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Sommerliebe

Jake, Sylter Inselhund

von Ben Bertram (Autor:in)
107 Seiten
Reihe: Jake, Sylter Inselhund, Band 5

Zusammenfassung

Als wenn ich Raupen fressen würde! Manchmal hat mein Herrchen echt komische Ideen. Nur, weil ich keinen Hunger hatte, nicht schlafen konnte, und mir Gedanken über eine Begegnung am Strand machte, flogen noch lange keine Tiere in meinem Bauch herum. Okay, die Tiere waren angeblich Schmetterlinge. Zumindest nannte mein Herrchen sie so und amüsierte sich königlich darüber. Eigentlich war ich doch nur froh darüber, dass endlich der Sommer auf Sylt Einzug gehalten hatte. Ich wollte meine grenzenlose Neugier befriedigen und meinem Drang nach neuen Abenteuern folgen. Doch was macht Ben? Da erzählt er mir doch glatt, dass die Liebe ein Gefühl ist und man sich nicht gegen sie wehren kann. Dabei hatte ich mich lediglich am Strand mit einer kleinen Hundedame unterhalten, und mein Herrchen fragt mich, ob ich mich in sie verknallt hätte. Was für ein Quatsch. Ich doch nicht! Oder doch?! War dieser Sommer etwa für die Liebe gemacht? Für meine erste große Sommerliebe?!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Sommerregen

Normalerweise waren wir um diese Uhrzeit schon immer längst am Strand. Ganz früh hatten wir uns die letzten Wochen immer auf den Weg dorthin gemacht, da der Westerländer Strand im Sommer für Hunde tabu war. Um 7 Uhr jedoch waren wir ganz alleine dort und konnten dementsprechend auch niemanden stören.

Wenn die ersten Urlauber kamen, waren wir längst verschwunden, und der nette Strandkorbwächter, der eigentlich ein Strandkorbvermieter war, drückte immer ein Auge zu.

Ach Manno, kann dieser beschissene Regen nicht endlich aufhören?! Heute ist schon der vierte Mistwettertag hintereinander. Missmutig lag ich in meinem Körbchen und hatte meine kleine Hundeschnauze auf der Umrandung liegen.

Mein Blick ging zum Fenster. Dorthin, wo ich den bindfadenartigen Regen durch einen kleinen Spalt beobachten konnte. Mein Herrchen hatte noch immer nicht gelernt, die Vorhänge abends richtig zu schließen, und so konnte ich häufig auch nachts, wenn ich mal nicht schlafen konnte, so schön die Sterne bewundern.

Morgens störte mich der offene Vorhang ebenfalls nicht. Wenn ich müde war, konnte ich auch bei Helligkeit schlafen. Toll fand ich, dass ich durch den Spalt immer gleich am Morgen einen Blick aus dem Fenster erhaschen konnte. Um genauer zu sein, genoss ich es, aus dem Fenster sehen zu können, ohne aufstehen zu müssen.

Danach, mein Körbchen zu verlassen, war mir auch jetzt nicht. Zumindest ging es fast allen meiner Körperteile so, und wenn meine Blase nicht dermaßen gedrückt hätte, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, meinen geliebten Schlafplatz zu verlassen. Leider hielt ich es nicht länger aus, und so stand ich nun vor Bens Bett und überlegte, wie ich ihn am besten wecken konnte.

Ob ich ihm einfach sanft gegen die Hand stupse? Ach nö, wie langweilig. Über das Gesicht schlecken ist viel lustiger. Wobei … Vorsichtig in die Nase beißen, wäre auch cool. Ja, so mache ich es. Ein schelmisches Grinsen lag auf meinen Lefzen, während ich den Gedanken hatte. Langsam näherte ich mich seinem Gesicht. Sehr langsam passte noch besser, da ich mein Herrchen auf keinen Fall vor dem sanften Biss wecken wollte.

„Buh!“ Ich zuckte zusammen. Ben hatte alles mitbekommen und mich erschreckt.

„Hey, du bist gemein. Wie kannst du dein Haustier so erschrecken. Das ist nicht fair.“ Ich stand vor Bens Bett und sah ihn irritiert an. Hatte er mich gehört? Oder war er schon längst wach gewesen? Ich wusste es nicht genau, fand aber sein Verhalten absolut unangebracht, da ich ihm lediglich dabei helfen wollte, in den Tag zu starten.

„Wolltest du mir etwa in die Nase beißen? Du bist echt ein Lümmel.“ Nun lag auf seinen Lefzen das schelmische Grinsen, das eben noch mein Gesicht geziert hatte. Ich meine natürlich auf seinen Lippen.

„Ich? Quatsch! Niemals! Du kennst mich doch.“ Ich versuchte, den Augenkontakt zu vermeiden. Immerhin kannte mich mein Herrchen ganz genau und wusste daher leider immer sofort, wenn ich ihn antüddelte.

„Los, du Frechdachs, lass uns rausgehen. Du musst bestimmt schon ganz dringend.“ Ben sprang aus dem Bett, zog sich schnell was über, und schon machten wir uns auf den Weg.

Wir hatten kaum die Straße überquert und standen vor dem Eingang zum Schwimmbad, als ich mich meiner Notdurft entledigte. Während sich unter mir ein großer See bildete, wurde ich im gleichen Maß nasser. Mein Fell hätte man bereits auswringen können, und ich freute mich bereits jetzt darauf, gleich von meinem Lieblingsmenschen trockengerubbelt zu werden. Mir war klar, dass wir uns direkt auf den Rückweg machen würden. Es machte absolut keinen Sinn, bei diesem abartigen Regenguss draußen zu bleiben.

„Fertig. Wir können zurück.“ Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, drehte ich mich um und lief los.

„Hey, wo willst du hin? Dort geht es zum Strand.“ Natürlich konnte ich Bens Worte hören. Ich hatte sie sogar nicht nur gehört, sondern auch verstanden. Wahrscheinlich wollte ich sie nur einfach nicht wahrhaben. Bei diesem Wetter machte es definitiv keinen Sinn, an den Strand zu gehen. Nass war ich in den letzten Tagen viel zu häufig geworden, und auch wenn wir bei solchem Wetter die riesige Sandfläche für uns alleine hatten, wollte ich lieber zurück in mein Körbchen. Dort war es trocken. Außerdem war langsam Zeit für Frühstück. Ich konnte meinen Magen deutlich hören und musste darüber lachen, dass er sich gleichzeitig zu meinen Frühstücksgedanken gemeldet hatte.

„Jake! Sag mal, du Nase, willst du mich nicht verstehen? Los jetzt, du Knirps.“ Bens Worte waren schroffer als eben, und so blieb ich vorsichtshalber stehen. Langsam drehte ich meinen Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg an.

„Mal ehrlich, Chef, müssen wir echt an den Strand? Der Regen ist so ätzend.“

„Nass sind wir sowieso schon, dann können wir jetzt auch eine größere Runde drehen. Außerdem ist der Sommerregen nicht so schlimm. Wenn es kalt ist, nervt der Regen viel mehr.“ Auch wenn mein Herrchen recht hatte, willigte ich nur widerwillig ein und trottete hinter ihm her.

„Sommerregen. Ich kann es nicht mehr hören. Seit einigen Tagen muss ich mir von dir dieses blöde Wort ständig anhören. Als ob es nicht total Wurst ist, wie man den Regen nennt. Nass wird man dabei zu jeder Jahreszeit und nass sein, ist echt mistig.“ Ich murmelte die Sätze leise vor mich hin, machte aber trotzdem einen auf braven Hund. Immerhin hatte ich keine Wahl. Ich musste gehorchen und tat es eigentlich auch gerne. Schließlich bestand das Leben aus zwei Worten. Geben und Nehmen hießen sie, und mein Herrchen gab mir sehr viel.

„Was ist los?“ Ben drehte sich um und sah mich an.

„Äh … nix ist los. Alles paletti! Ich freue mich auf den Strand.“ Natürlich wusste ich, dass mein Herrchen mir nicht glaubte, und so streckte ich meine Brust heraus, richtete mich auf und versuchte so, etwas motivierter auszusehen.

„Geht doch. Ich sag es ja immer wieder. Der Sommerregen ist nicht so schlimm.“ Ben ging weiter. Nachdem er seinen Blick nicht mehr auf mich gerichtet hatte, sackte meine Körperhaltung wieder zusammen.

Ich kann es nicht mehr hören! Dieses Wort ist jetzt schon das Unwort des Jahres für mich. Auf keinen Fall wird es mehr getoppt werden. Es nervt noch mehr als das „Wrum“ von Milo, dachte ich und amüsierte mich darüber, dass ein erwachsener Hund es nicht hinbekam, das Wort Warum richtig auszusprechen.

„Schau mal, Jake, der Strand sieht nass auch wunderschön aus. Der Sommerregen hat wirklich tolle Seiten.“ Ohne mich anzusehen, sprach mein Herrchen diese Worte. Das Erschreckende dabei war für mich allerdings, dass er sie ernst meinte.

„Sag mal, Ben, bist du bewölkt? Bekommt dir der Sommerregen etwa nicht?“ Ganz leise nuschelte ich die Sätze in meinen nicht vorhandenen Bart.

Strandpolizei

Längst war aus dem Sommerregen ein abartiger und leider auch anhaltender Sommerguss geworden. Neulich im Fernsehen hatte ich mit Ben einen Bericht gesehen, in dem solche Regenfälle vorkamen. Allerdings ging es dabei um Regenwälder und nicht um eine Insel in der Nordsee. Also, natürlich nicht einfach nur um eine Insel, sondern um die Perle der Nordsee, um die schönste Insel überhaupt, die meine Heimat war.

Kein Mensch war bei diesem Wetter unterwegs. Okay, natürlich stimmte meine Aussage nicht so wirklich, da mein Herrchen auch zu dieser Gattung gehörte. Allerdings wäre es mir lieber gewesen, wenn kein Mensch unterwegs gewesen wäre. Immerhin hätte ich dann auch nicht draußen verweilen müssen.

Das Wasser lief über mein Fell, und ich kam mir vor, als wäre ich gerade aus dem kleinen See im Südwäldchen gekommen. Ich glaube tatsächlich, dass ich noch nie so nass wie jetzt war. Zumindest nicht durchgehend, da ich mich nach einer Schwimmeinheit immer nur schütteln brauchte und anschließend das meiste Wasser direkt wieder los war.

Hier und jetzt konnte ich mich schütteln, wie ich wollte. Bereits während des Schüttelns füllte sich mein Fell erneut mit Regenwasser, und so ergab ich mich einfach meinem Schicksal.

Obwohl es nicht erlaubt war, gingen wir die kleine Holztreppe von der Promenade hinab und stapften durch Sand. Deutlich waren unsere Spuren zu erkennen, und ich machte mir Gedanken darüber, dass die Strandpolizei uns daher ganz einfach verfolgen konnte. Es gab ausschließlich unsere Fußabdrücke am Strand.

Ob wir dann wohl in eine Zelle eingesperrt werden? Nur mit Wasser und Brot? Wobei, Wasser trinke ich ja sowieso immer und … Ja, und in der Zelle wäre es zumindest trocken. Plötzlich fand ich die Idee, von der Strandpolizei erwischt zu werden, gar nicht mehr so verkehrt.

Aber wenn wir da für einige Tage eingesperrt werden … Was dann? Es wird ja irgendwann aufhören zu regnen. Dann will ich nicht im Knast hocken und Brot essen. Das wäre schon blöd. Außerdem muss Ben ja auch arbeiten. Wenn er kein Geld verdient, können wir keine Miete bezahlen und müssen vielleicht sogar Sylt verlassen. Vehement schüttelte ich während meiner Gedanken den Kopf. Ich tat es nicht, um das Regenwasser aus meinem Fell zu bekommen, sondern wollte nicht, dass dieses schreckliche Zellen-Szenario eintraf.

Ich brauchte eine Idee. Nein, einen richtig guten Plan. Ich musste uns retten, uns vor der Strandpolizei beschützen und dafür sorgen, dass wir auf der Insel bleiben konnten.

Keine drei Minuten später wusste ich bereits ganz genau, wie ich es anzustellen hatte. Mein Vorhaben war nahezu perfekt ausgefeilt und schon begann ich damit, es in die Tat umzusetzen.

Als wir den nächsten Strandkorb erreichten, lief ich um ihn herum, machte einen großen Sprung zur Seite und ging einige Meter rückwärts. Allerdings nur so weit, bis ich erneut einen Korb erreicht hatte. Diesen umkreiste ich mehrmals und hüpfte anschließend ein paar Meter nach rechts.

„Und? Wie war ich?“ Stolz sah ich zu Ben hinüber und wartete auf seine lobenden Worte.

„Was machst du da? Bekommt dir das Wetter nicht?“ Anstatt gelobt zu werden, wurde ich fragend angesehen. Allerdings nicht lange, dann wurde ich zu allem Überfluss auch noch ausgelacht.

„Schnallst du es echt nicht?“ Ich verdrehte die Augen und ging auf mein Herrchen zu. Dann sprach ich weiter. „Wenn wir erwischt werden, kommen wir in den Knast, und wenn wir Pech haben, werden wir sogar von der Insel geworfen. Du musst mitmachen, dann können sie uns nicht verfolgen. So haben die Strandpolizisten keine Chance, unsere Spuren zu erkennen und wissen nicht, wo wir sind.“ Ich war noch immer von meinem Plan überzeugt, war allerdings entsetzt darüber, dass mein Herrchen ihn noch immer nicht kapiert hatte. Sonst war er doch auch nicht so schwer von Begriff, und auf der Leitung stand er eigentlich eher selten.

„Willst du spielen? Wie süß. Hat das Spiel auch einen Namen?“ Als sich Ben jetzt auch noch zu mir hinab beugte, platzte mir der Kragen.

„Spielen? Ich will nicht spielen. Retten will ich uns. Einer muss es ja machen.“ Gereizt stupste ich mein Herrchen in die Kniekehle und forderte ihn auf, mir zu folgen. So machte ich es sonst auch immer, und ich war mir sicher, dass es auch heute funktionierte.

„Ich weiß, dass du den Sommerregen nicht magst. Aber du kannst stupsen soviel du willst, wir gehen trotzdem noch nicht nach Hause.

Der Depp hat es tatsächlich noch immer nicht geschnallt. Ich war froh, meinen Satz lediglich gedacht zu haben. Anschließend überlegte ich, wie ich meinem Herrchen die Dramatik der Situation am besten begreiflich machen konnte.

Immerhin war es doch ganz einfach. Je mehr Bögen, Kringel und Haken wir schlugen, je geringer war die Chance, erwischt zu werden. Wenn wir viele falsche Fährten legten, konnte uns keiner verfolgen und somit natürlich auch nicht einsperren.

Okay! Um alles zu erklären, ist die Zeit zu knapp. Ich muss mir also etwas anderes einfallen lassen, wie ich dich animieren kann. Sofort begannen meine Gehirnzellen zu arbeiten.

Keine Minute später hatte ich die Lösung.

„Dann spielen wir halt Fangen.“ Ich grinste. Allerdings nur kurz, da die Zeit gegen uns lief. Würden wir nicht endlich unsere Spuren verwischen, hatten wir ganz sicher in wenigen Augenblicken die Strandpolizei vor uns stehen und wurden in Handschellen abgeführt.

Erneut stupste ich Ben in die Kniekehle. Anschließend tat sich so, als würde ich loslaufen, verharrte allerdings nach zwei Metern. So war unser geheimes Zeichen. Immer wenn sich einer von uns so verhielt, wusste der andere, was Sache war. Dieses Ritual hatten wir sozusagen perfektioniert.

Dann ging es auch schon los.

Ich lief um den ersten Strandkorb herum und Ben jagte hinter mir her. Als ich einen Haken schlug, tat es mir mein Herrchen ebenfalls gleich und auch, als ich eine Doppelschleife um zwei Körbe rannte, wurde ich verfolgt.

„Jetzt du mich!“ Ben rief es laut über den Strand. Natürlich wusste ich sofort, was Sache war und machte mich daran, jetzt mein Herrchen zu verfolgen. Wir liefen kreuz und quer über den Strand, umrundeten Strandkörbe, sprangen über Sandburgen und hüpften sogar über zwei Buhnen.

Kaputt und glücklich kamen wir einige Minuten später an den Steinschrägen am Brandenburger Strand an. Obwohl alles nass war, ließen wir uns erschöpft auf den Strand fallen. Da wir sowieso komplett voller Sand waren, war es egal. Wir mussten verschnaufen. Ben allerdings viel mehr als ich.

„Hey, mein Räuber, wie cool war das denn! Das hat Mega-Spaß gemacht.“ Noch immer etwas aus der Puste sagte mein Herrchen diese wahren Worte.

„Ja hat es. Aber jetzt müssen wir auch los.“

„Wir müssen los? Ach so, du hast bestimmt großen Hunger.“ Ben sah mich liebevoll an. Ja, sein Blick war total liebevoll, und genau aus diesem Grund hielt ich ihm jetzt auch keinen Vortrag darüber, dass er ein Dussel war und ich uns gerettet hatte. Dass wir ohne meinen Einsatz wahrscheinlich im Knast gelandet wären und ich auch noch keinen Hunger hatte.

„Komm, kleiner Mann, oder bist du kaputt von der Spielerei?“ Mein Herrchen war aufgestanden und hatte sich auf den Weg gemacht.

„Ach, Ben, du hast es wirklich nicht gecheckt. Es war kein Spiel. Ich habe uns gerettet.“ Nach meinen leisen Worten sah ich mir nochmals unsere Spuren am Strand an. Dann nickte ich zufrieden und lief meinem Herrchen hinterher.

Es war für die Strandpolizei definitiv nicht möglich, uns zu erwischen. Ich hatte dafür gesorgt, dass uns nichts passieren konnte.

Begossen

Natürlich hätte ich auch heute Morgen durch den kleinen Spalt der Vorhänge hinaussehen können. Allerdings verzichtete ich dankend darauf, da ich das Wetter bereits mit geschlossenen Augen hören konnte. Ja, ich konnte es hören, da es noch immer Bindfäden regnete und ich daher keine Muße hatte, meine Äuglein auch nur einen kleinen Spalt zu öffnen.

Da ich zum Glück noch keinen Drang verspürte, mein Geschäft zu verrichten, steckte ich meine kleine Hundenase zwischen meine Beine und schlief nochmals ein.

„Hey, du Schlafmütze, pennst du etwa noch?“ Ben saß auf der Bettkante und sprach zu mir.

Jetzt nicht mehr. Missmutig untermalte ich meine Gedanken mit einem Brummen und kuschelte mich noch weiter zusammen.

„Los jetzt. Wir müssen aufstehen. Ich schau mal nach, ob es noch immer regnet.“ Schon während mein Herrchen sprach, hatte er sich auf den Weg zum Fenster gemacht.

„Das Nachsehen kannst du dir sparen. Es schüttet wie aus Kübeln. Sag mal, kannst du das echt nicht hören?“ Erstaunt sah ich meinem Lieblingsmenschen hinterher.

„Es gießt ja wie aus Kübeln.“ Enttäuscht drehte sich Ben zu mir und sah mich an. Da ich inzwischen auch meine Augen geöffnet hatte, trafen sich unsere Blicke.

„Sag ich ja.“ Obwohl ich keine große Lust auf eine nasse Regeneinheit hatte, stand ich auf und streckte mich ausgiebig. Am liebsten wäre ich in meinem Körbchen geblieben, konnte es aber aus zweierlei Gründen nicht. Erstens war mein Herrchen aufgestanden und in den Tag gestartet. Was bedeutete, dass es mit der Ruhe in unseren vier Wänden vorbei war. Doch auch sonst hätte ich meinen kleinen Knackarsch jetzt bewegen müssen. Mein Körper forderte es sozusagen, und so mussten wir uns auf den Weg nach draußen machen.

Dorthin, wo mein Lieblingsbaum auf mich wartete.

Unten angekommen, blieben wir einen Moment lang unter dem Vordach unseres Hauseingangs stehen. Auch wenn ich inzwischen ziemlich nötig musste, ging es nicht anders. Von der rechten Seite waren einige Autos im Anmarsch, und da es wenig Sinn hatte, bei diesem Regenwetter am Bordstein zu warten, blieben wir einfach im Trockenen.

Endlich kamen keine Autos mehr, und wir machten die ersten Schritte an die Straße heran. Der Regen prasselte auf unsere Körper, und als ich mein Herrchen ansah, erkannte ich seinen genervten Gesichtsausdruck ganz deutlich.

„Was ist los, Ben, magst du den Sommerregen heute etwa nicht?“ Ich amüsierte mich köstlich, da ich bereits seit einigen Tagen genervt war. Also, nicht nur genervt von dem ätzenden Wetter, sondern auch von diesem dämlichen Ausdruck. Mehrmals täglich durfte ich ihn mir anhören und wünschte mir dabei, dass meine Ohren nicht so gut funktionierten. Leider taten sie es, und ich wunderte mich darüber, dass ich dieses dusselige Wort jetzt selbst benutzte.

„Sag mal, Jake, ist der Sommerregen heute kälter? Es kommt mir irgendwie so vor.“ Während Ben sprach, blieb er stehen. Leider musste ich es ebenfalls machen, da ich mich an der Leine befand.

„Kälter? Wat weiß den ich? Das ist mir auch echt schnurzpiepegal. Er ist auf jeden Fall ebenso nass wie gestern.“ Ich schüttelte mich und sah anschließend entschuldigend zu Ben. Durch meine Schüttelaktion war er jetzt nicht nur auf dem Kopf, sondern auch bis zu den Knien nass.

„Danke dafür.“ Die Ironie in seinen Worten war nicht zu überhören. Dann sah er mich an und sprach weiter. „Oben nass und unten jetzt auch. Zum Glück ist zumindest mein Mittelteil noch einigermaßen trocken.“ Da mein Herrchen lachte, war ich beruhigt und wollte mich auf den Weg über die Straße machen. Immerhin wartete auf der anderen Seite mein absoluter Lieblingsbaum, und ich konnte es kaum erwarten, ihn endlich zu erreichen.

„Stopp! Sitz!“ Zwei laute Worte drangen in meine braunen Schlappohren. Was war denn los? In einem solchen Ton sprach mein Herrchen sonst nie mit mir.

„Was ist denn? Die Autos sind doch alle weg.“ Irritiert sah ich meinen Menschen an und wartete sitzend auf seine Erklärung.

„Da kommt ein Auto.“ Ben deutete nach links, und schon konnte ich einen Wagen heranrauschen sehen. Abgesehen davon, dass die Karre viel zu schnell unterwegs war, hatte ich vergessen, mich vernünftig zu vergewissern, ob sich ein Auto auf der Straße befand. Zum Glück hatte mein Herrchen auf mich aufgepasst, und so standen wir jetzt nebeneinander am Bordstein und warteten darauf, dass der Wagen an uns vorbeirauschte.

„Jake, du musst im Straßenverkehr besser aufpassen. Es kann so viel passieren und …“

Ausnahmsweise war es nicht ich, der Ben unterbrach. Es war das viel zu schnelle Auto, das direkt am Bordstein an uns vorbeiraste und zu allem Überfluss auch keinen Bogen um die riesige Pfütze machte.

Nachdem ich mit einer Vorderpfote über mein Gesicht gewischt hatte, konnte ich wieder vernünftig gucken. Ich sah an mir herab und erkannte den Dreck, der sich als Gemisch mit dem Pfützenwasser über mein Fell verteilt hatte.

Zu schimpfen machte definitiv keinen Sinn. Zumindest nicht, wenn man dem Fahrer die Meinung geigen wollte. Bei der Geschwindigkeit, die er drauf hatte, war er bestimmt schon fast in Wenningstedt.

Allerdings war es echt eine Sauerei von dem Kerl, und auch wenn er die Schimpftriade nicht mitbekam, hätte sie mir gutgetan. Sie wäre befreiend gewesen, und die passenden Worte befanden sich ebenfalls längst in meinem Kopf.

„Du idiotisch veranlagter Vollhonk …“ Weiter kam ich nicht, da ich in diesem Moment meinen Kopf drehte und zu Ben sah. Einen kurzen Augenblick lang hielt ich inne. Dann konnte ich nicht anders und lachte los. Nein, ich lachte nicht nur einfach, ich gluckste dabei und hatte einige Male das Gefühl, gleich ersticken zu müssen. Wann ich zuletzt einen solchen Lachflash hatte, wusste ich nicht. Allerdings hatte ich mein Herrchen auch noch nie so gesehen.

Zugegeben, er hatte sich mir bereits in vielen peinlichen Outfits präsentiert. Allerdings waren sie alle nichts gegen diesen Moment. Sie waren harmlos gegen das Bild, wie Ben in diesem Augenblick neben mir stand. Sein T-Shirt und die helle Jeans waren von Matschflecken übersät. Aus seinen Chucks schien Wasser zu laufen, und in seinem Gesicht klebte ein Blatt. Wahrscheinlich sogar eines meines Lieblingsbaumes. Grashalme befanden sich an seinen nackten Armen, und sein Blick hatte alle verschiedenen Gemütszustände vereint. Ich konnte nicht erkennen, ob ihm nach motzen, schlagen, flüchten, verfolgen, oder vielleicht sogar nach lachen zumute war. Stocksteif stand er da. So regungslos hatte ich mein Herrchen ebenfalls noch nie irgendwo gesehen.

Erst nach einigen Minuten schaffte ich es, mein Lachen zu unterbrechen. Ob es auch mit Reden funktionierte, wusste ich allerdings nicht genau. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass ich sofort wieder losprusten würde.

„Ben, ist alles gut?“ Es hatte funktioniert, und ich war ziemlich stolz darauf, meine Worte unfallfrei und vor allem, ohne zu lachen, herausbekommen zu haben.

„Was für ein …“ Mein Herrchen verzichtete auf das letzte Wort, schüttelte dafür mit seinem Kopf. Durch die Bewegung seines Hauptes löste sich das Blatt und fiel langsam zu Boden. Wir beide sahen dabei zu und erst, als das Blatt auf dem Boden angekommen war, trafen sich unsere Blicke. Nur kurz blieben wir ernst, dann lachten wir gemeinsam los. Sich zu ärgern, hätte auch keinen Sinn gemacht. Immerhin wären wir sowieso vom Regen durchnässt worden. Okay, wir waren jetzt auch noch dreckig. Aber das konnten wir schließlich schnell wieder ändern. Ich natürlich einfacher als mein Herrchen, und genau aus diesem Grund schüttelte ich mich jetzt auch.

„Hey, du Witzvogel, du hast mich nass und schmutzig gemacht.“ Bens Blick war ernst.

„Entschuldige.“ Bedröppelt sah ich mein Herrchen an. Dann wurde sein Blick weicher, und ich erkannte, dass er mich gerade verarscht hatte. Tatsächlich war ich darauf reingefallen.

Du siehst aus wie ein begossener Pudel. Natürlich wollte ich mit meinen Gedanken niemanden diskriminieren. Trotzdem passte dieser Vergleich perfekt.

„So müssen sich wohl begossene Pudel fühlen.“ Ich sah mein Herrchen erstaunt an. Wie schon so häufig, hatte er das ausgesprochen, was ich eben gedacht hatte.

Joggen

Seit unserer Morgenrunde hatte ich mich nicht mehr bewegt. Zumindest nicht so richtig, da ich natürlich manchmal meine Liegeposition auf dem Sofa verändert hatte. Aber solche Bewegungen zählen natürlich nicht wirklich.

Bens Bewegungsdrang war auch eher mäßig. Nur manchmal hatte er seine Sitzposition verlassen und war in die offene Küche gegangen. Meistens kam er mit einem Kaffeebecher in der Hand zurück und nahm wieder seinen angestammten Platz ein. Im Gegensatz zu mir war er allerdings kreativ. Falsch, er war sogar fleißig, da er an seinem Schreibtisch saß und Unmengen von Buchstaben im Laptop verewigte. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, lief seine Schreiberei heute ganz gut. Zumindest hatte es bisher weder Fluchattacken noch genervtes Stöhnen gegeben.

„Na, Ben, keine Lust mehr? Chill doch einfach deine Baseline und mach ‘nen Cool-Down.“ Mit lang ausgestreckten Armen und Beinen saß mein Herrchen auf seinem Stuhl, und ich erkannte deutlich, dass sein gesamter Körper verspannt war. Immer wenn er zu lange am Schreibtisch saß, verkrampften seine Muskeln und er legte mit diesen merkwürdigen Streckübungen los.

„Dann Attacke.“ Bereits während dem Wort Attacke sprang Ben auf und ging zum Kleiderschrank.

Und jetzt? Hat dich ein Motivationsschub erwischt? Ich lächelte, blieb allerdings regungslos auf dem Sofa liegen.

„Wo ist die Jacke nur?“ Auch wenn Bens Oberkörper im Schrank verschwunden war und er mir lediglich seinen Hintern präsentierte, konnte ich seine Worte gut verstehen.

„Wenn du die komische gelbe Laufjacke meinst, die hängt noch im Bad. Allerdings müsste sie längst trocken sein. Immerhin hast du die Heizung ja volle Pulle aufgedreht.“

„Im Bad. Klar, ich hatte sie ins Bad gehängt. Du hättest ja mal was sagen können.“ Schmunzelnd sah Ben in meine Richtung, machte sich dann aber auf den Weg zu seiner komischen Leuchtjacke.

„Hä? Habe ich doch. Hör mir doch einfach besser zu. Aber sag mal, was willst du jetzt mit der Jacke? Und überhaupt, was hast du da in der Hand?“ Okay, dass es Klamotten waren, hatte ich erkannt. Allerdings nicht, welche es waren.

„Jake, mach dich schon mal fertig. Ich bin gleich soweit.“ Bens Worte drangen zu mir und irritierten mich.

„Wofür? Außerdem, ich bin fertig. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, ich kann so raus.“ Amüsiert legte ich meinen Kopf auf die Sofalehne und richtete meinen Blick zum Flur. Dort würde mein Herrchen gleich erscheinen, und ich war neugierig darauf, was er geplant hatte.

Selbstverständlich hatte ich natürlich bereits eine Idee.

Du legst garantiert diese merkwürdige Matte auf den Fußboden und machst komischen Übungen. Stimmts? Als ich meine Gedanken abgeschlossen hatte, vernahm ich Schritte. Gespannt auf Bens Auftritt, hob ich meinen Kopf und sah erwartungsvoll in seine Richtung.

„Du liegst ja noch immer. Hey, kleiner Mann, wir wollen los.“ Mein Herrchen hatte sich in seine Joggingsachen geworfen und stand im Übergang zum Wohnzimmer. Ihn nicht zu sehen, war nicht möglich. Seine gelbe Jacke leuchtete und seine knallorangenen Laufschuhe taten es auch. „Mach schon. Wir wollen eine Runde joggen.“

„Wir wollen gar nichts. Du willst und meinetwegen kannst du es auch machen. Ich bleibe hier und chille mein Leben.“ Meine schwarze Lakritznase lag bereits wieder auf dem Sofa, und ich verspürte den Drang, meine Augen zu schließen. Auf gar keinen Fall würde ich bei diesem Sauwetter joggen. Mir hatte es heute Morgen gereicht.

„Komm schon, Jake, erhöhe mal deine Schrittfrequenz.“ Natürlich war ich mitgegangen. Immerhin konnte ich Ben ja nicht alleine durch den Regen rennen lassen. Allerdings schaffte ich es nicht, meinen Motivationsschalter auf „on“ zu stellen, und so trotte ich mit einigem Abstand hinter meinem Herrchen her.

„So wie du leuchtest, kann ich dich ja nicht aus den Augen verlieren.“ Ich murmelte leise vor mich hin und ärgerte mich darüber, dass ich in diesem Moment tatsächlich ein Lächeln auf den Lippen trug. Bestimmt würde Ben es erkennen und denken, dass mir dieser Mist auch noch Freude machte. Schnell versuchte ich, mein Lachen zu verbergen. Immerhin war es lediglich dem grell leuchtenden Erscheinungsbild meines Herrchens geschuldet.

„Hey, Jaki, du lächelst ja. Das Joggen macht dir wohl doch Spaß.“

Als wenn ich es gewusst hätte. Nein, du Depp, es macht mir keinen Spaß. Kümmere dich lieber um Dich, schau nach vorne und falle nicht über die Buhnen. Natürlich hatte ich durch meine Gedanken sofort die Bilder vom Sturz meines Herrchens im Kopf. Damals, als er über die Buhne gestolpert war und anschließend im Sand gelegen hatte.

Leider sorgten die Bilder dafür, dass ich erneut lachte.

„Du musst deine Freude nicht verbergen. Ich sehe dein Lachen doch ganz genau. Übrigens, ich bin heute sogar rückwärts schneller als du. Versuche, mich zu fangen. Ich wette, dass du es nicht schaffst. Immerhin bin ich …“

Ben hatte es tatsächlich geschafft. Mein Lachen wurde lauter, und ich musste stehenbleiben, um nicht ins Stolpern zu kommen. Nein, er hatte seinen Satz nicht mit Absicht im Mittelteil beendet. Er hatte einfach eine Sandburg übersehen. Besser gesagt, er konnte sie nicht sehen, da der Angeber noch immer rückwärts lief und daher über den Sandhügel gestolpert war.

„Ich finde, dass sowas mal passieren kann.“ Mein Herrchen grinste und stand während seiner Worte schnell wieder auf.

„Na klar. Rückwärts über Sandburgen stolpern ist ganz normal.“ Ich lachte noch immer und sah Ben dabei zu, wie er versuchte, sich den Sand von den Klamotten zu klopfen. Natürlich klappte es nicht. Der Strand klebte wie Pattex an seinen nassen Klamotten.

„Der Sommerregen wird den Sand schon abwaschen.“ Mit heftigem Nicken versuchte er. seine Worte zu bekräftigen. Was ihm allerdings nicht wirklich gelang.

Bestimmt. Dieser Sommerregen ist schon etwas Fantastisches. Ich lief weiter und amüsierte mich erneut über das Unwort des Jahres.

Nur wenige Schritte später blieb ich stehen.

Jay Jay

„Schau mal, Ben, da sind noch andere am Strand.“ Stocksteif stand ich an der Wasserkante und hatte meinen Blick nach vorne gerichtet. Komischerweise dachte ich nicht an Flüchten. Nein, über die Strandpolizei machte ich mir keine Gedanken.

„Sieh mal, Jake, andere mögen den Sommerregen ebenso wie wir.“ Auch mein Herrchen hatte die anderen Strandgänger entdeckt.

„Wie wir? Seit wann mag ich diesen blöden Sommerregen? Ich bekomme alleine von dem Wort Ohrenschmerzen.“ Wie Ben auf meine Worte reagierte, bekam ich nicht mit. Meine Augen waren auf die Hündin gerichtet, die höchstens noch zehn Meter von mir entfernt war.

Sie roch so schön. Falsch, sie duftete fantastisch, und ich konnte nicht damit aufhören, meine schwarze Lakritznase in den Wind zu halten.

„Schau mal, ein Hund. Dann hast du jetzt ja jemanden zum Spielen.“ Klar wusste ich, dass mein Herrchen es gut mit mir meinte. Doch diese Begegnung fühlte sich irgendwie anders an. Ich dachte nicht dran, mit ihr zu toben. Nein, ich wollte sie am liebsten ausgiebig beschnüffeln.

„Das ist kein Hund. Es ist eine Hündin. Eine zuckersüße sogar.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich laut gedacht oder leise gesprochen hatte. Irgendwie war es aber auch egal, da von Ben keine Reaktion kam. Oder hatte er doch etwas gesagt? Vielleicht war ich auch einfach abgelenkt und hatte seine Worte einfach nicht mitbekommen.

Ich fühlte mich komisch. Hatte ich eben tatsächlich gesagt, dass die Hündin zuckersüß war? Und überhaupt, was war das für ein Kribbeln in meinem Bauch? Hatte ich plötzlich Hunger? Nein, ein Hungergefühl war anders.

Als die Hündin direkt vor mir stehenblieb und mich vorsichtig beschnüffelte, wäre ich am liebsten weggelaufen. Nein, nicht um zu toben, sondern ausschließlich, da sich ein merkwürdiges Gefühl in mir ausbreitete. Es war nicht negativ und auch überhaupt nicht schlimm. Aber es war trotzdem befremdlich. Ja, so war der passende Ausdruck dafür, da ich diese Sinnesempfindung bisher noch nie gespürt hatte.

„Hallo.“ Kurz und knapp, trotzdem lieb, war ihre Begrüßung.

„H … Ha …“ Ich schaffte es nicht, zu antworten. Es fühlte sich an, als würde ein großer Kloß in meinem Hals dafür sorgen, dass ich kein richtiges Wort aussprechen konnte.

„Du armer Kerl.“ Jetzt sah mich die zuckersüße Hündin auch noch mitleidig an.

„H … Ha …“ Erneut bekam ich es nicht gebacken, dieses total einfache Wort Hallo auszusprechen. Wütend über mich selbst sah ich zu ihr und zuckte mit meinen Schultern.

„Du musst echt niesen. Oder? Hoffentlich hast du dich bei dem Wetter nicht erkältet. Das geht manchmal ganz schnell. Dann gehe ich lieber mal ein Stück von dir weg, anstecken möchte ich mich nämlich nicht.“

Nein. Ich bin nicht krank und niesen muss ich auch nicht. Ich wollte dir nur hallo sagen, aber irgendwie will das Wort nicht über meine Lippen. Du kannst gerne hier stehen bleiben und mich weiter beschnuppern. Ich finde deine Nähe nämlich ganz schön toll. Außerdem mag ich deinen Geruch … Quatsch, deinen Duft. Er ist außergewöhnlich und fantastisch. Ich heiße übrigens Jake und lebe mit meinem Herrchen hier auf Sylt. Verrätst du mir auch deinen Namen? Und verrate mir doch mal, ob du auch auf der Insel lebst oder hier nur Urlaub machst. Nur Urlaub ist natürlich doof ausgedrückt. Vergiss das „NUR“ einfach. Okay? Was hältst du davon, wenn wir uns verabreden? Vielleicht heute Abend am Strand? Oder doch lieber erst morgen? Ich kenne ja deinen Zeitplan nicht. Also, ich bin spontan und würde dich gerne noch mal treffen, dachte ich und sagte nichts.

Noch immer stand ich einfach nur vor ihr und bekam keinen Ton heraus.

Dann ging sie weiter, und ich war mir sicher, dass ich die Situation total verkackt hatte. Ich würde die zuckersüße Hündin nie wiedersehen, und reden würde sie sowieso nicht mehr mit mir. Warum sollte sie auch? Ich Depp hatte ihr auf die einfachsten Fragen keine Antworten gegeben.

Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich nochmals um.

„Verrätst du mir deinen Namen? Also, falls die Erkältung oder deine Niesattacke es zulässt.“

„J … J …“ Es war echt zum Verzweifeln. Warum auch immer es so war, ich konnte kein vernünftiges Wort über meine Lippen bringen. Nicht mal meinen eigenen Namen.

„Wow. Jay Jay, ist aber echt ein cooler Name. Der passt perfekt zu dir. Danke und hoffentlich bis bald. Aber jetzt mach dich lieber auf den Heimweg und werde schnell wieder gesund.“ Als sie fertig gesprochen hatte, schenkte sie mir noch ein bezauberndes Lächeln und ging.

Ohne sich nochmals umzudrehen, verschmolz sie irgendwann mit der Weite des Horizonts.

Selbst am Abend war ich noch aufgewühlt. Noch immer spürte ich diese merkwürdige innere Unruhe, und ebenfalls noch immer war ich total wütend auf mich. Wie konnte ich mich nur so selten dämlich verhalten haben? Solche Momente kannte ich nicht von mir. Zumindest nicht, wenn sie unbegründet waren. Klar hatte ich früher manchmal vor Angst gestottert. Allerdings war ich damals noch frisch auf Sylt gewesen, und alles war neu für mich. Viele Dinge kannte ich einfach nicht. Wie auch? Immerhin hatte ich die ersten sieben Monate meines Lebens als Straßenhund auf Zypern verbracht.

Aber warum heute? Immer wieder dachte ich über die Situation nach. Leider nach wie vor vergebens.

Auf der späten Abendrunde sah ich mich ständig um. Vielleicht würde ich die kleine Hundedame von vorhin ja irgendwo sehen? Ja, eventuell lief sie ebenfalls durch die Straßen von Westerland. Dann hätte ich ihr erklären können, dass ich keine Erkältung hatte und auch nicht niesen musste. Dass mein Gestotter ausschließlich dem komischen Kloß in meinem Hals geschuldet war. Diesem Kloß, von dem ich nicht wusste, warum er überhaupt da war und der mich am vernünftigen Reden hinderte.

Leider war sie nicht zu sehen.

Als Ben und ich wieder zurück in der Wohnung waren, lümmelte ich mich direkt auf das Sofa und ließ mich ausgiebig von meinem Herrchen streicheln.

Vielleicht lenkt mich eine Kuscheleinheit ab, dachte ich und schloss die Augen.

Tatsächlich tat sie gut. Ben war wirklich ein hervorragender Bauchkrauler und ich döste chillig vor mich hin. Zumindest solange, bis ich von einem Gedanken förmlich angesprungen wurde. Genauer gesagt von Worten, die meine Hundelady vorhin gesagt hatte.

Wow. Jay Jay ist aber echt ein cooler Name. Der passt perfekt zu dir.

Ich Depp hatte selbst zu meinem falschen Namen nichts gesagt. Wenn sie nach mir suchte, konnte sie mich so niemals finden. Enttäuscht über mich und die fiese Welt, rollte ich mich zusammen und schlief ein.

Vogelfrüh

Eine Nacht voller wirrer Träume lag hinter mir. Wobei, so richtig vorbei war sie eigentlich noch gar nicht. Wir hatten es erst 5 Uhr, und ich musste mich ruhig verhalten, wenn ich nicht einen Einlauf von Ben kommen wollte.

Normalerweise schimpfte er nie mit mir. Doch neulich, als mir morgens um 6 Uhr langweilig war und ich mit meinem coolen blauen Männerball gespielt hatte, war es so. Zugegebenermaßen aber auch berechtigt.

Ich seufzte tief durch und schloss meine Augen. Öffnete sie aber sofort wieder, da ich nicht erneut die Bilder vor meinen Augen haben wollte, die mich schon die ganze Nacht verfolgt hatten.

Es waren immer die gleichen Szenen.

Ich stand am Strand und sah der hübschen Hundelady tief in die Augen.

„Wie ist dein Name? Komm schon, sag mir, wie du heißt.“ Immer wieder sagte die kleine Lady diese Worte. Sie war neugierig und schien Interesse an mir zu haben.

Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich bekam keinen Ton heraus. Nicht ein Buchstabe kam über meine Lippen. Keine einzige Silbe hatte die Möglichkeit, an meinem riesigen Kloß vorbeizukommen. Mein Hals fühlte sich wie verstopft an, meine Kehle wie zugeschnürt, und ich fühlte mich beschissen.

Irgendwann schüttelte die hübsche Hundedame verständnislos ihren Kopf, drehte sich anschließend um und verschwand.

Genau auf diese Bilder konnte ich gut verzichten. Ich wollte es mir nicht weiter antun, und so stand ich auf. Die Uhrzeit war mir egal, da ich lieber einen bösen Blick meines Herrchens in Kauf nahm, als mich weiter von der Strandsituation quälen zu lassen.

Leise und vorsichtig ging ich zum Fenster und steckte meinen kleinen Hundekopf durch den Spalt des Vorhangs.

„Na geil. Es regnet noch immer.“ Missmutig blieb ich stehen und sah zu der Straßenlaterne, in deren sanftem Licht ich das Mistwetter gut beobachten konnte.

Ob ich mein Herrchen einfach wecke? Ich kann ja so tun, als wenn ich dringend pieschern muss. Oder ihm Bauchweh vorspielen, dann würden wir bestimmt nach draußen gehen. Beide Ideen waren zwar gut, allerdings bekam ich bereits jetzt ein schlechtes Gewissen, da ich Ben eigentlich nichts vorspielen wollte. Wir waren immer offen und ehrlich zueinander, und ich fand es blöd, wenn er sich unbegründet Sorgen um mich machte.

Hm … Was gibt es noch für eine Möglichkeit? Meine Gedanken kreisten, allerdings fiel mir nichts Vernünftiges ein.

„Na, kleiner Mann, hast du schon ausgeschlafen?“ Bens Worte überraschten mich, und so zuckte ich zusammen.

„Sorry, habe ich dich erschreckt?“ Als ich mich umdrehte, sah ich mein Herrchen aufrecht im Bett sitzen.

„Ja hast du. Aber alles ist gut. Warum bist du eigentlich schon wach? Habe ich dich geweckt?“ Neugierig und mit einer schrägen Kopfhaltung sah ich meinen Lieblingsmenschen an.

„Ich kann nicht mehr schlafen. Ich glaube, das Prasseln des Sommerregens hat mich geweckt. Irgendwann muss der doch mal aufhören. Wenn das so weitergeht, ist unsere Insel bald überschwemmt, und wir müssen uns ein Floß bauen.“

„Quatsch. Wirklich? Oh nein! Das wäre echt blöd, da wir dann alle Bäume der Insel fällen müssen. So viele Bäume gibt es hier doch gar nicht. Ich meine so viele, dass alle Bewohner sich ein Floß bauen können. Und die Urlauber. Hey, wir haben Hauptsaison, und die Insel ist total voll.“ In meinem kleinen Kopf bildete sich ein Horrorszenario.

„Ist alles gut, Jake? Was guckst du denn so entsetzt? Ich habe doch nur Spaß gemacht. Du hast mir das doch nicht etwa geglaubt?“ Mein Mensch kniete vor mir und hielt meinen Kopf mit beiden Händen.

„Quatsch! Sag mal, Ben, was denkst du eigentlich von mir? Ich bin doch kein Blödi.“ Erleichtert schnaufte ich durch und hoffte, dass Ben meine Erleichterung nicht mitbekam.

„Komm, kleiner Mann, wir gehen raus. Du weißt doch, der frühe Vogel fängt den Wurm.“

Wer fängt was? Welcher Vogel? Und überhaupt, was für Würmer? Ich hatte keinen Schimmer, was mein Herrchen mir sagen wollte. Allerdings war es mir auch Schnuppe, da ich mich auf draußen freute. Sogar der Regen, nein, sogar dieser bekloppte Sommerregen, war mir Wurst. Ich hoffte insgeheim, dass auch die kleine Lady bereits mit ihrem Herrchen on Tour war.

Diese süße kleine Hündin, die etwas kleiner war als ich und so niedlich gelocktes Fell besaß.

„Vielleicht ist Black and White ja auch schon unterwegs.“ Zunächst begriff ich nicht, was mein Herrchen mir sagen wollte. Erst, als ich sein süffisantes Lächeln erkannte, machte es Klick in meinem Hundekopf.

Er hatte auf die Fellfarbe meiner kleinen Lady angespielt. Sie besaß so wunderschöne schwarze und weiße Locken. Ihr gesamter Körper war mit diesem flauschigen Fell überzogen, und ich hätte zu gerne mit meiner kleinen Hundeschnauze darin gewuschelt.

Gerade als ich eine Antwort geben wollte, konnte ich mich noch bremsen. Ja, ich bekam meine Zunge noch rechtzeitig in den Griff und schwieg. Sollte Ben doch denken, was er wollte, es war meine Sache, und über ungelegte Eier wollte ich mich schon gar nicht mit ihm unterhalten.

„Da hatten wir aber mächtig Spaß. Sogar der Sylter Sommerregen hat dich nicht gestört. Danke für den tollen Spaziergang. Ich mache mir jetzt einen Kaffee und du bekommst dein Futter.“ Wir waren noch gar nicht so richtig in unserer Wohnung angekommen, als der Kaffee bereits durchlief und auch mein Futternapf gefüllt war.

Automatisch lief ich zu meinem Frühstück. Allerdings nur, um ohne zu fressen, den Ort wieder zu verlassen. Ich hatte einfach keinen Hunger. Besser gesagt, es kam mir so vor, als würde ich keinen Bissen hinunter bekommen.

Ob es daran lag, dass es für die erste Mahlzeit des Tages noch viel zu früh war, wusste ich nicht und eigentlich glaubte ich auch nicht, dass dies der Grund war. Irgendwie war noch etwas los. Irgendetwas sorgte für eine geheimnisvolle Unruhe in meinem Bauch. Ich kannte dieses Gefühl nicht, und es war mir auch nicht möglich, es zu definieren. Nein, ich konnte es nicht beschreiben. Ganz bestimmt lag es daran, dass ich es bis zum heutigen Tag nicht kannte.

Bis heute nicht kannte? Nein, es war gestern Abend schon da und hatte mich durch die Nacht begleitet. Nach meinen Gedanken kuschelte ich mich in meine Lieblingssofaecke und sah verträumt aus dem Fenster.

Geschmacksrichtung

Auch heute hatte ich kaum Hunger.

Wie bereits gestern hatte ich mein Frühstück nicht angerührt und auch von meinem Abendessen nur sehr wenig gefuttert. Ich bekam es einfach nicht runter und mochte ehrlich gesagt noch nicht mal daran riechen.

Nicht, dass ich wählerisch oder krüsch war. Nein, ich hatte einfach keinen Hunger. Merkwürdigerweise war es so, da ich dieses Verhalten eben so wenig von mir kannte wie Ben.

Mein Herrchen machte sich inzwischen Sorgen um mich. Genauer gesagt, um meine Gesundheit. Er war sich in dem Moment sicher, dass ich etwas mit meinem Magen hatte, als ich auch den leckeren Hähnchenstick verweigerte.

Zunächst hatte ich den Stick voller Vorfreude aus Bens Hand genommen. Die Dinger duften aber auch total genial und schmecken einfach fantastisch. Schnell war ich mit dem Teil zu meinem Lieblingsteppich gelaufen und hatte mich hingelegt. Hier verhaftete ich die Dinger am liebsten. Schließlich sind ja auch wir Hunde Gewohnheitstiere.

Doch als ich mit dem Knabbern beginnen wollte, verließ mich der Appetit. Aber nicht nur das, auch der eben noch herrliche Duft war verschwunden. Sekundenbruchteile später konnte ich das Teilchen wieder riechen. Allerdings nicht wie sonst, es widerte mich fast etwas an.

„Wenn sich nichts ändert, müssen wir wohl zum Tierarzt.“ Ben sprach leise zu sich selbst, und er hatte die Worte ganz bestimmt nicht gesagt, um mich auf diese Art zum Essen zu animieren. So war er nicht, mein Herrchen machte sich tatsächlich Sorgen.

Allerdings unnötige Sorgen, da es mir gut ging. Ich hatte einfach keinen Hunger, konnte meinem Menschen allerdings nicht erklären, warum es so war. Wie auch? Ich konnte es ja nicht mal mir selbst erklären.

Nachdem wir auf der frühen Runde eine richtige Husche Sommerregen abbekommen hatten, war es jetzt fast trocken. Schnell machten wir uns fertig, und schon ging es ins Südwäldchen. Ben mochte diesen Ort, und auch ich hatte mich mit jedem Besuch mehr in das kleine Wäldchen verliebt.

So gerne hätte ich meinen großen Freund Milo an der Seite gehabt. Es wäre toll gewesen, sich mit ihm auszutauschen und vielleicht sogar einige Tipps zu bekommen. Immerhin war er einige Jahre älter als ich und konnte mir bestimmt sagen, wie ich mich am besten verhalten sollte, was ich machen konnte.

Nein, ich meine nicht meine Appetitlosigkeit, sondern den Umstand, dass ich fast durchgehend an diese kleine Hundedame dachte. Wie konnte ich es ändern? Leider gab es keine Chance auf Tipps von ihm. Er befand sich im Urlaub auf Fehmarn. Zusammen mit seinem Herrchen Karsten, der ein guter Freund von Ben war, weilte er dort bereits seit über einer Woche, und sein Urlaub war gerade mal zur Hälfte rum.

Was hätte der große Schwarze mir bloß zu dem Thema gesagt? Wie wäre wohl sein Rat für mich? Ich fragte mich erneut, was mir mein Labbi-Freund wohl vorgeschlagen hätte. Wie sein Tipp ausgefallen wäre, um auf andere Gedanken zu kommen. Wobei, eigentlich wollte ich sie ja gar nicht ändern. Immerhin gefielen mir die Gedanken ja irgendwie auch. Ich fühlte mich lediglich überfordert.

Milo konnte mir bestimmt erzählen, weshalb es so war, und Tipps im Umgang mit Hundeweibchen hatte er garantiert auch auf Lager.

„Dazu müsste ich dich aber zunächst finden. Vielleicht bist du ja auch hier?“ Ich hörte mich sprechen und sah erschrocken zu Ben, da ich meine Worte eigentlich nur denken wollte.

„Wolltest du was? Vielleicht ein Leckerli?“ Mein Herrchen griff sofort freudig in die Tasche.

Um vom Thema abzulenken und natürlich auch, um meinem Menschen eine Freude zu machen, griff ich zu.

„Endlich. Lass es dir schmecken.“ Ben sah mich glücklich an, während ich das Teil herunterwürgte. Ich hatte noch immer keinen Appetit. Mein Körper war mit anderen Dingen beschäftigt, und ich tat es ausschließlich meinem Herrchen zur Liebe.

Bestimmt dreißig Minuten waren wir schon durch das Wäldchen gelaufen, und ich hatte tatsächlich etwas Positives an diesem nervigen Sommerregen entdeckt. Es gab hier ganz viele Pfützen, und alle hatten einen anderen Geschmack. Einige schmeckten nach Lehmboden, andere nach Tanne und die Leckersten nach diesem wundervollen Waldboden.

Ob mein großer Durst meinem wenigen Appetit geschuldet war, wusste ich nicht. Allerdings hätte ich bei einem Wetttrinken große Gewinnchancen gehabt.

Als ich meine Zunge in die nächste Pfütze stecken wollte, nahm ich einen weiteren Geruch wahr. Nein, es roch nicht nach frischem Laub, sondern nach meiner kleinen Hundefreundin, die ja eigentlich gar keine Freundin von mir war. Leider!

Lass dich nicht von deinen Wunschgedanken verarschen. Ich nahm meine Schnüffelnase aus dem Wind und konzentrierte mich auf die vor mir liegende Pfütze. Höchstens noch einen Zentimeter war meine Zunge vom leckeren Nass entfernt, als ich sie doch wieder einzog. Ich richtete mich auf und sah in die Richtung, aus der ich eben den Duft wahrgenommen hatte.

Reiß dich zusammen. Schroff war mein Gedanke, und doch machte ich mich auf den Weg dorthin. Nach drei Schritten war der Duft verschwunden. Obwohl ich mich intensiv bemühte und meine kleine Schnüffelnase wie verrückt arbeitete, konnte ich die Spur nicht wieder aufnehmen.

„Wahrscheinlich, weil es sie überhaupt nicht gibt.“ Ich ärgerte mich über mein dummes Verhalten und drehte mich um. Mein neues Ziel hieß Pfütze, und ich freute mich darauf, eine weitere Geschmacksrichtung auszuprobieren.

Zweimal hatte ich meine Zunge inzwischen durch die Pfütze gezogen. Und ja, es schmeckte hervorragend. Trotzdem war ich nicht voll bei der Sache. Mein Kopf, besser gesagt, meine Gedanken waren an einem anderen Ort. Noch immer musste ich an den Duft denken. An den Duft, der mich total an meine kleine Lady erinnerte. An die hübsche Hündin vom Strand. Ich hatte keine Wahl. Nein, es ging einfach nicht anders, ich musste meine Schnüffelnase nochmals durch den Wald bewegen. Ich konnte nicht riskieren, dass ich es nicht tat und mich später darüber ärgerte.

Schnell stellte ich mich auf, schüttelte meinen Körper und hielt meinen Riechrüssel in die Luft.

Dann ging es los.

„Wenn du hier warst, werde ich es herausfinden.“ Leise sprach ich zu mir, während ich die Nase dicht über dem Waldboden hielt.

Liebesbuche

„Jake, kommst du jetzt endlich!“ Mein Herrchen rief nach mir. Um genauer zu sein, rief er bereits etwas genervt, da ich alle vorherigen Rufe ignoriert hatte. Nein, es lag nicht daran, dass ich mich im Rüpelalter befand und die Hierarchie zwischen Ben und mir neu abstecken wollte. Mein nicht gehorsames Verhalten war einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass ich heute Abend nicht traurig und wütend auf dem Sofa liegen wollte. Sollte die süße Hündin wirklich hier im Wald gewesen sein, so musste ich jetzt ihre Spur aufnehmen. Dann hatte ich die Pflicht, sie zu finden. Ich hatte sie ihr gegenüber, da sie wirklich sehr zuvorkommend mit mir umgegangen war. Vor allem aber hatte ich die Pflicht auch mir gegenüber. Ich wusste ganz genau, dass ich es mir nicht hätte verzeihen können, nicht alles gegeben zu haben. Den Wald zu verlassen und nicht an allen Stellen gesucht haben, wäre keine gute Entscheidung gewesen. Nein, es wäre sogar extrem dämlich von mir gewesen.

„Ich komme doch gleich. Fünf Minuten, okay?“ Missmutig grummelte ich eine Antwort vor mich hin und glaubte selbst nicht daran, dass sie bis zu Ben gedrungen war. Immerhin hatte er, ganz im Gegensatz zu mir, keine Lauschlappen, die auch die kleinsten Geräusche aufnehmen konnten.

Allerdings machte ich mir darüber schnell keinen Kopf mehr, da sich dieser bereits wieder in einer geduckten Haltung befand. Noch dichter am Waldboden war lediglich noch meine schwarze Nase, die wild schnüffelnd hoch und runter vibrierte.

Vorhin hatte ich sie doch auch gerochen. Es war ihr Duft, ich habe mich doch nicht getäuscht. Wut stieg in mir auf. Ich war wütend darüber, dass ich die Suche vorhin abgebrochen hatte. War der raue Nordseewind dafür verantwortlich, dass ich die Fährte nicht wieder aufnehmen konnte? Lag es an der salzigen Sylter Luft, dass der Duft meiner kleinen Lady verschwunden war? Oder war tatsächlich dieser ätzende Sommerregen, der meiner Meinung nach lediglich ein beschissener Dauerregen war, daran schuld, dass alle Spuren vernichtet waren?

Oder gab es vielleicht etwa gar keine Fährten? Hatte ich mich vorhin lediglich getäuscht? Waren es meine geheimen Wünsche, die ein böses Spiel mit mir gespielt hatten?

„Jake, pass mal auf, du Nasenbär. Wenn du nicht sofort bei mir antanzt, gehst du heute barfuß zu Bett.“ Obwohl Bens Ton schroff war, ließ er sich eine große Prise Humor nicht nehmen.

„Barfuß muss ich doch immer ins Bett.“ Ich grinste, dann sprach ich weiter. „Aber ich komme ja schon.“ Nachdem ich tief ausgeatmet hatte und ein großer Enttäuschungsseufzer meine Lippen verlassen hatte, lief ich los. Ich wollte zu Ben und ihm zeigen, dass ich durchaus in der Lage war, seinen Befehlen zu folgen.

„Endlich. Komm mal her, du Räuberhauptmann. Ich finde ja, dass du gerne wieder besser hören könntest. Heute ist es echt bescheiden.“ Obwohl ich auf eine charmante Art einen kleinen Einlauf bekam, wurde ich zwischen meinen Schlappohren gekrault.

„Noch besser hören? Ich habe doch alles gehört, nur nicht sofort gehorcht.“ Ich grinste, dann sprach ich weiter und sah mein Herrchen dabei verliebt an. „Es ist versprochen. Das kommt nicht wieder vor. Es lag nur daran, dass ich meine kleine Hündin gesucht habe. Ich dachte, dass ich ihren Duft wahrgenommen hatte. Leider habe ich mich aber getäuscht.“ Während ich sprach, rieb ich meinen kleinen nassen Hundekopf an Bens Beinen und fühlte mich wohl. Auch wenn ich noch immer traurig war, fühlte sich die Welt so gleich wieder besser an.

Immerhin kann ich mir heute Abend nichts vorwerfen. Auch wenn es mir im Bezug auf die süße Lady nicht wirklich weiterhalf, war ich froh darüber, alles ausprobiert zu haben.

Alles? Nein, nicht alles! Ich Vollhonk. Bereits während meiner Gedanken hatte ich mich in Bewegung gesetzt. Mein Ziel war ein Baum. Nein, nicht einfach nur ein Baum, sondern die Liebesbuche, die sich hier im Südwäldchen befand.

Dieser alte, fast ehrwürdige Baum war ein Muss für alle Hunde, die ihren Urlaub auf Sylt verbrachten. Natürlich aber auch ein Begegnungspunkt für alle Fellnasen, die hier auf der Insel lebten. Milo hatte mir von dieser Buche erzählt, und ich wunderte mich darüber, dass ich den Baum erst jetzt auf dem Zettel hatte.

„Jake, bleib. Stopp, du Nase. Ach Manno, was ist denn heute nur los?“ Auch wenn Bens letzte Worte fast etwas resigniert klangen, konnte ich nicht stoppen. Ich wusste, dass ich heute Abend etwas gutzumachen hatte. Musste jetzt allerdings mein Ding durchziehen. Ich würde ja schließlich nicht weglaufen, sondern lediglich den Ort hier im Südwäldchen wechseln. Außerdem würde mich mein Herrchen an diesem Platz finden. Schon häufig hatten wir uns an dieser Stelle wiedergetroffen, wenn ich vorher eine kleine Tour durch den Wald gemacht hatte. Dass ich auf diesen Touren manchmal Kaninchen gejagt hatte, war allerdings mein Geheimnis geblieben.

„Bin gleich zurück.“ Mir war klar, dass Ben meine Antwort nicht hören konnte. Trotzdem blieb ich nicht stehen und vertraute darauf, dass mein Herrchen wusste, dass irgendetwas Besonderes in der Luft lag. Er kannte mich, kannte mein sonstiges Verhalten und wusste somit ganz genau, dass ich niemals aus dem Südwäldchen abhauen würde.

Da bist du ja. Bitte lieber Baum, hilf mir. Immerhin bist du doch der Liebesbaum. Nein, die Liebesbuche, die schon so viele Hundeherzen zusammengeführt hat. Fast andächtig stand ich vor dem mächtigen Stamm. Gleich würde ich alle Neuigkeiten erfahren. Dieser Baum war besser als jede Zeitung. Er war interessanter als sämtliche Nachrichtensendungen und unterhaltsamer als das Radio.

„Bitte, lass mich ihre Spur finden. Lieber Baum, hilf mir dabei, die süße Hündin zu finden. Ich möchte sie so gerne nochmals treffen. In ihre Augen sehen dürfen und mit meiner kleinen Hundeschnauze in ihrem Wuschelfell wühlen.“ Noch immer war ich regungslos. Nein, noch immer stand ich stocksteif im Wald und sah diesen mächtigen Baum an. Diesen Liebesbaum, in den ich alle meine Hoffnungen setzte. Wenn er mir nicht helfen konnte, war Hilfe nicht möglich.

„Bitte, lieber Baum.“ Nach diesen drei Worten setzte ich mich in Bewegung. Mit gesenktem Kopf und einer eifrig schnüffelnden Nase überbrückte ich den letzten Abstand zum Stamm.

Nachdem ich ihn zur Hälfte umrundet hatte, hielt ich an. Ich musste mich vorhin getäuscht haben.

Obwohl ich hier unendlich viele unterschiedliche Hundegerüche wahrnehmen konnte, war ihrer nicht dabei. Nein, meine süße Hündin vom Strand hatte die Liebesbuche nicht besucht.

Enttäuscht hob ich meine Nase und schloss die Augen.

Was soll das? Wer verarscht mich hier? Das kann doch nicht daran liegen, dass meine Augen geschlossen sind. Meine Nase bewegte sich hektisch, als der liebliche Duft meiner Lady in sie hinein strömte.

Schnell öffnete ich meine Augen wieder. Ich musste herausfinden, ob ich ihre Spur auch so wahrnehmen konnte.

Oder hatten mir meine Gedanken und Wünsche erneut einen Streich gespielt?

Duftmarke

„Du warst hier.“ Leise, fast andächtig sagte ich diese Worte und spürte, wie sich ein Lächeln auf meine Mundwinkel legte. Ich hatte die süße Hundedame tatsächlich gefunden. Na gut, sie selbst nicht, allerdings ihren betörenden Duft.

„Jetzt aber los.“ Erneut sprach ich mit mir selbst und machte mich sofort daran, ihrer Fährte zu folgen. Zumindest drei Meter weit. Dann blieb ich stehen und drehte mich um. Mein Blick war auf die Liebesbuche gerichtet. Zu dem Baum, der schon viele Herzen vereint hatte und der mir eben auch behilflich war. Einfach so durfte ich diesen magischen Ort nicht verlassen. Auf keinen Fall konnte ich mich so verabschieden.

„Danke, lieber Baum. Danke für alles. Ich werde dir erzählen, wie unsere Geschichte ausgegangen ist. Jetzt muss ich aber los.“ Während ich lief, hielt ich meine kleine Lakritznase knapp über dem Waldboden. Ich hatte es eilig und das aus zweierlei Gründen. Natürlich wollte ich, so schnell es ging, zu meiner kleinen Lady, hatte aber auch etwas Schiss, dass der Sommerregen ihre Spuren vernichtete.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739460635
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
Hund Hundeliebe Freude Sommer Sylt Syltliebe Liebe Urlaub Insel Kinderbuch Jugendbuch Humor

Autor

  • Ben Bertram (Autor:in)

Ben Bertram ist das Schreibpseudonym eines waschechten Hamburger Jung. Am 14.05.1968 erblickte er das Licht der Welt und fand im Umgang mit Wort und Witz schnell ein Hobby, welches er seit vielen Jahren pflegt. Er lebt in seiner Lieblingsstadt Hamburg und verbringt viel Zeit auf der Insel Sylt, auf die er sich auch gerne zum Schreiben zurückzieht. Dort wird er, wenn sein Blick auf das Meer gerichtet ist, von vielen neuen Ideen und Eingebungen „überfallen“.
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Titel: Sommerliebe