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Paincakes und andere Kuriositäten

Die Wanderjahre des Elyseo da Silva

von Elyseo da Silva (Autor:in)
220 Seiten

Zusammenfassung

"Letztlich sind wir, egal wo wir leben, vor allem eins: Menschen.“

Romanschriftsteller Elyseo da Silva bereist drei Kontinente. Seine Ausrüstung: ein schmales Budget und ein breites Lächeln.

Er erwandert die 800 Kilometer des Camino de Santiago, fürchtet sich vor Pumas und Bären auf Vancouver Island, schlottert in indischen Nachtzügen vor Kälte, überlebt das Trampen über georgische Serpentinenstraßen und macht Bekanntschaft mit der berühmten persischen Gastfreundschaft.

In Paincakes und andere Kuriositäten erzählt er einfühlsam, ungeschönt und persönlich von diesen Reisen – und den Menschen, die ihm dabei begegnen: Seien dies Vijay, der Shoe-Shining-Boy aus Mumbai, der ihm das schönste Geschenk seines Lebens macht; die 80-jährige Helen, eine alleinreisende Dame, die in männlicher Gegenwart gern Anfälle akuter Gebrechlichkeit vortäuscht, oder andere liebenswerte Zeitgenossen.

Ein ums andere Mal aber begegnet er bei diesen Abenteuern vor allem einem: sich selbst.


Triggerwarnung: Im Kapitel "Istanbul Teil II" wird auf den ersten drei Seiten explizit das Schlachten eines Tieres beschrieben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Paincakes und andere
Kuriositäten

Die Wanderjahre des Elyseo da Silva

Für Jan Körber

Ohne Dich wäre ich nicht der Mensch,
der ich heute bin.

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser!

Im vorliegenden Buch Paincakes und andere Kuriositäten – Die Wanderjahre des Elyseo da Silva habe ich für Dich meine Reiseberichte aus den Jahren 2010 bis 2014 gesammelt. Diese Texte erschienen ursprünglich auf meinem Blog Elyseos Welt, dessen Betrieb ich jedoch vor einigen Jahren eingestellt habe, um mich stärker auf die Arbeit an meinen Romanen konzentrieren zu können.

Für diese Neuveröffentlichung habe ich die ausge­wählten Texte leicht angepasst, bisweilen ergänzt, bis­weilen gekürzt. Wichtig war mir dabei jedoch, nicht zu tief einzugreifen. Ich wollte, dass die Geschichten weiterhin ein authentisches Zeugnis meiner Reisen darstellen und nicht durch meine rückwärtige Perspektive verfälscht werden. Zugleich war es mir ein Anliegen, den Menschen und Schriftsteller zu spiegeln, der ich zum Zeitpunkt der Entstehung war.

Das Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt:

Den Beginn bilden die Erlebnisse auf meinem Camino de Santiago, dem Jakobsweg, im Jahre 2010.

Die folgenden drei Teile entstanden auf meinen Reisen nach Kanada; Indien; Georgien, Armenien und in den Iran. Jede einzelne dieser Reisen dauerte mindestens zwei Monate, die letzte sogar drei.

In den Jahren, in denen ich diese Reisen unternahm, arbeitete ich als freiberuflicher DaF-Lehrer in Köln und kaufte
mich jährlich für mehrere Monate frei, um genügend Zeit und Inspiration für mein Schreiben zu finden.

Während ich in Kanada mit der Fertigstellung meines Debüt-Romans Mosaik der verlorenen Zeit beschäftigt war und dieser Abschnitt im vorliegenden Band folglich der kürzeste ist, merkte ich auf den Reisen nach Indien, Georgien, Armenien und in den Iran rasch, dass die Fremd­artigkeit der dortigen Kulturen ein konzentriertes Arbeiten an meinem Folge-Roman nicht zuließ. Zu sehr beschäftigte mich, was ich erlebte.

Als Konsequenz daraus entstanden die Texte, die Du in den letzten beiden Sektionen lesen kannst.

Die Datumsangaben zu Beginn der späteren Texte beziehen sich auf das ursprüngliche Entstehungsdatum des jeweiligen Textes.

Um den Preis dieses Buches für Dich erschwinglich zu halten, habe ich keine Fotos in diesen Band mit aufgenommen. Dennoch möchte ich Dich keinesfalls um das Vergnügen bringen, eine Auswahl an Bildern zu sehen, die auf meinen Reisen entstanden sind.

Du findest sie online unter:

https://www.elyseodasilva.de/paincakes

Nun aber: Viel Spaß beim Lesen!

Elyseo da Silva,

Lissabon, 16. April 2020

Camino de Santiago 2010

Einige Worte zu meinem Camino vorweg

Von Juni 2009 bis August 2010 lebte ich gemeinsam mit meinem damaligen Partner in Spanien. Da wir kaum soziale Kontakte in unserer neuen Heimat hatten – wir wohnten in einem Städtchen am Meer, das über neun Monate des Jahres einer Geisterstadt glich –, war die Herausforderung, mit unserer geteilten Einsamkeit umzugehen. Letztlich scheiterten wir kolossal daran. Es war das Ende unserer Beziehung.

Ende April hatte ich mich dazu entschieden, auf den Jakobsweg zu gehen. Mein Ziel war es, unser festgefahrenes Leben wieder in Fluss zu bringen. Bereits zehn Jahre zuvor hatte ich auf dem Camino gelernt, dass es nichts Besseres gibt, als zu wandern, um einen Stillstand zu beenden. Nun, ich beendete ihn, wenngleich nicht im gewünschten Sinne.

Ubi caritas et amor, deus ibi est.

Allen Pilgern des Camino de Santiago dürfte ein Phänomen bekannt sein, das für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist: Was uns Peregrinos selbstverständlich erscheint, all die Erlebnisse, die wir auf diesem Weg teilen, ist schwierig in Worte zu fassen. Also zumindest bleibt jenseits der oberflächlichen Beschreibung des Geschehens eine Ebene offen, die kaum vermittelbar ist.

Denn, was soll denn schon Besonderes dabei sein, ein paar Hundert Kilometer durchs Land zu laufen und dabei den ein oder anderen Menschen kennenzulernen? Wenn ich es so formuliere, sehe ich es selbst. Viele mag die Länge der Strecke abschrecken – aber davon einmal abgesehen?

Dennoch will ich mich daran versuchen, Euch einen Eindruck von meiner zweiten Pilgerreise nach Santiago de Compostela zu vermitteln.

Nachdem mein Freund und ich Mitte April eine Woche im schönen Asturias an der spanischen Nordküste verbracht hatten, setzte er mich am 23. April in Roncesvalles ab – und schon hier beginnt das Kommunikations­problem. Auf dem Camino sind die am häufigsten gestellten Fragen folgende:

Wo kommst Du her?

Wo hast Du den Camino angefangen?

Wo bist Du heute losgelaufen?

Wo läufst Du heute hin?

Wie geht’s Deinen Füßen?

Danach kommt dann möglicherweise die Frage nach dem Namen oder ähnlich persönlichen Dingen. Für den Fall, dass der eine oder andere über ein weniger gutes Namensgedächtnis verfügt, neigen die Pilger auch dazu, sich mit Nationalitäten anzusprechen: Hey, Kanadier, wie geht’s? Alles klar, Brasilianer?

Schließlich, wer kann und will sich schon all diese Namen merken?

Ich selbst gab mir dabei diesmal allerdings Mühe, wusste ich doch aus Erfahrung, dass ich oftmals zu Beginn nicht sagen konnte, wer mir im Verlaufe des Weges wichtig werden sollte.

Nun aber zurück nach Roncesvalles. Jedem Pilger ist der Name dieses winzigen Pyrenäen-Dorfs nahe der französischen Grenze ein Begriff – je näher man Santiago kommt, desto mehr flößt dieser Name den später gestarteten Pilgern Respekt ein (für alle Franzosen und Frankokanadier hatte ich mir von Anfang an angewöhnt, den Namen des spanischen Dorfs wahlweise französisch auszusprechen, da die französischen Pilger, selbst wenn sie dort Station gemacht haben sollten, ansonsten nicht verstanden, wovon ich sprach: für die Franzosen also Rohnswoh – schön durch die Nase, versteht sich).

Und jedem Anfang

Nachdem ich mir im dortigen Pilgerbüro meine Credencial, den Pilgerpass und eine Jakobsmuschel für meinen Rucksack besorgt hatte, verbrachten mein Freund und ich unsere letzte gemeinsame Nacht im Zimmer einer kleinen Pension in Roncesvalles, wobei ich jedoch kaum ein Auge zutat – und das mit Sicherheit nicht, weil mir die Schnarcher in der riesigen Pilgerherberge fehlten, an die ich mich auch nach zehnjähriger Camino-Abstinenz nur allzu gut erinnern konnte. Nein, ich fühlte, dass es an der Zeit war, aufzubrechen, dass jede Faser meines Körpers nach Santiago strebte, auch wenn ich selbst noch im Bett lag und darauf wartete, dass die Minuten bis zum Morgengrauen verstrichen.

Endlich war es dann so weit. Um sechs Uhr sprang ich aus dem Bett, genoss noch einmal die heiße Dusche im Bad des Doppelzimmers und nach einem Kaffee hieß es dann Abschied nehmen – mein Freund fuhr mit dem Auto zurück nach Cambrils und ich machte mich per pedes auf die Reise.

Hingen am Tage unserer Ankunft noch düstere Regenwolken tief in den Berggipfeln der Pyrenäen, so lösten sich die morgendlichen Nebelschwaden am Tag meines Aufbruchs schnell auf und bald versüßte die Frühlingssonne mir den ersten Wandertag. Schon nach wenigen Kilometern kam ich mit zwei Jungs aus Hamburg ins Gespräch, Ljuba und Jan, mit denen ich einen Großteil der ersten drei Tage meiner Pilgerreise verbringen sollte. Das kam mir gelegen, denn einer meiner Hauptgründe für diesen Weg war ja eben der Wunsch gewesen, nach den Monaten der Einsamkeit und Isolation in der winterlichen Geisterstadt Cambrils endlich wieder einmal neue Menschen kennenzulernen.

Erneut bewies der Camino in kürzester Zeit seine erstaunliche Integrationskraft. Bereits am zweiten Tag, Ljuba, Jan und ich gelangten am frühen Nachmittag nach Pamplona, die erste größere Stadt auf dem Weg, hatte ich das Gefühl, mit ganzem Herzen ein Peregrino a Santiago zu sein, ein Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela, ganz so, als wäre ich meinen Lebtag lang nichts anderes gewesen und als sei dies das einzig natürliche Ziel der Welt. Dabei lagen in diesem Moment gerade mal fünfzig der knapp achthundert Kilometer Wegstrecke hinter mir – und eigentlich war ich noch nichts weiter als ein Tourist. Das war mir in diesem Moment allerdings keineswegs klar. Wie so oft, sah ich erst im Nachhinein klarer.

In Pamplona stiegen wir in der Casa Paderborn ab, einer vom deutschen Verein der Freunde des Camino de Santiago betriebenen Albergue, die zu diesem Zeitpunkt von einem älteren deutschen Ehepaar, Ursula und Franz, betrieben wurde. Die beiden vermochten ihre Herkunft keineswegs zu verbergen und so wurden wir mit allerhand gutdeutschen Ratschlägen versorgt – mein persönlich liebster war der, meinen Geldbeutel ständig am Körper zu tragen, und zwar, von der Herbergsmutter explizit so erwähnt, auch beim Duschen und beim Schlafen. Also nicht etwa die Wertsachen unter dem Kopfkissen verstecken, denn auch dort seien sie keineswegs sicher. Schließlich gebe es auf dem Camino zahllose Diebe, die auf nichts anderes warteten, als mir mein Geld wegzunehmen.

Danke, liebe Ursula, für diesen Ratschlag, den ich getrost – und jetzt, aus der Perspektive des Zurückgekehrten kann ich sagen zurecht – ignorierte.

Dennoch will ich nicht schlecht über die Casa Paderborn reden, denn die Aufnahme dort war zwar skurril, aber herzlich. Morgens um sechs wurden wir mit Air von Bach geweckt, einem meiner liebsten klassischen Stücke, das mir das Aufstehen erheblich versüßte. Noch dazu wurden wir mit einem reichhaltigen Frühstück verwöhnt – keineswegs das Standardprogramm in den Herbergen des Camino – das ließ mir meine Kreislaufprobleme gleich weniger beängstigend erscheinen.

Frisch gestärkt begannen wir also den Aufstieg zum Puerto del Perdón, einem Pass im Hinterland von Pamplona, der eine berauschende Aussicht auf die Umgebung und die Strecke der kommenden Tage bot. Den Frühling schien das Wetter in diesen Tagen übersprungen zu haben, denn aus dem kühlen April waren wir direkt in glühende Sommerhitze gestürzt – über dreißig Grad machten das Erklimmen dieses Berges anstrengender als gedacht, auch wenn ich mich bereits wenige Tage später nach solchen Temperaturen zurücksehnen sollte.

Dennoch fühlten sich diese ersten Tage meines Pilgerdaseins gut an – mit Ljuba verstand ich mich prächtig und fühlte mich gut aufgehoben – abends im Refugio bereiteten wir gemeinsam Abendessen zu und planten bereits die nächste Tagesetappe. Doch es sollte anders kommen.

Tags darauf wanderte ich allein los, da Jan bereits seit dem ersten Tag große Probleme mit seinen Füßen hatte – irgendwann im Laufe des Camino erhielt er den Beinamen Mister Blister – und verständlicherweise mäßig begeistert war, dass Ljuba mit mir durch die Lande zog, während er hinterherhinkte. In Puente la Reina, dem ersten Dorf dieses Tages, traf ich die beiden wieder. Sie unterbreiteten mir, dass sie an diesem Tag nur noch wenige Kilometer weiterlaufen würden. Also stand ich vor der Entscheidung, entweder allein weiterzugehen oder meinen Camino an Jans Füße anzupassen. Ich entschied mich dafür, alleine weiterzuwandern – eine Entscheidung, die ich in den nächsten Tagen noch oftmals in Frage stellen sollte.

Dieser erste Abschied auf dem Camino fiel mir schwer, obschon ich wusste, dass dieses Sich-Trennen-von-Menschen ein essenzieller Bestandteil des Weges ist – sich trennen im Vertrauen darauf, dass man sich wieder begegnet oder auch, dass es im Zweifelsfalle richtig ist, sich nicht wieder zu begegnen und andere Menschen kennenzulernen. In diesem Moment aber lag noch ein Weg von 700 Kilometern vor mir und die Behaglichkeit der Gesellschaft, das wusste ich, würde mir womöglich noch fehlen.

Es sollten mehrere Wochen vergehen, bis ich Ljuba und Jan wiedersah.

Arschengel

Der folgende Abschnitt des Camino war für mich der Schwierigste des ganzen Wegs. Es sollte beinahe eine Woche dauern, bis ich wieder in Gesellschaft geriet – und dies nicht, weil keine Menschen um mich gewesen wären – sondern beinahe ausschließlich Gruppen von Franzosen und Italienern, mit denen ich mich kaum verständigen konnte und die als Gruppe eben in ihren jeweiligen Landessprachen miteinander redeten – absolut nachvollziehbar, für mich aber denkbar ungünstig.

Die erste Albergue, die ich allein aufsuchte, war eine neue private Herberge im Geiste des Buddhismus – bereits das ungewöhnlich auf dem Camino – betrieben von dem Valenciano Miguel und seiner brasilianischen Frau Simone. Trotz des tollen Ambientes fühlte ich mich dort etwas verloren. Außer mir hatte es kaum Pilger dorthin verschlagen – die Herberge war so neu, dass sie in den gängigen Pilgerführern noch keine Erwähnung fand. Also verbrachte ich die Nacht zu zweit in einem Schlafsaal mit einem Spanier. Das hätte eine erholsame Nacht werden können. Hätte. Doch leider genügt auch ein Schnarcher, der die Ohrenstöpsel durchsägt, seinen Wecker auf fünf Uhr stellt und dann geräuschvoll Hab und Gut in Plastiktüten verpackt.

Hinzu kam, dass der Typ mir eher unsympathisch war – was vor allem an seiner rechthaberischen Art lag. Nein, ich hatte noch keine vierzig Kilometer am Tag hinter mich gebracht. Nein, ich war am Morgen nicht um fünf Uhr aufgebrochen. Nein, ich hatte das auch am nächsten Tag nicht vor. Und nein, es schreckte mich nicht, dass ich dann wohl in der Mittagshitze den Aufstieg nach Villamayor zu bewältigen hätte.

Seine Art, sich in meine Angelegenheiten einzumischen, machte mich regelrecht wütend und, obwohl kaum jemand sonst im Refugio war – nur zwei ältere Französinnen –, zog ich es vor, diesem Typen aus dem Weg zu gehen. Nichtsdestotrotz begann ich mir meine Gedanken zu machen, denn eines wusste ich über diesen Camino: Nichts geschieht umsonst. Weshalb also ging mir dieser Typ so auf die Nerven?

Mein Freund und ich hatten auf dem Weg nach Roncesvalles (Rohnswoh) im Auto ein Hörbuch gehört, in dem der Autor genau jenes Phänomen thematisiert hatte: Warum gibt es Menschen, über deren Verhalten wir uns über die Maßen aufregen, obwohl sie uns genauso gut egal sein könnten? Seine Antwort lautete: Diese Menschen sind uns als Engel geschickt – jedoch um uns zu nerven und uns auf diese Art eine Lektion zu übermitteln, als eine Art Arschengel sozusagen.

Für diesen Gedanken war ich, obwohl ich nicht an Engel glaube, dankbar und ich begann, die Funktion zu betrachten, die dieser erste einer ganzen Reihe von Arschengeln auf dem Weg für mich erfüllte. Was genau war es, was mir diesen Spanier so unsympathisch machte?

Schnell erkannte ich, dass es eine meiner persönlichen Eigenschaften war, die ich in ihm gespiegelt fand und die mich schier zum Wahnsinn trieb. Schließlich, und da musste ich ehrlich zu mir selbst sein, hatte nicht auch ich selbst Ljuba und Jan gegenüber immer wieder meine eigene Camino-Weisheit herausgekehrt? Jene Überlegenheit, die mir meine Camino-Erfahrung aus dem Jahr 2000 bescherte, die es mir erlaubte, Dinge als alter Hase zu beurteilen und meine Meinung dadurch mit doppeltem Gewicht in jede zur Verfügung stehende Waagschale zu werfen. Doch, das musste ich mir eingestehen, das hatte ich getan.

Der Blick in diesen Spiegel gefiel mir ganz und gar nicht. Ging mein Verhalten auf diesem Camino anderen Pilgern auf die Nerven? War ich zu dominant? Hatten meine Begleiter der vergangenen Tage überhaupt Lust gehabt, sich mit mir auseinanderzusetzen oder hatte ich mich ihnen womöglich aufgedrängt? War das der wahre Grund für ihr Zurückbleiben und ihre kurze Etappe?

Es sollte eine Weile dauern, bis ich eine für mich befriedigende Antwort auf diese Fragen fand. Zunächst aber verunsicherten sie mich, brachten mein ohnehin labiles Selbstbild ins Wanken – labil nach den schwierigen Monaten mit meinem Freund allein in Cambrils – und säten Zweifel. Ich lief in den folgenden Tagen allein, fühlte mich einsam, fand in den Herbergen keinen Anschluss an Franzosen und Italiener und stellte mir die Frage, ob dieser Camino tatsächlich das Richtige für mich war. Was wollte ich hier eigentlich?

In Viana, der letzten Stadt in Navarra, bevor ich tags darauf die rote Erde von La Rioja betreten sollte, suchte ich in der Albergue nach einem Buch, das womöglich ein anderer Pilger liegen gelassen hatte. Ich selbst hatte keinen Lesestoff dabei, da ich bei meiner ersten Pilgerreise mein Buch unangetastet wieder mit nach Hause gebracht hatte. Aber das hatte ich in diesen Tagen ebenfalls zu lernen: Dieser Camino war nicht mein Camino aus dem Jahr 2000! Vieles hatte sich verändert. Der Weg war überlaufener, aber auch kommerzieller geworden – das Schlimmste für mich aber war eine Sache, die eigentlich auf der Hand lag: All die wundervollen Menschen, die ich damals auf meinem Weg kennengelernt hatte, waren diesmal nicht da. Ich würde mich schon mit dem abfinden müssen, was ich hier und jetzt, im April des Jahres 2010 geboten bekam. Dagegen half keine noch so große Wehmut.

Ab Viana war also der „Medicus von Saragossa“ von Noah Gordon mein Begleiter – und obwohl das Buch dick war, bereute ich nicht, es mit mir herumzutragen, bot es mir doch einen Schutzwall gegen allzu große Einsamkeit. Auch ignorierte ich die Kommentare der Besserpilger, die meinten, dieses Buch sei viel zu schwer, um es mitzunehmen. Nur neuerliche Arschengel – und eine Neuauflage der Kommentare zu meinem Pilgerstock, den ich bereits vor dem Camino in einer kleinen Ermita in Catalunya gefunden hatte, und der dem angriffslustigen Besserpilger auf dem Camino als zu dick und zu schwer erschien. Gegen welche Anfeindungen man sich als Pilger alles durchzusetzen hatte. Erst ab dem Augenblick, in dem ich mir eine mögliche Reaktion für den nächsten Stockkommentator zurechtlegte (du musst damit leben, meiner ist eben größer als deiner), sollte ich vor solchen Sprüchen meine Ruhe haben. Was im „normalen“ Leben der Penisneid, ist auf dem Camino wohl der Stockneid.

Die erste Etappe in La Rioja war ein Albtraum. Eigentlich führte der Weg den ganzen Tag nur nach Logroño hinein und aus Logroño wieder hinaus – für einen Pilger gibt es allerdings kaum Zermürbenderes als Asphaltwüsten. Das ist sowohl extrem anstrengend für die Füße als auch, schlimmer noch, für die Seele. Hinzu kommt, dass wir Pilger in den Städten plötzlich zu exotischen Randerscheinungen mutieren, wohingegen das Auftreten von Pilgerherden in den Dörfern des Camino gänzlich normal ist.

Der Ausmarsch aus Logroño war der Moment, in dem bei mir zum ersten Mal Tränen flossen. Ich war seit Tagen allein unterwegs, mir schmerzten die Füße und der Himmel, der an diesem Tag plötzlich die graue Tristesse der Stadt zu spiegeln beschlossen hatte, drückte auf meine Laune. Let it be singen und weinen – keine schlechte Kombination – und auch die Blicke der Passanten waren mir relativ gleichgültig. Dann rief ich meinen Freund an. Das erste Mal, dass ich mein Telefon bereits mittags einschaltete.

Besser wurde es an diesem Tag nicht mehr. Kaum hatte ich Logroño hinter mir gelassen und wollte in den Grünanlagen hinter der Stadt schon aufatmen, waren diese auch schon wieder vorbei und ein Martyrium am Rande der Autobahn begann. Dies zog sich bei schwülwarmem Wetter bis nach Navarette, dem Ort, dessen Refugio ich als Nachtquartier erwählte, allein weil ich nicht mehr die Kraft aufbringen konnte, weiterzulaufen. Die Herberge passte zum Tagesverlauf: die hässlichste Absteige, die mir bis dahin auf dem Camino untergekommen war, mit einladenden 80 Zentimeter-Matratzen, die mit Bettnässer-Gummischutz überzogen waren und so richtig zum Wohlbefinden beitrugen. Als besonderen Bonus bekam ich einen weiteren Arschengel serviert – wieder in Gestalt eines übergewichtigen Spaniers, der das Bett unter meinem belegte, es vorzog, sich trotz widerwärtiger Ausdünstungen nicht zu duschen, und nachts den Schlafsaal mit atemberaubenden Schnarchgeräuschen wachhielt. Mir blieb nichts anderes, als den Gestank dadurch zu lindern, dass ich die Nacht über durch meinen Schlafsack hindurch atmete. Ein Albtraum wäre mir in dieser Nacht willkommener gewesen als die reale Pilgergeruchshölle.

Am nächsten Tag begann es zu regnen. Nun, so ein kleiner Schauer wäre mit Sicherheit nicht weiter schlimm gewesen, nur zog sich dieser kleine Schauer mit Unterbrechungen beinahe drei Wochen hin. Binnen Stunden verwandelte sich die rote Erde von La Rioja in eine schmatzende Schlammtrasse. Nach der schlaflosen Nacht mit all ihren aggressiven Schwingungen wurde der strömende Regen der Morgenstunden zu einer echten Belastungsprobe für meinen Pilgerwillen. Erst als ich auf dem Weg ein Gespräch mit Sunnyboy Igor begann, trotz russischen Namens Italiener, begann sich meine Laune wieder zu heben – und als wir dann in der Herberge in Azofra einliefen und feststellten, dass wir dort in einem Doppelzimmer (!) übernachten durften, war ich beinahe wieder mit der Welt versöhnt. Igor war sympathisch, sprach Englisch – und, vor allem, er schnarchte nicht.

Die Nacht in Azofra wurde somit die erste durchschlafene Nacht seit meinem Aufbruch. Balsam für meine blank liegenden Nerven.

Die Wende

Trotz des netten gemeinsamen Tagesmarsches tags zuvor beschlossen Igor und ich, am nächsten Morgen getrennt zu laufen. Meine Laune war trotz Regens wieder besser und ich freute mich auf das Etappenziel Grañón, weil ich mich erinnerte, dass ich auf meinem ersten Camino dort meinen ersten Ruhetag eingelegt hatte und mir der Ort angenehm im Gedächtnis geblieben war, selbst wenn ich praktisch keine Bilder mehr im Kopf hatte. Nur eines wusste ich noch – die Herberge in Grañón war speziell. Darauf freute ich mich.

Der Weg an diesem Tag führte mich singend durch strömenden Regen nach Santo Domingo de la Calzada – einem Dorf auf dem Camino, in dessen berühmter Kathedrale ein Hahn und eine Henne eingesperrt sind. Der Legende nach soll der Hahnenschrei dem Pilger eine erfolgreiche Pilgerreise verheißen – als ich in der Kathedrale war, schrie der Gockel gleich fünf Mal und das, obwohl zu dieser Zeit eine Messe abgehalten wurde – interessanter Kontrast. Nachdem ich Santiago diesmal erreicht habe, habe ich, wenn es nach dem krähfreudigen Gockel geht, offenbar noch vier zukünftige Pilgerschaften gut.

Als ich Santo Domingo hinter mir gelassen hatte, traf ich wieder auf Igor, der mit einem Katalanen namens Nestor unterwegs war, von dem er mir bereits tags zuvor erzählt hatte. Nestor kennenzulernen war ein Geschenk, wenngleich im ersten Moment ein bitteres. Ich freute mich, Igor wiederzutreffen, und war also offen für ein Gespräch. Dieses Gespräch bekam ich auch, nur redete mich Nestor derart schwach an, dass es mir meine Gesprächigkeit augenblicklich verschlug.

Ohnehin befand ich mich noch immer in meiner Zweifelphase und hatte mich am Morgen bereits gefragt, ob es Igor überhaupt recht gewesen war, den vorherigen Tag mit mir zu laufen – schließlich hatte er mir davon erzählt, dass er auf die ganze Gruppe von Italienern, für die er am Vorabend gekocht hatte, überhaupt keinen Bock hatte, aber nicht unhöflich sein wollte und sich deshalb mit ihnen abgab. Natürlich fragte ich mich, ob selbiges womöglich auch für mich gelten mochte.

Nestor also war der letzte in der glorreichen Reihe mir gesandter Arschengel. Er kommentierte als Gesprächseröffnung, in meinem Alter sei es ja wohl an der Zeit, endlich mal Geld zu verdienen und etwas aus meinem Leben zu machen – schließlich könnte ich längst, so wie er, eine Kette von Restaurants besitzen. Schon auf diese Aussage hin verging mir die Lust, weiter mit den beiden zu wandern – als Nestor, der den Camino zum ersten Mal machte, dann noch meinte, sie wollten nicht in Grañón bleiben, das sei nichts für sie, der Ort sei zu einfach, dachte ich mir, bitte, wer nicht will, der hat schon, und lief in meinem eigenen Rhythmus durch den strömenden Regen voran. (Als sie später doch in Grañón eintrafen und dort übernachteten, war es mir gleichgültig.)

Danke, Nestor – denn dein Spruch hat mir den Rest des Caminos gerettet.

Warum?

Ganz einfach – Nestors Arroganz machte mich wütend und das veränderte etwas ein mir, ein Gefühl, das mir ab diesem Zeitpunkt sagte: Mach dir keine Gedanken. Du hast es nicht nötig, dich irgendjemandem aufzudrängen. Vor allem aber auch: Du bist ein interessanter Mensch und wer das nicht erkennt, der hat es schlichtweg nicht verdient, dass du dich mit ihm abgibst.

Ich gelangte nach Grañón und schon beim Eintreten überflutete mich eine warme Brandung: Ich hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen. Draußen hatte es vielleicht fünf Grad gehabt, im Innenraum der Herberge, dem Pfarrhaus der örtlichen Kirche, brannte jedoch ein behagliches Kaminfeuer. Marisa und Carlos, zwei Freiwillige aus Madrid, betreuten die Albergue als Hospitaleros, also als Herbergseltern, und hießen mich mit heißem Tee willkommen. Ich legte meinen Rucksack ab, breitete meinen Schlafsack auf der einfachen Matratze auf dem Boden unter dem Dach aus und merkte, wie sich etwas in mir entspannte: Ich war angekommen.

Unten setzte ich mich vor das knisternde Kaminfeuer, wärmte mich auf und begann Tagebuch zu schreiben. Noch bevor ich sicher war, ob ich das überhaupt wollte, hatte ich bereits Marisa und Carlos gefragt, ob ich einen Tag bleiben und Pause machen dürfte. Ich durfte. In diesem Augenblick begann meine eigentlich Pilgerreise.

Hospitalero itinerante

der wandernde Hospitalero

Das mag für manchen erstaunlich klingen, immerhin war ich zu diesem Zeitpunkt bereits neun Tage gelaufen und hatte zwei spanische Comunidades Autónomas zu Fuß durchquert (Grañón ist nämlich das letzte Dorf in La Rioja – wenige Kilometer später beginnt die Provinz Burgos, die erste Provinz der Comunidad Castilla y León). Dennoch hatte ich in Grañón ganz klar das Gefühl einer Zäsur auf meinem persönlichen Weg. Von Grañón aus erlebte ich den Camino als spirituelle Reise – was er zuvor nicht gewesen war.

Wahrscheinlich war die entscheidende Veränderung in Grañón, dass ich begann, Gefallen daran zu finden, für andere Pilger da zu sein, ihnen zu helfen oder, um einen alten christlichen Ausdruck dafür zu verwenden, ihnen zu dienen. Das begann damit, dass ich beim gemeinsamen Abendessen für Carlos und Marisa die Ansprache bei Tisch ins Deutsche und Englische übersetzte.

Doch bevor ich weitererzähle, will ich kurz ein paar Worte über den sogenannten „Geist von Grañón“ verlieren.

Es gibt auf dem Camino de Santiago noch immer, und wieder in zunehmendem Maße, Herbergen, die wie traditionelle Hospitales de Peregrinos geführt werden. Das bedeutet, dass es keinen festen Preis für die Übernachtung gibt, sondern jeder so viel spendet, wie er kann und möchte. Denn – das ist der Grundgedanke dahinter – für den einen sind fünf Euro ein Pappenstiel, für den anderen eine Menge Geld. Auch in den übrigen Herbergen wird der zu entrichtende Betrag als Spende deklariert – ich selbst habe mich jedoch immer gefragt, wo der Spendencharakter bei einem festen Preis liegt, den es zu bezahlen gilt, um bleiben zu dürfen.

Eine weitere Besonderheit dieser Hospitales ist das gemeinsame Abendessen, das zuvor von den Pilgern zusammen mit den Hospitaleros zubereitet wird. Die Pilger müssen hierfür nichts mitbringen oder einkaufen, beteiligen sich aber an der Zubereitung. Nirgends auf dem Weg habe ich eine stärkere Verbundenheit und ein größeres Gemeinschaftsgefühl zwischen den Pilgern erlebt als in derartigen Herbergen.

Nachdem mein Grund dafür, einen Tag in Grañón zu verbringen, nicht kaputte Füße oder sonstige körperliche Leiden waren, sondern vielmehr ein Zustand seelischer Erschöpfung und zugleich die Hoffnung, aus dem Tross der italienischen und französischen Pilger auszubrechen, bot ich Carlos und Marisa selbstverständlich meine ­Hilfe an.

So putzten wir morgens, nachdem die anderen Pilger die Albergue verlassen hatten, gemeinsam das komplette Haus, bevor die beiden, die selbst erst seit drei Tagen in Grañón waren, sich zum Lebensmitteleinkauf nach Santo Domingo aufmachten, während ich die Rolle des Hospitaleros übernahm und im Refugio zurückblieb.

Als sie nach mehreren Stunden wiederkehrten, merkte ich, dass die beiden aufrichtig dankbar waren, mich da zu haben, denn so hatten sie unbeschwert einkaufen können, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass die Herberge leer stand. Also luden sie mich gleich dazu ein, mit ihnen zu Mittag zu essen – eine Einladung, die ich aufgrund permanenter Geldknappheit nur zu gern annahm. Auch den Rest des Tages unterstützte ich die beiden, wo es nur ging, übersetzte, führte deutsch- und englischsprachige Pilger in die Gepflogenheiten des Hauses ein, zeigte Schlafplätze und kümmerte mich um das allgemeine Wohlergehen. Schnell merkte ich, wie gut das nicht nur den Pilgern, um die ich mich kümmerte, tat, sondern auch mir selbst.

Am Kaminfeuer von Grañón kam es dann auch zum ersten Gespräch, bei dem ich klar das Gefühl hatte, Botschafter zu sein – wenngleich die Botschaft, die ich zu überbringen hatte (meine eigene Geschichte), bei der Empfängerin erst einmal Kummer und Tränen auslöste. Doch bereits in diesem Moment war ich mir sicher, dass dies Tränen eines neuen Anfangs waren und Ulrike, die Frau, der ich meine Geschichte erzählte, meinte am Ende zu mir, dass eben diese Geschichte, womöglich der Grund für sie gewesen sei, auf diesen Weg zu gehen – denn mein Beispiel zeigte ihr eine Betrachtungsweise auf, die ihr über sage und schreibe 30 Jahre hinweg niemand nahe gebracht hatte. Nun, das zu beurteilen steht mir nicht zu – aber nach all den Selbstzweifeln und der Unsicherheit der Woche zuvor tat es mir unglaublich gut, von jemandem so eindeutige Wertschätzung zu erfahren.

Noch dazu befand ich mich plötzlich wieder in einer Gruppe von Menschen, deren Sprache ich sprach – nicht zuletzt, weil einige der Menschen um mich herum Deutsche waren. Tatsächlich aber hatte sich zudem entweder etwas in mir verändert, sodass ich zu diesen Menschen Zugang fand, oder aber die Menschen verhielten sich mir gegenüber wieder offener.

So sehr ich nach einem zweiten wunderschönen Abend voller Gemeinschaftsgefühl und einer Nacht voller erholsamem Schlaf in Grañón damit haderte, am nächsten Tag weiterzugehen, erleichterte mir doch das Wissen um eine Herberge ähnlicher Ausrichtung im nur 23 Kilometer entfernten Tosantos den Abschied.

Als ich mich morgens gerade im Gästebuch von Grañón verewigte, trat Carlos, der Hospitalero, von hinten an mich heran und hängte mir eine Kette mit einem hölzernen Tau um den Hals. Das Tau ist das Zeichen der Templer, die es sich im Mittelalter zur Aufgabe gemacht hatten, die Pilger des Camino vor den Gefahren und Widrigkeiten des ­Weges zu beschützen. Carlos’ Geste berührte mich und ich wusste, dass die Begegnung mit den beiden, ihm und seiner Frau Marisa, für mich ein Geschenk auf diesem Weg gewesen war. Es hinterließ ein eigentümliches Gefühl von Freude, beim Abschied nach einem Tag in Grañón Tränen in den Augen eines erwachsenen spanischen Mannes zu sehen – denn so wie er in mir eine leuchtende Gestalt wahrgenommen hatte, begann auch ich selbst in diesem Moment, mich wieder als Lichtgestalt wahrzunehmen, und trug das Tau fortan als Auszeichnung, aber auch als Erinnerung an die Art des Weges, den ich hier gehen wollte.

In Grañón hatte es geheißen, es solle am nächsten Tag schneien – als mir dieses Gerücht zu Ohren gekommen war, hatte ich laut gelacht. Schnee? In Castilla? Im Mai? Lächerlich – schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.

Auf meinem Marsch nach Belorado wurde ich an jenem Tag prompt eines Besseren belehrt. Offenbar gab es nichts, was nicht möglich war, und so wanderte ich einen kompletten Vormittag lang durch Schneegestöber. Ich dankte meiner weisen Voraussicht, in der ich mir sowohl eine wasserdichte Windjacke als auch einen dicken Fleece-­Pulli für diesen Camino gekauft hatte – denn das alles trug ich beim Laufen an diesem ersten Tag in Castilla y León und das sollte sich so schnell auch nicht wieder ändern. Der Vorteil: Alles, was ich am Leib trug, musste ich schon nicht in meinem Rucksack herumschleppen.

Nach mehrstündigem Marsch durch den Schneesturm erreichte ich Belorado, wo ich das brennende Bedürfnis verspürte, Wurst zu essen – und zwar möglichst heiß, möglichst viel und möglichst fettig. Dieses Bedürfnis ist glücklicherweise eines, mit dem die Spanier im All­gemeinen sehr gut fertig werden – ich bekam Wurst, sie war heiß, sie war fettig und ich stopfte eine ganze Menge davon in mich hinein, um meine steif gefrorenen Finger wieder aufzutauen und meinem ungläubigen Körper die Energie wieder zuzuführen, die er an diesem Tag nicht nur auf zwanzig Kilometern Fußmarsch ohne Pause verbraucht hatte (denn wer hat schon Lust, sich im Schneesturm irgendwo ein matschiges Plätzchen für eine Rast zu suchen?), sondern auch dadurch, dass er gegen die beißende Kälte ankämpfen musste.

Zum Glück war es von dort bis zum Hospital de Peregrinos in Tosantos nicht mehr allzu weit – die Matschpartie dorthin versuchte ich mir erträglicher zu machen, indem ich mir immer wieder vor Augen führte, was ich als kleiner Junge wohl dafür gegeben hätte, einen ganzen Tag durch den Matsch waten zu dürfen.

Als ich in Tosantos ankam, es war vielleicht mittags um halb eins, betrat ich die Albergue und traf dort auf José Luis, einen Hospitalero, der wohl an die siebzig Jahre zählte, und seinen Gehilfen Pablo, der ihn für einige Tage unterstützte. José Luis war gerade dabei, einen galicischen Pilger zur Schnecke zu machen, was mir ausgesprochen gut gefiel, da er mir mit seiner Pilger-Moralpredigt aus der Seele sprach. Er fragte den verdutzten Mann nämlich, von wo aus dieser am Morgen aufgebrochen sei, und als dessen Antwort Santo Domingo de la Calzada war (also ein Distanz, die meinen Marsch um beinahe acht Kilometer an Länge übertraf), hakte José Luis nach, wann der Pilger denn aufgestanden sei. „So um fünf Uhr“, war die Antwort des überrumpelten Mannes, der bald nicht mehr wusste, was ihn getroffen hatte. Denn José Luis ließ daraufhin eine Predigt über Rücksichtnahme gegenüber den Mitmenschen vom Stapel, die sich gewaschen hatte. Damit hatte er meiner Meinung nach vollkommen Recht, wobei sich meine Meinung von der durchschnittlichen Pilgermeinung stark abhob. Tatsache war nämlich, dass wir Pilger beinahe in keiner Herberge die Chance bekamen, länger als bis fünf, maximal halb sechs zu schlafen, da ab diesem Zeitpunkt die ersten Wecker klingelten und sich in den diversen Schlafsälen wuselige Zusammenpackorgien ausbreiteten wie lepröse Geschwüre – an Schlaf war beim allgemeinen Plastiktüten-Geraschel nicht mehr zu denken, Ohrenstöpsel hin oder her. Dieses Verhalten allerdings empfand José Luis als ausgesprochen rücksichtslos und in Zeiten der Kälte (wie dieses Jahr im Mai) noch dazu als völlig unsinnig – denn weder wurde es irgendwann am Tag heiß, sodass es womöglich gerechtfertigt gewesen wäre, in heller Panik vor Sonnenaufgang die Herbergen zu verlassen, um einem etwaigen Hitzschlag am Nachmittag zu entgehen, noch konnte man um diese Uhrzeit irgendetwas sehen, schließlich war es noch finster. Wo also lag der Sinn der Panikmache?

Der Galicier fühlte sich aufgrund dieser Diskussion alles andere als wohl in seiner Haut und das Ende vom Lied war, dass er beleidigt von dannen zog, lautstark beteuernd, dass er sich so nicht verhalte, weil er praktisch geräuschlos morgens aufbreche.

Natürlich. Genau wie all die anderen geräuschlosen Nilpferde.

Während der Diskussion hatte ich mit meiner Zustimmung zu José Luis Thesen nicht hinter dem Berg gehalten, denn ebenso wie er im Schlafzimmer unter den knarzenden Holzböden seines alten Refugios litt, hatte ich in den zehn Tagen meiner Pilgerschaft unter akutem Schlafmangel zu leiden gehabt. Als ich ihm dann noch schöne Grüße aus Grañón bestellte und ihm meine Dienste als Dolmetscher anbot, war ich gleich herzlich im Kreis der Hospitaleros aufgenommen und wurde fortan, kaum dass ich meinen Rucksack abgelegt hatte, als Hospitalero número tres vorgestellt. Zwar war ich selbst erschöpft, stellte meine Müdigkeit in diesem Moment allerdings zurück und kümmerte mich mit den beiden um die ankommenden Pilger – und siehe da, als ich der in ihrem Schlafsack bibbernden Krystyna, einer sechzigjährigen Polin, die ich bereits seit ein paar Tagen kannte und von der ich wusste, dass sie ihre Pilgerreise im Auftrag ihres ganzen Dorfes und ihrer vom Verlobten verlassenen Tochter unternahm, eine Tasse dampfenden Tee an die Matratze brachte und ihr ein wenig über die Stirn strich, war meine eigene Erschöpfung wie weggeblasen. Ehe ich es mich versah, war ich wieder zum Hospitalero-Mittagessen eingeladen, saß mit José Luis, Pablo und einer alten Freundin der beiden am Tisch und mampfte Hühnchen mit Gemüse.

Mir tat mein neuer Status als Hospitalero itinerante gut – schließlich war ich selbst noch fit, hatte keine Probleme mit Füßen oder Beinen und konnte somit aushelfen. Zudem hatte ich das Gefühl, dass ich sehr viel mehr an Dankbarkeit zurückbekam, als ich an Energie gab – letztlich also ein durchaus eigennütziger Antrieb.

Als ich und einige andere Pilger von der Besichtigung einer kleinen Einsiedelei nahe Tosantos zurückkamen, die eine steinalte Frau aus dem Dorf für die Pilger anbot, solange es nicht regnete – ich hatte bei der Übersetzung von allerlei Wundertätigkeiten der Virgen de la Peña, der Jungfrau des Felsens, etwas zu kämpfen gehabt – machte ich in der Küche Bekanntschaft mit Johanna, einer Deutschen, die sowohl Geige als auch Medizin studiert und das letzte halbe Jahr für Ärzte ohne Grenzen in Lateinamerika gearbeitet hatte. Mich faszinierte vom ersten Augenblick an, dass José Luis ihr ein Liederbuch hinhalten konnte und Johanna die Lieder vom Blatt weg sang, ohne sie zu kennen. Dies war der Moment, in dem ich Bekanntschaft mit den Mantra-Gesängen der Mönche des französischen Taizé-Klosters machte. José Luis war die Begeisterung für diese Lieder von den leuchtenden Augen abzulesen und mit hoher Stimme begleitete er Johannas kräftigen Gesang. Auch ich klinkte mich schnell ein, liebe ich doch das Singen und war dankbar über die Erweiterung meines Lied-Repertoires, das ich auf den Tagen des einsamen Wanderns bis zur Neige ausgeschöpft hatte. Während des Singens bereiteten wir Patatas a la Riojana zu, einen Kartoffel-Gemüse-Eintopf mit Chorizo, der mir unterdessen wohlbekannt war, hatten doch auch Marisa und Carlos in Grañón mir gegenüber schon bekannt, dass dies das einzige Gericht sei, das sie für 35 Pilger zuzubereiten wüssten. Also gab es für mich zum dritten Mal in Folge Patatas a la Riojana, was allerdings nicht weiter störte, da es sich um ein wärmendes Essen handelte – ideal bei den frostigen Temperaturen innen wie außen.

Nach dem Essen hielten José Luis und Pablo eine kurze Taizé-Andacht in einer kleinen Kapelle ab, die unter dem Dach des alten Gebäudes eingerichtet war. Ich fungierte dabei als atheistischer Übersetzer. Das wussten die beiden natürlich nicht und ich empfand es auch nicht als nötig, ihnen davon zu erzählen. Ohnehin begann sich mein Bild zu wandeln und ich wurde dem Katholizismus gegenüber etwas milder. Gab es auch immer wieder einzelne Teile der katholischen Liturgie, die ich als überaus abstoßend empfand, so beispielsweise den Mea-maxima-culpa-Gedanken oder den Befehl, den katholischen Glauben unter alle Völker der Welt zu verbreiten, begann ich doch, für andere Teile Verständnis zu entwickeln, so beispielsweise für das Gefühl der Gemeinschaft, die gegenseitige Hilfe und die praktizierte Nächstenliebe, die mir nirgends auf dem Weg so intensiv begegnete wie in den kirchlichen Herbergen im Geiste von Grañón. Insofern hatte ich keinerlei ethisch-moralische Bedenken als ich die Andacht übersetzte – denn eines der Mantren konnte ich augenblicklich akzeptieren:

Ubi caritas et amor, ubi caritas, deus ibi est. (Wo Nächstenliebe und Liebe sind, dort ist Gott.)

Ich selbst hätte es vermutlich nicht Gott nennen mögen, da mir dieser Begriff im Laufe der Jahrhunderte viel zu oft missbraucht wurde – aber ansonsten, so war mir bewusst, lebte ich nach der gleichen Maxime.

Castilla y León

Schon als ich nach vier Tassen Kaffee und gemeinsamem Frühstück mit Pablo und José Luis am Morgen in Tosantos aufbrach – nicht ohne mir José Luis Telefonnummer in meinem Pilgerführer notiert zu haben, sollte ich ihn bei Gelegenheit einige Tage als Hospitalero unterstützen wollen – war mir klar, dass es nach drei derart schönen Tagen voller Herzlichkeit und emotionaler Wärme erst mal bergab gehen musste. Diese Haltung war nicht unangebrachtem Pessimismus geschuldet, sondern vielmehr dem nüchternen Blick in den Pilgerführer, der verhieß, dass sich in annehmbarer Reichweite keine ähnliche Herberge im Geiste Grañóns befand. Außerdem: Wer wüsste das Gefühl echten Glücks noch zu schätzen, wäre jeder Tag auf diesem Camino von gleichbleibender Freude erfüllt?

Ich machte mich also auf und begann diesen Vormittag – es war bereits weit nach neun – mit der Aussicht auf bittere Kälte, grauen Himmel und eine endlose Strecke über die Hochebene der Montes de Oca, ohne ein einziges Dorf, wo ich hätte rasten können. Ehe ich die Berge erreichte, musste ich allerdings erst einmal die acht Kilometer bis Villafranca, Montes de Oca, zurücklegen, die mir wider Erwarten erstaunlich leichtfielen. Die vergangenen Tage hatten meine Seele erfrischt und das wirkte sich auch auf meine körperliche Kondition aus. Ursprünglich wollte ich in Villafranca eine Pause einlegen, doch als ich mich dort noch fit fühlte und feststellte, dass die letzte Möglichkeit im Dorf noch einen Kaffee zu trinken, ohne mehrere ­Hundert Meter zurück zu laufen, ein Vier-Sterne-Hotel gewesen wäre – nicht meine Preisklasse – entschied ich, den Weg nach San Juan de Ortega, also die zwölf Kilometer lange Strecke über das Hochplateau der Montes de Oca, ohne vorherige Pause in Angriff zu nehmen.

Ein klassischer Fehler. Nicht, dass ich das nicht vorher hätte wissen können – aber gut.

Nach einem steilen Aufstieg gelangte ich an eine Bergquelle, die mit der Aufschrift Kein Trinkwasser versehen war. Ein Kommentator hatte mit Edding Politik der Panikmache – KAUF Wasser! Konsumiere! darunter geschrieben – Grund genug für mich meinen Wassersack erst recht dort aufzufüllen – immerhin wusste ich aus eigener Erfahrung, dass dieses Bergquellwasser, vor dem derzeit überall als nicht trinkbar gewarnt wurde, vor zehn Jahren durchaus trinkbar gewesen war und dass das Qualitätsurteil nicht trinkbar nichts weiter bedeutete, als dass dem Wasser nicht Unmengen von Chlor beigesetzt wurden. Insofern: Prost!

Der Marsch über die Hochebene wurde nach zwei Stunden zur Tortur. Ein beißender Wind fegte über die Bergrücken, die komplette Strecke war eine Matschpiste und ich befand mich unausgesetzt in Habachtstellung, um einem unfreiwilligen Matschvollbad inklusive Rucksack zu entgehen. Neben dem Weg bemerkte ich ungläubig den Schnee vom Vortag und die Wolkenmassen am Himmel boten selbst eingefleischten Optimisten keinerlei Anlass zur Hoffnung.

Die Kälte bedeutete zugleich, dass mir selbst eine nur fünfminütige Pause bis auf Weiteres verwehrt bliebe und die paar hastig im Laufen herunter geschlungenen Cashews, die ich noch in meinem Gepäck gefunden hatte, sich damit abzufinden hatten, dass ihnen bis San Juan nichts oder niemand in meinem rebellierenden Magen Gesellschaft leisten würden.

Was blieb mir anderes übrig – ich machte gelangweilte Miene zum eisigen Spiel und trottete weiter. Schließlich half es nichts, mich zu beklagen, und bei wem hätte ich mich auch beklagen sollen? Keiner der Mitpilger bot sich für diese Rolle an. Der Weg schien kein Ende nehmen zu wollen. Irgendwann folgte dem Gefühl des Hungers ein beharrliches Gefühl von Kälte.

Vor die Wahl gestellt, ob ich vor Wut und Frustration in diesem Moment singen oder weinen wollte, entschied ich mich fürs Singen und packte die alten Hippie-Klassiker wie Amazing Grace, Kumbaya oder We shall overcome aus – und natürlich Leonard Cohens Hallelujah – das Lied von mir und meinem Freund, das ich durch ganz Spanien trug und das am Ende der Reise wohl so ziemlich jeder, der auf dem Weg eine Weile mit mir zu tun hatte, mitsingen konnte. Als ich dann mal wieder bei Let it be angelangt war und gerade die Textzeile And when the night is cloudy, there is still a light that shines on me schmetterte, brach tatsächlich die Sonne durch die Wolkendecke und wärmte zumindest fünf Minuten lang meine eingefrorenen Gelenke. Das war einer der Augenblicke, in denen ich mich, nur für den Fall, dass es doch einen Gott geben sollte, vorsorglich bedankte.

Viele der Pilger hatten noch in der Woche zuvor über die Hitze gestöhnt, mir selbst machte die Kälte weitaus mehr zu schaffen, denn sie raubte meinem Körper mehr Energie. Noch dazu war ich den Camino im Jahr 2000 im August gelaufen, das heißt, an Hitze beim Pilgern war ich wahrlich gewöhnt und auf Hitze war ich eingestellt – auf Schnee und Frost jedoch keineswegs. Schließlich pilgerte ich ja nicht zum Polarkreis, selbst wenn man das derzeit hätte glauben mögen.

Als ich endlich in San Juan de Ortega ankam – ich vermute, ich war nicht der einzige, der sich zwischenzeitlich gefragt hatte, ob dieses Dorf womöglich einer unerwarteten Entführung durch Außerirdische zum Opfer ­gefallen war – wollte der Wirt in der einzigen Bar des Ortes mir nicht erlauben, mich an einen der Tische im leeren Speisesaal zu setzen, wenn ich nichts essen wollte. Das Problem dabei war jedoch, dass es ansonsten keine freien Tische in der Kneipe gab und ich wenig Lust verspürte, bei der Eiseskälte den Versuch zu starten, mich im Freien aufzuwärmen. Nach all der Herzlichkeit, die mir in den Tagen zuvor widerfahren war, nahm ich dem Wirt dieses geldgierige Gebaren übel. Das Glück jedoch war mir hold. Es erschien mir in Gestalt von Johanna, die in diesem Moment die Bar betrat. Sie nämlich wollte etwas essen – ich ja durchaus auch, aber kein Hauptgericht zu einem Preis, der in meinem knappen Budget nicht drin gewesen wäre. Großzügigerweise wurde mir erlaubt, als Begleiter mit an ihrem Tisch Platz zu nehmen.

Johanna war ähnlich genervt und erschöpft von der bisherigen Tagesetappe wie ich, dennoch beschlossen wir, gemeinsam noch einige Kilometer weiter bis nach Atapuerca zu laufen – hatte sich San Juan de Ortega doch bereits in den wenigen Minuten unseres Aufenthalts dort als ausgesprochen ungastlich erwiesen.

Trotz unserer Müdigkeit stellten wir beide fest, dass die letzten Kilometer des Tages im Gespräch wie im Fluge vergingen. Selbst als wir letztlich in Atapuerca von einer maulfaulen Frau empfangen und über Nacht in einer unbeheizten Scheune untergebracht wurden, nahmen wir das klaglos hin. Auch Johanna hatte wohl nicht erwartet, dass uns noch ein weiterer Ort wie Tosantos bevorstünde. Die gänzlich unausgerüstete Küche der Albergue und mein übermächtiger Hunger veranlassten mich schließlich doch noch, in einer Bar zu Abend zu essen und nicht wie üblich zu kochen.

Als ich die Bar betrat, stieß ich auf Roland, einen 60-jährigen südafrikanischen IT-Unternehmer, den ich in den Tagen zuvor bereits mehrmals auf dem Camino getroffen hatte und dessen Angebot, uns eine Flasche Rotwein zu bestellen, ich natürlich nicht ausschlagen konnte. Nichts Besseres hätte meiner angekratzten Laune an diesem Abend passieren können! Roland, der die Reise allein unternahm und wenige Tage zuvor auf dem Camino seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte, erzählte mir allerlei mitreißende Geschichten – angefangen mit der missglückten Hauttransplantation beim Entfernen eines krebsbefallenen Fleckens auf seiner Wange und der kompletten Leidensgeschichte der nachfolgenden Operationen (seine rechte Gesichtshälfte wirkte noch immer entstellt, sein Auge hing herab und tränte beständig), über sein Leben als Unternehmer, das ihm nicht genügend Herausforderungen bot, weswegen er erst kürzlich eine der afrikanischen Klicksprachen erlernt hatte, bis hin zum darauf folgenden mehrwöchigem Aufenthalt in einem Dorf afrikanischer Ureinwohner, mit denen er und sein dreizehnjähriger Sohn Lehmhütte, Essen und Leben geteilt hatten. Das Ganze bebildert durch Fotos auf dem iPhone – dieser Mann verstand es, mich zu unterhalten. Nach zwei Flaschen Wein wankte ich später bei bester Laune zurück ins Refugio – es war kurz vor zehn, Pilgersperrstunde. Pilgerschaft bedeutet nämlich gleichzeitig, die Hoheit über die eigenen Schlafenszeiten abzugeben – sprich: Um zehn Uhr werden die Lichter gelöscht, komme, was wolle (in manchen progressiven Herbergen erst um halb elf oder gar um elf). Dann wird geschlafen. So ist das.

Nicht ganz so fit wie gewohnt machte ich mich am nächsten Morgen auf den Weg, um die letzte Etappe nach Burgos zurückzulegen. Burgos – das bedeutete mehrerlei: Erstens war Burgos nach Pamplona und Logroño die dritte größere Stadt, die ich auf dem Camino erreichte, zweitens begann nach Burgos die berüchtigte Meseta, die gut 150 Kilometer lange Hochebene Kastiliens, vor deren monotoner Landschaft sich zahlreiche Pilger drückten, indem sie in der Stadt einen Bus oder Zug nach León bestiegen, und drittens wusste ich noch von meiner ersten Pilgerreise, dass es kaum eine Nerven- und Fuß-schädigendere Wegstrecke gab, als das Durchwandern des beinahe zehn Kilometer langen Industriegebiets, durch das uns der Camino bis an den Stadtrand führen sollte. Bei dieser Aussicht bereute ich den Rotwein des Vorabends – vor allem, da ich das Gefühl hatte, dass ich bereits beim steilen Anstieg direkt nach Atapuerca schneller aus der Puste kam als gewöhnlich. Zum Glück war ich noch immer Nichtraucher! Das machte mir die gesamte Pilgerei doch wesentlich leichter – so kam zu den zwei Flaschen Wein, deren giftige Hinterlassenschaften ich an diesem Tag auszuschwitzen hatte, zumindest nicht auch noch das Nikotin von zwanzig Zigaretten. Und Teer sollte mich an diesem Tag ohnehin noch genug erwarten (siehe Industriegebiet).

Oben auf dem Berg angekommen, lag ein kleines Hochplateau vor Johanna und mir, von dem aus sich uns ein herrlicher Blick über das Tal und auf die noch einige Stunden Fußmarsch entfernte Stadt Burgos bot. Wir hielten einen Augenblick inne, um die Aussicht zu genießen, dann machten wir uns auf den Weg hinab, hinein in die graue Pilgervorhölle des Industriegebiets, die auf uns wartete, sollten wir nicht die geheimnisvolle Alternativroute entdecken, die im Pilgerführer beschrieben war.

Beim Abstieg unterhielt ich mich mit Johanna und sie erzählte mir von ihrem Leben, sprach über ihre Zeit am Konservatorium in Wien und eine längst vergangene Liebschaft mit ihrem damaligen Geigenlehrer, wobei ihr eine gewisse Wehmut anzumerken war. Kein Wunder, seit dieser verflossenen Liebe waren zwanzig Jahre ohne Beziehung vergangen. Wen würde das nicht traurig stimmen?

Ich musste an mein eigenes zehnjähriges Single-Dasein denken und als welch nicht enden wollender Zeitraum mir dies erschienen war. Zugleich durchflutete mich ein warmes Gefühl. Gedanken an meinen Freund stiegen in mir auf und ich spürte wieder einmal, wie sehr ich ihn vermisste und wie froh ich darüber war, um jemanden zu wissen, der in der Ferne auf mich wartete, nicht im konkreten Sinne – strickend vor dem Fenster sitzend und in die Trübnis starrend – sondern einfach nur zu wissen, dass es diesen Jemand gab.

Begegnungen

Noch bevor das Industriegebiet begann, machte ich einen Wanderpartnertausch. Johanna hatte mir von einem Gespräch erzählt, das sie am Vorabend mit einer jungen Frau geführt hatte, die ich selbst nur flüchtig kennengelernt hatte, hatte ich doch meinen Abend mit dem Südafrikaner Roland im Weinrausch verbracht. Ihr Name war Alma. Von dem Moment an, als wir uns einander vorstellten, war sie mir ungemein sympathisch, da sie mich an eine liebe Freundin aus Nürnberg erinnerte. Nun berichtete Johanna mir also, dass Alma bereits in Guatemala gewesen sei und dass sie in der schottischen Kommune Findhorn lebe – zwei Dinge, die mich hellhörig machten, denn sowohl Findhorn als auch Guatemala sollten im Mosaik der verlorenen Zeit vorkommen. Als wir Alma, gerade im Aufbruch begriffen, vor einer Bar trafen, meinte Johanna, ich solle doch mit ihr weitergehen, sie selbst käme nach. Ich zögerte einen Augenblick, tat dann jedoch, wie mir geheißen.

Alma war 31, stammte ursprünglich von den Kanaren, um genau zu sein aus Teneriffa, lebte aber bereits seit vier Jahren in Findhorn. Eigentlich war sie nur für drei Tage nach Schottland geflogen, um sich die Kommune anzusehen, dann aber spontan dortgeblieben.

Schon unser erstes Gespräch war außergewöhnlich, denn ich merkte, dass ich mit Alma eine Gesprächspartnerin vor mir hatte, die zuhörte und auf seltsam treffsichere Art nachfragte, um mehr über meine Geschichten, mein Leben, ja, alles, was mich betraf, zu erfahren. Zunächst empfand ich dies als ungewohnt, es brachte mich indes dazu, mich selbst auf eine andere Art zu hinterfragen, als ich das in den Gesprächen zuvor auf dem Camino hatte tun müssen.

Gemeinsam wanderten wir also durch Kälte und Nieselregen in Richtung Burgos und verpassten, obwohl wir beide danach Ausschau hielten, die wundersame Abkürzung, die uns das vermaledeite Industriegebiet erspart hätte. Also hieß es der Asphaltwüste trotzen.

Nichtsdestotrotz kam nach einigen Stunden der Punkt, an dem wir den Stadtrand erreicht hatten. Wir konnten es beide kaum fassen – ich selbst, weil ich mich an die Tortur, die diese Strecke zehn Jahre zuvor für mich dargestellt hatte, nur allzu gut erinnern konnte (es war das erste Mal, dass ich einen Gin-Tonic trank und von einer Telefonzelle aus völlig verzweifelt meinen Papa anrief) und Alma, weil genug Übles vom Einmarsch nach Burgos erzählt wurde. An diesem Tag aber hatten wir die durchwanderte Ödnis kaum bemerkt – versunken in ein Gespräch, das die Grundlage für so manch weiteres werden sollte.

Zur Belohnung gönnten wir uns in der ersten Bar am Stadtrand ein paar Tapas. Wir hatten Glück: Die Auswahl war gigantisch und keiner von uns konnte sich so recht entscheiden, welcher dieser Köstlichkeiten er den Vorzug geben sollte. Hinzu kam, dass wir in Burgos waren und das hieß, eine Tapa kostete nicht wie in Barcelona fünf Euro, sondern gerade mal eins fünfzig. Ein Schlemmerparadies für ausgehungerte Pilger also, wie hätte ich einer solchen Aussicht je widerstehen können?

Die Nacht verbrachten wir in einer luxuriös eingerichteten, neuen kirchlichen Pilgerherberge namens Casa Emaús, die von einem französischen Ehepaar betrieben wurde. Zwar war das Ganze nicht billig – es hieß eigentlich, die Bezahlung erfolge auf Spendenbasis, aber zugleich wurde uns gesagt, jene Spende dürfe einen bestimmten Betrag nicht unterschreiten, ein Konzept, das mich etwas verärgerte – aber dafür tischten uns diese Franzosen abends ein mehrgängiges Menü auf, das meinen Magen mit so mancher Widrigkeit zu versöhnen imstande war.

Noch vor dem Abendessen besuchten wir die Pilgermesse in der angrenzenden Kirche und in einer kleinen Andacht nach dem Essen erfuhr ich schließlich, dass Emmaus der Ort war, an dem zwei Apostel dem auferstandenen Jesus begegneten, ohne ihn zunächst jedoch zu erkennen (der Pfarrer in Carrión de los Condes sollte die beiden später mit dem Ausdruck die Trottel von Emmaus belegen und amüsierte sich dabei priesterlich), bis er abends das Brot mit ihnen brach.

Alles in allem hinterließ der Aufenthalt in der Albergue letztlich ein wohliges Gefühl – auch wenn die Betreiber die einzigen waren, die mich seit meiner Rückkehr per E-Mail um eine Spende angehauen haben. Nun, fragen sei ihnen gestattet.

Am nächsten Morgen setzten Alma und ich unseren Weg gemeinsam fort. Ich hatte bei einigen Pilgern in der Casa Emaús Werbung für ein kleines Refugio inmitten von Nirgendwo gemacht, das ich noch von meiner ersten Pilgerreise in bester Erinnerung hatte. Es handelte sich um einen Ort namens San Bol, inmitten der Getreidefelder der Meseta gelegen, fernab jeglicher Zivilisation. Zum nächsten Dorf waren es von der Albergue San Bol aus an die fünf Kilometer zu Fuß.

Das Wetter war noch immer mies – unterdessen waren wir es jedoch gewohnt, ständig all unsere Klamotten am Leib zu tragen und auch der Geruch ungewaschener Pilgerkleidung vermochte uns nicht mehr zu erschrecken. Wie hätten wir waschen sollen, wo sich seit Tagen keine Sonne hatte blicken lassen, die unsere Wäsche hätte trocknen können? Die Alternative war einfach und zwangsläufig: stinken, bis die Sonne schien. Aber wir saßen da ja alle im gleichen Kot (Entschuldigung, den konnte ich mir nicht verkneifen – mea maxima culpa).

Der stahlgraue Himmel vermochte Almas und meine gute Laune allerdings nicht zu vertreiben – wir setzten unser Gespräch vom Vortag fort und erzählten uns stundenlang Geschichten aus unser beider Leben. Um ihre Neugier zu befriedigen, beschrieb ich Alma auch die Handlung meines Romans. Sie war begeistert.

Am frühen Nachmittag begann sich die Etappe für uns zu verändern. Wir hatten die Meseta erreicht und Alma, die schon am Vortag über Knieschmerzen geklagt hatte, konnte irgendwann kaum noch laufen. Nun gibt es auf dem Camino eine althergebrachte Pilgerweisheit: Cada uno su camino, jeder müsse seinem eigenen Rhythmus folgen. Also meinte Alma, ich solle weitergehen. Ich hatte unser gemeinsames Wandern in den Stunden, die wir miteinander geteilt hatten, aber schon derart schätzen gelernt, dass ich ihr diese Bitte abschlug und erwiderte, ich ließe sie bestimmt nicht gerade dann allein, wenn es ihr schlecht ginge.

Also schleppten wir uns Hand in Hand, Alma mit der freien Hand auf meinen Pilgerstock gestützt, im Schneckentempo voran. Das sorgte für einen radikalen Perspektivwechsel, denn Langsamkeit bedeutet stets, einen in unserer Gesellschaft gänzlich unüblichen Blickwinkel einzunehmen.

Erst nach mehreren Stunden erreichten wir das nächste Dorf, Hornillos del Camino, mussten dort jedoch feststellen, dass das Refugio bereits voll war. Zwar hätte die Möglichkeit bestanden, in einer Turnhalle auf dem Boden zu schlafen, aber weder Alma noch mir erschien diese Aussicht im Mindesten verlockend, sodass wir uns entschieden, trotz Schmerzen an diesem Tag die dreißig Kilometer voll zu machen und nach San Bol weiter zu laufen.

Auch ich hatte bereits am Morgen leichte Schmerzen im Schienbein verspürt – das langsame Laufen hatte dies keineswegs verbessert, ganz im Gegenteil, als wir in Hornillos aufbrachen, hatte ich abwechselnd Schmerzen im Schienbein und im Sprunggelenk. Nichtsdestotrotz war Hornillos für uns beide ein Ort, der uns nur eine Botschaft übermittelte: weiter!

Dort, in Hornillos del Camino, nahm ich zum ersten Mal eine Gabe an Alma wahr, die mir auf vielen späteren Etappen des Caminos als Leitstern diente. Es handelte sich um eine ganz besondere Art, mit Menschen umzugehen, vor allem auch mit Menschen, deren unfreundliches Verhalten mich hin und wieder dazu brachte, pampig und aggressiv zu reagieren.

Nicht so Alma. Sie war die Gelassenheit selbst und blieb in ihrer Herzlichkeit den Menschen gegenüber solange konstant, bis noch die übellaunigste Bissgurke ihr mit Freundlichkeit begegnete. Das faszinierte mich und wann immer Alma ab diesem Zeitpunkt auf dem Camino nicht bei mir sein sollte, versuchte ich ihrem Vorbild in dieser Hinsicht nachzueifern. Mit Fug und Recht kann ich behaupten, dass Alma es schaffte, Licht auch noch in die düsterste Seele auf dem Camino zu bringen, und so empfand ich es rasch als Geschenk, sie an meiner Seite zu wissen, denn auch in mir brachte sie einen Teil zum Leuchten, dessen Strahlen ich ohne sie womöglich nicht wiedergefunden hätte.

Nachdem wir also in Hornillos ein Bocadillo gegessen hatten, schlichen wir fuß- und knielahm weiter in Richtung San Bol. Am Horizont dräuten schwarze Gewitterwolken, doch nicht zum ersten Mal musste ich an die Geschichte denken, die eine Freundin mir bei ihrem Besuch im vergangenen Herbst erzählt hatte: Michael Endes Fabel von der Schildkröte Tranquilla Trampeltreu, deren Lebensmotto lautete: Ich werde schon rechtzeitig ankommen. Wie oft ich mir diesen Satz vor Augen geführt habe, wenn ich mal wieder versucht war, anderer Pilger Stress zu meinem eigenen zu machen – und wie vielen Freunden ich diese Geschichte auf dem Camino erzählt habe!

Letztlich erreichten wir San Bol, bevor der Wolkenbruch herniederging, und doch hätte ich in diesem Moment in Tränen ausbrechen mögen: Es gab keine Betten mehr für uns – die letzten beiden waren zehn Minuten zuvor vergeben worden.

Da waren sie also nun alle: die Pilger, denen ich am Tag zuvor von diesem Ort erzählt hatte, die meinem Rat gefolgt waren und nun in einem soliden Bett lagen, während wir nicht wussten, ob wir bleiben konnten. Die Hospitalero Judith, eine Ungarin, war gerade nicht da und so beschlossen wir, abzuwarten und darauf zu vertrauen, dass es eine Lösung geben würde. Denn zwei Dinge waren uns beiden klar: Weder würden wir akzeptieren, dass man uns irgendwo hinführe, noch sah sich einer von uns dazu imstande weiterzulaufen.

Dennoch hielt die Albergue in San Bol bereits im ersten Moment auch eine freudige Überraschung für mich bereit: Ich traf John und Erin wieder, ein kanadisches Pärchen, das ich bereits bei der Pilgermesse am ersten Abend in Roncesvalles gesehen hatte. Ich hatte keine Ahnung, weshalb ich mich so freute, die beiden zu sehen, denn ich hatte bis dato nur mit John beim Wäsche-Waschen in Pamplona ein paar Worte gewechselt – Freude allerdings blieb Freude und ich nahm sie genauso an wie meine Verzweiflung wenige Augenblicke zuvor. Außerdem hatte ich die beiden sofort wiedererkannt, schließlich war John der einzige Peregrino, der mit einer Gitarre auf dem Rücken nach Santiago wanderte. Ich freute mich also grundlos, aber ich freute mich riesig. (Vielleicht doch nicht völlig grundlos. Nur so viel sei verraten: Die Gitarre steht mittlerweile in meinem Wohnzimmer.)

Letztlich waren es John und Erin, die es uns ermöglichten, dass wir in San Bol bleiben konnten. Die beiden hatten nämlich eine Isomatte mit und während Alma auf einer Massagebank nächtigte, verbrachte ich die eisige Nacht auf einer Isomatte unter der Kuppel im Speisezimmer von San Bol.

Der Abend war wundervoll: Judith bereitete eine riesige Paella für uns alle zu, wir aßen gemeinsam an einem runden Tisch die knoblauchhaltigste Paella meines Lebens und nach dem Essen durfte jeder ein Lied in seiner Landessprache zum Besten geben – wobei mir mal wieder auffiel, wie arm die deutsche Kultur an heute noch allgemein bekanntem Liedgut ist. (Nein, ich betrachte Hoch auf dem gelben Wagen nicht als deutsches Liedgut. Diesen Einwand habe ich mittlerweile zu oft vernommen!) Eine Spätfolge des Dritten Reichs.

Zum Glück waren zwei ältere Schwäbinnen dort, die das Singen eines mir unbekannten Liedes übernahmen. Beeindruckend war das Lied der Hospitalera Judith. Mit einer weit mächtigeren Stimme denn erwartet und einem riesigen Lächeln auf den Lippen trug sie eine traurige ungarische Weise vor, die tief in meinem Inneren eine Saite zum Klingen brachte. Schön.

Da es in dieser Nacht auf null Grad abkühlte und ich auf Johns Isomatte trotz Schlafsack und Decke bitterlich fror, verwunderte es mich nicht, als ich am nächsten Morgen mit Husten aufwachte – ein Begleiter, der für die folgenden anderthalb Wochen mein treuester Gefährte sein sollte. Zumindest aber bot sich mir so die Gelegenheit, es den Schnarchern in den Herbergen mit ihren eigenen Waffen heimzuzahlen. Seit 5.45 Uhr wird zurückge– so, jetzt aber Schluss mit den Drittes-Reich-Plattitüden!

Ohne zuvor darüber gesprochen zu haben, trennte sich Almas und mein Weg am nächsten Morgen. Ich begann den Camino in Richtung Hontanas und Castrojeriz mit John und Erin, dem kanadischen Pärchen. Bereits am Abend zuvor waren John und ich in eine Diskussion über Glaubensfragen eingestiegen, was vor allem daran lag, dass die beiden in der ersten Pilgermesse in Roncesvalles neben mir saßen/ standen/ knieten, wie das in der katholischen Liturgie eben so üblich ist (meines Erachtens ein Überbleibsel aus dem Mittelalter, als die Messen noch auf Latein stattfanden und die Notwendigkeit bestand, die Menschen vom Einschlafen abzuhalten – auf und nieder immer wieder). Schon dort hatte ich bemerkt, dass die beiden den katholischen Glauben offenbar sehr ernst nahmen. Für Europäer ihres Alters (die beiden sind 24) wäre das schlichtweg ungewöhnlich, weshalb ich das Bedürfnis verspürte, diese Fragen zu thematisieren. Zudem wollte ich vermeiden, dass eine Mauer zwischen uns entstand, was zweifelsohne geschehen wäre, hätte ich diese für mich unbegreifliche Frömmigkeit nicht angesprochen.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Liebe deine Feinde. Eigenartig, was die christlichen Kirchen, die katholische natürlich im Besonderen, im Laufe ihrer Geschichte aus dieser großartigen Lehre für verheerenden Schlüsse gezogen haben.

Beinahe noch seltsamer erscheint es mir, dass ich aufgrund meines Wissens um die Kirchengeschichte, Menschen, die sich zu einer dieser Kirchen bekennen, zunächst mit Argwohn betrachte. Gehören sie zu den Erdenbürgern, die die Verantwortung für ihr eigenes Leben lieber abgeben und sich fanatisch an unhinterfragte und unhinterfragbare Regeln halten?

Sehr schnell hatte ich im Gespräch mit John gemerkt, dass mir seine Gründe dafür, Katholik zu sein, gefielen, wenngleich das selbstverständlich nichts an meiner eigenen Einstellung gegenüber der katholischen Kirche änderte. Er jedoch erklärte mir, dass sein Lebenskonzept auf der Idee der Liebe fußte und dass er nirgends so viele Menschen gefunden hatte, die dieses Konzept mit solcher Hingabe verfochten, wie in den Jugendgruppen der katholischen Kirche auf Vancouver Island (seiner Heimatinsel).

Als ich dann das unvermeidliche Thema Homosexualität zur Sprache brachte, erzählte mir Erin, dass sie in ihrer katholischen Jugendgruppe einen schwulen Freund gehabt hatte, der, als ein neuer Pfarrer die Gruppe übernahm, der Homosexualität als Todsünde betrachtete, die Kirche verlassen hatte. Nun hatte Erin in jenem Moment überlegt, ihm aus Solidarität zu folgen, war dann allerdings nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass es wohl besser sei, in der Gruppe zu bleiben, denn nur so hätte sie weiterhin Gelegenheit, ihre Meinung zu diesem Thema beizusteuern (sie findet Homosexualität völlig okay), wohingegen niemand als Korrektiv in der Gruppe verblieben wäre, um derart bornierte Meinungen auszugleichen, wäre sie mit ihm gegangen. Diese Argumentation erschien mir nachvollziehbar.

Unser Gespräch hatte sich noch eine ganze Weile hingezogen, es war unterdessen dunkel geworden in der Herberge, da San Bol nicht über elektrischen Strom verfügte, der Wein ging ebenfalls zur Neige, als Erin, die sich, während John und ich noch diskutierten, bereits bettfertig gemacht hatte, zu uns trat und mit schnippischem Ton meinte: „Also, Jungs, von mir aus können wir alle morgen auf den Schwingen der Liebe weitersegeln, aber ich gehe jetzt ins Bett. Kommst du, John?“

Herrlich. Sie hatte es auf den Punkt gebracht und sollte im Laufe vieler weiterer Diskussionen zwischen John und mir oftmals diejenige sein, die uns Weltphilosophen die nötige Erdung verlieh. Es ergab sich also, dass die beiden Philosophen und Erdenbürgerin Erin am folgenden Morgen gemeinsam auf den Schwingen der Liebe weiterwandelten und ich Alma erst mal aus den Augen verlor. Die Stunden unserer immerhin 26 Kilometer (oder twenty-six k [sprich: kej]) langen Tagesetappe vergingen wie im Fluge und selbst die lächerliche Anhöhe nach Castrojeriz, die manch einer womöglich als Berg bezeichnet hätte, hatten wir im Nu überwunden. Als stets aufs Neue schockierend erwiesen sich allerdings auch auf dieser Etappe die vielen Gedenksteine, die für verstorbene Pilger am Wegesrand aufgestellt werden. Ich persönlich glaube zwar, dass so viele Peregrinos auf dem Weg sterben, weil es zahlreiche Menschen gibt, die den Camino noch in hohem Alter gehen oder sich bereits schwer krank einen letzten Traum erfüllen wollen – dennoch saß mir der obligatorisch Kloß im Hals, wenn ich vor einem solchen Stein innehielt und die Inschrift las. Wobei: Auf dem Camino zu sterben, ist vermutlich nicht die schlechteste Art abzutreten – schlimmer ist es wohl für die Pilger, die diesen Abgang miterleben. So kursierte beispielsweise auch in unserer Gruppe von Pilgern die Geschichte, dass sich ein schottischer Pilger bei einer Rast neben einer jungen Dänin an die Brust gefasst, dann von einem Moment auf den anderen in sich zusammengesackt und in ihren Armen gestorben sei.

Doch genug der traurigen Geschichten.

Als wir am Nachmittag in Itero de la Vega ankamen, fanden wir nach einem wohlverdienten Nickerchen einen winzigen Lebensmittelladen, in dem wir einkauften, um abends gemeinsam zu kochen. War ich seit jeher recht gut im Improvisieren von Gerichten, hatte ich mich in den über zwei Wochen auf dem Camino zum Experten gemausert und so kreierten wir ein buntes, mit Käse überbackenes Gemüse-Nudel-Gericht. Dazu gab es einen farbenfrohen Salat und John und Erin, die jede einzelne ihrer Mahlzeiten auf dem Camino fotografierten, bekamen ein sehenswertes Foto.

Die Küche allerdings – ach du meine Güte, darüber sollte ich lieber nicht sprechen. Vielleicht nur so viel – ich glaube, ich habe nie zuvor in meinem Leben in einem derart widerlich klebrigen Loch eine Speise zubereitet. Schön zu wissen, dass dies die Küche war, die gleichzeitig dazu diente, Pilger, die sich Mahlzeiten im zugehörigen Restaurant bestellten, zu bekochen. Neben den hohen Preisen ein weiterer Grund für Selbstversorgung.

Die Augustiner-Nonnen von Carrión de los Condes

Ich sollte noch anderthalb weitere Tage mit den Kanadiern durch die frostig-graue Meseta ziehen, geplagt von Husten und Sehnenscheidenentzündung, ehe die beiden sich von mir verabschiedeten, um nach einer sixteen kej-Etappe noch weitere siebzehn Kilometer anzuhängen – ein schier endloses Wegstück durch die Meseta, auf dem sich kein einziges Dorf befand. Meine angeschlagene Gesundheit so viel war mir klar, so sehr ich die Gesellschaft der beiden in den vergangenen Tagen genossen hatte, wäre hiervon überfordert. Also stieg ich im Refugio der Augustiner-Nonnen in Carrión de los Condes ab – eine Entscheidung, die sich trotz des großen und bereits am Nachmittag stark beschnarchten Schlafsaals als glücklich erweisen sollte.

Bei der Auswahl meines Nachtquartiers gab ich unterdessen stets Herbergen den Vorzug, die in irgendeiner Form kirchlich oder spirituell orientiert schienen, fand ich doch dort meist ähnlich gesinnte Menschen, die den Camino eher als Pfad zur Selbsterkenntnis betrachteten denn als rein sportliche Aufgabe. So kam es, dass mich die Augustinerinnen in ihren Fängen hatten, noch bevor ich überhaupt dort angekommen war – in meinem Pilgerführer war nämlich von spirituellem Programm die Rede gewesen: ein Versprechen, das die bezaubernden Schwestern voll und ganz einlösten.

Um halb sieben begann im Refugio ein freiwilliges Pilgerzusammensein, an dem ich teilnahm, nachdem ich zuvor eine Weile durch Carrión gezogen war und dabei ein Krippenspiel entdeckt hatte. In Spanien sind Krippenspiele Tradition und der Pfarrer bemerkte später, er habe das hiesige für die Pilger im heiligen Jahr stehen lassen. Ddergleichen hatte ich noch nicht gesehen: eine riesige, detailverliebte Landschaft, in der so mancher Bäcker ein Brot in den Ofen schob, so mancher Hufschmied einen Pferdehuf beschlug und obendrein natürlich die Heilige Familie das Jesuskind empfing – all das mit sich wandelnder Beleuchtung, gestaltet als kompletter Tagesablauf. Ich war begeistert.

Als ich zurück in die Herberge kam, saß dort eine freiwillige deutsche Hospitalera mit Gitarre in der Hand, verteilte Liederblätter und wir sangen zunächst einmal La Canción de la Alegría, was, wie sich alsbald herausstellte, die spanische Version der Ode an die Freude war. Schnell hatte ich Feuer gefangen und in der kleinen Gruppe sangen wir verschiedene spanische Lieder. Selbst als sich die Gruppe aufzulösen begann, blieb ich mit einigen anderen zurück und wir sangen fröhlich weiter, bis die Pilgermesse begann. Zu meiner allergrößten Freude durfte ich dann auch noch das Liederblatt mitnehmen (ich hüte es noch heute wie einen Schatz)!

Nun ist es nicht so, dass diese Pilgermessen auf dem Camino de Santiago Pflichtprogramm gewesen wären – dennoch fand ich mich auf dieser Reise wesentlich öfter in Messen wieder, als dies bei meiner ersten Pilgerreise der Fall gewesen war.

Weshalb das geschah, weiß ich nicht so genau, aber eines war mir klar – ich begann sanfter zu werden, betrachtete die Messen nicht ausschließlich mit Argwohn und Abneigung, sondern bemühte mich um Verständnis und darum, mich für die Bestandteile zu öffnen, die den Gläubigen beim Gottesdienst Gewinn bringen mochten. Es dauerte eine Weile, bis ich für mich herausfand, was das war, und ich vermute, es ist zunächst ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit, weiterhin womöglich ein Halt, den einem feste Rituale bieten, und letztlich, und diese Erkenntnis empfand ich als überraschend, die Möglichkeit, die wiederkehrenden Rituale des Gottesdienstes als Begleitmusik für die eigene Innenschau oder, um einen in unserer Kultur gängigeren Begriff zu verwenden, Meditation zu benutzen. So jedenfalls erging es mir auf dem Camino: Ich nutzte die Stunde der Messe als Phase der Ruhe und Einkehr – als meinen ganz privaten Moment an diesen menschenreichen Tagen auf dem Weg.

Interessanter Nebeneffekt war, dass ich am Ende des Caminos einen Großteil der spanischen Liturgie mitsprechen konnte. Tomad y comed todos de él …

In der Messe in Carrión traf ich überraschend Alma wieder – wir hatten uns seit San Bol nicht gesehen – und so konnten wir beide es kaum erwarten, uns zu umarmen und miteinander zu sprechen. Alma war in einer anderen Albergue abgestiegen, da das Refugio der Augustinerinnen bereits voll belegt war, als sie ankam. Nach der Pilgersegnung blieb uns allerdings kaum Zeit, uns auszutauschen, da in meiner Herberge das gemeinsame Abendessen bevorstand und mir, wie immer, der Magen auf halb acht hing. Also fragte ich sie, ob sie vielleicht Lust hätte, dieses siebzehn Kilometer lange Wegstück bis zum nächsten Dorf tags darauf mit mir gemeinsam zurückzulegen – oder ob sie die Einsamkeit der Meseta lieber in vollen Zügen auskosten wolle. Das Strahlen in ihren Augen beantwortete meine Frage, noch bevor sie ja sagen konnte. So verabredeten wir uns am folgenden Morgen zum Frühstück in einer kleinen Cafeteria.

Das Abendessen, das die meist lateinamerikanischen Nonnen uns zubereitet hatten, hätte reichhaltiger nicht sein können. Wir saßen beisammen, schlemmten und tranken Wein, bis eine der Schwestern meinte, wir sollten uns alle im Vorraum versammeln, weil sie uns gerne noch ein paar Worte mit auf unseren weiteren Weg geben wollten. Wir taten, wie uns geheißen, und Schwester María Juana wünschte uns einen Weg voller Licht und Stärke und meinte, dass ihre Mitschwestern im Konvent jedem von uns einen bemalten Papierstern gemacht hätten, den sie uns, zusammen mit einem Segen, auf den Weg mitgeben wollten. Da er aus Papier sei, wiege er schließlich nichts, sodass er unser Gepäck nicht zusätzlich belasten würde.

Dann begann die Segnung: Eine der peruanischen Nonnen fing mit engelsgleicher Stimme an zu singen, während die deutsche Hospitalera sie auf der Gitarre begleitete. Eine zweite Schwester ging herum und verteilte die Sterne und die letzte Schwester trat zu jedem einzelnen hin, zeichnete ihm ein Kreuz auf die Stirn und sprach einige persönliche Segensworte.

Es fällt mir schwer, die Stimmung in diesem Moment zu beschreiben – der ganze Raum vibrierte vor Liebe und Herzlichkeit, ein Gefühl, das sich mehr und mehr verdichtete.

Ich spürte, wie Tränen in mir aufstiegen. Im Moment, da die Schwester dann an mich herantrat und mir das Kreuzzeichen auf die Stirn malte, konnte ich diese Tränen nicht mehr zurückhalten – alles in mir drängte nach außen und als ich mich im Raum umsah, erkannte ich, dass ich nicht der einzige war, dem diese Segnung naheging. Alle schienen berührt und auf einigen Gesichtern glänzten feuchte Spuren.

Danach hieß es abwaschen und im Anschluss die Lichter löschen. In der Küche sah mich eine der peruanischen Schwestern an, ergriff meine Hand und fragte mich, ob alles in Ordnung sei, doch ich brachte nichts weiter zustande als ein klägliches Nicken. Jedes Wort hätte den Kloß in meinem Hals erneut zum Zerfließen gebracht.

Ich weiß nicht, was an diesem Ort geschah. Allerdings weiß ich, dass er für mich einer der reinsten Orte auf dieser Reise war und dass allein die Erinnerung an die Liebe, die jedem einzelnen von uns dort entgegengebracht wurde, genügte, um mich beim Verfassen dieser Zeilen erneut zum Weinen zu bringen.

Was mehr könnte ich dazu sagen als Danke?

Graukalte Tage voller Wärme

Spanien erlebte in diesen Tagen also, wie die Medien berichteten, den kältesten Mai seit hundert Jahren – und wir mittendrin. Mein Versuch, dem Husten, den ich seit San Bol mit mir herumtrug, mit homöopathischen Behandlungsmethoden beizukommen, zeitigte in jener ersten Nacht in Carrión de los Condes keinerlei Erfolg, sodass ich erneut eine mehr oder minder schlaflose Nacht im Massenschlafsaal verlebte.

Der nebelgraue Himmel verhieß am folgenden Morgen Nieselregen und es war vorhersehbar, dass erneut ein mürrischer Wind über die Meseta striche. Einzig die Aussicht an jenem Morgen die 17 Kilometer bis Calzadilla de las Cuezas, diese lange Durststrecke ohne ein einziges Dorf am Wegesrand, nicht allein, sondern zusammen mit Alma zurücklegen zu dürfen, stimmte mich fröhlich. Nach Kaffee und einem typischen spanischen Frühstück machten wir uns auf den Weg. Unsere gemeinsame Wanderung knüpfte da an, wo wir sie Tage zuvor unterbrochen hatten. Wir unterhielten uns während der kompletten Strecke und erzählten uns Geschichten. Trotz beißenden Windes und wachsender Wanderunlust gelangten wir irgendwann nach Calzadilla de las Cuezas, wo wir in einer Bar einkehrten und ich erst mal einen Tinto de Verano bestellte. Das tat ich tagsüber selten, aber die Etappe, die uns noch sechs Kilometer weiter bis nach Ledigos führen sollte, hatte mich geschlaucht, nicht zuletzt wegen meines Hustens, der einfach nicht besser werden wollte.

Frisch gestärkt wanderten wir auf einer Alternativroute weiter. Diese Routen sind zumeist landschaftlich schöner als der Hauptweg, allerdings oftmals länger, was dazu führte, dass Alma und ich auf beinahe jeder Alternativroute, die wir wählten, allein unterwegs waren – symptomatisch für das Pilgern im Jahr 2010: quadratisch, praktisch, gut. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten, so schien es uns, gab die Sonne ein kurzes Gastspiel und es wurde etwas wärmer, sodass wir die Gelegenheit beim Schopfe packten und unsere müden Glieder unter der Krone einer mächtigen Eiche ausstreckten. Ich war so müde, dass ich einnickte, aber das geschah im Schatten dieses uralten Baumes leicht, denn dort herrschte eine ganz besondere Art von Frieden und Stille.

Als wir in Ledigos ankamen, wusch ich voller Vorfreude auf ein Dasein als wohlriechender Pilger meine Wäsche, sollte es aber wenig später bereuen. Kaum hatte ich die nassen Kleidungsstücke zum Trocknen aufgehängt, zog ein Gewitter herauf, die Sonne wich tiefschwarzen Regenwolken und die Wäsche wurde ins kühle Innere der Herberge verfrachtet. Wir schliefen im Dachgeschoss einer alten Scheune, vermutlich im ehemaligen Taubenschlag, der bei den knapp über Null Grad draußen nur unwesentlich wärmer war. Das bedeutete für die folgenden Tage muffig-feuchte Klamotten in meinem Rucksack – ein wahres Pilgerhighlight.

Während mein Energie-Level in diesen Tagen aufgrund meiner Erkältung ziemlich im Keller war und ich, sobald ich eine Herberge erreicht hatte, stets als erstes schlafen wollte, fühlte Alma sich topfit. So kaufte sie an jenem Tag in Ledigos, während ich meine Siesta hielt, bereits für unser Abendessen ein: Arrocito, wie sie es in ihrem unverwechselbaren kanarischen Akzent nannte – ein „Reischen“ (mit Zwiebeln, Knoblauch, Thunfisch, Artischocken und Tomaten). Draußen gingen noch immer Wolkenbrüche nieder, wir aber machten es uns mit Essen und Rotwein in der winzigen Küche gemütlich und luden noch Georges und Sina zum Abendessen ein.

Georges war ein liebenswerter Franzose Anfang sechzig, den ich bereits zu Beginn meiner Reise kennengelernt hatte und dem ich bis Santiago immer wieder begegnen sollte. Er stammte aus der Bretagne und hatte den Camino vor drei Jahren dort begonnen. Im ersten Jahr war er bis Saint Jean Pied de Port in den französischen Pyrenäen gekommen, hatte den Weg dort im vergangenen Jahr wieder aufgenommen, in Pamplona allerdings einen Herzinfarkt erlitten, weshalb er, nach einem Aufenthalt in einer spanischen Klinik, zurück nach Hause musste, um sich zu erholen.

In diesem Jahr ließ Georges es gemütlicher angehen, lief niemals mehr als zwanzig Kilometer am Tag und passte somit gut zu Alma und mir, die wir den Camino ja ebenso wenig als Wettlauf betrachteten.

Sina war eine Deutsch-Iranerin, die ich einige Tage zuvor angesprochen hatte, weil sie mich an eine kurdische Freundin erinnerte, und ich wissen wollte, ob sie ebenfalls Kurdin sei. Das war sie zwar nicht, dennoch waren wir uns auf Anhieb sympathisch, was, wie wir später herausfanden, nicht zuletzt daran gelegen haben mochte, dass wir beide ähnliche Erfahrungen in deutschen Psychiatrien gemacht hatten.

Zu viert verlebten wir einen lustigen Abend und erzählten uns allerhand amüsante Geschichten, bevor wir leicht angetrunken die knarzenden Treppen zu unserem Taubenschlag hinaufwankten, um uns der verordneten Nachtruhe hinzugeben.

Die nächsten beiden Tagesetappen fielen mit nur siebzehn beziehungsweise elf Kilometern ungewöhnlich kurz aus, was daran lag, dass ich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr konnte. Dennoch wollte ich keinen Ruhetag einlegen, sonst hätte ich die ganze Gruppe an Menschen verloren, die ich mittlerweile so lieb gewonnen hatte. Alma entschied sich dafür, mich zu begleiten. Das war mein Glück, denn sie vermochte mich durch ihre liebevolle Art stets etwas aufzumuntern. Ursprünglich hatten wir nicht vorgehabt, an jenem Tag bereits in Sahagún abzusteigen, als ich aber spürte, dass ich nicht mehr weiterkonnte, suchten wir die Herberge der Benediktinerinnen auf, der einzige Ort im Dorf, der speziell zu sein versprach. Dort empfing uns Alicia, eine Hospitalera um die sechzig, die mit Eulenblick durch ihre übergroßen Brillengläser spähte und während unseres kompletten Aufenthalts wirkte, als sei sie auf Speed. So verpeilt sie auch sein mochte, war sie doch eine Seele von einem Menschen. Schon der Empfang mit heißem Tee, als wir völlig durchgefroren im Refugio ankamen, nahm uns für sie ein. Nach einer Weile – ich hatte meinen Mittagsschlaf bereits hinter mir – erfuhren wir Alicias Geschichte. Sie war nämlich keineswegs als Hospitalera nach Sahagún gekommen, sondern als Pilgerin. Nur hatte Alicia, als sie in der kleinen Stadt ankam, derart geschundene Füße, dass die Nonnen ihr anboten, einige Tage zu bleiben. Im Gegenzug bot Alicia an, die Pilger zu betreuen. Sie mochte schusselig sein, diese Aufgabe jedoch tat ihr gut – denn eine Aufgabe war es, was sie an diesem Punkt ihres Lebens zu brauchen schien: Wenige Monate zuvor war ihr Mann gestorben. Wer weiß, ob sie nicht heute noch allen ankommenden Pilgern zugleich Fußbäder, Tee, Kekse oder dergleichen anbietet und dann die Hälfte wieder vergisst, bis sie zufällig das nächste Mal an einem ihrer Schäfchen vorbeiwuselt.

Den Abend verbrachten Alma und ich erneut mit Georges und Sina. Zu unserem Glück war Georges in der anderen Herberge im Ort abgestiegen. Diese hatte nämlich, im Gegensatz zu unserem eigenen Refugio, eine Küche und so lud Georges uns zum Abendessen zu sich ein. Natürlich zog sich unser Zusammensein nicht besonders lange hin, da Alicia uns bereits vor unserem Aufbruch angekündigt hatte, wer nicht vor zehn zurück sei, müsse draußen schlafen.

Am nächsten Morgen erwartete uns eine böse Überraschung. Zwar wurden wir mit Musik geweckt (das war der angenehme Teil), doch noch bevor ich in meinem Stockbett richtig die Augen aufgeschlagen hatte, hörte ich einige Pilger im Gang schon das Wort nieve murmeln – Schnee. Ich kroch aus meinem Schlafsack, um mich selbst davon zu überzeugen, ob wahr war, was da gemunkelt wurde, blickte aus dem Fenster in den klösterlichen Kreuzgang und Tatsache: Draußen lag mehrere Zentimeter hoch Neuschnee. Wir schrieben den zwölften Mai.

Zum Glück lag unser Tagesziel, Bercianos del Real Camino, nur wenige Kilometer entfernt – und wir fanden uns, bereits bevor die Albergue öffnete, in dem abgeschiedenen Dörfchen inmitten der Meseta ein. Da wir gehört hatten, dass es sich wieder um eine Herberge im Geiste von Grañón handeln sollte, war es nicht schwer gewesen, all unsere Freunde davon zu überzeugen, es an diesem Tage lockerer angehen zu lassen.

In Bercianos traf ich nach zweieinhalb Wochen (eine schier unermessliche Ewigkeit im Pilgerleben) zum ersten Mal wieder auf Jan – allerdings ohne Ljuba. Die beiden wanderten seit Tagen getrennt und es schien gar nicht so leicht, sich mit dem eigensinnigen Ljuba an einem vereinbarten Ort zu treffen. Hatte er nämlich Lust, weiterzulaufen als ausgemacht, tat er es einfach – Verabredung hin oder her. Ich freute mich, Jan zu sehen, wenngleich ich neugieriger darauf war, Ljuba wiederzutreffen, denn mit ihm hatte ich mich mehr unterhalten. Zudem wollte ich sehen, ob seine kühle Hamburger Ghettokind-Haltung sich im Verlaufe des Camino verändert hatte und er inzwischen womöglich imstande war, dem Jakobsweg Erfahrungen abzugewinnen, die er zu Beginn vermisst hatte. Jan wiederzubegegnen, weckte allerdings die Hoffnung in mir, auch Ljuba bald wiederzusehen. Nachdem wir uns für Camino-Verhältnisse gänzlich aus den Augen verloren hatten, hatte ich daran unterdes ernsthaft gezweifelt.

Nach gemeinsamem Kochen und Abendessen gab es in Bercianos in der hauseigenen Kapelle eine kleine Andacht, zu der sogar der junge Dorfpfarrer vorbeikam. Wir Pilger saßen alle in einem großen Kreis und es wurde ein Windlicht von Hand zu Hand weitergereicht. Wer die Kerze in der Hand hielt, durfte mit der Gruppe das teilen, was ihn bewegte, was er für sich als Erkenntnis von diesem Weg mitnehmen würde, weswegen er auf dem Camino sei und dergleichen Gedanken mehr.

Da zunächst Alma, dann Eszter, eine Ungarin, die wir am Abend kennen gelernt hatten, und dann ich sprachen, wurde diese Runde zu einem sehr offenen und persönlichen Austausch. Wir hatten den Anfang gemacht, aus der Tiefe unserer Herzen erzählt, unsere Gefühle geteilt und so taten die anderen es uns nach.

Bereits am Abend zuvor, in der Benediktiner-Herberge in Sahagún, war mir eine Spanierin aufgefallen – ich könnte noch nicht einmal sagen, in welchem Sinne, zunächst wirkte sie auf mich schlicht eigenartig. Sie mochte Ende vierzig sein und ich verstand nicht, ihre Ausstrahlung für mich einzuordnen. Auf mich wirkte sie ziemlich zerstreut und verschlossen. Als Alma etwas verspätet zum Abendessen mit Georges erschienen war, hatte sie eine Andeutung darüber gemacht, dass Milagros, so hieß die Frau, eine harte Geschichte mit sich herumtrage, wollte mir aber nichts weiter darüber erzählen, da sie der Ansicht war, wenn die Spanierin diese Geschichte mit jemandem teilen wollte, müsse sie das selbst entscheiden.

Als Milagros nun in diesem Kreis davon sprach, weshalb sie auf dem Camino war, fiel es den meisten Pilgern schwer, die Tränen zurückzuhalten. Milagros erzählte, dass tags zuvor der erste Jahrestag des Todes ihrer Tochter gewesen sei. Als sie sich in der Herberge in Sahagún mit Alma unterhalten und Alma sie dann umarmt habe, war ihr diese Umarmung in diesem Augenblick so erschienen, als umarme ihre Tochter sie durch Alma hindurch und wolle sie wissen lassen, dass es ihr gut gehe. Dies alles erzählte sie mühsam, mit brechender Stimme und unter Tränen. Von diesem Augenblick an räumte ich Milagros einen besonderen Platz in meinem Herzen ein und wann immer ich ihr begegnete, bekam sie eine Extraportion Liebe und ein Lächeln ab, die ich speziell für sie reservierte.

Noch heute freue ich mich, wenn ich daran denke, dass Milagros, am Tag, als ich sie zum letzten Mal sah, ein glückliches, aufrichtiges Lachen im Gesicht hatte, mich unter ihrem Sonnenhut hervor anblinzelte und mir sagte, dass es ihr besser gehe. Es war heiß an jenem Tag und ich wanderte mit einem guten Gefühl im Bauch weiter – dieses Gefühl bewahre ich bis heute, wenn ich an die Spanierin denke. Für sie, da bin ich mir sicher, war es die richtige Entscheidung, auf den Camino de Santiago zu gehen und ich bin dankbar, dass ich Milagros Schritt, sich gegenüber einer solch großen Gruppe von fremden Menschen zu öffnen, miterleben durfte.

Tags darauf entschloss ich mich, mal wieder eine Etappe alleine zu laufen, die letzte Wanderung durch die Meseta. Da ich bislang nur in Begleitung durch diese kärgliche Landschaft gewandert war, wollte ich zumindest auf den letzten Kilometern die Stille und Einsamkeit kosten, die die kastilische Hochebene auszeichneten. Schon als ich morgens aufbrach – es schien tatsächlich für eine halbe Stunde die Sonne – wusste ich, dass ich an diesem Tag Ljuba wiedertreffen würde, ja, ich wusste sogar wo, nämlich in der ersten Bar nach einem dreizehn Kilometer langen Wegstück ohne die Möglichkeit zu rasten. Genauso kam es auch. Doch obwohl ich mir bereits zuvor so sicher gewesen war, überraschte es mich dann doch, ihn zu sehen. Er befand sich in Gesellschaft von Nico, einem neunzehnjährigen Musiker aus der Fränkischen Schweiz, dessen spärlicher Bartwuchs ihn noch jünger wirken ließ.

Vermutlich, weil ich seit Wochen darüber nachgedacht hatte, ob ich Ljuba, meinen Wegbegleiter der ersten Tage, noch einmal treffen würde, war diese Begegnung eine Enttäuschung für mich. Ich empfand Ljuba als kühl und Nico als uninteressant und kurz nachdem wir gemeinsam aufgebrochen waren, beschloss ich, allein weiterzulaufen – zu dritt zu laufen empfinde ich ohnehin als ausgesprochen schwierig.

Mit Alma, Georges und Sina war ich in Mansilla de las Mulas verabredet. Wir hatten vereinbart, dass wir am Abend gemeinsam kochen wollten – also lud ich Nico und Ljuba dazu ein, zu uns zu stoßen, die beiden lehnten aber mit einem halbseidenen Argument ab: Sie wollten lieber noch fünf Kilometer weiter wandern, weil sie am nächsten Morgen mit dem Taxi nach León fahren und dort früh ankommen wollten. Taxi fahren? Schon das ging mir gegen den Strich. Hallo? War das eine Pilgerreise oder eine Vergnügungsfahrt? Noch weniger nachvollziehbar war es für mich allerdings, weswegen sie, wenn sie ohnehin gegen den Ehrenkodex der Pilger verstoßen wollten, nicht fünf Kilometer weiter mit dem Taxi fuhren und mit uns gemeinsam zu Abend aßen – vor allem da ich ihnen erzählt hatte, dass auch Jan käme, mit dem sie eigentlich schon Tage zuvor verabredet gewesen waren. Aber Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten.

Ohnehin kam an diesem Tag alles anders als geplant. Von meinen Freunden tauchte außer Georges und Jan niemand auf (leider habe ich Sina auch später nicht wiedergetroffen). Als es Nachmittag wurde, beschloss ich, eben ohne die anderen ein gemeinsames Essen im Refugio zu organisieren. Dazu trommelte ich eine Gruppe von zwölf Pilgern aus aller Herren Länder zusammen, für die ich einen riesigen Pott Spaghetti Bolognese zubereitete. Dazu gab es Salat und jede Menge Wein. Natürlich lud ich Milagros zum Essen ein, aber auch John, einen 67-jährigen Engländer, der mir bereits seit Belorado, also noch vor Burgos, immer wieder begegnet war, Tomas, einen jungen Franzosen, der auf der Gitarre in der Albergue immer wieder die zwei gleichen Lieder spielte, Abraham, einen Spanier aus Cádiz, Björn, einen Enddreißiger aus Hamburg, Juan, einen Katalanen, der sein ganzes Leben in Deutschland verbracht hatte und noch ein paar andere.

Es machte mir einen Heidenspaß für die ganze Truppe zu kochen, auch wenn es sich als Kampf erwies, einen Platz am Herd zu ergattern – ein Kampf, den ich zunächst gegen eine Gruppe von sechs Koreanern verlor und dessen Regeln ich erst zu begreifen begann, als sich auch die nächste Truppe vorgedrängelt hatte. Letzten Endes setzte ich mich durch – und da es in dieser Herberge keine festgelegte Schlafenszeit gab, wurde es tatsächlich einmal spät. Es dürfte sogar nach elf gewesen sein.

Party-Pilger

Am folgenden Tag brach ich nach einer kurzen Nacht und mit Restalkohol im Blut gemeinsam mit Björn nach León, der letzten größeren Stadt vor Santiago de Compostela, auf. Als wir mittags dort ankamen, wusste ich nicht recht, ob ich dortbleiben oder lieber zum nächsten Ort weiterwandern sollte. Einerseits hielt sich meine Lust auf Stadt auf dem Camino allgemein in Grenzen, andererseits wusste ich, dass mich bis Santiago nur noch Dörfer erwarteten. Letztlich entschied ich mich dafür, zunächst mit Björn eine Kleinigkeit zu essen – und zwar eine Tapa Morcilla, spanische Blutwurst, und es mir währenddessen zu überlegen. Selten war ich so unentschlossen wie an jenem Tag, meine Entschlussunfreudigkeit ging sogar soweit, dass ich letzten Endes eine Münze warf. Die Münze entschied, dass ich bleiben sollte, also stieg ich in der riesigen Klosterherberge im Stadtzentrum ab. Nach klösterlicher Manier wurde mir ein Bett in einem reinen Männerschlafsaal zugeteilt. In dem Saal fanden vielleicht achtzig Mann Platz, und zwar in Stockbetten, die stets zu Vierergruppen zusammengeschoben waren. Der Gipfel von mangelnder Privatsphäre, denn du lagst somit mit jemanden in einer Art Doppelbett zusammen, den du noch nicht einmal kanntest. Ich bin in dieser Hinsicht nicht überempfindlich, aber das überschritt meine Toleranzgrenzen.

Gesundheitlich fühlte ich mich in León endlich wieder fitter und so zog ich nachmittags umher und schaute mir die Stadt an – bis ich irgendwann auf Jan stieß, der allerdings in der zweiten Albergue etwas außerhalb der Altstadt abgestiegen war. Gut für ihn, denn die Herberge lag zwar ein Stück entfernt, dafür gab es keine Sperrzeit, wohingegen die Klosterherberge bereits um halb zehn ihre Pforten schloss. Ideale Voraussetzungen, um das Nachtleben Leóns zu erkunden.

Direkt vor der Kloster-Albergue lag ein weitläufiger Platz, der von der Abendsonne beschienen wurde, und so nutzten Jan und ich die Gunst der Stunde, bestellten uns in einer kleinen Bar eine Flasche Wein und ließen uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Ringsumher saßen Pilger, die es uns gleichtaten. Wir alle konnten unser Glück nach der wochenlangen Kälte kaum fassen: stahlblauer Himmel und ein Abend, der sich nach Frühling anfühlte. Kein Wunder, dass es nicht bei unserer ersten Flasche Wein blieb! Bis zum Ablauf meiner Gnadenfrist um halb zehn hatten Jan und ich drei Flaschen geleert.

Betrunken, wie ich war, torkelte ich mit all den anderen Pilgern zu einer kleinen Abendandacht in der Klosterkapelle, die mir allerdings nur schwummrig im Gedächtnis geblieben ist. Danach legte ich mich ins Bett des Herrenschlafsaals und die schrecklichste Nacht meines Camino nahm ihren Lauf.

Habe ich eigentlich schon erzählt, dass Spanier ausgesprochen furchtsame, ja geradezu scheue Wesen sind? Natürlich kann ich diese Behauptung nicht auf alle Spanier ausdehnen – so ist es mit Sicherheit kein Problem, auf der Flucht vor freigelassenen Stieren durch die Straßen Pamplonas zu hetzen – fest steht dies aber in Bezug auf Luft. Dies hatte ich bereits in der ersten Woche herausgefunden, damals, als es auf dem Camino zuletzt heiß gewesen war und ich mich, in teutonischer Unbedarftheit, nach einem offenen Fenster im Zwanzigpersonen-Schlafsaal gesehnt hatte. Jung und schamlos leichtgläubig hatte ich gar den Versuch unternommen, ein solches Fenster zu öffnen – leider war meinem Wagemut jedoch nie mehr als ein zweiminütiger Erfolg beschieden, schon hatte ein übereifriger Erkältungsverhüter das Fenster, vermutlich aus Angst davor, Erfrierungen davonzutragen, wieder geschlossen. Spätestens, als mir das den dritten Abend in Folge passiert war, gab ich auf.

Vom Weine berauscht schlief ich in jener Nacht in León zwar zügig ein, erwachte jedoch trotz Ohrenstöpseln vom gigantischen Schnarchkonzert in jenem halbdunklen Männerschlafsaal. Meine Güte.

Mir war übel; mein Blutdruck war im Keller. Ich beschloss, zunächst einmal den Gang zur Toilette anzutreten. Wirklich elend wurde mir indes erst, als ich den Schlafsaal wieder betrat – denn erst da nahm ich wahr, dass es an die sechzig Grad hatte und roch wie im Raubtierhaus. Ich trat kurz vor die Tür und betrachtete verzweifelt den Sternenhimmel, beschloss dann aber, die verbleibenden Stunden nicht auf einem Holzstuhl unter freiem Himmel zu verbringen. Also, zurück in die suppig-warme Achselhölle.

Nach einer halben Stunde, die ich damit verbracht hatte, meinen Würgereiz zu unterdrücken, der dadurch verstärkt wurde, dass mein Blick nahezu schwarzmagisch von der halb entblößten Arschritze des neben mir transpirierenden Pilgers angezogen wurde, stand ich erneut auf, trank einen Schluck Schwedenkräuter, nahm eine Kreislauftablette und setzte mich doch auf jenen Holzstuhl unter freiem Himmel. Ich vermisste das Gefühl von Sauerstoff in meinen Lungen und musste den Ekel in mir niederringen. Nachdem ich mich eine Zeit lang bei Gott über den übelriechenden Pilgerlimbus beklagt und mich gebührend selbst bemitleidet hatte, wagte ich einen neuerlichen Schlafversuch, der mehr oder minder erfolgreich war. Zumindest war die Nacht irgendwann vorbei. Nie wieder Männerschlafsaal, so schwor ich mir.

Direkt nach dem Aufstehen musste ich trotz dieser beschissenen Nacht erst mal herzlich lachen. Das lag daran, dass mein Blick auf Dirks Gesicht fiel. Dirk war ein beinahe zwei Meter großer, spindeldürrer Fürther, der im Stockbett über mir geschlafen hatte. Seine Miene brachte ohne ein einziges Wort all das zum Ausdruck, was mir in dieser Nacht durch den Kopf gegangen war. Selten in meinem Leben hatte ich erlebt, dass jemandes Gesichtsausdruck miese Laune so prägnant auf einen Punkt brachte. Das fand ich derart sympathisch, dass wir an jenem Morgen gemeinsam loszogen.

Nachdem wir durch ein kilometerlanges Industriegebiet León verlassen hatten, was dank der ausgesprochen geistreichen Unterhaltung, die mir mit Dirk zu führen vergönnt war, recht schnell ging, legten wir eine Frühstückspause ein, bei der uns ein Spanier am liebsten das letzte Hemd vom Leib gezogen hätte, so unverschämte Preise verlangte er. Ich bestellte ein Schokocroissant und biss mir einen halben Schneidezahn aus – eine alte Kriegsverletzung, die ich mir mit zehn Jahren beim Fangenspielen in der Schule zugezogen hatte. Nichts gänzlich Neues also, aber nervig war es dennoch. Ich entschied mich allerdings dafür, meine neu gewonnene Zahnlücke als Lektion gegen Eitelkeit zu verstehen. Was blieb mir auch anderes übrig, als es positiv zu betrachten? Schließlich hatte ich die letzte größere Stadt vor Santiago eben hinter mir gelassen und zurückzugehen kam nicht in Frage.

Als wir León schließlich hinter uns gelassen und ich akzeptiert hatte, dass ich jetzt mit einem halben Schneidzahn weitermarschieren musste, konnte ich die verbleibende Etappe nach Villar de Mazarife genießen. Es handelte sich nämlich um die schönste Wegstrecke seit Langem. Vor uns lagen die schneebedeckten Montes de León, deren Gipfel sich vor dem dunkelblauen, wolkenlosen Himmel abzeichneten. Der Camino führte uns über weitläufige, von blühenden Frühlingswiesen überwucherte Hügel und in der Luft lag der würzige Geruch von Wiesenkräutern.

Hinzu kam eines der intellektuell anregenderen Gespräche, die ich auf dem Jakobsweg führte – Dirk wusste allerlei über Politik und Geschichte zu erzählen, vor allem über Gebiete wie Tempelritter, britische Monarchen-Fehden der frühen Neuzeit, Klüngeleien und Intrigen des Borgia-Clans und dergleichen mehr, sodass die Zeit wie im Fluge verging.

Die Geschichte, weshalb er sich auf dem Camino befand, hatte ich bereits am Tag zuvor mitbekommen. Da hatte er sich mir nämlich ungefähr mit den Worten, „Du hast bestimmt schon von mir gehört, ich bin der verrückte Pilger, über den der ganze Camino spricht“, vorgestellt. Auf mein ahnungsloses Achselzucken hin, hatte er mir von der Camino-Gerüchteküche berichtet. Die allerdings kannte ich selbst allzu gut, war mir doch immer wieder zugetragen worden, dass für Alma und mich bereits fleißig die Hochzeitsglocken geläutet wurden. Schließlich galten wir als Traumpaar des Caminos. Dirk jedenfalls hatte seine Geschichte einem Hospitalero erzählt und seither pfiffen sie die Vögel von den Dächern: Er hatte sich auf den Weg gemacht, weil er seine Freundin nach seiner Rückkehr mit einem Heiratsantrag überraschen wollte. Zuvor allerdings, hatte er sich überlegt, wollte er erst mal herausfinden, ob er einer solchen Herausforderung wie der Ehe überhaupt gewachsen sei. Seine Antwort lautete: „Wenn ich 800 Kilometer zu Fuß durch Spanien laufen kann, dann kann ich auch die Verantwortung für eine Familie übernehmen.“

In Villar de Mazarife trennten sich Dirks und meine Wege, weil wir uns für unterschiedliche Herbergen entschieden hatten. Ich stieg in der Albergue de Jesús ab; eine gute Entscheidung, denn die Herberge wurde von netten Hospitaleros geführt, verfügte über einen großen Garten und eine hauseigene Bar – letzteres sollte sich an diesem Sonntag noch als bedeutsam erweisen.

In der Herberge begegnete ich als erstes Ljuba und Nico, die hier einen Ruhetag einlegten, da Nico tags zuvor von einer Darmgrippe gebeutelt worden war. Er war noch immer etwas blass um die Nase und ernährte sich von Brotkrumen. Ljuba und ich hingegen beschlossen zu kochen und ich lud noch Pedro dazu ein, einen Brasilianer, den ich für mich nur den Stylo-Pilgrim nannte – war er doch mit Ray-Ban-Sonnenbrille und Calvin-Klein-Unterhosen auf dem Camino unterwegs und trat somit aus dem joggingbeanzugten Durchschnittspilger-Einerlei hervor.

Es war zwar Sonntag, doch der Herbergsvater versicherte uns, dass wir im Dorf dennoch Lebensmittel einkaufen könnten, wenn wir nur neben dem kleinen Laden an die Türe der Señora klopften – sie wäre stets gern bereit, den Pilgern auch am Sonntag etwas zu verkaufen. Das freute uns natürlich. Wir machten uns auf den Weg, um vor Ort festzustellen, dass uns leider niemand aufmachte. Die Erklärung folgte später – von mehreren aufgeregten Dorfbewohnern erfuhren wir, dass die Señora an eben diesem Sonntag zur Kommunion ihrer Nichte eingeladen sei und deswegen bedauerlicherweise nichts verkaufen konnte.

Also hieß es improvisieren: Ich kochte aus allem, was frühere Pilger in der Küche zurückgelassen hatten und aus den spärlichen Vorräten, die Ljuba, Pedro und ich noch in unseren Rucksäcken fanden, einen Linseneintopf, der sich sehen lassen konnte. Pedro war es, der zum Mittagessen die erste Flasche Rotwein auf den Tisch stellte (ich bin noch heute der felsenfesten Überzeugung, dass der günstige Preis pro Flasche in der herbergseigenen Bar uns zum Verhängnis wurde). Mein schwacher Versuch mich nach all dem Wein des Vorabends gegen ein neuerliches Besäufnis zu wehren, scheiterte kläglich und bereits als Pedro die zweite Flasche kaufte, war ich erneut in weinseliger Stimmung.

Welch spaßiger Sonntag! Im Laufe dieses sonnigen Frühlingsnachmittags vernichteten wir im Garten der Albergue de Jesús acht Flaschen Wein, wobei Ljuba, Pedro und ich zugegebenermaßen die Protagonisten dieses Pilgergelages waren. Wie nicht anders zu erwarten, entwickelte sich rasch eine gelöste Stimmung und so sprach ich mit Ljuba auch darüber, dass ich ihn als recht kühl empfunden hatte, als wir uns wieder getroffen hatten und dass ich mich für ihn gefreut hätte, hätte er es geschafft, sich für die spirituelle Seite des Caminos zu öffnen. Ich berichtete ihm von meinen eigenen Erfahrungen auf dem Weg und erhielt unerwartet Rückendeckung von Pedro, der seine Erlebnisse zu dieser Unterhaltung beisteuerte – Geschichten, die mich überraschten und die ich dem Stylo-Pilgrim nicht zugetraut hätte. Denn auch er befand sich auf einer spirituellen Suche und hatte auf dem Camino ausgesprochen interessante Erfahrungen gemacht. Don’t judge a book by its cover.

Im Laufe des Nachmittags gesellten sich immer mehr Menschen zu uns – unter anderem Georges, Eszter und Milagros – nur Alma fehlte. Wie immer, wenn ich jemandem auf dem Camino aus den Augen verlor, hatte ich keine Ahnung, wo sie sich befand – nur einige Kilometer entfernt oder mehrere Tagesetappen, vor mir oder hinter mir, ging es ihr gut oder schlecht, würde ich sie wiedersehen oder nicht – all das Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.

Unsere Pilgerparty zog sich bis kurz vor Mitternacht, dann legte ich mich ins Bett und schlief den Schlaf der Gerechten, der mir nach der Albtraumnacht im Männerschlafsaal wahrlich vergönnt war. Ich hatte das Glück, dass ich mir mit Pedro ein Zimmer teilen durfte, das hieß Schnarcherchöre blieben mir in dieser Nacht erspart. Am kommenden Morgen schliefen wir aus und standen erst um kurz vor acht auf – weder Stylo-Pilgrim Pedro noch ich hatten es besonders eilig, mit Restalkohol im Blut aus den Federn zu kommen.

Pedro, der Sohn reicher brasilianischer Eltern, studierte seit mehreren Jahren in Wiesbaden und sprach ausgezeichnet deutsch. Monatelang hatte er sich auf den Camino de Santiago vorbereitet, mehrmals wöchentlich im Fitnessstudio trainiert und dennoch war seine Lektion auf diesem Weg augenscheinlich, dass es keine Möglichkeit gab, den Pilgerweg zu erzwingen. Väterlicherseits hatte Pedro nämlich Knieprobleme geerbt und schon die Strecke von Burgos nach León hatte er gezwungenermaßen mit dem Bus zurücklegen müssen – nun hatte er den Kampf ab León noch einmal aufnehmen wollen, jedoch bereits nach der ersten Tagesetappe erkennen müssen, dass er nicht zu Fuß nach Santiago gelangen würde. Seine Knie schmerzten fürchterlich und er kam nur langsam voran.

An jenem Morgen entschloss ich mich dazu, Pedro einige Stunden zu begleiten, da ich noch immer den Wunsch in mir trug, mich dem Tempo langsamerer Pilger anzupassen, um mich auf diese spezielle Weise auf meine Mitmenschen einzulassen. So pilgerten der Brasilianer und ich in gemütlichem Tempo die Landstraße von Villar de Mazarife nach Villavente entlang, bis uns nach einiger Zeit Ljuba und Nico einholten, die offenbar noch später als wir aufgebrochen waren. Nico war noch immer etwas blass um die Nase, fühlte sich aber fit genug, den Camino wieder aufzunehmen. Ich denke, dass ihm die Herzlichkeit und Fürsorge der Herbergseltern in Villar de Mazarife sehr gutgetan und dabei geholfen hatten, seine Darmgrippe zu überwinden. Denn bei welcher Krankheit wünschte man sich ähnlich verzweifelt einen Rückzugsort wie in diesem Fall? Die beiden Hospitaleros aber hatten sich rührend um ihn gekümmert, ihn mit Tee versorgt und ihn direkt neben einer Toilette in einem Einzelzimmer einquartiert, sodass er sich einigermaßen sicher fühlen und erholen konnte.

Während unseres Gesprächs fragte ich Pedro, ob die verschiedenen Tätowierungen auf seinem Oberkörper eine Bedeutung hätten. Ich freute mich zu hören, dass die Antwort auf diese Frage Ja war. Seine Tätowierungen hatten sogar alle Bedeutungen, erklärte er mir. Die beiden Bänder, die seinen Oberarm zierten, sollten das mathematische Ist-gleich-Zeichen darstellen. Damit wollte Pedro sich daran erinnern, dass alles, was er im Leben tat, Konsequenzen haben würde und er sich vor seinen Handlungen also dieser Konsequenzen bewusst werden sollte. Auf seiner Brust trug er ein Kreuz, nicht aufgrund christlicher Religiosität, sondern vielmehr als Sinnbild dafür, dass ohne Schmerzen kein Preis zu erringen sei. Ich musste spontan an einen Spruch denken, der mir in diesen Tagen immer wieder durch den Kopf ging: Per aspera ad astra.

Nur wer Schwierigkeiten in Kauf nahm, würde eines Tages zu den Sternen gelangen – ein Bild, das sich perfekt auf den Camino anwenden ließ und dieser Camino war für mich bereits seit meiner ersten Pilgerreise zehn Jahre zuvor nichts weiter als ein Abbild des Lebens im Kleinen gewesen.

Per aspera ad astra.

Blieb noch eine letzte Tätowierung – ein Tribal auf Pedros Oberarm, das sich über sein rechtes Schulterblatt zog. Das hatte er sich tätowieren lassen, als er volljährig wurde. Auch dieser Gedanke gefiel mir gut, hatte ich mir doch erst kurz zuvor Gedanken darüber gemacht, dass eine Initiation ins Erwachsenenleben in unserer Gesellschaft gänzlich fehlte – also eine Initiation in dem Sinne, dass der junge Erwachsene sich selbst in einer schwierigen Situation bewähren muss, wie es bei manchen Naturvölkern üblich ist, die ihre Nachkommenschaft auf Gedeih und Verderb in die Wildnis schicken, wo sie ihre Überlebensfähigkeit beweisen muss, bevor sie in den Stammeskreis aufgenommen wird. In unserer westlichen Zivilisation besteht dieses Aufnahme-Ritual darin, dem Sprössling je nach finanziellen Möglichkeiten entweder Führerschein oder erstes Auto zu sponsern. Bedarf es weiterer Ausführungen?

Nach einer gemeinsamen Kaffeepause in einer kleinen Bar in Villavente setzte ich meinen Weg mit Nico fort und stellte zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage fest, dass ich mich nicht zu sehr auf den äußeren Schein verlassen sollte – zwar war mir Nico nicht unsympathisch gewesen, ich musste allerdings innerhalb kürzester Zeit einräumen, dass ich ihn aufgrund seines jugendlichen Aussehens unterschätzt hatte. Wir vertrieben uns die nächsten Wegesstunden mit einem Gespräch, das mich überraschte und amüsierte – Nico erwies sich als ausgesprochen hinterfragter und klarsichtiger Gesprächspartner – und stiegen am Nachmittag gemeinsam in der Albergue eines kleinen Dorfes namens Santibáñez de Valdeiglesias ab, wohingegen Ljuba endlich die Ankündigung wahrmachte, die er mir gegenüber bereits ganz am Anfang des Camino ausgesprochen hatte: Er wanderte allein weiter, um einige Tage die Erfahrung des Einzelreisenden zu machen. Nico, mit dem er seit Wochen unterwegs war, war wohl nicht weniger überrascht als ich.

Sorgen

Nach unserem Aufbruch am nächsten Morgen wanderten Nico und ich gemeinsam in Richtung Astorga. Astorga ist ein kleines Städtchen in Castilla y León, dessen Hauptattraktion ein von Antoni Gaudí erbauter Bischofspalast ist. Das Wetter war unterdessen beinahe wieder zu heiß, aber nach all der Kälte wagte kein Pilger sich so recht zu beklagen. Mir jedenfalls war es lieber zu schwitzen als zu frieren. Der morgendlichen Laune waren der Sonnenschein und die schöne, hügelige Landschaft auf jeden Fall zuträglich. Das Highlight an diesem Vormittag aber war Davids Frühstücksstand. David, ein junger Katalane, der aussah wie ein moderner Hippie-Jesus, lebte in einer halb verfallenen Scheune am Wegesrand. Vor der Scheune hatte er einen Stand aufgebaut, an dem er die vorbeiwandernden Pilger mit Frühstück auf Spendenbasis versorgte. Welch ein Frühstück aber: Bio-Säfte, Bio-Kaffee mit Milchsorten aller Art (von Kuhmilch über Reis-, Soja-, Hafer- bis hin zu Mandelmilch), Bio-Gebäck, jede Menge frisches Obst und Tee.

Für ernährungsbewusste Mitteleuropäer (Nico beispielsweise war Vegetarier) ein Traum im diesbezüglich weitgehend ignoranten Spanien. Hinzu kam Davids warmherzige Ausstrahlung, die den schlichten Ort in eine kleine Oase der Ruhe verwandelte. Auf meine Frage, wie lange er vorhabe, diesen Stand zu betreiben, meinte er, für den Rest seines Lebens. Er fühle sich berufen, den Menschen zu dienen. Respekt: Leben in einer halbverfallenen Scheune, mutterseelenallein, nur um den Pilgern auf dem Camino einen Rastplatz zu bieten – gewiss nicht jedermanns Sache.

Frisch gestärkt zogen Nico und ich dann weiter nach Astorga. Die Sonne brannte mittlerweile erbarmungslos und der Schweiß rann uns den Rücken hinab. Allerdings hatte ich Astorga als beschauliches Städtchen in Erinnerung, in dem wir gewiss einen hübschen Ort für eine Rast fänden. Gemeinhin mochte Astorga als beschaulich gelten, nicht jedoch dienstags, denn dienstags, so erklärte mir ein verhutzelter alter Mann auf Nachfrage, war Markttag. Das bedeutete, die Stadt war brechend voll und uns blieb nichts anderes als uns vollbepackt mit Rucksäcken auf dem Rücken und Pilgerstab in der Hand durch die verstopften Gassen von Astorgas Altstadt zu schieben. Wir beschlossen, unsere Rast zu verschieben und außerhalb der Stadt eine Pause einzulegen. Unser Ziel an diesem Tag war El Ganso, ein verschlafenes Dörfchen dreizehn Kilometer hinter Astorga, dessen Herberge im Pilgerführer vielversprechend beschrieben war.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739494456
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Kanada Camino de Santiago Iran Georgien Reisen als Homosexueller Armenien Selbstfindung Tagebuch Indien Gesellschaftskritik

Autor

  • Elyseo da Silva (Autor:in)

Elyseo da Silva, Jahrgang 1976, richtete sein Leben seit Ende der Schullaufbahn auf ein einziges Ziel hin aus: das Schreiben.

Vielfältige Lebenskonzepte ermöglichten ihm über Jahre hinweg, seine Inspiration auf Reisen zu suchen. "Paincakes und andere Kuriositäten" gewährt dem Leser Einblick in diese "Wanderjahre".

Im Jahre 2016 veröffentlichte Elyseo da Silva seinen Debüt-Roman "Mosaik der verlorenen Zeit".

Derzeit lebt und schreibt er in Lissabon.

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Titel: Paincakes und andere Kuriositäten