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Strandleben

Jake, Sylter Inselhund

von Ben Bertram (Autor:in)
91 Seiten
Reihe: Jake, Sylter Inselhund, Band 3

Zusammenfassung

Kennt ihr dieses wunderschöne Gefühl, glücklich zu sein? Ich bin es und das Tolle dabei ist, dass es mein Lieblingsmensch ebenfalls ist. Gemeinsam genießen wir nicht nur unsere Zweisamkeit, sondern auch das Leben auf Sylt - die unterschiedlichen Facetten der Insel und das Strandleben sowieso. In den letzten Wochen habe ich einige Freundschaften geschlossen und mich dazu entschieden, mein Glück mit anderen Hunden zu teilen. Ich möchte einem ganz besonderen, neuen vierbeinigen Kumpel Freude schenken und Zeit mit ihm verbringen. Allerdings sind in den letzten Wochen auch einige andere Dinge passiert. Ich habe Einbrecher verjagt, das Meer ist zu meinem Freund geworden und eine Feier hat es für mich auch gegeben. Ben hat sie für mich am Strand organisiert. Aber mehr verrate ich jetzt nicht! Ich kann euch doch schließlich nicht die ganze Spannung nehmen. Nur eine Sache möchte ich noch kurz verraten, und dann lasse ich euch in Ruhe lesen: „Es ist ein wahnsinnig tolles Gefühl herauszufinden wer man wirklich ist!“

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



Das Ende der dunklen Jahreszeit

Obwohl die Zeit mit Ben großartig war und ich meine Heimat Sylt auch bei Kälte und Regen toll fand, sehnte ich mich nach Sonne - nach Wärme und blauem Himmel. Danach, keine nassen und kalten Pfoten mehr zu bekommen.

Ich wollte die Farbenpracht der Insel endlich auch in anderen Facetten erleben und hatte auch keinen Bock mehr darauf, nach einem Spaziergang trocken gerubbelt zu werden, oder mich zum Aufwärmen in meine Decke kuscheln zu müssen.

Auch Ben erging es wie mir. Er sagte es zwar nicht, trotzdem war es mir bewusst, da er immer häufiger einen sehnsuchtsvollen Blick auf die wunderbaren Sommerfotos warf, die unsere Wohnung verzierten. In den letzten Tagen hatte er sogar Fotoalben aus dem Schrank geholt und blätterte unaufhörlich in ihnen herum. Meistens hockte er sich dabei auf den Fußboden und ließ mich daran teilhaben.

Es gab Fotos von Orten, an denen ich bisher noch nicht war. Zum Glück noch nicht, da ich sie so, wie sie von meinem Herrchen auf den Bildern festgehalten wurden, erleben wollte. Sylt hatte Farben und Gegenden zu bieten, die es wahrscheinlich nirgendwo sonst auf der Welt gibt.

Selbst wenn es sie irgendwo geben würde, würde dieser Ort nicht mit meiner Heimat mithalten können. Ich musste über meinen Gedanken lachen. Der Sylt-Virus hatte mich voll erwischt und ich war mir sicher, dass es keinen schöneren Ort für mein Zuhause geben konnte.

Gedankenversunken lag ich an der Stelle des Sofas, die bereits seit meiner Ankunft, zu meinem Stammplatz geworden war. Damals, als ich diese vier Wände zum ersten Mal betreten hatte, lag genau auf diesem Platz, eine ebensolche Decke, wie Ben sie auch für mich in seinen Wagen gelegt hatte. Mir war sofort klar, dass dieser Platz mein Rückzugsort werden sollte und ich fand noch immer, dass mein Herrchen damals eine gute Wahl getroffen hatte.

Mein Blick war jetzt aus dem Fenster gerichtet, und ich beobachtete die Wolken dabei, wie sie in einem schnellen Tempo an unserem Balkon vorbeiflogen.

Ob sylter Wolken wohl besser schmeckten, als die Wolken an anderen Orten? Nachdenklich sah ich zu meinem Herrchen. Wie ich darauf gekommen war? Warum ich überhaupt darüber nachdachte, ob Wolken schmecken? Ich hatte keinen Schimmer, vermutete allerdings, dass es daran lag, dass ich inzwischen zu einem genauso hoffnungsvollen Träumer wie Ben geworden war.

„Sylter Wolken schmecken.“ Als wenn mein Herrchen mich verstanden hatte, kam prompt eine Antwort. Zufrieden rollte ich mich zusammen und schloss die Augen. Einmal mehr hatte das Leben mir bewiesen, wie besonders dieses WIR war.

Als meine braunen Schlappohren vorsichtige und leise Schritte vernahmen, wusste ich, dass sich auch in wenigen Sekunden das Sofa bewegen würde. Also, natürlich lediglich die Sitzkissen, da Ben sich neben mich setzen würde.

Okay, ich hatte es nicht nur ausschließlich an den Bewegungen erkannt. Mein ausgeprägtes Zeitgefühl für unsere Rituale, war ebenfalls daran schuld.

Es war jetzt die Zeit für meine Ohren. Jeden Abend gegen 20 Uhr wurde ich zur „Cremeschnitte“. Seit Wochen war es bereits so, da ich diese dusselige Ohrspitzenkrankheit hatte. Leider hatte ich sie, wie viele andere griechische Straßenhunde auch. Nachdem wir damals einige Tage dieses Ebenolzeugs benutzt hatten, wurden sie jetzt zum Glück nur noch mit Melkfett eingerieben. Allerdings störte es mich nicht mehr. Es gehörte zu meinem Leben dazu, und es gab durchaus schlimmere Dinge. Ja, die gab es allerdings. Viele musste ich in meiner Vergangenheit als Straßenhund erleben. Gegen all diese Sachen, war Ohren eingecremt zu bekommen, wie ein Leben auf dem Ponyhof.

Vielleicht sogar, wie reiten auf einem Einhorn. Ich amüsierte mich, da ich noch nie ein Einhorn gesehen hatte. Manchmal glaubte ich sogar, dass es gar keine gab. Allerdings hielt ich es wie Ben. Wenn man an etwas glaubt, wird man es irgendwann auch erleben. Außerdem war Träumen erlaubt.

Erst neulich hatte ich in meinem Traum ein rosafarbenes Einhorn getroffen. Ein niedliches Wesen war es, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass es in einem coolen blau auf mich zugekommen wäre.

Ach ja - die Ohren! Ich war schon wieder in meine Wunschwelt gerutscht und hatte dadurch vergessen, Ben meine Schlappohren zu präsentieren. Nein, es nervte mich wirklich nicht. Ganz im Gegenteil, es war ein cooles Ritual, da wir anschließend immer direkt in unsere Kuschelphase übergingen.

Mach schon. Wie lange soll ich die Lauschlappen denn noch so halten? Irgendwie war Ben abgelenkt.

„Gleich kleiner Mann. Sei mal kurz leise.“

Leise? Hast du 'nen Knall? Ich hab gar nix gesagt und zu denken wird ja wohl noch erlaubt sein.

„Gleich, Jake. Hör doch mal.“ Gebannt hatte Ben seinen Blick zum Fernseher gerichtet.

Tagesschau. Ja und? Ist mal wieder etwas Schlimmes passiert? Ach nö. Kein Krieg und kein Anschlag .Bitte nicht schon wieder. Auch wenn ich nicht immer alles kapierte, worüber in der Tagesschau berichtet wurde, hatte ich durchaus geschnallt, dass es viel zu viele Idioten auf der Welt gab.

„Hast du das gehört?“ Ben strahlte vor Freude.

Äh … Nein … Ich habe geträumt. Was ist passiert? Habe ich etwas Tolles verpasst? Es konnte nur was Schönes gewesen sein, da mir mein Herrchen ansonsten nicht dieses Dauergrinsen auf seinem Gesicht präsentieren würde.

„Das Wetter, Jake, wir bekommen Wetter.“

Was redest du denn für ein wirres Zeugs? Wir bekommen Wetter? Wir haben jeden Tag Wetter. Leider nur kein Schönes. Kopfschüttelnd sah ich zu meinem Herrchen.

„Ab morgen wird es gut. Der Frühling kommt. 18 Grad haben sie angesagt und dazu noch strahlenden Sonnenschein.“

Und das glaubst du denen? Schau mal raus, du naives Kerlchen. Es weht wie verrückt und der Himmel ist voller schwarzer Wolken. Okay, es ist auch schon dunkel draußen. Aber Wolken sind dort trotzdem reichlich. Noch immer kopfschüttelnd, amüsierte ich mich darüber, dass Ben den Wetterfuzzis auch heute wieder vertraute.


Einbrecher?

Verschlafen war mein Blick. Allerdings nicht so verschlafen, dass ich Ben in seinem Bett hätte übersehen können.

Hey. Wo bist du denn? Für einen Toilettengang war mein Herrchen schon viel zu lange weg. Ich hatte ihn zwar nicht aus dem Bett steigen sehen, wartete nun aber inzwischen seit fast drei Minuten darauf, dass er wieder hineinhüpfen würde.

Oder bin ich einfach zu schlaftrunken? Meine Neugier hatte inzwischen meine Müdigkeit besiegt. Mühevoll quälte ich mich von meinem Kissen hoch, streckte mich kurz und stieg anschließend mit meinen Vorderpfoten auf das Bett.

Wusste ich es doch. Das Bett ist leer. Wo ist denn der Kerl? Er wird ja wohl hoffentlich nicht ohne mich die Wohnung verlassen haben. Noch immer hasste ich es, alleine sein zu müssen. Zum Glück musste ich es nur äußerst selten, da mein Herrchen von Zuhause aus seine Arbeit verrichten konnte. Auch wenn ich mir eigentlich sicher war, dass Ben nicht gegangen wäre, ohne sich von mir zu verabschieden, kroch ein wenig Angst in mir auf.

Würde Ben unter der Dusche stehen, hätte ich den Wasserstrahl längst vernommen. Trotzdem machte ich mich auf den Weg ins Bad, wo meine Vermutung bestätigt wurde. Leer war es. Also nicht komplett leer, aber zumindest von meinem Menschen war nichts zu sehen.

Scheiße. Ben … Hey … Wo bist du? Mach keine Witze mit mir. Ich habe Angst. Sag was! Ich habe keine Lust, irgendein blödes Versteckspiel zu spielen.

Leider bekam ich keine Antwort. In unserer Wohnung herrschte Stille. Leider keine angenehme, sondern eine beängstigende Stille, die mir einen unangenehmen Schauer bescherte.

Dann erkannte ich die offenstehende Balkontür.

Einbrecher. Ja, ganz bestimmt hatten sich böse Menschen, vielleicht sogar Räuber, in unsere Wohnung geschlichen! Zu meiner Angst, mischte sich ein schlechtes Gewissen. Immerhin war ich ein Hund und hatte nichts davon mitbekommen. Es war meine Schuld, dass irgendwelche Verbrecher hier eingedrungen waren. Ja, es lag an mir, dass mein Herrchen von diesen Menschen entführt wurde.

Und nun? Was mache ich jetzt? Dass ich Ben aus den Klauen der Verbrecher befreien musste, war mir natürlich bewusst. Eine Idee, wie ich es anstellen konnte, hatte ich leider noch nicht.

Vielleicht hilft es, wenn ich mich hinsetzte? Eventuell muss ich mich dabei auch noch am Kinn kratzen? Ben tat es auch immer. Zumindest immer dann, wenn er an einem Buch schrieb und neue Einfälle brauchte.

Schnell setzte ich mich auf den Fußboden und versuchte, meine Beine zu sortieren. Es war gar nicht so leicht, mit einer der Pfoten an das Kinn zu gelangen.

Mit nur zwei Händen, ist es bestimmt viel einfacher. Da muss man nicht so viel sortieren, sich nicht so konzentrieren. Ihr Menschen habt es echt in vielen Dingen sehr viel einfacher als wir Vierbeiner. Noch immer war es mir nicht gelungen, das Kinn zu erreichen. Dafür ärgerte ich mich inzwischen über mich selbst. Darüber, dass ich zu blöd war, mich am Kinn zu kratzen. Allerdings noch viel mehr darüber, dass ich noch immer keine Idee hatte, wie ich Ben befreien konnte.

Plötzlich juckte mein Kinn und ich stand auf, um mich mit meinem linken Hinterbein, besser gesagt mit der Pfote, an der juckenden Stelle zu kratzen. In meiner sitzenden Haltung ging es nicht. Ein Automatismus hatte für das Aufstehen gesorgt. Ebenso, wie er dafür gesorgt hatte, dass ich mich mit dem Kratzen erleichtern konnte.

Nachdem ich mir die Erleichterung verschafft hatte, setzte ich mich beruhigt hin. Immerhin hatte ich eine Aufgabe zu erledigen. Ich musste meinem eigentlichen Plan nachgehen.

Was wollte ich tun? Tatsächlich musste ich kurz darüber nachdenken, was ich gerade machen wollte.

Ach ja. Ich wollte mich am Kinn kratzen und so auf eine Idee kommen, wie ich mein Herrchen befreien kann. Ich wollte es genau wie Ben machen, da auch er … Ich stoppte meinen Gedanken. Allerdings nur kurz.

Manchmal bin ich echt ein Depp! Hatte ich mich nicht eben am Kinn gekratzt? Klar hatte ich. Leider war mir dabei nur keine Idee gekommen.

Bestimmt liegt es daran, dass ich beim Kratzen abgelenkt war. Schnell stellte ich mich wieder hin und versuchte, meine Hinterbeine erneut so zu sortieren, dass ich mit einem von ihnen an mein Kinn herankam.

So müsste es funktionieren! Meine Pfote hatte meinen Kopf noch nicht ganz erreicht, als ich eine Idee hatte. Eine Idee? Nein! Die Idee schlechthin.

Mit meiner schwarzen Lakitzhundenase wollte ich die Witterung aufnehmen. Sonst konnte ich auch alles erschnuppern. Ganz bestimmt würde es auch bei der von den Einbrechern hinterlassenen Spur gelingen.

Ich muss auf zum Balkon. Dort werde ich die Fährte aufnehmen, und dann werden die bösen Menschen ihr blaues Wunder erleben. Aber nicht nur das. Dann werde ich Ben aus den Klauen der Bosheit befreien. Schon machte ich die ersten Schritte und Sekundenbruchteile später, hatte ich die Balkontür erreicht.

Okay, die letzten Schritte waren etwas langsamer als mein Anfangstempo. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass noch jemand auf dem Balkon war. Erkennen konnte ich nichts, was aber ausschließlich daran lag, dass die Jalousien geschlossen und die Tür, lediglich einen Spalt geöffnet war.

Ich musste vorsichtig sein. Daher machte ich mich ganz klein und kroch auf allen Vieren über den Boden. Wie eine Raubkatze während der Jagd tat ich es. So, wie ich es neulich im Fernsehen gesehen hatte.

Plötzlich hörte ich leise Geräusche. Tatsächlich, da war jemand auf dem Balkon! Wahrscheinlich waren die Räuber in diesem Moment dabei, sich von unserem Balkon abzuseilen. Ben war bei ihnen. Ja, er war ihr Gefangener. Woher ich es wusste?

Ganz einfach - meine Lakritznase hatte ihn gewittert.

Inzwischen lag ich direkt vor dem Türspalt. Ein Zurück konnte und durfte es nicht mehr geben. Heute würde ich zum Helden werden. Ja, gleich konnte ich alles zurückgeben, was mein Herrchen für mich getan hatte. Er hatte mich damals gerettet, und jetzt würde ich sein Leben retten!

Ich komme. Ihr habt keine Chance. Sprungbereit saß ich vor dem Spalt der Tür und war dabei, meinen gesamten Mut zusammenzunehmen.


Gerettet!

Lang und gestreckt flog ich durch den Türspalt hindurch. Graziös wie ein Raubtier auf der Jagd. Wie ein Leopard, der sich zunächst an seine Beute herangeschlichen hat, der kurz verharrte und nun zum entscheidenden Sprung ansetzt.

Ich sprang ins Licht hinein und es fühlte sich großartig an. Gleich würde ich mein Herrchen retten. Ihn aus den Händen der bösen Menschen befreien. Mit jedem Zentimeter meines Satzes, der mich weiter aus der Wohnung und auf den Balkon hinaus führte, wurde es heller. Ich verließ die dunkle Wohnung und sprang hinaus auf den Balkon. Dorthin, wo ich gebraucht wurde. Meine Landung würde gleich an dem Ort stattfinden, wo ich einige Sekunden später zum Helden werden würde. Nur zum Helden? Nein, Superman war zukünftig ein Schiss gegen mich. Ich würde zum Inselhelden aufsteigen. Aus einem Inselhund, würde DER Inselhund werden. Alle würden über mich sprechen. Noch Generationen später würden die Menschen darüber reden, wie Jake sein Herrchen gerettet hatte. Nein, nicht einfach nur gerettet. Befreit war passender. Befreit aus den Fängen einer Gangster-Gang.

Dann war es plötzlich ganz hell. Ich hatte den Balkon erreicht und konnte zur Landung ansetzen. Viel Auswahl dafür gab es nicht, da unser Balkon zwar nicht klein, allerdings auch nicht riesengroß war. Ich entschied mich für die Fußmatte, die mit einem Leuchtturm und „Moin Moin“ verziert war.

Meine Vorderpfoten hatten den ausgewählten Landeplatz bereits getroffen und ich war dabei, nun auch meine hinteren Beine darauf zu platzieren. Leicht war es nicht, trotzdem bekam ich es hin.

Leider, da dieses blöde Teil im selben Augenblick damit begann zu rutschen. Also nicht nur die Fußmatte rutschte. Ich ebenfalls, da ich mich auf ihr befand und mit meiner Landung auf ihr, für die Rutschaktion verantwortlich war.

Nein … Stopp … Ich will nicht … Autsch! Bis gegen die Balkonverkleidung war ich auf der Fußmatte, die sich in eine Art fliegenden Teppich verwandelt hatte, gerutscht.

Mist! Manno, wie dämlich bin ich eigentlich? Ich brauchte einen Moment um mich zu sortieren.

Hm … Zum Glück tut mir nichts doll weh. Erleichtert lag ich auf der Matte und begann mich zu schlecken. Eine meiner Vorderpfoten hatte ich bereits gründlich gereinigt, als mir wieder bewusst wurde, weshalb ich mich überhaupt auf dem Balkon befand.

Ben! Einbrecher … Die Räuber … Scheiße, die Gangster-Gang! Schnell sprang ich auf und drehte mich in Windeseile um die eigene Achse. Ich hatte einen Auftrag. Ben musste gerettet werden. Gerettet aus den Klauen der Bösewichte.

Nach einem kurzen Schütteln war ich endgültig bereit.

„Na, Kleiner. Bist du auch endlich wach? Übrigens, dein Auftritt war echt cool.“ Grinsend wurde ich betrachtet.

Mein Blick hing an meinem Herrchen. Wie konnte er in einer solchen Situation so cool bleiben? Ben hatte keinen ängstlichen Gesichtsausdruck. Nein, das Gegenteil war der Fall. Locker und lässig stand er auf dem Balkon und hielt einen Kaffeebecher in der Hand.

Habe ich die Idioten verscheucht? Sag schon, hattest du große Angst? Was haben sie dir getan? Mensch Ben, ich bin froh, dass die jetzt weg sind.

Stolz drehte ich mich und legte meine Vorderpfoten auf das Balkongeländer. Ich machte mich ganz lang, damit ich über die Balustrade hinweg sehen konnte. Dort unten mussten die Gangster irgendwo laufen. Weit weg konnten sie noch nicht sein, immerhin hatte ich meinen heldenhaften Auftritt gerade erst abgeliefert.

Leider war ich zu klein. Was ja nichts Schlimmes war. Auch kleine Lebewesen konnten mutig sein und Großes erreichen. Dass es so war, hatte ich eben erst bewiesen.

„Komm mal zu mir.“ Ben hockte sich auf dem Boden und breitete seine Hände aus.

Gerne. Schon machte ich mich auf den Weg. Auch wenn ich mein Herrchen selbstverständlich auch ohne Belohnung gerettet hätte, freute ich mich auf ein tolles Leckerchen.

„Sag mal, Jake, ist alles okay bei dir? Hast du dich eben in der Wohnung erschreckt? Hattest du Angst, weil ich dich einfach alleine gelassen habe? Sag mir, was los war.“ Entschuldigend, fast etwas flehend, sah Ben mich an.

Hä? Stand mein Herrchen etwa noch unter Schock? Hatte er das eben erlebte noch nicht verarbeitet? Zugegeben, es war noch nicht lange her. Allerdings war ich echt über die merkwürdigen Fragen von Ben erstaunt.

Komm doch erstmal wieder zu dir. Anschließend reden wir weiter. Vielleicht solltest du dich setzen und ganz in Ruhe, vielleicht bei einem Kaffee, deinen Schock verarbeiten. Ja, das hörte sich nach einem guten Plan an. Mein armes Herrchen war noch ganz durcheinander. Da musste ich ihm einfach die notwendige Zeit geben.

Nachdem Ben sich einen frischen Kaffee gekocht hatte, kam er wieder auf den Balkon. Ich hatte hier auf ihn gewartet und es mir auf der Fußmatte gemütlich gemacht. Ja, ich lag auf dem Teil, dass ich eben noch als fliegenden Teppich benutzt hatte.

„Rutsch mal ein Stückchen, dann muss ich nicht auf dem kalten Boden sitzen.“ Schnell folgte ich Bens Wunsch, und schon saßen wir einträchtig nebeneinander. Unsere Blicke waren in Richtung Himmel gelenkt und ich war mir ziemlich sicher, dass wir den gleichen Gedanken nachgingen.

Genau wie meine, waren ganz bestimmt auch Bens Gedanken, bei den Einbrechern. Auch er machte sich in diesem Moment mit ziemlicher Gewissheit Gedanken über den heutigen Morgen. Auch wenn sein Blick es nicht verriet, war sein Kopf bestimmt voller Dankbarkeit. Es konnte nur so sein, da ich ihn mit meinem halsbrecherischen Einsatz das Leben gerettet hatte.

Dann begann Ben, meinen Nacken zu kraulen. Direkt hinter den Ohren tat er es. Genau an der Stelle, an der ich es so liebte. Ja, mein Herrchen kannte mich ganz genau.

„Weißt du, Jake …“

Sprich nicht weiter Ben. Ich weiß, du bist mir unendlich dankbar und du hast keine Ahnung, wie du es wieder gut machen kannst. Noch nie im Leben hat jemand so was für dich getan, und du wirst mich immer dafür lieben. Du hast mich schon immer geliebt. Aber jetzt ist dieses imaginäre Band noch dicker geworden.

Vergiss den Gedanken, dass du mir auf immer und ewig etwas schuldig bist. Ich weiß, dass du das Gleiche auch für mich getan hättest. Ach Ben, dieser Morgen hat uns noch weiter zusammengeschweißt und ich … erst jetzt sprach mein Herrchen weiter. Allem Anschein nach, hatte ich ihn gar nicht unterbrochen. Nein, er hatte lediglich eine Gedankenpause gemacht.

„… dieser Morgen war einer der Schönsten seit einer gefühlten Ewigkeit. Also, nicht falsch verstehen. Die Zeit mit dir ist traumhaft. Aber endlich ist es wieder warm. Die Sonne scheint und die Temperaturen sind jetzt schon angenehm. Ich konnte vorhin einfach nicht anders. Ich musste mich aus dem Bett schleichen, mir einen Kaffee kochen und mir den Sonnenaufgang vom Balkon aus ansehen. Falls ich dir damit einen Schrecken eingejagt habe, tut es mir leid. Das wollte ich natürlich nicht.“

Stopp … Wie war das im Mittelteil? Du hast was? Und die Einbrecher? Was war mit der Gangster-Gang? War das etwa alles gar nicht so?

Sprachlos und irritiert sah ich meinen Menschen an.


Kaffee und Hühnchensticks

„Wenn morgen auch solch tolles Wetter ist, wecke ich dich Schnarchnase aber. Du hättest den Sonnenaufgang sehen sollen. Ich sage dir, der war der Wahnsinn.“

Keine Einbrecher? Bist du nicht in Gefahr gewesen und ich war kein Retter? Enttäuscht sah ich zu Ben.

„Ich mache mir morgen einen Kaffee und du bekommst einen Hühnchenstick. So werden wir zusammen den morgigen Tag begrüßen. Abgemacht?“

Ja abgemacht. Auch wenn ich mich schon jetzt darauf freute, war meine Enttäuschung noch immer nicht verschwunden. Ich hatte mich selbst zum Deppen degradierte. Hatte mir einen Stempel verpasst, auf dem „Depp des Tages“ stand. Zum Glück hatte Ben es nicht mitbekommen. Er war noch immer der Meinung, dass ich einfach auf dieser dämlichen Fußmatte ausgerutscht war. Ich entschied mich, es dabei zu belassen. Zumindest für heute, da ich mir sicher war, dass ich es ihm irgendwann erzählen würde. Klar würde ich es tun. Es gab keinen Grund, dass wir Geheimnisse vor einander hatten.

Aber noch nicht heute.

„Was hast du gesagt?“ Ben sah mich an.

Ich? Nichts …

„Du willst bestimmt zum Strand. Habe ich recht?“

Genau. Zum Strand ist gut, da komme ich bestimmt auf andere Gedanken.

Stolz trug ich meinen coolen blauen Männerball. Er hatte genau die richtige Größe und so hielt ich ihn zwischen meinen Zähnen geklemmt und lief neben meinem Herrchen her.

Ups … Stopp! Warte mal … Ich versuchte stehen zu bleiben, da mir der Ball aus meiner kleinen Hundeschnauze geflutscht war. Nein, er war nicht weg. Deutlich konnte ich erkennen wo er lag. Leider hatte ich nur keine Chance ihn zu holen, da ich an der Leine hing und Ben an der Selbigen zog.

„Was ist denn? Ich denke wir wollen an den Strand. Du hast doch extra deinen Ball mitgenommen. Mach schon.“

Witzvogel. Dreh dich doch einfach um. Bestimmt wirst du dann erkennen, wo der Fehler in deinem Satz zu finden ist. Erneut blieb ich stehen, und zum Glück tat es mein Herrchen jetzt auch.

„Also, was ist? Musst du zum vierten Mal pinkeln?“ Ein höhnisches Lachen hatte sich zu Bens Worten gesellt.

Fällt dir nichts auf? Du bist echt ein Blindfisch! Fragend sah ich zu meinem Menschen und wartete darauf, dass bei ihm der Groschen fiel. So schwierig konnte es eigentlich nicht sein. Einerseits war der Ball deutlich ein paar Meter entfernt von mir zu erkennen und andererseits, sah Ben mir gerade direkt ins Gesicht. Spätestens dabei hätte ihm der fehlende Ball auffallen müssen. Immerhin hatte er eben noch selbst von dem coolen Teil gesprochen. Hatte gesagt, dass wir mit ihm am Strand spielen wollen.

„Und?“ Noch war der Groschen also nicht gefallen, was jetzt bei mir für ein höhnisches Grinsen sorgte.

Ich vermute, dass sogar du es gleich schnallen wirst. Gespannt wartete ich. Dann kam Ben auf mich zu. Lächelnd tat er es und ich glaubte tatsächlich, dass wir jetzt gemeinsam zum Ball gehen würden

„Du möchtest bestimmt ein Leckerchen. Klar willst du! Ganz bestimmt hast du längst erschnuppert, dass ich was Feines in der Hosentasche habe.“ Stolz wie Oskar kam mein Herrchen näher und hockte sich vor mich hin.

Echt? Hast du? Cool! Aber mal ganz ehrlich, mein Bester. Wie sollte ich mit einem Ball zwischen den Zähnen, ein Leckerli futtern? Überlege noch mal kurz. Vielleicht kommst du dann darauf, warum ich hier stehe. Wobei … So ein Leckerli wäre schon 'ne geile Sache. Ich zuckte mit den Schultern. Warum sollte ich auf eine coole Nascheinheit verzichten? Der Ball würde schließlich auch in einer Minute noch auf seinem Platz liegen und auf uns warten.

„Ich kenne dich echt gut, mein Kleiner. Du bist mir schon ein Räuber und weiß genau, wie du an deine Leckerlis kommst.“

Du hast es echt noch immer nicht gecheckt. Macht aber nichts, ich erkläre es dir gleich. Direkt, nachdem du mir das lecker duftende Teil gegeben hast.

Ja, auch ich konnte manchmal fies sein. Aber Dummheit gehörte bestraft.

„Was grinst du so frech?“, fragte Ben augenzwinkernd. Hatte er mich etwa durchschaut? Nein. Ganz bestimmt nicht. Warum hätte er dann zwinkern sollen?

Das duftende Teil befand sich bereits direkt vor meiner schwarzen Lakritznase, als es plötzlich weggezogen wurde.

Hey! Was soll das denn? Gib her. Erst leckerfutzig machen und dann wieder einpacken gilt nicht.

„Dein Ball. Du hast deinen Ball verloren.“

Ich weiß. Was glaubst du, weshalb wir hier stehen. Aber schön, dass du es auch endlich geschnallt hast. Und nun gib mir das lecke Teilchen.

„Bälle kosten Geld. Du musst besser auf deine Sachen aufpassen. Entweder trägst du ihn richtig zum Strand, oder du musst es mir überlassen.“

Bist du bewölkt? Der Ball ist mir aus der Schnauze gerutscht. Das kann ja wohl mal passieren. Oder ist dir noch nie etwas aus den Händen gerutscht? Du hast wohl schon den Kaffeefleck auf deinem Bettlaken vergessen. Gleiches Recht für alle. Oder werden Vierbeiner hier anders bewertet?

Mist, ich musste mich zügeln. Allerdings fühlte ich mich total ungerecht behandelt. Immerhin wollte ich die ganze Zeit nichts anderes, als den Ball wieder aufsammeln.

„Merke dir also, dass du besser auf deinen Ball aufpassen musst.“ Mit erhobenen Zeigefinger, hatte Ben seine Worte gesagt und ich hoffte, dass diese überflüssige Predigt endlich beendet war.

Blöder Spießer!

„Was, hast du gerade gedacht?“ Ben war inzwischen aufgestanden und sah mich fragend an.

Ich? Nichts. Mist, hatte mein Herrchen mich etwa verstanden?

Und wenn schon! Es war mir egal, so spießig hatte ich mein Herrchen schließlich bisher noch nie erlebt.

„Hier, kleiner Mann.“ Ben hielt mir das Leckerchen vor die Nase und zog es auch nicht wieder weg. Selbstverständlich hatte ich die kleine Schluckimpfung schnell verhaftet und freute mich darüber, noch eine Zweite bekommen.

„Tut mir leid, Kleiner. Da habe ich wohl irgendwie überreagiert. Nimm es mir nicht übel. Ich bin auch nur ein Mensch.“

Und ich nur ein Hund. Wir lachten und machten uns gemeinsam auf den Weg zum Ball.

Mit meinem coolen blauen Ball in der Schnauze und meinem besten Freund an meiner Seite, erreichte ich kurze Zeit später den Strand.


Lieblingsmensch

Nun wirf schon … Los mach, dafür haben den Ball doch mitgenommen. Aufgeregt und voller Vorfreude saß ich neben meinem Herrchen, der das blaue Teil in der Hand hielt.

Nun mach! Leider zeigte Ben noch immer keine Aktion. Das Gegenteil war der Fall. Fast regungslos stand er einfach nur da. Sogar sein Blick war starr. Seine Augen bewegten sich nicht. Sie waren stur auf das Meer gerichtet und nahmen nichts anderes wahr.

Ist alles gut? Muss ich mir Sorgen machen? Irgendwie konnte ich diesen Moment nicht bewerten. Nein, ich konnte ihn nicht bewerten, da ich meinen Lieblingsmenschen so noch nicht erlebt hatte.

Sprich mit mir. Sag was. Meinetwegen darfst du auch wieder darüber meckern, dass ich vorhin den Ball verloren habe. Auch wenn Bens Meckereinlage vorhin total überzogen war, hätte ich mich jetzt über eine solche gefreut. Gefreut? Nein, nicht wirklich gefreut, aber es wäre mir lieber gewesen als diese Stille, dieses regungslose Schweigen.

Ben! Mach schon. Was ist los? Kannst du mir erklären … Ich unterbrach mich selbst. Erschrocken sah ich mein Herrchen an.

Weinst du? Klar tust du das. Warum?

Eine ganze Weile standen wir einfach so da. Während mein Lieblingsmensch auf das Meer blickte und immer mehr Tränen aus seinen Augen kullerten, sah ich ihn überfordert an.

„Glitzerwasser.“ Nur dieses eine Wort drang in meine braunen Schlappohren.

Was? Klar hätte ich durchaus mehr sagen können. Eine vernünftige Frage hätte mehr Interesse bekundet. Das Problem war allerdings: Obwohl ich großes Interesse hatte, war ich in diesem Augenblick überfordert. Zum Glück rettete mich Ben.

„Mein Vater hat das Meer geliebt. Er war so gerne hier am Strand und hat, von seinem Strandkorb aus, einfach nur auf die Nordsee geschaut. Am liebsten tat er es, wenn das Licht so wie heute war. Wenn das Meer sich im Sonnenlicht spiegelte. Wenn es war wie jetzt.“

Ben hielt inne und ich tat es auch. Was hätte ich auch sagen sollen? Selbst wenn ich den Vater meines Herrchens nie kennengelernt hatte, wusste ich jetzt, dass auch er ein toller Mensch gewesen sein musste. Ja, er musste es gewesen sein, da mir anhand von Bens Worten klar wurde, dass sein Papa nicht mehr lebte.

„Noch vor einigen Jahren haben wir uns zusammen das Glitzerwasser angesehen. Nebeneinander haben wir dabei im Strandkorb gesessen und geschwiegen. Wir brauchten keine Worte. Der Moment war immer so groß, dass die richtigen Worte für ihn erst noch erfunden werden mussten. Weißt du wie ich es meine?“ Ohne mich anzusehen, hatte Ben mir diese Frage gestellt.

Ich wusste es. Trotzdem gab ich erneut keine Antwort. Zumindest keine, die mit Worten in Verbindung stand. Stattdessen rutschte ich noch näher an ihn heran. Ich setzte mich direkt vor Ben und zwar so, dass mein Rücken seine Beine berührte und ich auf seinen Schuhen saß. Näher ging es nicht.

Minuten lang verharrten wir so und sahen gemeinsam auf das Meer. Auf die raue Nordsee, die heute ruhig und liebevoll vor uns lag. Auf das Wasser, dass heute glitzerte und ein besonderes Farbenspiel präsentierte.

Erneut war es Ben, der unser Schweigen durchbrach. Wieder tat er es, ohne dabei seinen Blick von der glitzernden Nordsee abzuwenden.

„Weißt du, Jake, heute hätte mein Papa Geburtstag gehabt …“ Traurig und leise kamen die Worte über seine Lippen.

Wie alt wäre dein … Weiter kam ich nicht.

„Leider ist mein Vater viel zu früh gestorben. Sechs Jahre ist es schon her. Heute wäre er Achtzig geworden. Ich freue mich allerdings, dass das Meer ihm zu seinem Ehrentag dieses wunderschöne Geschenk bereitet.“ Das ich Bens Worte hören konnte, hatte ich ausschließlich meinen guten Ohren zu verdanken und ich war glücklich darüber, diese Worte nicht verpasst zu haben.

„Mein Vater hatte damals häufig Tränen in seinen Augen. Er war immer wieder überwältigt von diesem Anblick und konnte sich daran nicht satt sehen.“

So wie du.

„Mir geht es aber ganz genauso. Ich bin halt Vaters Sohn.“ Ein Lächeln lag auf Bens Lippen.

Erst eine Stunde später hatten wir den Strand verlassen. Längst waren wir auf der Promenade angekommen und auch schon ein Stück gegangen.

Dann blieben wir stehen. Nein, nicht mitten auf der Promenade, sondern am Rand und beobachteten die Urlauber, die dieses fantastische Wetter genossen. Alle waren gut drauf und strahlten mit dem Wetter um die Wette. Dann drehten wir uns um.

Während mein Herrchen seine Ellenbogen oben auf das weiße Geländer lehnte, stellte ich meine Vorderpfoten eine Etage tiefer ab. Ich legte sie auf die Zwischenstrebe des Geländers, das für mich fast wie ein Zaun aussah.

Mit dem Ball hatten wir nicht gespielt. Allerdings empfand ich es nicht als schlimm. Heute war der Ehrentag von Bens Papa und der hatte definitiv Vorrang. Ich hatte vollstes Verständnis dafür, wusste allerdings auch genau, dass aufgeschoben, nicht aufgehoben war.

Spätestens morgen, vielleicht sogar bereits nachher, würden wir am Strand toben.

„Komm, mein Kleiner, lass uns nach Hause gehen. Du hast bestimmt Hunger.“ Liebevoll sah mich mein Herrchen an. Eine ganze Weile tat er es und ich muss gestehen, dass mir dabei warm um mein kleines Hundeherz wurde.

„Das mit vorhin tut mir leid. Wirklich, Jake, es war ziemlich blöd von mir, wegen dem verlorenen Ball auf dem Parkplatz zu schimpfen.“

Mach dir einen Kopf. Jetzt weiß ich ja, warum du so drauf gewesen bist.

Ja, es war echt scheißegal. Wichtig war einzig und allein, dass es Ben an diesem bewegenden Tag gut ging.

Dann machten wir uns auf den Weg.

Nach einigen Schritten blieb ich stehen und drehte mich um. Da ich an der Leine war, musste auch Ben stehenbleiben.

Ich musste einfach nochmals auf das Meer schauen. Auf die Nordsee, die Bens Papa zu seinem Ehrentag Glitzerwasser geschenkt hatte.

Gemeinsam sogen wir den Anblick ein weiteres Mal auf. Wie lange wir es taten? Keine Ahnung. Es können zwei Minuten, aber auch zwei Stunden gewesen sein.

Ganz ehrlich, es war vollkommen unwichtig!


Auf und davon

Seit einer Woche hatten wir traumhaftes Wetter. Tatsächlich hatte Ben recht gehabt, als er mir neulich erzählt hatte, dass es im März schon häufig ziemlich warm auf Sylt war.

Ich genoss es total und war gestern sogar, zum ersten Mal freiwillig, mit meinen Vorderpfoten im Wasser der Nordsee gewesen. Arschkalt war es und so sehr ich das Meer auch mochte, machten mir die Wellen Angst. Stundenlang konnte ich die Nordsee und ihr Wellenspiel beobachten. Allerdings lieber mit etwas Abstand. Schon die kleinsten Wellen, die den Strand erreichten, empfand ich als unheimlich.

Irgendwann werde ich mich bestimmt an euch gewöhnen. Grinsend sprach ich zu den kleinen Wellen, die eigentlich eher Wellchen waren. Ich lief neben Ben am Strand entlang und wartete darauf, dass mein Herrchen endlich in seine hintere Hosentasche griff. Dort befand sich unser Ball und mir war bereits die ganze Zeit danach, endlich hinter meinem Spielzeug herlaufen zu dürfen.

„Mist. Sag mal, Jake, hast du deinen Ball gar nicht mitgenommen?“ Abrupt war mein Herrchen stehengeblieben und sah mich an.

Hä? Der ist doch in deiner Hosentasche. Du hast doch gerade erst gefühlt, ob er noch da ist. Wollte Ben witzig sein, oder hatte er es tatsächlich vergessen?

„Du musst doch an dein Spielzeug denken. Wie sollen wir sonst am Strand toben.“ Erneut ging Bens Hand zu der Hosentasche, wo sich mein cooler Ball befand.

Hab es kapiert. Du willst witzig sein. Sorry, Ben, du bist es aber nicht.

„Wollen wir zurück zur Wohnung gehen und den Ball holen?“ Inzwischen lag auch noch ein selten blödes Grinsen auf seinem Gesicht.

Nein, wollen wir nicht. Wir wollen gar nichts. Aber du willst hoffentlich mit deinen blödsinnigen Witzen aufhören und den Ball aus der Büx nehmen.

Echt, solch platte Witze war ich von meinem Herrchen wirklich nicht gewöhnt.

Noch eine ganze Weile versuchte mich mein Herrchen zu veräppeln. Dass ich nicht darauf einging, schien ihn dabei recht wenig zu interessieren. Ben fand sich lustig. Ich allerdings empfand den Clown, den er wohl heimlich gefrühstückt hatte, schon sehr gewöhnungsbedürftig. Um ehrlich zu sein, hoffte ich sehr, dass er einen solchen Zirkusangestellten nicht wieder essen würde. Nein, es war keinesfalls lustig, sondern lediglich nervig. Extrem nervig sogar, und wenn er nicht gleich aufhören würde, war ich mir sicher, mich einfach umzudrehen und zu verschwinden.

„Ach, Jaki, dass mit dem Ball tut mir echt total leid. So gerne hätte ich mit dir gespielt. Aber auch kleine süße Hunde mit großen braunen Schlappohren, müssen lernen, an ihre Sachen zu denken.“

Und Herrchen müssen lernen, dass einige Witze einfach flach wie 'ne Flunder sind. Oder muss 'ich flach wie eine Scholle' sagen? Merk es doch endlich. Du nervst!

„Mein Jaki hat keinen Ball dabei und das ist ihm nicht einerlei. Der keine Hund nicht toben kann, dass tut mir leid, oh Mann, oh Mann …“ Ob der bedepperte Reim noch weiter ging? Ich wusste ich nicht. Längst hatte ich mich umgedreht und meinen Plan in die Tat umgesetzt. Ben sah mich nur noch von hinten, da ich mich auf den Rückweg gemacht hatte.

„Hol den Ball!“ Drei Worte hatten dafür gesorgt, dass ich mich wieder zu meinem Herrchen umdrehte und wie ein geölter Blitz hinter dem runden Ding her lief. Endlich durfte ich sprinten und konnte mich auspowern.

Mit dem Ball in der Schnauze lief ich zu meinem Herrchen und legte ihn direkt vor seinen Füßen ab.

„Da hast du wohl nicht mit gerechnet, oder? Sei ehrlich, du hast gedacht, dass wir nicht mit dem Ball spielen können.“

Ich habe gedacht, dass der Spuk jetzt vorbei ist und du aufhörst solch dusseliges Zeugs zu reden. Wirf den Ball und lass uns Spaß haben.

Brav saß ich vor Ben, war allerdings in Habachtstellung.

„Nächstes Mal trägst du den Ball.“ Tatsächlich schaffte mein Herrchen es nicht, dieses alberne Thema, dass langsam zu einer schlechten Komödie wurde, zu beenden. Ich war bereits kurz davor, wieder die Szenerie zu verlassen, als mein cooler Männerball endlich erneut über den Strand geschleudert wurde.

Zum Glück ohne weitere alberne Worte. Endlich spielten wir und hatten Spaß.

„Jetzt kommt der Mega-Monster-Wurf!“ Ben nahm Anlauf und warf den Ball mit einem lauten Schrei an der Wasserkante entlang. Ich sprintete und hatte dabei mit einem Auge den Ball im Blick.

Gleich … Da muss er landen … Gleich habe ich dich!

Der Ball setzte endlich zur Landung an und ich freute mich darauf ihn zu fangen.

Da wir Ebbe hatten, konnte der Ball springen, und das tat er auch. Nach dem ersten Aufprall verpasste ich ihn knapp. Genaueres Zielen war also angesagt und so kniff ich ein Auge etwas zu, um den Ball besser ins Visier zu nehmen.

Jetzt habe ich dich! Ich sprang erneut und …

Leider verfehlte ich den Ball erneut. Er hatte durch eine Muschel eine andere Richtung eingeschlagen. Leider eine Richtung, die ziemlich beschissen war.

Er landete im Meer und war ein ganzes Stück von mir entfernt.

Klar hätte ich ihn noch bekommen können. Allerdings waren kleine Wellen auf dem Weg zum Strand. Zwar nur welche, für die das Wort „klein“ noch geprahlt war. Trotzdem hatte ich Respekt und traute mich nicht in das Wasser. Auch in das Wasser hörte sich maßlos übertrieben an. Meine Pfoten wären höchstens einen halben Zentimeter tief im Wasser gewesen. Doch ich schaffte es nicht, mich zu überwinden.

„Los, Jake, schnapp dir den Ball. Mach, sonst ist er gleich weg.“

Weg? Warum sollte er gleich weg sein? Meinst du eine Robbe holt ihn sich, um damit zu spielen? Ich sah zu Ben und lachte mich schlapp. Ebenso amüsierte ich mich darüber, dass mein Herrchen im schnellen Tempo auf mich zugerast kam.

„Nimm … Los, Jake … Der Ball … Sonst …“ Ben war inzwischen bei mir angekommen und sah fast etwas traurig auf die Nordsee hinaus. Also, nicht wirklich weit hinaus. Aber ich erkannte, dass sein Blick nicht direkt auf das Ufer gerichtet war.

Doch eine Robbe? Immerhin sollte es hier welche geben. Ich hatte zwar noch keine gesehen, allerdings schon davon gehört.

Da ist doch gar nichts. Warum bist du so aufgeregt? Ich verstand mein Herrchen nicht. Erst nach einem weiteren Blick erkannte ich, was passiert war.

Mein Ball. Mein cooler blauer Männerball! Ben, mach was. Rette ihn. Bitte!

Tatsächlich hatte das Meer meinen Ball mitgenommen. Er war zum Spielball der Gezeiten geworden. Nur ganz kurz grinste ich über das Wort „Spielball“. Dann siegte meine Traurigkeit.

„Die Strömung … Heute bei dieser Strömung muss man … Muss man aufpassen. Die ist … gefährlich.“ Aus der Puste und mit den Händen in die Hüften gestützt, stand Ben neben mir. Er hatte einen Sprint eingelegt um meinen Ball zu retten. Leider vergebens.

Ist mein Ball jetzt weg? Traurig sah ich zu meinem Herrchen.

„Denn werden wir nicht wieder sehen.“ Komm, Kleiner, lass uns ein Stückchen gehen. Wenn du magst, kaufen wir nachher einen neuen Ball.“

Ich will keinen anderen!

Traurig und trotzig, stiefelte ich hinter Ben her.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752136173
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Hund Hundeglück Westerland Sylt Syltliebe Urlaub Liebe Strand Insel Roman Abenteuer Horror

Autor

  • Ben Bertram (Autor:in)

Ben Bertram lebt in Schleswig-Holstein, und Sylt ist längst zu seiner zweiten Heimat geworden. Genau deshalb spielen die meisten seiner Romane auf dieser Insel. Das Schreiben ist längst nicht "nur" sein Hobby und so erfüllt er sich einen Lebenstraum als Autor.
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Titel: Strandleben