die Augen zu und sie versank in einen traumlosen Schlaf.

Etwa auf der Höhe von Grönland kam sie langsam wieder zu sich und wunderte sich über das weiche, warme und wabbelige Kissen, auf dem ihr Kopf gebettet war. Sie öffnete die Augen schon mit einer gewissen Vorahnung. Als sie dann nach oben blickte, sah sie das breite Grinsen ihres übergewichtigen Sitznachbarn.

Oh Gott! Wie widerlich!

Schnell setzte sie sich wieder auf, als wäre nichts geschehen und hörte den Fettsack ein leises „Schade“ murmeln. Er schien die letzten Stunden durchaus genossen zu haben.

Valentina blickte auf die Fluganzeige auf dem Bildschirm vor sich: Schon zweieinhalb Stunden Flugzeit waren rum. Yippie! Noch neuneinhalb Stunden hatte sie vor sich. Das würde sie nicht überleben!

Als sie sich hilfesuchend umblickte, sah sie, dass sich gerade zwei Flugbegleiter durch die engen Gänge zwängten, um das Mittagessen zu servieren. Es roch zugegebenermaßen gar nicht schlecht. Bei den Fluggästen in den Reihen vor ihr hörte Valentina schon, was heute auf dem Speiseplan stand: Rouladen mit Spätzle oder als vegetarische Variante Gemüseschnitzel mit Hirsepüree.

Da fiel ihr die Auswahl natürlich nicht schwer. Die Rouladen rochen köstlich und sie konnte sich im Augenblick nichts Besseres vorstellen.

Als die Stewardess, die die Zwillingsschwester der Check-in-Dame hätte sein können, bei ihrer Sitzreihe ankam, bediente sie zuerst den Fensterplatz. Als Valentina dann an die Reihe kam und freudig sagte: „Rouladen auch für mich, bitte“, machte die Flugbegleiterin ein langes Gesicht.

„So wie es aussieht, habe ich keine Rouladen mehr“, gab sie zu bedenken. Nachdem sie, laut klappernd, etwa fünfzig Schubladen in dem kleinen Wägelchen auf- und wieder zugeknallt hatte, verkündete sie: „Ich schaue mal in der Küche nach und komme gleich wieder.“

Natürlich kam sie erst dreißig Minuten später von ihrer Suche nach Rouladen zurück und, wie sollte es auch anders sein, hatte der Fettsack die letzten Rouladen im ganzen Flugzeug bekommen. Valentina bekam ein latschiges Gemüseschnitzel mit Hirsebrei, das mittlerweile auch noch kalt war.

Resigniert stopfte sie nur ein trockenes Brötchen in sich hinein und gab den Rest von dem ekelhaften Essen ihrem gefräßigen Sitznachbarn, der mit seinen Blicken bereits Löcher in ihr Tablett gestarrt hatte. Das Essen von dem todkranken Asiaten auf 54C lehnte er allerdings dankend ab. Wahrscheinlich hatte er Angst, auch bald so ein Klappergestell zu sein wie dieser.

54A grunzte noch einmal zufrieden und schlief nach seinem Festmahl tief und fest ein. Nichts konnte ihn wecken, wie Valentina nicht ohne Neid feststellen musste.

Sie hingegen versuchte vergeblich, sich auf ihren Reiseführer oder einen Film zu konzentrieren, bis sie schließlich nur noch auf die Weltkarte auf dem Monitor vor sich starrte und die Minuten bis zur Landung rückwärts zählte. Das Frustrierende daran war, dass tatsächlich jeder Passagier in dem Blechvogel zu schlafen schien. Auch der Asiate neben Valentina war in einen komaartigen Tiefschlaf verfallen und hatte die für seine Körpergröße ungewöhnlich langen Beine in einer Art Schneidersitz verschlungen. Somit war es für Valentina unmöglich, ihren Sitz zu verlassen, um sich die Füße etwas zu vertreten oder zur Toilette zu gehen. Deprimiert nippte sie alle halbe Stunde an ihrem schalen Wasser, um nicht auf das Klo gehen zu müssen und machte Gymnastik mit ihren Beinen, um eine tödliche Thrombose zu verhindern.

Nun hatte sie schon fast acht Stunden Höllenqualen durchgestanden, da wollte sie San Francisco zumindest zu Gesicht bekommen!

Endlich war es soweit: Das Flugzeug hatte schon lange die normale Flughöhe verlassen und wackelte seinem Ziel entgegen. Valentina war zwar speiübel, aber sie freute sich wahnsinnig auf das, was nun kommen würde.

Gerade hatte der Pilot mit einer äußerst sympathischen Stimme verkündet, dass sie noch eine Warteschleife drehen mussten und empfohlen, dass man dabei aus dem Fenster blicken solle.

Auch noch eine Warteschleife, hatte Valentina zuerst gedacht, die so schnell wie möglich aus dem Kasten raus wollte. Als sie dann allerdings aus dem kleinen Fenster blickte, war sie überwältigt. In dem Moment flogen sie einen großen Bogen über den Pazifik, der in greifbarer Nähe zu sein schien. Als Nächstes sah sie die typisch zerklüftete kalifornische Steilküste, die romantisch von der Sonne angestrahlt wurde und dann das berühmte Wahrzeichen der Stadt. Die Golden Gate Bridge erschien leuchtend rot rechter Hand vom Flugzeug, das nun in diese Richtung steuerte. Sekunden später überflogen sie die Hängebrücke mit einem umwerfenden Ausblick auf die Stadt.

Immer näher beugte sich Valentina zum Fenster, bis sie fast ihre Nase daran platt drückte und quasi wieder auf dem Schoß ihres dicken Nachbarn lag. Es war ihr egal, diesen Ausblick würde sie vielleicht nur einmal in ihrem Leben genießen können, und noch schlief der Kerl fest.

Sie fragte sich, ob der Pilot unerlaubterweise die kleine Sightseeingtour flog und nach der Landung wohl in Handschellen abgeführt würde. Es konnte unmöglich erlaubt sein, mit dieser riesigen Maschine so nah über der Golden Gate Bridge zu fliegen.

Allen Passagieren schien es die Sprache verschlagen zu haben. Im ganzen Passagierraum war es mucksmäuschenstill, nur hier und da war ein „Ah“ oder „Oh“ zu hören.

Das Beste war allerdings, dass Valentina während der ganzen Landung ihre Flugangst völlig vergessen hatte.

Ankunft in Frisco, San Fran oder the City

Sie hatte den Flug überlebt!

Sie war da!

Valentina Kramer war in ihrer Traumstadt. Sie konnte es kaum glauben.

Ein bisschen hatte sie auf dem Flug in dem Reiseführer von San Francisco lesen können, etwa eine halbe Seite.

Immerhin konnte sie erfahren, dass die Stadt viele Spitznamen hatte. „Frisco“ etwa war nicht nur eine Abkürzung, sondern der Name der Zugstrecke von St. Louis, im US-Bundesstaat Missouri, nach San Francisco um 1870. Die hippe Bezeichnung „San Fran“ wurde offenbar nur von Touristen benutzt, nicht aber von Einheimischen. Diese hingegen gebrauchten meist den Begriff „the City“, vor allem wenn sie etwas außerhalb des Stadtzentrums wohnten. Diese Bezeichnung kam ebenfalls aus Zeiten, als die mittlerweile großen Städte wie Berkeley und San Jose gar nicht existierten oder noch kleine Käffer waren. Damals war San Francisco tatsächlich die einzige größere Stadt im nördlichen Kalifornien.

Valentina beschloss, „the City“ zu sagen, sie wollte schließlich nicht gleich als Touri geoutet werden. Wobei sie diesen Spitznamen nicht wirklich originell fand.

Noch immer stand sie am Gepäckband und wartete auf ihren Koffer. Um sich die Zeit zu vertreiben, fummelte sie an ihrem Mobiltelefon herum und probierte, ob es vielleicht doch in den USA funktionierte. Das wäre doch mal eine nette Überraschung. Während sie weiter auf ihrem Handy herumtippte, beobachtete sie aus dem Augenwinkel, wie immer mehr Leute zufrieden nach ihrem Gepäckstück griffen und sich damit auf den Weg machten. Auch ihr beleibter Sitznachbar hatte gerade glücklich ein winziges Köfferchen, in das ihrer Meinung nach nur eine Hose in seiner Größe passen konnte, vom Band genommen und verschwand damit überraschend leichtfüßig.

Schließlich konnte sie nicht mehr leugnen, dass sie die Letzte war, die einsam und allein an dem völlig leeren Gepäckband stand. Kein einziges Gepäckstück rollte mehr an. Dafür aber die Putzkolonne und ein Securitymitarbeiter, der zielstrebig auf sie zukam und freundlich fragte, wie er ihr helfen könne. Gefasst schilderte Valentina dem Mann ihr Problem und war angenehm überrascht, wie flüssig ihr Englisch war. Als hätte sie sich ewig überlegt, was sie dem Sicherheitsmensch sagen wollte.

Dieser nickte verständnisvoll und drückte ihr kurzerhand einen Wisch in die Hand. Hierauf zeigte ihr der zuvorkommende Mann den Weg zu einem kleinen Café im Flughafen. Er werde sich darum kümmern, versicherte er und verschwand.

Das kleine Lokal war wie ausgestorben. Wer hockte sich auch schon direkt nach seiner Landung in San Francisco im Flughafen in ein Café, anstatt sofort diese einzigartige Stadt zu erkunden? Niemand. Nur Leute, die auf ihren Koffer warteten.

Valentina setzte sich an einen Tisch am Fenster und konnte so wenigstens die Flugzeuge bei Start und Landung beobachten. In dem Moment merkte sie, was für einen Kohldampf sie hatte.

Sie bestellte sich ein Sandwich und einen „bottomless Mimosa“, das Getränk des Tages, von dem sie nicht wusste, was es war. In ihrem Reiseführer hatte sie gelesen, dass zu dieser Jahreszeit die Mimosen und Kamelien herrlich blühen würden. Da passte der Cocktail des Tages doch, der nicht gerade günstig war. Aber auch das wusste sie: San Francisco war eine der teuersten Städte der Welt. Valentina war gespannt auf das Getränk des Tages. Als sie dann kurz darauf einen gewöhnlichen Sekt mit Orangensaft serviert bekam, war sie gelinde gesagt enttäuscht ... bis der Kellner etwas später ihr Glas wieder völlig selbstverständlich auffüllte.

Erst protestierte Valentina, dass sie kein weiteres Getränk bestellt hatte, dann erklärte ihr der junge Mann allerdings, dass „bottomless“ bedeutete, sie könne so viel Sekt mit O-Saft trinken, wie sie wolle. Valentina war begeistert!

In Frankfurt bekam man für zwölf Euro einen Kaffee und hier für zehn Dollar gleich flaschenweise Sekt. Von wegen teuerste Stadt. Dies war eindeutig ein weiterer Beweis dafür, in ihrem Traumland angekommen zu sein.

Wenn nur ihr Koffer endlich auftauchen würde …

Eine Stunde und etwa fünf Mimosas später kam der koffersuchende Flughafenmitarbeiter wieder und bestätigte ihr natürlich, dass ihr Koffer unauffindbar war.

Valentina, die mittlerweile ein wenig beschwipst war, fing zur Verwunderung des Mannes hierauf an, laut zu lachen, worauf sie einen gehörigen Schluckauf bekam. Eine Konversation mit dem sehr bemühten Mann war nun unmöglich. Dieser versicherte, dass ihr Koffer bestimmt bald auftauchen, und man ihn ihr ins Hotel nachschicken werde. Hierauf drückte er ihr einen Einkaufsgutschein in Höhe von einhundert Dollar in die Hand, damit sie sich das Nötigste für die erste Nacht kaufen konnte.

Stimmt. Sie hatte ja nichts außer ihrem Handgepäck. Alles war im Koffer. Alles! Sogar die Hälfte ihres Bargeldes, auf Anraten ihrer Mutter.

Aber wie sollte ein Koffer auf einem Direktflug schon verschwinden? Er musste ja bald auftauchen!

Es sei denn die Schnepfe am Frankfurter Flughafen hat mir einen Streich gespielt, schoss es Valentina kurz durch den Kopf. Diesen Gedanken verdrängte sie jedoch schnell wieder und torkelte Richtung Ausgang.

Immerhin blieb ihr ohne Koffer eine lange Passkontrolle erspart. Man sollte alles immer positiv sehen.

Auch das noch

Nach wie vor ließ sich Valentina die Euphorie über die Ankunft in ihrer Traumstadt nicht nehmen. Der Shuttlebus zu ihrem Hotel stand schon vor dem Flughafen und nun konnte ihre Glückssträhne endlich beginnen.

Schließlich hatte sie eines der besten Hotels der Stadt zu einem absoluten Schnäppchenpreis im Internet ergattert. Sie würde in dem noblen Riu Plaza Fisherman’s Wharf residieren, das direkt an der Strandpromenade, nicht unweit vom Pier 39, lag. Von hier aus konnte sie alles zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Cable Car erkunden. Ein Auto wollte sie sich nur für ein paar Tage mieten, wenn überhaupt.

Ein angenehmes Kribbeln vor Aufregung machte sich in ihr breit und sie blickte interessiert aus dem Fenster des Shuttlebusses. Jede Sekunde dieses Urlaubs würde sie genießen!

Eine halbe Stunde später stand Valentina an der Rezeption des Hotels und sah sich einem Mann gegenüber, der ein ebenso langes Gesicht machte, wie die Stewardess im Flieger und der Koffersucher am Flughafen. Jetzt konnte sie sich überlegen, was am schlimmsten war: Keine Rouladen, kein Koffer oder kein Zimmer!

„Tut mir leid, Miss Kramer, aber ich kann wirklich keine Buchung unter Ihrem Namen finden“, wiederholte er schon zum dritten Mal.

„Aber das kann doch gar nicht sein“, sagte Valentina verzweifelt und wühlte in ihrer Handtasche, um nach der Bestätigung zu suchen. Sie war sich ganz sicher, dass sie die E-Mail ausgedruckt und eingesteckt hatte.

Endlich fand sie den Wisch in ihrer viel zu großen Tasche und atmete erleichtert auf. Jetzt würde sich alles klären. Während ihr Gegenüber die Bestätigung durchlas, entspannte sie sich schon etwas.

„Tja, Miss“, sagte der Empfangsmensch dann gedehnt, was sie bereits das Schlimmste vermuten ließ.

„Mit diesem Internetanbieter haben wir immer wieder Probleme. Der Anbieter verkauft einfach Hotelzimmer, obwohl wir gar keine freien Zimmer mehr in unserem Kontingent haben. Dieses Wochenende sind wir absolut ausgebucht“, erklärte der Rezeptionist steif.

Kontingent, Kontingent, der kann sich sein Kontingent sonst wo hinschmieren. Wo soll ich denn jetzt nur schlafen? dachte Valentina entnervt.

„Haben Sie nicht noch eine Besenkammer oder sowas frei?“, macht sie gerade einen Versuch, als der Mann sie freundlich unterbrach: „Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick, damit ich mich um die Herrschaften hinter Ihnen kümmern kann.“

Nun trat ein älteres Paar an die Rezeption, das schon länger gewartet hatte. Sofort verwickelte der Rezeptionist die beiden in ein nettes Gespräch und man merkte, dass sie Stammgäste waren. Nach dem Smalltalk nahmen sie ihren Zimmerschlüssel entgegen, wahrscheinlich für eine Suite im obersten Stockwerk, in der bestimmt noch ein Sofa frei war ...

Kurz überlegte Valentina, dem älteren Herren auf die Schulter zu tippen und um Asyl zu bitten, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder.

In dem Moment kam eine Frau an den Tresen, die sich zuvor etwas im Hintergrund gehalten, die ganze Misere aber mitbekommen hatte. Gerade hatte sie den Telefonhörer aufgelegt und kam nun lächelnd auf Valentina zu.

„Sind Sie aus Deutschland?“, begann sie das Gespräch und machte einen hilfsbereiten Eindruck.

„Ja, das bin ich“, Valentina blickte in ein freundliches Gesicht und irgendetwas sagte ihr, dass diese Frau ihre Rettung sein könnte. Ihr Strohhalm, der sie vor dem Ertrinken bewahren würde.

„Ich bin Melinda und kann Ihnen vielleicht helfen“, stellte sich die junge Frau in fast akzentfreiem Deutsch vor.

„Leider werden Sie in diesem Hotel in der Tat kein Zimmer mehr bekommen“, begann sie und sprach dann schnell mit etwas gedämpfter Stimme weiter, als würde sie ihr ein Geheimnis verraten.

„Aber ich habe gerade telefoniert und ein Zimmer in einem kleinen Bed and Breakfast hier in der Stadt für Sie gefunden. Es ist sehr nett dort. Das Zimmer würde ich an Ihrer Stelle nehmen, denn über das Valentinswochenende ist alles immer sehr ausgebucht.“

Wie sie den Valentinstag hasste!

„Prima. Dann mache ich das“, erwiderte Valentina, ohne lange zu überlegen. Was blieb ihr schon anderes übrig?

„Schön. Sie werden nicht enttäuscht sein“, freute sich Melinda, „ich kenne Mr. Mercette, den Besitzer des Bed and Breakfast persönlich. Er ist ein ausgesprochen netter Mann und wird Ihnen bestimmt einen Spezialpreis machen unter diesen Bedingungen.“ Hierauf griff sie hinter sich und reichte Valentina eine gefüllte Tragetasche.

„Ich habe auch von Ihrem Pech mit dem Koffer gehört. Hier sind ein paar Sachen für die erste Nacht.“

Kurz schaute Valentina in die Tasche und erblickte einen Bademantel und Hausschuhe vom Hotel, sowie einige Badezimmerartikel. Das war aber überaus aufmerksam. Sie schien der Frau offenbar furchtbar leidzutun oder war solch eine Hilfsbereitschaft normal hier in Kalifornien?

„Vielen Dank!“, brachte Valentina nur heraus, die zugegebenermaßen etwas sprachlos über so viel Gastfreundschaft war.

„Mein Kollege wird Ihnen noch sagen, wann wieder ein Zimmer bei uns frei ist, und ein Wagen des Hotels wird sie zu Ihrer neuen Unterkunft bringen. Entschuldigen Sie noch einmal die Umstände.“

Zum Dank schüttelte Valentina Melinda herzlich die Hand und dann war ihr guter Engel auch schon wieder verschwunden.

Nun kümmerte sich der Rezeptionist wieder um sie, der einen Stock verschluckt zu haben schien und beteuerte, dass sie am Montag ihr Zimmer hier „in unserem Hause“ beziehen könne. Netterweise würde sie eine Nacht ihres Aufenthalts als Entschädigung umsonst bekommen und dazu einen Gutschein für das Hotelrestaurant über fünfzig Dollar.

Darauf führte er sie zu einem Seitenausgang, wo bereits ein Wagen des Hotels wartete, der sie zu dem Bed and Breakfast fahren sollte, natürlich ebenfalls kostenfrei. Valentina war platt, wie entgegenkommend die Menschen hier waren. Man bekam das Geld ja nur so hinterhergeschmissen.

Kurz überlegte sie, ob sie anstatt eines Reiseführers eine Dokumentation, ähnlich wie Günter Wallraff, schreiben sollte. Mit dem Titel: „Wie lange kann man in San Francisco ohne Gepäck und einen Pfennig Geld über die Runden kommen?“

Bisher hatte sie schon hundertfünfzig Dollar in der Tasche, eine Hotelnacht umsonst und vielleicht würde noch etwas herausspringen ...

Ihren Koffer zu haben und sich, ohne große Komplikationen, in ihrem Hotelzimmer ausruhen zu können, wäre ihr allerdings lieber gewesen, als die Gutscheine. Das stand fest.

Auch durfte sie sich nicht zu früh freuen und musste möglichst schnell prüfen, ob diese dubiose Internet-Reisegesellschaft bereits ihr Geld abgebucht hatte. Denen würde sie Dampf machen!

In dem Moment fiel ihr auf, dass sie durch eine wunderschöne Straße von San Francisco fuhren, eine der typischen Hangstraßen mit den hübschen viktorianischen Häuschen, wie man sie aus Filmen kannte.

Valentina war entzückt und der ganze Ärger sofort vergessen.

Die Fahrt dauerte gute zwanzig Minuten und sie hatte keine Ahnung, in welchem Stadtteil sie sich befand. Mittlerweile war ihr dies auch relativ egal. Die Müdigkeit hatte sie plötzlich überkommen und die Aussicht, in absehbarer Zeit endlich in einem Bett zu liegen, war das Einzige, was zählte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es bereits fast Mitternacht war und sie somit seit mehr als vierundzwanzig Stunden unterwegs war.

Ihr Taxi hielt auf einer kleinen Anhöhe vor einer ansehnlichen viktorianischen Villa, die Valentina auf Anhieb gefiel. Das Haus hatte einen hellblauen Anstrich mit weißen Verzierungen. „M.M. Bed & Breakfast“ stand in verschnörkelten Buchstaben über der Eingangstür. Darunter hing ein weiteres Schild, auf dem „no vacancy“ zu lesen war. Dieses Hotel war also ebenfalls komplett ausgebucht.

Ein Trinkgeld verweigernd, wünschte ihr der Fahrer alles Gute und Valentina stieg aus. Der Vorgarten des Hauses war liebevoll mit teilweise tropischen Pflanzen bestückt, und natürlich fehlten auch die Mimosen und Kamelien nicht, auf die sie sich schon so gefreut hatte.

Glücklich ging sie auf einen Kamelienbusch zu, den man eher als Baum bezeichnen konnte, und roch genüsslich an den Blüten. Herrlich!

„Herzlich willkommen!“, hörte sie hinter sich eine Stimme und fuhr erschrocken herum.

„Oh, entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich höre nicht mehr so gut, müssen Sie wissen, daher spreche ich immer etwas zu laut.“

Das war also Marvin Mercette, der ihr gerade die Hand entgegenstreckte und den Valentina auf Anhieb sympathisch fand. Er war ein rüstiger, älterer Herr mit strahlenden Augen und einer ansteckend positiven Ausstrahlung.

„Melinda hat mir von Ihrem Pech erzählt, Sie Arme. Nun kommen Sie erstmal rein. Sie müssen ja hundemüde sein.“

Einladend öffnete der Hotelbesitzer die Haustür. Als Valentina eintrat und sich in dem Eingangsbereich umblickte, fühlte sie sich gleich wie zuhause. Es war etwas völlig anderes als das unpersönliche Riu Plaza. Das Innere prägten viele Antiquitäten und Familienbilder, man fühlte sich eher, als wäre man bei Mr. Mercette und seiner Familie zu Besuch, als in einem kleinen Hotel.

Mr. Mercette konnte sich wohl denken, wie müde Valentina war und reichte ihr sogleich den Schlüssel für ihr Zimmer. Auch er schien noch einmal aus dem Bett gekrabbelt zu sein. Jedenfalls trug er einen Morgenmantel über seinem Schlafanzug und lustige Pantoffeln mit Snoopy darauf.

Nun deutete er die Treppe hinauf: „Ich habe Ihnen das Zimmer im Dachgeschoss hergerichtet. Raum Nummer acht. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie etwas brauchen und jetzt wünsche ich Ihnen erst einmal eine gute Nacht.“

Valentina hätte ihn umarmen können, so froh war sie, nur einige Stufen von ihrem Bett entfernt zu sein.

„Vielen Dank, Mr. Mercette. Ich wünsche Ihnen ebenfalls eine gute Nacht“, sagte sie dankbar und stieg die knarrende Holztreppe empor. Von dem zweiten Stockwerk führte ein winziger Aufgang in das Dachgeschoss, in dem sich nur ihr Zimmer befand. Fast andächtig schloss sie die Zimmertür auf und trat ein.

Nach all dem Pech die letzten vierundzwanzig Stunden rechnete sie mit dem Schlimmsten: Ratten und Kakerlaken, die schnell das Weite suchten, wenn sie das Licht anschaltete. Oder einen Schlafsaal mit etwa zwanzig schnarchenden Menschen, doch das Zimmer war ganz entzückend.

Valentina betrat den Raum, ließ ihr Handgepäck langsam auf den Boden sinken und blickte sich um. Ihre Bleibe war zwar klein, aber fein. Sehr fein!

Durch die Schrägen wirkte das Zimmer kleiner, als es eigentlich war. Genauso hatte sie sich ein Dachzimmer in einem viktorianischen Haus vorgestellt. Nicht, dass sie sich das wirklich jemals vorgestellt hätte, aber jetzt, wo sie es vor sich sah, war ihr klar, dass es so aussehen musste!

Es wirkte ein bisschen wie in einem Puppenhaus. Allein das antike Himmelbett und der Schaukelstuhl mit der Art Deco-Lampe daneben waren ein Traum. Zu gerne hätte sie jetzt ein paar Fotos geschossen, aber ihre Kamera war in ihrem verschollenen Koffer. Ihre wertvolle Nikon Spiegelreflexkamera, sie durfte gar nicht daran denken.

Schnell machte sie einige Bilder mit ihrem Handy und öffnete die Doppelfenster, die zur Straße hinführten. Draußen herrschten völlige Ruhe und eine angenehme Temperatur. Sie beschloss, die Fenster offenzulassen, da es in dem Raum doch etwas staubig war.

Da kam ihr der Gedanke, ob Mr. Mercette dieses Zimmer extra für sie hergerichtet hatte. Hatte er das nicht sogar gesagt? Sie hoffte inständig, dass der alte Mann nicht selbst mühselig ihr Bett frisch bezogen hatte. Der Duft von frisch Gewaschenem erfüllte den ganzen Raum.

Als Valentina das Badezimmer betrat, musste sie fast lachen. Dort stand tatsächlich eine antike Sitzbadewanne, wie aus dem vorletzten Jahrhundert. Kurz machte sie sich frisch und stellte fest, dass die Tasche, die ihr Melinda mitgegeben hatte, Gold wert war. Hierauf schlüpfte sie in den weichen Bademantel und legte sich ins Bett. Sekunden später war sie eingeschlafen.

Freitag, der 13.

Obwohl Valentina erst spät ins Bett ging und von ihrer Mammutreise völlig erschlagen war, wachte sie am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Es war Freitag, der 13., aber mehr Pech als am gestrigen Tag konnte sie wohl kaum haben. Oder doch?

Bestens gelaunt hüpfte sie aus dem Bett und schaute neugierig aus dem Fenster. Der Ausblick von hier oben war überwältigend: San Francisco lag ihr zu Füßen und wurde gerade romantisch von der aufgehenden Sonne angestrahlt. Sie blickte auf die hügelige Stadt und die Wolkenkratzer des Financial Districts, die das Stadtbild prägten. Ganz deutlich konnte sie das höchste Gebäude, die Transamerica Pyramid, von hier aus sehen und sogar die Golden Gate Bridge. Zumindest bildete sie sich ein, ein kleines Stück der Hängebrücke zu erkennen.

Valentina fühlte sich herrlich, sie hätte Bäume ausreißen können. In dem Moment fiel ihr ein, dass sie ihre Eltern benachrichtigen sollte, dass sie gut angekommen war. Wobei ihre Mutter bestimmt in den Nachrichten überprüft hatte, dass kein Flugzeug abgestürzt war. Die Flugangst ihrer Mutter war so schlimm, dass diese tatsächlich noch nie in einem Flieger gesessen hatte.

Augenblicklich nahm sie den Laptop aus ihrem Rucksack, loggte sich ins Internet des Hotels ein und schickte ihnen eine Nachricht. Das Internet war zwar nicht das schnellste, aber wenigstens funktionierte es. Kurz überlegte sie, ob sie noch jemandem eine E-Mail schicken sollte.

Nein. Da gab es leider niemanden, der sich Sorgen um sie machen würde. Ihren Freundinnen konnte sie auch später noch schreiben. Es wusste ja kaum jemand, dass sie Reißaus nach San Francisco genommen hatte. Plötzlich merkte sie, was für einen Bärenhunger sie hatte.

Bed and Breakfast heißt doch, dass es hier Frühstück gibt, überlegte sie.

Allerdings wohl kaum um diese Uhrzeit. Es war erst kurz nach 6 Uhr morgens.

Schnell zog sie sich an und schlich die knarrende Treppe hinunter, in der Hoffnung irgendwo eine Obstschale oder Ähnliches zu finden, was sie leer futtern konnte.

Valentina betrat das Wohnzimmer, das als kleiner Speisesaal diente und war wieder hingerissen, wie stilvoll und gemütlich alles eingerichtet war. Im Kamin knisterte ein Feuer und eine dicke Katze lag davor. Katzen fanden doch immer das lauschigste Plätzchen. Irgendwie beneidenswert. Gerade wollte sie das Tier streicheln, als sie ein Klappern aus dem anschließenden Raum hörte, der wohl die Küche sein musste.

Als sie kurz darauf ihren Kopf durch die Tür steckte, sah sie einen etwas aufgelösten Mr. Mercette, der sämtliche Töpfe und Pfannen vor sich aufgetürmt hatte.

„Guten Morgen“, begrüßte Valentina ihn fröhlich. „Sie sind ja genauso ein Frühaufsteher wie ich“, begann sie zu scherzen. Nachdem sie allerdings merkte, dass er etwas gestresst wirkte, verstummte sie.

Als Mr. Mercette aufblickte und sie in der Tür stehen sah, hellte sich sein Blick sofort auf. Lächelnd kam er ein paar Schritte auf sie zu, und Valentina fiel auf, was für strahlend blaue Augen er hatte. An den kleinen Lachfältchen um seine Augen konnte man sehen, dass er ein fröhlicher Mensch war, der gerne lachte. Wie alt er wohl sein mochte?

„Guten Morgen, Miss Kramer. Haben Sie gut geschlafen?“, begrüßte er sie freundlich.

„Ja, danke. Bestens“, bestätigte Valentina gleich und blickte fragend auf das Chaos in der Küche.

Sofort setzte er zur Erklärung an: „Meine Küchenhilfe ist leider überraschend krank geworden. Gerade hat sie mich angerufen, dass sie heute früh nicht kommen kann. Alle Zimmer sind ausgebucht.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er weitersprach: „Die Gäste brauchen doch ihr Frühstück.“

„Ich helfe Ihnen gerne!“

Hatte sie das wirklich gerade gesagt?

Ja, natürlich half sie gerne dem alten Mann, der ihr gestern aus der Patsche geholfen hatte!

Schon krempelte sie ihre Ärmel hoch und trat an den Herd.

„Was gibt es denn heute Gutes zum Frühstück?“, meinte sie betont lässig, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes gemacht, als Frühstück in einem Bed and Breakfast zuzubereiten.

Mr. Mercette wirkte sichtlich erleichtert, als er neben sie trat.

„Sie hat wirklich der Himmel geschickt an diesem Freitag, den 13.!“

Kurz darauf war Valentina damit beschäftigt, den Teig für Waffeln anzurühren, Omelett vorzubereiten, Obst zu schnippeln und von allem etwas zu naschen.

Um Punkt sieben erschienen die ersten, übereifrigen Touristen, um sich die Bäuche an dem all-you-can-eat Buffet vollzuschlagen. Valentina schmiss die Küche, als hätte sie nie etwas anderes getan, und Mr. Mercette kümmerte sich um die Gäste. Die beiden waren ein perfektes Team. Dafür, dass es ein recht kleines Bed and Breakfast war, futterten die Gäste ordentlich und bereits um kurz nach neun war der letzte Gast verköstigt.

Zufrieden ließ sich Valentina auf einen Stuhl sinken und begann nun auch in Ruhe zu frühstücken. Mr. Mercette setzte sich zu ihr und schob ihr einen Stapel Dollarscheine zu.

„Nein, das geht doch nicht. Ich möchte kein Geld dafür.“

„Das ist ihr wohl verdientes Trinkgeld. Wenn Sie das nicht annehmen, wäre das wirklich schade. Zumal ich allen Gästen von Ihrem Pech mit dem Koffer erzählt habe“, fügte er augenzwinkernd hinzu.

Valentina verstand den Wink. Er hatte absichtlich Mitleid bei den Gästen erregt, um besonders viel Trinkgeld für sie herauszuschlagen. Wieder war sie um fünfzig Dollar reicher.

„Darüber hinaus ist Ihr Zimmer für diese Nacht natürlich umsonst.“

Gerade wollte Valentina protestieren, sah aber seinem Blick an, dass dies sinnlos gewesen wäre. Das war doch ein guter Deal. Das Hotelzimmer umsonst für zwei Stunden Küchendienst, das würde sie jederzeit wieder machen. Mr. Mercette konnte ihren Gedanken lesen und lächelte sie an.

Diese Augen! Damit hatte er früher bestimmt vielen Frauen den Kopf verdreht.

Ob er eine Ehefrau hatte? Es sah nicht so aus. Aber er wirkte sehr glücklich mit dem, was er hatte.

„Was haben Sie denn heute vor?“, wollte er nun wissen.

„Ich muss dringend ein paar Sachen einkaufen und sollte auch klären, wo mein Koffer abgeblieben ist.“

„Ich kann Sie gerne später mit in die Stadt nehmen, ich gehe zum Fischmarkt am Pier. Das könnte Sie auch interessieren. Der ist sehenswert“, schlug er vor. Dann deutete er hinter sich: „Dort ist das Telefon. Das können Sie gerne benutzen.“

Kurz darauf wusste Valentina, dass sie einiges einkaufen musste, denn anscheinend befand sich ihr Koffer in Singapur. Wie er dahin gekommen war, konnte ihr die Frau am Telefon auch nicht erklären.

Mittlerweile war sie sich sicher, dass das die Rache der Check-in-Tante für die „blöde Schnepfe“ war. Der würde sie was erzählen, wenn sie wieder in Frankfurt landen würde!

Die Zwischenzeit bis zu ihrer Abfahrt vertrieb sich Valentina damit, schon mal Notizen zu ihren bisherigen Erfahrungen in San Francisco zu machen. Sie hatte das Gefühl, in einem der besten Geheimtipps der Stadt gelandet zu sein. Das „M.M. B&B“, wie es im Internet meist abgekürzt wurde, hatte zwar nicht viele, aber ausschließlich positive Bewertungen. Kein Wunder, es hatte sich seinen besonderen Charme bewahrt, und man konnte sich vorstellen, dass es hier vor hundert Jahren genauso ausgesehen hatte.

Mittlerweile wusste Valentina, dass sie in dem bezaubernden Stadtviertel Twin Peaks gelandet war. Von hier aus hatte man diesen einmaligen Blick auf die ganze Stadt. Bis zu ihrer Abfahrt hatte sie ihre Notizen ausformuliert und bereits begonnen, ihren Reisebericht zu schreiben.

Etwa eine Stunde später saß sie mit Mr. Mercette in dessen alten Mini Cooper, und sie tuckerten der Innenstadt entgegen. Stolz berichtete er ihr, dass er den Wagen in den sechziger Jahren von England nach San Francisco überführen ließ, was damals gar nicht so einfach war.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752133240
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Kalifornien Westküste San Francisco USA Valentinstag Lovestory Reiseliteratur Urlaub Romantische Komödie Beziehung Belletristik für Frauen Humor

Autor

  • Mimi J. Poppersen (Autor:in)

Mimi J. Poppersen ist das Pseudonym einer deutschamerikanischen Schriftstellerin, deren Romane sonst im Krimi-und Thrillerbereich angesiedelt sind. Mimi J. Poppersen ist freie Journalistin, und wenn sie nicht gerade auf der Suche nach einer spannenden Geschichte um die Welt reist, lebt sie mit ihrer Familie in Santa Cruz in Kalifornien oder in ihrer Heimatstadt Heidelberg. Instagram: mimij.poppersen Unter dem Namen Hannah Hope schreibt sie spannende Liebesromane.
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Titel: Nichts wie weg!