Beim Jagen in den tiefer gelegenen Hängen des Katakmas traf Theona auf Kravos von Nordins Soldaten. Er selbst weilte nicht unter ihnen, was Theona zutiefst bedauerte. Das Gebirge war ihr Territorium, wo sie jeden Baum, jeden Strauch, jeden Stein und jede Höhle kannte. Alle Vorteile wären auf ihrer Seite gewesen. Ein einziger gezielter Schuss mit dem Bogen hätte für ihn das – wenn auch viel zu gnadenvolle – Ende bedeutet. Eine Weile beobachtete sie die Männer aus der Distanz. Die Krieger schienen nach etwas zu suchen. Das beunruhigte sie. Zwar hatte sie sich vor langer Zeit angewöhnt, wenig Spuren zu hinterlassen, doch im Winter geriet diese Aufgabe zu einem schwierigen Unterfangen. Zum Glück irrte normalerweise niemand in dieser Jahreszeit im Katakmas umher, es sei denn, er wäre seines Lebens überdrüssig, darum hatte sie bisher keine Probleme bekommen. Die Gefahr, in eine Felsspalte zu stürzen, einer Lawine zum Opfer zu fallen oder durch einen plötzlichen Wetterumschwung zu erfrieren, war viel höher als im Sommer.
Im ersten Jahr hatten Atantuchs Instinkte sie vor dem Tod bewahrt, wann immer er sich weigerte, eine Richtung einzuschlagen. Sie hatte dem Wallach vertraut und nie falsch damit gelegen. Inzwischen kannte sie das Gelände selbst und konnte bei einer Verfolgung von ihrer Ortskenntnis Gebrauch machen.
Die Anwesenheit der Krieger im verschneiten Katakmas beunruhigte sie. Sie beobachtete die Männer noch eine Weile. Der verlockende Gedanke, ihnen eine tödliche Falle zu stellen, überkam sie, vor allem, als sie den anführenden Offizier erkannte. Sie verwarf die Idee, da sie Kravos von Nordin nicht bestärken wollte, sie hier zu suchen. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das, was sie ursprünglich in die Wälder getrieben hatte.
Theona ritt einen weiten Bogen, folgte sicherheitshalber eine lange Zeit dem Lauf eines Gebirgsbachs, um weniger Spuren zu hinterlassen. Am Ende band sie Atantuch Lederlappen um die Hufe, froh über ihre Entscheidung, heute mit ihm anstelle von Tiela unterwegs zu sein. Es machte ihm keine Mühe, trotz des rutschigen Materials einen sicheren Weg auf den Pfaden zu finden. Außerdem neigte er nicht zu Übermut. Hinter einer Biegung gab es einen Felsen, wo sich der Bach zu einer weiten Furche verbreiterte. Sie beschloss, eine kleine Pause einzulegen, da Atantuch zusätzlich das von ihr erlegte Mutak trug. Dem toten Tier haftete noch die Wärme des vergangenen Lebens an. Sie musste sich beeilen, denn wenn sein Blut gefror, würde es schwer sein, es zu zerteilen. Mit beiden Händen schöpfte sie Wasser oberhalb von der Stelle, an der das Pferd trank. Leise schnaubte der Wallach. Theona schaute vom Wasser auf und sah die schwarze Raubkatze, die mit einem eleganten, lautlosen Satz aus dem Unterholz auf einen wuchtig gewachsenen Baum sprang. Das Raubtier machte es sich auf einem Ast bequem. Nur der Bach trennte es von ihr. Mit zuckendem Schwanz fixierten die grünen Augen das tote Mutak auf dem Pferd.
»Oh nein, Panalea, such dir gefälligst selbst Beute!«, fauchte Theona die schwarze Katze an. Sie brauchte jedes bisschen Fleisch. Seitdem sie die Krieger erspäht hatte, wusste sie, dass sie ihr Versteck nur noch verlassen konnte, wenn es absolut notwendig war.
Ein lautes Knacken ertönte. Die Muskeln angespannt, duckte sich die Katze in Angriffsposition. Jetzt fixierte sie ein anderes Ziel mit ihrem Blick. Unter dem Baum erschien ein Reiter in zerfetzter Kleidung. Blut rann ihm vom Kopf und aus unzähligen Wunden an seinem Oberkörper. Halb bewusstlos hing er auf dem Reittier, ohne die tödliche Gefahr wahrzunehmen, in der er schwebte.
Lautlos sprang das Raubtier auf den Nacken des Pferdes, das schrill wieherte, in höchster Not stieg und den Reiter zu Boden warf. Auch die Katze wurde von der heftigen Reaktion der vermeintlich sicheren Beute überrascht und gegen einen Stein geschleudert. Fauchend und sich schüttelnd kam das Raubtier wieder auf die Tatzen. Das Pferd flüchtete auf dem Weg, den es gekommen war. Der Mann lag leblos auf dem Boden. Langsam näherte sich die Katze mit geschmeidigen Bewegungen ihrem Opfer.
Theona handelte, ohne lange zu überlegen.
»Nimm das hier, Panalea!«
Sie zog das Mutak von Atantuch herab und schlitzte ihm die Kehle auf. Der frische Blutgeruch lenkte die Aufmerksamkeit des Raubtiers auf die bereits erlegte Beute. Für einen Moment zuckte sein Schwanz hin und her, dann war es auf der anderen Bachseite – eine weise Entscheidung, denn an dem Mutak hing mehr Fleisch als an dem Mann. Theona war ebenfalls schnell mit Atantuch bei dem Verletzten, brauchte aber all ihre Überredungskunst, damit sich der Wallach hinlegte. Das Raubtier behielt sie sorgsam im Auge. In geduckter Haltung riss es die saftigsten Stücke aus dem Fleisch. Ihr Panalea wusste genau, was am besten schmeckte.
Theona zog den bewusstlosen Mann über den Sattel und ließ das Pferd aufstehen. Einer inneren Eingebung folgend hatte sie dem Mann die restliche Oberbekleidung vom Körper gezogen. Ihr schwarzes Tuch zog sie von Gesicht und Haaren, riss es in Streifen und wickelte diese über die blutenden Wunden am Oberkörper und um den Kopf des Verletzten. Dann zog sie sich ihren Umhang aus und hüllte den Mann so gut es ging darin ein, damit er nicht unterwegs erfror.
Während sich Atantuch auf den Weg machte, warf sie Hemd, Wams und Umhang des Mannes der Katze hin. Wie erwartet fauchte das Raubtier empört, schlug mit der Tatze nach dem Stoff, zerfetzte ihn dabei noch mehr und besudelte ihn mit Blut und Fetzen des toten Mutaks. Theona hoffte, mit dieser Finte die Verfolger zu einer falschen Schlussfolgerung zu verleiten. Sie folgte ihrem Pferd ins Unterholz. Sorgsam wischte sie jede verräterische Spur hinter sich weg.
Sie holte den Wallach ein, führte ihn auf verschiedenen Routen in einem weiten Bogen, kletterte mit ihm auf Felssteige, auf denen sie keine Abdrücke hinterlassen konnten. Für Reiter ohne Ortskenntnisse im Katakmas hätte der Weg eine Strecke des sicheren Todes bedeutet.
Zu ihrem Versteck kehrte Theona in der Dämmerung zurück. Trotzdem prüfte sie sorgfältig die Umgebung, bevor sie den kaum sichtbaren, steinernen Pfad nahm, vorbei am tosenden Wasserfall durch eine Höhle. Hier wurde der Weg erst enger, dann öffnete er sich in ein kleines Tal, das seit vier Jahren ihr Zuhause war.
Theona holte eine Decke, machte Atantuch ein Zeichen, auf die Knie zu gehen, und zog vorsichtig den Verletzten, der noch immer bewusstlos war, vom Rücken des Wallachs. Sie schlug ihn in die Decke ein, ließ ihn liegen, wo er war, versorgte ihr Pferd, befreite es vom Hufschutz und entließ es ins Tal.
Schritt für Schritt zog sie rückwärtsgehend den Mann auf der Decke liegend in die Hütte – ein anstrengendes Unterfangen, das all ihre Kraft erforderte. Sein Stöhnen verriet ihr, dass sie ihm damit Schmerzen bereitete. Als sie ihn schließlich in ihrer Behausung hatte, pumpte ihr Herz heftig, und Schweiß rann ihren Körper hinab. Sie entzündete ein kleines Feuer, erhitzte Wasser und holte Tücher, bevor sie sich neben ihm auf den Boden kniete. Vorsichtig löste sie die schwarzen Stoffstreifen vom Kopf des Bewusstlosen und von seinem Oberkörper und musterte gründlich den zerschundenen Leib. Das dunkle, verfilzte Haar reichte dem Mann bis über die Schultern, seine Wangen wirkten eingefallen. Er stank erbärmlich nach Dreck, Urin und Exkrementen. Am Kopf entdeckte sie eine Beule, vermutlich vom Sturz. Das linke Ohr fehlte. Der Schnitt, einige Tage alt, sonderte eine zähe, übel riechende Flüssigkeit ab. Den unteren Teil des Gesichts bedeckte ein ungepflegter Bart, in dem etwas herumkrabbelte. Seinen Oberkörper überzogen Schnittwunden – nicht lebensgefährlich tief, dafür an Stellen, die schmerzten, wie sie aus eigener Erfahrung wusste, denn sie besaß Narben an ähnlichen Stellen. An der rechten Seite hatte man ihm die Haut in einem daumenbreiten Streifen entfernt.
Alte Erinnerungen kamen hoch. Der Anblick des misshandelten Mannes rief sie ihr lebhaft vor Augen. Theona würgte und war froh, dass ihr Magen leer war. Sie stand auf, verließ die Hütte und ging ein paar Schritte. Mit beiden Beinen im Schnee blieb sie stehen, atmete tief die klare Luft ein und leerte ihren Kopf. Ihr Blick wanderte hoch zum Himmel. Durch ihre Füße strömte die Kraft der Erde. Sie gönnte sich den Moment, um die Weite zu spüren, bevor sie den Weg zurück zur Hütte einschlug und wieder hineinging.
Innerlich ging sie auf Distanz, sagte sich ganz nüchtern, dass vor ihr ein Körper lag. Es half ihr, Abstand zu gewinnen und den Fokus auf die Arbeit zu richten. Sie füllte das inzwischen heiße Wasser in eine Schüssel, streute Kräuter darüber und setzte gleich weiteres Wasser auf.
Den Rücken des Verletzten überzogen Peitschenstriemen, das hatte sie bemerkt, als sie ihn am Bach verbunden hatte. Es spielte also letztlich keine Rolle, ob sie vorn oder hinten anfing. Seine Beine waren bei der Folter ausgespart worden, dafür zeichneten sich auf einem Oberschenkel tiefe Krallenspuren von Panalea ab, Wunden, die sie nicht unterschätzen durfte, da sie sich leicht entzünden konnten. Sie seufzte ergeben. Dieser Mann präsentierte sich ihr als eine einzige Flickarbeit. Bevor sie die mühselige Aufgabe in Angriff nahm, ihn zu waschen und gründlich zu säubern, wollte sie sichergehen, dass er überhaupt noch lebte. Sie legte die Hand an seinen Hals. In einer zarten Bewegung der Haut fühlte sie Leben und ließ gleichzeitig Energie in ihn einfließen.
Während ihre Finger noch an der Stelle ruhten, schlug der Verletzte die Augen auf. Mit erstaunlicher Schnelligkeit und Kraft packte er ihr Handgelenk, hob seinen Kopf und zischte etwas in der Sprache der Eldemarer. Dann verdrehte er die Augen und fiel zurück.
Völlig erstarrt verharrte Theona und lauschte darauf, ob ihr Herz wieder zu schlagen anfing. Schließlich atmete sie tief durch, stand auf und holte ihr Messer, mit dem sie am Bach die Kehle des Mutaks aufgeschlitzt hatte, um es ihm in die Brust zu stoßen. Es wäre ein Akt der Gnade, nach all dem, was dieser Mann an körperlichen Verletzungen aufwies. Sie kannte sich in der Heilkunst nur unvollständig aus, und seine Überlebenschancen erschienen ihr gering.
Theona hob das Messer, und ein sanftes Licht schimmerte am Körper des Mannes entlang. In ihren Gedanken flackerten Bilder auf: das Gesicht von Burkas in der stürmischen Nacht, über sie gebeugt, Nordins Krieger, die suchend durch den Katakmas schlichen, die gierig verzerrte Visage von Kravos, der sie mit Blicken zu verschlingen schien. Sie hörte die Worte ihres Bruders Auriel: Unser Land braucht den Frieden. Wir können nicht gegen die Eldemarer siegen. Ich bin bereit, dafür jeden Preis zu zahlen. Bist du es auch – für unser Volk?
Sie schluckte, legte das Messer vorsichtig zur Seite, aber so, dass es jederzeit für sie griffbereit war, und begann den Verletzten zu säubern.
Das Fieber stieg weiter. In einem Kraftakt hatte Theona den Mann auf ihr Lager gehievt und ihn dort mit Lederriemen an die seitlichen Verstrebungen gefesselt. Nach seiner unvorhersehbaren Attacke blieb ihr keine andere Wahl. Sorgenvoll betrachtete sie die zwei Wunden am Oberkörper, deren umgebende Rötung deutlich eine Entzündung anzeigte. Die vier tiefen Krallenspuren wiesen dieselben Zeichen auf. Aus ihnen troff außerdem eine gelbliche, stinkende Flüssigkeit. Sie hatte bereits in dem Buch über Heilpflanzen nach etwas gesucht, das helfen konnte. Doch ihr Vorrat an getrockneten Heilkräutern war begrenzt. Von Stunde zu Stunde driftete der Mann ein Stück weiter dem Tod entgegen. Er brabbelte unverständliches Zeug vor sich hin, aus dem sie auch den Namen ihres Bruders herauszuhören glaubte.
Die Sonne stand tief am Horizont. Heute Nacht würde es einen Schneesturm geben.
»Denk nach! Streng dich an!«, flüsterte sie in die Stille. Noch war sie nicht bereit, den Mann aufzugeben. Sie starrte auf eine Spinne, deren Beute im Netz zappelte. Mit dem vorderen Beinpaar packte die Spinne das Opfer und begann es auszusaugen.
Eine Idee blitzte auf, und Theona gestattete sich nicht, über ihre eigene Kühnheit nachzudenken. Stattdessen zog sie hastig ihren Umhang an, nahm sich einen Lederbeutel und lief nach draußen. Mit einem Pfiff rief sie die Pferde, sprang auf Tielas Rücken und ritt zum Zugang des Tals, wo sie absprang. Zu Fuß ging sie durch die Höhle zum Wasserfall, horchte, bis sie sicher war, dass niemand da war, der auf sie lauerte. Der Wasserfall toste die Steilwand herab. Obwohl er nicht so kräftig war wie im Frühjahr oder Herbst, konnte sich im oberen Becken doch noch keine durchgehende Eisschicht bilden. Theona griff mit der bloßen Hand in das eisige Wasser und tastete, bis sie auf etwas Schleimiges stieß – genau, was sie gesucht hatte. Sie kannte die Lebensgewohnheiten der Tiere nicht, deshalb packte sie gleich mehrere in den Lederbeutel und füllte ihn sicherheitshalber mit Wasser. In ihrem ersten Jahr hier hatten sich einige dieser Schleimmonster an ihrer Haut festgesaugt und ihr Blut abgezapft. Zum Glück hatte sie sie mit ein wenig Geschick entfernen können. Inzwischen war sie an die Schmarotzer gewöhnt, hatte sie doch sogar eine positive Eigenschaft an ihnen entdeckt: Setzte man sie auf einen blauen Fleck, so verschwand er, nachdem die Geschöpfe sich am Lebenssaft gelabt hatten. Außerdem verebbte der Schmerz. Theona hoffte, dass sie auch bei den entzündeten Wunden helfen würden. Da sie den Mann unmöglich zum Wasserbecken schleppen und schon gar nicht in seinem Zustand in eiskaltes Wasser tauchen konnte, mussten eben die schleimigen Biester zu ihm hingeschafft werden.
Zurück in der Hütte schüttete sie die Tiere mit dem Flusswasser in eine Holzschüssel. Sie holte eine zweite, die sie ebenfalls mit Wasser aus dem Becken füllte, und setzte dann vorsichtig je eines der Biester auf jede entzündete Wunde. Gierig saugten sie sich fest, und Theona konnte beobachten, wie sie langsam anschwollen. Schließlich rollten sie sich, anscheinend vollgesogen, zusammen. Sie nahm die Viecher herunter und packte sie in die zweite Schüssel, um sie von den anderen getrennt zu halten, die sie noch benutzen konnte. Nach zwei Stunden wiederholte sie das Ganze mit weiteren Exemplaren aus dem ersten Gefäß. Während die Tiere saugten, flößte sie dem Mann die nahrhafte Brühe ein, die sie mit Fleisch aus ihrem Vorrat gekocht hatte.
Sie holte frisches Wasser von der Quelle in der Höhle neben ihrer Hütte. Damit wusch sie den Mann in regelmäßigen Abständen ab, bis sie das Gefühl bekam, dass die Hitze in seinem Körper nachließ.
Draußen begann der Schneesturm zu toben, keine Seltenheit in dieser Jahreszeit im Katakmas. Kurz ging sie hinaus, um zu prüfen, ob sich die Pferde in die Höhle zurückgezogen hatten, die sie zum Stall gemacht hatte. Sie strich den Zweien durch das dichte Fell. Es war schön, ihre warmen, heilen, lebendigen Körper unter den Händen zu fühlen.
Schließlich ging sie zurück in die Hütte zu dem Mann, der dem Tod näher war als dem Leben. Nach einer Weile forderten die Anstrengungen ihren Tribut und sie schlief ein.
Theona erwachte von der Ruhe. Durch die Öffnung in der Wand, nur von einer hauchdünnen ledernen Haut verschlossen, schien die Sonne. Mit dem Kopf auf der Brust des Mannes war sie eingeschlafen, dessen Atemzüge jetzt tief und gleichmäßig gingen. Sie legte die Hand auf seine Stirn, die sich trocken anfühlte und nur noch wenig unnatürliche Hitze ausstrahlte. Sie kontrollierte die Wunden. Die Rötungen waren zurückgegangen, die gelbliche Flüssigkeit verschwunden.
Zufrieden schnappte sie den Beutel mit den vollgefressenen Schmarotzern und ein Tuch. Diesmal ging sie zu Fuß zum Becken, ließ die Biester frei, nahm ein Bad und wusch sich gründlich. Sie verdrängte die Gedanken an den Dreck, mit dem sie in Berührung gekommen war. Sie blieb so lange im Wasser, wie sie es aushielt. Mit dem Tuch rubbelte sie ihre Haut trocken, bis sie rot glühte.
Während sie zurücklief, erstarrte die Feuchtigkeit in ihrem Haar zu Eis. In der Hütte entfachte sie das Feuer und setzte einen Kessel mit frischer Suppe auf. Sie zitterte am ganzen Leib von der Kälte des Wassers. Nachdem sie einen der Schemel vor die Feuerstelle gezogen hatte, setzte sie sich dicht an die Flammen, beobachtete, wie die Wärme die Eiskristalle in ihrem Haar langsam zum Schmelzen brachte.
Theona dachte an ihre Kindheit, den Schneesturm, der sie und Auriel auf dem Weg zum Großvater überrascht hatte. Gemeinsam suchten sie damals in einer Höhle Zuflucht. Sie hatte mit viel Geduld ein Feuer entfacht, während ihr älterer Bruder – der Krieger – mit den Zähnen klapperte. Auch damals hatte sie beobachtet, wie die Hitze die Eiskristalle aus ihrem Haar löste.
Leiser Gesang weckte Thelos aus einem entsetzlichen Traum voller Schmerzen, Angst und Hoffnungslosigkeit. Es gelang ihm, den Kopf in Richtung der Stimme zu drehen. Eine Frau saß auf einem Hocker vor der Feuerstelle. Schwarze Kleidung hüllte ihren Körper ein. Sie hatte den Kopf auf die Seite geneigt, zum Feuer hin. Durch den dichten Teppich aus goldenem, welligem Haar konnte er ihr Gesicht nicht sehen. Die Flammen flackerten wie lebendiger Lichtschein über die feuchte Haarpracht und ließ sie schimmern. Tot – er musste tot sein, und vor ihm saß eine Nymphe. So friedvoll strahlte das Bild und vertrieb seinen schrecklichen Traum. Es gab keine andere Möglichkeit. Er versuchte sich mit den Händen aufzustützen und stellte fest, dass sie seitlich neben seinem Körper festgebunden waren. Er rüttelte an den Stricken, und der Gesang verstummte. Er erstarrte. Ob Nymphen gefährlich waren, wenn man sie bei der Haarpflege oder beim Singen störte? Aber spielte das im Jenseits eine Rolle?
»Ihr seid wach.«
Ein fein geschnittenes Gesicht mit vollen Lippen und Augen, die wie flüssiger Waldhonig mit einer dunkleren Marmorierung aussahen, beugte sich über ihn und redete ihn an. Er verstand sie, und das erstaunte ihn. Sprachen Nymphen keine eigene Sprache?
»Könnt Ihr mich verstehen?«, wiederholte sie und artikulierte jedes Wort betont langsam auf Eldemarisch.
Er nickte vorsichtig, wusste nicht, ob er sich trauen sollte, sie anzusprechen.
Mit einem Stirnrunzeln betrachtete sie ihn.
»Hat man Euch die Zunge herausgeschnitten?«
Thelos erstarrte, stellte aber erleichtert fest, dass er seine Zunge noch besaß. Die Erinnerung an das heimlich geplante Treffen mit Auriel von Akliet überfiel ihn, an den Verrat, die Gefangennahme, die Folter. Er sah Kravos von Nordin wieder vor sich und erinnerte sich an seine missglückte Flucht. Seltsam. Müsste ihm im Jenseits nicht alles egal sein? Stattdessen übermannte ihn kalter Zorn über das, was ihm der tariekische Heerführer angetan hatte.
Im selben Moment durchfuhr ihn ein verzehrendes Feuer aus Schmerzen. Ungewollt bäumte sich sein Körper auf. Er kniff die Augen zu, fühlte eine kühle Hand auf seiner Stirn, öffnete erneut die Augen und sah den wachsamen Ausdruck in dem Gesicht der über ihn gebeugten Gestalt. Ein Becher wurde ihm an den Mund geführt. Er trank ihn Schluck für Schluck leer.
Die Spannung und die Schmerzen ließen nach. Ein dichter Nebel umschloss seinen Verstand, hinderte ihn am klaren Denken.
»Seid Ihr eine Nymphe?«, wagte er die Frage laut auszusprechen. Seine Zunge war so schwer, wollte ihm kaum gehorchen.
Sie sah ihn verständnislos an mit ihren großen, waldhonigfarbenen Augen. Dann begann sie unvermittelt zu lachen. Ihr weiches und melodisches Lachen ähnelte ihrem Gesang.
»Nein, ich bin keine Nymphe. Ich bin ein Mensch wie Ihr. Die Beule scheint Euch mehr Schaden zugefügt zu haben, als ich dachte.«
Ihre Hände tasteten seinen Kopf ab. Der Schmerz, der ihn bei der sanften Berührung durchzuckte, machte ihm endgültig klar, dass er auf wundersame Weise am Leben geblieben war und nicht im Totenreich weilte. Noch einmal zog er an den Fesseln, um die Untersuchung zu unterbinden. Immerhin ließ die Frau von ihm ab.
»Könntet Ihr mich losbinden?«, flüsterte er mühsam.
Ihr forschender Blick durchbohrte ihn, drang bis in die Tiefe seiner Seele. Er hatte das Gefühl, nackt vor ihr zu liegen, dann merkte er, dass genau das der Fall war. Nur eine Decke, die ihm bis zur Hüfte reichte, bedeckte ihn halbwegs.
Die Frau stand auf und holte ein Jagdmesser, das scharf und gepflegt aussah. Er hielt den Atem an, als sie sich über ihn beugte und eine Fessel zerschnitt.
»Denkt daran, dass ich Euch das Leben rettete!«
Der zweite Arm war befreit. Erleichtert zog er die Hände zum Körper und rieb sich die Handgelenke. Ein letzter prüfender Blick aus den seltsamen Augen, und sie steckte das Messer in den Hosenbund, setzte sich auf den Hocker vor das Feuer und begann wieder, ihr Haar zu kämmen.
Mit vorsichtigen Bewegungen verlagerte Thelos sein Gewicht auf die Seite. Er zog die Decke bis zu seinen Schultern hoch. Sie hatte das Gesicht von ihm abgewandt, und der dichte, goldene Haarteppich versperrte ihm ein weiteres Mal die Sicht darauf. Das Feuer knisterte, und der Lichtschein schickte unruhige Wellen über die Haare.
Er nahm jede einzelne Faser seines Körpers wahr. Alles tat weh, selbst das Atmen. So schwer es ihm fiel, in dem Nebel, der seinen Verstand umhüllte, einen Gedanken zu fassen, wurde ihm nach und nach bewusst, was man ihm angetan hatte. Seine Hand ruckte hin zum Ohr, aber da gab es nichts mehr außer einem ausgefransten Rand. Die Erinnerung an das Entsetzen und die Panik, als sich das schwere Messer näherte, lähmte ihn. Kaum hatte er das Ohr auf dem Boden gesehen, hatte er das Bewusstsein verloren.
Leise summte die Frau eine Melodie. Er hörte sie, aber der Klang wirkte seltsam flach und dumpf. Nie wieder würde er der Mann sein, der er gewesen war, weder äußerlich noch innerlich. Beruhigend bahnte sich das Lied einen Weg in seine düsteren Erinnerungen, drängte Schmerz, Angst, Wut und Hass in den Hintergrund. Die Lider wurden ihm schwer, sein Atem ging tiefer und er sank in einen ruhigen, heilenden Schlaf.
Thelos erwachte von dem Drang, sich erleichtern zu müssen. In der Hütte herrschte dämmriges Licht. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Die Frau konnte er nirgendwo entdecken. Langsam richtete er sich auf und verfluchte die sofort aufkommende Schwäche. Schmerzen brandeten durch seinen Körper. Ihm wurde schwindelig und er verlor die Orientierung. Krampfhaft krallte er die Hände in das Holz des Bettes, fixierte mit den Augen einen Punkt, bis das Auf und Ab nachließ. Suchend ließ er dann seinen Blick in der Stube umherstreifen, in der Hoffnung etwas zu finden, was er anziehen konnte. Die Hütte bestand aus diesem einen Raum. Ihm gegenüber gab es einen Tisch mit zwei Stühlen, ein Brett an der Wand, auf dem Bücher standen, was ihn irritierte. Auf einem weiteren Brett stapelten sich Holzschüsseln und runde Brettchen. Auf der anderen Seite entdeckte er eine Kochstelle mit einem Feuer, das niedrig brannte. Neben der Tür gab es Haken, an denen Felle hingen – zu Umhängen verarbeitet. Darunter standen Stiefel. Am Fußende des Betts stand ein Schrank. Thelos rutschte nach und nach über die Kante des Betts, hielt sich mit einer Hand am Eckpfosten fest und wuchtete sein Körpergewicht auf die Füße.
»Was macht Ihr da?«
Erschrocken griff er nach der Decke, um seine Blöße zu bedecken. Die Frau hielt mit ihren klaren Augen sein Gesicht im Visier, ohne dass ihr Blick auch nur einen Millimeter abrutschte. Thelos sank zurück auf das Bett und schlang sorgfältig die Decke um seinen Körper. Den Kopf der Frau bedeckte jetzt ein gewickeltes Tuch, wie es die Wüstensöhne trugen. Ihre Wangen leuchteten in einem tiefen Rot von der Kälte, die draußen herrschte.
Verlegen senkte er den Blick. »Es gibt Bedürfnisse, die sich nicht aufschieben lassen.«
Sie verstand sofort. »Ihr hättet mich rufen können.«
Ich bin kein hilfloses Kind, dachte Thelos grimmig, wütend über seine körperliche Schwäche und die demütigende Nacktheit. Sie bemerkte seine Bemühungen, sich mit der Decke zu verhüllen, genauso wie seine Verlegenheit.
»Verzeiht, aber Eure Kleidung, …« Sie verzog angeekelt ihr Gesicht.
Thelos schloss die Augen. Er wollte nicht daran denken, in welchem Zustand sie ihn aufgefunden hatte. Dabei wurde ihm klar, was diese Frau mit ihm gemacht haben musste, denn an seinem Körper klebte kein Krümel Schmutz mehr, und er roch weder nach Unrat noch nach Schweiß oder Urin. Stattdessen stieg ihm ein kräftiger Waldduft in die Nase, und seine Wangen begannen vor Scham zu brennen.
Er schlug die Hände vor das Gesicht, ertastete die weiche Haut an seinem Kinn und erstarrte. Ein Bartloser galt in Eldemar gar nicht als Mann! Was hatte sie ihm angetan?
»Es tut mir leid, ich hatte keine Wahl«, erklärte sie leise. Erschrocken fuhr er zusammen. Sie hatte sich lautlos genähert und stand dicht vor ihm. Er tastete vorsichtig nach der Stelle, wo ihm das Ohr fehlte. Dabei stellte er erleichtert fest, dass sie wenigstens das Kopfhaar verschont hatte. Sie öffnete die Schranktür und holte Kleidungsstücke heraus, die sie neben ihm auf das Bett legte.
»Denkt Ihr, dass Ihr es allein schafft, Euch anzuziehen?«
»Ja«, stieß er schroff hervor.
»Wenn Ihr so weit seid, ruft mich. Dann zeige ich Euch, wo Ihr Euch erleichtern könnt.«
Die Tür fiel zu. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, horchte auf den Klang ihrer Stimme von draußen, als sie in der Sprache der Tarieken leise schimpfte: »Nein Tiela, ich spiele nicht mit dir. Hör auf, lass es sein. Such dir Atantuch für deine Späße.«
Er hörte, wie Hufe auf den Boden stampften, dann ein aufforderndes Wiehern.
»Kscht!«
Dann galoppierte ein Pferd weg. Dunkel tauchte in seiner Erinnerung das Bild einer schwarzen Raubkatze mit leuchtend grünen Augen auf, das Spiel der Muskeln, seidiges, schwarzblau schimmerndes Fell. Er erinnerte sich an diese Stimme. Hatte sie wahrhaftig mit dem Raubtier gesprochen oder entsprang diese Erinnerung den Fieberträumen? Wer war diese Frau, die in der Wildnis lebte – allein, wie es schien? In einem Gebirge, dem selbst die Eldemarer mit Respekt begegneten wegen seiner Unwegsamkeit, den tiefen Schluchten und schmalen Pfaden. Jedes Kind kannte die Legenden vom Katakmas, von dem niemand lebend wiederkehrte, wenn er versuchte, ihn zu bezwingen.
Er schüttelte den Kopf. Er hatte andere Probleme, die dringlicher einer Lösung bedurften. Sein Blick fiel auf die Kleidungsstücke, die neben ihm lagen. Er mühte sich ab, sie Stück um Stück anzuziehen. Entsetzt sah er auf eine weitere ungewohnte Nacktheit an sich, die ihm leuchtend ins Auge fiel. Schweiß brach ihm aus. Sie hatte ihm alle Zeichen der Männlichkeit geraubt, bis auf das lange Haupthaar! Blank rasiert wie bei einem hochgestellten Tarieken lag sein Gemächt vor ihm.
Es dauerte, bis sein aufgewühltes Gemüt wieder einen klaren Gedanken zuließ. Sie war freundlich und höflich zu ihm gewesen, hatte seine Wunden behandelt und – was eine viel wesentlichere Bedeutung hatte – ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider: »Ich hatte keine Wahl.«
Lebhaft kroch die Erinnerung hoch von dem Jucken, Brennen und Krabbeln überall am Körper. Er atmete tief durch. Immerhin hatte sie ihm das Haupthaar gelassen. Am Oberschenkel sah er Spuren von Krallen, die sich ins Fleisch gegraben hatten. Sachte strich er mit den Fingerkuppen daran entlang. Das Raubtier war also keine Ausgeburt seiner Fantasie. Wie viele Male stand er bei dieser Frau in Lebensschuld? Wie sollte er das jemals wieder in ein Gleichgewicht bringen? Hatte sie überhaupt eine Ahnung, welche Bedeutung das in seinem Land besaß?
Seufzend zog er die Hose hoch, die viel zu kurz, dafür aber oben zu weit war. Die Ärmel des Oberteils reichten ihm nur bis knapp über die Ellenbogen. Egal, es musste irgendwie gehen. Langsam hievte er sich auf die Füße. In seinem Kopf begann der Raum zu kreisen.
»Ihr solltet mich rufen, wenn Ihr bereit seid.«
Erneut erschien sie wie aus dem Nichts in der Hütte, einem Geist gleich, als könnte sie durch Wände sehen oder verfügte über die Gabe einer gerissenen Lauscherin. Die Frau stellte sich neben ihn und schlang einen Arm mit erstaunlicher Kraft um seine Taille. Sie reichte ihm knapp bis zur Schulter. Auch die tariekischen Männer wiesen gegenüber den Eldemarern eine kleinere Statur auf, aber diese Frau erschien ihm winzig.
»Stützt Euch an meiner Schulter ab.«
»Vergesst es!«, knurrte er. Allein der Gedanke, sein Gewicht auf diese zerbrechliche Gestalt zu stützen, erschien ihm lächerlich. Blitzschnell ließ sie ihn los und wich zur Seite. Er schwankte, griff ins Leere und wäre gestürzt, wenn sie nicht erneut zu ihm getreten wäre und ihn abgestützt hätte.
»Vergesst Euren Stolz, Eldemarer. Was glaubt Ihr, wie Ihr ins Bett hineingekommen seid?«
Thelos gab sich geschlagen. Gemeinsam gingen sie Schritt um Schritt nach draußen. Die frische Brise traf ihn mit voller Wucht und ließ ihn zittern. Er blieb einen Moment stehen, nahm zwei, drei tiefe Atemzüge. Die Luft klärte seine Gedanken, verscheuchte das dumpfe Pochen. Gierig schnappte er nach Luft wie ein Ertrinkender, dessen Kopf unerwartet die Wasseroberfläche durchbricht. Geduldig harrte die Frau an seiner Seite aus, als wüsste sie, dass er Zeit brauchte, um sich wieder an das Gefühl von Freiheit zu gewöhnen.
Eine hellbraune Stute sah ihnen mit einem wachen, interessierten Blick zu.
»Wie wärs, Tiela? Statt dir ständig Blödsinn auszudenken, könntest du dich mal nützlich machen.«
Wieder hatte sie mit dem Tier in ihrer eigenen Sprache gesprochen. Thelos sah das Pferd lostrotten – zu ihm hin, als hätte es seine Besitzerin verstanden. Er legte den Arm über den Widerrist der Stute, der nicht höher reichte als an seine Schulter. Alles in Tarieken erschien ihm klein. Dankbar stützte er sein Gewicht auf das Pferd, was ein weniger beschämendes Gefühl war, als es weiterhin der Frau zuzumuten, die sie begleitete. Brav trottete das Tier neben ihm her. An einem Baum mit dichtem Buschwerk hielt es an.
»Nicht besonders komfortabel, aber es erfüllt den Zweck. Ihr könnt Euch an dem Baum festhalten.« Seine Retterin flüsterte der Stute etwas ins Ohr und verschwand Richtung Hütte. Das Pferd blieb bei ihm stehen und beäugte ihn interessiert. Sein Bedürfnis, sich zu erleichtern, war zum Glück dringender als die Irritation, dabei – wenn auch von einem Pferd – beobachtet zu werden.
Seine Kräfte waren fast aufgebraucht, als er mit der Hilfe des Pferdes wieder die Hütte erreichte. Ein brauner Wallach leistete ihnen Gesellschaft. Er besaß eine viel kompaktere Statur als die zierliche Stute, nicht nur, was die Muskeln, sondern auch, was die Beine betraf, war aber dafür knapp eine Handbreit kleiner. Thelos hörte die kräftigen Schläge einer Axt und sah sich nach der Tariekin um. Erst jetzt bemerkte er, dass die Hütte an eine Felswand anschloss, die sowohl eine Hauswand als auch das Dach bildete. Im Grunde musste dies zuvor eine offene Höhle gewesen sein, deren Form jemand geschickt ausgenutzt hatte. Direkt seitlich von der Hütte lag ein Eingang in das Innere des Felsens. Dort stand die Frau, schwang eine Axt und spaltete Holz in kleine Stücke. Ein Korb war zur Hälfte mit klein gemachtem Span gefüllt. Seine Augen blieben unwillkürlich auf das scharfe Werkzeug gerichtet.
»Wie ich sehe, habt Ihr den Rückweg ohne meine Hilfe geschafft. Ihr seht blass aus, geht hinein und ruht Euch aus.«
Er nickte mit einem letzten Blick auf die Axt und tastete sich an der Holzwand entlang zurück zur Tür. Für den Weg von der Tür bis zum Bett wagte er drei freie Schritte, sank auf dem Lager zusammen und schlief auf der Stelle ein.
Theona lauschte auf die schwerfälligen Schritte des Mannes. Seine ungelenken Bewegungen klangen so laut, dass sie genau wusste, wo in der Hütte er sich aufhielt. Sie spaltete weiter Holz, bis der Korb fast überquoll. Seine Gedanken bezüglich der Axt hatten sich offen in seinem Gesicht und dem fixierten Blick gespiegelt. Sie verstand sein Gefühl. Sie selbst hatte seit ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft keinen Tag alle Waffen abgelegt.
Sorgfältig suchte sie ein Versteck für die Axt, damit er sie nicht auf Anhieb finden konnte. Die Eldemarer lebten nach einem gnadenlosen Ehrenkodex, das wusste sie von dem ehemaligen Gefangenen ihres Bruders. Es hatte sie tief beeindruckt, wie zuvorkommend und höflich der Mann sich ihr gegenüber verhalten hatte, als sie ihn im Gefängnis besuchte. Als würde er sie in seinem eigenen Heim empfangen und nicht in einem Kerker. Sie hatte dem Eldemarer in der Hütte bereits zweimal das Leben gerettet, aber konnte sie annehmen, dass dies eine Bedeutung in dessen Land hatte? Ein Tarieke stände bei dem anderen in einer tiefen Lebensschuld, die er in jedem Fall, abzugelten hätte. Natürlich nicht bei einer Frau, denn eine Frau zählte in ihrem Land als Gegenstand. Deshalb wurde auch kein Tarieke zum Tod verurteilt, wenn er eine Frau getötet hatte. War die Frau allerdings verheiratet, so musste dem Ehemann ihr Gegenwert mit Gold ausgeglichen oder die Schuld durch Arbeit abbezahlt werden.
Auriels gefangener Eldemarer hatte nicht gewusst, dass sich unter der Kleidung seines Besuchers eine Frau verbarg. Er hatte von ihr nie mehr als ihre Augen gesehen.
Egal, wie es sich auch verhielt, der Mann in der Hütte hatte viel Leid von den Folterknechten des tariekischen Heerführers erlitten, und sie hatte ihn der Männlichkeit beraubt, seinen Stolz damit sicher tief verletzt. Sie konnte verstehen, wenn er den Wunsch hegte, sie zu töten.
Theona hatte sicherheitshalber auch ihren Bogen und das Schwert versteckt. Es war ein ungutes Gefühl, die Waffen nicht griffbereit am Körper zu tragen. Sie kam sich ohne sie förmlich nackt vor. Nur ihr Jagdmesser steckte verborgen im Gurt an der Hose. Als sie das Holz hereinbrachte, schlief der Mann tief und fest – angezogen quer über dem Bett liegend.
Die Hosenbeine und Ärmel waren viel zu kurz für ihn. Theona seufzte, denn Nähen gehörte zu den Aufgaben, für die sie keinerlei Begabung zeigte. Ewigkeiten voller Qual hatte sie in ihrer Kindheit damit verbracht. Stundenlang musste sie vor den Füßen der Mutter über eine Näharbeit gebeugt ausharren. Und immer wieder hatte diese die Stiche von Theonas Arbeit aufgetrennt, weil sie nicht fein und gleichmäßig genug waren oder es ihnen an Festigkeit mangelte. Jedes Mal musste sie von vorn anfangen. Weder besaß sie die erforderliche Geschicklichkeit noch die Geduld für diese Art der Tätigkeit. Hundertmal lieber hatte sie ihr Schwert im Training gegen Auriel geschwungen, auch wenn ihr danach jeder Muskel schmerzte und sie blaue Flecken davontrug. Aber davon hatte die Mutter nie etwas erfahren, weil es ein Geheimnis zwischen Auriel und ihr und dem Großvater war, das sie alle hätte das Leben kosten können.
Theona öffnete den Schrank und inspizierte die darin aufbewahrte Kleidung. Mit einem Seufzer begab sie sich an die verhasste Arbeit.
Thelos erwachte aus einem traumlosen, erholsamen Schlaf. Erstaunt stellte er fest, dass er angezogen auf dem Bett lag. Diesmal fiel es ihm leichter, sich aufzurichten. Die Schmerzen waren zwar in jedem Winkel des Körpers noch immer vorhanden, waren aber erträglich. Er war allein in der Hütte. Ein Topf hing über dem Feuer, aus dem es unwiderstehlich duftete. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und sein Magen knurrte laut. Langsam schwang er die Füße vom Bett und stand auf.
Kurz übermannte ihn das Schwindelgefühl erneut, doch klang es rascher ab als zuvor. Er schlurfte auf die Essecke zu, nahm zwei Schüsseln und Löffel vom Brett. Ein Schopflöffel hing neben dem Topf über dem Feuer. Zu gern hätte er einen Teller voll genommen, aber es widersprach seiner Erziehung, ohne die Gastgeberin zu essen.
Sein Magen knurrte erneut. Er setzte sich an den Tisch, und sein Blick fiel auf einen Korb, in dem eine unvollendete Näharbeit lag – oder besser der Versuch, etwas zu nähen. Er nahm das Werk auf und ließ es prüfend durch die Finger gleiten. Die Stiche waren unregelmäßig, die Naht warf Falten. Er musste lächeln über diese Frau, die mit einer Axt Holz spalten konnte, aber keine ebenmäßige Naht zustande brachte. Jeder Krieger in Eldemar lernte neben dem Kämpfen auch das Nähen. Anfangs hatte er nur widerwillig lange Zeit mit Üben verbracht, doch die Fähigkeit hatte sich mehr als einmal als nützlich erwiesen. Zerrissenes Sattelzeug, Löcher in Hosen und Hemden, abgerissene Bänder – selbst die Wunden seiner Männer hatte er geflickt.
Die Tür der Hütte schwang auf, ein kalter Wind und Schneeflocken wirbelten herein, zusammen mit einem verschneiten Menschen. Die Frau klopfte den Schnee vom Umhang, sah zum Bett und hielt inne. Als ihr Blick auf Thelos fiel, lächelte er ihr zu.
Sie verzog nur leicht den Mund, dann musterte sie ihn kritisch. »Ihr seht besser aus.«
Sie hängte ihre Sachen an den Haken bei der Tür und zog die Stiefel aus.
»Ich fühle mich auch kräftiger.«
»Warum habt Ihr noch nichts gegessen?«
»Das wäre Euch gegenüber unhöflich gewesen.«
Ein feines Lächeln erschien auf ihren Lippen. Sie ging zur Feuerstelle, holte eine runde, dicke Scheibe von einem Stein und legte sie auf den Tisch. Er reichte ihr die Schüsseln, die sie aus dem Topf auffüllte. Es war eine dickflüssige Suppe mit reichlich Fleisch. Sein Magen knurrte laut und deutlich.
»Esst, damit Ihr zu Kräften kommt.«
Theona holte Becher vom Regal, kippte das Pulver der schwarzen Kugeln, die sie zuvor gemahlen hatte, hinein und schüttete heißes Wasser darauf. Sie schob ihm einen Becher zu. Der Mann starrte auf das Gefäß, zog es dichter heran, und wedelte mit der Hand den Dampf des Getränks zur Nase.
Verblüfft sah er sie an. »Das ist Tijuam. Wo habt Ihr das her?« Das Essen hatte er noch nicht angerührt.
Sie setzte sich mit einem verschmitzten Grinsen an den Tisch. »Auch wir Tarieken wissen Gutes zu schätzen.«
Sie tauchte den Löffel in die Suppe, und er folgte ihrem Beispiel. Nach den ersten gierigen Schlucken besann er sich und verlangsamte das Esstempo.
»Was ist das?« Er zeigte auf das Runde, das sie zuvor vom Stein geholt hatte.
»Ihr kennt kein Brot?«
»Das soll Brot sein?«
»Nun ja, es ist ein Fladen, anders als eldemarisches Brot, dafür haltbarer.« Sie brach eine Ecke davon ab, tauchte das Stück in die Suppe und kaute voll Genuss.
Vorsichtig zupfte er ein kleines Stück ab und folgte ihrem Beispiel. »Hmh, das schmeckt gut.«
Sie teilte den Rest in zwei Hälften und schob die eine zu ihm hinüber. Sein Gesicht war längst nicht mehr so blass wie am Tag zuvor. An Kinn und Wangen sprossen dunkle Stoppeln. Die Augen schimmerten in einem hellen, warmen Braunton. Seine Finger, die den Löffel hielten, sahen erstaunlich filigran aus, was ihr bereits zuvor aufgefallen war. Kein Krieger hatte solche Hände. Sie hatte ihm das schwarze, wellige Haar, das bis zu seinen Schultern reichte, nicht geschnitten, sondern es stattdessen sorgfältig gewaschen und gekämmt. Sie hatte eine Tinktur benutzt, die zwar furchtbar auf der Haut brannte, dafür aber Läuse effektiv bekämpfte. Für die anderen Stellen hatte sie die Rasur gewählt, da sie dort die beißende Flüssigkeit keinesfalls hätte benutzen können. Sie hatte gewusst, dass sie damit sein Missfallen heraufbeschwor, aber mit der Heftigkeit seiner Reaktion, als er erwachte, hatte sie nicht gerechnet. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Bruders, dass jeder Krieger bei den Eldemarern einen Bart trug. Tariekische Männer entfernten sich alle Haare, bis auf die am Kopf. Je höher der Status, desto sorgfältiger achtete ein Mann darauf. Körperbehaarung zeugte in Tarieken von Rohheit, Wildheit und mangelnder Kultur, darum hielt sich in ihrem Volk hartnäckig das Vorurteil, die Eldemarer seien Tiere, nein, sogar Bestien, die grausam töteten und viele andere Gräueltaten begingen.
Erst Auriel hatte ihr die Augen geöffnet und ihr erklärt, dass die Andersartigkeit eines Volkes keineswegs bedeutete, dass es weniger zivilisiert sein musste. Er brachte ihr das Lesen bei, damit sie sich Wissen aneignen und sich selbst ein Urteil bilden konnte. Das Lesen schärfte ihren Verstand, und rasch erlernte sie die Sprachen. Die meisten Bücher waren von Eldemarern geschrieben, viele auch von Mintranern und Forranern. Nur wenige stammten aus ihrem Volk. Angeblich existierte in der Hauptstadt von Eldemar ein Gebäude, das mehr geschriebene Werke barg, als es überhaupt in Tarieken gab. Später hatte sie aus eigener Erfahrung gelernt, die Eldemarer mit anderen Augen zu betrachten, die höfliche Zuvorkommenheit von Auriels Gefangenem zu sehen gegenüber dem, was ihr Kravos von Nordin angetan hatte.
»Darf ich Euch um eine weitere Schüssel Suppe bitten?«
Freundlich hatte er sie auf Tariekisch angesprochen, behandelte sie in einer Form, wie in Tarieken höchstens Ehefrauen von Hochstehenden angesprochen wurden. Es kam aber selten vor, dass ein Mann – sei es der Ehemann oder ein Gast – überhaupt das Wort direkt an eine Frau richtete. Von Frauen wurde schlicht erwartet, dass sie ihren Pflichten im Bett und im Haushalt nachkamen.
Unwillkürlich fühlte sich Theona an Burkas erinnert. Erst als sie das Leben der Bauernfamilien kennenlernte, hatte Theona ein anderes Verhalten Frauen gegenüber erlebt. Burkas redete auf Augenhöhe mit Riah und fragte sie nach ihrer Meinung in wichtigen Dingen.
»Ihr dürft«, antwortete sie auf Eldemarisch und stand auf.
»Ihr sprecht unsere Sprache ausgezeichnet. Das ist ungewöhnlich. Um genau zu sein, kenne ich nur einen einzigen Tarieken, der ein paar Worte Eldemarisch spricht, aber Ihr redet fließend und akzentfrei.«
Theona schwieg. Es gab außer ihr tatsächlich nur einen Tarieken, der die Sprache des Feindes beherrschte und verwendete. Wenn ihr Gegenüber ihn kannte, konnte die Tatsache, dass Kravos seine besten Männer der Gefahr des Katakmas im Winter aussetzte, nur eines bedeuten.
Sie stellte ihm die volle Suppenschüssel hin, setzte sich und musterte ihn mit der frischen Erkenntnis neu.
»Wer seid Ihr?«, fragte sie leise.
Langsam tauchte Thelos unter ihrem Blick den Löffel in die Suppe, hob ihn an die Lippen und schluckte die heiße Flüssigkeit hinunter. Ihr Blick war intensiv, sie war angespannt und wartete auf eine Antwort. Er hob den Kopf, hielt ihrem Blick stand und erwiderte ihn in derselben Intensität.
»Die Frage ist: Wer seid Ihr?«
Sie zog die Lippen auseinander, aber ihre Augen blieben wachsam auf ihn gerichtet. Es war eher eine Drohgebärde als ein Lächeln.
»Ich bin die, die Euch das Leben gerettet hat.«
»Meinen Namen zu wissen, könnte für Euch tödlich sein.«
»Hier draußen im Katakmas kann jeder Tag tödlich enden.«
»Umso ungewöhnlicher, dass Ihr in dieser unwirtlichen Gegend lebt, eine Frau ohne einen Mann, der sie beschützt.«
Theona hörte sein Misstrauen hinter den Worten.
»Ich habe gelernt, auf mich aufzupassen.«
»In der Tat, und Ihr könnt meine Sprache.«
Schweigend kämpften sie im Augenkontakt miteinander, keiner gewillt, dem anderen seine Identität preiszugeben. Schließlich aß der Eldemarer weiter.
Nachdenklich musterte Theona ihn, wusste, dass es, wenn sie es laut aussprach, zur Gewissheit werden würde, ohne einen Weg zurück in die gnädige Ungewissheit, in der sie so unbekümmert leben konnte. Aber es gab keinen Zweifel. Sie musste ihn sich nur in einer roten Uniform mit einem Drachen, der silberfarbenen Stute und etwas mehr Fleisch auf den Knochen vorstellen. Zwar hatten seine Worte ihre Aufmerksamkeit auf ihren Bruder gelenkt, dennoch erkannte sie etwas in den Gesichtszügen ihres Gegenübers.
»Ihr seid Thelos von Bersaken.«
Er hielt nicht einmal inne, löffelte ungerührt weiter Suppe in sich hinein.
Äußerlich gelassen hatte sie die Worte ausgesprochen, aber der Schock der Erkenntnis hallte in ihr nach. Sie hoffte inständig, einem Irrtum zu unterliegen. Wenn sie wahrhaftig den Prinzen von Bersaken vor sich hatte, dann bedeutete das den Untergang ihres Volkes. Dann war alles, was sie geopfert, alles, wofür ihr Bruder jahrelang gekämpft hatte, von Kravos von Nordin zunichtegemacht. Sie schloss die Augen, fühlte, wie ihr kalte Wut und Mordlust durch die Adern schossen, Gefühle, die sie kontrollieren musste, egal, was es sie kostete.
Niemals durfte ein Mensch durch die Gabe sterben.
Sie kämpfte die Emotionen nieder. Unüberlegtes Handeln führte nie zum Ziel. Oft genug hatte es ihr das Leben gerettet, einen kühlen Kopf zu bewahren.
»Ihr seid Thelos von Bersaken«, wiederholte sie, diesmal mit Gewissheit, weil er noch immer nicht reagierte.
Schließlich hatte er die Schüssel leer gelöffelt.
»Wie kommt Ihr darauf?« Er leugnete es nicht.
»Wie, im Namen von Lethos, seid Ihr in die Hände von Kravos geraten?« Innerlich war sie weiterhin bemüht, die Kontrolle zu behalten.
Thelos beendete seine Mahlzeit, lehnte sich vorsichtig zurück und sah die Frau an, die mühsam ihre Wut zu verbergen suchte.
»Ich wurde verraten.«
»Von wem?«
»Auriel von Akliet.«
Für einen Augenblick schien sie die Fassung zu verlieren, dann schüttelte sie nur energisch den Kopf.
»Niemals.«
»Er bat um ein geheimes Treffen unter vier Augen, ohne meine Wachen.«
»Nein, auf keinen Fall hätte er Euch gebeten, nach Tarieken zu kommen. Er hätte nie den Frieden riskiert, nie Euch diesem Risiko ausgesetzt, in die Hände des tariekischen Heerführers zu fallen! Egal um was es geht und was es ihn kostet!«
Die Frau sprach mit der gleichen festen Überzeugung wie der Mann, der ihn aus dem Kerker befreit hatte. Er setzte an, ihr zu widersprechen, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ohne die Krieger des Inneren Kreises als Begleitschutz! Wie kann ein Prinz so hirnlos sein, sich in das Land der Feinde zu begeben, vollkommen allein?«
»Es gibt einen Friedensvertrag.«
»Was nicht heißt, dass Euch jeder hier wohlgesonnen ist und Ihr unbeschadet durch die Gegend reiten könnt!«
»Wer sagt, dass ich ohne Begleitschutz gekommen bin?«
Sie starrte ihn an. Es hatte ihr die Sprache verschlagen. Dann fasste sie sich wieder.
»Die Krieger des Inneren Kreises haben Euch begleitet?«
»Nein, nur meine Leibgarde.«
»Und wo ...«
»Tot. Alle. Und für jeden Einzelnen wird Auriel von Akliet bezahlen.«
»Ihr handeltet unüberlegt und leichtsinnig! Ihr tragt die Verantwortung für den Tod eurer Männer selbst.«
Thelos verzog das Gesicht. Er brauchte nicht die Zurechtweisung einer Frau, um zu begreifen, dass er einen Fehler gemacht hatte, oder um ihn an seine Schuld zu erinnern.
»Er hat mich verraten, hat den Frieden zwischen Tarieken und Eldemar auf dem Gewissen«, erklärte er kühl.
Mit einem Satz sprang die Frau auf. Blitze schossen aus ihren Augen, die alle Honigsüße verloren hatten und stattdessen wie flüssige Lava glühten. Ihm stockte der Atem, als er ein dunkles Grollen vernahm, die Erde unter ihm anfing zu zittern.
Mit einem lauten Krachen knallte ihr Stuhl zu Boden. Sie zog sich wortlos ihre Stiefel und den Umhang an, stampfte durch die Hütte zur Tür, und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verschwand sie aus der Hütte. Eine Wolke von hereingewirbelten Schneeflocken tanzte langsam auf das Holz herab und hinterließ feuchte Flecken.
Das Beben verebbte. Thelos klopfte das Herz bis zum Hals. Stöhnend verbarg er sein Gesicht in den Händen.
»Was bin ich für ein Narr.«
Die wenigen eigenen Männer, die ihn begleitet hatten, waren allesamt gestorben. Wildfremde Tarieken mussten ihm das Leben retten und opferten sich für ihn. Und was machte er? Er beleidigte den Menschen, dem er zweifach das Leben verdankte, und das nur, weil er nicht einsah, wie unbedarft er gehandelt hatte. Er war doch offenkundig in eine Falle getappt und hatte dem tariekischen Heerführer eine großartige Chance geboten, die dieser genutzt hatte.
Was würde passieren, wenn dem Königshaus von Eldemar sein Ohr überbracht würde? Sonas von Bersaken ließe sich in seiner Rache von niemandem stoppen! Niemand würde es versuchen. Stattdessen stünde das gesamte Heer hinter dem charismatischen Anführer. Und der würde erst ruhen, wenn Tarieken in Schutt und Asche lag. – Alles wegen seiner Arroganz.
Er richtete sich auf, wischte sich die Tränen der Scham aus dem Gesicht und starrte finster ins Feuer. Noch war es nicht zu spät. Noch konnte er das Schicksal in die Richtung lenken, nach der es ihn so schmerzlich verlangte, aber bevor er sich in den Winter hinauswagen konnte, brauchte er warme Kleidung.
Er nahm die Näharbeit zur Hand. Tot nutzte er niemandem.