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Tränen auf deinen Wangen

von Kerry Greine (Autor:in) Ben Bertram (Autor:in)
210 Seiten

Zusammenfassung

Werden Sternschnuppen, die ins Meer fallen, zu Seesternen? Zwei Jahre ist die Kreuzfahrt her, auf der Malin und Noah sich kennenlernten. Ihre Liebe ist scheint perfekt und ihr Traum geht in Erfüllung, als sie erfahren, dass Malin schwanger ist und sie bald eine richtige Familie sein werden. Dann geschieht ein Unglück, das beide an die Grenzen ihrer Kraft treibt. Malin und Noah erkennen nicht, wie dieser Schicksalsschlag sie immer weiter voneinander entfernt, bis sie sich und ihre Liebe verloren haben. Doch so einfach können sie nicht aufgeben. Werden die beiden es schaffen, einen Weg zurück zu finden und ihre Liebe neu zu entdecken?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einladung

„Malin, meinst du nicht, dass wir langsam genug haben?“ Noah legte seine Hand auf meinen Arm und deutete mit dem Kopf auf unseren Einkaufswagen. Na gut, er hatte recht. Es war nicht gerade wenig, was sich bereits darin befand, und doch hatte ich noch etwas entdeckt.

„Ach bitte, das Schweinefilet sieht so gut aus. Stell dir mal vor, schön mariniert mit Knoblauch. Was meinst du, wie lecker das wird! Wir wollen unseren Eltern ja nicht einfach nur Bratwurst vorsetzen. Das morgen soll ein ganz besonderer Grillabend werden.“ Seufzend zuckte Noah mit den Schultern.

„Ja, okay. Hast du auch wieder recht. Dann mach mal, zur Not frieren wir den Rest halt ein.“

„Falls denn etwas übrig bleibt. Wenn ich das hier so sehe, bekomme ich jetzt schon Hunger.“ Noah lachte auf und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Du hast doch im Moment immer Hunger! Okay, während du noch ein wenig Fleisch besorgst, hole ich schon mal ein paar Grillsoßen.“

Noah ging los, verschwand in einem der Gänge des Supermarktes, und ich drehte mich wieder zu der netten Fleischverkäuferin um, die während unseres kleinen Gespräches geduldig gewartet hatte.

„Gut, dann nehme ich noch dieses Stück Schweinefilet.“

„Das ganze? Oder soll ich es gleich in Medaillons aufschneiden?“

„Nein, gern am Stück.“ Kurz schaute ich über die Schulter, ob Noah bereits zurückkehrte, aber er war nicht zu sehen, daher nutzte ich die Gunst der Stunde. „Das Holzfällersteak sieht klasse aus. Geben Sie mir davon bitte auch noch zwei, ja?“ Grinsend packte die Verkäuferin zwei der großen Fleischstücke in ein Papier und legte es auf die Waage.

„Darf es sonst etwas sein?“, fragte sie, dann schaute sie an mir vorbei. Ihrem Blick nach war Noah gerade hinter mir aufgetaucht, und da er vermutlich bereits mithörte, lehnte ich dankend ab.

Während die Verkäuferin unsere diversen Fleischpäckchen in eine große Tüte packte und den Preisbon ausdruckte, legte Noah seine Arme von hinten um meine Taille und zog mich kurz an sich. Dann nahm er die Tüte entgegen und legte sie in unseren Einkaufswagen. Nachdenklich schaute ich auf unsere Einkäufe hinab und überlegte, ob wir auch nichts vergessen hatten.

„Wir brauchen noch Schokolade und Sahne.“

Verwirrt sah Noah mich an.

„Zum Grillen? Was hast du denn vor?“

„Zum Nachtisch natürlich! Ich wollte eine Mousse au Chocolat machen – die mag dein Papa doch so gern.“

„Malin, wir sind morgen vier Personen und haben geschätzte drei Kilo Fleisch hier. Dazu hast du zwei Salate, Ofenkartoffeln und Brot geplant – meinst du nicht, wir werden alle mehr als satt davon?“

Irgendwie wirkte Noah ein bisschen verzweifelt, aber ich wollte unseren Eltern morgen etwas bieten. Wir hatten was zu feiern und darum sollte es ein ganz besonderes Essen geben. Gespielt schmollend schob ich die Unterlippe ein wenig vor und plinkerte Noah bettelnd an. „Ach bitte!“, flehte ich und konnte innerhalb von Sekunden beobachten, wie er weich wurde.

„Okay, auf zum Kühlregal, Sahne holen.“ Seufzend gab er auf. Ich reckte mich auf die Zehenspitzen, legte meine Arme um seinen Hals und küsste ihn zärtlich.

Knapp zwei Jahre war es mittlerweile her, dass wir uns auf der Kreuzfahrt kennengelernt und ineinander verliebt hatten. Inzwischen waren wir verheiratet und ich war so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Auch nach fast zwei Jahren kribbelte es in meinem Bauch, sobald ich Noah nur anschaute. Wenn er mich küsste, dauerte es nur Sekunden und ich würde ihn am liebsten ins Bett schleppen. In seinen Armen zu liegen, war der schönste Platz, den ich mir vorstellen konnte. Noah war mein Traummann, ich liebte ihn abgöttisch, und ich wusste, er liebte mich ebenso sehr.

„Wo haben wir denn die Luftballons gelassen? Und die Girlanden?“ Verzweifelt durchwühlte ich den Schrank im Wohnzimmer. Ich war der festen Überzeugung, sie vor ein paar Tagen noch hier gesehen zu haben.

„Noah? Hilf mir bitte mal!“, rief ich nach meinem Mann.

„Was ist denn? Was suchst du?“ Er war in der Tür zum Garten aufgetaucht und kam zu mir herüber.

„Na, die Luftballons und die Girlanden, sagte ich doch gerade“, antwortete ich genervt.

„Ich war im Garten, mein Engel, ich hab dich nicht gehört. Außerdem hab ich die Sachen längst. Du wolltest dich um das Essen kümmern und ich sollte draußen aufbauen. Entspann dich! Wir sind gut im Zeitplan. Wenn unsere Eltern kommen, wird alles fertig sein.“ Noah legte seine Hände auf meine Schultern und massierte mir den Nacken. Wohlig seufzend senkte ich den Kopf nach vorn, um ihm mehr Raum zu geben.

„Bist du denn so weit durch mit den Vorbereitungen? Oder soll ich dir noch helfen?“, fragte er, während er meine verspannten Schultern lockerte.

„Nein, ich bin fertig. Deshalb wollte ich jetzt die Terrasse schmücken.“

„Das habe ich doch längst. Komm mit, schau es dir an, ob es dir so gefällt.“

Er nahm mich bei der Hand und zog mich durch die Terrassentür in den Garten. Kaum draußen blieb ich staunend stehen. Ich wusste ja, ich hatte den besten Mann der Welt, aber diesmal hatte er sich wirklich selbst übertroffen.

Auf dem Teakholztisch lag in der Mitte eine helllila Tischdecke, Teelichter in kleinen Gläsern waren dekorativ darauf verteilt. Die Tafel war komplett eingedeckt, sogar an Servietten und Weingläser hatte Noah gedacht.

Der Grill stand an der Ecke der Terrasse, fertig vorbereitet, die Holzkohle musste nur noch angezündet werden.

An den Holzpfeilern der Überdachung hatte er die bunten Luftballons und Girlanden angebracht und unter dem Glasdach war ein Lichternetz gespannt. Im Moment schien noch die Sonne, aber später, wenn es dunkel werden würde, würden die unzähligen Lichterchen über uns wie ein Sternenhimmel funkeln. Es sah wunderschön aus!

Gerührt drehte ich mich zu meinem Mann um und legte meine Arme um seine Taille.

„Das hast du ganz großartig gemacht!“, flüsterte ich und gab ihm einen liebevollen Kuss. Dann lehnte ich meine Wange an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Ich schloss die Augen und genoss wie so oft dieses Gefühl der Wärme, das mich immer wieder dabei durchströmte, die Liebe, die mein Herz fast zum Platzen brachte, die Nähe, die nur er mir so geben konnte.

Ein Räuspern ließ mich die Augen öffnen.

„Äh, sind wir zu früh?“, fragte Dieter. Er und meine Ma waren durch die Gartenpforte direkt nach hinten durchgekommen.

„Wir haben geklingelt, aber ihr habt uns wohl nicht gehört.“

„Nein, das stimmt.“ Ich war so in unserer Zweisamkeit versunken, dass ich meine Umgebung nicht mehr wahrgenommen hatte.

„Oh …!“ Mit großen Augen schaute meine Ma sich um. „Das habt ihr aber toll hergerichtet! Und der Tisch … Nein, es ist ja schon eher eine Tafel! So festlich! Wie kommt das denn? Gibt es etwas zu feiern?“

Dieter gab ihr einen Schubs mit der Schulter. „Nicht so neugierig, mein Pummelchen.“

Ein wenig schmollend verzog meine Ma den Mund. „Ich frag doch nur.“

„Setzt euch erst mal. Schön, dass ihr da seid. Was mögt ihr trinken? Ein Gläschen Sekt vielleicht?“, fragte Noah und deutete auf die Flasche, die bereits in einem Kühler bereitstand.

„Siehst du, Dieter. Es gibt wohl doch was zu feiern. Oder warum, meinst du, gibt es Sekt zum Grillen?“ Diesmal war meine Ma es, die Dieter mit der Schulter anschubste. Es war schön, die beiden zu beobachten und ihre liebevollen Plänkeleien zu sehen. Die Blicke, die sie einander zuwarfen, sprachen Bände. Auch sie waren nach zwei Jahren Ehe noch genauso verliebt ineinander wie Noah und ich.

„Ich komme gleich wieder“, sagte Noah, nachdem unsere Eltern sich für den Sekt entschieden hatten, und verschwand mit der Flasche im Haus, während wir Platz nahmen.

Mit vier gefüllten Gläsern und der Flasche auf einem Tablett kehrte er kurz darauf zurück. Nachdem er das Tablett abgestellt hatte, drückte er jedem eins der Sektgläser in die Hand. Als er mir meins übergab, zwinkerte er mir verschwörerisch zu. Ich wusste, was das bedeutete: Meiner war alkoholfrei. Deshalb war er auch im Haus verschwunden und hatte nicht hier eingeschenkt. Unsere Eltern wären sofort darüber gefallen, wenn ich nicht mit ihnen angestoßen hätte.

„Okay, jetzt verratet uns aber mal, was es heute zu feiern gibt!“ Dieter schaute uns auffordernd an und Noah lachte auf.

„Wie kommt ihr denn darauf, dass es etwas zu feiern geben könnte? Wir wollten nur mal wieder einen netten Abend mit euch verbringen. Und da das Wetter jetzt Anfang Mai so schön ist, dachten wir, ihr würdet euch freuen, zu grillen.“

„Ach, so ein Quatsch! Das kannst du uns doch nicht erzählen!“, protestierte meine Ma. „Los, raus mit der Sprache.“

Allmählich musste ich mir ernsthaft verbeißen, laut loszulachen, und so warf ich Noah einen fragenden Blick zu. Nachdem er kaum merklich genickt hatte, stand ich auf und holte zwei kleine Geschenke aus dem Wohnzimmer, die ich anschließend vor Dieter und meiner Mutter auf dem Tisch ablegte.

„Was ist das? Haben wir was verpasst? Unser Hochzeitstag ist doch erst im August. Das ist noch über drei Monate hin.“ Dieter schaute verwirrt zu seiner Frau, aber sie zuckte nur mit den Schultern.

„Macht es auf!“, forderte ich und Noah nickte.

Langsam öffnete meine Ma das Schleifchen, während Dieter das Geschenkpapier einfach aufriss.

„Eine Sandschaufel und Backförmchen?“, fragte er, doch Noah und ich schwiegen.

Dann war auch meine Ma so weit und hielt ein paar Knäuel Wolle in der Hand. Sie schaute ebenso erstaunt wie ihr Mann, und man sah förmlich, wie es in ihren Köpfen ratterte, als sie versuchten, sich einen Reim auf das Ganze hier zu machen. Ich beschloss, sie zu erlösen, und übergab die zu den Geschenken gehörende Karte. Während die beiden lasen, hatte ich die Worte im Kopf, die ich dort hineingeschrieben hatte.

Liebe Oma, lieber Opa,

bevor ihr mich in einigen Monaten kennenlernt, solltet ihr ein paar grundsätzliche Großeltern-Fähigkeiten haben.

Omas sollten stricken können und Opas riesengroße Sandburgen bauen.

Ich freue mich darauf, im Januar das Licht der Welt zu erblicken und in euren Armen zu liegen.

Euer Enkelchen


Sprachlos

Obwohl ich in diesem Moment meinen Vater und Rita beobachten wollte, konnte ich meinen Blick nicht von meiner Frau lösen. Malin war noch immer alles für mich, und jeder Tag, den ich mit ihr gemeinsam erleben durfte, war ein wunderschöner Tag.

Ich sah sie an und bemerkte ganz deutlich, wie aufgeregt sie war. Wie die Neugier in ihr aufstieg und sie sich darauf freute, wie ihre Mutter und mein Vater gleich reagieren würden. Nur ab und an schaffte ich es, meinen Blick auf unsere Eltern zu richten, und ich war glücklich darüber, mit welcher Freude sie sich ihre kleinen Geschenke ansahen.

Da mein Vater wie so häufig seine Brille nicht dabeihatte, musste Rita ihm vorlesen.

„Mach schon, Rita. Was steht auf der Karte?“

„Ach Dieter, hättest du deine Brille dabei, könntest du selbst lesen.“

„Ich hab sie aber nicht dabei.“

„So wie immer.“ Schluchzend sagte Rita diese letzten Worte. Tränen liefen über ihre Wangen, und trotzdem versuchte sie jetzt, meinem Vater seinen Wunsch zu erfüllen.

„Liebe Oma, lieber Opa, bevor ihr mich …“ Stockend brach Rita ab.

„Mach schon, Pummelchen.“ Ungeduldig und neugierig sah mein Vater sie an.

„Liebe Oma, lieber Opa, bevor …“ Es ging einfach nicht. Zu viele Freudentränen liefen über ihr Gesicht. Malin war es, die, ohne sich die Karte nehmen zu müssen, den dort geschriebenen Text aufsagte.

Kopfschüttelnd saß mein Vater auf seinem Stuhl. Er saß einfach nur da und sah mich schweigend an. Sein Gesicht zeigte weder einen Ausdruck von Freude noch irgendeine andere Reaktion. Dann ging sein Blick abwechselnd zwischen seiner Frau, Malin und mir hin und her.

Fast wie in Zeitlupe schob er zunächst seinen Stuhl ein wenig nach hinten und stand schließlich auf. Nachdem er seiner Frau einen Kuss auf die Stirn gegeben hatte, ging er um den Tisch herum und kam zu uns. Wir saßen noch immer händchenhaltend nebeneinander und sahen zu Rita. Aus ihren Freudentränen waren inzwischen ganze Bäche geworden. Bäche, gegen die sie gar nicht erst versuchte anzukämpfen. Mein Vater hatte sich nun zwischen uns gekniet und seine Arme um unsere Schultern gelegt. Während er mir mit seiner rechten Hand durch meine vom leichten Sommerwind wild durcheinander gewehten Haare wuschelte, strich er mit seiner linken Hand über Malins Rücken.

Selten hatte ich meinen alten Herrn so sprachlos erlebt. Irgendjemand musste in diesem Moment etwas sagen. Da weder meine Frau noch unsere Eltern dazu in der Lage waren, war ich es, der diesen Part übernahm. Allerdings war der Gedanke leichter, als tatsächlich die passenden Worte zu finden.

Auch mein Herz klopfte vor Glück. Genauso wie es mein Herz immer tat, wenn ich daran dachte, dass Malin und ich Eltern werden würden.

„Möchte jemand einen Kaffee?“ Erstaunt wurde ich von sechs Augen angesehen. Fast so, als hätte ich gerade eine Kuh zum Fliegen gebracht.

„Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Manchmal ist es besser, einfach nichts zu sagen. Wer will in einem solchen großartigen Moment schon Kaffee?“ Mein Vater stand auf und zog mich, noch immer oder schon wieder kopfschüttelnd, an sich heran.

„Ich werde Opa. Noah, ich werde Opa!“ Nach seinen Sätzen schloss mein Vater mich fest in seine Arme. Sehen konnte ich seine Tränen nicht, und doch spürte ich ganz deutlich, wie sie auf meiner Schulter ankamen und mein T-Shirt durchnässten.

Da Rita noch immer nicht in der Lage war aufzustehen, hatte Malin sich inzwischen auf den Weg zu ihr gemacht. Als sie vor ihr stand, streckte sie Rita ihre Hände entgegen. Freudestrahlend wurde Malin von ihrer Mutter angesehen. Dann stand Rita auf und nahm ihre Tochter liebevoll in die Arme.

Zu gerne hätte ich gehört, was die beiden sich in diesem Augenblick zu sagen hatten. Leider war ich zu weit weg. Allerdings vermutete ich, dass meine Frau es mir heute Abend erzählen würde.

„Wo ist der Sekt? Hier war doch vorhin noch Sekt?“ Nachdem mein Vater sich einige Male umgesehen hatte, entdeckte er die Gläser auf dem Tisch. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg dorthin und griff nach diesen. Mit vier Gläsern in seinen Händen stand er vor uns und verteilte sie. Mit feuchten Augen und einem strahlenden Lachen im Gesicht hob mein Vater sein Glas und sagte:

„Auf euch und auf den neuen Erdenbürger.“ Die Gläser hatten sich bereits berührt, und wir hatten somit einige Male dieses klirrende Geräusch gehört, das eine Art Vor-Melodie für besondere Anlässe war.

Nachdem wir angestoßen hatten, nippte ich an meinem Glas und stutzte. Als ich mich danach kurz räusperte, war es ausschließlich Malin, die mich ansah. Wir waren ein solch tolles und eingespieltes Team, dass sie in diesem Augenblick genau wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Mein Blick auf unsere beiden Gläser verriet ihr die Lösung. Nachdem wir die Gläser getauscht hatten und sie nun den alkoholfreien Sekt in der Hand hielt, tranken auch wir.

„Ich hatte es mir schon gedacht, als wir die Einladung von euch bekommen hatten. Mir war klar, dass irgendetwas Besonderes anliegen würde.“ Voller Inbrunst sagte Rita diesen Satz.

„Ach Pummel, du musst nicht immer einen solchen Quatsch erzählen.“

„Dieter! Ich erzähle keinen Quatsch. Ich habe doch gemerkt, dass unsere Kinder in letzter Zeit irgendwie anders waren.“

„Und dadurch bist du auf die Idee gekommen, dass du Oma wirst? Merkwürdig, dass du nie ein Wort darüber verloren hast. Nicht mal mir gegenüber.“ Mein Vater prustete los.

Während er sich dabei vor Lachen auf die Schenkel klopfte, verzog Rita ihr Gesicht und sah ihn wütend an.

„Du musst mir nicht glauben!“ Mit einer abfälligen Handbewegung drehte sich Malins Mutter von ihrem Mann ab und zu uns herum.

„Tue ich auch nicht. Und nun sei wieder lieb zu mir.“ Mein Vater nahm seine Frau in den Arm und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange.

„Meinst du, dass damit wieder alles gut ist?“ Mit gespielter Empörung sah Rita ihren Mann an.

„Ja, das glaube ich.“ Ein zweiter Kuss folgte und schon hatten sich unsere Eltern wieder lieb.

Heute gab es wichtigere Themen, als darauf zu beharren, recht zu haben. Heute war einer der größten Tage im Leben unserer Eltern.

Mein Vater hielt das Backförmchen voller Stolz in seiner Hand. Immer wieder fiel sein Blick auf dieses kleine Spielzeug, das heute für ihn das größte Geschenk überhaupt war. Er durfte Opa sein und schon bald mit einem kleinen Würmchen in der Sandkiste spielen.

Als mein Vater mir, während Malin und ihre Mutter in der Küche verschwunden waren, eine Frage stellte, überlegte ich eine ganze Zeit, ob er sie ernst gemeint hatte.

„Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ihr ein Kind bekommt?“ Nein, ich hatte mich nicht verhört. Tatsächlich hatte mein Vater genau diese Frage gestellt. Da ich ein gut erzogener Sohn war, nahm ich mir vor, sie ihm auch vollkommen korrekt zu beantworten.

„Als Malin und ich von einer Feier nach Hause gekommen sind und noch viel zu aufgedreht waren, um einfach zu schlafen, zogen wir uns langsam aus. Nachdem ich ihre Bluse aufgeknöpft hatte und sie dabei war, mir meine Hose zu öffnen, wurden unsere Küsse immer leidenschaftlicher. Als dann auch noch …“ Mein Vater unterbrach mich.

„Noah, du bist einfach blöd.“

„Warum?“ Ich tat völlig erstaunt und sah meinen Vater grinsend an.

„Ist es ein Wunschkind?“

„Ja, das ist es. Ein Kind der Liebe. Unser Kind ist das i-Tüpfelchen unserer besonderen Liebe.“

„Also ein ebensolches Kind, wie du es bist.“ Wieder liefen Tränen über die Wangen meines Vaters, und ich wusste, woran er in diesem Moment dachte. Seine Gedanken waren bei meiner Mutter. Bei seiner verstorbenen Ehefrau, die auch noch heute, viele Jahre nach ihrem Tod, präsent für uns war.

Während mein Vater nach meiner Hand griff, spürte ich die Wärme, die uns verband, und doch war es ein Augenblick, den ich gerne alleine verbringen wollte. Ich hatte etwas zu erledigen.

Ob mein Vater es bemerkt hatte oder ob er tatsächlich auf die Toilette verschwinden musste, wusste ich nicht.

Wie auch immer es war, ich hatte dadurch diesen Augenblick für mich alleine.

Meine Hände waren tief in meine Hosentaschen vergraben, als ich mich auf den Weg machte, mir einen ruhigen Platz im Garten zu suchen.

Mein Blick war inzwischen in den Himmel gerichtet, und ich wusste ganz genau, dass meine Mutter mich in diesem Moment sehen würde. Zumindest würde sie mir zuhören und sich darüber freuen, was ich ihr zu erzählen hatte.

Nachdem meine ersten Worte noch holprig meinen Mund verließen, wurden sie von Wort zu Wort und von Satz zu Satz fließender. Da meine Mutter nun wusste, dass Malin und ich ein Kind bekamen und sie Oma werden würde, fühlte ich mich freier. Ich hatte meiner Mama auch erzählt, dass mein Vater mit seiner neuen Frau heute zum Feiern bei uns war. Allerdings kannte meine Mutter Rita bereits. Schon häufig hatte ich bei unseren Gesprächen von ihr erzählt.

„Mama, du wirst eine tolle Oma sein und dein Enkelkind wird ganz sicher oft mit dir reden. Solange es noch nicht sprechen kann, werde ich dich über alles Wichtige informieren. Ich habe dich sehr lieb.“ Nachdem ich die letzten Worte gesagt hatte, machte ich mich wieder auf den Weg zu den anderen.

Auf der Terrasse stand mein Vater. Ich blieb vor ihm stehen und nahm ihn erneut in den Arm.

„Hast du deiner Mutter alles erzählt?“

„Ja, das habe ich.“

„Das ist gut.“

Shopping

Drei Wochen waren seit dem Grillabend mit unseren Eltern bereits vergangen. Allmählich konnte man eine kleine Rundung an meinem Bauch erkennen, die vor der Schwangerschaft noch nicht da gewesen war. Meine Mutter war der Meinung, das wäre ja auch langsam mal an der Zeit, immerhin war ich bereits in der 15. Schwangerschaftswoche. Na gut, ich musste zugeben, ich fand es wahnsinnig aufregend und freute mich über jedes Kilo, das ich zunahm. In ein paar Wochen würde ich unseren Zwerg spüren, wenn er trat, und ich war gespannt darauf, wie es sich wohl anfühlen würde.

Auch Noah wurde mehr und mehr von der Aufregung, Papa zu werden, ergriffen, und obwohl er shoppen eigentlich hasste, hatte er mich heute in einen Babymarkt geschleift.

Bereits seit Wochen surfte er im Internet und suchte verschiedene Kinderzimmermöbel heraus, verglich Preise und las Testberichte. Er beschäftigte sich damit, als wäre es eine Wissenschaft, und manchmal kam es mir auch so vor. Mir war gar nicht klar gewesen, auf was man alles zu achten hatte! Aber gut, dafür hatte ich ja meinen Mann. Mittlerweile standen uns nur noch drei verschiedene Möbelmodelle zur Auswahl, die wir uns heute anschauen und, wenn wir uns entschieden hatten, bestellen wollten, da wir mit mehreren Wochen Lieferzeit rechneten.

„Also, ich finde ja das weiße Zimmer im Landhausstil toll“, sagte ich, nachdem wir uns alle drei angeschaut hatten. „Und dazu das Zubehör mit den kleinen Teddys darauf. Der Betthimmel, die Bettwäsche, den Bezug für die Wickelauflage – lass uns doch mal fragen, ob es aus dem Stoff auch Gardinen gibt.“ Begeistert strahlte ich Noah an und er nickte lächelnd.

„Ja, das gefiel mir auch gut und es ist geschlechtsneutral. Dann können wir uns immer noch entscheiden, ob wir wissen wollen, was es wird, oder ob wir uns überraschen lassen.“

Bisher waren wir über das Thema uneinig. Ich war so neugierig, dass ich es unbedingt wissen wollte, doch Noah wollte es am liebsten erst im Kreißsaal erfahren. Okay, ich gebe zu, ich spielte ein bisschen auf Zeit – spätestens, wenn es darum ging, Kleidung für das Kleine zu kaufen, würde Noah feststellen, dass es einfacher war, wenn man das Geschlecht wusste. Bei einer Shoppingtour mit meiner Ma neulich hatte ich gemerkt, dass es recht wenig geschlechtsneutrale Sachen für Babys gab.

„Fein, ich finde das Landhauszimmer auch am schönsten. Wollen wir mal schauen, ob wir irgendwo einen Verkäufer finden? Dann können wir es gleich bestellen.“

Eine halbe Stunde später war der Kaufvertrag für die Kinderzimmermöbel ausgefüllt, und wir hatten einen vollen Einkaufswagen, in dem sich bereits die ganzen Zubehörteile mit den kleinen Teddys drauf befanden.

„Brauchen Sie sonst noch etwas?“, fragte der Verkäufer. „Wie sieht es aus mit einem Kinderwagen? Eine Autositzschale für das Kleine?“

„Ist es dafür nicht noch ein wenig zu früh? Ich meine, selbst mit dem Zimmer sind wir ja mehr als zeitig, aber der Kinderwagen? Das Baby kommt schließlich erst im Januar auf die Welt.“ Noah sah fragend von mir zum Verkäufer, auf dessen Namensschild K. Schmidt stand.

„Na, wie kommen Sie denn darauf? Kinderwagen haben je nach Modell eine Lieferzeit von bis zu zwölf Wochen. Das Zimmer hingegen wird spätestens in vier Wochen geliefert. Moment, ich schau mal eben.“ Herr Schmidt tippte auf seiner Computertastatur herum, dann strahlte er uns an. „Nein, falsch. Wir könnten Ihnen ein Lieferdatum in zehn Tagen anbieten.“

„In zehn TAGEN?“ Noahs Gesichtsausdruck sprach Bände. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich konnte förmlich sehen, wie seine Gedanken rotierten.

Er hatte es sich so schön ausgemalt, einen Zeitplan erstellt und wochenweise geplant, was wir wann machen wollen und müssen, dass rechtzeitig zur Entbindung alles fertig wäre. Und nun kam Herr Schmidt daher und warf seinen kompletten Zeitplan um. Nicht das Babyzimmer war das Erste, um das wir uns kümmern mussten, der Kinderwagen war es.

Ein wenig verzweifelt schaute mein Mann mich an und fuhr sich mit beiden Händen durch die wuscheligen Haare. Ich biss mir von innen auf die Wange, um nicht lauthals loszuprusten.

„Das macht doch nichts. Schau mal, ich bin jetzt in der 15. Woche. Selbst wenn der Kinderwagen zwölf Wochen dauert, haben wir noch massenhaft Zeit. Wir können bei deinem Plan bleiben, nur, dass das Zimmer bereits eher fertig wird. Aber das ist doch nicht schlimm, oder?“ Ich versuchte, Noah zu beruhigen.

„Richtig, was fertig ist, ist fertig. Und wenn Sie das Zimmer schon in zwei Wochen eingerichtet haben – es wird ja nicht schlecht. Dann haben Sie zumindest einen großen Posten von ihrer Liste bereits gestrichen.“

Nachdenklich nickte Noah. So ganz schien er noch nicht überzeugt, aber er stimmte zu.

Nachdem alle Formalitäten geklärt waren und der Kaufvertrag unterschrieben war, schoben wir unseren Einkaufswagen in Richtung Kasse. Auf dem Weg dorthin landeten noch ein Schnuffeltier und zwei kuschelige Babydecken darin.

Nachdem alles bezahlt war, luden wir es in den Kofferraum.

„Sag mal, wenn das Zimmer in zehn Tagen kommt, sollten Papa und ich bis dahin gestrichen haben, oder? Was hältst du davon, wenn wir noch schnell in den Baumarkt fahren und eine Farbe aussuchen? Und du wolltest doch gern eine Bordüre oder so. Wo wir eh grad unterwegs sind.“

Ich fand Noahs Idee süß, und sie zeigte mir, dass er den geänderten Zeitplan gut verkraftet und sich bereits darauf eingestellt hatte, dennoch lehnte ich ab.

„Wenn ich ehrlich bin, würde ich gern auf die Couch und mich ein wenig hinlegen. Irgendwie habe ich so ein leichtes Ziehen im Bauch.“

Besorgt schaute mein Mann mich an.

„Sollen wir lieber ins Krankenhaus? Vielleicht ist es besser, wenn mal ein Arzt draufguckt?“

„Nein, Quatsch! Ich bin heute den ganzen Tag mit dir herumgelaufen, das war wahrscheinlich einfach nur ein bisschen viel. Ich gehe zu Hause in die Badewanne, dann lege ich mich hin und morgen ist alles wieder gut.“

Noah wirkte noch ein wenig skeptisch, aber ich war der Meinung, dass man es auch nicht übertreiben musste. Nächste Woche hatte ich einen Termin bei meinem Frauenarzt. Was sollte schon sein? Das letzte Mal war alles in Ordnung gewesen und unser Baby hatte sich prächtig entwickelt.

In meinem Mutterpass lagen zwei Ultraschallbilder von unserem Zwerg und eins hatte Noah in seiner Brieftasche. Viel war nicht zu erkennen, das Baby sah mehr aus wie ein graues Gummibärchen. Trotzdem hatte ich noch nie etwas Schöneres gesehen als den Herzschlag auf dem kleinen Monitor beim Ultraschall.

„Okay, du legst dich hin und ich kümmere mich um das Abendessen. Worauf hast du Lust? Schnitzel mit Gemüse und Kartoffeln oder lieber Nudeln mit Hacksoße?“, fragte Noah, als ich aus der Badewanne kam, und wollte mich in Richtung Wohnzimmer bugsieren.

„Alles gut, ich helfe dir. Es geht mir bereits deutlich besser. Das Ziepen ist wieder weg. Es war wohl heute wirklich nur etwas viel. Du musst nicht allein in der Küche stehen!“, protestierte ich.

„Nichts da! Du legst dich schön hin und schaust schon mal, was es heute im Fernsehen gibt. Oder willst du lieber eine DVD sehen? Überleg es dir – im Liegen!“, betonte er und erstickte damit jeden weiteren Widerspruch im Keim. Leise vor mich hin grummelnd fügte ich mich. Na, das konnte ja was werden, wenn er ab sofort, für die nächsten Monate, auf jedes Zipperlein so reagieren würde. Ein wenig bereute ich, dass ich ihm davon erzählt hatte, aber ich wusste, er meinte es nur gut mit mir.

Ich hörte ihn in der Küche rumoren, als ich mich unter die Wolldecke kuschelte und die Augen schloss.

„So, da du dich nicht geäußert hast, habe ich jetzt Nudeln gemacht.“

Ich wurde wach, als Noah mich ansprach. Er tauchte neben mir auf, ein Tablett in den Händen. Als ich aufstehen wollte, wurde ich sofort wieder zurechtgewiesen. Ich sollte auf der Couch bleiben und nicht mit ihm am Esstisch essen.

„Herrje, Noah! Ich bin nicht krank, ich bin nur schwanger! Wenn du so weitermachst, kriegen wir in der nächsten Zeit noch Stress!“, motzte ich. Noah stellte das Tablett ab und setzte sich zu mir auf das Sofa. Dann zog er mich in seine Arme und küsste mich sanft aufs Haar.

„Ich mache mir doch nur Sorgen um dich. Lass mich dich doch ein bisschen betüddeln. Ich möchte ja nur, dass es dir und dem Baby gut geht.“

Seufzend schmiegte ich mich an ihn.

„Aber das geht es. Wie könnte es auch anders sein, immerhin habe ich den besten Mann der Welt und weiß, dieser kleine Zwerg bekommt den besten Papa der Welt. Wenn du mich in Watte packst, fühlt es sich so an, als würdest du mich einengen. Ich kann das nicht, ich bin nicht dafür geschaffen, mir den Allerwertesten hinterhertragen zu lassen. Bitte, glaub mir einfach, wenn ich sage, dass es mir gut geht. Vertrau mir.“

Ich löste mich ein Stückchen von Noah, um ihn anzusehen, und konnte erkennen, wie er mit sich rang.

„Na gut. Aber ich darf dich ein bisschen verwöhnen, ja?“, fragte er und lächelte mich mit funkelnden Augen an. Das war ein Blick, dem ich nicht widerstehen konnte, und so beugte ich mich zu ihm hinüber und verschloss seinen Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss.

„Mein Frauenarzt sagt übrigens, Sex in der Schwangerschaft ist absolut gesund“, murmelte ich, nachdem ich mich ein paar Millimeter von ihm gelöst hatte. Ich konnte erkennen, wie sich das Funkeln in seinen Augen verstärkte.

„Na, wenn das so ist, dann wollen wir doch mal was für deine Gesundheit tun.“ Damit beugte er sich wieder über mich und drückte mich rücklings in die Kissen des Sofas. Um ihm mehr Platz zu geben, öffnete ich meine Beine, sodass er sich auf mich legen konnte. Während wir erneut in unseren Küssen versanken, spürte ich immer deutlicher, wie seine Härte in meinen Schritt drückte.

Es war uns egal, dass unsere Nudeln auf dem Tisch kalt wurden, wir konnten es keine Sekunde länger abwarten, einander zu spüren.

Pizza

Von vielen Freunden und Bekannten hatte ich, nachdem ich von der Schwangerschaft meiner Frau erzählt hatte, immer den gleichen Satz gehört, der mir auch in diesem Augenblick durch den Kopf ging und mich zum Grinsen brachte.

Das Sexualleben würde einschlafen.

„Warum grinst du so?“

„Ich musste gerade daran denken, dass bei anderen Menschen während der Schwangerschaft das Sexualleben komplett vernachlässigt wird.“

„Tatsächlich? Ist es so? Woher weißt du das? Ich glaube, du bist doch bisher noch nie schwanger gewesen. Oder hast du mir etwa irgendetwas verheimlicht?“ Während ihrer Worte strich Malin durch mein Haar.

„Mehrere Leute haben mir das so erzählt. Allerdings bin ich sehr froh, dass es bei uns anders ist.“

„Das bin ich auch.“ Erneut bekam ich einen Kuss von Malin. Als wir Minuten später von uns ließen, sah ich sie einfach nur an.

„Was guckst du so?“

„Ich schau dich an und denke, dass ich die schönste Frau der ganzen Welt habe.“ Es war nicht nur dahergeredet. Vom ersten Augenblick an, als ich Malin damals vor dem Einchecken auf dem Schiff zum ersten Mal gesehen hatte, konnte ich ihr wunderschönes Gesicht nicht wieder vergessen. Egal, wo ich war, und egal, was ich machte, ihre strahlenden Augen und ihre vollen und weichen Lippen, begleiteten mich durch den Tag. Wie viele Männer so was ebenfalls von sich behaupten konnten, wusste ich nicht. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass nicht viele Männer eine solche Liebe zu ihrer Frau verspürten.

„Ist alles gut bei dir? Du bist so ruhig.“ Auch wenn es noch einige Monate hin war, bis unser kleiner Zwerg auf die Welt kam, machte ich mir immer häufiger Sorgen um Malin. Unbegründete Sorgen. Zumindest empfand es Malin so, da ich immer wieder den Satz von ihr hören durfte, dass sie nicht krank, sondern lediglich schwanger war.

„Ja, ist es. Also, fast alles. Aber ich will jetzt nicht so unromantisch sein.“ Erschrocken sah ich meine Frau an.

„Nur fast? Sag mir, was los ist. Brauchen wir einen Arzt? Soll ich dich irgendwo hinfahren?“ In Hektik verfallen, sprang ich auf und schaute Malin an.

„Nein. Alles ist gut. Ich habe nur Hunger.“ Erleichtert ließ ich mich aufs Sofa fallen und griff nach einem der Teller, auf denen sich unsere Nudeln befanden. Als Malin diesen in ihrer Hand hielt, erkannte ich sofort, dass noch irgendetwas nicht stimmte.

„Sag schon. Was ist noch los?“

„Die Nudeln sind kalt.“

„Klar sind sie kalt. Sie stehen ja auch bereits eine halbe Ewigkeit auf dem Tisch. Sagst du mir nun, was los ist?“

„Nichts. Ansonsten ist gar nichts los. Einzig und allein die Nudeln sind kalt.“

„Gib her.“ Ich griff nach Malins Teller und wollte mich gerade auf den Weg in die Küche machen, um sie dort in unserer Mikrowelle aufzuwärmen.

„Noah.“

„Ja?“

„Warte mal bitte kurz.“ Malin schenkte mir einen Blick. Einen ganz besonderen Blick aus ihren wunderschönen Augen. Dann sprach sie weiter.

„Ich habe gar keinen Appetit mehr auf Nudeln.“

„Keinen Appetit mehr auf Nudeln? Was soll das jetzt heißen?“

„Also wenn ich ehrlich bin, wäre eine Pizza ziemlich cool.“

„Eine Pizza? Du meinst dieses runde Ding, das mit unterschiedlichsten Sachen belegt ist? Dieses radförmige Teil, das ich beim letzten Einkauf bereits in den Einkaufswagen gelegt hatte? Das, zu dem du gesagt hast, dass so etwas Ungesundes nicht in unser Haus kommt? Meinst du wirklich Pizza? Die Pizza, die ich wieder aus unserem Wagen entfernen musste? Sie rausnehmen durfte, da du keinen Appetit darauf hattest?“ Tatsächlich wusste ich in diesem Moment nicht, ob ich lachen sollte. Immerhin ahnte ich schon irgendwie, was mich gleich erwartete. Von meinen Freunden hatte ich bereits erfahren, dass es ihnen ähnlich ergangen war. Allerdings hatte ich bisher immer geglaubt, und es auch jedem so erzählt, dass Malin anders war. Dass meine Frau niemals auf eine solche Idee kommen würde, und wenn sie diese Idee tatsächlich haben würde, dass sie mich nie darum gebeten hätte.

„Noah, würdest du mir eine Pizza holen?“ So konnte man sich irren. Da war sie, diese Frage, mit der ich nie gerechnet hätte.

Sag mal, spinnst du? Ich hatte ein solches Teil bereits in den Einkaufswagen gelegt und musste es wieder entfernen. Hol dir die blöde Pizza doch selbst. Ich habe jetzt keine Lust mehr, mich anzuziehen und mich auf den Weg zu machen. Außerdem sagst du doch immer selbst, dass du nicht krank, sondern lediglich schwanger bist, dachte ich und sagte:

„Selbstverständlich, mein Schatz. Welche Sorte darf es für dich sein?“

„Hawaii. Ja, Hawaii wäre perfekt.“

„Okay. Ich bin gleich wieder da.“ Schon machte ich mich auf den Weg zur Haustür, da ich mich inzwischen wieder angezogen hatte.

„Noah, bist du noch da?“ Kurz bevor ich die Tür ins Schloss ziehen wollte, hörte ich Malin rufen.

„Ja. Was gibt es denn noch?“ Ich kehrte zurück und lehnte mich an den Türrahmen zum Wohnzimmer.

„Ich glaube, ich möchte doch lieber eine mit Tomate und Mozzarella.“

„Wird gemacht. Tschüss.“ Kaum hatte ich mich umgedreht, sprach Malin weiter.

„Oder soll ich Thunfisch nehmen?“

„Ich weiß nicht. Worauf hast du am meisten Appetit?“ Bestimmt eine Minute stand ich im Türrahmen und sah meine Frau an. Da sie keine andere Ansage machte, drehte ich mich um und versuchte erneut, unser Haus zu verlassen.

„Spinat. Noah, hörst du mich noch? Ich möchte eine Pizza mit Spinat.“

„Wie wäre es, wenn ich dir alle Pizzen mitbringe und du dich dann hier entscheidest?“ Langsam fand ich das Spiel ziemlich blöd.

„Du bist aber schlecht drauf!“

„Ich bin überhaupt nicht schlecht drauf!“ Ich merkte selbst, in welch schroffem Ton ich diesen Satz sagte, und machte mich schnell aus dem Staub.

Frohen Mutes steckte ich den Schlüssel in unsere Haustür und freute mich darauf, gleich wieder unter die Wolldecke zu meiner Frau zu schlüpfen. Unseren kleinen Streit von eben hatte ich längst vergessen. Da Malin Fanta liebte, hatte ich gleich einen ganzen Liter von diesem aus meiner Sicht viel zu süßen Zeug mitgebracht.

„Da bin ich wieder.“ Fröhlich rief ich diese Worte in Richtung Wohnzimmer und bekam keine Antwort.

„Alles gut bei dir?“ Vom Flur aus rief ich ein zweites Mal, und da ich wieder keine Antwort bekam, machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Malin war nicht da. Zunächst dachte ich noch, dass Malin sich einen Scherz mit mir erlaubte und sich irgendwo versteckt hatte.

Nachdem ich an mehreren Orten gesucht hatte, fand ich dieses Spielchen inzwischen relativ blöd.

„Malin, komm raus. Unsere Pizzen werden kalt.“ Wieder bekam ich weder eine Antwort noch irgendeine andere Reaktion von meiner Frau. Da ich unten überall nachgesehen hatte, machte ich mich auf den Weg in den ersten Stock unseres Hauses. Aus dem Badezimmer kamen Geräusche und so öffnete ich leise die Tür.

„Was machst du da?“ Dass meine Frage überflüssig war, wusste ich selbst, und doch war dies einer dieser Momente, der wie dafür gemacht war, überflüssige Fragen zu stellen.

„Ich sitze in der Badewanne. Das siehst du ja wohl.“

„Aber ich habe eben Pizzen für uns geholt. Außerdem hast du vorhin schon in der Badewanne gesessen.“ Verwirrt sah ich meine Frau an.

„Ich weiß. Aber nachdem du gegangen warst, hatte ich einen solchen Hunger. Ich konnte einfach nicht warten und habe mir die Nudeln in der Mikrowelle warm gemacht. Jetzt bin ich satt, und ich hatte das Gefühl, dass mir eine heiße Badewanne bestimmt guttun würde. Außerdem sagt mein Frauenarzt auch immer, dass baden gut für mich ist.“

Aber doch nicht zweimal am Tag, dachte ich und sah Malin an. „Falls du irgendwann fertig bist, kannst du ja gleich runterkommen.“

Als ich unten vor dem Fernseher saß und die erste Pizza bereits verdrückt hatte, öffnete ich die zweite Packung und begann damit, auch von dieser Pizza zu naschen.

„Da bin ich. Hast du dich wieder beruhigt?“ Als wäre Malin sich keiner Schuld bewusst, stand sie, nur mit einem Bademantel bekleidet, im Wohnzimmer. Ich hatte keine Lust, mich zu streiten. Dafür war diese Situation viel zu nichtig.

„Bei mir ist alles gut. Kommst du zu mir?“ Ich hob die Wolldecke an und Malin kam zu mir gekrabbelt.

„Was ist das für ein Katalog?“ Neugierig sah Malin mich an. Ich hob das Prospekt hoch, in dem ich nebenbei geblättert hatte, und zeigte es ihr.

„Durch deine Bade-Aktion ist mir eingefallen, wir haben etwas für unseren Zwerg vergessen.“

„Badewannen für Babys? Ist das dein Ernst, Noah?“

„Klar ist das mein Ernst. Unser Zwerg muss ja schließlich gebadet werden.“ Erstaunt über Malins Frage sah ich sie an.

„Aber doch nicht in einem solchen Teil.“

„Worin denn dann? Willst du den großen Topf nehmen, den wir sonst immer für Spargel benutzen?“ Ich amüsierte mich prächtig über meinen Witz.

„Den nun nicht gerade. Aber im Baumarkt gibt es Plastikwannen für ganz kleines Geld.“ Wieder lachte ich. Allerdings hörte ich irgendwann damit auf. Es war genau der Moment, in dem ich begriff, dass Malin keinen Scherz gemacht hatte.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“

„Na klar. Für eine Babybadewanne müssen wir keine achtzig Euro ausgeben. Das ist totaler Irrsinn. Unser Zwerg wächst ruckzuck aus diesem Teil heraus und eine günstige Variante aus dem Baumarkt tut es für den kurzen Zeitraum allemal.“

„Aber hier steht doch, dass nur diese Babybadewanne das ideale Einstiegsmodell für das Waschen von Babys ist.“

„Die wollen die Dinger ja auch verkaufen. Glaub mir, Noah, es gibt keinen großen Unterschied zwischen der teuren Variante aus dem Babymarkt und einer normalen Plastikwanne aus dem Baumarkt.“

„Wirklich nicht?“ Tatsächlich war ich irgendwie enttäuscht, auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum es so war. Immerhin hatten wir gerade Geld gespart.

„Wirklich nicht. Noah, du wirst ein toller Vater sein. Ganz sicher wird unser Zwerg es uns später nicht übel nehmen, dass er die ersten Wochen seines Lebens in einer Baumarktwanne gebadet wurde.“


Latzhose

Heute war ich mit meiner Mutter in der Stadt unterwegs. Auch wenn die kleine Kugel bisher kaum zu sehen war, drückten meine Hosen allmählich am Bauch. Im Moment behalf ich mir noch mit Gummibändern, die ich zwischen Knopf und Knopfloch spannte und einfach ein längeres Oberteil darüber anzog. Lange würde mir das allerdings nicht mehr weiterhelfen, daher wollten wir heute nach ein paar Umstandshosen schauen.

Wenn es nach meiner Ma gegangen wäre, hätten wir die teuersten Boutiquen für Mütter und Kinder leer gekauft, aber zum Glück konnte ich sie noch rechtzeitig überreden, uns zuerst in den günstigeren Klamottenläden umzusehen.

Ich war wirklich bereit, alles für meinen kleinen Zwerg zu geben, doch knapp 200 Euro für eine Hose, die ich in spätestens acht Monaten sowieso nicht mehr würde tragen können? Nein! Keine Chance!

Als verbeamtete Lehrerin verdiente ich zwar nicht so schlecht, aber bei solchen Preisen waren meine Taschen wie zugetackert.

Bereits im ersten Laden wurde ich fündig und hatte gleich mehrere Jeans mit einem elastischen Stoffeinsatz zur Auswahl, mit denen ich mich in eine der Umkleiden verzog.

Die erste war leider noch viel zu groß, aber die zweite saß schon jetzt bequem. Als ich aus der Kabine trat, um mich in dem großen Spiegel davor zu bewundern, kam meine Mutter vollgepackt mit weiteren Klamotten auf mich zugestürmt.

„Schau mal, Malin. Ich hab noch mehr!“ Freudig strahlte sie mich an. Der neuen Hose, die ich gerade trug, schenkte sie nur einen abfälligen Blick.

„Nein, Schatz. Die geht ja gar nicht. Die sieht ja aus wie eine normale Jeans!“

Verwirrt betrachtete ich mich noch einmal von allen Seiten. Ja, es stimmte, mit einem Pullover darüber, der den Stretcheinsatz verbarg, sah man wirklich nicht, dass es eine Umstandshose war.

„Äh … Ja und?“, fragte ich und schaute meine Mutter recht ratlos an, weil ich nicht verstand, was ihr Einwand zu bedeuten hatte.

„Nein, Kind. Das geht gar nicht! Viel zu langweilig. Also wenn du schon Jeans tragen musst, dann doch lieber so eine hier!“

Sie zog an einem der Kleiderbügel, der aus dem Klamottenstapel auf ihrem Arm ragte, und hielt mir ein Teil entgegen.

Ich war sprachlos! Das war jetzt nicht ihr Ernst!

„Nicht wirklich, oder? Willst du mich veralbern?“

Nun war es an meiner Ma, verständnislos dreinzuschauen.

„Aber wieso denn? Das trägt man so in der Schwangerschaft.“

„Bist du irre?“ Ich wusste nicht, ob ich lachen oder heulen sollte. Sie schien es tatsächlich ernst zu meinen. Oder gab es hier womöglich eine versteckte Kamera, die das Ganze für eine Fernsehshow filmte? Noch immer streckte meine Mutter mir den Kleiderbügel entgegen, doch ich griff nicht zu.

„Ehrlich, Mama, hast du dir das Teil mal angeschaut? Das ist eine LATZHOSE! Schenk mir einen Zollstock dazu und die Bauarbeiter an der nächsten Ecke nehmen mich in ihren Kollegenkreis auf.“ Mittlerweile konnte ich mich nicht mehr halten und prustete los.

Meine Mutter hingegen fand es nicht ganz so lustig und sah mich pikiert an.

„Nun sei mal nicht so albern, Malin! Bauarbeiter! Dass ich nicht lache! Schwangere tragen auch Latzhosen, die sollen wunderbar bequem sein mit dem dicken Bauch irgendwann.

„Das mag ja sein, aber das macht sie leider nicht hübscher!“ Ich wischte mir eine Lachträne aus dem Augenwinkel und riss mich wieder zusammen.

Ein wenig verstimmt hängte meine Ma die Hose an einen Kleiderständer.

„Na gut, dann eben nicht. Musst du ja wissen.“

„Was hast du denn da sonst so?“, fragte ich, um sie ein bisschen gnädig zu stimmen.

Okay, ich hätte mal lieber meine Klappe gehalten, denn was jetzt kam, schlug die Latzhose noch um Längen.

Ein Pulli mit einer überdimensionalen Micky Maus darauf, eine Bluse mit großflächigem, knallbuntem Blumenmuster und zu guter Letzt eine Art Schlauch aus Stoff, den ich im ersten Moment für einen Schal gehalten hatte.

Nachdem ich ihr so freundlich wie möglich mitgeteilt hatte, dass großflächige Muster auf einem dicken Babybauch vielleicht optisch ein wenig auftragen würden und ich aus dem Alter für Comicmotive circa seit zwei Jahrzehnten raus war, blieb nur noch dieser Schlauch übrig.

„Und was ist das? Ich meine, warum gibt es Schals in der Abteilung für Umstandsmode? Um den Hals herum werde ich hoffentlich nicht so sehr zunehmen, dass meine normalen Schals und Tücher nicht mehr passen“, versuchte ich zu scherzen. Irgendwie traf ich damit aber anscheinend nicht so ganz den Humor meiner Mutter, denn sie schaute mich schon wieder beleidigt an.

„Hast du dich überhaupt mit dem Thema Schwangerschaft beschäftigt? Malin, du bist in der 16. Woche! So allmählich solltest du dich damit auseinandersetzen, was auf dich zukommt und was du jetzt machen musst.“

Ich wusste nicht so recht, was ich zu diesem Anraunzer sagen sollte, doch ich verkniff mir den Kommentar, dass ich unter „Mit dem Thema Schwangerschaft beschäftigen“ nicht verstand, herumzulaufen wie der letzte Idiot. Ich meine, klar kannte ich diese werdenden Mütter, die ab dem positiven Test nur noch in Latzhosen und Comicpullis herumliefen, aber ich verstand nicht, wieso?

Natürlich würde mein Leben sich ändern, das hatte es ja bereits, doch was hatte das mit meinem Klamottenstil zu tun. Oder galt es, irgendeinen Kodex einzuhalten, von dem ich nichts wusste? Ich wollte einfach nur Kleidung haben, die mir auch die nächsten Monate passen würde und nicht ganz blöd aussah. War das denn so schwierig? Aber ich wusste, wenn ich das sagte, würde ich mit meiner Mutter nie weiterkommen. Es würde in einer endlosen Diskussion ausarten, die ich hier im Laden nicht mit ihr führen wollte.

„Okay, dann erklär mir doch einfach, was das für ein Teil ist“, sagte ich und deutete auf das Stück petrolfarbenen Stoff in ihrer Hand.

„Das, meine Liebe, ist ein Bauchband.“ Sie hielt das Teil empor, als würde sie es auf einem Markt anpreisen.

„Äh … und wofür ist das?“

Jetzt hatte meine Mutter wieder Oberwasser. Stolz sah sie mich an und sagte: „Das trägt man um den Bauch.“

Okay, konnte ich mir wirklich sicher sein, dass wir hier nicht bei der versteckten Kamera waren? Ich hatte keine Ahnung, welche Reaktion die richtige war, doch ich war mir ziemlich sicher, dass ein erneuter Lachflash nicht sonderlich gut ankommen würde.

„Jaaaa …“, antwortete ich daher nur gedehnt. „So was Ähnliches hatte ich mir fast schon gedacht. Bei dem Namen … Aber wofür ist es genau und warum braucht man so was?“

Meine Ma sah mich an, als wäre ich ein Kindergartenkind, dem man zum gefühlt hundertsten Male erklärte, dass es anderen Kindern die Schaufel nicht über den Kopf kloppen durfte. Tief seufzend holte sie Luft, bevor sie zu einer Erklärung ansetzte.

„Also, abgesehen davon, dass diese Bauchbänder wirklich schick sind, kannst du damit am Anfang der Schwangerschaft überdecken, dass du deine Hose offen lässt. Und außerdem halten sie den Bauch und das Baby warm.“

Tief durchatmen!, dachte ich und biss mir von innen auf die Wange. Nein, du wirst deiner Mutter nicht erzählen, dass wir es gerade Anfang Juni und somit Frühsommer haben und die Gefahr, dass dem Zwerg im Bauch kalt werden würde, allein schon naturbedingt recht gering war.

„Na gut, und du meinst also, so ein Teil ist unabdingbar?“, fragte ich freundlich und bemühte mich, ein interessiertes Gesicht zu machen.

„Ja, absolut! Die Schwiegertochter von meiner Freundin Ruth hatte ganz viele davon, und sie schwor darauf, dass selbst diese Schwangerschaftszipperlein dadurch viel besser geworden wären. Du weißt doch, manchmal ziept es ein wenig, weil die Mutterbänder sich dehnen oder wenn man zu viel auf den Beinen war.“

Ja, in der Tat. Dieses Ziepen, von dem sie sprach, kannte ich durchaus. Gerade jetzt merkte ich es wieder und würde allein deshalb die Shoppingtour gern bald beenden.

„Na gut, dann nehme ich dieses Bauchband. Ich kann es ja mal ausprobieren.“ Zufrieden lächelte meine Ma mich an, und nachdem ich schnell noch zwei weitere Hosen anprobiert hatte, ging es zur Kasse. Ich zuckte ein wenig zusammen, als ich den Preis für das Band sah. 45 Euro? Kurz überlegte ich, ob es nicht auch eines der Tücher aus meinem Kleiderschrank getan hätte, aber ich wollte meine Mutter nicht zu sehr enttäuschen. Nachdem ich schon die Latzhose und die anderen Sachen abgewählt hatte, war das hier doch eine vergleichsweise harmlose Wahl. Und wer weiß, vielleicht war es wirklich ganz praktisch. Mit drei Jeans und diesem Bauchband für den Übergang würde ich wohl noch eine Weile mit meinen alten Hosen hinkommen.

Dankbar stimmte ich zu, als meine Ma vorschlug, noch einen Kaffee trinken zu gehen. Wir hatten durch die ganzen Diskussionen über eine Stunde in dem Laden verbracht, und ich war froh, dass ich mich ein wenig hinsetzen konnte. Auch wenn ich immer sagte, ich war nur schwanger, nicht krank, merkte ich doch, wie mich normale Tätigkeiten allmählich mehr anstrengten als vor der Schwangerschaft. Wir fanden einen Platz in einer gemütlichen Couchecke eines Coffeeshops. Als die Bedienung kam, bestellte meine Ma, ohne mich gefragt zu haben. Aber sie kannte mich auch lange genug, um zu wissen, was ich gern trank.

„Wir nehmen bitte einen koffeinfreien Cappuccino und einen normalen.“

Erstaunt schaute ich zu meiner Mutter, als die Bedienung verschwand, um unsere Getränke zu holen.

„Koffeinfrei? Bekommst du neuerdings Schlafstörungen, wenn du um diese Zeit noch Kaffee trinkst?“

Verwirrt schaute sie mich einen Moment lang an, dann begriff sie anscheinend, was ich meinte.

„Ach Schatz! Du sollst mich doch nicht immer so veralbern! Der koffeinfreie ist natürlich für dich. Du weißt doch, normaler Kaffee ist Gift für das Baby.“

Vor Verzweiflung hätte ich am liebsten den Kopf auf die Tischplatte gehauen. Nicht nur, dass Noah mich zu Hause in Watte packte, jetzt fing meine Mutter auch noch damit an.

„Aber mein Arzt hat gesagt, Kaffee in Maßen sei durchaus erlaubt“, wagte ich zu widersprechen, doch ich hatte keine Chance.

„Dann mach das, wenn ich es nicht mitbekomme. Ich werde nicht die Gesundheit meines Enkels aufs Spiel setzen, nur weil du ein Koffeinjunkie bist.“

Koffeinjunkie? Nur weil ich ab und zu gern mal einen Kaffee trank?

Es war mir zu müßig, das jetzt auszudiskutieren, und so fügte ich mich und gab mich mit dem koffeinfreien Cappuccino, der gerade gebracht wurde, zufrieden.

Bärenbilder

Am nächsten Morgen klingelte es bereits sehr früh an unserer Tür. Mit meinem Kaffeebecher in der Hand ging ich hin und öffnete diese, um meinen Vater hereinzulassen. Heute war unser großer Tag. Zusammen wollten wir dafür sorgen, dass das schönste Kinderzimmer weltweit auf unseren neuen Erdenbürger warten konnte. Die alten Tapeten hatte ich bereits vor einigen Tagen von den Wänden geholt. Ganz alleine hatte ich es getan und kam, bis auf einen kurzen Streit mit Malin, sehr gut voran.

Meine Frau wollte unbedingt dabei helfen und konnte es nicht verstehen, dass ich es nicht zugelassen hatte. Irgendwie schien sie sich ihrer Situation nicht bewusst zu sein. Sie war schwanger. In ihrem Bauch war ein neues Leben dabei, heranzuwachsen. Auf keinen Fall durfte Malin es gefährden. Schon gar nicht mit einer Arbeit, die aus meiner Sicht sowieso eine Männeraufgabe war.

Mit einer knallenden Tür und dem Satz, dass ihr diese blöde Schwangerschaft langsam auf den Keks ginge, verließ sie das zukünftige Kinderzimmer und verschwand nach unten ins Erdgeschoss.

Allerdings stand sie keine zwanzig Minuten später wieder bei mir und hielt zwei Becher mit Friedenskaffee in ihren Händen. Ein Friedenskaffee, der leider auch nicht lange anhielt. Immerhin hatte ich am Abend vorher noch ein Telefonat mit Rita geführt, in dem sie mir davon erzählte, wie schädlich normaler Kaffee für ein ungeborenes Kind war.

Meine Frage, ob sie einen entkoffeinierten Kaffee trinken würde, quittierte sie mit einem süffisanten Lächeln und der Gegenfrage, ob ich rein zufällig mit ihrer Mutter telefoniert hätte. Nach meiner Antwort verließ sie erneut den Raum. Dieses Mal zwar nicht türknallend, dafür aber mit einer abweisenden Handbewegung und kopfschüttelnd.

Unser Versöhnungskuss – oder war es ein Belohnungskuss für mein fleißiges Tapetenabreißen? – war dafür der Wahnsinn. Warum ich an diesen Kuss dachte, während ich meinem Vater einen Kaffee eingoss, wusste ich nicht. Allerdings sorgten diese Gedanken für ein Lächeln auf meinen Lippen.

„Freust du dich so sehr darüber, dass ich dir helfe?“ Glücklich sah mein alter Herr mich an.

„Ja. Ich finde es klasse, dass wir gemeinsam das Paradies für den Zwerg zaubern.“ Klar war es gelogen. Aber ich wollte meinen Vater einfach nicht enttäuschen.

„Dann lass uns starten. Ich habe schon einige Ideen.“

„Ideen? Was hast du für Ideen? Ich hatte dir doch gesagt, wie der Plan ist.“

„Ach Noah. Lass dich einfach überraschen.“

„Überraschen? Papa, es wird das Kinderzimmer für unseren Zwerg.“

„Und das Kinderzimmer für mein Enkelchen. Rita und ich haben uns viele Gedanken gemacht. Lass dich überraschen.“ In diesem Moment bekam ich tatsächlich etwas Angst. War es wirklich richtig, meinen Vater um Hilfe zu bitten? Um Hilfe, die ich gar nicht benötigt hätte. Immerhin hatte ich meinen alten Herren nur gefragt, um ihm zu zeigen, dass er mir wichtig war. Jetzt hieß es, tapfer und stark zu sein.

Stolz präsentierte ich die Postkarte, auf der sich zwei Bärenkinder auf einer Wiese befanden. Mein Plan war es, dieses Bild in groß eigenhändig an die Wand zu malen. Es sollte das Highlight im Zwergenparadies werden. Mein Vater sollte währenddessen die anderen drei Wände des Zimmers streichen. Wir hatten uns gegen Tapeten entschieden, da wir so immer wieder spontan unsere Kreativität ausleben konnten. Malin war für drei cremefarbene oder beige Wände. Ich hingegen fand es für ein Kinderzimmer viel zu langweilig. Da die typischen Mädchen- und Jungenfarben ausfielen, hatten wir uns für sonnengelb entschieden.

Ich war gerade dabei, den Farbeimer mit der gelben Farbe für meinen Vater umzurühren.

„Papa, kannst du mir bitte den Pinsel geben?“ Es kam keine Reaktion.

„Papa, der Pinsel.“ Da wieder keine Reaktion kam, drehte ich mich zu ihm herum. Er war verschwunden. Das zukünftige Kinderzimmer war leer, und ich fragte mich, wohin er wohl gegangen war. Dann klingelte es an der Haustür.

Wer kann das schon wieder sein?, fragte ich mich und machte mich genervt auf den Weg zur Tür.

„Papa?“ Ich sah meinem Vater direkt in die Augen und war erstaunt, dass er vor der Tür stand.

„Entschuldige, Noah. Die Tür ist irgendwie zugefallen.“

„Wo bist du gewesen? Was hast du draußen gemacht?“ Dass meine Fragen vollkommen überflüssig waren, erkannte ich in diesem Augenblick selbst. Schwer bepackt stand mein alter Herr vor mir.

„Am Auto. Lass mich rein, es wird schwer. Oder noch besser – hier nimm.“ Schwups hatte ich einen der Kartons in meinem Arm und trottete meinem Vater hinterher ins Kinderzimmer. Als wir die Kartons abgestellt hatten, sah mein Vater mich stolz an.

„Und?“

„Und was?“

„Freust du dich?“

„Worüber sollte ich mich freuen?“

„Über die Sachen für unser Enkelchen.“

„Ich sehe nur Kartons. Kartons, die übrigens im Weg stehen, da wir das Zimmer streichen wollen.“

„Aber Noah. Sei doch nicht so. Immerhin ist es mein erstes Enkelkind.“

„Ich weiß.“

„Woher weißt du das?“

„Papa!“ Zum Glück bemerkte mein Vater selbst, welch blödsinnige Frage er gerade gestellt hatte.

Dann begann mein Vater damit, die Kartons auszuräumen. Ein rotes IKEA-Holzschaukelpferd war das erste Teil, das er aus dem riesigen Karton zauberte. Nachdem er noch ein Kasperletheater, das zusammengebaut werden musste, herausgeholt hatte, verschlechterte sich meine Laune abrupt. Auch die Deckenlampe, die einen Feuerwehrhelm darstellte, machte es keineswegs besser.

„Was ist, Noah?“

„Wir wollten das Zimmer streichen.“ Ich versuchte, es zu vermeiden, etwas über den mitgebrachten Schrott zu sagen.

„Aber freust du dich denn gar nicht? Rita und ich dachten, dass unser Enkelchen diese Dinge gut gebrauchen kann.“

„Papa. Wir wollten jetzt arbeiten und nicht dekorieren. Außerdem kommt der Zwerg als Säugling zur Welt. Da kann man weder mit einem Schaukelpferd noch mit einem Kasperletheater etwas anfangen.“

„Ja, aber …“

„Kein ‚ja, aber‘. Wir bringen die Sachen jetzt zurück in deinen Wagen und dann beginnen wir mit der Arbeit.“

„Möchtest du den Rest nicht sehen?“

„Jetzt nicht.“

„Warum sollen die Sachen zurück ins Auto? Wollen wir sie nicht bei euch im Keller lagern?“

„Auf keinen Fall. Da ist schon alles voll. Außerdem habt ihr es so griffbereit, wenn es irgendwann mal so weit ist. Damit habt ihr die Geburtstagsgeschenke für die nächsten fünf Jahre vorrätig.“

Inzwischen hatten wir alles im Auto verstaut und waren gerade im Begriff, wieder ins Haus zu gehen, als mein Vater den Kofferraum erneut öffnete und diese schreckliche Lampe herausnahm.

„Aber die können wir jetzt schon anbringen.“ Stolz wie Oskar trug er die hässlichste Lampe, die ich jemals gesehen hatte, zurück ins Haus und legte sie auf die Kommode im Flur. Eine Diskussion begann ich dieses Mal nicht. Wir mussten endlich mit der Arbeit beginnen. Viel zu viel Zeit hatten wir bereits verschenkt.

Allerdings konnte ich mir nicht verkneifen zu erwähnen, dass ein Feuerwehrhelm etwas für Jungs war und wir nicht wussten, ob wir einen Jungen oder Mädchen bekamen.

„Aber es gibt auch Feuerwehrfrauen.“ Klar gab es die. Ich nahm seinen Satz einfach hin und hielt meinen Mund.

Zwei Stunden später hatte ich die Umrisse fertig und konnte mich nun, nachdem diese getrocknet waren, um das Ausmalen kümmern. Mein Vater hatte auch die Hälfte geschafft. Es schrie förmlich nach einer Kaffeepause. Ich wollte mich gerade auf den Weg machen, uns einen Kaffee zu kochen, als die Tür zum Kinderzimmer geöffnet wurde.

„Noah!“ Mehr sagte Malin nicht. Dafür erkannte ich die Lampe, die sie in der Hand hielt, sofort.

„Malin, lass uns in die Küche gehen. Ich wollte gerade einen Kaffee für Papa und mich kochen.“ Leider verstand sie meinen Wink nicht.

„Das kannst du gleich machen. Zuerst müssen wir reden!“

„Das können wir. Komm, wir gehen in die Küche.“

„Nein. Dein Vater kann es gerne hören.“ Wild fuchtelte Malin mit der Lampe vor meiner Nase herum.

„Malin, bitte. Komm, wir gehen und kochen Kaffee.“ Ich griff nach ihrem Arm und wollte mit meiner Frau das Zimmer verlassen.

„Noah, du Feigling!“ Langsam war es mir zu blöd. Sollte sie sich doch vor meinem Vater blamieren.

Allerdings siegte der Engel in mir. In diesem Moment nicht wegen meiner Frau, sondern wegen Papa, der mir leidtat.

„Bitte, Malin. Komm mit in die Küche und lass uns Kaffee kochen. Bitte!“

„Noah, woher hast du die Lampe? Mal ganz ehrlich …“

„Ich habe sie mitgebracht. Magst du sie?“ Mein Vater unterbrach Malin und sah sie freudestrahlend an.

„Äh … Ja … Also … Weißt du …“

„Sag doch einfach, wie du sie findest.“ Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen.

„Außergewöhnlich. Ja … Also … Doch, außergewöhnlich ist wohl das richtige Wort dafür.“

„Das freut mich. Deine Mutter hat mich gefragt, ob diese Lampe mein Ernst sei. Rita fand sie fürchterlich und war der Meinung, dass sie nur etwas für Jungs sei. Aber ich finde sie trotzdem passend, da es ja heutzutage auch Feuerwehrfrauen gibt. Dann bin ich ja beruhigt. Schön, dass sie euch gefällt.“

Malin zog mich am Arm in die Küche. Während wir warteten, dass der Kaffee durch die Maschine gelaufen war, amüsierten wir uns über die hässlichste Lampe weltweit.

„Niemals kommt die in das Zimmer vom Zwerg!“

„Selbstverständlich nicht!“ Genau wie Malin es eben tat, flüsterte ich auch.

Gegen 18 Uhr waren wir tatsächlich fertig. Drei Wände leuchteten in Sonnengelb, während auf der vierten Wand zwei Bärenkinder tobten. Ich war wirklich wahnsinnig stolz auf mein Kunstwerk und freute mich sehr, dass es Malin ebenso gefiel.

Vor das Bild hatte ich unseren Stoffbären gesetzt. Den Bären, der uns seit unserem Kennenlernen auf der AIDA begleitete. Der unser Beziehungs-Bär geworden war und dem wir sehr viel zu verdanken hatten.

Eine Stunde später kam Rita vorbei und brachte etwas vom China-Imbiss für uns mit.

Der Aufbau der Kinderzimmermöbel wurde auf morgen verschoben, und obwohl ich es lieber alleine gemacht hätte, nahm ich das Angebot meines Vaters an. Er wollte mir gerne helfen.

Mädelsabend

Heute Abend war ich mit meinen Freundinnen verabredet. Nachdem ich den ganzen Tag lang zusehen durfte, wie Noah und Dieter die Möbel für unseren Zwerg aufgebaut hatten, musste ich dringend hier raus. In einer Stunde würde ich fahren, und ich konnte es kaum noch abwarten, bis es endlich so weit war. Es lag mir gar nicht, nur untätig danebenzustehen und nicht einmal einzelne Regalbretter anreichen zu dürfen. Immer wieder hatte ich mich zu den beiden gesellt, um wenigstens zuzuschauen, aber ich wurde jedes Mal hinausgeworfen.

„Leg dich doch auf die Couch und lies in deinem Schwangerschaftsbuch. Oder trink einen Tee und schau einen Film.“ Das waren die Worte, die ich immer wieder zu hören bekam. Ich wollte keinen Film sehen, und in dem blöden Buch, das meine Ma mir kurz nach unserem Grillabend vorbeigebracht hatte, wollte ich auch nicht lesen. Das Buch war wirklich gut und beschrieb ausführlich und mit passenden Bildern, wie diese 40 Wochen verlaufen und wie ein Baby sich im Bauch entwickelte. Es war interessant und ich hatte bereits sehr viel aus dem daraus gelernt. Doch mittlerweile hatte ich es längst durch. Während das Zimmer oben Formen annahm, fühlte ich mich, als wäre ich eine Aussätzige. Ich wurde verbannt und konnte nicht beobachten, wie aus einem einfachen Raum ein Kinderzimmer wurde. Dementsprechend genervt war ich, als Noah und sein Vater endlich bei mir im Wohnzimmer auftauchten. Nachdem Dieter sich verabschiedet hatte, kam mein Mann zu mir und schloss mich in seine Arme.

„Nun schau doch nicht so böse. Es sollte auch ein bisschen eine Überraschung werden. Ich sage nicht schon wieder, dass du dich schonen musst, weil ich weiß, dass du das nicht hören willst. Aber ich wollte, dass du es erst siehst, wenn alles fertig ist. Komm mit.“ Er nahm mich bei der Hand und zog mich die Treppe hinauf. Eine Hand legte er vor meine Augen, als wir vor der geschlossenen Zimmertür ankamen, dann führte er mich hinein, bevor er meine Sicht wieder freigab.

Staunend schaute ich mich um. Noah stand hinter mir, seine Hände lagen auf meinem kleinen Bauch und strichen sanft darüber, als wollte er unser Baby streicheln.

„Na, was sagst du?“, fragte mein Mann leise und gab mir einen Kuss auf den Hals. „Gefällt es dir?“

In seinen Armen drehte ich mich um und reckte mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben.

„Es ist einfach wunderschön!“, flüsterte ich, als unsere Lippen sich wieder voneinander gelöst hatten.

Dann ging ich fast ein wenig ehrfürchtig von Möbelstück zu Möbelstück. Der Kleiderschrank, die Wickelkommode, das kleine Regal für die ersten Spielzeuge und dieses Babybettchen standen und zeigten ganz deutlich, das hier war ein Babyzimmer.

Ich blieb vor dem großen Bild an der Wand stehen. Zwei kleine Bärenkinder, die auf einer Wiese vor dem Wald spielten. Natürlich hatte ich es bereits gestern gesehen, nachdem Noah es auf die Wand gemalt hatte, doch erst jetzt, mit den Möbeln, kam es richtig zur Geltung.

„WOW! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich meine, ich war echt ein wenig genervt, dass ich nicht mit anfassen durfte, aber jetzt … Die Überraschung ist dir voll gelungen!“ Wieder schloss ich Noah in meine Arme und bedankte mich mit einem leidenschaftlichen und ausgiebigen Kuss. Meine Hände wanderten wie von selbst unter Noahs T-Shirt und ich strich sanft über die weiche Haut an seinem Bauch. Ich genoss es, seine Reaktion zu spüren und das leise Keuchen zu hören, was ihm bei meinen Berührungen entschlüpfte. Schwer atmend löste er sich ein Stückchen von mir.

„Ich will wirklich nicht unromantisch sein, glaub mir. Ich würde jetzt nur zu gern weitermachen, dich sofort auf die Arme nehmen und ins Bett tragen, aber … Musst du nicht los?“ Seufzend legte ich meine Stirn an seine Brust.

„Ach, stimmt ja. Den ganzen Tag hab ich mich auf das Treffen mit den Mädels gefreut und jetzt hab ich es glatt vergessen. Da siehst du mal, was deine Küsse bei mir anrichten!“ Ich hob den Kopf und zwinkerte ihm zu.

„So soll es sein und so kann es für immer bleiben. Wir holen das später nach. Merk dir, wo wir waren.“ Er gab mir einen Klaps auf den Po und schickte mich los, damit ich mich fertig machen konnte.

Allerdings ließ ich es mir nicht nehmen, unseren Teddy, der noch immer auf dem Fußboden vor dem Bild saß, auf die Wickelkommode zu legen. Ja, so war es perfekt.

Eine Stunde später saß ich mit meinen beiden liebsten Freundinnen zusammen. Heute hatten wir uns bei Lara getroffen, da ihr Freund Clemens donnerstags immer Karatetraining hatte und wir somit ungestört waren. Anika hingegen hatte ihren Mann Jojo zum Babysitten abgestellt und sich einen freien Abend genommen. Seitdem Anika vor zwei Jahren Mutter geworden war, waren unsere Mädelsabende seltener geworden. Sie war eine absolute Vorzeigemama. Zumindest in meinen Augen. Sie liebte ihre Tochter über alles, aber dennoch kannte die Kleine ihre Regeln und Grenzen. Sie selbst schaffte es trotz Teilzeitarbeit und Mutterdasein, sich regelmäßig ihre Auszeiten zu nehmen, und kreiste nicht wie andere Mütter 24 Stunden am Tag nur um ihr Kind. Sie hatte ihre Hobbys nicht aufgegeben, ging noch immer zum Sport und mindestens einmal im Monat einen Abend in die Sauna. Ihr Tag war mehr als voll, trotzdem bekam sie alles irgendwie unter einen Hut, und wir bemühten uns, unsere regelmäßigen Treffen auf Anikas Zeitplan abzustimmen. Bei Lara hingegen war ich mir nicht ganz so sicher, ob sie überhaupt jemals Kinder wollte. Mittlerweile war sie seit fast neun Jahren mit ihrem Freund zusammen, aber wenn man sie auf die Familienplanung ansprach, winkte sie immer nur ab.

„Ich weiß gar nicht, was ihr wollt. Das hat doch Zeit. Mädels, wir sind noch jung. Kinder kann ich auch in ein paar Jahren bekommen.“ So ungefähr lautete jedes Mal ihre Antwort, wenn man sie danach fragte. Obwohl ich wusste, dass sie Kinder liebte, war ich mir nicht im Klaren darüber, wann sie eigene haben wollte.

Natürlich war auch heute Abend meine Schwangerschaft das Thema Nummer eins.

Ich zeigte die aktuellen Ultraschallbilder und erzählte meinen Mädels, wie es mir erging.

„Echt, Noah geht mir manchmal wirklich auf den Keks mit seinem In-Watte-Packen. Ist das normal? War dein Mann auch so, Anika?“

Meine Freundin lachte auf.

„O ja! Und wie! Ich durfte wirklich gar nichts mehr machen. Aber ich kann dir nur raten – genieß es! Ich meine, überleg doch mal, als ich schwanger war, konnte ich mich entspannt zurücklehnen und hatte nichts auszustehen. Ich wurde bekocht, mein Mann hat eingekauft und allein geputzt. Er hat mich nach Strich und Faden verwöhnt.“

„Hm … Ich weiß nicht. Ich komme mir irgendwie schlecht vor dabei. Als würde ich ihn ausnutzen“, antwortete ich.

„Nein, das tust du nicht. Glaub mir, wenn der Zwerg erst da ist, wird sich das wieder ändern.“ Anika grinste und zwinkerte mir zu. „Lass ihn dich ein wenig verwöhnen und auf Händen tragen. Ich meine, versetz dich mal in seine Lage. Er macht sich Sorgen, weil er hilflos ist. Das Baby ist in deinem Bauch, du trägst es in dir, aber er … Er steht daneben und kann nur zuschauen. Das ist doch irgendwie seine Chance, an der Schwangerschaft beteiligt zu sein. Indem er dir alles aus der Hand nimmt, hat er das Gefühl, etwas tun zu können.“

Nachdenklich schaute ich Anika an. Lara hatte bisher nur aufmerksam zugehört, doch jetzt klinkte sie sich in unser Gespräch ein.

„Irgendwie ist es ja auch toll! Es zeigt dir, wie sehr er dich und das Baby liebt. Und solange es dir gut geht – und das tut es ja wohl, oder?“

Ich nahm meinen Teebecher vom Couchtisch und trank einen kleinen Schluck, bevor ich antwortete.

„Ja, es geht mir super! Ich hatte keine merkwürdige Übelkeit, das Kind entwickelt sich prächtig. Das Einzige, was ich merke – mal abgesehen von dem Bauch, der allmählich ordentlich wächst –, ist, dass es immer mal ganz schön zieht.“

„Oh, das kenne ich!“, meinte Anika. „Das hatte ich auch, aber keine Sorge, das ist normal. Und es wird noch mehr werden. Ist ja auch irgendwie kein Wunder, oder? Ich meine, die Haut und die Muskeln und der ganze Kram müssen sich ja auf den Zwerg einstellen und sich einen neuen Platz suchen.“

„Autsch!“ Lara lachte auf. „Ja, allein die Vorstellung, wie das ganze Innenleben auseinandergedrückt wird, weil da auf einmal was wächst, ist schon schmerzhaft.“

„Ja, eben. Solange dein Frauenarzt meint, dass alles gut ist, musst du dir wirklich keine Sorgen machen.“

Die Worte der beiden beruhigten mich ein wenig. Denn auch, wenn ich es Noah gegenüber nicht zugeben würde, weil ich befürchtete, dass er sich dann noch mehr um mich sorgte, hatte mir dieses ständige Ziepen im Bauch schon ein bisschen Angst gemacht. Manchmal hatte ich das Gefühl, mein Bauch würde steinhart werden. So auch neulich, als ich ihn Pizza holen geschickt hatte. Nach der ersten Wanne war das Ziepen weg gewesen, doch nach dem Sex war es wieder da. Deshalb hatte ich ihn losgeschickt. Ich hatte gehofft, wenn ich noch einmal in die Badewanne ging, würde mein Bauch sich wieder entspannen – was auch geklappt hatte.

„Na gut. Wenn ihr meint, ich soll mich ohne schlechtes Gewissen von Noah betüddeln lassen, dann mache ich das.“ Lara und Anika grinsten mich wissend an. Sie kannten mich genau und wussten, wie schwer es mir fiel, die Zügel aus der Hand zu geben und einfach mal nichts zu machen. „Ich versuche es zumindest“, schob ich daher lachend hinterher.

„Okay, Lara. Was macht denn der Job? Jetzt erzähl du doch mal.“ Ich wechselte das Thema. Für heute hatte ich genug über meine Schwangerschaft gesprochen, und da ich wusste, dass Lara erst vor Kurzem befördert worden war, wollte ich wissen, wie ihr die neue Arbeit gefiel.

Wir saßen noch bis kurz vor Mitternacht zusammen, dann fuhr ich müde nach Hause. Diese Auszeit und die Gespräche mit meinen Mädels hatten mir gutgetan und ich konnte Noah jetzt ein wenig besser verstehen. Ja, ich wunderte mich, dass ich nicht von selbst darauf gekommen war. Wenn ich mich in Noahs Lage versetzte, musste es wirklich schwer sein, nur danebenzustehen und nichts für den Zwerg machen zu können.

Als ich zu Hause im Carport angekommen war, blieb ich noch einen Moment im Auto sitzen. Ich legte meine Hände auf den Bauch und schaute darauf hinab.

„Mein kleiner Zwerg. Eins weiß ich ganz genau – du bekommst den besten Papa der Welt! Das weiß ich deshalb, weil er auch der beste Mann der Welt ist. Ich hab dich lieb, kleiner Zwerg“, murmelte ich leise. Dann stieg ich aus und ging ins Haus.

Noah lag bereits im Bett und las noch in einem Buch. Ich kuschelte mich an ihn und küsste ihn zärtlich. „Ich liebe dich so sehr, weißt du das eigentlich?“, flüsterte ich an seinen Lippen.

Freunde

Nach Malins Mädelsabend ging es nicht nur ihr, sondern auch mir besser. Durch die vielen kleinen Hinweise und Aufmunterungen von Anika sahen wir einige Dinge mit anderen Augen. Anika musste es ja wissen. Immerhin war sie eine erfahrene Mutter und hatte nicht nur ein gesundes Kind zur Welt gebracht, sondern war auch eine tolle Begleiterin für ihr kleines Wesen. Sie schaffte es nahezu perfekt, den schmalen Grat zwischen erkunden lassen und erziehen zu finden.

So sollte es bei uns auch werden. Ja, auch wir wollten tolle Eltern für unseren Zwerg sein, und ich hatte keine Zweifel daran, dass wir es schaffen würden.

Heute Abend war Darts angesagt. Ich wollte mich mit Clemens und Cadde treffen. Mit dem Doppel-C, wie Malin meine beiden besten Freunde immer so schön nannte. Zu Cadde hat meine Frau eher wenig Kontakt. Höchstens mal auf einer Geburtstagsfeier stießen sie aufeinander. Cadde, der eigentlich Carsten hieß, war schon eine Ewigkeit Single und fand, dass es auch keine Veranlassung gab, dies zu ändern. Mit Kindern konnte er nicht wirklich viel anfangen. Nicht, dass er keine Kinder mochte. Sie waren ihm einfach egal.

Clemens war der Freund von Lara und alleine dadurch hatten Malin und er einige Berührungspunkte.

Um zwanzig Uhr klingelte mein Handy, und ich erfuhr, dass meine Freunde bereits auf unserer Auffahrt standen und auf mich warteten.

Schnell machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer, um mich von Malin zu verabschieden, als ich erschrocken im Türrahmen stehen blieb. Hatte meine Frau sich gerade ihren Bauch gehalten und dabei eine gekrümmte Haltung eingenommen? Genau wie gestern? Als sie es jedoch vehement abgestritten hatte.

„Ist alles gut?“ Als fühlte sich Malin bei etwas erwischt, drehte sie sich zu mir herum.

„Ja klar. Was sollte sein?“

„Du hast dich doch eben gekrümmt. Tut dein Bauch weh?“

„Nein. Alles ist gut. Ich habe mich nur nach der Fernsehzeitung gebückt.“

„Malin, du musst mit mir reden, wenn irgendetwas los ist.“

„Es ist aber nichts los. Beeil dich lieber und lass deine Freunde nicht warten.“ Nachdem wir uns mit einem Kuss verabschiedet hatten, machte ich mich auf den Weg, obwohl ich irgendwie ein ungutes Bauchgefühl verspürte.

„Liebe Grüße an das Doppel-C.“

„Die richte ich aus.“

Es war der Augenblick, als ich in die Triple-20 getroffen hatte und dies nicht, wie es sonst immer war, meine Jubelfaust und ein dämliches Grinsen zur Folge hatte.

„Was ist los, Noah?“

„Nichts.“ Ich sah Cadde an, wich seinem forschenden Blick jedoch sofort wieder aus.

„Noah!“ Cadde griff nach meinem Oberarm und zog mich an sich heran. Clemens bekam die Situation selbstverständlich mit und verabschiedete sich kurz auf die Toilette. Eine Ausrede, damit wir allein sprechen konnten, vermutete ich.

„Was ist los, mein Bester?“

„Ich mache mir Sorgen um Malin.“

„Um Malin?“

„Ja. Um Malin und manchmal auch um unseren Zwerg.“

„Warum? Ich denke, es ist alles gut. Zumindest hast du das bisher immer gesagt.“

„Habe ich ja auch.“

„Aber?“

„Malin hält sich häufig den Bauch. Es sieht manchmal so aus, als hätte sie Krämpfe.“

„Sie geht doch regelmäßig zum Frauenarzt. Oder etwa nicht?“

„Klar! Selbstverständlich macht sie es.“ Ich war fast etwas empört über die Frage meines Freundes.

„Was sagt der Arzt?“

„Dass alles gut ist.“

„Dann hast du doch keinen Grund für dein merkwürdiges Verhalten.“

„Für welches merkwürdige Verhalten?“

„Na, hör mal, du Wurst. Du hast mit einem Pfeil 60 Punkte geworfen und dich nicht auf deine typisch arrogante Art gefreut.“

„Da hat Cadde recht.“ Clemens war wieder zurück und trug drei Biere in seinen Händen.

„Dann werde ich es mal ändern. Warte, ich werfe noch mal in die Triple-20 und dann freue ich mich auch darüber.“ Mit einem Augenzwinkern sah ich zu Cadde und fixierte die Dartscheibe.

„Spinner.“ Gleichzeitig mit meinem Wurf hörte ich dieses Wort und drehte mich Sekundenbruchteile später zu meinen Freunden um.

„Noch Fragen?“ Ich ballte meine Faust und freute mich wie ein kleines Kind darüber, dass ich es tatsächlich geschafft hatte.

Nachdem wir noch ein paar Runden gespielt hatten, setzten wir uns an unseren Stammtisch und quatschten über alles Mögliche. Es war so, wie es sich für einen Männerabend gehörte. Bei der nächsten Runde bestellte Clemens ein alkoholfreies Bier, da er heute der Fahrer war.

Als ich irgendwann auf die Uhr sah, war es bereits nach Mitternacht. Nicht nur mein Kopf, sondern auch mein kompletter Körper schrie nach Erholung. Nachdem ich einige Male unfreiwillig gegähnt hatte, hatten meine Freunde endlich Mitleid mit mir.

„Nächste Woche zur gleichen Uhrzeit?“ Cadde sah uns fragend an.

„Ja. Dann fahre ich. Und hole zunächst Clemens und dann dich ab.“

„Hört sich gut an. Wollen wir eine Dartscheibe für 20 Uhr reservieren?“ Da es heute auch sehr voll gewesen war, hatte Cadde diese Idee.

„Jep, wollen wir.“ Ich ging zum Tresen und machte den Termin und die Uhrzeit klar.

Cadde hatten wir bereits zu Hause abgesetzt. Nur ich saß noch bei Clemens im Wagen. Das Darten hatte mich endlich wieder auf andere Gedanken gebracht und auch die Gespräche mit meinen Freunden taten mir sehr gut.

Vielleicht übertrieb ich tatsächlich mit meiner Angst um Malin und unseren Zwerg. Jeder hatte schließlich mal Magenprobleme, und Krämpfe kamen in den besten Familien vor. Zumindest hatte es Cadde so formuliert, und ich musste ihm auch noch jetzt, obwohl er wahrscheinlich bereits im Bett lag, recht geben.

Ja, ich hatte tolle Freunde. Der heutige Abend hatte es mir wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. Außerdem hatte ich heute nach langer Zeit mal wieder beim Darts gewonnen. Gewonnen? Nein, ich hatte die beiden abgezogen. Vernichtet war wahrscheinlich der Ausdruck, der am besten passte. Wie häufig ich das Bulls-Eye und auch die Triple-20 getroffen hatte, war beinahe schon unmenschlich. Zumindest für uns Amateurspieler, die sich über solche Treffer noch immer freuten.

Reichlich blöde Kommentare durfte ich mir anhören und selbstverständlich auch am Ende des Abends die Rechnung übernehmen. Doch ich tat es gerne.

Erst als Clemens auf die Bremse trat, erkannte ich, dass wir uns bereits auf meiner Auffahrt befanden. Die Fahrt war wie im Fluge vergangen, und ich hatte jetzt schon keine Lust darauf, morgen früh aufzustehen. Ein paar Biere waren es heute ganz sicher zu viel gewesen. Außerdem tat mein ganzer Körper von den ungewohnten Renovierungsarbeiten weh. Ich wunderte mich ziemlich darüber, da ich im Fitnessstudio nicht nur die typischen Muskelpartien trainierte.

Plötzlich kam mir wieder die Frage in den Sinn, wofür ich damals eigentlich mein Fernstudium als Fitnesscoach gemacht hatte. Immerhin hockte ich noch immer in diesem öden Büro und kontrollierte Versicherungsanträge. Es nervte mich schon eine Ewigkeit, und noch mehr ärgerte ich mich darüber, dass ich den Schritt in eine eigene Existenz nicht gewagt hatte. Ich hatte nicht mal genügend Mut, irgendwo als angestellter Fitnesscoach zu arbeiten. Den richtigen Zeitpunkt hatte ich leider bereits, lange bevor ich Malin kennengelernt hatte, verpasst. Jetzt war ganz sicher nicht der Moment dafür, ein solches Experiment zu wagen. Wir erwarteten ein Kind und da war zunächst Sicherheit angesagt.

„So, mein Bester, ich hau mich mal in die Federn.“

„Mach das.“ Clemens sah mich durch die offene Beifahrertür an.

„Komm gut heim und verfahre dich nicht.“

„Schlaf gut, Noah, und bestell Malin liebe Grüße von mir.“

„Danke, Clemens. Das werde ich machen.“ Ich stand schon neben dem Wagen, als mein Freund die Scheibe öffnete.

„Noah, zerbrich dir nicht den Kopf. Lara hat mir gestern Abend gesagt, dass Malin sich gut fühlt.“

„Danke. Bis ganz bald.“

Dr. Hartmann

Was war nur heute los? Bereits den ganzen Tag lang spannte und schmerzte mein Bauch. Ich war froh, als die Schulklingel endlich läutete und ich meine Schüler in das Wochenende verabschieden konnte. Ich sah zu, dass ich meine Sachen schnappte und nach Hause kam. Kaum angekommen, ließ ich mir Badewasser einlaufen. Bisher hatte baden immer geholfen, dass es mir danach besser ging. Doch dieses Mal nicht.

Ich zog mir eine bequeme Jogginghose und ein Shirt an und legte mich auf die Couch. Vielleicht half es, wenn ich mich einfach ein bisschen hinlegte? Nein, meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Immer stärker krampfte mein Bauch. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Magen-Darm-Infekt. O bitte nicht, den konnte ich ja gerade so gar nicht gebrauchen. Meine Drittklässler schrieben am Montag eine Mathearbeit, die ich noch nicht vorbereitet hatte. Eigentlich hatte ich mir das für heute Nachmittag vorgenommen, aber im Moment war nicht einmal daran zu denken, mich an meinen Schreibtisch zu setzen. Ich konnte nur hoffen, dass es mir morgen wieder besser gehen würde.

Eine Stunde später fand Noah mich auf dem Sofa liegend.

„Was ist denn los? Ist alles gut?“ Während er sich die Jacke auszog und im Vorbeigehen auf eine Stuhllehne am Esstisch hängte, trat er näher und setze sich neben mich.

„Ich glaub, ich hab mir einen Virus oder so eingefangen.“ Die Hände auf meinen Bauch gepresst, blieb ich liegen und schaute zu ihm auf.

Besorgt legte Noah seine Hand auf meine Stirn.

„Fieber hast du nicht, aber du bist käseweiß. Komm, ich bringe dich zum Arzt.“

„Ach Quatsch! Morgen geht es mir bestimmt wieder gut. Ich muss nicht zum Arzt.“ Doch Noah ließ keine Widerrede zu. Er schob seinen Arm unter meine Schultern, um mir aufzuhelfen. Beim Versuch, mich hinzusetzen, zog es heftig in meinem Bauch und ich konnte ein schmerzhaftes Zischen nicht unterdrücken. Zusammengekrümmt saß ich auf der Kante des Sofas, die Arme um meine Mitte geschlungen.

„Hast du wieder dieses Ziehen? Krämpfe?“, fragte mein Mann und legte seine Hand auf meinen Bauch. „Der ist ja knallhart! Los, wir fahren sofort zu deinem Frauenarzt.“ Noah war sichtlich erschrocken, bisher hatte er noch nie gefühlt, wie hart der Bauch manchmal wurde. Als würde ich sämtliche Muskeln komplett anspannen.

„Ich hab bestimmt nur etwas Falsches gegessen“, versuchte ich ihn zu beruhigen, ließ mich jedoch trotzdem von ihm ins Stehen ziehen. Ich war der Meinung, ich brauchte nicht zum Arzt, aber wenn mein Mann sich solche Sorgen machte, würde er eh keine Ruhe geben.

Ein paar Minuten später saßen wir im Auto. Ich schaute Noah an. Seine Hände waren so fest um das Lenkrad gekrallt, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten, an seiner Wange zuckte ein Muskel und er war blass. Ich kannte meinen Mann gut genug, um zu wissen, dass er unendlich angespannt war vor Sorge um mich und unser Baby. Ich legte meine Hand auf seinen Unterarm und versuchte, ihn zu beruhigen.

„Hey, es wird schon alles gut sein! Ganz bestimmt! Ich hab sicher nur etwas Falsches gegessen. Außerdem geht gerade ein Magen-Darm-Virus rum. In meiner Klasse waren diese Woche vier Kinder damit krank. Ich hab mich sicher nur angesteckt.“

„Das mag sein, aber wir fahren lieber einmal zu viel als zu wenig zum Arzt.“

Ich wollte meinem Mann nicht widersprechen, denn ich verstand ihn ja auch. Vermutlich hätte er keine ruhige Minute mehr, bis er vom Arzt gehört hatte, dass alles in Ordnung war. Bis er das Baby und seinen Herzschlag auf dem Ultraschall gesehen hatte.

In der Praxis angekommen, stürmte Noah sofort zur Anmeldung. Zum Glück war gerade nichts los, und so konnte er die Arzthelferin gleich ansprechen.

„Meine Frau ist schwanger und hat Krämpfe. Wir würden gern mit Herrn Doktor Hartmann sprechen.“

Die Arzthelferin lächelte ihn freundlich an.

„Oh, da haben Sie aber Glück. Wären Sie eine halbe Stunde später gekommen, wäre hier geschlossen gewesen. Dann geben Sie mir doch mal Ihren Mutterpass, bitte.“

Ich holte das kleine blaue Heft aus meiner Handtasche und schob es ihr über den Tresen. Nachdem die Arzthelferin einen Moment lang darin geblättert und gelesen hatte, bat sie uns in einen Raum.

„Wir machen erst einmal ein CTG“, sagte sie. „Und dann schauen wir, was los ist.“

Verständnislos schaute Noah sie an. „Ein was?“

„Ein CTG. Das ist ein Wehenschreiber.“ Nachdem sie mich gebeten hatte, mich auf die Liege zu legen, erklärte sie weiter. „Das ist so ähnlich wie ein EKG, nur dass damit die Wehentätigkeit aufgezeichnet wird.“

Sie legte mir einen breiten Gurt um den Bauch und schob zwei runde Teile darunter. „Hierüber wird alles aufgenommen, was in Ihrem Bauch passiert, und wenn es gut läuft, hören wir gleich den Herzschlag des kleinen Wurms. In der 19. Woche sollte das normalerweise schon klappen.“ Sie drehte ein paar Knöpfe an einem Gerät, das durch Kabel mit den komischen runden Teilen verbunden war, und Sekunden später hörten wir es. Ein leises, gleichmäßiges Pochen. Mit großen Augen schaute ich Noah an und er blickte ebenso fasziniert zurück.

„Das ist unser Zwerg!“, murmelte er ehrfürchtig und strahlte die Arzthelferin mit feuchten Augen an. Auch in meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Was für ein wunderschöner Moment! Das erste Mal hörten wir den Herzschlag unseres Babys.

„Ich lasse Sie dann mal einen Augenblick allein. Setzen Sie sich ruhig zu Ihrer Frau. Das wird ein paar Minuten dauern.“

Schweigend setze Noah sich auf den Rand der Liege und nahm meine Hand in seine.

„Ist das schön!“, flüsterte er und die nächsten Minuten lauschten wir beide andächtig.

Als die Arzthelferin nach einiger Zeit zurückkehrte, riss sie einen Papierstreifen ab, der aus dem Gerät neben der Liege gelaufen war. Darauf war eine schwarze Zickzacklinie zu erkennen, aber was das bedeutete – ich hatte keine Ahnung. Vielleicht hätte ich mich doch ein bisschen intensiver mit diesem Teil der Schwangerschaft beschäftigen sollen? Ich hoffte, der Arzt würde uns gleich ein wenig mehr dazu sagen. Die Helferin verschwand mit dem Papierstreifen und kurz darauf wurden wir ins Sprechzimmer gerufen. Dr. Hartmann begrüßte uns, dann durfte ich mich unten herum frei machen und auf den typischen Stuhl klettern, wo er mich mit dem Ultraschall untersuchte.

Erleichtert sah ich das kleine Herz unseres Zwergs schlagen. Er bewegte sich sogar ein wenig. Dennoch blieb das Gesicht meines Arztes ernst. Ich wusste nicht, was er sah, aber sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Angst machte sich in mir breit und auch Noah wurde unruhig.

„Nun sagen Sie doch etwas. Ist alles gut mit dem Baby?“, fragte er, als er das Schweigen nicht mehr aushielt.

„Ich erkläre Ihnen gleich alles. Ziehen Sie sich erst einmal wieder an.“

Ein paar Minuten später saßen wir vor dem Schreibtisch des Frauenarztes und warteten angespannt, was gleich kommen würde. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Auch wenn es mich beruhigte, zu sehen, dass das Baby sich bewegte, sagte mir mein Gefühl, dass Dr. Hartmann keine sonderlich guten Nachrichten für uns haben würde. Und so war es auch.

„Ihrem Baby geht es so weit gut. Dennoch besteht ernst zu nehmender Grund zur Sorge. Das CTG hat deutliche Kontraktionen gezeigt, die Sie so früh in der Schwangerschaft nicht haben dürften. Haben Sie sich in letzter Zeit besonders angestrengt? Schwer gehoben? Irgendetwas?“

Ich schüttelte den Kopf und griff nach Noahs Hand. Ich brauchte jetzt den Körperkontakt zu ihm, musste spüren, dass er da war, dass er mir Halt gab.

„Die Kontraktionen sind nicht das Einzige, was mir Sorgen macht. Auch Ihr Muttermund ist bereits ein wenig geöffnet.“

„Was bedeutet das?“, fragte Noah dazwischen.

„Der Muttermund sollte eigentlich noch fest verschlossen sein, er öffnet sich normalerweise erst, wenn das Baby sich auf den Weg macht, kurz vor der Geburt.“

„Aber das ist noch Monate hin!“, warf ich ein und hörte selbst, wie ängstlich meine Stimme klang.

„Ja, eben. Ich werde Ihnen jetzt eine Überweisung ins Krankenhaus ausstellen. Dort werden Sie stationär aufgenommen, und die Kollegen werden alles tun, damit Ihr Baby da bleibt, wo es ist.“

Ich kam mir vor, als wäre ich in einem Albtraum gefangen. Das konnte nicht sein! Es war zu früh! Viel zu früh!

Immer wieder dröhnten die Worte durch meinen Kopf und ich nahm nichts mehr um mich herum wahr. Hörte nicht, was Dr. Hartmann noch zu uns sagte. In meinen Ohren rauschte es, als würde ich direkt neben einem riesigen Wasserfall stehen.

Zu früh!

Viel zu früh!

Nein, bitte nicht! Es ist viel zu früh!

Panik ergriff mich und das Atmen fiel mir schwer. Ich japste nach Luft, mir wurde schwindelig, aber ich kämpfte mit aller Kraft dagegen an und versuchte, meinen Atem wieder zu kontrollieren. So fest ich konnte, drückte ich Noahs Finger in meiner Hand. Ich durfte jetzt nicht schlappmachen! Ich musste stark sein! Mein Baby lebte, und ich musste alles dafür tun, dass es auch so blieb.

Tränen liefen mir über die Wangen, und ungeachtet des Arztes, der noch immer mit uns sprach, drehte ich mich zu Noah.

„Fahr mich ins Krankenhaus. Schnell!“

Krankenhaustüren

„Sofort, Malin.“ Ich griff jetzt auch nach der anderen Hand meiner Frau und sah sie an. Dann wandte ich meinen Blick wieder zu dem Menschen, der uns eben diese schreckliche Nachricht übermittelt hatte.

„Was müssen wir noch beachten? Benötigen wir noch etwas anderes als die Überweisung von Ihnen?“ Merkwürdig ruhig und sachlich sagte ich meine Sätze.

„Nein. Zunächst genügt die Überweisung.“

„Was bedeutet zunächst?“

„Wenn das Krankenhaus noch weitere Informationen benötigen sollte, wird es sich bei mir melden und diese anfordern.“

„Können wir jetzt endlich los?“ Malin mischte sich ein und wollte aufstehen. Auf halber Strecke musste sie ihren Versuch abbrechen. Sie ließ sich, mit den Armen auf dem Bauch verschränkt und einem schmerzverzerrten Gesicht, wieder auf den Stuhl fallen.

„Fahren Sie jetzt besser los. Je früher Sie im Krankenhaus ankommen, desto besser ist es. Soll ich ein Taxi rufen?“

„Nein, mein Mann fährt mich. Wir sind mit dem Auto da.“ Wieder übernahm Malin das Gespräch und versuchte erneut, aufzustehen. Herr Dr. Hartmann war inzwischen um seinen Schreibtisch herumgekommen und half meiner Frau auf, genau wie ich es von der anderen Seite tat.

„Sie sind sich sicher, dass ich kein Taxi rufen soll? Ich kann auch einen Rettungswagen bestellen.“

„Auf keinen Fall. Komm, Noah, wir müssen los.“ Malin hakte sich bei mir unter und wir verließen die Praxis.

Da wir mein Auto einige Straßen weiter entfernt abgestellt hatten, wartete Malin vor der Praxis auf mich. Ich lief im Dauerlauf durch die Stadt und kam nach ungefähr fünf Minuten an der Stelle an, wo wir vorhin den Wagen geparkt hatten.

Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film. Nachdem ich einige Male um den Platz herumgelaufen war, wo wir das Auto vorhin abgestellt hatten, gab ich auf und machte mich auf den Rückweg. Schon auf dem Weg zurück zu Malin griff ich nach meinem Handy und rief bei einer der vielen Taxizentralen an.

„Schnell, wir brauchen einen Wagen zur Praxis von Herrn Dr. Hartmann.“ Nachdem ich auch die Adresse genannt hatte, erfuhr ich, dass das Taxi in zehn Minuten bei uns eintreffen würde.

„In zehn Minuten? Ist das Ihr Ernst? Es kann ja wohl in Hamburg nicht so lange dauern, bis ein Taxi irgendwo erscheint.“ Doch was blieb mir anderes übrig? Wir benötigten dringend einen Wagen und die paar Minuten Wartezeit würden den Kohl hoffentlich auch nicht fett machen.

„Wo ist dein Auto?“ Malin sah mich fragend an.

„Geklaut oder abgeschleppt.“

„Was?“

„Es ist nicht da. Allerdings ist es jetzt auch egal. Ich habe schon ein Taxi gerufen.“

„Wann kommt es?“

„In ein paar Minuten.“ Dass Malin weder weiter auf die paar Minuten noch auf das verschwundene Auto einging, machte mir Angst. Es war normalerweise nicht ihre Art, solche Dinge unkommentiert stehen zu lassen. Sie musste wirklich Schmerzen haben.

Endlich waren wir auf dem Weg in die Klinik. Mit schmerzverzerrtem Gesicht saß meine Frau neben mir auf der Rückbank. Sie hatte ihren Kopf fast zwischen den Beinen vergraben und stöhnte leise vor sich hin.

„Geht es nicht schneller? Meine Frau hat starke Schmerzen.“

„Es tut mir leid. Ich darf hier nicht schneller fahren.“

„Aber es handelt sich um einen Notfall.“

„Und wer zahlt, wenn ich geblitzt werde?“

„Ich! Drück endlich das Gaspedal durch, oder mein Anwalt wird sich noch heute bei dir melden.“ Es hatte gewirkt. Tatsächlich konnte ich erkennen, wie sich die Tachonadel in den höheren Bereich bewegte. Einen Anwalt hatte ich zwar nicht, aber Cadde hatte mir schon häufiger gesagt, dass das Drohen mit einem Anwalt oftmals enorm wirkte.

Endlich konnte ich den Eingang vom Krankenhaus erkennen. Als unser Fahrer schon fast angehalten hatte, sah ich ihn über den Rückspiegel an.

„Dahinten müssen wir hin.“

„Dorthin darf ich aber nicht fahren. Das letzte Stück ist nur für Rettungsfahrzeuge.“

„Und wie du das darfst. Sieh zu!“ Mein Ton und mein Gesichtsausdruck, den er über den Spiegel gut erkennen konnte, hatten dafür gesorgt, dass er uns direkt am Eingang der Notaufnahme absetzte. Schnell drückte ich ihm das Geld in die Hand und kümmerte mich anschließend um meine Frau.

Ein Krankenpfleger kam uns bereits entgegengelaufen. Als er sah, wie schlecht es Malin inzwischen ging, rief er nach einem Kollegen, der wenige Sekunden später mit einer Trage zu uns kam.

Als Malin endlich darauf lag und die beiden Helfer sie ins Krankenhaus hineinschieben wollten, drehte sie sich auf die Seite. Ein großer Schwall Erbrochenes verteilte sich nicht nur über den Boden, sondern auch über meine Schuhe.

„Noah.“

„Ja, mein Engel.“

„Bitte bleib bei mir, und sag mir, dass alles gut wird.“

„Selbstverständlich bleibe ich bei dir.“

„Wird auch alles gut?“

„Alles wird gut. Ganz sicher.“ Ich griff nach ihrer Hand und ging einige Meter neben der Trage her.

„Hier können Sie nicht mit rein. Bitte bleiben Sie draußen. Dort ist der Wartebereich“, sagte der Pfleger und deutete auf ein paar Stühle.

„Aber …“

„Kein Aber. Tun Sie es einfach für Ihre Frau.“ Malin und ich sahen uns an. Dann trennten sich unsere Hände voneinander, und ich musste zusehen, wie sich die Tür öffnete und wenige Sekunden hinter meiner Frau und den Pflegern wieder schloss.

Malin war weg. Ganz alleine stand ich im Flur und starrte gegen diese blöde Tür. Deutlich konnte ich in großen Buchstaben das Wort NOTAUFNAHME lesen.

Ich kam mir vor wie in einer anderen Welt. Ich wurde gerade durch eine Schiebetür von der Frau getrennt, die ich über alles liebte. Sie war alleine hinter dieser verkackten Schiebetür verschwunden. Ich musste sie gehen lassen und durfte ihr nicht helfen. Durfte nicht bei ihr sein. Nicht einmal ihre Hand konnte ich halten. Ihr nicht über die Haare streicheln, ihr nicht die Stirn küssen oder gut zureden.

Wieder war es eine Schiebetür, die mich davon abhielt, helfen zu können. Genau wie auf Gran Canaria, als Rita und mein Vater ins Krankenhaus eingeliefert worden waren. Damals, nach ihrem schrecklichen Unfall beim Parasailing. Bei der Sache, die Malin und ich ihnen zur Hochzeit geschenkt hatten und die fast dafür gesorgt hätte, dass Malins Mutter zum Pflegefall geworden wäre.

Doch damals hatte ich immerhin Malin an meiner Seite. Zusammen mit ihr vor einer Schiebetür zu stehen, war etwas anderes. Wir gaben uns gegenseitig Halt und waren füreinander da. Wenn einer von uns in ein Loch gefallen war, hatte der andere ihn wieder herausgeholt. Wir konnten unsere Hände halten, uns streicheln, uns Sicherheit geben und nahe sein. Jetzt lag der Mensch, der für mich alles im Leben bedeutete, auf der anderen Seite dieser beschissenen Schiebetür.

Anstatt mir einen Platz im Wartebereich zu suchen, blieb ich hier stehen und wartete darauf, dass sich die Schiebetür wieder öffnete. Ich hoffte, dass alles nicht so schlimm war und Malin gleich durch die Tür kommen würde. Dass die Tür aufgehen würde und wir uns entgegenlaufen konnten. Wir uns in die Arme fielen und uns küssten. Dann würde ich über Malins Bauch streicheln und von ihr gesagt bekommen, dass alles nur falscher Alarm gewesen war.

Allerdings holten mich auch die Sätze von Dr. Hartmann wieder ein. Zunächst genügt die Überweisung. Wenn das Krankenhaus noch weitere Informationen benötigen sollte, wird es sich bei mir melden und diese anfordern.

Was hatte er damit gemeint? Besser gefragt, was hatte er uns verschwiegen? Wusste er sehr viel mehr, als er uns erzählt hatte? Wollte er nicht die ganze Wahrheit sagen, damit sich die Situation bei Malin nicht noch weiter verschlimmerte? Wollte er uns, eher gesagt Malin, schonen?

Inzwischen hatte ich nicht nur die Flure, sondern auch den gesamten Wartebereich Schritt für Schritt vermessen. Es gab wahrscheinlich keinen Zentimeter mehr, auf den ich nicht meinen Fuß gesetzt hatte. Die irrsinnigsten Gedanken stiegen in meinen Kopf. Wäre Malin vielleicht gar nicht in der Notaufnahme gelandet, wenn ich den Taxifahrer nicht gezwungen hätte, bis hierher zu fahren? Hätten wir womöglich lieber den normalen Eingang benutzen sollen? War ich an allem schuld? Vielleicht war es sogar so, dass genau die Minuten gefehlt haben, die ich nach meinem Wagen gesucht hatte. Ich war es, der den Parkplatz ausgesucht hatte. Hatte ich mit dieser Auswahl dafür gesorgt, dass es meiner Frau und meinem Zwerg schlecht ging?

Was war ich nur für ein lausiger Ehemann? Nein, nicht nur ein lausiger Ehemann, auch ebensolcher Vater. Ich schaffte es ja nicht einmal, mein ungeborenes Kind zu beschützen. Wie sollte es erst werden, wenn es auf die Welt kommen würde?

Was war ich für eine Niete! Ein kompletter Versager! Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn Malin gar nicht schwanger geworden wäre. Dann wäre ihr erspart geblieben, zu erfahren, dass ihr Ehemann ein Loser war. Meine Tränen konnte ich nicht aufhalten, und ich hatte keine Ahnung, ob es Tränen aus Verzweiflung, Angst oder Wut waren.

Ich saß inzwischen auf einem der Wartestühle und hatte den Kopf in meinen aufgestützten Händen vergraben.

„Herr Denkewitz?“ Nachdem ich meine Augen geöffnet hatte, sah ich auf zwei weiße Turnschuhe. Dann hob ich den Kopf.

„Ja.“

„Bitte kommen Sie mit.“

21 Wochen

Blicklos starrte ich aus dem Fenster meines Zimmers. Nachdem ich in der Notaufnahme erstversorgt worden war, kam der Gynäkologe der Entbindungsstation und untersuchte mich. Wieder wurde ich an den Wehenschreiber angeschlossen, während eine Krankenschwester mir einen Zugang legte und mir darüber ein Schmerzmittel gab. Es dauerte nicht lange und die Krämpfe ließen nach – zumindest fühlte es sich so an, da ich es endlich schaffte, mich zu entspannen.

Die Sorge um meinen Zwerg ließ mich innerlich fast durchdrehen, doch ich versuchte, mich so gut es ging zusammenzureißen. Ich durfte mich jetzt nicht in meiner Angst verlieren, ich musste stark sein und jede Anweisung des Arztes genau mitbekommen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752124842
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Drama Freude Freundschaft Lachen Zusammenhalt Familie Liebe Leben Mut Humor

Autoren

  • Kerry Greine (Autor:in)

  • Ben Bertram (Autor:in)

Ben Bertram ist ein Hamburger Jung. Er erblickte er das Licht der Welt und fand im Umgang mit Wort und Witz schnell ein Hobby, welches er pflegt. Er verbringt viel Zeit auf der Sylt, auf die er sich auch gerne zum Schreiben zurückzieht. Kerry Greine ist Autorin aus Leidenschaft. Sie ist eine Träumerin, Bloggerin, Tänzerin und emotionale Chaotin. Ein Dorfkind mit großer Liebe zu Hamburg. So viel Zeit wie möglich verbringt sie mit ihrer "Wauz" auf Sylt, denn im Herzen ist sie ein Inselkind.
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Titel: Tränen auf deinen Wangen