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Die Tour auf Sylt

von Ben Bertram (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Nick und Franky waren endlich so richtig auf Sylt angekommen und genossen die zahlreichen Facetten der Insel. Ruhe und Entspannung war in ihrem Leben eingekehrt, als Carlos ihnen einen Strich durch die Rechnung machte. Okay, Nick war selbst schuld. Immerhin hatte ein Anruf von ihm dafür gesorgt, dass Carlos sich mit Wohnmobil und Surfequipment auf den Weg nach Sylt machte. Was nach seiner Ankunft passieren würde, war ziemlich logisch. Natürlich würde aus einem ganz normalen Besuch eine dieser typisch unnormalen Schnapsideen werden. Es war klar, dass die Freunde dem Drang nach Freiheit und Abenteuerlust nicht standhalten würden. Sie starteten das Wohnmobil und los ging die Fahrt. Raus aus Westerland, weg aus ihrer neuen Heimat und auf in die unbekannte Zukunft. Betanken brauchten sie das Wohnmobil für diese Tour nicht. Die drei Freunde waren so verrückt, dass sie ihre Tour hier auf Sylt machten. Ihre Reise führte sie von Westerland nach List. Sie entfernten sich tatsächlich kaum zwanzig Kilometer von ihrer Wohnung und landeten auf dem Campingplatz am Ellenbogen, wo ihr Leben mal wieder so richtig durchgeschüttelt wurde. Dass die drei Freunde bereits am ersten Tag eine sehr merkwürdige Begegnung mit ihren Campingnachbarn haben würden, konnten sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen. Was erwartete sie? Wer würde aus dem benachbarten Wohnmobil steigen? Was waren es für Menschen, mit denen sie die nächsten Wochen Tür an Tür verbringen mussten? Auf geht’s! Genießt das neue Abenteuer der drei Freunde und vor allem, genießt die tolle Insel Sylt mit allen ihren schönen Seiten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Mütter kommen

Nachdem Franky uns über die Windverhältnisse aufgeklärt hatte, waren wir im Bilde.

Für die nächsten Tage war hier am Brandenburger Strand in Westerland Flaute angesagt, und somit hatte es sich mit weiteren Bildern zunächst erledigt. Blöd daran war, dass Franky noch dringend Surfbilder für weitere Aufträge von Fachzeitschriften benötigte und versprochen hatte, diese innerhalb der nächsten drei Wochen zu liefern. Manchmal war es gar nicht so einfach, seine Versprechen einzuhalten. Schon gar nicht, wenn man als freiberuflicher Fotograf von Wind und Wetter abhängig war.

Franky war fast schon penetrant penibel, und wenn er einer Agentur Bilder versprochen hatte, wollte er auch den vereinbarten Zeitpunkt einhalten. Wahrscheinlich hätte jede Agentur der Welt Verständnis dafür gehabt, dass er ohne Wind natürlich auch keine Surfbilder machen konnte. Doch Franky hatte sich, als er sich dazu entschloss, endlich seinen Traum wahr zu machen und Fotograf zu werden, fest vorgenommen, sich unbedingt an Vereinbarungen zu halten. Komme, was wolle. So war sein Motto und bisher hatte er es auch immer einhalten können.

Ich kannte ihn nun schon eine ganze Weile und fand seine Einstellung mehr als löblich.

Wahrscheinlich würde sich meine Verlegerin riesig freuen, wenn ich mich ebenso eisern an meine Abgabetermine der Manuskripte halten würde, waren meine Gedanken und ich schmunzelte in mich hinein.

Ich war etwas anders als Franky. Aber es gab einfach diese Tage, an denen ich es nicht hinbekam, gute Sätze zu formulieren. Dann saß ich drei Stunden an meinem Notebook und anschließend durfte ich meine prosaischen Ergüsse wieder komplett löschen. Es lohnte sich nicht, diese Sätze aufzubewahren. Sie waren einfach nur Schrott!

Manchmal ging ich nicht an mein Handy, wenn ich sah, dass die Nummer meines Verlages auf dem Display erschien. Den Trick, mit unterdrückter Nummer anzurufen, hatte ich auch inzwischen durchschaut. Zwei Mal war ich darauf reingefallen, und von nun an ließ ich das Handy bei solchen Anrufen einfach klingeln und wartete darauf, was mir meine Mailbox anschließend erzählte.

Aber mir war klar, dass ich in naher Zukunft abliefern musste. Mein Verlag brauchte eine weitere Fortsetzung meiner Männertour, und auch die Leser warten bereits gespannt darauf, was noch alles passieren würde.

Meine Ausrede, dass ich Künstler sei und nur schreiben konnte, wenn mir danach war, wenn ich Ideen im Kopf hatte, zog leider nicht mehr. Der Verlag wusste zu genau, dass mein kleines schwarzes Buch voller Ideen war. Dass ich mich nur hinsetzen musste, um die notierten Sachen in lustige Geschichten zu verpacken.

Als wir mit unserem heutigen Frühstück fertig waren und die letzten Kaffeereste vernichtet hatten, erschrak ich.

Franky hatte mich gefragt, ob ich wüsste, wann unsere Mütter ankommen würden. Ein Blick auf den Kalender bestätigte meine Vermutung. In zwei Tagen wollten sie da sein.

„Wie wollen wir es mit den Wohnungen machen?“ Ich sah Franky an und verstand seine Frage nicht.

Was sollten wir schon mit unseren Wohnungen machen? Wir wohnten Tür an Tür und es waren unsere. Wollte er, um Geld zu verdienen, eine vermieten und wir beide ziehen dann zusammen?

Finanziell war es nicht notwendig und mir gefiel es eigentlich sehr gut, wie es gerade war. Außerdem lebte Carlos ja derzeit bei mir und zu dritt in einer Wohnung musste ja nun wirklich nicht sein. Auch das Surfequipment von Carlos lag in der Wohnung und auf dem Balkon, wo es reichlich Platz in Anspruch nahm.

Vor allem hatte ich Carlos versprochen, dass er, solange er wollte, bei mir wohnen konnte. Immerhin war Carlos auch wegen Franky hier. Er wollte schließlich Bilder von ihm machen, während Carlos auf dem Wasser war und surfte. Welcher Sportfotograf hatte schon die Möglichkeit, einen Surfprofi immer dann zur Verfügung zu haben, wenn man ihn brauchte?

Erst als Franky seine Frage nochmals wiederholte, begriff ich sie endlich und erinnerte mich daran, dass wir angeboten hatten, unsere Mütter bei uns schlafen zu lassen.

Sie wollten ihren Urlaub auf Sylt verbringen und hier gemeinsam die Insel unsicher machen. Dass der Termin bereits so nah am heutigen Tag war, hatte ich mit großem Erfolg verdrängt und ganz ehrlich, so spontan hatte ich jetzt auch keine Lösung parat.

Im Gegensatz zu mir, hatte Franky gleich zwei Lösungen im Angebot.

„Entweder lebte jeder mit seiner Mutter vierzehn Tage zusammen oder aber einer von uns zieht beim anderen ein.“ Stolz sah Franky mich an, nachdem er seine Ideen verraten hatte.

Für Carlos war die zweite Variante natürlich am angenehmsten. Ein Schlafsofa war vorhanden und für eine absehbare Zeit von zwei Wochen, konnte man damit gut leben.

Meinen Vorschlag, Carlos mit unseren Müttern zusammen in eine Wohnung zu stecken, lehnte er komischerweise energisch ab.

Wir entschieden uns jedoch weder für die erste, noch für die zweite Variante.

Carlos war es, der eine andere Idee hatte und diese einfach mal rausposaunte.

„Sagt mal, was haltet ihr davon, wenn ihr euren Müttern die Wohnungen komplett überlasst?“

„Und wir nehmen uns ein Hotel? Willst du das bezahlen? Zu dieser Jahreszeit kosten die Hotels oder die Wohnungen hier auf Sylt richtig viel Geld! Mensch Carlos, es ist Hauptsaison.“ Dieses war allerdings die letzte Widerrede von Franky zum Vorschlag von Carlos. Hätte er vorher, so wie ich es getan hatte, das Funkeln in den Augen von Carlos gesehen, wäre er nie auf die Idee gekommen, ihn zu unterbrechen. Ich war gespannt und wartete bereits darauf, die Idee zu hören.

Endlich hatte Franky sich wieder abreagiert und Carlos konnte uns genauer von seiner Idee erzählen.

„Ist doch alles ganz einfach. Ich muss für die Tour trainieren, unser Windfinder, wie wir Franky nannten, da in seinem Handy ständig in einer App nach den Windverhältnissen Ausschau hielt, braucht Fotos und der Schreiberling muss tüchtig an seinem neuen Buch arbeiten.“ Ein breites Grinsen legte sich auf die Lippen von Carlos.

„Fotos machen ist auch Arbeit!“ Schon wieder mischte Franky sich ein.

„Kennst du den Spruch: Einfach mal die Fresse halten?“ Carlos sah Franky mit einem noch breiteren Grinsen an und sprach weiter.

„Wo bitte geht es besser, als auf einer Männertour? Und zwar auf einer Männertour mal so ganz anders? Wir packen die Sachen, gehen einkaufen und hauen ab.“

„Geile Idee!“, rief ich, während Franky mit einem „Wohin?“ meinen Satz ergänzte.

„Muss ich denn alles alleine entscheiden?“ Seinem Blick nach zu urteilen, hatte Carlos jedoch schon einen Plan parat. Zumindest hatte er garantiert die eine oder andere Idee. Da war ich mir supersicher.

„Ich hätte da drei Vorschläge im Angebot.“ Carlos hatte sich inzwischen einen frischen Kaffee eingegossen und stand im Türrahmen.

„Dann lass mal rüberwachsen“, sagte ich, da ich schon neugierig war.

„Meine Vorschläge wären Norderney, Dänemark oder Sylt.“ Erwartungsvoll sah Carlos uns an.

„Nach Norderney habe ich keine Lust. Da musste ich als Kind immer im zweiten Teil der Sommerferien mit meinen Großeltern hin. Es war so sterbenslangweilig, dass ich mir geschworen habe, dort nie wieder hinzufahren.“ Dank Frankys Kindheitserlebnissen war der erste Ort ziemlich schnell abgehakt.

„Sag mal, dass wir auf Sylt sind, weißt du schon?“ Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen, weil ich mich schon reichlich über diesen Vorschlag in der Aufzählung von Carlos wunderte.

„Klar weiß ich, wo wir sind. Aber wir sind in Westerland und oben am Ellenbogen sind fast immer coole Bedingungen zum Surfen. Außerdem gibt es dort einen schönen Campingplatz, auf dem wir mit unserem Wohnmobil stehen könnten. Es ist nicht weit zum Wasser und meistens sind auch viele andere Surfer dort.“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er sich selbst für den Ellenbogen entschieden hatte. Zumindest empfand ich es so.

„In Dänemark war ich lange nicht mehr. Da würde ich gerne mal wieder hin. Eine Männertour auf Sylt zu machen, wenn man sowie auf Sylt lebt, ist doch echter Schwachsinn!“ Franky gab jetzt auch seinen Senf dazu, machte dabei aber einen entscheidenden Fehler in seinem Satz. Er benutze ein Wort, dass Carlos und mich auf Anhieb neugierig machte. Ein Wort, durch das wir für unsere anstehende Tour keine andere Auswahlmöglichkeit mehr sahen. Wir wussten nun, wohin wir wollten.

Schwachsinnig. Franky hätte dieses Wort lieber weglassen sollen. Schwachsinnige Sachen durchzuziehen, war genau unser Ding. Nur ein Blick genügte und wir waren uns einig. Jetzt musste es nur noch einer von uns Franky beibringen.

Da Carlos beim Geldstückwerfen immer Zahl nahm, griff ich in meine Tasche und holte einen Euro heraus. Ich warf ihn hoch, fing ihn mit der rechten Hand auf und klatschte ihn mit einer schnellen Drehung auf meinen linken Handrücken.

Nachdem ich meine rechte Hand wieder hochgenommen hatte, hörte ich das Lachen von Carlos. Mir war, ohne nachsehen zu müssen, klar, wer gewonnen hatte und so steckte ich den Euro direkt wieder in meine Hosentasche.

Ich war es, der Franky von einer Männertour auf Sylt überzeugen musste. Während ich damit begann, stand Carlos auf und verschwand in Richtung Kühlschrank.

„Ja aber …“

„Kein ja aber. Außerdem fahren wir schon nur wegen dir nicht nach Norderney“, log ich. Allerdings gibt es doch dieses ungeschriebene Gesetz, dass Notlügen erlaubt waren. Auf eine großartige Diskussionsarie hatte ich außerdem nur wenig Lust.

Carlos kam genau zum richtigen Zeitpunkt vom Kühlschrank zurück. Passend zum Anlass hatte er drei geöffnete Bierflaschen in der Hand und hielt sie uns entgegen.

Auch Franky griff sofort zu, und als ich gerade einen netten Spruch zum Anstoßen aussprechen wollte, war er schneller.

„Auf die Tour. Auf Sylt und darauf, dass wir viel Spaß haben werden! Natürlich auch darauf, dass wir dort erfolgreich sein werden.“ Franky hielt seine Flasche in die Mitte.

„Und darauf, dass wir uns auf dem Weg nicht verfahren ...“ Weiter kam ich nicht, da wir alle lachen mussten.

Jeder, der unser Vorhaben schwachsinnig nannte, hatte ja irgendwie auch recht. Trotzdem, es passte einfach perfekt zu uns. Carlos und ich hatten schon viel zusammen erlebt und immer hatten wir Spaß dabei. Sehr viel Spaß sogar!

Carlos legte sofort los, nachdem er seine leere Bierflasche auf den Tisch gestellt hatte. Er tat alles Notwendige, um das Wohnmobil in zwei Tagen startklar zu haben.

  • Start mit Hindernissen

Am Telefon beichteten Franky und ich unseren Müttern, dass wir zwar auf der Insel sind, uns während ihrer Anwesenheit aber auf Männertour befinden würden.

Nach der ersten Enttäuschung freuten sich unsere Mütter dann doch. Nicht darüber, dass wir nicht da waren. Aber sie fanden es cool, eine Wohnung für sich alleine zu haben.

Außerdem hatten die beiden sowieso fast alle Tage verplant. Sie wollten zusammen die Insel erkunden, Ausflüge machen und ganz viele Freunde besuchen.

Tja, so waren unsere Mütter eben.

Ähnlich „bekloppt“ wie wir. Zum Glück, denn einige Menschen schaffen es tatsächlich, sich ihr Leben mit Langeweile zu versauen.

Das Wohnmobil stand heute Morgen startklar vorm Hauseingang. Wir schleppten die letzten Taschen hinunter und verstauten sie im hinteren Bereich.

Ich hatte es schon lange nicht mehr von innen gesehen und wahrscheinlich deshalb ein komisches Gefühl, als ich es betrat.

Immerhin wartete eine Tour in dem Fahrzeug auf mich, in dem sich mein Leben vor einigen Jahren komplett verändert hatte.

Es sollte damals nur eine kurze Auszeit werden und dann änderte sich durch die Tour alles. Aus meinem alten, normalen Leben wurde ein neuer Lebensabschnitt. Ein Abschnitt, der schöner war als zuvor. Dass sich mein Leben vor kurzer Zeit nochmals verändert hatte, war ein weiteres Geschenk an mich. Doch alles was passiert war, passierte nur, weil ich es zuließ. Ich hatte gelernt, dass Veränderungen wichtig waren und es nichts Schlimmeres gab, als sich über einen Zustand zu ärgern und nichts dagegen zu unternehmen. Natürlich hatte ich auch so manches Mal große Angst. Doch immer dann, wenn ich dachte, ich würde es nicht schaffen, bekam ich ein Zeichen. Ich ließ mich einfach treiben und habe es nicht bereut. So viele tolle Dinge hätte ich nicht erleben dürfen, wenn ich auf meine Ängste gehört hätte. Ich war glücklich mit meinem Leben und ich war stolz auf mich. Stolz darauf, ein solches zu führen. Besser gesagt, es so durchzuziehen, wie ich es wollte.

Es gab Menschen, die konnten meine Einstellung nicht verstehen. Menschen, die sich fragten, wie ich ein risikofreies Leben mit einem sicheren Job aufgeben konnte. Dabei war es so simpel. Es war eine so einfache Antwort, die ich diesen Menschen entgegen brachte.

Ich hatte nur ein Leben, und früher hatte ich viel zu viel Zeit damit verbracht, Dinge zu tun, die mir keinen Spaß gemacht haben. Dinge, die ich nicht wollte und sie trotzdem getan hatte. Ich musste damals feststellen, dass ich mich immer häufiger über mich ärgerte. Sich über sein eigenes Spiegelbild zu ärgern, kann doch aber nun wirklich nicht der Sinn des Lebens sein.

Ein früherer Arbeitskollege hatte mir einmal eine Frage gestellt. Eine Frage, die ganz einfach zu beantworten war und die mich anschließend lange beschäftigt hatte.

Er fragte mich damals, während wir bei einem Tee in seinem Büro saßen:

„Wenn wir heute nicht hier bei der Arbeit wären. Oder besser, wenn es unsere Firma, die wie viele andere Firmen auch, Heizkostenabrechnungen erstellt, nicht geben würde, ginge es der Menschheit dann schlechter?“

Meine Antwort konnte natürlich nur „Nein!“ lauten. In diesem Moment wurde mir klar, dass meine tägliche Arbeit keinen tieferen Sinn hatte. Ein Arzt kann sagen, er hat Menschen geheilt. Eine Hörgeräteakustikerin hilft Menschen dabei, wieder ein normales Leben führen zu können. Ein Physiotherapeut befreit Menschen von Schmerzen.

Und was machte ich?

Ohne meine Firma wäre es nicht schlechter auf dieser Welt. Nein, schlechter ganz bestimmt nicht. Aber mit meiner Firma war es auch nicht besser auf dieser Welt. Ich hinterließ mit meiner täglichen Arbeit nichts, was die Menschheit zufriedener machte.

Es gab lediglich zwei Möglichkeiten für mich. Ich konnte so weitermachen und mich darüber ärgern. Oder eben die Konsequenz daraus ziehen.

Die Konsequenz hieß „Ich mach mein Ding!“, und ich habe es nie bereut.

Zwei Ziele hatte ich mit meinem Schritt erreicht. Ich war glücklich mit meinem Leben und ich habe einigen Menschen schöne Stunden mit meinen Büchern bereiten können.

Als ich aus meinen Gedanken aufwachte, waren wir schon einige Minuten unterwegs. Meine Freunde hatten mich träumen lassen. Vielleicht, weil sie selbst am Träumen waren oder aber, weil sie mich kannten und daher wussten, dass ich diesen Moment jetzt für mich brauchte.

Der Bahnhof von Westerland lag auf der rechten Seite. Wir fuhren vorbei an den großen grünen Figuren, die den Bahnhofsplatz schmückten. Mit großer Vorfreude fuhren wir weiter, dem Ellenbogen entgegen. Doch kurz bevor wir Westerland verließen, trat Carlos relativ stark auf die Bremse.

Während ich, durch den Gurt gehalten, nur eine kurze ruckartige Bewegung machte, purzelte Franky, der hinten im Wohnmobil dabei war, Sachen zu ordnen, durch die Gegend. Wir konnten sein Fluchen nur leise hören, weil es von der Musik und unserem lauten Lachen übertönt wurde.

Erst jetzt, als die Beifahrertür geöffnet wurde, sah ich den Grund für die Bremsaktion von Carlos. Meine kleine achtjährige Freundin Lina, die ich am Westerländer Strand kennengelernt hatte, war da. Zusammen mit ihrer Oma Christa stand sie vor meiner offenen Tür und sah mich an.

„Verreist du?“ Ihr Blick war ein Gemisch aus Neugier und Enttäuschung.

„So halb.“ Ich lächelte und hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, obwohl ich es gar nicht hätte haben müssen.

„Wie kann man so halb verreisen?“, wollte Lina wissen. In diesem Augenblick bemerkte ich, wie blöd meine Antwort war und vor allem sah ich, welch traurigen Gesichtsausdruck die Kleine hatte.

„Wir bleiben auf Sylt und fahren für zwei Wochen zum Ellenbogen nach List. Dort machen wir so eine Art Männertour, aber irgendwie ganz anders.“

Natürlich verstand Lina auch diesen Satz nicht, und ich nahm mir vor, ab jetzt etwas kindgerechter zu antworten. Doch noch, bevor ich es machen konnte, erntete ich von Carlos neben einem Grinsen noch ein „Merkst du selbst?“

Ich erzählte Lina, dass unsere Mütter für zwei Wochen die Wohnungen von Franky und mir brauchten und wir daher mit dem Wohnmobil für diese Zeit nach List fuhren. Als ich es gerade fertig ausgesprochen hatte, ärgerte ich mich schon über mich selbst. Ich hatte von unseren Müttern erzählt und nun etwas Angst, dass es falsch war. Immerhin hatte Lina keine Mutter mehr und lebte alleine mit ihrer Oma zusammen.

Doch zum Glück schien es Lina nicht zu beschäftigen. Viel mehr hatte ich ihre Neugier geweckt.

„Cool, in einem Wohnmobil habe ich noch nie übernachtet. Das macht bestimmt ganz viel Spaß!“ Ihre Augen leuchteten vor Freude.

„Ja, macht es. Aber wir müssen dort auch viel arbeiten. Carlos muss fürs Surfen trainieren, Franky ganz viele Fotos machen und ich werde schreiben.“

„Das ist doch nicht arbeiten“, bekam ich zur Antwort und alle, sogar Franky, der noch immer hinten im Wohnmobil war, mussten lachen.

„Nun lass die Jungs ihre Männertour mal starten. Wir müssen auch weiter.“ Christa nahm ihre Enkelin an die Hand und wollte weitergehen.

„Darf ich irgendwann auch mal mit auf Männertour?“, wollte Lina wissen.

„Dafür bist du noch zu klein. Außerdem ist es dann ja keine Männertour mehr“, sagte Christa mit einem Lachen und startete einen weiteren Versuch, Lina zum Gehen zu bewegen.

„Du Nick?“ Erwartungsvoll wurde ich von Lina angesehen.

„Na kleine Maus, was gibt es noch?“

„Aber dann sehen wir uns ja die nächsten Tage gar nicht jeden Morgen am Strand.“ Aus ihren strahlenden Augen waren inzwischen traurige geworden.

„Das werden wir, aber wenn ich wieder zurück bin. Zwei Wochen gehen doch ganz schnell vorbei.“ Mir fehlte die kleine Maus jetzt schon und ein unschönes Gefühl machte sich in mir breit.

„Versprochen?“

„Logisch ist das versprochen. Ich möchte doch nicht auf dich und unsere Treffen verzichten.“ Es war die Wahrheit!

„Okay.“ Noch immer traurig sah Lina mich an, und ich hatte, ohne es haben zu müssen, ein schlechtes Gewissen dabei.

Immerhin hatten wir uns die letzten Wochen, eigentlich seit meinem Umzug nach Sylt, fast täglich gesehen. Wenn wir uns mal verpasst hatten, habe ich mir schon Gedanken gemacht, was mit ihr war, und immer wenn wir uns trafen, hatte ich das Gefühl, sie bereits eine Ewigkeit zu kennen. Es war wie ein imaginäres Band, das uns aneinander fesselte. An einigen Tagen hatte ich etwas, was sich wohl am ehesten mit Vatergefühl beschreiben ließ. Klar war es Blödsinn, aber was sollte ich gegen meine Gedanken und Gefühle machen? Sie waren einfach da.

  • Nur Mitleid?

Tja, und jetzt fuhr ich weg. Nur für zwei Wochen. Aber mein schlechtes Gewissen, was ich schon seit einigen Tagen mit mir herumtrug, wurde jetzt noch verstärkt. In diesem Moment, als ich in ihre traurigen Augen blickte, hätte ich meine Tasche aus dem Wohnmobil holen können. Am liebsten wäre ich direkt mit ihr zum Strand gelaufen. Zu ihrem Kunstwerk, das eigentlich schon fast zu unserem Kunstwerk geworden war und das wir jeden Tag zusammen pflegten.

Es ging nicht. Das war mir klar. Ich hatte mein Leben. Ich wollte mein Leben auch mit meinen Freunden genießen und daher mussten wir los. Dem Ellenbogen und unseren nächsten Abenteuern entgegen.

Hinter uns begann ein lautes Hupkonzert. So richtig gut war der Platz, den Carlos zum Anhalten ausgesucht hatte, nicht. Hinzu kam, dass Urlauber bekanntlich nie Zeit hatten und immer auf dem schnellsten Weg von A nach B wollten. Irgendwie eine merkwürdige Angewohnheit. Auf der Anreise konnte ich es ja noch verstehen. Aber so mitten im Urlaub? Nun ja, es war halt so, und bevor das Konzert der hupenden Autofahrer noch lauter wurde, verabschiedeten wir uns.

Im Seitenspiegel konnte ich sehen, wie Lina hinter uns herwinkte und ein sehr trauriges Gesicht machte. Nach wenigen gefahrenen Metern rief ich,

„Stopp!“ und war über die Lautstärke meines Ausrufes selbst überrascht.

Carlos bremste ein weiteres Mal sehr scharf, und während der Wagen hinter uns, zum Glück kurz vor unserer Stoßstange, zum Stehen kam, wurde Franky erneut quer durch den Wagen geschleudert.

Während Carlos sich das Fluchen aus dem hinteren Teil des Wohnmobils anhören durfte, sprang ich aus dem Wagen.

Der Typ hinter uns, der eben noch fluchend neben seinem Wagen stand, hielt seine Klappe und stieg schnell wieder in sein knallgelbes Angeberauto ein.

Wahrscheinlich hatte er Angst davor, für seine Pöbelei von mir eine zu fangen. Doch ich hatte ihn gar nicht wirklich wahrgenommen, geschweige denn Lust, mich mit einem dusseligen Seidenschalschnösel anzulegen.

Ich lief zu Lina und Christa. Allerdings war ich jetzt schlauer und flüsterte Christa meinen Vorschlag zunächst leise ins Ohr.

Erst als sie nickte, beugte ich mich zu Lina hinab und stellte ihr eine Frage.

Ihre Antwort war ein lautes Kreischen, während sie mich dabei ganz fest in den Arm nahm. Mit einem Kuss auf ihre Stirn und einer Umarmung für Christa verabschiedete ich mich ein weiteres Mal bei den beiden.

Als ich mich beim Einsteigen nochmal umdrehte, sah ich Lina wieder winken. Allerdings lächelte sie jetzt und zwar von einem Ohr zum anderen.

„Können wir? Oder muss ich dann gleich wieder auf die Bremse treten?“ Carlos sah mich blöd grinsend an.

„Wir können.“ Erleichtert sagte ich diese beiden Worte.

Aus dem hinteren Bereich hörte ich eine durchgehende Schimpftirade und sah Carlos verständnislos an.

„Ich denke, wir fahren auf Tour? Sollte Franky da nicht gut drauf sein?“ Ich unterstütze meine Frage mit einem Achselzucken.

„Psst ... Nicht so laut. Er sortiert noch immer seine Objektive und ich sollte jetzt lieber ganz vorsichtig fahren. Wenn die Dinger nochmal purzeln, dreht er wahrscheinlich durch.“

Während Carlos und ich Faxen machten, sahen wir uns an. Gerade noch rechtzeitig sah Carlos die rote Ampel und den davor stehenden roten BMW.

Er bremste und wir kamen zum Glück gefühlte drei Zentimeter vor dem Wagen zum Stehen.

Als Carlos ganz tief durchatmete und Franky die übelsten Schimpfworte benutzte, die ich jemals aus seinem Mund gehört hatte, musste ich mich zusammennehmen, um nicht laut loszulachen.

Leider schaffte ich es nur ganz kurz.

Doch meine Befürchtung war unnötig. Anstatt blöde Sprüche zu ernten, wurde ich beim Lachen von meinen Freunden unterstützt. Ja, sogar Franky lachte und das, obwohl er nun auch den Rest der Fahrt seine Objektive sortieren durfte.

Endlich waren wir da. Wobei das Wort endlich bei einer Fahrt von knapp zwanzig Minuten schon reichlich merkwürdig klang.

Während ich die Standgebühr bezahlte, suchten Carlos und Franky einen wirklich netten Platz für uns aus. Wir konnten das Meer sehen, und nur ein anderes Wohnmobil stand neben uns. Da wir uns an das hinterste Ende vom Campingplatz verzogen hatten und in einer kleinen Biegung standen, hatten wir hier so richtig Ruhe. Diese Stelle bot Platz für maximal drei Wohnmobile und mit etwas Geschick konnte man das sofort ändern.

Da der andere Camper bereits relativ schräg geparkt hatte, taten wir es ihm gleich, und schon gab es, für ein eventuell drittes Wohnmobil, keinen Platz mehr.

„Clever parken ist halb gewonnen.“ Carlos freute sich über sein schräges Parken und noch viel mehr darüber, dass wir zusammen mit unseren Nachbarn eine Bucht für uns alleine hatten.

Bereits kurze Zeit später hatte Carlos die Windsurfbretter bereit gemacht. Wir brauchten nur noch in die Neoprenanzüge springen und schon ging es los.

Franky und ich hatten schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesurft und doch ging es von Anfang an verhältnismäßig gut.

Fast drei Stunden verbrachten wir auf dem Wasser. Als wir dabei waren, unser Material zurück zum Wohnmobil zu bringen, erkannten wir, dass unsere Nachbarn jetzt ebenfalls zuhause waren und vor ihrem Wohnmobil saßen.

Kuchen stand auch auf dem Tisch und ein leckerer Kaffeeduft kroch ganz langsam in unsere Nasen hinein.

„Wie cool“, sagte ich.

„Was?“ Franky hatte nicht geschnallt, was ich meinte.

„Na, was wird Nick wohl meinen? Ach Franky, du musst noch so viel lernen.“

Carlos lachte und begrüßte unsere Nachbarn mit einem freundlichen

„Hola, Mädels. Alles gut? Wie lieb von Euch, ein Kaffee ist jetzt echt genau das Richtige. Drei Stunden auf dem Meer sind schon anstrengend und ein wenig kalt wird einem dabei ja auch. Nur mit Milch bitte.“

Schon saß Carlos am Tisch der beiden Mädels, und noch bevor eine der Frauen etwas sagen konnte, griff er nach dem auf dem Campingtisch stehenden Kuchen.

„Ich darf doch?“ Die Frage war albern, da er das Stück schon in seiner Hand hielt und ein Teil davon, garantiert noch vor der Antwort, in seinem Mund verschwinden würde. Trotzdem bekam er eine, sogar eine sehr gute.

„Wenn du magst. Darf ich eventuell auch noch für dich angeln gehen und dir heute Abend einen Fisch grillen? Sag nur rechtzeitig Bescheid, ich muss mir dann noch schnell eine Angel kaufen. Mache ich aber natürlich gerne für dich. Ich muss nur wissen, was für Fisch du gerne isst. Ich will ja nicht mit ’ner Scholle ankommen, wenn du einen Hering essen möchtest.“

„Nicht schlecht die Antwort“ dachte ich und freute mich darüber, so witzige Campingnachbarinnen zu haben. Franky sah ebenfalls erstaunt zu den Mädels. Nur Carlos brauchte nicht zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Er haute spontan eine Antwort raus.

„Oh, wie lieb von dir. Aber eine Angel brauchst du dir nicht extra kaufen. Du kannst dir meine leihen.“

„Das würdest du machen?“ Ironische Worte drangen an mein Ohr.

„Ja klar. Für eine solch schöne Frau, wie du es bist, doch immer.“ Carlos lief zur Höchstform auf.

„Und sonst alles ok? Oder kann ich dir noch was Gutes tun?“ Das Spielchen ging weiter und ich sah wartenderweise zu meinem Freund.

„Kaffee. Aber das hatte ich ja eigentlich schon erwähnt.“ Carlos deutete zum leeren Becher, der vor ihm auf dem Tisch stand.

„Aber natürlich, wie unaufmerksam von mir. Warte, geht gleich los.“

Carlos sah zu Franky und grinste. Irgendwie standen Franky und ich etwas blöde daneben, waren aber so erstaunt von Carlos Frechheit, dass uns noch nichts eingefallen war, was wir hätten sagen können. Das Zuhören machte einfach Spaß. Carlos hatte eine gute Gegnerin gegenübersitzen, die sich jetzt zur Seite drehte und ins Wohnmobil rief:

„Hey Horst, hier sitzt ein junger Mann und will ’nen Kaffee. Kannst du ihm mal einen bringen? Mach mal, sonst werde ich den Typen gar nicht mehr los.“ Mit einem ernsten Blick sagte sie diese Sätze.

Nicht nur Carlos blickte plötzlich verwirrt aus der Wäsche. Besser gesagt, aus seinem Neoprenanzug. Auch Franky und ich sahen, nennen wir es mal netterweise, leicht bedröppelt aus der Wäsche.

Irgendwie hatten wir alle drei nicht wirklich damit gerechnet, dass sich ein Mann im Wohnmobil befinden könnte.

Ich dachte, die beiden Mädels würden alleine in ihrem Wohnmobil hausen, und genau den gleichen Gedanken hatte Franky auch. Carlos sowieso, sonst hätte er diese Show garantiert nicht abgezogen.

Franky hatte sich bereits auf den Weg zu unserer Behausung gemacht, und auch Carlos war im Begriff aufzustehen. Er sagte dabei:

„Sorry, ich muss auch los. Das mit dem Kaffee, ja äh … Also, es war nur Spaß. Ein Witz sozusagen. Gar nicht ernst gemeint. Und der Kuchen … Echt lecker! Danke nochmal …“

  • Sprachlos

Selten hatte ich Carlos so sprachlos und stotternd erlebt. Wobei selten? Noch nie passte besser.

Ich hätte gerne einfach losgelacht, war mir aber nicht sicher, ob es gepasst hätte. Immerhin konnte Horst ja auch ein Zwei-Meter-Bulle sein, der in seiner Freizeit nichts anderes als Sport machte. Nicht Surfen oder Fußball, sondern Krafttraining oder irgendwelche Kampfsportarten. Vielleicht war er ja auch irgendein Verrückter, der gleich total sauer mit einer Baseballkeule aus dem Wohnmobil gesprungen kam.

Es gab allerdings auch noch die berechtigte Variante, dass sich neben Horst auch noch Peter im Wohnmobil befand und Peter die gleichen Hobbys und Ansichten wie Horst hatte. Würden wir eventuell gleich ordentlich was auf die Fresse bekommen?

Sollte es tatsächlich eine ganz andere Männertour werden? Eine Tour, bei der wir unsere Sachen direkt am ersten Tag wieder einpacken konnten? Auf Nachbarschaftsstreit hatte ich nun echt keinen Bock und darauf, eine Keule über den Schädel gezogen zu bekommen, erst recht nicht.

Ich fand die Kombination zwei Mädels und Horst schon merkwürdig. Oder Horst lässt die Mädels für sich laufen. Also, er Lude und die Girls seine Nutten?

Nein, diesen Gedanken hatte ich direkt wieder verworfen. Die beiden Mädels waren zwar sehr schön, sahen aber so gar nicht billig aus. Auf mich machten sie nicht den Eindruck, dass sie im horizontalen Gewerbe arbeiten würden.

Wobei, wenn ich in meiner Heimatstadt Hamburg über den Kiez ging, waren dort auch viele Frauen schöne Frauen. Wenn ich sie dort nicht in ihrer Anschaffarbeitskleidung gesehen hätte, sondern irgendwo in der City in normalen Klamotten, hätte ich sie auch nicht für Nutten gehalten.

Wie sagte Franky immer so schön: „Wenn sie hässlich wären, hätten sie einen normalen Job.“ Er hatte recht. Dass unsere beiden Camping-Mädels schöne Frauen waren, musste nicht wirklich auch heißen, dass sie keine Bordsteinschwalben waren.

Allerdings wäre es mal eine neue Erfahrung, die ich gemacht hätte. Nein, ich hätte sogar neue Erfahrungen gemacht. Ich hätte zum ersten Mal Nutten kennengelernt und einen Urlaub bereits am ersten Tag abgebrochen. Doch wollte ich das? Nein, ich konnte gut und gerne auf beides verzichten!

Zusammen mit meinen verrückten Freunden hatte ich nun wirklich schon viel erlebt, und keines meiner, besser gesagt, unserer Erlebnisse wollte ich missen. Es waren nicht alle Sachen wirklich toll gewesen. Und stolz war ich auch nicht auf alles. Aber es gehörte zu mir und meinem Leben dazu. Ohne diese Dinge wäre ich nicht der Nick, der ich war, und wahrscheinlich wäre ich dann jetzt auch nicht hier gewesen.

Ob es in diesem Moment vielleicht sogar besser gewesen wäre, nicht hier zu sein, wusste ich noch immer nicht genau. Was mich komischerweise, trotz der merkwürdigen und ungeklärten Situation, nicht daran hinderte, zu lachen.

„Warum lachst du so blöd?“ Das Mädel, das eben nach Horst gerufen hatte, sah mich ziemlich ernst an.

„Nur so. Ich musste gerade an was denken.“ Noch immer war ich am Lachen.

„Aha, an was denn?“ Fragend wurde ich angesehen. Allerdings nicht nur von dem Mädel, sondern gleich von vier fragenden Gesichtern.

„Nichts Weltbewegendes. Es hat nur was mit Kaffee zu tun.“

„Nun sag schon.“ Erneut wurde ich aufgefordert, meine Gedanken auszuspucken.

„An einen Witz.“ Mehr sagte ich nicht.

„Dann mal los!“ Jetzt sprach das andere Mädel. Angesehen wurde ich trotzdem weiterhin von den gleichen vier Gesichtern. Lediglich die Gesichtsausdrücke hatten sich etwas verändert. Inzwischen waren es neugierige Blicke geworden.

„Sagt eine Frau zur anderen: Wo bekomme ich denn jetzt eine niedrigere Dose für unseren Kaffee her? Ich habe gelesen, Kaffee in hohen Dosen ist nicht so gesund.“ Ich sah die anderen fragend an. Klar war der Witz sehr platt und trotzdem musste ich wieder lachen. Nur kurz lachte ich alleine. Dann konnte ich plötzlich ein weiteres Lachen vernehmen. Doch das Lachen kam weder von den beiden Mädels noch von meinen Freunden. Was mich allerdings auch ziemlich verwundert hätte, da es sich um ein weibliches Lachen handelte. Carlos und Franky waren also aus dem Spiel, was mich dazu brachte, leicht irritiert zur Tür des Wohnmobils zu gucken.

Genau in diesem Moment kam eine dritte, ebenso schöne Frau wie die anderen beiden Mädels, heraus. In ihren Händen hielt sie ein Tablett mit sechs Kaffeebechern, Milch und Zucker.

„Darf ich bei diesem schönen Wetter im Garten servieren?“ Vor dem Tisch war sie stehengeblieben.

„Ja, Sie dürfen. Es wäre schön, den Kaffee im Garten kredenzt zu bekommen.“ Ich musste über die Szene lachen und sah Carlos an, während sich die beiden Frauen unterhielten.

„Für Ihre Gäste habe ich auch gleich Kaffee mitgebracht. Soll ich für die Herren auch eindecken?“ Ohne ihr Gesicht zu verziehen, sprach die junge Dame, die das Tablett in den Händen hielt, weiter.

„Gerne Fräulein. Die Jünglinge dürfen selbstverständlich gerne Platz nehmen. Und ein Kuchengedeck für die Herren wäre eine gute Idee.“

„Moment gnädige Frau, ich eile.“ Horst verschwand wieder im Wohnmobil. Die beiden anderen Frauen verzogen noch immer keine Miene. Ganz im Gegensatz zu uns. Wir amüsierten uns prächtig und freuten uns bereits auf die Fortsetzung des Schauspiels.

Mit drei Plastikgabeln und Papptellern, vornehm auf einem weiteren kleinen Tablett, kam Horst nach kurzer Zeit wieder zurück zu uns. Als der Tisch fertig gedeckt war und sie sich setzen wollte, bekam sie die nächste Aufgabe.

„Was ist mit Servietten? Sollen wir etwa unsere schöne Kaffeetafel ohne Servietten genießen?“ Kopfschüttelnd und mit einem gespielten Entsetzen sprach eine der anderen Mädels.

„Aber die Küchenrolle, äh …ich meine natürlich die Servietten sind aus.“ Ein Achselzucken bekräftigte ihre Worte.

„Dann lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen. Oder meinen Sie, ich bezahle Ihnen für diese Unfähigkeit etwa auch noch Gehalt?“

„Entschuldigen Sie, gnädige Frau. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich werde sehen, was ich machen kann.“ Wieder verschwand Horst im Wohnmobil und kam einen Augenblick später mit einer Rolle Klopapier zurück. Nachdem sie die Rolle mitten auf dem Tisch platziert hatte, sah sie zufrieden in die Runde.

„Geht doch!“

„Vielen Dank für ihr Lob, gnädige Frau.“ Jetzt machte sie sogar einen Knicks.

„Wenn es angebracht ist, lobe ich gerne.“

Mit einer einladenden Handbewegung wurden wir zu Tisch gebeten.

„So die Herren, alles genehm?“

„Sehr schön. Danke übrigens, und falls eine der Damen daran interessiert ist, mein Name ist Nick. Ich bin begeistert von Ihrer Gastfreundlichkeit und freue mich über die wahrscheinlich längste Serviette der Welt.“ Mein Blick ging zu Franky.

„Yeah, vielen Dank für die Einladung! Mich dürft ihr Frank nennen.“ Frank? Ich wunderte mich darüber, dass Franky sich vorgestellt hatte. Noch bevor ich etwas sagen konnte, ergriff Carlos das Wort:

„Nun, eigentlich hört er nur auf Franky oder auf Windfinder. Solltet ihr kein Interesse an meinem Namen haben, dann schnell die Ohren zuhalten. Ich bin Carlos.“

Alle drei Mädels hielten sich demonstrativ die Ohren zu, allerdings nur zum Spaß, und so konnte Horst das Wort ergreifen.

„Dann mache ich gleich mal weiter. Ich bin Manu und immer dann, wenn Bine lustig sein will, nennt sie mich Horst.“

„Tja, da kennt ihr wohl schon meinen Namen, und somit kann ich mit dem Kaffeetrinken starten.“ Bine griff zum Kaffeebecher und sah ihre Freundin erwartungsvoll an.

„Ist ja gut. Bine würde jetzt Nullsieben sagen, mein richtiger Name ist aber Juli. Und bevor Ihr fragt, ja genau wie der Monat. Solltet Ihr weiter fragen, nein ich weiß nicht, durch was meine Eltern auf die Idee gekommen sind. Sie fanden ihn einfach gut.“

„Wir haben nicht gefragt.“ Ich konnte meine Klappe mal wieder nicht halten, war mir dabei aber gar nicht so sicher, ob Juli meinen Satz lustig fand. Doch zumindest die anderen Mädels grinsten und meine Freunde lachten sowieso. Ich hatte also einen Teilerfolg errungen.

  • Juli

Juli wirkte irgendwie genervt. Oder war unnahbar das bessere Wort? Ihre Freundinnen waren viel lockerer und mein erster Eindruck war, dass Juli so gar nicht zu uns passte.

Was mir jedoch in diesem Moment ziemlich egal war, bei Kaffee und Kuchen in der Sonne sitzend.

Auch ihr miesepetriger Gesichtsausdruck passte rein gar nicht zum Augenblick. Es war toll, hier mit den Mädels zu hocken, und als Nachbarn hätten wir weitaus schlimmere Menschen erwischen können.

Mein Fokus war sowieso auf Manu gerichtet. Wie würde Karsten, mein ehemaliger Kumpel, so schön sagen: „Manu wäre genau mein Beuteschema“. Sie war die Sportlichste von allen und hatte extrem niedliche Grübchen. Ihr Lachen war ansteckend und sie hatte eine total süße Nase. Am liebsten hätte ich ihre Nase gestupst. Leider saß sie jedoch am anderen Ende vom Tisch, und ich hätte dafür aufstehen müssen, wonach mir jetzt so gar nicht war

Carlos war in Surfgespräche vertieft. Bine hing gefesselt an seinen Lippen und hörte beeindruckt zu.

Beim Thema Wind und Wellen mischte sich Franky mit ein und hielt einen sehr langen Monolog über die Windverhältnisse hier auf der Insel. Spätestens in diesem Moment dürfte auch den drei Mädels klar geworden sein, weshalb Franky von Carlos als „Windfinder“ vorgestellt wurde.

Als ich genug gehört hatte, fragte ich, ob es noch mehr Kaffee geben würde, und nachdem ich von Bine den kurzen Hinweis bekam, dass alles in der Küche im Wohnmobil zu finden sei, machte ich mich auf den Weg dorthin.

Alle Achtung, war ich platt. So lange auf dem Wasser gewesen zu sein, hatte mich ganz schön fertiggemacht. Trotzdem kam ich kurze Zeit später mit sechs gefüllten Bechern zurück und sah das Grinsen auf Carlos Lippen, denn Franky war noch immer dabei, über den Wind zu philosophieren.

„Ich unterbreche ja nur ungern, aber hier ist frischer Kaffee für euch.“

„Ja ... danke. ..., und wenn der Wind dann in Böen und aus Nord-West mit Stärke Acht kommt …“ Bine unterbrach ihn.

„Dann ist es nicht windstill!“ Sie ergänzte seinen Satz und lachte.

„Lass ihn doch mal ausreden. Es ist gerade total interessant!“ Manu sah Bine an, und ich überlegte, ob es ein Witz sein sollte oder tatsächlich ernst gemeint war.

Franky erzählte weiter und tatsächlich hörte Manu aufmerksam zu. Erstaunt blickte Carlos zu mir. Ich erwiderte seinen Blick und zuckte ein wenig verwundert mit meinen Schultern.

„Ich gehe mal unter die Dusche. Bis später.“ Ich stand auf und machte mich auf den Weg zum Wohnmobil. Meine Freunde hatten jeweils eine Frau an der Seite, die sich ihre Surf- und Windgeschichten total aufmerksam anhörten. Sie waren derart fasziniert, als würde ihnen gerade jemand etwas über das eben entdeckte neueste Weltwunder berichten.

Und ich? Neben mir saß eine eingebildete Tussi, die zum Lachen garantiert in den Keller ging und da das Wohnmobil keinen Keller hatte, die nächsten Tage höchstwahrscheinlich gar nicht Lachen würde.

Voll eingeseift, mit dem letzten Rest aus Frankys Duschgel, stand ich unter der Dusche. Leider hatte ich mein Duschzeug vergessen und musste seinen letzten Vorrat plündern.

Carlos hatte seine Duschsachen entweder noch nicht ausgepackt oder auch vergessen. Ich vermutete, dass es das Zweite war, da er damals bei unserer Männertour auch nie Duschgel dabei hatte und abwechselnd das von Anton oder mir benutzt hatte.

Ich rasierte meinen Kopf, was auch nötig war, da ich es die letzten drei Tage versäumt hatte. Die Haare waren bestimmt schon zwei Millimeter lang und ich fühlte mich bereits wie ein Hippy. Sie waren aus meiner Sicht so lang, dass ich bei einem AC/DC-Konzert beim Headbanging-Wettbewerb große Chancen auf den ersten Platz gehabt hätte ...

Die Hälfte der Rasur hatte ich geschafft, als ich durch eine höhere Gewalt daran gehindert wurde, weiterzumachen.

Passend zu meiner Laune passierte nämlich genau das, was passieren musste. Wenn ich vor meiner Duschaktion auch nur ein klein wenig nachgedacht hätte, wäre ich von ganz alleine darauf gekommen. Doch zum Nachdenken war ich nicht in der Lage, und auch jetzt hatte ich Carlos oder Franky im Verdacht.

„Dreht den Hahn wieder auf, Ihr Vollpfosten! Wer von euch beiden auch immer meint, witzig sein zu müssen: Das ist nicht witzig! Der Gag ist einfach nur dämlich! Los, macht jetzt!“

Fünf grinsende Gesichter standen einen kurzen Augenblick später vor der Duschkabine. Sogar Griesgram-Tussi Juli hatte in diesem Augenblick ein lachendes Gesicht.

„Um dein Lieblingswort zu nutzen, sag ich einfach mal Weltklasse“! Wer von uns beiden war eigentlich schon auf ’ner Männertour? Was bist du nur für ein Honk? Ganz ehrlich, sogar ich weiß, dass Wassertanks aufgefüllt werden müssen, bevor da Wasser rauskommen kann. Was für ein Idiot! Siehst aber gut aus!“ Franky lachte und Bine ergänzte:

„Aber unten ohne steht dir auch sehr gut.“

Ein Handtuch hatte ich mir natürlich nicht neben die Dusche gelegt. Carlos war so nett und warf mir eins zu. Abtrocknen brauchte ich mich nicht. Ich war inzwischen getrocknet.

Es war nicht mein Tag, und deshalb stellte ich auch spontan die nächste blöde Frage.

„Was soll ich mit dem Handtuch? Du Witzvogel, ich bin schon trocken. Falls du es nicht merken solltest, es kommt kein Wasser mehr aus der Leitung!“

Carlos schüttelte nur seinen Kopf und verließ lachend das Wohnmobil. Die anderen lachten ebenfalls. Erst als Bine wieder auf meine untere Körperhälfte blickte, hatte sogar ich es geschnallt. Mit einem Handtuch um meine Hüften gewickelt und einem Körper voller getrocknetem Schaum stand ich nun ganz alleine vor der Dusche und hörte mir das Gelächter der anderen an.

Erst als ich in den Spiegel sah und erkannte, wie blöd ich mit einem halbrasierten Kopf aussah, hatte ich auch endlich wieder ein Grinsen auf den Lippen.

Ich hörte Kronkorken fallen, und als ich auch noch lautes Klirren vernahm, war mir klar, dass die ersten Bierflaschen geöffnet wurden. Ich war mir total sicher, dass das Anstoßen der ersten Runde, ein Anstoßen auf mich und meine peinliche Aktion war.

„Hey Nick, komm zu uns! Du kannst bei uns drüben zu Ende duschen.“, Juli stand vor mir und lächelte.

„Danke, lieb von dir.“

Als ich an ihr vorbeiging, fühlte ich mich beobachtet. War wohl nur Einbildung, da Juli nun wirklich nicht der Typ Frau war, der einem Mann hinterher gucken würde.

„Netter Arsch“, hörte ich Juli sagen, und noch bevor ich mich umdrehte, verbesserte sie sich schnell, „Äh, ich meine dich … Also, dich als Mann. Wollte sagen, du bist doch ganz nett und kein Arsch …“ Während sie weiter herumstotterte, ging ich weiter und verschwand unter die Dusche.

Manchmal ist es einfach besser, nichts zu sagen. Und manchmal begriff sogar ich, wann ein solcher Moment war.

„Warum bist du rot im Gesicht?“, wollte Manu von Juli wissen.

„Das ist da so was von warm im Wohnmobil.“ Mehr sagte sie nicht. Juli wusste nur zu gut, dass ihr das Gesagte sowieso niemand glauben würde. Aber alles war gut. Keiner stellte eine weitere Frage.

Zehn Minuten später stand ich abgeduscht und rasiert ebenfalls am Tisch. Ein schöner Abend nahm seinen Lauf, und als der Grill anfing zu qualmen, hatten wir schon einige Biere intus.

Irgendwann ging Juli ins Wohnmobil und kam mit einer Gitarre wieder heraus. Die ersten Lieder sang sie ganz alleine, was sich aber sofort änderte, als sie ‚Over the Rainbow‘ anstimmte.

Wir sangen alle zusammen, und Juli musste dieses Lied am heutigen Abend immer wieder, bis in die tiefe Nacht hinein, spielen.

Mal sangen nur die Mädels, mal wir Jungs, und nachdem wir uns genug Mut angetrunken hatten, sangen wir sogar jeder einzeln.

In dieser Nacht wussten wir noch nicht, dass dieses Lied unser Tourlied werden würde. Aber es war in diesem Moment auch völlig egal!

Wir hatten einen tollen Abend und fühlten uns unendlich frei.

Genau wie wir es uns gewünscht hatten.

  • Fotosession

Erst weit nach Mitternacht lagen wir in unseren Betten.

Wir konnten dabei die auf das Dach vom Wohnmobil fallenden Regentropfen gut hören.

Der Regen war auch der Grund, weshalb unser schöner Abend so abrupt geendet hatte, und so hielt nun jeder seine letzte Flasche Bier für diesen Tag in der Hand.

„Einspruch. Und zwar einen energischen!“, rief Franky erbost, als er das Bier von mir in die Hand gedrückt bekam.

„Dann nehme ich es.“ Carlos streckte seine Hand aus, während ich mich wunderte. Franky war ein Biertrinker, wie er im Buche steht. Er trank keine anderen alkoholischen Getränke, und ich hatte es, soweit ich mich erinnern konnte, noch nie erlebt, dass er ein Bier ausgeschlagen hatte.

„Dreh mal nicht durch. Mein Bier bekommst du nicht!“

„Aber du wolltest doch nicht, hast du eben gesagt.“ Leicht erstaunt war der Gesichtsausdruck von Carlos.

„Habe ich nicht gesagt.“ Es war dieses typische Franky-Grinsen, mit dem er uns ansah.

„Klar hast du! Du hast Einspruch gesagt. Ich habe es ganz genau gehört. Du doch auch? Oder Nick?“ Carlos sah mich an und ich nickte.

„Stimmt. Aber nicht, weil ich kein Bier mehr möchte.“ Ich hatte keinen Schimmer, was zum Teufel Franky mit seinem Einspruch meinte. So richtig große Lust auf eine Grundsatzdiskussion hatte ich aber auch nicht, und so versuchte ich, die Diskussion mit einem einfachen Trick, der normalerweise immer klappte, zu beenden.

„Prost, meine Besten.“ Ich hielt meine Flasche hoch, und noch bevor Carlos etwas sagen konnte, mischte sich Franky schon wieder ein.

„Nö.“

„Was nö? Sag mal, willst du uns verarschen?“

„Nö.“

„Auch schön. Ich liebe diese Gespräche.“ Ich nahm meine Flasche wieder runter und stellte sie neben mein Kopfkissen.

„Wenn du so weit bist, sag einfach Bescheid. Ich hoffe nur, dass ich bis dahin nicht eingeschlafen bin.“ Demonstrativ legte ich mich hin und schloss die Augen.

Jetzt starte Carlos einen Versuch.

„Also Windfinder, kläre uns auf. Warum willst du nicht mit uns trinken?“, Carlos nahm sich zusammen und schaffte es tatsächlich, ruhig zu bleiben.

„Ich will euch doch nur retten. Es wäre ausgesprochen dumm, darauf zu trinken, dass es unser letztes Bier für heute ist.“

„Du bist soooo gut zu uns. Wenn du aber jetzt nicht endlich vollständige Sätze rauslässt oder uns vernünftig aufklärst, gibt es Haue.“ Carlos hielt seinen Arm hoch und spannte spaßeshalber seinen Bizeps an.

Ich musste lachen und Franky antwortete tatsächlich in einem kompletten Satz.

„Ach Jungs, schaut mal auf die Uhr. Wenn wir darauf trinken, dass dieses Bier das letzte für heute ist, dürfen wir fast zweiundzwanzig Stunden kein Bier mehr trinken. Wollt ihr das wirklich?“

Jetzt hielt Franky seine Flasche hoch. Carlos tat es ihm gleich. Ich richtete mich auf und konnte die Bierflasche gerade noch greifen, bevor es sich auf meiner Matratze leerte.

Endlich konnten wir anstoßen und trinken.

Wir tranken. Und zwar auf eine spannende und erfolgreiche Tour.

Eine Stunde später lag Carlos quer in seinem Bett und schnarchte.

Franky und ich schliefen nicht. Es ging einfach nicht, was weniger an Carlos Schnarchen, sondern an dem laut plätschernden Regen und dem von Wind schaukelndem Wohnmobil lag.

Ich hatte noch immer ‚Over the Rainbow‘ als Dauerschleife in meinem Kopf und war dabei, einige Stellen ins Deutsche zu übersetzen.

Besonders gut gefiel mir die Stelle ‚Weil da oben über dem Regenbogen, da ist der Himmel blau, und wenn du dich traust zu träumen, dann werden diese Träume auch wahr.‘

Ich hatte bei der Übersetzung wohl leise zu mir selber gesprochen. Anders war es nicht zu erklären, dass Franky nach unseren letzten beiden Bieren griff. Als er mir einen Wink gab, sagte er:

„So soll es sein!“

Zusammen setzten wir uns in die offene Tür vom Wohnmobil und schauten dem Sturm und Regen zu. Der Wind kam von der anderen Seite. Wir bekamen also lediglich nasse Füße.

Wir schwiegen und es war schön, mit Franky hier zu sitzen und zu schweigen. Es erinnerte mich an unseren ersten gemeinsamen Augenblick auf Sylt. Damals, als wir auf meinem Balkon gesessen und ebenfalls geschwiegen hatten. Erst, als das Gewitter weit draußen auf dem Meer immer stärker wurde, begannen wir wieder damit, uns zu unterhalten. Wir sprachen über unsere alten Herren und lachten darüber, dass die beiden genau jetzt da oben saßen und sich über uns amüsierten. Wahrscheinlich hatten sie uns das Wetter für die erste Nacht im Wohnmobil geschickt, und vorher hatten sie darum gewettet, ob wir schlafen konnten oder nicht. Wobei, wer von den beiden hätte auf Schlafen tippen sollen? Wahrscheinlich keiner. Dafür kannten sie uns zu gut.

„Auf Euch.“ Wir hielten unsere Flaschen, soweit wir nur konnten, dem Himmel entgegen und freuten uns, solch tolle Väter gehabt zu haben.

Ich sprang auf und stellte mich unter den freien Himmel.

Barfuß und nur in Shorts und T-Shirt stand ich im strömenden Regen. Innerhalb von Sekunden war ich nass bis auf die Haut und fühlte mich gut dabei. Es war ein Gefühl der Freiheit. Ich hüpfte von Pfütze zu Pfütze und versank dabei bis zu meinen Knöcheln im Matsch.

Als ich mich umdrehte, sah ich Franky nicht mehr im Eingang sitzen und ärgerte mich, dass er einfach ins Wohnmobil verschwunden war.

Erst als ich mich nach links gedreht hatte, konnte ich erkennen, dass Franky das Gleiche tat wie ich. Wie kleine Kinder sprangen wir durch den Regen und lagen uns irgendwann einfach nur in den Armen.

Unsere Flaschen waren noch halbvoll und dem Geschmack nach muss die eine Hälfte davon Regenwasser gewesen sein.

Doch es war uns egal, irgendwie schmeckte das Zeugs trotzdem.

Auf Frankys Frage, wo wir jetzt noch ein neues Bier herbekommen sollten, antwortete ich erst mit Achselzucken und dann mit:

„Du Scheiße, Bobby ist noch draußen!“ Erst jetzt war mir eingefallen, dass ich meine Schildkröte vorhin nicht mit in das Wohnmobil genommen hatte.

„Ehrlich?“ Franky sah mich an.

„Ganz ehrlich sogar.“

„Dann spielen wir jetzt also das Spiel, das wir auch damals auf der Hinfahrt nach Sylt am Bahnhof in Husum gespielt haben?“ Auch damals war mir Bobby entlaufen, da ich sie unbedingt auf einer Wiese füttern wollte und dabei für einen kurzen Augenblick abgelenkt gewesen war. Den Zug hatten wir verpasst. Bobby aber jedoch wiedergefunden.

„Ja“, rief ich und begann damit, im Entengang die Gegend abzusuchen.

Entengang konnte Franky dank seiner kaputten Hüfte nicht, und so kroch er auf seinen Knien durch den Matsch.

„Und wenn sie ins Meer gelaufen ist?“ Franky hielt inne und sah mich an.

„Glaube ich nicht. Sie wird nicht durch den Sand gegangen sein.“

„Warum nicht?“ Franky war erstaunt.

„Weil Schildkröten nicht durch Sand laufen. Die verstecken sich lieber unter Sträuchern.“ Zumindest war es bisher immer so gewesen.

„Okay, dann suche ich oben in den Büschen.“ Franky ging zum Gebüsch, während ich unter unserem Wohnmobil nachsah.

  • Hilfe

„Kann ich helfen?“ Ich erschrak mich und zuckte zusammen.

„Juli. Was machst du hier?“ Verblüfft sah ich Juli ins Gesicht.

„Die Frage muss wohl lauten, was macht ihr hier?“ Ihr breites Grinsen war durchaus berechtigt.

„Wir suchen Bobby.“

„Genau das hatte ich mir schon gedacht.“ Juli lachte, bevor sie weiter redete.

„Wer oder was ist bitteschön Bobby?“ Ihre Frage war beendet. Ihr Lachen allerdings nicht.

„Meine Schildkröte.“ Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, antwortete ich mit diesen beiden Worten.

„Schildkröte?“

„Ja.“

Nun waren wir schon zu dritt. Während ich weiter die Gegend um unser Wohnmobil herum absuchte, machte Juli sich auf den Weg zum Strand und war fast schon dort, da er nur wenige Meter von uns entfernt gewesen war.

„Am Strand ist sie garantiert nicht. Schildkröten mögen keinen Sand. Sie ziehen Gebüsche vor, da sie sich dort besser verstecken können“, rief ich Juli hinterher und sah, wie sie sich bückte und mit etwas in ihren Händen zurückkam.

„Ist das Bobby?“ Ihre weißen Zähne strahlten mich an.

„Ja. Woher wusstest du, wo sie ist?“ Erstaunt war der falsche Ausdruck für einen Zustand.

„Weil ich sie dort vorhin gesehen habe.“ Noch immer konnte ich Julis weiße Zähne erkennen.

„Und du hast sie einfach dort sitzenlassen?“

„Woher sollte ich wissen, dass es deine ist?“ Juli zuckte mit den Schultern.

„Das vielleicht nicht. Aber eine Schildkröte hier am Strand hätte dir doch komisch vorkommen müssen.“ Ich war erstaunt darüber, dass Juli nicht erstaunt darüber war.

„Nein gar nicht. Das ist doch normal.“

„Schildkröten am Strand von Sylt sind normal?“ Ich lachte auf.

„Ja. Oder nicht? Ich denke, die Dinger kommen im Dunkeln aus dem Wasser und legen ihre Eier am Strand ab.“ Ich wartete auf ein Lachen oder zumindest darauf, dass Juli mir nun die tatsächliche Story erzählen würde. Es kam aber keines von beiden, und so verabredeten wir, dass wir uns in zwei Minuten an ihrem Wohnmobil treffen wollten. Ich wollte Bobby nur schnell in ihr Gehege bringen, und Juli machte sich auf den Weg, um Bier zu besorgen.

Als wir zusammen im Vorzelt der Mädels saßen, klärte ich Juli über Schildkröten auf. Zunächst erklärte ich ihr den Unterschied zwischen Wasserschildkröten und Landschildkröten und dann natürlich noch, dass Wasserschildkröten nicht wirklich in der Nordsee leben würden.

„Jetzt denkst du bestimmt, ich bin ’ne Vollbratze. Stimmt’s?“ Leicht erschrocken war Julis Gesichtsausdruck.

„Nein, würde ich nie glauben. Schildkröten sind ja auch ein schwieriges Thema. Die Hauptsache ist doch, dass du gut zu Vögeln bist.“ Ich blieb ernst und war schon ziemlich erleichtert, dass Juli meine Anspielung verstand.

„Du Arsch! Los, lass uns trinken!“

„Gerne! Prost.“ Juli hatte bei diesem Unwetter auch nicht schlafen können. Es war erst ihre zweite Nacht in einem Wohnmobil. Auch die Mädels waren Neuankömmlinge auf dem Campingplatz und kamen aus Berlin, was ich aber schon längst am Akzent erkannt hatte. Nachdem ich erfahren hatte, dass sie für drei Wochen hier auf dem Campingplatz bleiben wollten und keine bisher irgendetwas mit Surfen am Hut hatte, waren unsere Bierflaschen leer.

„Möchtest du ein neues Bier?“ Juli sah mich fragend an.

„Eigentlich nicht.“

„Und uneigentlich?“ Erneut sah ich ihre weißen Zähne, während sie lachte.

„Nein, Juli. Lass mal. Du willst doch sicherlich schlafen?“

„Nick, meinst du, ich kann jetzt einschlafen? Der Regen, der Wind, das Gewitter…“ Ich unterbrach sie.

„Und dann noch ich.“

„Genau. Und dann noch du.“ Juli stand auf und gab mir einen Kuss auf meinen rasierten Kopf.

„Also, doch noch ein Bier?“

„Was hast du noch?“ Auf Bier hatte ich keinen Appetit mehr.

„Mädchenbier von Manu.“

„Mädchenbier?“ Ich hatte keinen Schimmer, was sie mit diesem Ausdruck gemeint hatte.

„Ja, dieses Lemonzeugs.“

„Dann nehme ich ein Mädchenbier.“ Gerade als ich die Flaschen öffnen wollte, fiel mir Franky ein und ich bekam ein ziemlich schlechtes Gewissen.

„Was ist?“ Juli hat meinen Gesichtsausdruck gesehen.

„Franky.“

„Du meinst, er sucht noch immer.“ Juli musste sich ein Lachen verkneifen, während ich ein schlechtes Gewissen bekam.

„Garantiert.“

„Komm Nick, wir retten ihn!“ Zusammen gingen wir zu den oberen Gebüschen und sahen, dass Franky noch immer auf allen Vieren vor dem Gebüsch krabbelte und nach Bobby suchte.

Ich war froh, dass es noch immer wie aus Kübeln goss, da Juli und ich in den letzten fünfundvierzig Minuten etwas getrocknet waren und wir auf den wenigen Metern hierher wieder genauso nass aussahen wie vorher.

Kurz hatten wir überlegt, einen Regenschirm zu benutzen. Verwarfen dies aber ganz schnell und zwar aus zwei Gründen. Erstens hätte Franky dann etwas bemerkt und zweitens hatten wir keinen Schirm. Wer nimmt schon einen Regenschirm mit nach Sylt?

Ich hätte noch eine Ewigkeit zusehen können, wie mein Freund durch den tiefen Matsch kroch. Juli musste sich ihr Lachen verkneifen und erst in dem Moment, als Franky wieder in ein Gebüsch hinein kriechen wollte, erlöste ich ihn.

„Bobby ist wieder da. Du kannst aufhören zu suchen.“

„Wo war sie?“ Interessiert sah Franky mich an.

„Unten am Strand. Juli hat sie gefunden.“ Nickend begleitete Juli meine Worte.

„Ein Glück. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so an einem laufenden Fischbrötchen hängen würde.“ Lachend stand Franky auf

„Ich habe sie schon ins Wohnmobil gebracht.“ Beruhigt sagte ich diese Worte.

„Sag mal Nick. Hattest du nicht gesagt, dass wir überall, nur nicht am Strand, suchen müssen?“ Erst jetzt war es Franky aufgefallen.

„Ja. Da habe ich mich wohl getäuscht.“

„Schön, wie du dein Tier so gut kennst.“ Lachend und froh legte Franky sein Arm um meine Schulter. Ich tat bei Juli das Gleiche, und Arm in Arm gingen wir drei zum Wohnmobil der Mädels.

Dass dort bereits unsere Flaschen auf dem Tisch standen, registrierte Franky nicht. Er griff einfach nach einer und meinte:

„Los, auf den Schreck!“ Juli holte sich ein neues Bier, und in dem Moment, als wir anstoßen wollten, durfte sie noch eine Flasche holen. Manu war wach geworden und setzte sich zu uns. Zunächst sträubte sie sich noch, jetzt Alkohol zu trinken. Nachdem wir sie jedoch als spießige Spaßbremse bezeichnet hatten, trank sie aber doch mit.

Es war inzwischen fast fünf Uhr früh. Das Gewitter hatte sich verzogen und der Regen aufgehört. Nur der Wind war noch immer so stark, wie die ganze Nacht. Nachdem Franky uns die neuesten Winddaten übermittelt und erklärt hatte, waren wir schlauer. Zumindest taten wir so. Ich glaube, dass Juli genauso wenig zugehört hatte wie ich, und ich vermutete, dass Manu die Ausführungen nicht verstanden hatte. Franky warf mit Fachausdrücken nur so um sich, und wenn man ahnungslos war, welche Bedeutungen welches Wort hatte, war es echt schwierig, alles zu verstehen. Die Mädels hätten nachfragen können. Ich nicht, da ich alle diese Worte bestimmt schon hunderte Male erklärt bekommen hatte. Kapiert hatte ich es trotzdem bis heute nicht. Ob es an meiner fehlenden Intelligenz oder einfach am mangelndem Interesse lag, wusste ich nicht, und ehrlich gesagt war es mir in diesem Fall auch nicht wichtig. Ich hatte meine eigene Art, um den Wind zu messen. Wenn kein Wind war, hingen die Fahnen. Bei wenig Wind bewegten sie sich ein bisschen und bei starkem Wind flatterten sie wie verrückt.

Wir waren schon längst auf Kaffee umgestiegen und standen mit unseren Bechern in der Hand vor dem Zelt. Der freie Blick auf die tobende Nordsee war einfach atemberaubend schön. Ganz langsam konnten wir erkennen, wie es hinten am Horizont hell wurde. Der Morgen war dabei, die Nacht abzulösen, und Manu war es, die den Einfall hatte, ins Meer zu springen.

Frankys Monolog über den Wind, die Strömung, die Wellen und das Baden im dunklen Meer im Allgemeinen, ignorierten wir. Wir liefen hinunter zum Wasser und sprangen in die Wellen. Wir blieben dicht zusammen und gingen auch nicht weit hinaus. Wir wussten schließlich, dass Franky recht hatte. Das Meer konnte schon gefährlich sein und trotzdem hatten wir viel Spaß.

Sogar Franky war mit im Wasser.

Es gab Momente im Leben, da war es schön, wieder Kind zu sein.

Einfach mal nur machen, nicht vorher alles zu überdenken und zu planen!

  • Surfen

Als wir wieder aus dem Wasser kamen, musste ich komischerweise an Lina denken. Auch ihr hätte unser frühmorgendlicher Badeausflug ganz sicher gefallen, und ich nahm mir vor, es mit ihr zusammen ebenfalls zu machen.

Wir besorgten uns trockene Sachen aus dem Wohnmobil und gingen zu viert am Ellenbogen spazieren. Auf den Deichen konnten wir die Schafe beim Grasen beobachten. Plötzlich fing Manu an, uns mit kleinen Steinen zu bewerfen. Als wir das Werfen erwiderten, lief sie los, und wir jagten hinter ihr her, bis wir oben am Deich angekommen waren.

Die Schafe blökten und sahen uns verdutzt an. Auch für sie war es eine neue Erfahrung, um diese Uhrzeit vier verrückte Menschen laut lachend durch ihr Revier laufen zu sehen. Jogger kannten sie, aber was wir jetzt aufführten, war definitiv nicht normal.

Vor allem ab dem Moment, als Juli auf die Idee kam, sich auf Manus Seite zu stellen und die beiden Mädels gemeinsam damit begannen, uns mit Schafskötteln zu bewerfen.

Logisch nahmen wir das Duell an und starteten eine Schlacht, die der Deich noch nie gesehen hatte. Ob uns jemand dabei beobachtet hatte, wussten wir nicht, es war uns auch im wahrsten Sinne pupsegal.

Erschöpft, doch keineswegs müde, kamen wir zurück und setzten uns leise in die windgeschützte Ecke neben das Vorzelt der Mädels. Wir wollten Bine und Carlos schlafen lassen.

Ganz leise unterhielten wir uns über frühere Erlebnisse, und immer dann, wenn Franky mit dem Erzählen an der Reihe war, mussten wir uns zusammennehmen, nicht laut zu lachen. Er war ein toller Erzähler, und aus meiner Sicht, war ein Alleinunterhalter an ihm verloren gegangen. Er hatte es einfach drauf, und seine ausgeprägte Gestik und Mimik suchte seinesgleichen.

Es war schön und ich freute mich, wieder auf Tour zu sein. Wieder Dinge ab vom Alltag zu erleben. Auch wenn mein Alltag ganz bestimmt keine Langeweile aufkommen ließ. Aber alleine für die letzte Nacht und diesen Morgen hatte es sich gelohnt, das Wohnmobil zu chartern.

Ich musste schmunzeln, denn immerhin war ich nur circa zwanzig Kilometer von meinem neuen Zuhause entfernt und trotzdem war alles ganz anders.

„Was wird hier um diese Uhrzeit schon gelacht?“, hörten wir eine Stimme rufen, während wir von einer Fahrradklingel aus den Gedanken gerissen wurden.

Carlos und Bine standen nur wenige Schritte hinter uns und hatten einen Fahrradsattel unter ihren Hintern.

„Fang!“ Carlos warf mir einen Stoffbeutel entgegen, während Bine mit gespieltem Entsetzten fragte, weshalb es noch nicht nach Kaffee duften würde.

Ruckzuck war der Tisch gedeckt, und der Kaffeeduft drang aus dem Wohnmobil bis ins Vorzelt zu uns.

Abgewaschen wurde zusammen, und als Juli plötzlich mit Bobby in den Händen zurückkam, staunten die beiden anderen Mädels nicht schlecht.

Franky erzählte von der nächtlichen Suche und da Juli mich flehend ansah, verkniff ich mir, weitere Details über ihr Fachwissen von Schildkröten zu erzählen. Auch wenn es mir sehr schwer fiel. Somit waren wir quitt. Sie verschwieg, dass ich Franky noch fast eine Stunde unnötig durch die Matschwiesen habe krabbeln lassen.

Dann ging es los.

Als die Mädels damit begonnen hatten, ihre Surfbretter vom Dach des Wohnmobils zu holen, lachten Carlos und ich. Während er sich über die Bretter ausließ, stellte ich mir die Frage, wie sie bei dem Wind und diesen großen Wellen ihre ersten Surfversuche starten wollten.

Doch die Mädels waren fest davon überzeugt, dass sie das Ding schon schaukeln würden.

Schaukeln tat es dann auch ordentlich. Das Meer spielte mit ihren Brettern, und es sah mehr danach aus, als wenn die drei Mädels eine andere Variante von Fang den Hut spielen würden.

„Sag mal Carlos, warum bringst du ihnen nicht das Surfen so bei, wie du es bei mir gemacht hast? Ich meine, erst am Strand auf das Brett hüpfen und Trockenübungen machen? Einfach, damit die Mädels zunächst etwas Gefühl für das Brett bekommen.“

„Ganz einfach. Erstens haben sie nicht danach gefragt. Zweitens macht es bei dem Wind für Anfänger tatsächlich null Sinn und drittens macht es viel Spaß, den Girls beim ins Wasser fallen zuzusehen.“

Dass es keinen Sinn hatte, merkte ich bereits, nachdem ich einige kurze Strecken im Weißwasser absolvierte und keine Chance hatte, auch nur etwas weiter hinaus auf das Meer zu gelangen. Ich hörte auf und sah lieber den Mädels dabei zu, wie sie noch immer Fang das Brett spielten und bat Franky, einige Bilder von ihnen zu machen.

„Was meinst du, was ich seit einer halben Stunde mache?“ Franky lachte, konnte mir die Bilder auf dem Display aber noch nicht zeigen, weil er sekündlich mit neuen lustigen Szenen rechnen musste.

Erst als Carlos aufs Wasser ging, hörte Franky auf, die Mädels zu knipsen. Ich lief hinauf zum Wohnmobil, um sein Stativ zu holen. Bei diesem Wind konnte er das jetzt benötigte große Objektiv mit seinen Händen nicht ruhig genug halten.

Nach wenigen Minuten war ich zurück und erntete böse Blicke, weil ich mir seiner Ansicht nach viel zu viel Zeit gelassen hatte.

„Hallo, ich hab mich echt beeilt! Fliegen kann ich nicht!“ Immerhin war ich für ihn gelaufen.

„So so, echt beeilt?“

„Ja!“ Franky sah mich böse an.

„Warum guckst du so böse?“ Tatsächlich war sein Gesichtsausdruck alles andere als freundlich.

„Wenn du dich echt beeilt hast, wie kommt dann der frische Kaffee in die Thermoskanne?“

„Nun ja, den habe ich noch schnell gekocht...“, gab ich reumütig zu.

„Wegen dir habe ich einen Dreifachloop verpasst.“ Ohne mich anzusehen, hatte Franky diesen Satz gesagt.

„Dann muss Carlos halt noch einen machen.“ Ich verstand das Problem nicht.

„Du Vollhorst! Ich denke, du hast Ahnung vom Surfen?“

„Hab ich ja auch.“ Während ich Franky ansah, ging sein Blick durch die Kamera auf das Meer.

„Hast du nicht. Sonst würdest du wissen, dass ein Dreifachloop nicht einfach nur mal so gesprungen wird. Den können nur die Wenigsten und das auch erst seit ein paar Monaten.“ Ich sah sein Kopfschütteln und ärgerte mich über meinen Freund.

„Du hättest das blöde Stativ ja auch selber holen können. Oder noch viel besser, du hättest es ja einfach nicht vergessen brauchen“, beleidigt ging ich einige Schritte weiter und setzte mich zu den Mädels. Sie hatten endlich eingesehen, dass es für sie heute keinen Sinn machte, auf dem Wasser zu sein.

Dafür saßen sie jetzt mit staunendem Blick auf ihren Brettern und sahen Carlos bei seinen Manövern und Sprüngen zu.

„Der hat es aber drauf!“

„Ja, fast so wie ihr.“ Ich lachte während meiner Worte.

„Du warst auch nicht besser.“ Juli grinste und hatte leider recht. Bei dem Wind hatte ich keine Chance, etwas länger auf dem Brett zu bleiben.

Da ich meinem Freund nie lange böse sein konnte, ging ich wieder zu ihm.

„Wenn du mir jetzt auch noch Tipps geben willst, wie ich die Bilder machen soll, kannst du gleich wieder verschwinden.“ Ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel.

„Würde ich das wagen?“

„Ja, würdest du.“

„Will ich aber nicht. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du einen Kaffee möchtest?“ Ich fand, dass ein Kaffee eine gute Entschuldigung war.

„Ja gerne, vergiss aber nicht, wie du es sonst so gerne machst, mit dem Kaffee zu mir zurückzukommen. Einen kalten brauchst du aber auch nicht anzuschleppen.“

„Keine Angst, Christa ist ja nicht hier.“

Wir lachten beide und ich machte mich auf den Weg zu den Mädchen und der Thermoskanne. Über die Anspielung von Franky ärgerte ich mich nicht. Ich war es schließlich, der in den letzten Wochen ständig vergessen hatte, Franky einen Becher mitzubringen. Wenn er Glück hatte, kam ich manchmal aber auch mit einem Kaffee zurück. Der war dann immer kalt, weil ich tatsächlich jedes Mal Christa getroffen hatte und wir noch geklönt hatten.

„Na, seid ihr wieder lieb zueinander?“ Neugierig sah Manu mich an.

„Ja Manu, wir sind wieder lieb. Ich hole nur schnell einen Kaffee für Franky und mich, und dann seid ihr mich auch wieder los.“

Schnell goss ich mir einen Becher ein und nahm den ersten Schluck. Zusammen sahen wir vier noch einen Augenblick bei Carlos tollen Sprüngen zu. Als ich die Kanne erneut in die Hand nahm, um sie Franky zu bringen, sah ich die Girls fragend an.

„Was ist?“, wollte Bine wissen.

„Der Kaffee ist alle.“ Erst jetzt sah ich, dass Manu, Bine und Juli einen gefüllten Kaffeebecher in ihren Händen hielten.

„Dann kochst du halt neuen.“ Manu konnte nicht wissen, wie häufig ich Franky in den letzten Wochen mit Kaffee versetzt hatte, und so verstand sie meinen ärgerlichen Blick natürlich nicht.

„Wo genau ist dein Problem.“ Ein verständnisloser Blick erreichte mich.

„Wenn ich das jetzt auch noch erklären würde, kommt Franky nie zu seinem Kaffee. Bis gleich.“ Ich lief hinauf zum Wohnmobil. Erst als ich in der Küche stand, fiel mir ein, dass unser Kaffee alle war. Ich hatte vorhin den Rest genommen.

Im Eiltempo rannte ich wieder hinunter zum Strand. Franky war zum Glück so sehr mit seinen Fotos beschäftigt, dass er kein Auge für mich hatte, und so konnte ich unbemerkt zu Juli schleichen.

„Spielst du Indianer?“, hörte ich Manu sagen, als ich bei den Mädels ankam.

„Psst.“

„Nein, er spielt Sesamstraße. Psst, willst du ein E kaufen?“ Bine machte sich über mich lustig und Manu kriegte sich vor Lachen nicht wieder ein.

„Juli, hast du den Schlüssel?“, flüsterte ich.

„Euren Schlüssel? Nein, den habe ich nicht.“ Kopfschütteln begleitete ihre Antwort.

„Nicht unseren. Euren Schlüssel.“

„Ja.“

„Dann komm schnell mit.“ Für weitere Worte hatte ich keine Zeit.

„Was ist los?“

„Erzähle ich dir im Wohnmobil.“

Wir liefen los und bekamen von Manu noch hinterhergerufen, dass wir keine schmutzigen Sachen machen sollten.

  • Hilfe beim Kaffee

Während wir liefen, wollte Juli endlich wissen, was es so Wichtiges geben würde, doch ich griff einfach ihre Hand und zog sie hinter mir her. Nachdem Juli aufgeschlossen hatte, stürzte ich hinein und verschwand sofort hinter der Küchenzeile.

„Nick, sagst du mir jetzt endlich, was los ist?“ Ich konnte ihren Blick zwar nicht sehen, dafür jedoch an ihren Worten erkennen.

„Kaffee. Ich muss dringend für Franky Kaffee kochen. Ich kann ihn nicht schon wieder ohne Kaffee stehen lassen.“ Hektisch öffnete ich den ersten Schrank.

„Wirst du wohl müssen.“

„Warum?“ Ich sah Juli entsetzt an.

„Erinnerst du dich an gestern und heute Nacht?“

„Klar. Was soll denn die blöde Frage jetzt?“, fragte ich, während ich Wasser in die Kaffeemaschine füllte, obwohl ich bisher keinen Kaffee gefunden hatte. Ich war mir sicher, dass Juli mir die Kaffeedose reichen würde.

„Lass es.“

„Warum? Willst du mir keinen Kaffee leihen?“ Fast etwas wütend stellte ich meine Frage.

„Doch klar.“

„Dann lass mich jetzt schnell Kaffee kochen. Während er durchläuft, erzählst du mir, was der gestrige Tag und die heutige Nacht mit dem Kaffee zu tun haben soll“ Ich sah mich um und fand jetzt selbst die Kaffeedose oben auf dem Regal. Voller Euphorie griff ich nach ihr, riss den Deckel hoch und sah nichts. Ich blickte in eine leere Dose und ging automatisch zwei Schritte nach rechts, um den Kühlschrank zu öffnen.

„Kannst du dir sparen.“

„Was?“

„Den Kühlschrank zu öffnen. Da ist auch kein Kaffee.“ Ich sah das Achselzucken von Juli ganz genau.

„Wo denn? Kaffee gehört zur Aufbewahrung in den Kühlschrank.“ Wo um alles in der Welt hatten die Mädels nur den Kaffee stehen? Die Zeit lief eindeutig gegen mich, da Franky noch immer auf mich, besser gesagt, auf den Kaffee wartete.

„Ich weiß.“

„Was weißt du?“ Konnte oder wollte Juli keine ganzen Sätze sagen? Ich ärgerte mich echt total.

„Ich weiß, dass Kaffee zur Aufbewahrung in den Kühlschrank gehört.“

„Aber er ist hier nicht.“ Aufgewühlt sprach ich zu der Frau, die mich in diesem Moment noch wütender machte. Was sollte ihr blödes Grinsen bedeuten?

„Nick, wenn wir noch Kaffee hätten, wäre er im Kühlschrank. Wir haben den Kaffeevorrat in den letzten vierundzwanzig Stunden vernichtet. Woher sollten wir wissen, dass wir hier mit drei Verrückten Tag und Nacht ein Kaffeewetttrinken veranstalten?“ Juli lachte herzhaft, während mir gar nicht zum Lachen zumute war.

Kurz sah ich mich um und erblickte eine Packung Kamillentee.

„Darf ich?“

„Was?“ Ich nahm die Packung und hielt sie Juli entgegen. Leider gab es keinen Wasserkocher und so ließ ich das benötigte Wasser einfach durch die Kaffeemaschine laufen. Anschließend goss ich es in die Thermoskanne und tat drei Beutel Kamillentee hinein.

Juli verzog ihr Gesicht, ohne dabei ein Wort zu sagen. So ganz sicher, ob Franky sich über mein Mitbringsel freuen würde, war ich mir zwar nicht, doch mir war klar, dass ich ohne Heißgetränk nicht bei ihm anzutanzen brauchte.

Unten am Strand wischte ich einen der Kaffeebecher mit einem Papiertaschentuch aus und füllte ihn anschließend mit dampfendem Tee. Langsam ging ich zu Franky und überreichte ihm den Becher.

„Verdammt heiß der Becher. Aber mir ist auch ganz schön kalt und irgendwie hat es auch ziemlich lange gedauert. Ich hatte schon Angst, du hast mich wieder vergessen.“

„Quatsch! Versprochen ist versprochen. Du kennst mich doch.“

Mit einem Auge durch die Kamera schielend, führte Franky den Becher zum Mund und nahm einen kräftigen Schluck. Ich war beruhigt, es schien ihm zu schmecken. Wahrscheinlich war ihm alles recht. Hauptsache, es wärmte ihn wieder etwas auf.

Plötzlich drehte er sich ruckartig zu mir um. Während dieser Bewegung spuckte er den Kamillentee in meine Richtung. Dank des starken Windes, aber knapp an mir vorbei.

„Willst du mich vergiften? Das ist doch kein Kaffee.“

„Nein, der war leer. Aber dafür leckerer Kamillentee. Der ist bei dem Wind auch viel besser, der wärmt dich so richtig schön durch!“ Ich lächelte und hoffte, dass Franky es mir gleichtun würde.

„Kamillentee? Ich mag keinen Kamillentee! Und überhaupt, nach Kamillentee schmeckt das Zeug auch nicht.“

„Ich finde es lecker.“

„Dann trink!“ Franky drückte mir den Becher in die Hand und befahl mir, ihn zu trinken. Immerhin mochte ich das Gesöff ja angeblich so gerne.

„Und wehe, du spuckst ihn hier in den Sand. Ich passe auf!“

Es war wirklich ekelig, doch ich wollte mir nichts anmerken lassen, und so trank ich im Beisein von Franky den Becher komplett aus.

„Ich weiß gar nicht, was du hast? Nur weil du nichts anderes als Bier und Kaffee trinkst, muss ja nicht alles andere schlecht sein.“ Ich ging rüber zu Juli, die bei ihren Mädels saß.

„War es sehr schlimm?“ Juli war neugierig.

„Ja. Gib her, ich schütte den Rest aus der Thermoskanne weg.“

„Schon erledigt. Ich hatte Angst, dass Franky sonst von dir verlangt, auch was von dem Zeugs zu trinken.“

Carlos blieb noch eine ganz Weile auf dem Wasser, und Franky schoss ein Bild nach dem anderen. Ich fuhr los, um den Wassertank zu füllen und ging danach mit den Mädels einkaufen. Wir wollten heute Abend grillen und brauchten noch die komplette Ausstattung an Lebensmitteln dafür.

Kaffee kauften wir gleich mehrere Pakete. Vorsichtshalber!

Wir waren vom Einkaufen zurück, und ich lag auf meinem Bett, als meine beiden Freunde ihre Session endlich beendet hatten und auch im Wohnmobil ankamen. Carlos sprang unter die Dusche, und während Franky im Internet nach den Windprognosen für morgen Ausschau hielt, kochte ich für uns einen richtig starken Kaffee.

Mit den Kaffeebechern in der Hand lagen wir alle kaputt auf unseren Betten und unterhielten uns. Als Franky mit seiner Rede über die Windverhältnisse für morgen fertig war, wechselte ich das Thema und konnte endlich das erzählen, was ich schon seit gestern vor mir herschob.

„Habt ihr schon eine Idee, was wir am Wochenende machen wollen?“

„Was ist denn das für ’ne Frage?“, wollte Carlos wissen und Franky ergänzte:

„So einen Scheiß fragst du sonst nicht mal. Ich meine dann, wenn wir nicht auf Tour sind. Wie kommst du jetzt darauf?“ Erstaunte Gesichter sahen mich an.

„Nur so ...“

„Genau! Nur so. Du bist ein Spacken.“ Carlos begann zu lachen und Franky stieg mit ein.

„Was bin ich?“

„Ein Spacken.“ Meine Freunde lachten noch immer.

„Es ist gemein, so was zu mir zu sagen.“ Ich verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Nein, gemein ist es, uns anzulügen!“ Nach seinen Worten griff Franky nach seiner Kamera und beugte sich zu Carlos, um ihm die Fotos vom heutigen Tag zu zeigen.

„Hey, ihr ignoriert mich. Wie fies!“ Meine Arme hatte ich noch immer verschränkt, allerdings waren jetzt auch meine Lippen zu Schmolllippen geworden.

„Dann sag uns, was du wirklich willst und wir sind ganz Ohr.“ Nur kurz sah Carlos zu mir und richtete dann seinen Blick wieder auf die Kamera.

Ich überlegte, wie ich es am besten verpacken konnte und legte dann doch einfach ohne jegliche Verpackung los.

„Ich habe, als wir auf der Hinfahrt Lina und ihre Oma getroffen hatten, Lina versprochen, dass sie uns nächstes Wochenende hier besuchen darf.“ Gespannt wartete ich auf eine Reaktion meiner Freunde.

„Ist okay.“ Carlos sah mich an.

„Und ich habe ihr gesagt, dass ich sie Freitag nach der Schule abhole und sie bis Sonntag bleiben kann.“

„Wie cool für die Kleine.“ Auch Franky sah mich nun an.

„Und weiter?“, wollte ich wissen.

„Nichts weiter. Echt eine super Idee von dir. Ich bringe ihr dann das Surfen bei!“

„Und ich gehe mit ihr auf Foto-Tour. Das wollte sie doch sowieso gerne mal machen.“

Etwas verwirrt sah ich meine Freunde an, und mir wurde wieder einmal bewusst, dass ich die besten Freunde der Welt hatte!

  • Grillen ohne Party oder Grillparty?!

„Sollen wir hier eigentlich alles alleine machen? Wofür gibt es eigentlich Männer auf dem Campingplatz?“ Manu stand vor unserem Wohnmobil und rief nach uns.

„Komm rein!“ Franky grölte zurück. Bereits nach wenigen Sekunden hielt Manu einen Kaffeebecher in der Hand und sah sich mit uns zusammen die Bilder vom heutigen Tag an.

Unser Laptop war eingeschaltet und wir konnten sie uns in einem großen Format ansehen.

Wir lagen auf unseren Betten und lachten. Wir waren noch nicht bei den Sprüngen von Carlos angelangt, sondern sahen uns die Surfversuche von Bine, Manu und Juli an.

„Hallo, ist jemand da?“ Jetzt war es Juli, die an unserer Tür klopfte.

Doch wir hörten das Klopfen nicht. Besser gesagt bekamen wir es nicht richtig mit, da wir so sehr mit den Bildern beschäftigt waren. Dafür hörte Juli uns und entschloss sich, einfach die Tür zu öffnen und nachzusehen, wo wir blieben.

„Na toll, Manu. Wolltest du nicht nur kurz die Jungs abholen und dann helfen, den Tisch zu decken?“ Mit ihren Händen in die Hüften gestemmt stand Juli im Wohnmobil.

„Ja, schon. Aber schau mal. Was für geile Bilder!“ Manu deutete auf den Laptop. Die Neugier hatte gesiegt. Juli setzte sich nun ebenfalls zu uns aufs Bett, bekam jedoch keinen Kaffee. Wir hatten unsere Becher inzwischen ausgetrunken und beschlossen, dass wir genügend Koffein für den heutigen Tag intus hatten. Ich holte fünf Flaschen Bier aus der Kiste und reichte sie weiter an Franky, der sie mit einem Kaffeelöffel öffnete. Alle rückten näher zusammen, und so konnte ich mich wieder mit auf die Betten legen. Selbstlos wie ich war, suchte ich mir den Platz zwischen Manu und Juli aus.

Immer wieder musste Franky mit der Pfeiltaste auf Zurück drücken. Irgendeiner wollte immer ein Bild nochmals sehen oder einer erkannte eine lustige Sache, die von uns anderen nicht gesehen wurde. Man konnte auch tolle Geschichten zu den Bildern erfinden. Juli erklärte uns zum Beispiel, dass nicht die Wellen sie bei diesem Bild vom Brett geworfen hatten. Es war ein mysteriöses Tier. Ein solches Lebewesen hatte sie bisher noch nie live gesehen. Sie hatte auch panische Angst, die sie in diesem Moment nur verborgen hatte. Juli wollte auf dem Wasser einfach nur vermeiden, dass wir in Panik ausbrachen.

„Du bist wirklich gut zu uns. Danke nochmal“, sagte ich.

Während Franky nochmals auf die Pfeiltasten drücken musste, sagte Manu,

„Schaut mal, was ist denn da im Wasser?“

Tatsächlich war etwas Merkwürdiges auf dem Bild zu erkennen. Wahrscheinlich durch das Licht der Sonne, das sich durch eine Wolke geschmuggelt hatte.

„Seht ihr, habe ich doch gesagt. Es waren nicht die Wellen, die mich vom Brett geworfen haben!“ Hatte ich etwa gerade Angst in den Worten von Juli wahrgenommen?

„Stimmt, die Wellen haben dich wirklich nicht vom Brett geschmissen.“ Carlos mischte sich ein und ich war etwas erstaunt über seine Bemerkung.

„Meinst du Carlos? Glaubst du echt, dass da irgendwas im Wasser war?“ Juli schien tatsächlich, etwas Schiss zu bekommen.

„Nein, da war garantiert kein unbekanntes Lebewesen im Wasser.“

„Was denn?“

„Nichts hat dich vom Brett geworfen. Du hast es doch gar nicht geschafft, auf das Brett zu kommen.“

Ein Kissen flog in Carlos Richtung, und weil er sich aufgrund von Platzmangel nicht zur Seite rollen konnte, traf Juli ihn genau im Gesicht. Dieser Wurf war jedoch nicht nur ein Volltreffer. Er war auch der Anfang für eine ausgiebige Kissenschlacht.

Als wir alle kaputt und lachend auf den Betten lagen, bemerkten wir, dass Bine zwischen uns lag.

„Was machst du denn hier?“, wollte Carlos wissen.

„Tolle Begrüßung.“

„Ich meinte natürlich, schön dich neben mir liegen zu haben.“ Carlos drehte sich auf die Seite und drückte Bine einen Kuss auf die Wange.

„Die will auch!“ Bine drehte ihren Kopf und hielt Carlos auch ihre andere Wange hin. Nach dem zweiten Kuss sagte Carlos:

„Mensch Bine, du hast echt was verpasst. Wir haben eben ’ne supergeile Kissenschlacht gemacht.“

„Ich war dabei.“ Bine grinste.

„Du warst dabei?“ Ein lustiger und verwirrter Blick verließ die Augen von Carlos.

„Klar. Was meinst du, warum ich so kaputt neben dir auf dem Bett liege?“

„Vielleicht, weil du alleine alle Vorbereitungen für unseren Grillabend gemacht hast? Es wäre zumindest schön, wenn alles fertig wäre. Ich habe Hunger.“

Bine drückte Carlos ein Kopfkissen aufs Gesicht und stand auf.

„So, Ihr Faultiere. Aufstehen, ich habe auch Hunger.“ Nach ihren Worten verließ Bine das Wohnmobil.

Wir anderen trotteten jetzt ebenfalls aus dem Wohnmobil heraus und gaben bei den Vorbereitungen für unseren Grillabend Hackengas. Wir waren hungrig, und nachdem die Aufgaben verteilt waren, ging es los. Zusammen mit Juli war ich für den Salat verantwortlich, und da wir schnell fertig waren, mussten wir uns anschließend auch noch um die Getränke kümmern.

Carlos hatte die Idee mit den Getränken, und nachdem ich mit den ersten Flaschen ankam, fiel ihm eine gute alte Tradition ein.

Während unserer damaligen Männertour wurde jeden Abend eine Person zum Getränkewart gewählt. Derjenige musste den ganzen Abend für Nachschub sorgen und die anderen bedienen. Da auch die Mädels für diesen Vorschlag waren, wurde sofort gewählt.

Die Ehre, der erste Getränkewart sein zu dürfen, hatte ich.

Den Mädels gefiel es und sie riefen reihum nach Getränken. Gerade hatte ich für Bine eine neue Flasche Bier geholt, da orderte Manu einen Prosecco, und drei Minuten später hatte Juli einen unbändigen Durst auf Wasser.

Ich war diesen Abend ordentlich unterwegs und alle zusammen hatten wir mächtig Spaß. Diesmal hatte ich für Carlos, Franky und mich drei Flaschen Bier geholt und saß gerade wieder, als Manu mit ihrem leeren Glas eine Geste in meine Richtung machte. Mit dem Glas in der Hand ging ich ins Wohnmobil und füllte nach.

Als ich wieder raus kam, sah Manu mich an und fragte:

„Dass du dabei noch immer lachst. Stört es dich gar nicht, dass wir Mädels immer wieder dann einen Drink ordern, wenn du gerade wieder sitzt?“ Ein fieses Lächeln lag auf ihren Lippen.

„Nein.“ Mehr sagte ich nicht.

„Wie? Einfach nur nein?“ Verständnislos wurde ich angesehen.

„Nein.“ Ich grinste.

„Wie jetzt? Nein, es stört dich nicht oder nein, es stört dich?“ Ich hatte es mal wieder geschafft, eines der Mädels zu verwirren.

„Nein. Nicht einfach nur nein. Klar nervt es mich ein wenig. Aber ich bin heute nun mal Getränkewart. Und Du, liebe Manu, könntest schon morgen diesen Dienst haben. Deshalb nehme ich es einfach hin und laufe ein paar Mal unnötig durch die Gegend, um nur für euch Mädels Sonderwünsche zu erfüllen. Aber Rache ist süß.“ Manu schaute mich an und ich freute mich über ihren blöden Gesichtsausdruck.

„Daran habe ich ja gar nicht gedacht! Mädels, wir müssen reden!“

Ich stieß mit meinen beiden Freunden an und sah zu, wie die drei Frauen ihre Köpfe zusammensteckten und beratschlagten.

Juli war es, die das Wort ergriff:

„Was ist bei Unentschieden?“

„Wie bei Unentschieden?“ Franky verstand nicht, was Juli meinte.

„Wenn die Abstimmung zum Getränkewart drei zu drei ausgeht. Was machen wir dann?“ Selbstverständlich gab es diese Möglichkeit.

„Wir können ja eine geheime Wahl machen“, war mein Vorschlag, der schon deshalb überflüssig war, da auch eine geheime Wahl unentschieden ausgehen konnte.

Von Franky erntete ich daher nur ein kurzes „Denken hilft!“, während er danach die Mädels fragte:

„Wie lautet denn der Vorschlag unserer Girlsgang?“

„Meinst du uns?“ Bine wirkte fast erschrocken. Anschließend lachten wir alle, da ihre Frage natürlich selten dämlich war.

„Klar, es können doch nicht immer nur die Männer kreativ sein. Außerdem kam die Frage, was wir bei Unentschieden machen, von euch. Allerdings werden wir etwas vorschlagen, wenn von euch nichts kommt. Aber etwas Gemeines.“ Carlos und ich nickten.

Wieder steckten die Mädels ihre Köpfe zusammen, und nach einer kurzen Beratung erfuhren wir, dass sie noch weitere fünf Minuten benötigten. Unseren Hinweis, dass wir bestimmen würden, wenn dann kein Vorschlag kam, überhörten oder ignorierten sie einfach.

Die Zeit lief und vier Minuten waren bereits vergangen, als wir siegessicher neue Bierflaschen nahmen und auf unseren Vorschlag anstoßen wollten. Auf den Vorschlag, den wir gleich präsentieren durften, da die Mädels nichts auf die Reihe gebracht hatten.

„Moment. Wir haben noch eine Minute.“ Einem kurzen Blick folgten schnelle Worte.

„Falsch Manu, ihr habt nur noch fünfundvierzig Sekunden.“

„Sei nicht so pingelig, Carlos.“

„Muss ich sein. Deal ist Deal!“ Die letzten zehn Sekunden zählten Carlos, Franky und ich gemeinsam runter, und als wir bei null angekommen waren, drehten sich die Mädels zu uns um.

Siegessicher, wie ich war, wollte ich gerade damit beginnen, unseren Vorschlag zu präsentieren, als Juli aufstand und ging.

Nur kurz war sie im Wohnmobil verschwunden und kam mit einem Block und zwei Kugelschreibern wieder zu uns zurück.

Einen der Kugelschreiber bekamen wir entgegengeworfen, und nachdem ich ihn mit fragendem Blick gefangen hatte, wurde mir auch noch ein Zettel vor die Nase gelegt.

„Und nun?“

„Jetzt dürft ihr zehn Dinge, besser gesagt zehn Aufgaben, auf den Zettel schreiben. Wir machen das Gleiche.“ Mit einem Siegerlächeln sah Juli uns an.

„Und dann?“

„Dann stehen dort zehn Dinge drauf.“ Juli lachte und ich streckte ihr die Zunge aus.

Als Juli fertig mit Lachen war, erklärte sie uns, wofür die Dinge auf dem Zettel sein sollten.

Jeden Tag wurde abwechselnd von den Mädels oder uns eine der Sachen, die auf den Zetteln standen, ausgewählt. Diese Sache wurde dann die Tagesaufgabe, die es zu bewältigen galt.

Das Team, das die Tagesaufgabe verloren hatte, musste am Abend den Getränkewart stellen.

Die Mädels wählten eine Aufgabe von unserem Zettel aus und am nächsten Tag war es dann umgekehrt. Es durften keine zu gemeinen Aufgaben sein, sondern Aufgaben, die beide Teams lösen konnten. Wettsurfen durfte es nicht sein, weil die Mädels von vornherein keine Chance auf den Sieg hatten.

Beide Teams hatten jetzt dreißig Minuten Zeit, ihre zehn Dinge aufzuschreiben. Das Team, dem danach noch Aufgaben fehlten, musste je fehlende Aufgabe einmal den Getränkewart stellen.

„Auf los geht’s los!“ Ich stellte den Countdown in meinem Handy auf dreißig Minuten und schon konnte es beginnen. Meinen Gedanken von eben, als ich noch überheblich gedacht hatte „Wie einfach ist das denn“, schob ich schnell beiseite.

Es war gar nicht so leicht.

Immer wieder strichen wir Punkte, die wir gerade erst notiert hatten, durch und begannen von Neuen mit unseren Überlegungen. Viele unterschiedliche Aufgaben zu finden, war einfach. Schwierig hingegen allerdings, dass sie auf ein Männerteam und auf eine Frauengruppe passen mussten.

Nach fünfzehn Minuten hatten wir erst drei Aufgaben. Dafür schon elf durchgestrichene Punkte. Die Mädels waren anscheinend besser. Zumindest wirkte es so, und als wir nach fünfundzwanzig Minuten unsere sechste Aufgabe notiert hatten, hörten wir von der anderen Seite des Tisches ein lautes

„Fertig“.

„Wir haben aber noch fünf Minuten Zeit.“ Jetzt waren wir es, die um jede Sekunde kämpfen mussten. Viel zu viel offene Punkte hatten wir noch ausstehen.

„Klar macht nur. Aber Nick müsst ihr kurz entbehren. Wir haben nämlich Durst.“

Okay, es war gemein, aber ich hatte halt Getränkedienst. Während ich die Drinks fertig machte, hatte ich eine neue Aufgabe für unseren Zettel gefunden. Somit wurde die Aktion der Mädels blöderweise zum Eigentor für sie.

Genau in dem Augenblick, als der Countdown abgelaufen war und mein Handy „Hamburg meine Perle …“ spielte, waren wir fertig. Tatsächlich hatten wir es geschafft, zehn Aufgaben zu finden und aufzuschreiben.

„Und nun?“ Carlos war neugierig darauf, wie es weitergehen würde.

„Jetzt hängt jeder seinen Zettel ins Wohnmobil, und morgen beginnen wir mit unserer ersten Aufgabe.“ Juli griff nach dem Zettel und verschwand, um ihn aufzuhängen. Ich machte es ihr nach, und nachdem wir zurück waren, wurde auch die letzte offene Frage geklärt.

Die Aufgaben mussten nicht von oben nach unten abgearbeitet werden. Jedes Team durfte sich aussuchen, welche Aufgabe vom Zettel der anderen genommen wurde. Sollte ein Team vergessen, bis zehn Uhr am Morgen die Aufgabe zu bestimmen, hatte es für diesen Abend automatisch den Getränkedienst.

Doch eine Frage hatte ich noch:

„Welches Team startet mit der Aufgabenauswahl?“

„Wir natürlich. Wir sind das schwache Geschlecht.“ Ich nahm Juli in den Arm und flüsterte in ihr Ohr:

„Dann erwarte ich dich morgen ganz früh bei uns im Wohnmobil.“

„Schauen wir mal“, flüsterte sie mit einem Augenzwinkern zurück.

  • Schreiben

Einige Getränke später hatten die Mädels die Idee, in die Stadt zu fahren, genauer gesagt, nach Westerland. Manu wollte ihren Freundinnen die Kneipen dort zeigen und wir sollten dabei sein. Nachdem Carlos meinte, dass er keine Lust hatte und bald in die Federn wollte, um morgen für die nächste Fotostory fit zu sein, lehnte auch Franky dankend ab. Er musste heute noch am Computer die Bilder auswerten und sortieren.

Ohne meine Freunde hatte ich auch keine Lust. Es wartete auch noch Arbeit auf mich. Ich hatte vorhin eine Erinnerungsnachricht vom Verlag erhalten und mein schlechtes Gewissen hatte mich eingeholt. Der Abgabetermin für die Fortsetzung meiner „Männertour – Umzug nach Sylt!“ kam in großen Schritten näher.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739451824
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
Meer Freundschaft Abenteuer Sylt Liebe Urlaub Strand Insel Tour Humor Roman

Autor

  • Ben Bertram (Autor:in)

Ben Bertram ist das Schreibpseudonym eines waschechten Hamburger Jung. Am 14.05.1968 erblickte er das Licht der Welt und fand im Umgang mit Wort und Witz schnell ein Hobby, welches er seit vielen Jahren pflegt. Er lebt in seiner Lieblingsstadt Hamburg und verbringt viel Zeit auf der Insel Sylt, auf die er sich auch gerne zum Schreiben zurückzieht. Dort wird er, wenn sein Blick auf das Meer gerichtet ist, von vielen neuen Ideen und Eingebungen „überfallen“.
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Titel: Die Tour auf Sylt