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GAARSON-GATE: Die 6. Kompilation

„Die Bände 51 bis 60 der Serie hier in einem Buch zusammengefasst!“

von Wilfried A. Hary (Autor:in)
400 Seiten

Zusammenfassung

GAARSON-GATE: Die 6. Kompilation Wilfried A. Hary (Hrsg.): „Die Bände 51 bis 60 der Serie hier in einem Buch zusammengefasst!“ Eine Kompilation ist die Zusammenfassung von mehreren veröffentlichten Werken in einem einzigen Buch. In dieser GAARSON-GATE-Kompilation handelt es sich um zehn Romane in einem Buch. Hier die in dieser Kompilation enthaltenen originalen Romane mit Angabe der jeweiligen Autoren: 51 »Das kalte Tor« K. H. Reeg / Thomas Maul (10/04 GB) 52 »Keltokoi« K. H. Reeg / Thomas Maul (11/04 GB) 53 »Die Droge des Lebens« K. H. Reeg / Thomas Maul (12/04 GB) 54 »Götter aus Eis« K. H. Reeg / Thomas Maul (1/05 GB) 55 »Der lange Weg zur Erde« K. H. Reeg / Thomas Maul (2/05 GB) 56 »Der Sternenvogt« Wilfried Hary (3/05 GB) 57 »Assassinen« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (4/05 GB) 58 »Flucht ins Weltall« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (6/05 GB) 59 »Der schwarze Nebel« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (8/05 GB) 60 »Grendel IV« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (10/05 GB) Klammerangaben: Ersterscheinung nach Monat und Jahr und Kürzel des jeweiligen Coverkünstlers des orignalen Einzelromans! Immer Ihr Wilfried A. Hary (Hrsg.) Gaarson-Gate - die große, in sich abgeschlossene Science-Fiction-Serie! Diese alternative SF-Serie umfasst in der Heftversion insgesamt 77 Bände. GAARSON-GATE ist die Schwesterserie von STAR GATE - das Original! Verfolgen Sie die Abenteuer der Menschheit in über vierhundert Jahren. Erleben Sie die ferne Zukunft hautnah – und bangen Sie mit: Wird die Menschheit das größte Abenteuer ihrer Geschichte heil überstehen? Sämtliche Rechte und uneingeschränktes Copyright weltweit: HARY-PRODUCTION Copyright neu 2019 by HARY-PRODUCTION * Sämtliche Rechte vorbehalten! Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung von HARY-PRODUCTION! Logo: Gerhard Börnsen Covergestaltung: Anistasius Lektorat: David Geiger

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


GAARSON-GATE:

Die 6. Kompilation

 

GAARSON-GATE ist die Schwesterserie von STAR GATE – das Original!

 

„Die Bände 51 bis 60 der Serie hier in einem Buch zusammengefasst!“

Eine Kompilation ist die Zusammenfassung von mehreren veröffentlichten Werken in einem einzigen Buch. In dieser GAARSON-GATE-Kompilation handelt es sich um zehn Romane in einem Buch.

 

Hier die in dieser Kompilation enthaltenen originalen Romane mit Angabe der jeweiligen Autoren:

51 »Das kalte Tor« K. H. Reeg / Thomas Maul (10/04 GB)

52 »Keltokoi« K. H. Reeg / Thomas Maul (11/04 GB)

53 »Die Droge des Lebens« K. H. Reeg / Thomas Maul (12/04 GB)

54 »Götter aus Eis« K. H. Reeg / Thomas Maul (1/05 GB)

55 »Der lange Weg zur Erde« K. H. Reeg / Thomas Maul (2/05 GB)

56 »Der Sternenvogt« Wilfried Hary (3/05 GB)

57 »Assassinen« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (4/05 GB)

58 »Flucht ins Weltall« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (6/05 GB)

59 »Der schwarze Nebel« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (8/05 GB)

60 »Grendel IV« Dirk Taeger/ Wilfried Hary (10/05 GB)

Klammerangaben: Ersterscheinung nach Monat und Jahr und Kürzel des jeweiligen Coverkünstlers des orignalen Einzelromans!

Immer Ihr Wilfried A. Hary (Hrsg.)

 

 

Impressum:

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

 

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

 

ISSN 1614-3299

 

Diese Fassung:

© 2019 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: wah@HaryPro.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 

Coverhintergrund: Anistasius

Logo: Gerhard Börnsen

GAARSON-GATE 051

GAARSON-GATE ist die Schwesterserie von STAR GATE – das Original!

Titel:

Das kalte Tor

von K. H. Reeg

Co-Autor: Thomas Maul

»Gemeine Diebe - und andere Verbündete«

27. Oktober 2052 = Tipor Gaarson beschert der Menschheit den nach ihm benannten GAARSON-Effekt - als schier unerschöpfliche Energiequelle. Sie wird zum »Tor zu den Sternen«.

13. Januar 2091 = In den Annalen der Menschheit vermerkt als der Todestag des Genies Tipor Gaarson. Aber was niemand auf der Erde bemerkt: Im gleichen Moment, als Tipor Gaarson stirbt, erscheinen in einer fernen Galaxis, auf den Ruinenwelten des untergegangenen sogenannten Prupper-Reiches verteilt, sämtliche 18 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben. Sozusagen von einem Augenblick zum anderen. Aber es sind nicht die »Originale«, sondern exakte Klone. Ihre Nachfahren nennen die unvorstellbare Macht, die dies vollbrachte, ihren »Pruppergott«.

Der Pruppergott ist in Wirklichkeit das ominöse »Konglomerat der Mächtigen« und verfolgt mit der Erschaffung des »NEUEN IMPERIUMS« aus Menschenklonen eine noch undurchsichtige Absicht. Dass es ausgerechnet Erd-Menschen klonte, liegt an einem speziellen Menschen, der im zwanzigsten Jahrhundert seine Aufmerksamkeit erregte. Er heißt Maximilian »Max« Junker - und dieser gelangt zufällig in eine seltsame und gefährliche Welt. Seine wichtigste Waffe heißt »Täuscher«. Sie sieht aus wie ein Wanderstab, doch sie hat gewissermaßen »magische Eigenschaften«.

Angelangt in einer fremden Stadt...

*

Max fasste Täuscher fester und machte sich auf den Weg zum Markt. Noch einmal schaute er über die Schulter, doch Kamaro, der Händler, der ihn her gebracht hatte, war nicht mehr zu sehen. Seufzend drehte er den Kopf nach vorn und stieß im gleichen Moment mit ei­nem mittelgroßen Mann in gebückter Haltung zusammen. Max setzte bereits zu einer Entschuldigung an, als er bemerkte, dass sich der Fremde überhaupt nicht bewegte.

Vorsichtig tippte er die Gestalt an und spürte erschrocken die kalte Härte von Stein. Max betrachtete sich die Statue etwas genauer und musste erstaunt feststellen, dass die Figur eine fast lebendig wirkende Natürlichkeit ausstrahlte. Die Haare, die einzelnen Fasern der Kleidung und die Poren der Haut, alles bis ins Detail genau. Selbst die Farben waren bis auf einen kaum wahrnehmbaren Grünstich absolut naturgetreu. Max konnte nicht einmal die Spuren einer Lackierung entdecken. Hier musste ein begnadeter Künstler am Werk gewesen sein. Doch warum stand diese wunderbare Statue gerade hier in einem dunklen Straßenwinkel? Nun ja, es geht mich ja nichts an, was die hier unter dekorativ verstehen. Andere Länder anders Sitten, dachte Max leicht belustigt und setzte seinen Weg fort.

Bald darauf nahm der Geräuschepegel zu und Max nahm jetzt immer stärker die Gerüche auf, die wohl jedem Markt eigen waren. Allerdings war er trotz »Andere-Länder-Andere-Sitten« leicht verwirrt, denn auf seinem bisher zurück gelegten Weg hatte er noch mehrere dieser seltsamen Statuen gesehen, die an den sonderbarsten Orten standen. Immer stellten sie Menschen in den verschiedensten Haltungen des alltäglichen Lebens dar. Max unterdrückte sein brennendes Ver­langen, einen der Passanten diesbezüglich zu fragen. Vielleicht handelte es sich um religiöse Objekte und es war unhöflich oder gar verboten, darüber zu sprechen? Max schob diese Gedanken beiseite und wenige Schritte weiter nahm ihn der Markt von Lokisgjöld mit seiner hektisch, lebendigen Atmosphäre auf.

Tausend fremde Gerüche nach exotischen Gewürzen und Parfüms, der aromatische Duft aus Garstuben und von Holzkohlegrills. Glitzernde Juwelen und gleißendes Gold. Darüber das allgegenwärtige Geschrei der Händler. Langsam schlenderte Max durch die Gassen zwischen den Buden und Ständen, fast betäubt durch dieses Gewirr von Farben und Gerüchen, dem Gewimmel von Menschen jeder Hautfarbe und Schat­tierung.

Nach einiger Zeit fiel ihm ein kleines, etwas erhöhtes Podest auf, um den sich eine womöglich noch dichtere Menschenmenge drängte als an anderen Ständen.

Neugierig ging Max näher, um zu sehen, was hier Besonderes verkauft wurde. Bei den anderen Schaulustigen angekommen, konnte er jetzt auch die Worte des Mannes verstehen, der in einer mit astrologischen Zeichen bestickten, wal­lenden schwarzen Robe steckte und hier seine Ware anpries.

»Endlich ist es wieder da«, schrie er wild gestikulierend und mit rollenden Augen. »Das mystische Pulver, das unter schrecklichen Ge­fahren aus den ver­gessenen Nekropolen der tierköpfigen Menschen von Xu-Xuata geborgen wurde. Dort, wo die Tierlords immer noch als Totgänger über die Gräber wandeln und ihren Gott Sath-a-Sath verfluchen, der sie verraten hat an die ewigen Spieler. Die am Rande des Universums sitzen und die Zeit verspielen, mit Würfeln ohne Augen. Ja«, fuhr der Händler, nach einer kurzen Pause, um das Gesagte wirken zu lassen, fort, »es ist wieder da. Unter unsäglichen Gefahren gewonnen, um hier für einen Bruchteil seines Wertes verkauft zu werden. Kauft das magische Pulver und alle Probleme werden bald von euch gewichen sein. Und als Sonderangebot dieses wahre Wundermittel im Rohzustand.«

Max dachte bei dieser überschäumenden Lobpreisung sofort an irgend ein Rauschgift. Nachdenklich betrachtete er sich die gut daumennagelgroßen, jadegrün schimmernden, dünnen Plättchen, die da auf dem Tisch lagen. Dem Gebrummel der Umstehenden nach zu urteilen, mussten diese Plättchen und auch das daneben liegende Pulver Unmengen wert sein. Irgendwie kam ihm das Aussehen und die Farbe bekannt vor. Max dachte angestrengt nach und dann hatte er es. Er kramte in seiner Tasche und spähte unauffällig hinein. Ja, das Stück, das ihm der Alte auf Dürrast gegeben hatte, bestand zweifelsohne aus dem selben Material. Nur, dass sein Stück bedeutend größer war. Es war bestimmt die zehn- bis zwanzigfache Menge der kompletten Auslage des Händlers. Seine Geldsorgen hatten sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Er war reich, stinkreich. Max sah eine rosige Zukunft auf sich zu kommen. Doch seine Euphorie legte sich schnell, zuerst galt es, heraus zu finden, was das Pulver bewirkte und dann war es bestimmt nicht gut, gleich mit dem ganzen Stück anzukommen. Außerdem war es bestimmt von Vorteil, sich mit den örtlichen Gepflogenheiten bekannt zu machen, wie Steuern und so. Mit solchen Dingen war nicht zu spaßen, weder auf der guten alten Erde noch hier, da war er sich sicher. Er hatte keine Lust, durch Unwissenheit Schwierigkeiten mit dem hiesigen Fiskus zu bekommen und in einem kalten, nassen Kerker zu landen oder Schlimmeres. Wahrscheinlich Schlimmeres, angesichts der hier herrschenden, etwas rustikalen Lebensweise, überlegte er vorausschauend.

Max seufzte entsagungsvoll, schloss seinen Beutel und be­schloss, in dieser Angelegenheit, mit angemessener Vorsicht natürlich, Kamaro um Rat zufragen. Dieser schien zwar ein gewaltiges Schlitzohr zu sein, aber er war der Einzige, den er kannte. Zuversichtlich machte er sich auf den Weg und fragte sich nach dem geflügelten Gott durch.

Auch hier, auf dem Marktplatz, sah er einige der seltsamen Statuen. Max war überwältigt von all den Dingen, die es hier zu sehen gab, dass er die rot gekleidete Gestalt, die ihm seit einiger Zeit folgte, nicht bemerkte. Ein kaum wahrnehmbarer Gewichtsverlust an seiner Seite und eine schnelle Bewegung im Augenwinkel rissen ihn aus den Gedanken. Das Fehlen der Tasche und eine davon huschende Gestalt. Das nahm Max mit einem Blick wahr. Ohne zu überlegen, setzte er zur Verfolgung an. Doch seine Aussichten schie­nen nicht die Besten zu sein. Der Dieb verfügte über erstaunliche Ortskenntnisse und war verdammt schnell.

Das Schwert schlug Max beim raschen Lau­fen gegen die Beine und ließ ihn mehrmals stolpern. Fluchend bahnte er sich einen Weg durch die dichtstehenden Menschen, was ihn erheblich behinderte - dem Dieb schien das nichts auszumachen. Im Gegenteil, er schlängelte sich so geschickt durch die Menge, dass sein Vorsprung immer mehr wuchs. Max hatte ihn schon fast aus den Augen verloren, als er ihn in eine schmale Seitenstraße huschen sah. Er spornte noch einmal all seine Kräfte an und bog Sekunden später in die düstere Gasse ein.

Zu beiden Seiten häuften sich große Stapel Unrat an den moderigen Häuserfassaden. Max sah sich kurz um und hastete weiter. Er war schon, während seine Hoffnung immer weiter schwand, ein ganzes Stück weit in die Gasse vorgedrungen, als er voraus die Geräusche einer Auseinander­setzung hörte. Durch seine bisherigen Erfahrungen vorsichtig geworden, nahm er Täuscher in die Linke und zog sein Schwert. Langsam schlich er näher. Die Geräusche waren weitgehend zum Erliegen gekommen, als er im Lichtkreis einer flackernden Lampe drei Gestalten in zerlumpten Kleidern sah, die sich an einem am Boden liegenden Bündel zu schaffen machten. Max erfaste sofort, dass dies der Dieb seiner Tasche sein musste. Ohne weiter nachzudenken, mit dem Vorteil der Überraschung, sprang er mit einem lauten Schrei vor. Die Gestalten erstarrten für einen kurzen Moment in ihren Bewegungen. Das genügte, Täuscher traf krachend in die Seite des ihm Nächsten und schleuderte ihn gegen die Hauswand. Das Schwert zeichnete einen blitzen­den Bogen und zog einen heftig blutenden Schnitt über die Brust eines Anderen. Mit einem Aufschrei taumelte dieser zurück und ergriff die Flucht. Bevor Max sich dem Letzten zuwenden konnte, war dieser mit der Geschwindigkeit eines Wiesels im Dämmerlicht verschwunden. Auch der von Täuscher Getroffene schien sich irgendwie in Luft aufgelöst zu haben.

Heftig atmend stützte sich Max auf Täuscher und bemerkte, dass er zu zittern begonnen hatte. Mühsam zwang er sich zur Ruhe und sah sich um. Niemand schien etwas von dem kurzen Kampf bemerkt zu haben. Wenn doch, so zogen es die Leute hier wohl vor, sich nicht in die Angelegenheiten Dritter einzumischen.

Max ließ seinen Blick durch die stille Gasse gleiten und entdeckte fast sofort seine Tasche, die dicht neben dem rot gekleideten Dieb lag, der sich nun stöhnend zu bewegen begann. Schnell faste er seinen Packen, hing ihn sich um, steckte das Schwert weg und zog dafür seinen Dolch. Als der Rote sich aufrichten wollte, packte Max ihn am Kragen und drückte die Klinge an seine Kehle. Fast hätte er ihn los gelassen, als er erstaunt in das Gesicht eines etwa vierzehnjährigen Knaben sah.

»Bitte, Gnade, Herr«, brachte der nach Luft Schnappende hervor. »Lasst einen kleinen Dieb am Leben, der seine Familie ernähren muss.«

»Das sagen alle Diebe«, fuhr ihn Max, ihm ins Wort fallend, an. »Wenn du dir keine bessere Ausrede einfallen lässt, wüsste ich nicht, was mich daran hindern sollte, dir die Kehle durch zu schneiden, wie es deine Kollegen bereits vor hatten«, setzte er grimmig hinzu.

»Kollegen? Aaspiraten waren das.« Trotz seiner misslichen Lage klang Verachtung in seiner Stimme mit.

»So, so und was soll ich jetzt mit dir machen?«, fragte Max, dessen Zorn ziemlich verflogen war und jetzt einer seltsamen Hilflosigkeit Platz machte. Er konnte doch den Jungen nicht einfach töten. Polizei fiel ihm ein. Seine Überlegungen wurden von dem Dieb unterbrochen.

»Herr, Ihr habt mir das Leben gerettet. Außer­dem sehe ich, dass Ihr fremd hier seid. Wir Diebe sind nicht ohne Ehre. Ich könnte Euch von Wert sein und Euch helfen, Eure Geschäfte diskret und zur vollen Zufriedenheit abzuwickeln. Ich weiß, wem zu trauen ist und wem nicht.« Gespannt wartete er auf eine Antwort.

Im gewissen Sinn hat er schon recht, ich bräuchte dringend jemanden, der sich nicht nur mit den hiesigen Bräuchen, sondern auch in der Stadt auskennt. Da wäre ein Straßenjunge wie dieser bestimmt nicht die schlechteste Wahl, aber soll ich wirklich einem Dieb trauen?, überlegte Max. Er sah sich den Jungen noch einmal an, dann ließ er ihn los.

»So, jetzt sag mir zuerst einmal, wie du heißt, wer du bist und warum du meine Tasche haben wolltest?«

Der Dieb hatte inzwischen seine Kleidung in Ordnung gebracht und Max gespannt zu gehört. »Also, ich heiße Brokk und gehöre zu der Gilde der Diebe, was Ihr an meiner Kleidung erkennen könnt«, antwortete er stolz, aber auch etwas erstaunt über Max' Unwissenheit. »Und was Euere Tasche betrifft«, er lächelte verschmitzt, »bei so einem großen Brocken Rohpulver kann kein Dieb widerstehen. Mich wundert es, dass Ihr überhaupt so weit gekommen seid, ohne dass Euch jemand den Hals durchgeschnitten hat.«

Max konnte ihm nur recht geben. Sein unauffälliger Blick in die Tasche war anscheinend doch nicht so unauffällig gewesen. Er konnte den Gedanken nicht weiter führen, Brokk hatte sich plötzlich bei ihm untergehakt und begann auf ihn einzuplappern. Bevor er den Dieb über den Sinn seines Tuns fragen konnte, sah er zwei uniformierte Wachen, mit langen Spießen, durch die Gasse kommen. Sie warfen ihnen nur einen abschätzenden Blick zu und verschwanden in einer womöglich noch düstereren und engeren Seitenstraße.

Brokk ließ ihn sofort wieder los und Max sah ihn fragend an.

»Das waren die Wachen des Königs, Herr. Wenn sie Verdacht geschöpft hätten, dass ich Euch bestehlen wollte und Ihr mich dabei erwischt habt...« Er machte eine bezeichnende Geste.

»Aber ich dachte, dass man euch an der Kleidung erkennen kann?«, überlegte Max laut, verwirrt über die sich seiner Meinung nach teilweise widersprechenden Aussagen Brokks.

»Ja, das stimmt, wir werden geduldet, aber erwischen dürfen wir uns nicht lassen.« Er zuckte die Schultern und steigerte mit dieser Erklärung Max' Unverständnis der hier herrschenden Sitten noch um ein Beträchtliches. »Aber trotzdem sollten wir doch sehen, dass wir hier weg kommen, Herr. Vielleicht gibt es hier eine größere Bande der Aas-Piraten. In der Meute sind sie mutiger. Außerdem redet es sich in einer Taverne bei einem Becher Wein doch besser?« Brokk sah ihn fragend an.

»Da hast du wohl recht«, stimmte Max zu. »Aber erstens, ich habe kein Geld und zweitens, nenn mich nicht immer Herr. Max, das reicht.«

»Da mach dir mal keine Sorgen, Max«, lächelte der Dieb, der sofort einen vertrauteren Ton anschlug. »Ich stehe jetzt doppelt in deiner Schuld. Die Zeche zahle ich und wenn du willst, helfe ich dir auch, den Stein zu einem einigermaßen vernünftigen Preis zu verkaufen.«

Max dankte ihm lachend und sie machten sich auf den Weg.

Vielleicht ist es ein Zeichen der Vorsehung, dass ich den Dieb getroffen habe?, dachte Max als sie durch die dunklen Gassen schritten.

Nach einem längeren Weg durch ein Gewirr von Gassen und fast unsichtbaren Durchgängen, in denen Max vollkommen die Orientierung verlor, standen sie endlich vor einem düster wirkenden Fachwerkhaus. »Zum blauen Giftzahn«, stand, nicht besonders vertrauenserweckend, in verfilzten Buchstaben aus Leuchtmoos über dem Eingang. Max, der das Schild beiläufig überflogen hatte, holte erschrocken Luft, als ihm plötzlich klar wurde, dass er soeben eine ihm völlig fremde Schrift gelesen hatte, als wäre es seine eigene.

Hatte er das dem Skarabäus in seinem Schädel zu verdanken, der sich ansonsten schon eine ganze Weile nicht mehr gemeldet hatte? Aber er »beherrschte« ja auch problemlos jede Sprache, in der zu ihm gesprochen wurde - und der Skarabäus hatte ihm gleich zu Beginn eröffnet, ein automatischer Translator zu sein, unter anderem... Max hatte keine Lust, ihn danach zu fragen. Er war recht froh darüber, ansonsten zur Zeit vor ihm seine Ruhe zu haben.

Brokk hatte den Blick zu dem Schild bemerkt und wohl gedacht, sein Luftholen gelte dem Namen der Taverne.

»Keine Angst«, grinste er. »Das Essen ist hier hervorragend.«

Als Brokk die Tür öffnete, schlugen ihnen Schwaden der verschiedensten Gerüche entgegen. Über eine kurze Treppe ging es in einen verräucherten Raum, der von einer gewaltigen Theke aus rotem Holz beherrscht wurde. Weiterhin waren über den erstaunlich großen Raum noch etwa drei Dutzend Tischgruppen verteilt. Obwohl es schon gegen Abend war, hielten sich nur drei weitere Gäste, die in ein leises Gespräch vertieft waren, in der Taverne auf.

Bevor Max sich noch weiter umsehen konnte, wurde er von dem Dieb in eine dunkle Ecke gleich rechts neben der Tür gezogen. Aufatmend ließ er sich in einen Stuhl fallen. Erst jetzt bemerkte er, wie müde er die ganze Zeit schon war. Behaglich streckte er die Füße unter den Tisch.

»Was willst du trinken, Max?«, fragte Brokk höflich.

»Nun, so einen Blauen aus Klat-i-Bosk, wenn er nicht zu teuer ist«, schlug er leicht errötend vor.

»Ha - mit Wein kennst du dich anscheinend aus«, stellte Brokk erheitert fest.

Inzwischen war eine schwarzhaarige Schönheit an den Tisch getreten. »Na, Brokk, alter Gauner, hast wohl heute einen guten Fang gemacht, dass du um diese Zeit schon hier bist und auch noch in Ausgehuniform«, begrüßte sie den Dieb. Max schenkte sie ein strahlendes Lächeln, das ihn unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschen ließ.

»Ha - guter Fang, bin dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen«, prahlte er. »Doch jetzt bring uns einen Krug Blauen aus Bosk, wir haben Durst.«

»Durst? Und wie sieht es mit dem Geld aus?«

»Aber ich hab doch Kredit«, antwortete Brokk mit rechtschaffener Entrüstung in seiner Stimme und sah sie dabei unschuldig an.

Achselzuckend wandte sie sich ab, um kurze Zeit später mit dem Gewünschten zurück zu kommen.

Nachdem sie getrunken hatten, stellte Max einige Fragen über Lokisgjöld, die ihm schon die ganze Zeit im Kopf herum gespukt hatten. Die Antworten deckten sich weitgehend mit dem, was er schon von Kamaro erfahren hatte, ließen aber immer noch gewaltige Lücken in seinem Verständnis betreffs des hiesigen Alltags klaffen. Über größere Zusammenhänge, wie Dürrast und die Pyramiden, oder gar, wie sich sein weiterer Weg mit dem Ziel Erde gestalten sollte, hatte er nicht die geringste Ahnung.

Im weiteren Gespräch kam Max auf das Pulver zu sprechen. Als er die Geschichte des Verkäufers erwähnte, begann Brokk, laut zu lachen.

»Ach, Max, wie kann man nur so vertrauensselig sein. Akamach, das ist der Händler, erzählt jedes Mal eine andere Geschichte über die Gefahren bei der Beschaffung des Pulvers. Woher es wirklich kommt, das wissen nur sehr wenige Eingeweih­te.«

Max hatte da inzwischen seine eigene Vorstellung.

»Und was die Wirkung des Pulvers ist«, fuhr Brokk fort, »also, du musst wirklich von weit her kommen. Hast du denn nicht die Statuen überall in der Stadt gesehen?«

Max horchte auf und nickte zustimmend.

»Diese Figuren sind die Opfer des Pulvers. Nehmen wir an, du kannst jemand nicht besonders leiden und hast das nötige Geld, dann kaufst du eine Brise Pulver und mischst es deinem Feind ins Essen oder Trinken. Je nach Menge, verwandelt sich das Opfer in einer Zeit, die zwischen einer und fünf Wochen liegt, in eine dieser hübschen Statuen. Das Besondere ist, dass es mit wenig schneller geht und es gibt kein Gegenmittel. Mit dem Brocken, den du bei dir hast, könnte man die ganze Stadt in Stein verwandeln.«

Max stockte der Atem: Hier wurde in aller Öffentlichkeit ein Gift verkauft, das man für hinterlistige Morde verwen­dete. Er musste das Gehörte erst einmal verdauen, deshalb lenkte er das Gespräch rasch auf etwas Belangloseres. Jetzt brauchte er erst mal ein Schluck Wein, doch der Krug war leer. Max hob die Hand, um die Bedienung zu rufen, doch ohne, dass er es bemerkte hatte, war sie bereits hinter ihn getreten.

»Was wünscht Ihr?«, fragte sie mit an­ge­neh­mer, rauchiger Stimme.

Max starrte sie fassungslos an, sie musste ungefähr die gleiche Größe haben wie er. Ihr fein geschnittenes Gesicht, mit den großen, dunklen Augen, wurde von schwarzen, mit rötlichen Strähnen durchsetztem Haar umrahmt.

»Habt ihr noch nie eine Frau gesehen, weil ihr mich so anstarrt?«, fragte sie seltsam lächelnd.

»Ich - äh...« Max begann zu stottern und wurde bis über beide Ohren rot.

»Er kommt von weit her, dort sind die Frauen anders - jetzt bring noch einen Krug Wein«, kam ihm Brokk kichernd zur Hilfe.

Sie sah Max noch einmal an und zwinkerte ihm zu, bevor sie in Richtung Theke verschwand. Er blickte ihr unbewusst hinterher. Brokks leises Lachen ließ ihn zusammen fahren und er spürte, wie ihm das Blut heiß in den Kopf stieg.

»Also, Max, jetzt hab dich mal nicht so, Ipas - so heißt die Bedienung - ist zwar gut und eine hervorragende Informantin unserer Gilde, aber mehr auch nicht. Du brauchst sie nicht anzustarren wie die Königin von Ltilonarka. Es muss schon ein seltsames Land sein, aus dem du kommst«, fügte er hinzu.

Max öffnete den Mund, um zu antworten, als ein markerschütterndes Trompeten ertönte. »Was ist das schon wieder?«, fragte er erschrocken.

»Das ist das Zeichen für den Beginn der Dunkelheit«, antwortete Ipas, die inzwischen mit einem neuen Krug an den Tisch getreten war, an Brokks Stelle. »Jetzt werden überall die Tücher hoch gezogen, erst morgen in der Dämmerung wird die Stadt wieder bedeckt. Hier ist noch Wein, Fremder. Trinkt nicht zu viel, die Nacht kann noch lang werden«, riet sie ihm mit einem geheimnisvollen Lächeln. Sie war schon lange hinter der Theke verschwunden, als Max seinen Mund zu klappte.

Brokk schüttelte nur in komischer Verzweiflung den Kopf und lenkte Max Gedanken wieder in praktischere Bahnen.

»Wie sieht es eigentlich mit einem Nachtquartier aus?«, fragte Max nach einiger Zeit. »Kennst du jemanden, bei dem ich unterkommen kann und auch am nächsten Tag wieder aufwache?«

»Also, wenn du noch nichts hast und so lange du den ganzen Brocken rumschleppst, schlage ich vor, du schläfst in unserer Gildehalle.«

»In der Gildehalle der Diebe?« Max zog erstaunt die Stirn kraus.

»Aber gewiss, wenn du irgendwo nicht bestohlen wirst, dann in unserer Halle. Wir bestehlen uns nicht untereinander«, fügte er hinzu.

Max ließ sich nach einigem Hin und Her überzeugen. Anschlie­ßend unterhielten sie sich noch eine Zeit lang über die Zunft der Diebe und die Taverne begann, sich zu füllen. Später warf Brokk ein paar Münzen auf den Tisch und sie machten sich auf den Weg.

Ipas beobachtete lächelnd, wie sie leicht angetrunken die Taverne verließen.

Max konnte sich später nicht mehr erinnern, durch wie viele Gassen und Winkel ihn Brokk geführt hatte, bis sie das Gildehaus erreichten. Es war nicht der pompöse, farbengeschmückte Bau, mit dem Max gerechnet hatte. Sondern ein solides, großes Haus, dessen fachwerkener Oberstock auf einem aus Backsteinen gemauertem Erdgeschoss saß. Näheres konnte er in dem schlechten Licht nicht erkennen. Sein leichter Rausch war durch den längeren Marsch und die kühle Nachtluft, die jetzt ungehindert Zugang zu der Stadt hatte, fast verflogen.

Nachdem sie das Erdgeschoss, oder besser gesagt den großen Saal der Diebe, betreten hatten, schaute Max sich erstaunt um. War er doch auf eine ähnliche Atmosphäre vorbereitet gewesen wie in der Taverne. Doch nichts von alledem. Keine betrunkenen Zecher, nur hier und da leises Lachen. Kein grölender Gesang, sondern Männer und Frauen, die sich, während sie aßen, im Gesprächston unterhielten.

Brokk, dem Max' Erstaunen nicht entgangen war, zog ihn zu einem freien Tisch. »Das hättest du nicht erwartet, was?«

Max schüttelte erstaunt und gleichzeitig verwirrt den Kopf.

»Schau, Max, auch unsere Arbeit ist hart. Den ganzen Tag beobachten, sich anschleichen, zufassen, immer mit dem Risiko, erwischt zu werden. Das zehrt an den Nerven, daher ist das Haus unser ruhender Pol. Hier gibt es auch keinen Alkohol. Sämtliche Getränke und Speisen sind nach einem ausgeklügelten System zusammen gestellt, um uns ein Höchstmögliches an Leistungsfähigkeit zu bringen.« Brokk war sichtlich stolz auf sein Gilde.

Max sah sich interessiert in der Halle um, die nach seiner Schätzung Platz für ungefähr fünfzig Personen hatte. Er stellte eine entsprechende Frage.

»Oh, so ziemlich hundert«, antwortete Brokk. »Aber da wir in zwei Schichten arbeiten, sind meist nur etwa fünfzig hier. Genauso verhält es sich auch mit den Betten«, fügte Brokk erklärend hinzu.

Ah, das Prinzip der warmen Koje, überlegte Max. »Und was hast du für mich als Schlafgelegenheit ausgesucht?«

»Na, selbstverständlich mein Bett, du siehst verdammt müde aus. Ich schlafe am Kamin.«

Max wollte dies nicht zulassen, aber nach wiederum einigem Hin und Her nahm er den Vorschlag an.

Die Treppe in das obere Stockwerk mündete in einen langen Gang, der in regelmäßigen Abständen von Türen unterbrochen war. Vor einer Tür, auf der zwei Tiere abgebildet waren, wovon es sich bei einem zweifellos um einen Dachs handelte, blieben sie stehen.

»Das ist mein Gildezeichen«, sagte Brokk stolz und zeigte auf den Dachs. »Die Flinkmaus daneben ist das Zeichen meines Mitbewohners.«

»Dann bist du also Brokk, der Dachs?«, stellte Max lächelnd fest.

»Ganz recht«, stimmte Brokk zu und stieß die Tür auf. »Das Bett wirst du allein finden, ich habe noch was zu erledigen.«

Bevor Max antworten konnte, war Brokk über die Treppe verschwun­den. Max trat in den kleinen Raum und schloss die Tür hinter sich. Zuerst fiel ihm ein großer Schrank auf, auf dem er trotz des spärlichen Lichtes die gleichen Zeichen wie auf der Tür entdeckte. Er wollte schon die Tür des Schrankes öffnen, um seinen Inhalt zu inspizieren, als es ihm gelang, seine Neugierde zu unterdrücken.

Seufzend wandte er sich ab und überblickte den Rest des Raumes. Außer einem ordentlich gemachten Bett, gab es nur noch einen Stuhl und einen Tisch, auf dem eine große Schüssel mit einem Krug stand.

Schweigend legte Max seine Habseligkeiten auf den Tisch und entkleidete sich. Als er in das Bett schlüpfte und gähnte, bemerkte er, dass es höchste Zeit für eine Mütze voll Schlaf war. Minuten später hörte man nur noch das leise Geräusch seines regelmäßigen Atems in der Kammer.

*

Er wusste nicht, wie lange er bereits geschlafen hatte, als ihn das Knarren der Tür weckte. Zuerst dachte er an Brokk, der vielleicht etwas vergessen hatte und jetzt kam, um es zu holen. Doch als er zur Tür sah, zeichnete sich im schwachen Licht, das vom Gang herein fiel, die Gestallt einer Frau ab.

»Ipas?«, entfuhr es ihm.

»Spar dir deinen Atem, Fremder, zum Reden ist später Zeit.« Mit diesen Worten war sie näher gekommen und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

In dem jetzt herrschenden Dunkel hörte er nur noch das Rascheln von Kleidern und spürte einen warmen Körper geschmeidig zu ihm ins Bett schlüpfte.

*

Ein lautes Klopfen an der Tür weckte ihn. Verwirrt setzte er sich auf - der Platz neben ihm war leer. »Also doch nur ein Traum«, brummelte er enttäuscht. Doch dann glaubte er noch einen schwachen Duft von Parfüm wahrzunehmen. Ein erneutes Pochen riss ihn aus den Gedanken. »Ja, bitte«, antwortete Max automatisch.

Die Tür wurde geöffnet und Brokk trat mit einem fröhlichen Lächeln ein. »He, Max aufstehen, es ist längst Tag und wir haben noch viel zu tun.«

»Was heißt hier Tag? Draußen ist es noch stockfinster«, knurrte dieser unwirsch zurück.

»Max, komm jetzt raus, wir sind hier doch in Lokisgjöld, falls du das vergessen hast«, belehrte ihn Brokk spöttisch.

Das machte ihn entgültig wach und er beeilte sich, in seine Kleider zu schlüpfen.

Brokk war inzwischen zu dem Schrank getreten und hatte ihn geöffnet. Max, der geglaubt hatte, mit Reichtümern konfrontiert zu werden, musste feststellen, dass es sich um einen einfachen Kleiderschrank handelte. Zwischenzeitlich war er angekleidet und Brokk hielt zwei Handtücher in der Hand.

»Komm, Max, bevor wir zum Frühstück gehen, nehmen wir noch ein Bad«, drängte der Dieb.

Das Bad befand sich in einem Anbau des Hauses und war eher eine Sauna.

»Arbeitest du heute nicht?«, fragte Max scherzhaft, während sie in den Dampfschwaden schwitzten.

»Nein, ich muss mich doch um dich kümmern.«

Max kam das alles etwas eigenartig vor. »Wie wäre es, Brokk, wenn du mir jetzt einmal etwas Genaueres über die Gilde erzählen würdest? Natürlich nur im Rahmen dessen, was zulässig ist.«

»Ich hab schon bemerkt, dass du neugierig bist. Die Gilde ist weit verbreitet. In fast jeder Stadt gibt es eine Gildehalle, die in ständigem Kontakt zueinander stehen. Das Stehlen ist eigentlich nur ein Nebenerwerb, der uns Geld bringt und fit hält. Das Meiste, das wir so den langen Tag über - äh - einsammeln, fließt in die Zunftkasse. Wir brauchen nicht viel Geld, denn die Gilde versorgt uns mit allem Nötigen, wie Unterkunft, Nahrung und Kleidern. Unser eigentliches Geschäft ist Spionage. Es gibt andauernd Intrigen, Grenzkonflikte und so weiter. Im Großen und Ganzen geht es aber immer um Geld, viel Geld. Da wir einen guten Ruf in dieser Tätigkeit haben und unbestechlich sind, erhalten wir zu unserem festgesetzten Lohn noch einen Teil des Gewinns. Falls die Partei, die einen von uns gekauft hat, als Sieger hervor geht. Aber meist hat auch die andere Gruppe einen der Unseren angeheuert und wir bekommen unseren Teil so oder so. Oh, du brauchst nicht so die Stirn zu runzeln. Es erfolgt keine Absprache zwischen den Spionen - sie geben alle ihr Bestes. Auch kennen sie einander nicht und sollte es doch einmal passieren, dann hat einer von ihnen Pech. Natürlich versucht die Gilde in diesem Fall, den Mann frei zu kaufen, doch meist ist es schon zu spät. Auch die Kontrahenten wissen, dass unsere Leute auch für die Gegenseite arbeiten«, fügte Brokk erklärend hinzu.

Max' Verwunderung und auch Achtung vor seinen Gastgebern stieg. Das war eine durchorganisierte Vereinigung nach Mafiaart.

»Und wie ist das mit der roten Kleidung?«, hakte Max noch einmal nach.

»Oh!«, lachte Brokk. »Das ist unsere offizielle Gildenkleidung.«

»Hä?«, machte Max nicht besonders geistreich.

»Na ja, unsere Freizeitkleidung. Wie die Schiffer ihre grünen Hosen und...«

»Du meinst, du warst gar nicht im - im Dienst, als du mich bestehlen wolltest?«, unterbrach ihn Max fassungslos.

»Natürlich nicht. Oder denkst du, ich arbeite in dieser roten Kleidung? Da könnte ich mir gleich ein Schild umhängen. Nein, nein, ich konnte nur diesem riesigen Stück Rohpulver nicht widerstehen, das du mir förmlich vor die Nase gehalten hast. Ähm - und wo wir schon dabei sind...«, Brokk suchte verlegen nach Worten. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du meinen kleinen Missgriff nicht unbedingt publik machen würdest.«

»Wieso?«, fragte Max scheinheilig.

»Wir sollen das nicht«, antwortete Brokk so leise, dass Max die Ohren spitzen musste. »Ich meine, in Gildekleidung zu stehlen, ist eigentlich verboten.«

»So«, machte Max lang gezogen. »Aber wie schon ein altes Sprichwort sagt: Eine Hand wäscht die andere.«

»Ja - genau«, stimmte Brokk aufatmend zu. »Ein tolles Sprichwort.«

»Oh, ja.«

»So, hoffentlich kannst du dir jetzt ein besseres Bild von unserer Gilde machen«, schloss der junge Mann, nachdem er einige Augenblicke gewartet hatte, ob Max noch etwas sagen wollte, ziemlich lau.

»Sehr eindrucksvoll, damit hätte ich nicht gerechnet«, bekannte Max laut überlegend. »Da ist allerdings noch etwas - nichts mit der Gilde. Ich bin mir nicht sicher, aber ich könnte schwören, dass ich heute Nacht Besuch hatte. Aber heute Morgen...«, er zuckte ver­legen mit den Schultern, »...war niemand da.«

»Dann war Ipas wohl doch erfolgreich«, frohlockte Brokk augenzwinkernd. »Weißt du, Max, Ipas ist hinter etwas her. Was genau, weiß ich nicht und wohl auch sonst keiner. Sie hält sich da ziemlich bedeckt«, erklärte er mit einer ungewissen Geste. »Tatsache ist aber«, fuhr er nach einem Moment fort, »dass sie jeden Fremden becirct, um etwas Bestimmtes in Erfahrung zu bringen. Hat sie dich nicht auch ausgequetscht?« Er starrte Max forschend an.

»Ausgequetscht schon, aber nicht mit Worten.«

Die Röte, die Brokk ins Gesicht schoss, stand ihm fabelhaft und war angesichts seines Berufes eigentlich nicht zu erwarten gewesen.

»Max«, begann er zögernd, »so direkt...«

»Ach, schon gut«, wehrte Max ab. »Lass uns lieber etwas essen gehen.«

Das Essen übertraf seine Erwartungen. Viel­leicht, weil er im Unterbewussten Diebe und Räuber mit Wasser und Brot assoziiert hatte. Und mit Wasser und Brot hatte das Mahl, das hier aufgefahren wurde, wirklich nichts zu tun. Allerlei verschiedene Käse- und Wurstsorten, Früchte in allem Farben des Regenbogens, diverse Fleischsorten und kleine Kuchen bedeckten den riesigen Tisch in der »Cafeteria der Diebe«, wie Max heimlich dachte.

Sie ließen sich Zeit und genossen ihr Frühstück ausgiebig. Als sie fertig waren, gab Brokk zu verstehen, dass es für Max an der Zeit wäre, sich endlich um neue Kleidung zu kümmern. Alle Proteste wurden damit abgelehnt, dass seine jetzige Kleidung viel zu auffällig sei. Als er endlich nachgab, musste er zu seinem Erstaunen feststellen, dass es im Hause sogar eine eigene Schneiderei gab.

Durch diese Vielzahl von Abteilungen und Räume, die es allem Anschein nach in diesem Haus gab, sichtlich verwirrt, fragte Max, auf dem Weg zur Schneiderei, wie groß dieses Gildehaus eigentlich sei.

Brokk antwortete, dass es sich über einen ganzen Straßenzug erstreckte und alles enthielt, was die Gildenangehörigen zur unmittelbaren Versorgung benötigten. Angefangen bei der Schmiede, über die Wäscherei und Schneiderei, bis zur Schreiner- und Fälscherwerkstatt.

Mittlerweile hatten sie die Räume der Schneiderei betreten und Max konnte nur wieder einmal den Kopf schütteln angesichts der Dimensionen, in denen hier gearbeitet wurde.

»Na, Brokk, mein Junge, Besuch mitgebracht?« grüßte ein älterer Mann mit langem, weißen Bart, während er Max zu nickte.

»Ja, Sigo, wir müssen ihn neu einkleiden. Hast du etwas Passendes hier?« fragte Brokk, mit einem verweisenden Wink in Max' Richtung, grinsend. »Nichts Rotes«, setzte er noch hinzu.

Max sah leicht deprimiert von seinem lächelnden neuen Freund zu dem ihn kopfschüttelnd musternden Schneiderdieb, wie er ihn in Gedanken titulierte. Seine Kleidung schien wirklich nicht den in dieser Gegend gebräuchlichen Maßstäben gerecht zu werden. Leicht verärgert sah er sich um. Die Werkstatt unterschied sich nicht von den vielen kleinen Schneider­eien, die er auf der Erde gesehen hatte. Sie bot Platz für etwa fünf bis sechs Arbeiter. Allerdings war es ihm schleierhaft, wie sie hier zügig arbeiten wollten, da alle Tische brechend voll mit Stoff- und Lederstücken lagen.

Sigo hatte Max inzwischen eingehend gemustert und einige Kleidungsstücke zusammen gesucht. Ein paar Minuten später stand er vor einem Spiegel und begutachtete seine neue Ausstattung. Sie kam ihm zwar etwas fremdartig vor, doch die langen, hellbraunen Lederhosen passten ihm sehr gut und waren erstaunlich weich. Bei dem Hemd handelte es sich um ein naturweißes Leinengewebe, das zwar etwas kratzte, ihm aber, wie er sich etwas eitel überlegte, gut stand. Darüber trug er eine moosgrün gefärbte Lederweste mit diversen Taschen und Täschchen. Seine Schuhe hatte er behalten. Ja, im Großen und Ganzen sah er ganz passabel aus.

In diesem Moment kamen die anderen Schneidergesellen. Jetzt war er doch gespannt, wie sie bei diesem Durcheinander und der trüben Beleuchtung einigermaßen effizient arbeiten wollten. Nun, vielleicht haben sie auch von diesen leuchtenden Steinen?, überlegte er. Doch dem war nicht so. Einer der Gesellen nahm ein ananasförmiges Gebilde, aus dem ein Stift ragte, in die Hand und gleich darauf ertönte ein leises Zischen. Dann machte er sich mit der anderen Hand an einem Gegenstand zu schaffen, der frappierend an einen Anzünder für Schweißbrenner erinnerte. Gleich darauf war der Raum in ein helles Licht getaucht, das der Ananas entsprang.

»Was ist denn das für eine Lampe?«, fragte Max erstaunt und wandte sich Brokk zu.

»Na ja, eigentlich ist es eine Nuss, die Frucht des Blaubaums. In ihrem Innern befindet sich eine erstaunliche Menge hochverdichtetes Gas. Behandelt man die Nuss auf eine bestimme Art, wird das Gas brennbar. Dann braucht man nur noch den Brenn- und Regelstift einzudrehen und man hat eine brauchbare Lichtquelle.«

»Eine sehr interessante Lösung«, bestätigte Max, obwohl er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was ein Baum mit einer Gasflasche als Frucht wollte. »Doch warum nehmt ihr nicht diese leuchtenden Steine?«

»Das wäre natürlich besser«, mischte Sigo sich ein. »Aber wir wissen nicht, wie sie hergestellt werden. Das ist ein Geheimnis der Magier. Wir halten uns lieber an Dinge, die wir verstehen und selbst herstellen können. Das hat außerdem den Vorteil, dass wir in kein Abhängigkeitsverhältnis zu den Magiern kommen«, fügte er noch hinzu.

Eine sehr vernünftige Einstellung, musste Max sich eingestehen. Dann kam ihm ein Gedanke: »Meister Sigo, wie lange würdet Ihr brauchen, um einen Mantel zu fer­tigen?«

»Nun, das kommt darauf an, wie Ihr ihn wollt«, antwortete der Schneiderdieb vorsichtig. »Aber bestimmt nicht länger als einen Tag.«

»Gut, dann macht mir einen Mantel. Nicht länger als bis an meine Knien und außerdem, das ist wichtig, ich möchte keine einheitliche Farbe. Nehmt Euch braune, grüne, dunkelgelbe und schwarze Flicken und näht diese zu einem Mantel zusammen.«

Bevor Sigo antworten konnte, fiel ihm Brokk ins Wort: »Da will der Fisch den Vogel fliegen lehren«, kicherte er spöttisch. »Du meinst einen Tarnmantel wie er drau­ßen im Feld verwendet wird. Wir kennen das auch, aber du bist nicht gerade arm und es gibt da etwas Besseres: Einen Mimikrymantel!«, rief er fast triumphierend. »Der wird aus der Haut des Steinschlüpfers gefertigt - sehr selten.«

»Aha?«, machte Max skeptisch.

»Papperlapapp«, überging Brokk den Einwand und machte eine geringschätzige Geste mit der Hand, bevor er weiter sprach: »Also, aus der Haut des Steinschlüpfers wird dieser Mantel gemacht. Dieses Tier kann sich jeder Umgebung anpassen und die Haut verliert diese Fähigkeit auch nicht mit dem Tod des Steinschlüpfers. Für einen Durchschnittsmenschen natürlich unerschwinglich.« Er zuckte die Schultern. »Aber bei dir dürfte dies Ausgabe kaum ins Gewicht fallen.«

Max war erstaunt, das erinnerte ihn an ein Chamäleon.

»Könnt Ihr mir so einen beschaffen, Meister Sigo?«, wandte er sich fragend an den aufmerksam zuhörenden Mann.

»Gewiss, bis heute Abend könnt ihr einen bekommen«, antwortete er zögernd und musterte Max mit neu erwachtem Interesse. »Er wird aber ziemlich teuer«, fügte er hinzu und ließ seinen Blick zwischen Max und Brokk hin und her wandern.

»Gut, bis heute Abend dann«, bestätigte Max, ohne auf Sigos unausgesprochene Frage einzugehen.

»So und was jetzt?«, fragte Brokk, als sie die Werkstatt verlassen hatten.

»Als Erstes suchen wir uns ein stilles Plätzchen«, begann Max, »und dann werde ich dir eine seltsame Geschichte erzählen.«

»Ah! Endlich, ich hab mich schon gefragt, wann du damit herausrücken willst.«

Max seufzte und fragte sich, warum er ausgerechnet einem Dieb sein Vertrauen schenken wollte.

»So«, schloss Max eine geraume Weile später. »Hast du eine Ahnung, wer mir da weiter helfen könnte?« Er hatte Brokk seine Geschichte ziemlich detailgetreu geschildert und der Dieb hatte stumm zugehört.

Der junge Mann blieb eine lange Zeit still sitzen und Max begann bereits unruhig zu werden, als er langsam, nach Worten suchend, antwortete: »Ich hab ja mit einigem gerechnet, aber damit dann doch nicht.« Er schüttelte bedächtig den Kopf. Eine Geste, die so gar nicht zu seinem Alter passen wollte. »Es ist alles sehr seltsam«, redete er dann weiter. »Aber von der Pyramide hab ich auch schon gehört. Allerdings nur in Märchen«, fügte er hinzu, als er Max hoffnungsvollen Blick bemerkte. »Das Einzige, was mir jetzt einfällt und was ich für dich tun könnte, ist, dich zum Wegfinder zu führen. Er ist der Einzige, der dir vielleicht helfen könnte, aber ich habe wenig Hoffnung.« Er sah Max bedrückt an. »Der Wegfinder ist eine merkwürdige Gestalt, eine Art Mythos in Lokisgjöld und man sagt, er hätte schon seit vielen Jahren niemanden mehr empfangen.«

In Max flackerte Hoffnung auf. »Wir gehen sofort hin«, beschloss er, bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen, der sich ihm bot und schnappte sich seinen Stab.

Brokk nickte resignierend und stand ebenfalls auf.

*

Brokk führte ihn in Richtung Zentrum und je näher sie ihm kamen, desto dichter standen die Zelte, Buden und Wagen der Händler.

»Ist der Markt eigentlich nur zu einer bestimmten Zeit geöffnet, oder haben die Leute in Lokisgjöld soviel Geld?«, fragte Max verwundert, angesichts des unentwegten Geschreis und Gewühls, das um sie herum herrschte.

»Oh, nein, die Einwohner haben auch nicht mehr als anderswo. Der Markt ist mehr für die Händler. Lokisgjöld ist der größte Warenumschlagsplatz im Westen Malokalaris und deshalb das ganze Jahr über geöffnet«, erklärte Brokk mit gewichtigem Ge­sichts­ausdruck.

»Malokalari! Heißt so das Land hier?«, fragte Max interessiert.

»Du musst tatsächlich aus einer anderen Welt kommen«, meinte der Dieb kopfschüttelnd. »Malokalari heißt dieser Kontinent. Das bedeutet in einer alten Sprache 'Land des Astes'. Ebenso wie der Name des Planeten Vilodera in dieser Sprache Heimatboden bedeutet.«

»Ah!«

»Ja, ah!«, bestätigte Brokk grinsend.

Der Lärm auf dem Marktplatz wurde immer lauter. »Frisch eingetroffen, Stahl aus Odomar«, schrie es neben ihnen, in einer Lautstärke, dass Max zusammenzuckte. »Odomar-Stahl, gehärtet in den glühenden Tiefen von Om. Schwerter, Spieße, Messer, alles aus Odomar...« Brokk zog ihn weiter. »Heilsteine aus Schar-i-Bock gegen eure schlimmsten Leiden, Giftspürer aus den Wolkenbergen, Liebeszauber, Kraftringe, ein todsicheres Mittel gegen den Tod.« Tausende Rufe erfüllten die Luft und Max Ohren, so dass er erstaunt stehen blieb. Doch Brokk drängte ihn ungeduldig weiter.

Endlich ereichten sie den künstlichen Hügel, auf dem der Königspalast stand. An die Seitenmauer gelehnt, befand sich ein etwa fünfzehn Meter durchmessender Turm, dessen Tür ein landkartenähnliches Wappen verzierte. Falls die Mauern nicht all zu dick waren, dachte Max, musste es sich im Innern ganz gut leben lassen.

»Das ist der Turm des Wegfinders«, sagte Brokk und wies mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck auf das Bauwerk. »Aber ich glaube nicht, dass man uns einlässt.«

»Das werden wir sehen«, sagte Max mit entschlossener Miene.

Mit diesen Worten trat er an die Tür und pochte heftig Einlass fordernd dagegen.

Sie warteten einige Minuten, aber an der Tür regte sich nichts.

»Hab' ich gleich gesagt«, murmelte Brokk mit hängenden Schultern.

»So schnell geben wir nicht auf«, knurrte Max verbissen und traktierte die Tür erneut mit seinen Knöcheln. Er hatte kaum seine Hand gesenkt, als sich ein kleines Türfenster in Kopfhöhe öffnete und das bleiche, eingefallene Gesicht eines grauhaarigen, alten Mannes sie blinzelnd an sah.

»Bedauere, mein Herr, der Wegfinder ist heute nicht zu sprechen«, rasselte er mit einer Stimme herunter, die knarrte wie eine alte, rostige Türangel und bevor Max sich versah, hatte er das Fensterchen wieder zu geschlagen.

Nun war Max ernsthaft verärgert und vergaß alle guten Vorsätze. Er zerrte sein Schwert aus der Scheide und hämmerte mit dem Knaufstein heftig gegen die Tür. Dieser Lärm musste auch den verschlafensten Menschen aus der Ruhe bringen. Und siehe da, wieder öffnete sich die Fensterklappe. Der Alte wollte zum Sprechen ansetzen, als Max ihn mit der Linken am Kragen packte.

»So«, knirschte er und schüttelte den sich kraftlos wehrenden Mann durch. »Jetzt geht Ihr zu Eurem Herrn und sagt ihm, Maximilian Junker steht vor seiner Tür und begehrt Einlass. Und solltet Ihr nicht innerhalb kürzester Zeit mit einer positiven Antwort zurück sein, dann breche ich die Tür auf und der Abdruck meines Schwertknaufs wird Euere Stirn zieren.« Max schüttelte ärgerlich Brokks Hand ab, der nervös an seinem Ärmel zupfte und fuchtelte, um seine Worte zu unterstreichen, mit dem Schwertknauf vor dem Gesicht des entsetzten alten Mannes herum.

Als die Augen des Greises auf den Stein am Knauf des Schwertes fielen, weiteten sie sich ungläubig. Max ließ ihn, durch dieses Starren leicht verwirrt, los.

»Herr«, stammelte er, nach Luft schnappend. »Wenn Ihr mir gleich den Stein gezeigt hättet, dann...« Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Ihr kommt von Dürrast?«

Max nickte bestätigend und versuchte, durch sicheres Auftreten seine plötzliche Unsicherheit zu überspielen. Brokk stand mit offenem Mund neben ihm und von seinem sonst sehr lebhaften Wesen war nicht viel übrig geblieben.

Knarrend öffnete sich die Tür und der Mann bat sie, sich tief verneigend, einzutreten.

»Na, so was«, murmelte Max und machte keine Anstalten, sich von der Stelle zu rühren.

»Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«, knurrte Brokk im Flüsterton und gab Max unauffällig einen Stoss mit dem Ellenbogen.

»Gewiss, führt uns zu Eurem Herrn«, sagte Max zu dem Diener und riss sich zusammen.

Der Mann verbeugte sich noch einmal und schritt, die beiden Männer zum Folgen auffordernd, durch die dicke Holztür.

»Führt uns zu Euerem Anführer«, hörte Max den leise kichernden Brokk flüstern. Bevor er den Dieb mit einem verdrossenen Blick strafen konnte, durchschritten sie den Eingang und gelangten in eine kühle, nur vage erleuchtete Halle, die anscheinend den kompletten unteren Teil des Turmes einnahm.

»Geduldet Euch einen Augenblick, ihr Herren«, sagte der Alte unvermittelt und verschwand im Halbdunkeln der Halle.

»Verdammt«, entfuhr es Max laut und der vielfache Widerhall bestätigte ihnen die Größe und auch Leere dieses düsteren Raumes.

»Max, siehst du was?«, flüsterte Brokk.

»Was soll ich sehen? Hier ist nichts zu sehen und außerdem ist es so dunkel wie im - im...« Max brach ärgerlich ab.

»Genau«, antwortete Brokk triumphierend. »Hier ist nichts, nicht einmal eine Treppe.« Er starrt Max herausfordernd an.

Ein knarrendes Schleifen, das aus den Höhen des Raumes erklang, ersparte Max eine klägliche Antwort. Nach oben blickend, sahen sie zuerst nur einen dunklen Schacht, der sich mit Schwärze gegen die Düsterheit der Halle abhob. Doch dann, allmählich, schälten sich die viereckigen Konturen eines Aufzugskorbes aus der Dunkelheit. Als er am Boden an kam, tauchte der bleiche Diener wieder auf und komplimentierte sie in die Kabine. Ein kurzer Zug an einer feinen Schnur setzte die Gerätschaft wieder in knarrende Bewegung.

Als sie nach kurzer Fahrt den nächsten Stock erreichten und durch eine weitere Holztür traten, mussten sie für einen Moment geblendet die Augen schließen. Strahlendes Sonnenlicht drang durch die hohen, geöffneten Fenster eines lichten Gemachs. Der Turm musste sich weit über die verhangene Stadt erheben. Max bemerkte erst jetzt, wie sehr er sich schon an das Halbdunkel der Straßen von Lokisgjöld gewöhnt hatte.

»Willkommen, ihr edlen Herrn«, ertönte eine sonore Stimme aus dem Hintergrund des Raumes.

Vorsichtig blickte Max sich in dem sonnen­durchfluteten Gemach um. Dicke Teppiche bedeckten den Boden und ein kaffeeartiger Duft erfüllte die Luft. An den Wänden, sauber aufgereiht in Regalen, Bücher, Pergamentrollen, Karten und dazwischen, auf einem Haufen Kissen, inmitten von Akten, Skizzen und Tontafeln..., saß ER.

Ein eisiger Schauer durchlief Max und auch Brokk wirkte etwas blass um die Nase, wie ein schneller Seitenblick zeigte. Der Mann hatte zwei Köpfe. Max kämpfte verzweifelt um seine Fassung und darum, sich sein Erschrecken nicht anmerken zu lassen.

»Tretet näher, ihr braucht keine Angst zu haben. Ich weiß, dass mein Aussehen die meisten Leute in - äh - gelindes Erstaunen versetzt«, fügte er mit einem Hauch von Spott in der Stimme hinzu.

Immer noch leicht verwirrt, traten sie näher. Als sie den Tisch erreichten, stand der Wegfinder auf, denn nur um ihn konnte es sich bei der außergewöhnlichen Gestalt handeln. Er war ein paar Zentimeter größer als Max und gertenschlank. Nur die Schul­tern waren erheblich breiter, was wahrscheinlich auf die zwei Köpfe zurück zu führen war, überlegte Max. Beide Gesichter waren scharf geschnitten und wiesen in ihrer Physiognomie keinen Unterschied auf. Doch während der eine Kopf pechschwarzes Haar trug, war das des anderen blütenweiß.

»Willkommen in unserem Haus«, durchbrach der dunkle Kopf das peinlich werdende Schweigen. »Nehmt doch bitte Platz!« Er deutete mit einer einladenden Geste auf einen Fell bedeckten Diwan.

Max konnte nur dankend nicken und die Einladung annehmen.

»Warum habt ihr einen Angehörigen der Diebeszunft in mein Haus gebracht?«, fragte der Wegkundige mit einem Anflug von Schärfe.

»Oh! Entschuldigt, das ist Brokk. Ich vergaß, ihn vorzustellen. Er war mir in Lokisgjöld eine unschätzbare Hilfe und er wird fraglos Euer Eigentum respektieren«, antwortete Max und nickte noch einmal bekräftigend.

»Nun denn, Brokk, dann sei auch du in unserem Hause willkommen.«

»Heil Euch, großer Wegkundiger«, antwortete dieser und verbeugte sich tief.

Max starrte ihn verblüfft an - so hatte er den jungen Dieb noch nicht gekannt.

»Faut!« Der Wegfinder schnippte mit den Fingern. »Bring uns bitte etwas zu trinken und einen kleinen Imbiss.«

Der Diener tat nickend sein Verstehen kund und verschwand in den Tiefen des Turms.

»Nun, Fremder, der Ihr das Zeichen Dürrasts tragt, was führt Euch zu mir?« Die beiden Köpfe blickten Max interessiert an.

Max, der inzwischen Übung im Erzählen seiner Geschichte hatte, fasste sie hier erneut zusammen. Er ließ sehr wenig aus, praktisch nur den Alten und den Stab.

»Und Ihr habt dort niemanden gesehen?« erkundigte sich der Wegfinder, als Max geendet hatte.

»Nein«, antwortete der junge Mann knapp und das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Der Wegfinder sah ihn sekundenlang nachdenklich an, bevor er weiter sprach: »Nun gut, dann zu Eurem Anliegen. Was wollt Ihr von Tendras, dem Letzten der Wegfinder, den die göttlichen Kartographen erschufen, wissen?«

»Nun, wie aus meiner Geschichte hervor geht, suche ich die Pyramide, mit der ich auf meine Heimatwelt zurück kehren kann und wie mir gesagt wurde, seid Ihr der Einzige, der mir dabei helfen kann«, antwortete Max mit einer vagen Geste.

In diesem Moment trat der Diener mit einem vollbeladenen Tablette an den Tisch. Wortlos stellte er die Leckereien ab und zog sich weiterhin stumm zurück.

Der Wegfinder beugte sich vor und bedeutete Max, fortzufahren, während er aus einer Kristallkaraffe Wein ausschenkte.

»Das ist eigentlich alles, aber verzeiht meine Neugier«, redete Max mutig geworden weiter: »Ich will nicht unverschämt erscheinen, oder Euch gar beleidigen, aber jemand von Euerem Aussehen ist mir noch nicht begegnet. Gehört Ihr einer anderen Rasse an?«

Die beiden Köpfe lächelten belustigt über die Frage.

»Das können wir wohl verstehen«, antwortete wieder der Dunkelhaarige. »Und da Ihr uns Eure Geschichte erzählt habt, so wollen wir Euch auch unsere erzählen. Vor vielen Finsterzeiten«, begann er, »als das Eis schon weit zurück gewichen war, suchte die Bruderschaft der Kartographen nach neuen Wegen, Furten und Pässen, die in das wieder bewohnbare Land führ­ten. Sie hatten damals, für uns heute kaum vorstellbar, Kontakt mit der Außenseiterkolonie Fazio-Vaukao aufgenommen. Fazio-Vaukao ist, oder war, ich weiß nicht, ob sie noch existiert«, fügte der Wegfinder ein, »eine Kolonie, die sich auf Gestaltwandel und Elementarmanipulation spezialisiert hatte. Irgendwie ist es ihnen gelungen, die inneren Lebens­träger zu ändern. Ihre Botschaften zu verdoppeln und miteinander zu koppeln. Nun, das Ergebnis seht ihr hier vor euch.« Tendaras zuckte die Schultern. »Wie auch immer«, fuhr er fort. »Nur dreiundvierzig von uns wurden damals geschaffen. Durch diese Manipulation waren wir sehr langlebig geworden, vielleicht sogar unsterblich.« Er machte eine kleine, unbestimmte Bewegung mit der Hand.

Voller Staunen sah Max seinen Gegenüber an und auch Brokk war sichtlich in den Bann der Erzählung gezogen.

»Doch das Ergebnis entsprach nicht den Vorstellungen der Kartographen.« Er kicherte leise. »Denn wohl können wir jeden Weg finden, doch richtet es sich nach dem Fragesteller. Nicht jeder Weg ist für jeden gleich. So könntet Ihr mich nach dem Weg nach Windkap fragen und wir würden Euch eine Richtung zeigen. Würde aber ein anderer nach dem gleichen Ort fragen, dann wäre die Richtung wahrscheinlich eine andere. Denn wir sagen jedem den für ihn besten Weg, auch wenn es manchmal nicht so erscheint.«

»Genmanipulationen und parapsychologische Fähigkeiten«, murmelte Max unbewusst laut.

»Gewiss«, bestätigte der Wegfinder und Max schrak zusammen. »Andere Namen für gleiche Dinge. Doch weiter...« Er schien für einen Moment in die Vergangenheit zu sehen und Max fragte sich schaudernd, wie alt wohl dieses Wesen war. »Kurz, die Kartographen konnten nichts mit uns anfangen. Dreizehn nur entkamen dem Tod.«

»Und der Rest?«, entfuhr es Max erschrocken, angesichts dieser im Plauderton vorgebrachten Geschichte eines dreißigfachen Mordes.

»Hier ein Unfall, dort ein weiterer Mord.« Er machte eine unbestimmte Geste mit der Hand. »Bei manch einem der Verlust des Lebenswillens. Tja, soviel wir wissen, sind wir der Allerletzte der Wegfinder - und wir haben vor, es auch noch eine ganze Weile zu bleiben«, schloss er und lehnte sich tief in seine Kissen zurück.

Max' Mund war wie ausgetrocknet und er griff automatisch nach dem Weinbecher. Auch Brokk ergriff die Gelegenheit und trank Tendras zu.

Sie nahmen einen tiefen Zug des fast schwarzen, aromatisch duftenden Weins. War Max schon von dem feurigen aus Klat-i-Bosk überrascht gewesen, so wurde dem jetzt noch eins zugegeben. Der Wein lief ihm durch den Hals wie flüssiges Feuer, ein Feuer, das nicht verbrennt, sondern seine Wärme wohlig warm in alle Zellen des Körpers schickt. Er hatte auch nicht die ekstatische Wirkung des Schwirrbaumextraktes, sondern er verbreitete ein sanftes Gefühl von Ruhe und Wärme, ohne jedoch einschläfernd zu wirken.

Von Brokk kam ein überraschtes Aufstöhnen. »Max«, flüsterte er, mit einem vorsichtigen Blick zu dem Wegfinder hin, der mit geschlossenen Augen, weit zurück gelehnt, den Trank auf sich einwirken ließ. »In dem Wein ist mehr Moly, als ich je in meinem Leben gesehen, geschweige denn gehabt habe.«

»Was?«, fragte Max ebenso leise und ein erschrockenes Frösteln kroch ihm über den Rücken. »Ist das etwa eine Droge?«

»Nein, nein. Moly kommt aus dem Süden und wird von Windhafen exportiert. Es ist wohl eins der teuersten Gewürze überhaupt - wahrscheinlich das teuerste«, fügte er noch hinzu.

»Und was ist so Besonderes daran, außer, dass es sich fantastisch in Wein macht?«, fragte Max weiter. Immer noch nicht ganz beruhigt. Denn mit Drogen wollte er nichts zu tun haben.

»Es wirkt lebensverlängernd«, antwortete Brokk dramatisch.

»Also doch eine Droge.«

Sie hatten anscheinend lauter geredet als sie dachten, oder vier Ohren hörten mehr als zwei. So war es ihnen jetzt ziemlich peinlich, als der Wegkundige antwortete: »Ihr braucht keine Angst zu haben, es erzeugt keine Abhängigkeit.«

»Hm?«, begann Max nachdenklich. »Es sei denn, man wollte den Drang, ewig zu leben, als Sucht bezeichnen.«

»Gut gekontert«, antwortete Tendras mit einem leisen Kichern.

»Ja, nun, wie auch immer«, fasste Max ziemlich nichtssagend zusammen: »Es gibt da wichtigere Dinge, auf die ich noch keine Antwort habe.« Er sah den Wegfinder aufmerksam an.

»Fragt nur, fragt!«, meinte dieser, immer noch lächelnd.

»Also«, begann Max: »Ihr habt vorhin von Dingen geredet, die mich, gelinde gesagt, mehr verwirrt als aufgeklärt haben. Was zu Beispiel ist eine Finsterzeit und was ist eine Außenseiterkolonie?« Er sah Tendras aufmerksam an.

»Oh, ja, ich vergaß, Ihr kommt von weit her und wisst deshalb nichts über die Geschichte Viloderas. Ich werde Euch einen kleinen Überblick geben«, antwortete der weißhaarige Kopf, der bisher geschwiegen hatte und löste somit Maxens Überlegung, er könne vielleicht nicht sprechen, in Nichts auf.

»Vor langer Zeit«, begann er mit einer Stimme, als trage er ein Märchen vor, »war Vilodera bis auf kleine Teile rund um den Äquator von Eis bedeckt. Die Landteile, die eisfrei waren, glichen den kargen Einöden wie es sie jetzt im hohen Norden gibt. Beherrscht wurde alles von den Eisgöttern, schreckliche Wesenheiten, die aus dem eisigen Äußeren gekommen waren. Durch die gewaltigen Gletscher, die sich über weite Flächen Viloderas schoben und wie Tore für sie waren, krochen sie auf unsere Welt. Doch waren wohl nicht nur diese Gletschertore entscheidend. Nein, auch Magier, die nach Macht strebten, ebneten ihnen den Weg. Nur wenige konnten in dieser Eishölle überleben und auch sie wären verloren gewesen, wären nicht die H´ei-Tak aus den Tiefen des Nichts gekommen.«

»Die H´ei-Tak...«, fuhr er nach einem Augenblick der Pause fort, Max' beginnende Frage mit einer kurzen Handbewegung unterbrechend. »Sie entstanden, so mein Wissen, das ich zusammen getragen habe, stimmt«, fügte er ein, »in den glühenden Nebeln eines entstehenden Sterns. Doch durch viele Zeitalter hindurch näherte sich diese werdende Sonne ihrer strahlenden Geburt. Für die H´ei-Tak war dies die Zeit des Aufbruchs, die Zeit, ihre Heimat zu verlassen. So schufen sie ihr fliegendes Heim, um dem Zuge der neu geborenen Sonne zu entkommen.«

Wieder schwieg der Wegfinder einige Augenblicke, bevor er weiter sprach: »Denn sie, die ohne die Zwänge der Gravitation aufgewachsen waren, konnten sie nicht ertragen. Zwar beherrschten sie die Aufhebung der Schwerkraft bis zu einem bestimmten Grade, doch die Kraft des neuen Sterns würde zu groß für sie sein. Nun hatte sie zwar eine fliegende Heimstatt gebaut, doch wie sollten sie die Temperatur erzeugen, die sie zum Überleben brauchten? Denn nicht mehr fern war die endgültige Geburt des Sterns.« Der Wegkundige sah Max fragend an.

»Ich - ähm?«, Max zuckte verlegen die Schultern.

»Könnt Ihr auch nicht wissen«, kicherte Tendras mit blitzenden Augen. »Also weiter: In dieser Zeit der Not«, setzte er seine Erzählung fort, »bekamen die H´ei-Tak Kontakt zu einem Wesen, das wir jetzt den Sonnenfinsterling nennen. Er war, unbemerkt von ihnen, in der gleichen glühenden Sphäre entstanden - und als er ihre Ausweglosigkeit erkannte, nahm er Kontakt auf. Ja«, unterbrach Tendras seine Rede, »in den Weiten des Äußeren geschehen seltsame Dinge.«

Max und Brokk nickten unisono.

Der Wegfinder trank genüsslich an seinem Wein, bevor er weiter redete: »Der Sonnenfinsterling hätte ohne Weiteres die Geburt dieser neuen Sonne überstehen können. Doch er beobachtete die H´ei-Tak schon eine schier endlose Zeit, daher erkannte er ihre Not und dass sie ohne seine Hilfe untergehen mussten. Und so nahm dieses unvorstellbare Wesen, das nicht allein sein wollte, Kontakt auf und die Synthese entstand. Der Finsterling umhüllte das fliegende Heim der H´ei-Tak mit der glühenden Hitze seines gewaltigen Leibes und dann glitten sie hinaus in die kalten, lichtlosen Abgründe zwischen den Lebenslichtern. Ungezählte Äonen schwammen sie durch das Nichts und ergründeten die Geheimnisse der dunklen Weiten. Dann, nach einer endlosen Wanderung durch die Sternenräume, erreichten sie das System, in dem auch Vilodera seine Bahn zieht. Es war zu der Zeit, als sich nur noch wenige gegen die Herrschaft des Eises zur Wehr setzten.«

»Der Bund der Magier!«, rief Brokk laut aus, als der Wegfinder kurz in seiner Rede verhielt.

»Gewiss, auch die Magier spielten in dieser Zeit eine tragende Rolle.« Tendras nickte Brokk zustimmend zu.

»Oh, entschuldigt«, versetzte Brokk hastig und wurde rot. »Ich wollte Euch nicht unterbrechen.«

»Ah, schon gut, junger Mann. Zeigt mir dein Einwurf doch, dass die Geschichte Viloderas nicht vollkommen vergessen ist und nur noch Anachronismen wie ich die Vergangenheit kennen. Doch weiter...«, die beiden Köpfe tranken nacheinander einen Schluck Wein und schnalzten nacheinander mit der Zunge. »Die Sonnenkraft des Finsterlings war fast aufgebraucht und die Heimstatt der H´ei-Tak war nahe bei Vilodera, als sie erkannten, dass dieser Planet intelligentes Leben trug. Sie suchten Verständigung und der Zufall oder die Vorsehung wollten es, dass sie dabei mit den letzten Gegnern des Eises in Kontakt traten. Diese verzweifelte Gemeinschaft erkannte ihre Chance und sie schlossen ein Abkommen mit den H´ei-Tak, unseren Rettern. Die H´ei-Tak lösten ihr Heim aus dem Leib des Finsterlings und dieser flog allein weiter, zu dem Glutauge unserer Sonne, um seine Kräfte zu erneuern. Alle neunundsechzig Jahre«, Tendras hob dozierend seinen Zeigefinger, »saugt er die Energie der Sonne in sich auf. Die dabei auftretenden Phänomene schlucken das Licht der Sonne für einige Zeit. Dadurch bekam das Wesen den Namen Sonnenfinsterling.«

»Das ist ja unglaublich«, entfuhr es Max.

»Ja, könnte man sagen«, nickte der Wegfinder. »Dort befindet er sich jetzt schon seit vielen Jahrtausenden«, nahm er den Faden wieder auf, »und wird wohl auch noch einige Zeit dort bleiben. Die H´ei-Tak aber erschufen das große Siegel, dort, wo jetzt die Inseln Jeslakatiara sind. Durch dieses Siegel drangen sie in das glühende Innere unseres Planeten. Denn die geringe Schwerkraft Viloderas vermögen sie zu kompensieren«, kam Tendras einer Frage Maxens zuvor. »Zum Ausgleich schleuderten sie einen Teil des Planeteninnern ins All und formten es zu einer kleinen Sonne. Sie verankerten diese künstliche Sonne auf einer Ebene zwischen Vilodera und unserem Zentralgestirn. So ist »Ausgleichsmond«, wie wir dieses Werk der H´ei-Tak nennen, nur während einer Finsterzeit zu erkennen. Nun«, Tendras klatschte fröhlich in die Hände, »in wenigen Finsterzeiten zog sich das Eis bis zu den Kraftpunkten des Planeten zurück. Die Macht der Eisigen schwand dahin und ist heute fast vergessen.«

»Da soll mich doch...«, begann Max. Eine kurze Geste Tendras gebot ihm Einhalt.

»Lasst mich erst zu Ende erzählen, dann ist immer noch Zeit für die eine oder andere Frage.« Auf ein zustimmendes Nicken hin fuhr er fort: »Die H´ei-Tak sind eine Außenseiterkolonie und sie warten, bis der Sonnenfinsterling wieder erstarkt ist. Dann werden sie zurück kehren in die große Leere zwischen den Sonnen, die ihre wahre und wirkliche Heimat ist.« Tendras schloss mit einem leisen Seufzer seine Erzählung und verschränkte seine feingliedrigen, langen Finger im Schoß.

Max war von der Geschichte derart gefesselt, dass er Brokks Frage fast nicht mitbekommen hätte.

»Was aber, Wegkundiger, passiert, wenn die H´ei-Tak und der Finsterling uns verlassen? Werden dann die Eisgötter zurück kehren?«, fragte der Dieb sichtlich erregt.

»Nein«, antwortete der Wegfinder mit sanfter Stimme. »Das große Siegel wird erlöschen und Ausgleichsmond kehrt an seinen angestammten Platz zurück. Doch der Finsterling wird einen Ableger seiner Selbst erschaffen und uns so Kraft geben, dem Eis zu widerstehen. So jedenfalls steht es in den uralten Schriften der Kartographen.« Er machte eine weit ausholende Bewegung zu den mit Büchern und Perga­menten voll gestopften Regalen.

Die beiden Zuhörer hatten - ohne es zu bemerken - ihren Wein ausgetrunken und bevor sie ihre Gedanken geordnet hatten und neue Fragen stellen konnten, sprach der Wegfinder erneut: »Wir sagen Euch, Maximilian Junker und dir Brokk, dem Dieb, der keiner ist - geht nach Zameggi am Meer und zwar in diese Richtung!« Er zeigte mit der linken Hand in Richtung Südwesten. Dann lehnte er sich zurück und seine vier Augen schlossen sich.

Max war trotz der beruhigenden Wirkung des Weins aus der Fassung geraten, denn die letzten Worte waren mit einer Stimme gesprochen worden, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Ohne ein Wort zu sagen, stand Brokk auf und zog ihn am Ärmel in Richtung Ausgang.

»Was soll das?«, schnappte Max unwirsch und versuchte, sich frei zumachen.

»Sei still!«, zischte Brokk und zerrte weiter. »Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«

»Ja, aber...«

»Ruhig jetzt, draußen können wir uns weiter unterhalten«, argumentierte der Dieb.

Brokks eindringliche Worte und das lautlose Auftauchen des Dieners ließen Max stumm einlenken.

*

Kurze Zeit später standen sie wieder auf den dämmerigen Straßen der Stadt und Max wurde sich bewusst, wie sehr er die kurze Zeit Sonnenschein in dem Gemach des Wegfinders genossen hatte. Dies ließ ihn fürs Erste die vielen Fragen, die er an Brokk hatte, vergessen und bevor er sich vollständig gesammelt hatte, begann der Dieb, von selbst zu reden.

»Max«, begann er, »ich wollte dir eigentlich schon heute Morgen sagen, dass ich dich gern begleiten möchte.« Er fuchtelte nervös mit den Händen in der Luft herum. »Aber jetzt habe ich ja den Auftrag vom Wegkundigen selbst bekommen«, redete er sicherer weiter und grinste fröhlich. »Also, ich würde sagen, wir brechen so schnell wie möglich auf...« Er klatschte zufrieden in die Hände und hüpft aufgeregt von einem Bein aufs andere.

Max war von Brokks Worten total überrascht. Gleichzeitig jedoch sehr erfreut, nicht mehr allein durch eine fremde, ihm größten Teils unverständliche Welt wandern zu müssen. Deshalb fiel sein Protest auch ziemlich schwach aus, als Brokk anmerkte, dass er schon des Längeren aus Lokisgjöld fort wollte.

»Na, dann ist ja alles klar«, meinte Max vergnügt. »Bis auf eins: Wenn ich mich noch einigermaßen an deinen gestrigen Geographieunterricht erinnere, dann liegt Zameggi im Westen. Aber der Wegfinder hat nach Südwesten gezeigt.« Er sah Brokk fragend an.

»Oh, du hast doch gehört, was der Wegkundige gesagt hat. Das ist doch das Dilemma der Wegfinder: Sie zeigen dir nicht den kürzesten Weg, sondern den speziell für dich besten.«

»Oh, oh«, machte Max und sie gingen schweigend weiter.

Auf dem Weg zur Gildenhalle tauchte plötzlich eine in Lumpen gehüllte Gestalt vor ihnen auf und tauschte flinke Fingerzeichen mit Brokk.

»Was wollte er?«, fragte Max beiläufig, als der Mann wieder in der Menge verschwunden war.

»Ach, er hat nur gefragt, ob er mir helfen soll«, kicherte Brokk.

»Bei was helfen?«, fragte Max jetzt, misstrauisch geworden.

»Na, an deinen Beutel zu kommen«, antwortete Brokk nun laut auflachend und schlug ihm auf die Schulter.

»Oh, Gott, lass mich schnell aus diesem Albtraum erwachen!«, stöhnte Max entsagungsvoll. »Hoffentlich habe ich dieses licht- und gottverlorene Irrenhaus von einer Stadt bald hinter mir.«

*

In der Gildenhalle angekommen, führte Brokk ihn in einen kahlen Raum, wo hinter einem penibel aufgeräumten Pult eine griesgrämig blickende Gestalt saß.

»Was willst du?«, wurde Brokk grußlos angeschnauzt.

Max erkannte nun eine farblos gekleidete Frau in mittlerem Alter, die ihn sofort an einen Finanzbeamten mit speckig glänzendem Hosenboden und Lederflicken auf den Ellbogen denken ließ.

»Moment bitte«, antwortete Brokk freundlich und wandte sich Max zu. »Tja, wie soll ich es sagen«, begann er verlegen. »Für einen Wein hier und einen Honigkuchen da, reicht es bei mir immer und für Kleidung und so sorgt die Gilde. Also kurzum, ich habe nur ein paar Münzen in der Tasche. Für eine Reise über Land reicht das hinten und vorn nicht. Aber ich habe ja einen reichen Freund«, plapperte er dann lustig weiter und schlug Max ziemlich fest auf den Rücken.

»Ah!«, machte Max und revanchierte sich mit einem Knuff. »Das hab ich mir gedacht, jetzt geht es ums liebe Geld«, sagte er mit einem wissenden Blick in Richtung der missmutig blickenden Frau.

»Gewiss und es mag sein, wie es will, wir brauchen einen ordentlichen Beutel davon. Meister Sigo wird dir den Steinschlüpfer-Mantel auch nicht umsonst geben«, gab er gleich ein Beispiel für die vielseitige Verwendungsmöglichkeit des Geldes.

»Es geht jetzt also um den Verkauf dieses heimtückischen Giftes?«, fragte Max irgendwie verstimmt, obwohl er sich eigentlich schon damit abgefunden hatte. Denn was machen? Und gute Vorsätze kann man nicht essen.

»Genau«, antwortete Brokk und zog das Wort übermäßig in die Länge. »Diese honorige Gestalt dort«, er deutete mit einer schwungvollen Geste zu der wartenden Frau, »ist Untermeisterin Trude, unsere Geldverwalterin. Sie sieht zwar nicht besonders vertrauenserweckend aus, aber sie wird dir einen reellen Preis zahlen.«

Der missmutige Blick, den die Frau ihnen anfangs zugeworfen hatte, war einem Stirnrunzeln gewichen.

Nach nochmaligem kurzen Überlegen zog Max den Brocken aus der Tasche und knallte ihn ziemlich hart auf das Pult.

Die Frau verzog angesichts dieses rüden Benehmens angewidert das Gesicht und setzte zu einer harschen Erwiderung an, als sie gewahr wurde, was da auf ihrem Tisch lag. Der begonnene Anschiss verwandelte sich in einen überraschten Pfiff. »Das gibt's doch nicht«, krächzte sie. »Habt Ihr den der Königin von Itilonarks geklaut?«

»Das geht dich überhaupt nichts an«, polterte Brokk, der jetzt Oberwasser hatte, vergnügt.

»Na, mir soll's egal sein«, näselte sie achselzuckend und setzte wieder ihren Blick 'Marke Grieskram' auf. »Aber so viel Geld hab ich nicht im Haus, ich kann nicht die ganze Gildenkasse plündern«, sie starrte Max und Brokk an, als seien sie schuld an diesem Manko.

»Das haben wir auch nicht erwartet«, antwortete Max weltmännisch, obwohl er nicht die geringste Ahnung über den Wert des Brockens hatte.

Brokk nickte ihm bestätigend zu. »Gib uns einen ordentlichen Beutel Münzen und den Rest«, er sprach das letzte Wort bedeutungsschwer aus, »auf Siegel.«

»Gut«, meinte die Frau mit einem fragenden Blick in Maxens Richtung. Als dieser zustimmend genickt hatte, förderte sie eine Pendelwaage unter dem Pult hervor. Im gleichen Maße wie sie Gegengewichte auflegte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Das gibt's doch nicht, das ist unvorstellbar. Seit Jahrzehnten wurde meines Wissens nach kein so großes Stück gefunden«, murmelte sie kopfschüttelnd.

Während die Geldverwalterin noch einige Tests machte und Max' Verwirrung immer mehr wuchs, stand Brokk, mit immer breiter werdendem hämischen Grinsen neben ihm.

»Unglaublich, nicht zu fassen«, hörte man die Frau während ihres Tuns andauernd brummeln.

Nachdem sie mit ihren Untersuchungen fertig war, sah sie Max einige Zeit stumm an und diesem wurde schon ganz seltsam im Magen, als sie zu sprechen begann: »Nun gut, ich werde den Brocken nehmen. Ich werde euch das Geld und auch das Siegel geben«, meinte sie bedächtig. »Doch ich will euch sagen, dass keine Gildeniederlassung euch den Restbetrag auf einmal auszahlen kann.« Sie sah Max aufmerksam an.

Brokks Überheblichkeit war langsam Staunen gewichen und so fragte er nun vorsichtig: »Ist es denn so viel?«

»Brokk«, sagte sie und zum ersten Mal sah Max sie lächeln. Es war ein warmes Lächeln und er musste feststellen, dass er wieder einmal mit seiner ersten Beurteilung einer Person daneben gelegen hatte. »Dies ist ein Stück, wie ich es noch nie gesehen habe und wie ich schon sagte, auch sonst niemand seit langer Zeit gesehen hat. Ich will nicht verhehlen, dass unsere Gilde damit einen gewaltigen Gewinn machen kann. Doch ihr müsst verstehen, dass wir das Stück nicht auf einen Schlag auf den Markt bringen können.« Sie sah Max auf ein Zeichen von Verständnis wartend an.

»Ist doch klar, es würde den Preis für das Rohpulver fallen lassen und das wollen wir doch auf keinen Fall«, antwortete Brokk schnell und grinste Untermeisterin Trude frech an.

Max atmete tief durch und machte eine zustimmende Geste. Froh darüber, durch Brokks schnelle Rede seine Unwissenheit nicht preis geben zu müssen und einer Blamage entronnen zu sein.

»Nun, wie auch immer, ich werde Euch einen fairen Preis machen«, sagte die Frau, an Max gewandt. Dann blickte sie die beiden noch einmal kritisch an und verschwand in einem angrenzenden Raum.

»Uff«, machte Max und wischte sich über die Stirn.

»Uff und noch Mal uff«, gab Brokk ihm recht. »Ich hatte ja keine Ahnung, zu was sich das entwickelt. Gedacht habe ich mir schon, dass der Brocken einiges bringt. Deshalb hab ich mir auch so einen schönen Tarnmantel bei Meister Sigo bestellt.« Er sah Max mit seinem besten Hundeblick an.

Max winkte ab und bedeutete ihm, weiter zu sprechen.

»Was soll ich noch groß sagen, du hast ja selbst gesehen, wie Trude sich aufgeführt hat. Man könnte meinen, wir hätten die Krone der Königin von Itilonarka zum Verkauf angeboten.«

Max hatte noch einen ganzen Stapel an Fragen parat, doch die Rückkehr der Verwalterin ließ ihn schweigen.

»So, da habt ihr's«, sagte sie übergangslos und knallte zwei sichtlich schwere Beutel auf das Pult. »Ich hab zwei genommen, das ist sicherer.«

»Bowh«, oder so ähnlich machte Brokk und riss die Augen auf. »Damit könnten wir hier mindestens ein Jahr in Saus und Braus leben.«

Max sagte überhaupt nichts und versuchte, mit seinem neuen Reichtum klar zu kommen. Das Beste würde wohl sein, das Geschäftliche vorläufig Brokk zu überlassen und nur ein Auge auf den jungen Mann zu haben, falls ihn der Hafer stechen sollte, überlegte er.

»So, jetzt tretet näher«, riss ihn die Stimme der Verwalterin aus seinen Gedanken. Wieder etwas aufgerüttelt, trat er ein paar Schritte vor.

»Gebt mir bitte Eure rechte Hand«, sagte sie mit einem Anflug von Belustigung in der Stimme, als sie Max ratlosen Blick bemerkte.

Der Dimensionsrei­sen­de riss sich zusammen, wechselte Täu­scher in die linke und streckte der Frau energisch seine rechte Hand entgegen. Mit einer geübten Bewegung drehte sie seine Handfläche nach oben und drückte ihm, aus der gleichen Bewegung heraus, einen hell leuchtenden Siegelring hinein. Ein kurzes Brennen schoss Max durch die Hand und er sah für Sekunden einen stilisierten Blitz, der von einer Faust umschlossen wurde, auf seinem Handballen glim­men.

»Was soll das, was habt Ihr mit mir gemacht?«, stieß Max erschrocken hervor.

»Ah - nur keine Panik«, grinste Trude. »Kommt Ihr in eines unserer Gildenhäuser und zeigt Eure Hand, dann werden die Leute dort dieses Zeichen wieder sichtbar machen und Euch Geld geben. So lange, bis der Betrag aufgebraucht ist und das Zeichen erlischt. Aber ich fürchte, es wird nie erlöschen«, klagte die Frau scheinbar zerknirscht. »Es sei denn, Ihr seid ein grausiger Prasser und Ihr richtet Euch und das schöne Geld in den nächsten paar Jahren hin.« Sie sah Max streng an und dieser nickte hastig, um im nächsten Moment ebenso hastig seinen Kopf zu schütteln.

»Selbstverständlich nicht, Madam«, krächzte er.

Brokk kicherte und Trude ließ sich ächzend auf einen Hocker hinter dem Pult fallen.

Max blickte verwirrt von einem zum anderen, noch viele unbeantwortete Fragen auf den Lippen, doch Brokk rief der Untermeisterin noch einen Gruß zu und zog ihn aus dem Raum.

Ein paar nachdenkliche Minuten später standen sie in der Schneiderei, wo Meister Sigo sie strahlend begrüßte.

»Alles prima geklappt«, erklärte er übergangslos und sichtlich zufrieden. Mit diesen Worten drehte er sich um und faltete zwei Umhänge auseinander, die Max, in den kurzen Momenten ihrer Anwesenheit, nicht aufgefallen waren. Theatralisch und immer noch strahlend, schwenkte Sigo einen der Umhänge am ausgestreckten Arm vor sich durch die Luft. Auch jetzt, als er den Steinschlüpfer-Mantel, denn um diesen musste es sich handeln, wild durch die Luft schwenkte, hatte Max Mühe, irgendeine Form zu erkennen. Die Farben waren in dauerndem Wandel begriffen und hoben sich, trotz des Wedelns, nur undeutlich gegen den Hintergrund ab.

Max pfiff überrascht durch die Zähne: Das war wesentlich besser, als er erwartet hatte.

Wenig später, als er einen der Umhänge in Händen hielt und an probierte, bemerkte er, dass es sich um einen richtigen Mantel mit Ärmeln und Kapuze handelte. Er war aus einem ziemlich dünnen, leichten Leder, das aber ziemlich strapazierfähig schien, wie er durch eine vorsichtige Probe und angesichts Meister Sigos missbilligender Miene, die sein Zupfen hervor rief, feststellte.

»Nun, seid Ihr zufrieden?«, fragte Sigo, als Max den Mantel wieder zusammengefaltet und auf den Tisch gelegt hatte.

»Gewiss, gewiss«, beeilte sich Max unter des Meisters lauerndem Blick hastig zu sagen. »Und noch meinen Dank für die prompte Lieferung«, fügte er bekräftigend hinzu.

»Ach, nicht der Rede wert«, bog Meister Sigo verlegen ab und machte eine wegwerfende Handbewegung. Doch man konnte ihm den Stolz über das Lob deutlich ansehen.

Da Max keine geeigneten Worte mehr einfielen, wandte er sich an Brokk und bat diesen, die Bezahlung zu übernehmen.

Der Schneidermeister nannte einen Preis und von Brokk kam ein überraschtes: »Heia!«

Max sah dann, wie Brokk einen beträchtlichen Stapel Münzen aus seinem Beutel zählte und Sigo mit Jammermine überreichte. Kurz fragte er sich, warum sie hier, im Gildenhaus, nicht mit dem Siegel bezahlten und ihr Geld für die Widernisse der Reise sparten, doch folgte er diesem Gedanken nicht weiter nach.

Nachdem sie sich noch einmal bedankt und sich verabschiedet hatten, schlenderten sie durch die fast leeren Gänge der Gildenhalle.

*

»Was machen wir jetzt?«, fragte Max, als sie schon ein gutes Stück schweigend nebeneinander her gegangen waren.

»Nun, die Tücher sind schon seit einiger Zeit hoch gezogen und du gehst am besten schlafen«, antwortete Brokk nach einem Moment des Nachdenkens. »Morgen früh musst du ausgeruht sein«, fuhr er fort. »Ich mach mich auf die Sohlen und organisiere noch ein paar Sachen, die wir für unsere Reise brauchen. Unter anderem brauchbare Reittiere - mit deinem Azlot, das im Mietstall steht, kannst du prima einen Wagen ziehen, aber für eine weite Reise taugt der nichts.«

»Hm?«, machte Max nachdenklich. »Mir schwant da was, orga­nisieren und so. Du willst doch hoffentlich keine Dummheiten machen? Wir haben Geld genug und jedes Risiko, das zu vermeiden ist, kann uns nur von Nutzen sein. Ich hoffe, du hast mich verstanden«, setzte er zu Abschluss scharf hinzu.

»Ja, ja, großer Herr und Gebieter, es soll alles geschehen, wie Ihr es wünscht«, antwortete Brokk sichtlich verstimmt und verbeugte sich theatralisch. »Aber, falls doch etwas dazwischen kommen sollte, komm morgen früh ans Westtor und warte dort auf mich.«

Max sah in Brokks Augen den puren Schalk aufblitzen und wusste, dass seine Ermahnungen die gleiche Wirkung gezeigt hatten, als würde man einem Ochsen ins Horn zwicken. Er protestierte noch etwas, pro forma, wie er sich selbst eingestehen musste und machte sich, mit einem unbehaglichen Gefühl, auf den Weg Richtung Bett. Der einzige Lichtblick war der Gedanke an einen erneuten Besuch in der Nacht.

Doch nichts: Fehlanzeige.

Er wurde von einer stumpfsinnig blickenden Magd aus dem Schlaf gerissen - blickte sich verschlafen um - kein Brokk in Sicht. Na, toll, dachte er, hätte ich mir denken können.

»Dieb bleibt Dieb«, meldete sich eine Stimme in seinem Kopf, nach sehr langem Schweigen, spöttisch wieder.

»Arrghh«, machte Max - oder so ähnlich - und tat einen entsetzten Luftsprung. Das Herz schien einige Atemzüge lang beim Schlagen inne zu halten und Max ließ sich bebend auf sein Bett zurück fallen. Der bringt mich noch um, dachte er zusammenhanglos, der bringt mich noch um.

»Ist schon gut, ist schon gut«, flüsterte der Skarabäus begütigend. »Aber ich muss schon sagen, bei so einer schreckhaften Entität war ich noch nie zu Gast«, fügte er gleich aufmüpfig hinzu.

»Ha!«, machte Max und schoss triumphierend aus dem Bett empor. »Gast - da haben wir es, ein Gast benimmt sich ordentlich und nicht wie die Axt im Walde. Deshalb schweig jetzt still, ich muss nachdenken und melde dich nur noch, wenn du gefragt wirst«, setzte er im Befehlston hinzu.

»Pah!«, erklang es noch einmal in seinem Kopf, dann war es still.

Max lauschte noch einige Augenblicke und machte sich dann, mit einem unguten Gefühl im Magen, ans Packen.

Nachdem er gefrühstückt hatte, immer noch ohne ein Zeichen von Brokk, machte er sich auf den Weg zum Westtor.

*

Wo nur der kleine Dieb und der gut aussehende Fremde Namens Max blieben, fragte sich Ipas, die schon längere Zeit fröstelnd in einer Mauernische vor dem Westtor stand. Nervös tänzelte ihr pferdeähnliches Reittier hinter ihr und sie fragte sich zum wohl hun­dertsten Mal, ob sie nicht etwas falsch verstanden, ihre nächtens erfahrenen Informationen falsch zusammen gesetzt hatte. Endlich hatte sie jemanden gefunden, der zum Weltentor wollte und jetzt stand sie hier schon am falschen Tor und die Beiden waren über alle Berge.

Ihre Nervosität hatte ihren Gipfel erreicht, als sie Schritte durch das Tor kommen hörte. Gespannt starrte sie auf die Gestalt, die sich langsam aus dem Dunkel des Torbogens schälte. Sie stieß erleichtert den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte, als sie Max erkannte. Auch seinen unvermeidlichen Stab hatte er bei sich. Sie wollte gerade aus dem Schatten der Mauernische heraus auf ihn zu treten, als sie lautes Hufgetrappel durch den Torgang näher kommen hörte. Leise bestieg sie ihr Korti und beschloss, erst einmal abzuwarten.

Sekundenbruchteile später brachen vier Kortis durch das Tor und wurden bei der Gestalt von Max hart zum Stehen gebracht.

»Los, auf das Tier, wir haben nicht viel Vorsprung«, brüllte Brokk, jeder Frage von Max zuvor kommend, heiser.

»Himmel, Arsch und Zwirn, ich hab doch gleich gewusst, dass irgendwas schief geht«, fluchte Max bitter und schwang sich auf das freie, gesattelte Tier. Einen Herzschlag später sprengten sie in einer Staubwolke davon, bevor die weinseligen Wächter, die jetzt mit ver­schlafenen Augen aus dem Wachhaus torkelten, etwas mit bekamen.

Ipas wollte noch ein bisschen abwarten, doch sie hatte sich zu weit vor gewagt und eine der Wachen hatte sie gesehen.

»Da! Da!«, schrie der Mann krächzend mit trockenem Hals und zeigte aufgeregt in ihre Richtung.

Aus der Stadt war bereits ein gewaltiger Lärm zu hören und das Hufedonnern zahlreicher Tiere. Ohne nach zu denken, drückte Ipas ihrem Korti die Fersen in die Flanken und galoppierte hinter Max und Brokk her, die sie nur noch als zwei kleine Pünktchen wahrnahm.

Sie war noch nicht weit gekommen, als sie mit einem Blick über die Schulter die ersten Verfolger aus dem Tor preschen sah. Allem voran Pokas, der Stallmeister, Herr der königlichen Kortis. Besser hätte Brokk sich nicht verabschieden können. Ausgerechnet die Rassetiere des Königs zu stehlen... Ipas verfluchte den Dieb im Stillen.

Die Verfolger hatten inzwischen aufgeholt und Ipas trieb ihr Reittier verzweifelt an. Fürs Erste konnte sie den Abstand wahren, doch lange würde ihr Tier, vollgepackt wie es war, dieses mörderische Tempo nicht halten können. Sie blickte nach vorn und stellte entsetzt fest, dass Max und Brokk ihre Kortis zum Stehen gebracht hatten und auf sie warteten. Gütige Isis, waren die Beiden jetzt total übergeschnappt? In ihrer Angst hatte sie nicht bemerkt, dass sie die Marksäulen Lokisgjölds hinter sich gelassen hatte. Ein erneuter Blick zurück zeigte ihr, dass die Verfolger ihre Tiere zum Stehen gebracht hatten und wild mit ihren Säbeln und Spießen in ihre Richtung gestikulierten.

»Was soll denn das jetzt wieder?«, entfuhr es ihr laut, als sie ihr Tier bei den beiden Männern zum Stehen brachte.

»Nichts, schöne Frau«, antwortete Brokk mit weicher Stimme. »Die stehen jetzt dort und stellen sich vor, was sie alles mit uns anstellen würden, wenn sie uns in die Finger bekämen. Was sie mit dir anfangen würden, kann ich mir gut vorstellen«, kicherte er und grinste Ipas lüstern an.

»Hmpf«, machte Ipas und warf den Kopf zurück.

»Spar dir deine dummen Sprüche und erkläre mir, was das alles soll!«, schnappte Max barsch.

»Sie dürfen nicht weiter als bis zu den Grenzsäulen«, antwortete Brokk hastig und machte eine beruhigende Geste. »Die Offiziellen von Lokisgjöld dürfen diese Grenze nicht überschreiten«, erklärte er. »Das ist so ein altes Gesetz, wie das mit den Tüchern, nur noch ein bisschen älter.«

Max fiel sofort wieder »Andere Länder, andere Sitten« ein, doch dann dachte er an die Marshalls aus den Western, die immer am Rio Grande Endstation hat­ten und er murmelte nur: »So und das andere, musste das sein, wir haben doch so viel Geld?«

»Na ja«, antwortete Brokk verlegen. »Aber der König hat nun mal die besten Kortis. Wie man hört, werden sie speziell auf Ausdauer gezüchtet und da, wie du weißt, wir eine längere Reise vor haben, können wir nur mit dem besten Material vorlieb nehmen.« Brokk blickte ihn triumphierend an.

Max seufzte ergeben und Brokk wandte sich an die Frau: »Nun zu dir, Ipas«, begann er anzüglich. »Was hast du angestellt, dass man so ein Aufhebens macht?«

»Tu doch nicht so scheinheilig«, herrschte sie ihn an, als sie ihre Fassung wieder gewonnen hatte. »Das Ganze hier ist einzig und allein deine Schuld. Ich stand lediglich in der Nähe des Tores, als ihr vorbei kamt.«

»Ach ja, die liebe Ipas stand so ganz zufällig am Tor herum. Ganz zufällig hatte sie auch ein bis oben hin bepacktes Korti dabei, mit genügend Proviant bis wenigstens nach Windhafen.« Brokks Stimme war gegen Ende ziemlich barsch geworden. »Also, raus damit, warum folgst du uns?«

Ipas zuckte mit den Schultern und blickte hilfesuchend zu Max. Doch der stand abseits unter einem dunkelgrünen Laubbaum und sah kopfschüttelt dem immer wieder von Drohgebärden begleiteten Abzug der königlichen Truppe zu.

»Also gut«, seufzte sie schließlich ergeben.

»Fasse dich kurz!«, knurrte Brokk. »Wir müssen weiter. Es sollte mich nicht wundern, wenn in nicht allzu langer Zeit eine Gruppe weniger offizieller Kopfjäger hinter uns her wäre. Die scheren sich dann wenig um die Marksäulen.«

»Ah, ja - hab mir doch gedacht, dass das zu einfach war«, sagte Max verstimmt, der während Brokks Worte näher getreten war.

Dieser zuckte nur unbestimmt mit den Schultern und gab ein undefinierbares Geräusch von sich. Dann forderte er Ipas erneut auf, weiter zu sprechen.

»Nun gut«, begann sie. »Ich habe erfahren, dass ihr zum Himmelstor wollt.«

»Hmpf... erfahren!« Max sah sie leicht verärgert an.

»Aber nicht aus böser Ansicht«, schnappte sie, sich angegriffen fühlend. Wobei allerdings die leichte Rötung ihrer Wangen ihrem Angriff die Spitze nahm.

»Gut, gut«, winkte Max ab, dem die Richtung, in die sich das Gespräch zu bewegen schien, überhaupt nicht gefiel. »Das können wir später erörtern«, meinte er weltmännisch. »Jetzt aber antworte bitte auf Brokks Frage.«

»Also, wie ich erfahren... gesagt bekommen habe, wollt ihr zum kalten Himmelstor«, begann sie zum zweiten Mal. »Auch ich muss dort hin, aus einem Grund, den ich jetzt noch nicht verraten möchte. Es ist nichts, was euch betrifft, oder euch in Gefahr bringt«, sagte sie schnell, als Max und Brokk synchron den Mund öffneten. »Euere Reise bietet mir die beste Gelegenheit, dort hin zu kommen. Ihr wisst gar nicht, wie lange ich auf diese Gelegenheit gewartet habe«, fügte sie mit einem Hauch von Müdigkeit in der Stimme hinzu. »Nun, wie auch immer: Eigentlich wollte ich mich euch erst später anschließen, aber da ihr mich nun einmal entdeckt habt...« Sie beendete den Satz nicht und sah um Verständnis bittend von einem zu anderen.

»Was hältst du von der Geschichte?«, wandte sich Brokk an Max.

Dieser stand immer noch ein wenig im Banne der Geschehnisse und auch der Nacht, die er mit Ipas verbracht hatte, deshalb nickte er, ohne groß nachzudenken.

»Nun, an mir soll’s auch nicht liegen«, schnaubte Brokk und wandte sich den Kortis zu.

Wenig später hatten sie Ipas Gepäck auf die beiden Packtiere verteilt und ritten Richtung Westen.

*

»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Max, nachdem sie einige Zeit schweigend geritten waren.

»Tja, eigentlich wollte ich uns im direkten Weg nach Waldhafen führen«, antwortete Brokk langsam. »Aber das geht jetzt nicht mehr, da Pokas gesehen hat, in welche Richtung wir reiten und garantiert überall Patrouillen ausgeschickt hat, um alle Wege von Lokisgjöld weg zu überwachen. Uns bleibt nur, weiter nach Westen zu gehen, durch das Herz des Waldlandes.«

»Aber hausen da nicht die grausigen Ozimanios?«, fragte Ipas und sah Brokk erschrocken an.

»Pah, hast du etwa Angst?«, antwortete dieser großmäulig.

»Na ja, schließlich heißt es, sie würden Eindringlingen die Haut bei lebendigem Leibe abziehen«, entgegnete Ipas mit leicht zitteriger Stimme. »Und das haben wir alles dir und deiner verfluchten Dummheit zu verdanken«, setzte sie dann lauter und ziemlich verstimmt hinzu, während sie anklagend mit dem Finger auf ihn zeigte.

»Ja, ja, wir werden es schon erleben«, bog Brokk leicht zweideutig ab.

Max hatte den Beiden nur mit halbem Ohr zu gehört und sich mit den Gegebenheiten abgefunden. Jetzt war auch durch Beschuldigungen nichts mehr zu erreichen. Er ließ seinem Tier die Zügel schleifen und es trottet einige Schritte weiter und begann, Laub von einem Baum zu zupfen. Fasziniert betrachtete er vom Rücken seines Kortis aus die Landschaft. Er war auf der Erde schon etwas herum gekommen, aber das hier war anders. Nicht die Kulturlandschaft Europas, sondern wilde, urwüchsige Natur, an der keines Menschen Hand gerührt hatte. Die Luft war geschwängert vom Duft tausender verschiedener Pflanzen und er zog sie tief in seine Lungen. Er fühlte sich Sau wohl und er sagte es auch.

Die Beiden unterbrachen ihren Streit und sahen ihn überrascht an. Ipas schüttelte verständnislos den Kopf und Brokk meinte orakelhaft: »Wollen wir doch mal sehen, was du morgen sagst.« Dann drückte er seinem Korti die Fersen in die Flanken und winkte seinen Gefährten, ihm zu folgen.

Immer weiter führte sie ihr Weg durch wogende Wiesen, über denen Schwärme bunter Falter und Insekten ihren schwerelosen Reigen aufführten. Hier und da bildeten kleine und größere Baumgruppen Inseln in diesem grünen Meer. Dieses harmonische Bild der in allen Farben blühenden Blumen und Sträucher, der aromatisch duftenden Bäume und Büsche, versetzte die Reisenden in eine ruhige, besinnliche Stimmung. Zum einen bei Brokk und Ipas, die fast ihr ganzes Leben in der verdunkelten Stadt verbracht hatten, zum anderen bei Max, der eine Landschaft erlebte, wie er sie schöner noch nie gesehen hatte.

Plötzlich brachte Brokk sein Korti zum Stehen, sprang aus dem Sattel und bückte sich, um ein unscheinbares Pflänzchen mit blassroter Blüte zu pflücken. Strahlend hielt er die Blume in der Hand und drehte sich zu Max und Ipas um, die sein Treiben erstaunt verfolgt hatten.

»Wir haben Glück, heute ist der Tag der Mooskinder«, rief er fröhlich aus und schwenkte die Blüte ausgelassen durch die Luft. »Wer an diesem Tag das Pflänzchen Simok findet, soll den Rest seines Lebens vom Glück begünstigt werden.« Fröhlich hüpfte er, das Pflänzchen immer noch wild schwenkend, durch das hohe Gras.

So ausgelassen hatte Max ihn in der kurzen Zeit, die er ihn jetzt kannte, noch nicht gesehen. Was wohl diese Wandlung bewirkt hatte? Wahrscheinlich die tolle Umgebung und die neue Freiheit ohne die beengenden Tücher Lokisgjölds.

Gegen Abend erreichten sie einen Ring aus grob behauenen, grauen Steinen.

»Das ist ein Storma-Ringana«, erklärte Brokk unaufgefordert. »In seiner Mitte können wir heute Nacht ein ruhiges Plätzchen finden.«

»Und was, in aller Welt, ist ein Storma-Ringana?«, fragte Max verwundert. Verwundert nicht nur über diesen steinernen Ring, sondern auch über Brokks unerwartetes Wissen. Außer­dem erinnerte ihn dieser Steinkreis, in dessen Mitte weder Bäume noch Sträucher wuchsen, an Stein­setzungen, die er von den keltischen Kulturen der Erde her kannte.

»Zuerst schlagen wir unser Lager auf und dann erzähle ich euch, was ich über die Kreise weiß«, vertröstete sie Brokk.

Max wollte wenigsten für Ipas ein Zelt aufschlagen, aber laut Brokk blieb es hier auch nachts angenehm warm. Max zuckte angesichts dieser neuen, sonderbaren Information nur ergeben die Schultern und so blieben die Zelte in ihren eingewachsten Lederhäuten.

Bald flackerte ein lustiges Feuerchen im Zentrum des Rings und Max schleppte aus einer nahen Quelle Wasser herbei, während Ipas sich um die Zutaten fürs Essen kümmerte.

Als sie es sich bequem gemacht und ihr äußerst schmackhaftes Mahl verzehrt hatten, erzählte Brokk das Wenige, das er über die Steinkreise wusste. Es ergab sich, dass die Storma-Ringana über das gesamte Waldland, dessen fließende Grenze sie heute überschritten hatten, verteilt waren und Reisenden eine sichere Unterkunft gewährten. Mächtige Schutzzauber waren in die grauen Felsblöcke eingelassen, die jedem, ob Mensch oder Dämon, der in böser Absicht kam, den Zutritt verwehrten. Deshalb brauchten sie auch keine Wache und konnten ungestört schlafen.

Als hätte das Wort Schlafen einen Bann gebrochen, bemerkte Max, dass er während der kurzen Erzählung fast eingeschlafen war. Und obwohl ihm wieder einiges spanisch vorkam, wie zum Beispiel diese gastlichen Plätze zu den sadistisch veranlagten Ozimanios passten und was einem der beste Schutz nutzte, wenn eine Hundertschaft Kopfgeldjäger den Ring umlagerte, wickelte er sich fester in seine Decken und war sofort eingeschlafen. Er bekam nicht einmal mehr mit, wie Ipas sich eng an ihn schmiegte und Brokk murmelte, er wolle noch mal kurz nach dem Feuer sehen.

GAARSON-GATE 052

GAARSON-GATE ist die Schwesterserie von STAR GATE – das Original!

Titel:

Keltokoi

von K. H. Reeg

Co-Autor: Thomas Maul

»Sie sind der Schrecken der Welt

- aber nur zur Tarnung!«

27. Oktober 2052 = Tipor Gaarson beschert der Menschheit den nach ihm benannten GAARSON-Effekt - als schier unerschöpfliche Energiequelle. Sie wird zum »Tor zu den Sternen«.

13. Januar 2091 = In den Annalen der Menschheit vermerkt als der Todestag des Genies Tipor Gaarson. Aber was niemand auf der Erde bemerkt: Im gleichen Moment, als Tipor Gaarson stirbt, erscheinen in einer fernen Galaxis, auf den Ruinenwelten des untergegangenen sogenannten Prupper-Reiches verteilt, sämtliche 18 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben. Sozusagen von einem Augenblick zum anderen. Aber es sind nicht die »Originale«, sondern exakte Klone. Ihre Nachfahren nennen die unvorstellbare Macht, die dies vollbrachte, ihren »Pruppergott«.

Der Pruppergott ist in Wirklichkeit das ominöse »Konglomerat der Mächtigen« und verfolgt mit der Erschaffung des »NEUEN IMPERIUMS« aus Menschenklonen eine noch undurchsichtige Absicht. Dass es ausgerechnet Erd-Menschen klont, liegt an einem speziellen Menschen, der im zwanzigsten Jahrhundert seine Aufmerksamkeit erregte. Er heißt Maximilian »Max« Junker - und dieser gelangt zufällig in eine seltsame und gefährliche Welt. Seine wichtigste Waffe heißt »Täuscher«. Diese sieht aus wie ein Wanderstab, doch sie hat gewissermaßen »magische Eigenschaften«.

In einer fremden Stadt trifft er zwei Menschen, die sich ihm als Gefährten anschließen: Der junge Dieb mit Namen Brokk - und die schöne Ipas. Mit ihnen macht er sich auf den weiteren Weg...

*

Max wurde durch das Zwitschern der Vögel geweckt, die in den ersten vorsichtigen Sonnenstrahlen ihre Lieder sangen. Da die beiden Gefährten noch schliefen und er sie nicht wecken wollte, kümmerte er sich um das Frühstück.

Wie gerne hätte er jetzt einen richtigen Kaffe getrunken, aber den gab es hier nicht, nur das ähnliche Quita, doch davon war auch nichts zur Hand. Er seufzte resignierend und stellte einen Wasserkessel aufs Feuer, um wenigstes Tee zu kochen. Aus einem Lederbeutel nahm er eine Handvoll getrockneter Kräuter, die, wie er wusste, Brokk benutzte, um ein Getränk namens Zey aufzubrühen. Es schmeckte nach frischen Malvenblüten, Hagebutten und einem Hauch von Pfefferminze und Max hatte sich schnell mit diesem Geschmack angefreundet. Während der Tee durch zog, säbelte er von einem harten Schwarzbrot dicke Schei­ben ab, die er mit bereits geschnittenem Schinken belegte.

Gerade als er die beiden Langschläfer wecken wollte, räkelte sich Ipas unter den Decken und schlug die Augen auf.

»Guten Morgen, Max«, gähnte sie verschlafen.

»Auch guten Morgen«, tönte es aus Brokks Richtung. Im nächsten Augenblick hatte er seine Decken zu Seite geschleudert und einen Moment später hatte er sich eins der Brote gegrapscht, in das er fröhlich grinsend hinein biss.

Max konnte sich des Eindrucks nicht erweh­ren, dass der junge Mann schon seit geraumer Zeit wach war und sich still verhalten hatte, um aller Arbeit aus dem Weg zu gehen.

Nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatten, löschten sie das Feuer, sattelten ihre Kortis und waren bald schon wieder auf dem Weg, den Brokk für sie ausgesucht hatte.

*

Max staunte nicht schlecht, als sie sich nach einem halben Tag einem Wald näherten, der seine Ehrfurcht vor der Schöpfung steigen ließ. Gewaltige Bäume, die man höchstens noch mit den Mammutbäumen des nordamerikanischen Kontinents vergleichen konnte, ragten hundert Meter und mehr in den blauen Himmel. Um die zwanzig, dreißig Meter mochte ihr Umfang sein und ließ sie trotz ihrer immensen Höhen fast gedrungen erscheinen. Aber was Max am meisten verwunderte, war die Tatsache, dass es sich nicht um eine einzelne Art von Bäumen handelte, nein, Laub- und Nadelbäume strebten einträchtig nebeneinander in den Himmel.

»Herz des Waldlandes, höre meinen Gruß!«, rief Brokk, der an der Spitze ritt und brachte sein Tier zum Stehen. »Heil euch, ihr Keltokoi, die ihr das Leben bewahrt. Seid ihr gewillt, drei Reisende durch die sichtbaren Formen eures Seins zu lassen?«

Max klappte die Kinnlade herunter und sah hilfesuchend zu Ipas, doch die saß auch nur mit offenem Mund auf ihrem Korti und starrte Brokk an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. Bevor er sich berappelt hatte und eine Frage an den Dieb richten konnte, rief dieser dem Wald erneut seinen Gruß entgegen. Wie zur Bestätigung und trotz der Windstille, ging ein leises Rauschen durch die Baumwipfel.

In den Gedanken der drei Wanderer formte sich eine seltsam schwingende Stimme. Max glaubte im ersten Moment, der Skarabäus, den er seit seiner Ankunft im Schädel mit sich herum trug und der mehr war als nur ein Simultanübersetzer, hätte sein anhaltendes Schwei­gen gebrochen, doch nein, diese tiefe, rau­schende Stimme war die Stimme dieser monumentalen Bäume, die dort vor ihm empor ragten. Max wusste dies mit absoluter Sicherheit, obwohl er beim besten Willen nicht zu sagen vermocht hätte, woher.

»Gruß euch, ihr Wanderer«, brandete es in ihnen auf. »Und großes Heil dir, der du im Zeichen H´A-sket-do-Mackis reist und den Stab des Uralten trägst.«

Trotz seines grenzenlosen Erstaunens, war Max sicher, dass nur er den letzten Satz gehört hatte. Ebenso war er sich ziemlich sicher, dass es sich bei den beiden Genannten um die ein und die selbe Person han­delte, nämlich um den sonderbaren Alten von Dürrast, den er als ersten bei der Ankunft getroffen und der ihm diesen Wanderstab mit Namen »Täuscher« überlassen hatte.

»Seid gegrüßt im Waldland und seid unsere Gäste, so lange es euch nach Bleiben zumute ist.« Die Stimme verklang langsam und die drei Gefährten sahen sich ratlos an, als sich aus dem Schatten der Bäume eine Gestalt löste und langsam auf sie zu kam.

Es war ein schlanker Mann in grünen Stoffhosen und rotem Hemd. Darüber trug er ein dunkelbraunes Cape, das ihm bis zu den Kniekehlen reichte. Er blieb kurz vor den Gefährten ste­hen, die inzwischen abgestiegen waren und hob grüßend die Hand.

»Ich bin Kirtas-Osma, Beauftragter der Baumweisen und heiße euch noch einmal im Herzen des Waldlandes willkommen«, sagte er mit ruhiger, sanfter Stimme und blickte sie er­wartungsvoll an. Ipas etwas erwartungsvoller, wie Max fand.

Von den Ereignissen förmlich überrollt, erwiderten die Reisenden den Gruß - wenn auch ziemlich vorsichtig und auf Rückzug gefasst.

Der Mann erklärte ihnen, dass er den Auftrag hatte, sie zu den Führern seines Volkes zu bringen.

Das »bringt mich zu euerem Anführer« können wir uns wohl sparen, kam es Max unwillkürlich in den Kopf. Außerdem fragte er sich, wie diese Leute so schnell von ihrer Anwesenheit erfahren hatten. Aber da er gerade von einem Wald begrüßt worden war, beschloss er, sich nicht zu wundern und Kirtas-Osma vorläufig zu vertrauen.

Vielleicht hat ihnen ja eine geschwätzige Birke von ihrem Kommen erzählt?, versuchte er, mit Humor seine Gedanken in den Griff zu bekommen.

*

Max hatte ja bereits mit Einigem gerechnet, als sie ihr Führer durch die ehrfurchtgebietenden »Alleen der lebenden Türme« führte. Doch als sie auf eine sonnenüberflutete Lichtung traten, in deren Mitte ein einzelner palisanderähnlicher Baum stand, dessen Spitze sich im blauen Firmament zu verlieren schien, konnte er nur nach Luft schnappen und mit trockenem Mund ein unbestimmtes Krächzen fabrizieren.

»Der Erste«, sagte Osma ruhig und ohne jede Theatralik. »Die Seele des Waldlandes und die Heimstatt meines Vol­kes.«

Erst bei den letzten Worten des Mannes konnte Max seinen Blick von dem gigantischen Baum, der bestimmt doppelt so hoch war wie alle bisherigen, los reißen.

Kirtas-Osma sah die sichtlich erstaunten Freunde lächelnd an und forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihm weiter zu folgen.

Als sie sich dem Baum genähert hatten und er wie eine endlose braune Wand ihr Blickfeld ausfüllte, erkannte Max in etwa zehn Metern Höhe eine dunkle Höhlung im Stamm des Giganten, zu der ein Laufsteg aus lebenden, miteinander verflochtenen Ranken führte. Mit einem aufmunterndem Nicken for­derte Osma sie auf, den Steg zu betreten.

Vorsichtig stiegen sie diese luftige Brücke empor, die wider Erwarten nur leicht schwankte.

Ipas stieß einen leisen, entzückten Schrei aus, als sie handtellergroße Blüten in vielerlei Farben entdeckte, die überall aus dem Steg wuchsen.

Max, der gerade überlegte, ob ihr Führer das einzige menschliche Lebewesen hier war, sah nun, dass er sich getäuscht hatte. Die Bewohner des Waldlandes lebten in luftiger Höhe, in den Ästen und Wipfel der Bäume. Laufstege und dicke Äste dienten als Brücken zwischen den Bäumen. Er erkannte viele große, nestartige Behausungen und hier und da auch weitere Höhlungen in den Stämmen. Alle Bäume, die die Lichtung säumten, waren miteinander verbunden und verknüpft. Nur zu dem Giganten im Zentrum konnte Max keine Verbindung erkennen. Irgendwie wäre das auch einer Entweihung gleich gekommen, befand er zu seiner eigenen Überraschung.

Für weitere Überlegungen oder gar Fragen blieb jetzt keine Zeit, denn Kirtas-Osma führte sie nun ins Innere des Baumes.

Scheu blickten sie sich in der etwa zehn Meter durchmessenden Halle um. Der Boden bestand aus tiefschwarzem, wie poliert wirkendem Holz, während die Wände, die von dunklen Adern durchzogen wurden, mahagonifarben waren. Langsam begannen diese Adern nun zu pulsieren und ein sanftes, bläuliches Licht auszustrahlen, das bald auch den letzten Winkel des Raums erfüllte. Max legte den Kopf in den Nacken und konnte so erkennen, dass die Wände sich in großer Höhe aufeinander zu neigten und zu einer natürlichen Kuppel verschmolzen.

Ein Räuspern ihres Führers, der ein amüsiertes Lächeln zeigte, riss Max aus seinen erstaunten Betrachtungen.

»Also, ich...«, begann Max zusammenhanglos, doch Osma gebot ihm mit einer Geste, einzuhalten.

»Geduldet euch«, sagte er immer noch lächelnd. »Eure Fragen werden soweit möglich beantwortet werden. Doch dies ist die Aufgabe eines Anderen. Deshalb bitte ich euch um eine kurze Zeit der Geduld. Bitte nehmt doch Platz und entspannt euch einen Moment, während ihr die Ruhe des Ersten in euch aufnehmt.« Mit diesen Worten deutete er auffordernd auf eine niedrige Bank, die den Raum fast vollständig umschloss und ein Teil der Wand war. Osma blickte noch mal von einem zu andern, dann deutete er eine knappe Verneigung an und ließ sie allein.

»Das sind also deine wilden, gar grauslichen Ozimanios?«, meine Max und blickte Ipas spöttisch an.

»Keltokoi! Ja, Keltokoi klingt doch besser«, erklang eine tiefe Bassstimme vom Eingang her und ließ die Gefährten ertappt zusammenfahren.

Im Eingang stand jetzt ein beeindruckend wirkender, bärtiger, alter Mann. Er trug die gleiche Kleidung wie Kirtas-Osma. Nur sein Cape war, im Gegensatz zu dessen, mit kunstvollen Stickereien bedeckt. Trotz dieser ehrfurchtgebieten­den Umgebung und dem Ernst der Lage, kam Max unwillkürlich Errol Flynn in den Kopf, wie er mit einer Feder am Hut durch den Sherwood Forrest hüpfte. Er schluckte hart, um ein fast hysterisches Lachen, das in ihm auf wallte, zu unterdrücken.

»Ich bin Skadi-Osma - Hüter des Ersten und Bewahrer des Baumwissens«, stellte sich der Mann vor, nachdem er den Gefährten einige Augenblicke des Sammelns gegeben hatte und trat näher. Als er die Mitte der Halle erreicht hatte, glühten die Adern in den Wänden hell auf und der Raum wurde in strahlende Helligkeit getaucht.

»Was bewegt euch Wanderer, das Herz des Waldlandes zu betre­ten?«, fragte er, die Freunde der Reihe nach musternd. Als sein Blick über Max glitt, schien er für einen Moment an Täuscher hängen zu bleiben und zu verweilen. Doch dann ließ der Mann sich wortlos auf die Bank sinken und bat die Gefährten erneut, ihr Anliegen vor zu bringen.

Max atmete tief durch und erzählte seine Geschichte ein weiteres Mal, während er in dem Raum auf und ab ging. Anschließend erläuterte er noch kurz ihren Entschluss, die ferne Di­mensionspyramide ausfindig zu machen und aufzusuchen, um von dort seine Rückkehr zur Erde durchzuführen. Als er seine Ausführungen beendet hatte, herrschte für einige Augenblicke Schweigen in dem lichten Raum.

»So, so?«, meldete sich dann der Bewahrer des Baumwissens zu Wort, nachdem er sich verhalten geräuspert hatte. »Ihr wollt also zum großen Himmelstor? Keine leichte Aufgabe, die ihr euch da vorgenommen habt.« Skadi-Osma nickte sin­nend. »Denn wie wir erfahren haben, ist das Tor in den Einfluss des wiedergekehrten Eises gefallen«, fuhr er dann leise fort und blickte die Gefährten bedauernd an.

»Was? Das Eis ist wieder zurück gekommen?«, rief Brokk entsetzt aus. Auch Max und Ipas saßen wie erstarrt, kein Wort über die Lippen bringend. Eine unter der Bank explodierende Bombe hätte keine größere Wirkung auf die Moral der Freunde haben können.

»Aber Tendras hat doch gesagt, der Ausgleichsmond, die H´ei-Tak...«, brachte Max, in einem hilflosen Versuch, Skadis Worte ungeschehen zu machen, stotternd hervor.

»Bitte sagt uns, was geschehen ist«, schloss sich Ipas flehentlich Max gestammelter Bitte nach Erklärung an und ergriff dabei schutzsuchend dessen Hand.

»Langsam, langsam!«, beschwichtigte sie er alte Mann in beruhigendem Ton. »Viel weiß ich auch nicht. Nur Bruchstücke von Erzählungen - aus zweiter Hand«, setze Skadi-Osma schnell hinzu, um der niedergeschlagenen Stimmung der Freunde etwas die Spitze zu nehmen. »Etwas mehr als Gerüchte, Fragmente von...« Er zuckte hilflos die Schultern und machte eine vage Geste mit der linken Hand.

»Ich danke Euch für den Versuch, uns nicht alle Hoffnung zu nehmen«, antwortete Max, der sich trotz der Hiobsbotschaft schnell wieder gefasst hatte.

Und dann: Die Eisgötter, schreckliche Gestalten aus grauer Vorzeit, die jetzt das Dimensionstor blockieren?

Irgendwie waren das bislang für ihn nur unfassbare Figuren gewesen, bloß Namen, unter denen er sich wenig oder nichts vorstellen konnte. Wie Drachen, Werwölfe und dergleichen. Halt irgendwelche fiktive, unwirkliche Gestalten. Nicht zu der Realität gehörend...

Max schluckte trocken und räusperte sich, bevor er fortfuhr: »Aber es nützt uns nichts, wenn Ihr uns schont. Früher oder später werden wir so oder so mit der harten Wirklichkeit konfrontiert. Deshalb glaube ich, es ist besser, wenn wir jedes noch so kleine Zipfelchen an Information bekommen, das wir kriegen können.« Er blickte sich nach Bestätigung suchend um und Brokk und Ipas signalisierten mit einem stummen Nicken Zustimmung. »Gut«, stimmte er sich selbst zu. »Also erzählt uns alles, was Ihr über die Wiederkunft des Eises wisst. Wenn man den Gegner kennt, kann man sich auf ihn einstellen und läuft nicht völlig blauäugig in den Untergang.«

»Da habt Ihr wohl recht«, meinte der Bewahrer des Baumwissens nach einigen Momenten des Nachdenkens bedächtig. »Nun denn, wie ich schon sagte, ist auch mein Wissen über diese Neuerung des fast vergessenen Schreckens sehr gering. Doch alles läuft darauf hinaus, dass es einem der eisigen Götter gelungen ist, wieder auf unserem Planeten Vilodera Fuß zu fassen. Dies wäre für euch wahrscheinlich belanglos, wenn sich das Tor nicht nahezu im Zentrum seiner Machtsphäre befinden würde. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass die Manifestation seiner Macht lange anhalten kann, so lange Ausgleichsmond seine Bahn um Vilodera zieht. - Ihr habt euch einfach die falsche Zeit ausgesucht.« Er lächelte schwach bei dem Versuch, zu scherzen.

»Hm?«, machte Brokk wenig überzeugt.

»Vielleicht, bei diesen Dingen ist nichts sicher und vor allem nichts so, wie es sein sollte«, schloss sich Ipas orakelhaft an.

»Mag sein«, meinte Skadi-Osma vorsichtig und legte nachdenklich den Kopf schief. »Aber vielleicht seid ihr das Zünglein an der Waage?«, vermutete er und wieder schien sich sein Blick auf Täuscher zu heften.

Max stieß einen Fluch aus und wandte sich seinen Gefährten zu. »Was denkt ihr? Sollen wir aufgeben, bevor wir erst richtig angefangen haben, oder machen wir weiter und entscheiden unterwegs von Situation zu Situation?« Er starrte seine Kameraden herausfordernd an.

»Weiter gehen«, meinte Brokk sofort und klatschte bekräftigend in die Hände. »Zumindest bis Zameggi oder gar Ieslakatiaro - vielleicht können wir dort Näheres erfahren?«

Ipas nickte nur stumm und ihr Gesichtsausdruck zeugte von fester Entschlossenheit.

»Gut«, stimmte Max zu und wandte sich an Skadi-Osma. »Ihr habt gehört, wie wir uns entschieden haben«, begann er. »Und doch muss ich Euch fragen, wie ihr von diesen Dingen erfahren habt, ihr, die ihr hier so abgeschieden lebt«, fuhr er fort.

»Ja«, mischte sich Brokk ein, bevor Osma antworten konnte. »In Lokisgjöld haben wir nicht einmal gerüchteweise davon vernommen. Selbst die Gilde hat nichts in dieser Richtung verlauten lassen und das ist schon erstaunlich. Denn die Gilde - tja - die Gilde ist eigentlich ziemlich gut informiert, über alles, was auf Vilodera wichtig ist.«

»Nicht alles, was der Gilde wichtig erscheint, ist für Vilodera wichtig«, meinte Skadi-Osma mit einem feinen Lächeln. »Die Gilde kümmert sich um ihre Geschäfte und - ja - Intrigen.« Der Bewahrer winkte ab, als Brokk zu einer schwachen Verteidigung ansetzte. »Wie auch immer.« Er machte eine kurze Pause des Besinnens. »Ich denke, es ist richtig, dass ihr euch so entschlossen habt. Es ist nicht gut, allen Fährnissen ohne einen Versuch der Änderung auszuweichen.« Er nickte wie zur Selbstbestätigung und fuhr dann in einen erzählenden Ton ver­fallend fort: »Und jetzt hört zu«, begann er mit ruhiger Stimme. »Vor vielen Jahrtausenden führten wir schon einmal einen Kampf gegen das Eis und die gestaltlosen Entitäten, die aus dem Äußeren hierher gelangt waren. Doch ohne die H´ei-Tak waren wir ohne Chance - nicht stark genug, zu schwach, hoffnungslos in unserer Lage. Immer weiter wurden wir zurück gedrängt.«

Osma sah die Gefährten eindringlich an.

»So sahen wir nur eine Chance, das Leben auf Vilodera zu bewahren. Nämlich indem wir es auf einen kleinen Fleck konzentrierten und dort mit all unserer Kraft beschützten. Da Bäume und Sträucher, Gräser und Blumen relativ unbeweglich sind, brachten die Begründer dieses Ortes Samen und Schösslinge von überall auf der Welt hierher. Hierher, an diesen Ort, um eine Bastion zu errichten, die niemals ein Opfer des Eises werden sollte. Wir, die Bewahrer...«, Osma verharrte einige Augenblicke, wie um zu lauschen, bevor er weiter sprach: »Wir banden uns an das, was wir zu schützen gelobt hatten. Wir banden unsere Seelen, auf dass sie bei unserem Tode mit den großen Bäumen ver­schmolzen und in ihnen auf gingen. Dadurch erlangten die Bäume große Macht, genug, um dem Eis widerstehen zu können. So wir es erhofften«, fügte Osma schulterzuckend hinzu.

Erhofften?, überlegte Max wehmütig. Wie viel war schon erhofft worden und wie viel würde noch erhofft werden?

»Nun ja«, sprach Osma nach einem tiefen Seufzer weiter. »Dann kamen die H´ei-Tak mit dem Sonnenfinsterling und brachten dem Eis eine empfindliche Niederlage bei. Die Menschen konnten aufatmen. Nur ein paar Jahre später zogen sie wieder durch das Land, als ob nichts geschehen wäre und gründeten ihre Städte und Gemeinden. Tja - das Gedächtnis der Menschen ist kurz, die meisten hatten die Schrecken des Eises nach ein, zwei Generationen vergessen und bald war dieses Grauen nur noch Märchen aus alter Zeit.« Osma seufzte und rieb sich abwesend die Hände. »Na ja, wahrscheinlich hatten die einfachen Leute auch einfach genug mit dem Überleben zu tun, als sich über vergangene Gefahren den Kopf zu zerbrechen.«

»Gewiss«, stimmte Max nachdenklich zu. »Schließ­lich muss es vorwärts gehen und was nutzt es einem einfachen Bauern, wenn er über längst Vergangenes nach sinnt, anstatt seine Felder zu bestellen?«

»Wohl wahr«, nickte der Bewahrer lächelnd. »Und so ginge es auch uns, den Keltokoi, auch wir wurden vergessen, wurden zu Märchengestalten, Kobolden, Gnomen.« Osma machte eine unbestimmte Geste mit den Händen.

»Wie auch immer«, fuhr er nach einer kleinen Weile fort, »die wahren Schätze, die wir hier gesammelt hatten, verwandelten sich in den Sagen und Märchen schnell in Gold und Geschmeide. Bald kamen die ersten Glücksritter, Schatzsucher und schlimmeres Gelicht. Am Anfang versuchten wir noch, ihnen zu erklären, dass es hier keinerlei materielle Schätze zu holen gab, doch jede Erklärung, jedes Wort schien das Gegenteil zu bewirken. Jedwedes Abstreiten der Existenz eines Schatzes nährte ihre Überzeugung, dass wir hier glänzende Reichtümer versteckt hätten.« Osma war, während er diese Worte sprach, aufgestanden und wanderte langsam in der Halle hin und her. Man bemerkte ihm deutlich die Hilflosigkeit an, die wohl damals schon seine Vorgänger erfasst hatte, als die Goldgier der Schatzsucher jedes Wort der Erklärung ins Gegenteil verkehrt hatte.

»Ja - alles nützte nichts«, fuhr er etwas später fort, als er seine innere Unruhe niedergekämpft hatte und sich erneut neben den still wartenden Gefährten nieder ließ. »Also, kurzum, wir konnten sie nicht eines Besseren belehren und vertreiben konnten wir sie auch nicht. Wir sind nun mal nicht zum Kämpfen geschaffen.« Er zuckte mit einem fast verlegen wirkenden Lächeln die Schultern. »Und so griff der Wald - die großen Bäume selbst - ein und vertrieb die Verblendeten. Bald galt der Wald als verhext und von grausigen Unwesen bewohnt. Es kamen immer weniger. Bei immer weniger der Goldsuchenden war die Gier größer als die Angst vor dem Grauen, das hier umgehen sollte. Wir nährten diese Geschichten eifrig und bald riss der Strom der Glücksritter völlig ab und nur noch ab und zu verliefen sich ein, zwei besonders Hartgesottene in unseren Wald. Denen haben wir dann ordentlich eingeheizt und so sorgten diese für die Verbreitung weiterer schrecklicher Geschichten über die grausligen Ozimanios.« Der Bewahrer lächelte jetzt richtig spitzbübisch und sein Gesicht hatte eine fröhliche Röte angenommen. »Unser Kontakt zu der Welt außerhalb des Waldes beschränkt sich auf die wenigen Gäste, die in den Storma-Ringana Einlass finden. Und so wenige das auch sein mögen«, Osma hob Aufmerksamkeit fordernd den Zeigefinger, »so sind dies, bis auf wenige Ausnahmen, die wahrhaft Suchenden und von diesen haben wie auch von der Wiederkehr des Eises vernommen.«

»Nun...«, begann Max vorsichtig. »Wir haben hier eine interessante Geschichte gehört. Eine Geschichte, die wieder etwas Licht in die Vergangenheit dieses Planeten bringt. Aber - ohne Euch zu nahe treten zu wollen - es ist doch wohl so, dass Eure Informationen... nun...«, Max suchte kurz nach Worten, »...ziemlich lange unterwegs waren, bis sie Euch erreicht haben. Vielleicht hat sich das Problem in der Zwischenzeit in Luft aufgelöst?« Max sah den alten Mann nach Bestätigung suchend an.

»Ah, gewiss!«, stimmte Osma mit einem feinen Grinsen zu. »Manche Geschichten, die wir so hören, sind schon sehr alt und haben deshalb nur einen rein informativen Wert. Aber manche unserer Besucher reisen schnell.«

Max blickte angesichts dieser etwas mysteriösen Antwort fragend seine Freunde an. Aber auch in ihren Gesichtern zeigte sich kein Verstehen ob dieser Aussage.

»Gut«, redete Osma weiter, bevor einer der Gefährten eine Frage stellen konnte, »dies ist alles, was zu diesem Thema zu sagen von Belang ist.« Er machte eine abweisende Geste, als Brokk sich mit einem Räuspern zu Wort melden wollte. »Auch wir haben unsere kleinen Geheimnisse«, überging er geschickt jede weitere Frage zu den »schnell reisenden« Besuchern. »Bis auf eines noch«, fügte er dann hinzu: »Wir haben nicht nur unsere kleinen Geheimnisse, sondern auch gewisse kleine Fähigkeiten, Vorzeichen zu sehen und zu interpretieren.« Jetzt grinste Osma wieder über das ganze Gesicht und ein jugendhafter Schalk blitzte in seinen Augen.

»Ah?«, machte Max. »Jetzt kommt die Katze aus dem Sack.«

»Was?«, begann Osma verwirrt und das Grinsen machte einem ratlosen Ausdruck Platz.

»Die Katze aus dem Sack lassen, das dicke Ende... Metapher - bildliche Beispiele.« Max zuckte lächelnd die Schultern.

»Ach so«, Osma nickte verstehend. »Wir haben auch solche Beispiele. Doch jetzt weiter und kurz gesagt, irgendwie scheint eure Reise zu dem Himmelstor wichtig zu sein. Wichtig zu sein für den weiteren Ablauf der Dinge.« Wieder machte er eine Schweigen gebietende Handbewegung, als Max zu einer Frage ansetzte. »Deshalb«, fuhr er fort, »duldet eure Reise keinen längeren Aufenthalt. So ungern ich es sage und so gerne ich euch noch länger als Gäste hätte, so ist es doch nötig, dass ihr schnellst möglich weiter zieht. Esst und schlaft euch aus, morgen Früh müsst ihr weiter«, schloss Osma bestimmt.

Ein wildes Stimmengemisch erhob sich, als der Bewahrer geendet hatte. Fragen hängten sich an Fragen. Doch der Alte zeigte sich hartnäckig und bekundete nur erneut, dass alles, was zu sagen war, gesagt sei.

Als sich die Gefährten wieder einigermaßen beruhigt hatten, erkundigte sich Osma, wie sie sich ihren weiteren Weg vorgestellt hatten und wie die Route aussehen sollte.

Max verwies den Bewahrer mit einer ärgerlichen Geste an Brokk. Dann wandte er sich ab und stampfte wütend Richtung Ausgang, wo er sich grummelnd auf den Boden hockte und in den Himmel starrte. Immer das Selbe, viele Fragen, kaum Antworten und massenhaft mysteriöse Anspielungen. Es war einfach zum verrückt werden.

Osma blickte dem jungen Mann mit einem verstehenden Nicken nach, dann wandte er sich an Brokk: »Nun, Dieb, wie soll euer Weg weiter gehen?«

»Ah? Nach unseren Plänen wird auch einmal gefragt - welche Gnade«, meinte Brokk verärgert und ohne auf Skadi-Osmas Versuch, die Atmosphäre etwas zu entspannen, einzugehen.

Der Bewahrer seufzte tief, bevor er antwortete: »Ich kann euch ja verstehen«, begann er langsam und mit ruhiger Stimme. »Ihr werdet zur Eile gedrängt, zu überhasteten Handlungen und dies alles, ohne eine ausreichende Erklärung. Nur ominöse Andeutungen. Ich verstehe euch voll und ganz, glaubt mir das nur«, sagte er nochmals, als Brokk immer missmutiger drein blickte. »Es ist einfach...«, Osma suchte nach Worten: »Die nähere Quelle meines Wissens und wieso ihr wahrscheinlich wichtig für den guten Ausgang der Dinge seid, wobei die Betonung auf wahrscheinlich liegt, darüber zu sprechen, ist mir nicht erlaubt. Aber glaubt mir, es ist wichtig, dass ihr schnellstmöglich reist!« Der Bewahrer hatte immer eindringlicher gesprochen und seine Worte mit heftigen Gesten untermalt.

»Na, dann willkommen im Club der Bevormundeten«, antwortete Brokk nach einem kurzen, nachdenklichen Zögern und ein erstes Lächeln stahl sich wieder in sein Gesicht. »Man kann eben nicht immer so, wie man will.«

»Welch toller Spruch und wie aussagekräftig!« Ipas schüttelte spöttisch den Kopf und ging mit aufreizend wiegenden Hüften zu Max.

»Oh, ja«, machte der alte Osma abwesend, als er ihr hinterher sah. Anscheinend war er noch nicht ganz so alt: Er konnte einfach nicht mehr den Blick von diesen Hüften lösen.

»Oh, ja«, imitierte ihn Brokk ironisch.

»Was...?« Der Bewahrer fuhr ertappt zusammen und eine feine Röte legte sich auf seine Wangen. »Jetzt aber weiter«, sagte er hastig und richtete seinen Blick auf den grinsenden Brokk. »Also, wie soll euer weiterer Weg jetzt aussehen?«

»Zuerst wollte ich den direkten Weg nach Waldhafen einschlagen. Aber da wir ja wahrscheinlich verfolgt werden, wie ihr sicher bereits wisst...« Er zuckte die Schultern. Als Osma keine Antwort gab, fuhr er fort: »Also dachte ich, wir reiten an den Pukas und wenn wir etwas Glück haben, finden wir eine Passage auf einem Floß und können so nach Waldhafen gelangen.«

»Hm - gut überlegt«, stimmte Skadi-Osma zu. »Wir werden euch, so weit es möglich ist und in unserer Macht steht, helfen. Doch jetzt stärkt euch und schlaft euch aus. Morgen sehen wir dann weiter.« Der Mann deutete bei diesen Worten auf das Mahl, das während der letzten Minuten von schwei­genden Keltokoi aufgetragen worden war.

»Was immer in unserer Macht steht«, murmelte Brokk resignierend. Dann gab er Osma zu verstehen, dass er vor dem Essen erst noch nach den Kortis sehen wollte.

»Für eure Tiere ist bestens gesorgt«, winkte der Bewahrer ab. »Das steht nämlich in unserer Macht«, fügte er spöttisch hinzu. Dann grüßte er und verließ ohne ein weiteres Wort die Baumkaverne.

*

»Siehst du, Ipas, so schlimm sind die Ozimanios nun doch nicht«, meinte Brokk wenig später witzelnd und hob prostend seinen Kelch.

»Ah! Der Herr Experte spricht«, antwortete Ipas spöttisch, nachdem sie ein großes Stück bläulichen Fleisches hinunter geschluckt hatte. »Aber irgendwie habe ich da so einen Gedanken - natürlich einen ganz falschen«, setzte sie mit funkelnden Augen hinzu. »Also, dieser Gedanke, ein ziemlich hartnäckiger, sagt mir, dass die tolle Begrüßungsfloskel heute Mittag wohl so ziemlich das Einzige ist, das unser großer Keltokoi-Kenner über die Bewohner des Waldlandes weiß.«

»Urmpf«, machte Brokk und trank ein paar hastige Schlucke aus seinem Kelch.

Die feine Rötung, die dabei seine Wangen überzieht, kann davon allerdings nicht kommen, überlegte Max. Denn in dem großen Holzkrug, der zwischen kaltem Braten, vielerlei Früchten und würzig duftendem Brot stand, war nur klares Quellwasser. Alkohol schien es hier nicht zu geben und das Fleisch war wohl auch nur ein Zugeständnis an die Essgewohnheiten der Freunde.

Als sie wenig später ihr Mahl beendet hatten, erhob sich Brokk und mit der Erklärung, dass er doch noch einmal nach den Kortis sehen wolle, ließ er Max und Ipas allein.

Langsam kroch drau­ßen die Nacht heran und die Wandadern des Baumes dämpften ihr Licht zu einem sanften, behaglichen Glühen.

Ipas rutschte näher zu Max und schmiegte sich fest an ihn. »Wie sieht es eigentlich auf der Welt aus, von der du kommst?«, fragte sie, nachdem sie eine Weile still gesessen hatten.

»Ach, Ipas - wo soll ich anfangen? Hier ist alles fremd und doch scheint es mir manchmal ver­trauter als dieses Leben voller Zwänge und obskurer Verhaltensregeln auf meiner eigenen Welt. Obwohl ich auch nicht sagen kann, dass ich hier durch blicke«, schloss er leicht wehmütig.

»Hat sich dort viel verändert?«, fragte Ipas leise, ohne auf Max' Gedanken einzugehen.

»Was meinst du mit verändert?«, entfuhr es Max verwundert. »Du kennst doch meine Welt überhaupt nicht.«

Ipas sah ihn für einige Augenblicke nachdenklich an, dann holte sie ein Stück Kreide aus ihrer Tasche und begann, Umrisse auf die mit den Resten ihres Mahls bedeckte Tafel zu zeichnen. Es waren nicht die Pyramiden, die sie skizzierte, sondern die deutlich erkennbare Sphinx, die vor ihnen kauerte und die Max erstaunt nach Luft schnappen ließ.

Ipas hatte ihn aufmerksam beobachtet und seine sichtliche Erregung sofort bemerkt. »Gibt es das auf deiner Welt?« Sie pochte heftig mit dem Zeigefinger auf ihre Zeichnung. »Kennst du Theben, Memphis oder Heliopolis?« Sie wartete zappelig auf eine Antwort.

Max nickte zaghaft und suchte verzweifelt nach Worten.

»Ich hab's gewusst, ich komme wieder heim«, jubelte sie und drückte Max fest an sich. »Wie geht es dem göttlichen Pharao und wie heißt er? Erzähl mir alles, ich muss alles wissen«, sprudelte es aus ihr hervor.

»Ipas, wie lange bist du eigentlich schon hier auf dieser Welt, auf Vilodera?«, fragte er vorsichtig und konnte sein Unbehagen kaum unterdrücken.

»Nun, ein paar Jahrzehnte sind schon vergangen«, seufzte sie. »Aber dank des Moly bin ich nicht gealtert. Du musst wissen, ich hatte ziemlich viel goldenen Schmuck bei mir, als ich hier ankam. Na ja - es war eigentlich weniger das Gold, als die fremdartige Verarbeitung, die mir ordentlich Geld brachte.«

»Jetzt hör mir gut zu«, begann Max behutsam. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber seit deiner Zeit auf unserem Heimatplaneten sind nicht nur ein paar Jahrzehnte vergangen..., sondern Jahrtausende!«, endete Max ziemlich abrupt und hilflos. Konnte es denn sein, dass hier die Zeit anders ablief? Gegenüber der Erde... wesentlich schneller? Aber dann: Wie viel Zeit war denn inzwischen dort vergangen, seit er sich hier auf hielt? Statt ein paar Tage... viele Jahre? Weniger? Mehr?

»Nein, nein, das kann nicht sein!«, flüsterte sie heiser und klammerte sich schluchzend an Max, dass dieser gleich wieder auf andere Gedanken kam.

Der junge Mann tröstete sie unbeholfen und endlich konnte sie weiter sprechen: »Ich war in der großen Pyramide, als sie plötzlich von innen heraus zu brennen begann«, fing sie langsam, nach Worten suchend, an. »Ich konnte nicht mehr hinaus, obwohl ich mich verzweifelt bemühte und dann scheine ich böse gestürzt zu sein, denn es traf mich etwas wie ein - hm - Schlag.« Sie machte eine vage Geste mit der Hand. »Später wachte ich einmal für kurze Zeit auf und sah verschwommen und mit dröhnendem Kopf, wie ich in eine viereckige Kammer mit seltsamem, grellem Licht geschoben wurde. Dann wurde alles ganz kalt, wahrscheinlich für lange Zeit, die ich nicht abzuschätzen weiß und als ich das nächste Mal auf wachte, befand ich mich in der Nähe von Lokisgjöld, einfach so...« Sie sah Max erwartungsvoll an. »Bitte, hilf mir«, murmelte sie mit erstickter Stimme und begann wieder zu weinen.

Stockend und nach geeigneten Worten suchend begann Max, ihr von dieser glitzernden und schimmernden Welt der technischen Wunder zu erzählen. Von dieser kränkelnden und schwärenden Welt voller Krieg, Umweltverschmutzung und Überbevölkerung - ein wenig auch aus der Sicht seiner ehemaligen Hippie-Freundin, die ihm oft genug die Ohren davon voll gequatscht hatte und der er indirekt sein Hier sein verdankte: Er hatte vor ihr nach Ägypten fliehen wollen, Ende der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. In der Pyramide... war es dann geschehen. Und während er ihr das erzählte und er sie weiter in seinen Armen hielt, fragte er sich unwillkürlich, wie lange er eigentlich schon in sie verliebt war, ohne es richtig zu bemerken.

Wenig später hatte sie sich in den Schlaf geweint und Max hing seinen Gedanken nach. Anscheinend war sie eingefroren worden?, überlegte er.

»So ungefähr muss es gewesen sein«, wisperte es in seinem Kopf: Der Skarabäus, der in seinem Kopf steckte, seit der unbeabsichtigt die Fluchtschaltung in der Pyramide betätigt hatte. Der Gate-Projektor hatte ihn daraufhin von der Erde entführt - und er war hier gelandet, wahrscheinlich durch einen Fehler im System. Wirklich durch einen Fehler? Und wieso war dann auch Ipas hier?

»Ah - du lebst also auch noch«, dachte Max »laut«, wie er dieses gedankliche Sprechen bei sich nannte, spöttisch und auch etwas erschrocken.

»Du bist ja ganz gut ohne mich ausgekommen«, antwortete der Skarabäus abwehrend. »Außer dass ich dir ständig helfen muss, weil du weder die Schrift hier lesen kannst, noch auch nur eine Wort der hier üblichen Sprachen beherrschst - ohne mich. Aber mit deiner Vermutung über Ipas hast du bestimmt recht. Wahrscheinlich war sie irgendwie verletzt und wurde nach ihrer Ankunft automatisch zum Heilschlaf in eine Regenerationskammer gebracht.«

»Sie hat aber nichts von einem Skarabäus gesagt«, unterbrach ihn Max zweifelnd. »Und wieso erwachte sie dann nahe der Stadt - und war nicht mehr am Empfangstor?«

»Pah - Begleiter in meiner Form erhalten nur privilegierte Personen. Du hast dir dieses Privileg wohl durch den Kontakt mit dem Anch erschlichen - wenn auch unbeabsichtigt, wie ich inzwischen weiß«, meinte der Skarabäus mit einem Hauch von Tadel in der Gedankenstimme. »Alle anderen bekommen nur einen billigen Übersetzer. Die Sprache hier hat sie ja anscheinend schnell genug erlernt. Und weil sie nicht privilegiert war, hat sie die Automatik auf sicheren Abstand gebracht, ehe sie überhaupt begreifen konnte, was mit ihr geschehen war.«

»Und wieso wurde sie dann überhaupt mittels der Fluchtschaltung auf diesen Planeten entführt? Ich meine, ich habe das Anch an mich genommen - und die Automatik hat deshalb mich als Berechtigten und Privilegierten angesehen, um die Fluchtschaltung zu aktivieren, aber wieso...?«

»Ja, ja, streng deinen Kopf nur nicht zu stark an«, würgte der Reisebegleiter jeden Einwurf Maxens im Vorfeld ab. »So war das garantiert und was die Verletzung betrifft, nun, der Diagnosecomputer wird auch eine schlimme - vielleicht sogar tödliche? - Krankheit als Verletzung zählen. - Wie auch immer...«, fuhr der Begleiter fort. »Die Behandlung muss ein Erfolg gewesen sein. Aber die Station war wohl damals schon irreparabel beschädigt, denn Ipas wurde irgendwie... vergessen. Vor ein paar Jahrzehnten muss sie dann vollständig ausgefallen sein und das Notprogramm trat in Kraft und alle Kälteschläfer wurden reanimiert und abgestrahlt. Ob das Notprogramm dabei nach irgendwelchen Vorgaben oder Kriterien vorging, oder die Schläfer einfach an eine funktionierende Pyramide schickte, kann ich nicht sagen. Aber so ungefähr muss es sich zugetragen haben - und Ipas wurde eben nicht abgestrahlt, sondern hier gelassen, weil sie als Nichtberechtigte nicht zugeordnet werden konnte«, schloss der Skarabäus nachdenklich.

»Wahrscheinlich«, stimmte Max zu, obwohl ihm bei diesen »Erklärungen« eine ganze Menge Widersprüche oder zumindest Ungereimtheiten aufgefallen waren. Er hielt es für immer wahrscheinlicher, dass der Skarabäus weit weniger wusste, als er zu wissen vor gab. Außerdem schien der Skarabäus in der Zeit seines Schweigens noch etwas an Überheblichkeit zugelegt zu haben. »Aber darüber können wir uns später noch unterhalten. Ich habe heute schon so viele Geschichten, Informationsbruchteile und vage Andeutungen gehört, dass mir der Kopf schwirrt und außerdem bin ich todmüde.« Mit diesen Worten schloss Max seine Unterhaltung mit dem Skarabäus und schaltete das »laute Denken« aus.

Vorsichtig zog er die schlafende Ipas zwischen die Decken, die die Keltokoi auf dem Boden ausgebreitet hatten und war wenig später, die junge Frau fest umarmend, ebenfalls eingeschlafen.

So fand Brokk sie noch vor, als er wenig später den Raum betrat und sich ebenfalls zur Ruhe legte.

*

Keiner der Drei konnte in dieser Nacht ruhig schlafen. Während Max und Ipas von schweren Träumen heimgesucht wurde, wälzte sich Brokk unruhig hin und her und träumte von einem reich verzierten Thron, der inmitten eines mit dichtem Moos bedeckten Hains stand.

Das Licht der Baum­adern war erloschen und nur noch eine sanfte Wärme strahlte von ihnen aus. Dann, als ob der Baum ihre Träume erkennen würde, begannen sanfte Vibrationen den Boden zu durchlaufen und die Mahre der Reisenden verflüchtigten sich und ließen sie in einen kraftspendenden Schlaf fallen.

Mit den ersten Son­nenstrahlen, die das Laubdach durchbrachen, kehrte auch das Leben in diese seltsame Ansiedlung zurück. Überall erklang das fröhliche Lachen von Kindern und Erwachsenen. Auch der Baum erwachte mit einem leisen Klingen, gleich einem feinen Glockenspiel und die Adern begannen wieder zu leuchten.

»Es ist einfach ein Wunder, was dieser Baum alles zu bewerkstelligen vermag«, überlegte Max noch im Halbschlaf.

»Stimmt«, pflichtete ihm der Skarabäus bei.

»Woher willst du das wissen?«, dachte Max energisch und gleich darauf erschrocken, »ich denke, du kannst nicht meine Gedanken lesen?«

»Ah - keine Panik, du hast nur laut gedacht«, antwortete der Skarabäus spottend. »Und was deine erste Frage betrifft, nun, ich habe mich die meiste Zeit der Nacht mit dem Baumgeistwesen unterhalten.«

»Du hast... was?« Max sprach unwillkürlich laut und Ipas begann, sich in seinen Armen aufwachend zu bewegen.

»Mach nicht so einen Lärm«, lästerte der Skarabäus mental. »Aber ja, wir haben lange Zeit miteinander diskutiert und Gedanken ausgetauscht. Doch davon später, denn über einiges bin ich mir noch nicht so richtig im Klaren«, schloss er mit grüblerischer Stimme.

»Also, jetzt aber...«, begann Max ärgerlich. Doch seine weitere Aufmerksamkeit wurde von Ipas in Anspruch genommen, die an seinem linken Ohr zu knappern begann und so legte er auch dieses Gespräch unter der Rubrik »selt­same Andeutungen« ab.

Gut eine Stunde später, nachdem die Gefährten ein opulentes Mahl aus kaltem Braten, Schinken und Käse, heißer Milch, Fruchtsäften und traubengroßen roten Früchten verzehrt hatten, tauchte Skadi-Osma auf und bat sie, ihm zu folgen.

»Ich will nicht ungastlich erscheinen«, begann Osma, nachdem er sich kurz nach ihrem Wohlergehen erkundigt hatte. »Aber wir haben diese Nacht neue Informationen bekommen...«

»Deren Herkunft natürlich streng geheim ist und für uns auch total unwichtig«, fiel ihm Brokk boshaft ins Wort.

»Ähm - ja«, stimmte Osma verlegen zu. Andererseits schien er aber auch froh zu sein, dass Brokks Worte ihn um eine doch unbefriedigend bleibende Erklärung gebracht hatten. »Kurzum, die Bedrohung durch das Eis existiert noch.« Der Bewahrer hielt kurz und bedeutungsschwer inne, bevor er weiter sprach: »Im Gegenteil, es scheint sich immer weiter auszubreiten.«

»Aber wie kann das sein?«, unterbrach Max den Mann, bevor er weiter reden konnte.

»Ja, was ist mit dem Ausgleichsmond und den H´ei-Tak?«, hängte Brokk nach einer Erklärung suchend an.

»Ich weiß es nicht«, gestand Osma niedergeschlagen. »Ich kann es mir einfach nicht erklären.«

»Hm«, machte Max etwas ärgerlich. »Nachdem ich wieder viel gehört und kaum etwas verstanden habe, glaube ich, mir doch zusammen reimen zu können, dass wir jetzt noch schneller abreisen sollten.« Er sah Osma herausfordernd an.

»Genau - und wie geht es jetzt weiter? Oh, Allweiser«, warf Brokk noch schnell ein.

»Nun, Brokk, Verirrter fern der Heimat, auch wenn du dich über mich lustig machst, so wisse, vielleicht bist du es, der ausersehen ist, den ersten Schritt gegen das Eis zu tun?«

Das Grinsen auf Brokks Gesicht erlosch schlagartig und er nestelte nervös an seinem Hemd herum. »Was meint Ihr damit - Schritt und Verirrter?«, drängte er Skadi-Osma nach diesen kryptischen Worten.

»Nein, Brokk, ich hab schon zuviel gesagt, das ist uraltes Baumwissen. Mehr zu wissen könnte gefährlich für euch und den richtigen Ablauf der Dinge werden.«

»Pah!«, machte Brokk und gab sich, wenn auch widerwillig, geschlagen.

»Hey - warum hast du Joe erschossen? - Er wusste zuviel«, murmelte Max mit tiefer Stimme und in bestem Mafiajargon.

»Hä?«, krächzte Brokk und auch Ipas und Osma starrten ihn verwirrt an.

»Schon gut«, sagte Max schnell und etwas verschämt.

»Wohl wieder so ein bildliches Beispiel aus Eurer Welt«, meinte Osma und nickte verstehend. »Doch jetzt zu Euch, Wanderer aus einer fremden Welt...« Er wandte sich jetzt völlig Max zu. »Öffnet Eure Hand, denn der Wald möchte Euch ein Geschenk geben.«

Verduzt streckte ihm Max die linke Hand entgegen.

Lächelnd bemerkte Osma, dass er seinen Stab nicht in die andere Hand wechselte, obwohl er augenscheinlich Rechts­händer war, sondern die Linke ausstreckte. Doch schnell wurde er wieder ernst und legte behutsam drei haselnussgroße, dunkelbraune, mit roten Linien überzogene Kerne in die geöffnete Hand.

»Nimm diese Samen als Geschenk des Waldherzens und verwahre sie gut. Wenn eure Mission erfolgreich verläuft, so pflanze sie in die Erde dieses fernen Landes, in dem das Himmelstor steht. Der eine ist für das Herz des Waldes, der zweite ist für das Land selbst und der dritte ist für H´A-sket-do-Macki, der immer seine schützende Hand über uns gehalten hat. Dies soll dann die Keimzelle eines neuen Waldes werden. Ein neues Waldherz.«

Der feierliche Ernst, mit dem der Bewahrer diese Worte gesprochen hatte, brachte Max in Verlegenheit und hinderte ihn daran, den Mann mit neuen Fragen zu bedrängen. Er konnte nur ein leises Danke stammeln.

Skadi-Osma öffnete gerade den Mund, um weiter zu sprechen, als die rauschende Stimme des Waldes erklang: »Baumfreunde, die ihr uns jetzt verlasst, nehmt den Segen unserer Selbst mit auf den Weg. Wir, die wir fest verwurzelt unser Land mit Schutz umschließen, geben euch das Leben unserer Erde mit. Bewahrt unsere kleinen, schlafenden Brüder und bringt sie zu einem Ort, an dem sie in Frieden und Harmonie erblühen können. Glück und Heil euch auf allen Wegen.« Mit diesen letzten klangvollen Worten verstummte der Wald und nur noch ein feines, leises Klingen hallte durch die klare Morgenluft nach.

Skadi-Osma war für einen Moment sprachlos. »So direkt haben sie schon seit Generationen nicht mehr mit Reisenden gesprochen«, brachte er schließlich hervor. »Und jetzt gleich zweimal. Einmal jetzt und einmal bei eurer Ankunft, wie ich von Kirtas-Osma erfahren habe.«

»Nun, seltsame Zeiten erfordern seltsame Taten. Und vor allen Dingen der richtige Ablauf der Dinge!«, warf Ipas mit erhobenem Zeigefinger ein.

Dies brachte den Bewahrer des Baumwissens wieder ins rechte Lot und er rang sich ein verkrampftes Lächeln ab.

»Wie dem auch sei«, meinte er dann mit einem tiefen Seufzer. »Toma-Osma wird euch zum Pukas führen«, teilte er ihnen ein paar Schritte weiter mit. »Dort liegt ein Floß, das euch und eure Reittiere nach Waldhafen tragen wird.«

Bevor die Freunde noch Näheres erfragen konnten, hatten sie die Kortis erreicht, wo sie Toma-Osma bereits er­wartete.

»Auch meinen Segen«, sagte der Bewahrer wenig später mit fester Stimme, als sie noch ein paar belanglose Worte gewechselt hatten und die Gefährten auf den Kortis saßen. Dann drehte er sich abrupt um und ging würdevollen Schrittes davon.

Die drei Freunde sahen ihm etwas betreten nach. Ein wenig tat der Abschied schon weh, obwohl sie noch nicht einmal einen Tag hier gewesen waren. Die Wärme des Empfangs, die Geborgenheit im Innern des Baums, die sanft klingende Stimme des Waldes - gerne wären sie noch ein paar Tage geblieben.

»Wir müssen los«, riss sie die Stimme Toma-Osmas aus den Gedanken. Der Mann saß auf einem riesigen, gesattelten Tier mit gewaltigem Geweih, das Max an einen urzeitlichen Hirsch erinnerte.

Seufzend drückte Max seinem Tier die Fersen in die Flanken und langsam folgten sie ihrem Führer durch die fantastischen, lichten Säulenhallen des Waldlandes.

Ohne Umwege führte sie der nicht sonderlich gesprächige Toma-Osma zum Flusslauf des Pukas. Nach einem ereignislosen Ritt von etwa sechs Stunden standen sie am Ufer des sich träge dahin wälzenden Pukas.

Toma-Osma führe sie zum Liegeplatz des Floßes, gab ein paar Instruktionen und war wenig später mit einem knappen Gruß im Wald verschwunden.

*

»Es ist früher als ich gedacht habe«, stellte Brokk mit einem Blick zur Sonne fest. »Kurz vor Mittag«, verkündete er und blinzelte heftig. »Wir waren näher am Fluss, als ich gedachte habe.«

»Gewiss«, stimmte Max zu. »Und wir sind gut voran gekommen.« Er begann, heftig an einem größeren Busch zu reißen, um das Floß, das hier befestigt war, frei zu bekommen.

Brokk sprang hinzu und zu zweit war es kein Problem, das Gefährt aus einer kleinen Bucht, die mit niedrig hängenden Ästen und vielfach verschlungenen Ranken überdacht war, frei zu zerren.

Während Ipas sich um die etwas unruhigen Kortis kümmerte, watete Max im seichten Wasser des Ufers um das Floß herum.

Ein Floß im direkte Sinne war es eigentlich nicht, stellte er sofort fest. Es war keine Konstruktion aus mehr oder minder kunstvoll zusammen gefügten Stämmen, sondern der Unterbau wurde von fünf flachen Kähnen gebildet. Zwei als stumpfes Bug und die anderen drei ein nicht minder plumpes Heck. Alles in allem die Form eines reichlich groben Keils. Darüber hatte man Planken befestigt und so ein geräumiges Fahrzeug geschaffen.

Wahrscheinlich konnte man problemlos noch ein paar Kähne hinzufügen oder entfernen und so die Größe variieren und den Gegebenheiten anpassen, überlegte Max anerkennend.

Sogar an die Tiere hatten die Waldbewohner gedacht, denn der hintere Teil war mit einem stabilen Zaun umsäumt. In der Mitte des Floßes, dort, wo der vordere und hintere Teil verbunden waren, befand sich die Steuersäule. Max atmete erleichtert auf, hatte er doch zuerst befürchtet, sie würden das Gefährt mit den beiden langen Staken, die an Bord lagen, steuern müssen.

So weit er es ohne größere Anstrengungen ergründen konnte, befand sich am Heck links und rechts je ein Ruder. Da die Planken alles verdeckten, konnte er nicht sehen, ob sie über ein Gestänge oder mit Zügen bewegt wurden. Aber sie funktionierten, wie er mit einer kurzen Probe feststellte.

Nachdem er seine Inspektion beendet hatte, zogen sie mit vereinten Kräften die Konstruktion so weit zum Ufer, dass Ipas die Kortis ohne Problem an Bord führen konnte. Die Tiere schnaubten nur etwas nervös, als sie drei, vier Schritte durchs Wasser mussten, beruhigten sich aber dank Ipas' sanftem Zureden schnell und drängten sich wenig später schnuppernd auf dem hinteren Teil des Floßes.

Max und Brokk schoben das Floß in die Strömung und so begann ihre Reise ins Zentrum der Flussschiffer - Waldhafen.

Da Brokk beiläufig bemerkte, dass er noch nie einen Fuß auf ein Wasserfahrzeug gesetzt hatte, beschloss Max, vorläufig selbst für ihr Weiterkommen zu sorgen. Schließlich hatte er ja einige Erfahrung in Sachen Wasserfahrzeuge, überlegte er leicht sarkastisch. Er rief sich in Erinnerung, wie er damals in den großen Ferien mit Petze und Mark eine Mainfahrt, auf zusammen gebundenen, leeren Ölfässern gemacht hatte. Und an das Fiasko, als sich die Kordeln und Seile lösten, mit denen sie die Fässer zusammen gebunden hatten. Max kicherte laut, als er an das Gewirr von Fässern und Seilen dachte, das träge auseinander treibend den Main hinab schwamm. Und an ihre wilde Flucht durch das Uferdickicht nach Hause, mit der Furcht im Herzen, sie hätten alle Schifffahrt zum Erliegen gebracht.

Brokk und Ipas sahen ihn erstaunt an und als er fröhlich abwinkte, deutete Brokk eine bezeichnende Geste in seine Richtung an.

Max ließ sich die gute Laune nicht verleiden und begann, ein leises Liedchen vor sich hin zu pfeifen.

*

Die Strömung war nicht allzu stark und so gelang es Max, nach einigen Anfangsschwierigkeiten, das Floß recht gut in der Mitte des Flusses zu halten. Brauchte er zu Beginn der Fahrt noch seine volle Konzentration, so fiel es ihm nach ein, zwei Stunden schon wesentlich leichter und er konnte einen Teil seiner Aufmerksamkeit dem langsam vorbei gleitenden Ufer es Flusses widmen.

Viel Abwechslung gab es da allerdings nicht, musste sich Max nach einigen Minuten eingestehen. Auf beiden Seiten strebte eine grüne, wuchernde Wand nach oben und nur ein schmaler Streifen blauen Himmels trennte die mit bunten Blumen gespickten Pflanzenmassen. Getier in vielerlei Form und Gestalt, Farbe und Aussehen flog, hüpfte, kroch und tobte durch die Äste und Ranken. Dabei wurde gebrüllt und gepfiffen, gebellt und gegrunzt und Geräusche entstanden, die doch unmöglich aus einer lebenden Kehle stammen konnten?

Max fühlte sich seit langer Zeit wieder einmal so richtig wohl und er beschloss, seinen Teil zu diesem wahrhaft infernalischen Lärm, beizutragen. Lauthals stimmte er ein altes Trinklied aus seiner Studienzeit an. Schlagartig verstummte alles Gekreische und Geheul und Max' einsame Stimme hallte weit über den Fluss. Dann, bevor er erschrocken verstummen konnte, setzte der Lärm in doppelter Lautstärke wieder ein. Max lachte laut auf und holte tief Luft, um dann aus voller Brust weiter zu singen.

Einige Zeit später, Max summte inzwischen nur noch leise vor sich hin, trat Ipas neben ihn und lehnte sich an seine Schulter.

»Wie friedlich es hier ist«, sagte sie nach einigen Momenten, die sie schweigend an seiner Seite gestanden hatte.

Max nickte zustimmend und unterließ es, angesichts der gelösten Stimmung, in der sich die Frau befand, auf die wilde Kakophonie, die von beiden Ufern herüber klang, hinzuweisen.

»Ich bin früher oft mit meinem Bruder und unseren Freunden am Abend über den Nil gefahren. Wir hatten eine ziemlich große Barke, musst du wissen«, fügte sie erklärend hinzu. »Ich erinnere mich noch an den Geruch, den der Abendwind von der nahen Wüste mit brachte, das tanzende Licht der Fackeln im sanft kräuselnden Wasser. Es war für mich immer eine Zeit der Besinnung und der Ruhe.« Sie seufzte tief und sah Max um Verstehen bittend an.

»Ach, Ipas, wir sind beide weit weg von unserer Heimat. Aber wir werden es schaffen - ob hier oder an einem anderen Ort«, setzte er bekräftigend hinzu. Dann beugte er sich rasch vor und küsste sie sanft auf den Mund.

Sie standen noch eine ganze Weile stumm beieinander und lauschten dem Geschrei der Tiere und dem leisen Plätschern des Flusses, der das Floß umströmte.

Schließlich holte Ipas tief Luft, streckte sich und bedeutete Max kurz, er solle sich etwas ausruhen, während sie das Floß weiter steuerte.

Manchmal kam es ihm vor, als würde er Ipas schon seit ewig kennen und dann, wie in diesem Moment, als sie von ihrem Zuhause erzählte, ihrem Zuhause in Ägypten auf der Höhe dessen Kultur, war sie ihm fremd wie ein Wesen aus einer anderen Welt.

Langsam ging Max zu ihren Packen, um etwas zu essen. Sein Blick fiel auf Brokk, der es sich auf einer dicken Decke gemütlich gemacht hatte. Seine entspannten Gesichtszüge ließen ihn noch jünger erscheinen als die sechzehn Jahre, die der Junge als sein ungefähres Alter angegeben hatte. Genau hatte er es Max nicht sagen können, da er an alles, was vor seinem zehnten oder elften Lebensjahr lag, nur eine sehr vage Erinnerung hatte. Die Untermeisterin Trude hatte ihn mitten in der Nacht vor den Toren Lokisgjölds aufgelesen, wo er augenscheinlich orientierungslos herum geirrt war.

Max bedachte den jungen Mann, dessen ruhige und gleichmäßige Atemzüge von einem entspannten, erholsamen Schlaf sprachen, mit einem weiteren Blick. Einer ohne Erinnerung an seine Herkunft und zwei, die weit von ihrer Heimatdimension entfernt waren. Wir sind schon ein tolles Gespann, überlegte er mit einem Hauch von Melancholie in seinen Gedanken.

Seufzend ließ er sich auf die Planken nieder und sah nachdenklich zum Himmel, über den hier und da vereinzelte, kleine Schäfchenwolken zogen. Würde er je wieder nach Hause kommen? Wollte er es eigentlich und was war an dieser Welt, das soviel Faszination in ihm wach rief?

Plötzlich wurde er von seinen Überlegungen abgelenkt. Ein gut handtellergroßer, gelblich gefärbter Schmetterling hatte sich direkt vor ihm nieder gelassen. War er eben noch von gelber Farbe gewesen, so nahm er jetzt schnell die graubraune Farbe der Planken an und hob sich einen Augenblick später kaum noch von ihnen ab.

Grinsend holte Max sein rotes und auch ziemlich dreckiges Taschentuch hervor und schob es vorsichtig unter einen Flügel. Beinahe sofort verwandelte sich der Flügelbereich, unter dem das Tuch war, in ein schmutziges Rot. Eine kurze, unbedachte Bewegung ließ das Insekt einen Moment später erschreckt davon flat­tern. Mit einem Mal wusste er, was ihm an dieser Welt so gefiel. Hier war alles noch in Ordnung und ging seinen natürlichen Gang. Doch dieses Gleichgewicht war in Gefahr und wenn nicht für sich, dann für den Planeten Vilodera musste er seinen Weg zur Pyramide fortsetzen. Vielleicht hatte der Bewahrer des Baumwissens doch recht und sie waren das Zünglein an der Waage?

*

Gegen Abend fanden sie eine kleine Bucht mit einem schmalen Landstreifen und machten dort ihr Fahrzeug fest.

Nachdem sie die Umgebung ihres Lagerplatzes zu ihrer Zufriedenheit überprüft hatten, brachten sie die Kortis an Land. Bald darauf schaukelte ein Kessel über einem flackernden Feuer und die Kortis rupften, seltsame Grunztöne von sich gebend, saftige Blätter von den die Bucht einschließenden Bäumen.

Brokk machte sich ungefragt auf die Suche nach Früchten oder anderem Essbarem und Max nutzte die Zeit, um ein Bad in dem lauwarmen Wasser des langsam dahin fließenden Flusses zu nehmen.

Ipas, die das laute Planschen hörte, hielt mit ihrer Arbeit inne und schaute ihn mit gespielter Entrüstung an. »Der feine Herr macht sich wohl einen schönen Tag, während seine Knechte und Mägde im Schweiße ihres Angesichts schuften?« Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. Ein Bild gerechten Zorns, wäre da nicht das lustige Funkeln in ihren Augen gewesen.

Max lachte vergnügt auf und spritze ihr mit der Hand eine dicke Fontaine entgegen. Leider zu kurz, wie er betrübt feststellen musste.

Trotz des Fehltreffers quiekte Ipas laut auf. Blitzschnell hatte sie ihre Kleider abgestreift und kurze Zeit später tollten und lachten sie gemeinsam im angenehm warmen Wasser des Flusses.

*

Brokk drehte sich im Wald um, nachdem er dem ziemlich lautstarken Treiben der Beiden für einen Moment zu gesehen hatte. Gerne hätte er sich auch ins Wasser gestürzt. Doch irgendwie kam er sich störend vor und ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihm, dass seine Anwesenheit für die nächste halbe Stunde nicht unbedingt er­wünscht war. Aber, dachte er mit freudigem Erwarten, sollten seine regelmäßig wiederkehrenden Träume recht haben, so würde auch er bald eine Frau finden. Und dann, das wusste er mit Bestimmtheit, wollte er bei diesen Späßen auch nicht gestört werden.

Er seufzte tief und hingebungsvoll und beschloss, noch ein paar Zwiebeln für den Eintopf zu suchen.

*

Die nächsten Tage verliefen in gleichmäßigem, sich täglich wiederholendem Gang. Doch am Morgen des vierten Tages begann sich der Fluss zu verengen. War gestern der dichte Wald feuchten Auen und weiten Schilffeldern gewichen, so rückten jetzt die Ufer näher und das behäbige Fließen des Pukas wurde zu einem kräftigen Strömen.

»Was ist das dort vorn?« Max deutete in den frühmorgendlichen Dunst.

»Das sind die Hügel von Lelar«, antwortete Brokk.

»Was liegt dahinter?«, wollte Max wissen.

»Na, Waldhafen natürlich - da wollen wir doch hin.« Brokk grinste vergnügt und hampelte von einem Bein aufs andere.

Je näher sie den Hügeln kamen, desto enger wurde der Flusslauf. Max hatte immer mehr damit zu tun, das Floß in der Mitte des Flusses zu halten. Erschwerend kam jetzt noch hinzu, dass sich der bisher nahezu gerade Flusslauf zu reißenden Kehren änderte, die sich durch die Hügel von Lelar wanden.

Warum haben uns die Keltokoi nicht vor diesem Abschnitt des Flusses gewarnt?, überlegte Max verwirrt. Nun, ja, wahrscheinlich war das für einen richtigen Flussschiffer nichts Besonderes, sinnierte er. Wie wenn ich einem von den Menschen hier mit einem Automatikauto auf dem Sportplatz fahren lasse und dann steht er plötzlich mit Schaltgetriebe in Frankfurt.

Ipas war inzwischen zu Max getreten, um ihn bei der Steuerung zu unterstützen, denn die Fahrt erforderte nun von beiden ein höchstes Maß an Konzentration. Ihr einziges Glück war, dachte Max, dass bisher keine Stromschnellen aufgetreten waren. Landstreifen und Schilffelder waren inzwischen him­melhoch aufragenden Felswänden gewichen, zwischen denen der Pukas wild schäumend dahin raste.

Die Kortis verhielten sich erstaunlich ruhig. Als wenn sie um das Geschehen wüssten und ihm keine Aufmerksamkeit beimaßen.

»Achtung! Stromschnellen voraus«, schrie Brokk und Max versuchte verzweifelt, das Floß aus ihrem direkten Bereich zu bringen.

Vor ihnen tauchte der erste Katerakt auf und ein Schwall Wasser durchnässte sie alle. Die Verbindungen ächzten bedenklich. Doch bevor die Gefährten sich darüber Gedanken machen konnten, war die nächste Stufe erreicht. War das Wasser beim ersten Mal noch tief genug gewesen, so schrammte jetzt das Floß knirschend über den Grund.

Durch das Tosen der Wassermassen hörte Max die vor Aufregung zitternde Stimme Brokks: »Seht ihr die Steinbrücke da vorn?« Er klammerte sich mit der linken Hand fest und zeigte mit der anderen hektisch geradeaus. »Das ist das Tor zu Waldhafen.«

Max blickte kurz auf und sah in Schwindel erregender Höhe einen dünnen Sandsteinbogen, der sich über den Fluss spannte. Im nächsten Moment waren sie unter ihm hindurch geschossen und befanden sich auf dem stillen Wasser eines großen Sees. Und vor ihnen - ungefähr in der Mitte des Sees - Waldhafen.

*

Sie hatten schon einige schweißtreibende Zeit hinter sich, in der sie sich bemühten, das Floß mittels der Staken oder - wo das Wasser zu tief war - mit Paddeln vorwärts zu bringen, als sie ein Schiff entdeckten. Durch lautes Zurufen und Winken hatten sie Kontakt aufgenommen und Brokks flinker Zunge und ein paar Münzen hatten sie es zu verdanken, dass sie eine Passage bekamen und das Floß in Schlepp genommen wurde.

Wenig später und dankbar, dem Rudern entronnen zu sein, standen sie an Bord des Flussklippers, der Bauholz geladen hatte und unter dem Kommando des Flussmeisters Torkimann stand.

Nach knapp zwei Stunden näherte sich die »Flussblitz«, wie der hochgestochene Name des eher behäbigen Klippers war, dem Hafen.

Die Gefährten wollten sich den ersten Blick auf Waldhafen nicht entgehen lassen und standen neben Torkimann am Bug des Kahns. Torkimann - ein großer, schon leicht angegrauter Mann - erwies sich als ziemlich geschwätzig, nachdem ihm Brokk hoch und heilig versprochen hatte, dass es sich bei ihnen nicht um blutrünstige Ozimanios handelte.

Deshalb hat er sich vorhin auch so angestellt, uns an Bord zu nehmen, überlegte Max verdrossen. Hätte Brokk ihm gleich klar gemacht, dass wir uns nicht ausschließlich von Blut und Eingeweiden ernähren, könnten wir jetzt noch ein paar Münzen mehr in der Tasche haben.

Als der Flussmeister erst einmal angefangen hatte, zu reden, ging es ohne Punkt und Komma weiter. So erfuhren sie - ungefragt - dass Waldhafen über zwei Hafenanlagen verfügte. Eine innere und eine äußere. Die äußere - in die sie jetzt einliefen - war künstlicher Natur und gegen den See hin mit einem breiten, steinernen Hafendamm, der weit in das Wasser des Sees ragte, abgegrenzt. An diesem Damm befanden sich auch die Liegeplätze der Schiffe. Doch die Flussblitz machte hier nicht fest, sondern segelte, von Rudern unterstützt, weiter zum Entladen im inneren Hafenbecken. Wenig später schifften sie Steuerbord um eine abgerundete Landzunge und hatten ihr Ziel beinahe erreicht. Hier, in der Nähe der Entladedocks, sollte sich auch der kleine Handelskontor befinden, den die Keltokoi in Waldhafen unterhielten und bei dem sich die Gefährten melden sollten, um das Floß zurück zu geben.

Max, der beim Näher kommen versucht hatte, die Größe der Insel abzuschätzen, stellte nun fest, dass es sich wohl weniger um eine Insel, als um ein Lagune handeln musste, da der innere Hafen bestimmt ein Drittel der Gesamtinselfläche einnahm.

Max ließ seinen Blick schweifen und bemerkte, dass sich alle Anlegestellen an der linken Hafenseite befanden, während an der rechten nur eine weiß gepflasterte Uferpromenade zu sehen war, die zu einer trutzigen Befestigungsanlage führte.

Auf eine Frage hin erklärte Torkimann: »Gewiss - Steuerbord befindet sich nur das Kastell der freien Händler. Backbord am Kai spielt sich das wahre Leben ab.« Er deutete mit einer weit ausholenden Bewegung nach links. »Dort sind die Lagerplätze und Geschäfte, auch der Kontor eurer wilden, blutrünstigen Freunde befindet sich dort«, fügte er verschmitzt grinsend hinzu. »Dann sind da noch zu erwähnen die Weinhäuser, Bierkneipen und - Bordelle!« Torkimann rieb sich vergnügt die mit dicken Schwielen bedeckten Hände und sah lüstern um sich. Als sein Blick auf Ipas fiel, zuckte er erschrocken zusammen und lief purpurrot an. »Eben alles Mögliche«, redete er hastig weiter. »Außerdem kann ich euch das später bei einem Krug Wein besser erklären.«

So ein Klotz von Mann und dann wird er rot wie ein Primaner, der beim Spionieren in den Mädchen-Umkleidekabinen erwischt wird, dachte Max und schmunzelte.

»Doch jetzt müssen wir anlegen und die Ladung muss versteigert wer­den«, fuhr Torkimann, wieder mit normaler Farbe, fort. »Aber das dürfte keine Schwierigkeiten bereiten, denn ich hab den Laderaum voll mit Blauem aus Klat-i-Bosk«, erklärte er und grinste wie ein kleiner Junge.

»Ach?« staunte Max. »Ich dachte, Ihr würdet nur Bauholz transportieren.«

»Ha - Bauholz«, machte Torkimann abwertend. »Das hab ich nur dazu genommen, weil mich der nicht genutzte Laderaum fuchste. Davon kann ich nicht mal die Wochenheuer meiner Leute zahlen.« Er machte eine abfällige Geste in Richtung des Holzes und stampfte dann, Anweisungen rufend, auf seine Leute zu.

»Transportiert er also mehr so aus Hobby - der alte Gauner«, zwinkerte Brokk belustigt. »Würde mich nicht wundern, wenn man hier mitten im Wasser doch einen ganz guten Preis dafür bekommen könnte.«

»Mag sein«, stimmte Max zu. »Aber Wein aus Klat-i-Bosk? Ich dachte, er käme aus dem Osten übers Meer. Kamaro kam jedenfalls aus dieser Richtung und sagte auch etwas in der Art.«

»Oh, ja«, setzte Brokk an, sichtlich erfreut, sein Wissen weiter geben zu können. »Der Blaue kommt vom Südkontinent und wurde früher von Pros-i-Pok nach Mittlandhafen gebracht. Und hatte Mittlandhafen schon das Monopol auf Moly, so hatte es dadurch auch noch das auf den Wein - der sehr begehrt ist«, fügte er mit belehrend erhobenem Zeigefinger hinzu. »Das passte der Händlerzunft nun überhaupt nicht. Also machte sich eines Tages ein gewisser Kubor aus Pros-i-Pok auf den Weg und gründete östlich von Lokisgjölds eine Niederlassung. Nach an­fänglichen Schwierigkeiten, man sagt durch Mittlandhafen, lief alles gut und Kubors-Platz ist jetzt der zweite Umschlagplatz für Waren aus Itilonarka. Dein Freund Kamaro kam wohl von dort«, fügte er noch erklärend hinzu.

Max nickte verstehend. Die Marktstrategien waren hier auch nicht viel anders als auf der Erde.

Inzwischen hatte die Flussblitz unter Leitung des Steuermanns, einem rotgesichtigen, verdrießlich blickenden Buschen Namens Bolbord, fest gemacht und eine gut eingespielte Mannschaft begann mit dem Entladen.

Schon bevor sie die Insel erreicht hatten, hatte Max mit Torkimann geredet - und es hatte sich dabei heraus gestellt, dass die Flussblitz bereits am übernächsten Tag nach Mittlandhafen weiter segeln würde. Dies passte gut zu den weiteren Reiseplanungen der Gefährten und so waren sie nach einigem Gefeilsche handelseinig geworden. Die drei Freunde würden übermorgen mit der Flussblitz weiter nach Mittlandhafen fahren. So brauchten sie sich auch keine Sorgen um ihre Kortis zu machen, als sie wenig später von Bord gingen. Torkimann hatte versprochen, sich um sie zu kümmern - für eine weitere Münze aus ihrem Beutel selbstverständlich. Man war ja nur ein armer Händler und wusste selbst nicht, wo man das Essen für den nächsten Tag her nehmen sollte und so weiter und so fort...

Irgendwie scheint es ein Naturgesetz zu sein, dass alle Händler, egal auf welcher Welt oder in welchem Universum sie leben, nur um Haaresbreite vom Hungertod getrennt bleiben, ging es Max gehässig durch den Kopf, als er den Boden Waldhafens betrat.

Torkimann hatte ihnen noch den Weg zum Handelskontor der Waldbewohner beschrieben und außerdem eine in der Nähe liegende Herberge bezeichnet, in der sie sich gegen Abend treffen wollten. Sie sollten sich nur auf ihn berufen, falls irgend etwas nicht klappen sollte, hatte er großspurig verkündet.

»So haben wir also die erste Etappe unserer Reise gut überstanden«, meinte Ipas fröhlich und hängte sich bei Max ein.

»Ja - wenn man die Kleinigkeit, dass wir auf diesem ersten Stück schon fast ersoffen wären, auslässt - nicht schlecht«, spottete Brokk.

»Pah!«, machte Ipas und streckte ihre Nase in die Luft.

»Gut, gut«, lachte Max. »Dann sind wir uns ja alle einig. Und weil alles so schön gelaufen ist, sehen wir jetzt zu, dass wir den Handelsagenten der Keltokoi mitteilen, wo ihr Floß liegt. Dann werden wir diese tolle Kneipe aufsuchen, die Torkimann so über den grünen Klee hinweg gelobt hatte und uns einen schönen Tag machen.« Max rieb sich zufrieden die Hände.

»Ah! So hat es der große Herr und Meister also befunden und seine treuen Vasallen folgen ihm in Demut«, meinte Ipas spöttisch und machte eine übertrieben tiefe Verbeugung.

»Genau«, antwortete Max durch die Nase und machte eine Geste mit der Hand, von der er annahm, dass sie huldvoll wirkte.

Leise lachend und kichernd bahnten sie sich einen Weg durch ein wahres Labyrinth von Kisten, Ballen und Fässern in die eigentliche Stadt.

Ohne Schwierigkeiten gelangten sie zu dem Kontor und erledigten, zu beiderseitiger Zufriedenheit, ihre Angelegenheiten betreffend Floß. Auch der Weg zur Herberge erwies sich als ziemlich einfach und obwohl sie einmal nachfragen mussten, hatten sie das hoch gelobte Etablissement bald erreicht.

Es handelte sich um ein efeuüberwuchertes Holzhaus, an dessen Fenstern lange Blumenkästen mit rot und blau blühenden Blumen hingen. Max zog erstaunt die Brauen hoch - bei dem Wirt musste es sich wohl um einen verkappten Romantiker handeln.

Wenig später, als sie eine breite Veranda überquert und den Schankraum betreten hatten, bemerkten die Gefährten, dass es im Innern bei weitem nicht so bunt aussah. Spärliches Licht fiel durch verrußte Butzenglasscheiben und tauchte den Raum in ein ungewisses Halbdunkel.

»Fast wie zu Hause, wenn am Tag die Tücher herab gezogen sind«, seufzte Brokk.

Max gab ihm innerlich recht. Obwohl es ihm doch etwas heller erschien, als er Lokisgjöld in Erinnerung hatte.

Der Tresen befand sich in der ungefähren Mitte des rechteckigen Raums und hatte den gleichen Grundriss. Das Mobiliar war einfach und zweckmäßig. Tisch und Stühle bestanden aus mit Beinen versehenen halbierten Baumstämmen, die ziemlich rustikal aussahen und wohl im Hauruck-System zusammen gefügt worden waren.

Im Moment, es war früher Nachmittag, herrschte noch wenig Betrieb. Die Gästeliste belief sich auf einen an der Theke zusammen gesunkener Mann und zwei auffällig geschminkten Frauen, die in der hinteren linken Ecke des Raums beim Essen saßen.

Max murmelte aus Angewohnheit einen Gruß. Was außer einem missbilligenden Blick seines Freundes Brokk keinerlei Reaktionen von Seiten der Gäste hervor rief.

Die Gefährten stampften unter der Deckendekoration aus staubigen, Motten zerfressenen Netzen in Richtung Theke. Brokk hatte sich an die Spitze gesetzt, weil er, nach eigenen Angaben, als einziger für Verhandlungen dieser Art geeignet war.

Sich laut räuspernd baute er sich dem Wirt gegenüber auf, der seit ihrem Eintreten intensiv damit beschäftigt war, ein mit deutlich erkennbaren Lufteinschlägen durchzogenes, dickwandiges Glas zu putzen.

»Hmpf?«, machte er anscheinend vollkommen desinteressiert und malträtierte das Glas mit neuer Energie.

Schauspieler, dachte Max belustigt. Er war sich sicher, dass dem hageren, fast eingefallen wirkenden Mann kein Schritt oder Handbewegung, die sie gemacht hatten, entgangen war.

»Nun, Herr Wirt - könnten meine Gefährten und ich...«, Brokk deutete mit ausholender Geste auf Max und Ipas, »...zwei Zimmer in Eurem vorzüglich beleumundeten Haus anmieten? Der hochlöbliche Flussmeister Torkimann hat uns Eure Herberge in hellsten Tönen empfohlen«, setzte er abschließend hinzu.

Die Miene des Wirts war bei diesen Worten immer freundlicher geworden und gipfelte jetzt in einem wahrhaft strahlenden Lächeln. Ob dies allerdings durch das Nennen Torkimanns oder mehr durch das wie durch Geisterhand aufgetauchte Goldstück, das auf zauberhafte Weise zwischen Brokks Fingern hin und her hüpfte, bewirkt worden war? Max tippte, alle Sentimentalität beiseite schiebend, auf Letzteres.

*

Kurze Zeit später war man sich handelseinig und die Gefährten brachten ihr weniges Gepäck auf die Zimmer. Anschließend nahmen sie in der Gaststube eine deftige - und wie Max sich eingestehen musste - schmackhafte Mahlzeit ein.

»So, ich werde jetzt ein verspätetes Mittagsschläfchen halten«, verkündete Ipas, nachdem sie zur besseren Verdauung noch einen streng schmeckenden Obstbrand getrunken hatten, mit einem langen Gähnen. »Kommst du mit?« Sie sah Max fragend an.

»Nein, ich bin noch zu aufgedreht und würde dich nur vom Schlaf abhalten.« Er grinste schief und Brokk rammte ihm kichernd den Ellbogen in die Seite.

»Männer!«, schnaubte Ipas und war wenig später über die laut knarrende Stiege, die zu den Zimmern im ersten Stock führte, verschwunden.

»Ich muss jetzt auch weg«, sagte Brokk einige schweigsame Augenblicke später. »Ich will mir die örtliche Gildenhalle ansehen.«

»Gut«, meinte Max. »Ich will mich auch ein bisschen umsehen. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mich begleitest, aber ich komme auch allein zurecht.«

»Dann ist ja alles klar«, nickte Brokk und stand auf.

»Keine Dummheiten, wie Kortis klauen und so«, rief Max ihm nach.

»Gibt es hier sowieso nicht«, rief Brokk lachend zurück und verschwand durch die Tür.

Max blieb noch ein paar Minuten sitzen, dann machte er sich auch auf, die Stadt zu erkunden.

Ziellos schlenderte er durch enge Straßen und noch engere Gassen. Die Häuser, ob groß oder klein, ob gut in Schuss oder verwahrlost, waren alle aus Holz. Nur das Kastell war zum größten Teil aus Stein gebaut. Vielleicht hatte Torkimann doch keine Sprüche gemacht und Holz war hier billig zu haben. Auf jeden Fall billiger als Steine, dachte Max und beschloss, den Flussmeister daraufhin anzusprechen.

Mittlerweile hatte er den ziemlich martialisch wirkenden Waffenmarkt passiert und den Fischmarkt erreicht. Max wunderte sich über die große Auswahl an Fischen, Muscheln und Krustentieren. Bestimmt waren auch Seefische dabei, überlegte Max. Schließlich war das nicht nur ein Wochenmarkt für die Inselbewohner, sondern der Warenumschlagplatz für das ganze umliegende Land. Einen Obst- und Gemüsemarkt, sowie einen Fleisch- und Wurstmarkt sollte es in diesem Bereich auch noch geben, hatte Torkimann bei seiner Beschreibung Waldhafens erklärt. Der eine in der Nähe von Hankors Taverne - wo immer das war - und der andere ein Stückchen oberhalb ihrer Herberge. Des weiteren einen Umschlags- und Lagerplatz für Rohstoffe wie Kohle, Eisenerz und dergleichen am äußeren Südende der Insel.

Max seufzte, als er daran dachte, wie Torkimann ihnen lang und breit sein schier unerschöpfliches Wissen über die Stadt selbst und die Geographie der Insel vorgetragen hatte. Er bekam jetzt noch eine Gänsehaut bei dem Gedanken, wie Torkimann tief Luft geholt und die Gefährten sich entsetzt angeblickt hatten. Jetzt würde mit unausweichlicher Bestimmtheit die Auflistung der einzelnen Häuser, einschließlich aller Bewohner, erfolgen. Angefangen beim Familienvorstand, über Hund und Katz, bis hin zu Floh und Laus. Die Unpässlichkeit einer Möwe hatte ihnen diese Litanei erspart. Max kicherte leise vor sich hin und selbst der penetrante Fischgeruch konnte seine gute Laune nicht trüben.

Wenig später machte er sich auf den Rückweg. Langsam schlenderte er, einen weiten Bogen schlagend und einen Umweg in Kauf nehmend, zur Herberge zurück. Auf halbem Weg entdeckte er auch Hankors Taverne und betrat eine kleine Grünanlage, die sich an das protzig wirkende Gebäude anschloss.

Die plötzliche Bewegung von etwas Großem über ihm ließ Max hoch schauen. Spielte ihm jetzt die langsam untergehende Sonne einen Streich, oder war das tatsächlich ein großer Drachen, baugleich mit denen aus seiner Kinderzeit, an dem leicht schaukelnd ein Mann hing? Max beschattete seine Augen mit der Hand und drehte sich aus der Sonne. Tatsächlich! Dort oben hing ein Mensch an einer gelblich gefärbten Drachenkonstruktion und beobachtete anscheinend aufmerksam den Himmel. Max bemerkte jetzt auch ein Seil, mit dem der kuriose Flugapparat außerhalb seines Gesichtsfeldes angebunden oder sonst irgendwie befestigt war.

Na ja, andere Länder andere Sitten, dachte Max zum wiederholten Mal. Er schaute noch ein paar Momente zu, dann machte er sich flotten Schritts auf zur Herberge.

Schon vom Eingang her sah Max, dass Ipas und Torkimann bereits anwesend waren und sich angeregt unterhielten. Durch den jetzt wohl gefüllten Gastraum bahnte sich Max einen Weg zu dem Tisch in der hinteren linken Ecke. Der Tisch, an dem vor ein paar Stunden noch die beiden herausgeputzten Damen gespeist hatten und wo nun der Flussmeister, mit weit ausholenden Gesten, eine weitere seiner Weisheiten zu Besten gab.

»Guten Abend, Meister Torkimann - schönen Abend, Ipas«, grüßte er den Flussmeister mit einem kurzen Kopfnicken und die junge Frau mit einem warmen Lächeln und einem verschmitzten Augenzwinkern.

»Ah! Wird auch Zeit, dass Ihr kommt, junger Herr Max«, polterte der Flussmeister. »Los, setzt Euch zu uns und esst und trinkt. Der alte Torkimann lädt Euch ein. Zwar wäre von Gewinn zu reden übertrieben, doch es ist ein schöner Tag und deshalb soll es mir auf das eine oder andere Kupferstück nicht ankommen.« Torkimann lachte laut und schlug Max, der sich inzwischen gesetzt hatte, auf den Rücken, dass dieser laut nach Luft schnappte. Dann knallte er die Faust auf den Tisch, dass die Gläser hüpften und Wein über die Tischplatte schwappte und brüllte quer durch den Raum: »Aye, Mädchen! Bring uns noch einen Krug Wein und leg noch ein paar Scheiben fetten, saftigen Braten dazu. Ich hab noch einen hungrigen und vor allem durstigen Gast bekommen.«

»Ja, ja - aber das dauert etwas!«, rief diese durch den zunehmenden Lärm zurück.

Max starrte mit offenem Mund auf das Schankmädchen, das tief Luft geholt hatte, um über drei Tische hinweg Antwort zu geben und fragte sich, wie dieses knappe Oberteil, allen Naturgesetzen zum Trotz, diese üppige Fülle bändigen konnte. Ein harter Rippenstoß und ein folgender böser Blick Ipas' ließen ihn diesen Gedanken aber schnell vergessen.

»Macht nichts, Hauptsache, das Fleisch ist durch und das Gemüse gar«, brummelte Torkimann.

Max stimmte ihm schnell zu, froh, eine Ablenkung zu haben.

»Wie gefällt Euch Waldhafen? Die schöne junge Frau hier hat mir erzählt, Ihr habt Euch umgesehen.« Torkimann tätschelte gönnerhaft Ipas Schulter.

Ipas verdrehte die Augen und Max unterdrückte ein hämisches Grinsen, bevor er antwortete: »Oh - eigentlich ganz gut, aber ich hab da natürlich noch die eine oder andere Frage«, begann Max. »Wenn es Euch nicht zuviel wird...?«

»Nein, nein - junger Freund«, schnappte Torkimann den Köder und richtete sich im Sitzen auf. »Selbstverständlich stehe ich und mein bescheidenes Wissen zu Eurer Verfügung.«

»Ähm, ja«, begann Max. »Also, es ist mir aufgefallen, dass alle Bauwerke, außer dem Kastell, vollkommen aus Holz errichtet sind. Sind Steine hier zu teuer oder gibt es da einen anderen Grund?«

»Mein lieber Freund, ihr habt eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe«, lobte Torkimann überschwänglich. »Um das zu erklären, muss ich weiter ausholen«, begann er mit einer Gebärde, die wohl dramatisch wirken sollte und Max dachte sich entsetzt, hätte ich nur meinen Mund gehalten. »Vor langer Zeit war Waldhafen ein Treffpunkt für Jäger, Trapper und allerlei Gesellen, die in der Wildnis ihr Glück suchten. Ein paar windschiefe Hütten und ein, zwei Erdhöhlen waren alles, was es hier gab. Dann wurden die Händler und Kaufleute auf diese günstig gelegene Insel aufmerksam und bauten sie nach und nach zu diesem großen Hafen aus. Um diese Zeit herum wurden auch die ersten Steinhäuser auf der Insel gebaut.« Torkimann sah Max Aufmerksamkeit fordernd an.

»Äh - gewiss«, nickte dieser, ohne die geringste Ahnung zu haben, mit was für einer Antwort oder Frage der Flussmeister jetzt rechnete.

»Gut«, fuhr Torkimann nach einem Moment fort. »Alles wäre gut gelaufen, wäre der Herzog von Windkap nicht gewesen. Dieser war nämlich ein Mann mit einigen Ambitionen - ja, Ambitionen!« Er kicherte, anscheinend erfreut über seine Wortwahl und blickte die beiden Gefährten Bestätigung suchend an.

»Gewiss«, meinte Max zum zweiten Mal und Ipas zwang ihre Mundwinkel nach oben.

»Der ambitionierte Herzog...« Er prustete laut und trank sein Glas leer. »Also, der führte ein bisschen Krieg und als er fertig war, gehörte auch Mittlandhafen zu seinem Machtbereich. Tja - und weil Blut bekanntlich dicker ist als Wasser«, Torkimann machte eine unterstreichende Geste mit der Hand, »setzte er seinen Bruder Aldobalt als Graf von Mittlandhafen ein. Jetzt hielt eine Familie zwei wichtige Handelspunkte in der Hand. Die Zölle und die Schmiergelder stiegen und die Korruption feierte täglich neue Triumphe.« Torkimann griff beiläufig nach dem Weinkrug und schrie im nächsten Moment mit einer Lautstärke nach Wein, dass Max zusammen zuckte. Anscheinend hatte er am Gewicht schon bemerkt, dass der Krug leer war.

»Du wirst es abwarten können«, kam die Antwort quer durch den Raum zurück, der jetzt von mehreren Öllampen in ein schummeriges Licht getaucht wurde.

»Ach - das Personal heutzutage...« Torkimann seufzte hingebungsvoll. Dann schnaufte er tief und redete weiter: »Also weiter: Die Brüder hatten jetzt Windkap und Mittlandhafen, doch das war ihnen bald nicht mehr genug. Sie warfen erste begehrliche Blicke auf Waldhafen und versuchten, es zu vereinnahmen. Zuerst mit freundlichen Angeboten, dann mit Drohungen und schließlich und endlich mit Gewalt.

Eines Tages quoll der See von Waldhafen fast über mit von Soldaten strotzenden Schiffen, die das Wappen des Herzogs von Windkap führten. Aber durch eine Warnung der Diebesgilde war Waldhafen nicht ganz unvorbereitet. Dort, wo jetzt das Kastell steht, wurde in fieberhafter Eile ein hölzernes Fort gebaut. Als nun die Angreifer landeten, zogen sich die Einwohner Waldhafens in diese ziemlich primitive Befestigung zurück. Die nicht besonders motivierten Söldner des Herzogs stürmten zwei, drei Mal dagegen an und holten sich blutige Köpfe, da die Inselbewohner kämpften wie eine in die Enge getriebene Ratte. Also beschlossen die Söldner, erst einmal die Häuser zu plündern und sich dann auf eine weit weniger gefährliche Belagerung einzurichten.

Aber der gute Herzog hatte nicht mit der Solidarität der Händler gerechnet...«

»Solidarität der Händler?«, unterbrach ihn Brokk und starrte ihn ungläubig an.

»Na ja - sie konnten das einfach nicht durchgehen lassen«, verbesserte sich Torkimann leicht verdrossen. »Was heute in Waldhafen passiert, kann morgen... Ihr versteht? Nun, wie auch immer...«, er wartete keine Antwort ab: »Die Händler sammelten Söldner und Schiffe und die Diebesgilde machte ein bisschen Sabotage. Ein paar Anschläge in Windhafen, ein paar in Windkap und als dann noch der schwer befestigte Kriegshafen von Windhafen in Flammen aufging, zog der Herzog einen Großteil der Truppen zurück, um diesen unsichtbaren Feind zu bekämpfen. Jetzt war die Stunde der Händler gekommen. Mit einer bunt zusammen gewürfelten, aber gut bezahlten und deshalb auch gut motivierten Armee griffen sie die herzoglichen Truppen an. Auch die im Fort Eingeschlossenen rafften sich noch einmal auf und machten einen Ausfall. Alles verlief auch gut, bis sich die ziemlich angeschlagenen Truppen des Herzogs in den Steinhäusern verbarrikadierten. Drei lange Tage dauerte es, bis die letzten Widerstandsnester nieder gekämpft waren und der Blutzoll, den beide Seiten entrichten mussten, war enorm.«

Torkimann nickte gedankenverloren vor sich hin.

»Als alles fertig war«, fuhr er fort, »stand so gut wie nichts mehr in Waldhafen. Als es an den Wiederaufbau ging, gedachten die Verantwortlichen dem grausigen Häuserkampf und beschlossen, dass fortan nur noch Holzhäuser in Waldhafen gebaut werden sollten. Die konnte man im Notfall schnell niederbrennen. Einzig das Kastell wurde aus Stein gebaut, um der Bevölkerung Zuflucht zu bieten.«

Der Flussmeister beendete seine Erzählung mit einer vagen Geste.

Max konnte nur den Kopf schütteln und sich wundern, auf welch kuriose Ideen Menschen kommen konnten, die noch unter dem Eindruck eines Unglücks standen.

In den anschließenden Momenten des Nachdenkens und Verarbeitens war Brokk an den Tisch getreten und hatte sich mit einem kurzen Gruß zu ihnen gesetzt. Fast im gleichen Augenblick tauchte die Schankmaid mit einem riesigen Tablett auf und tischte ihnen ein deftiges Mahl aus Wildbraten und kartoffelähnlichen Knollen auf.

*

Nach dem Essen, das sie schweigend und mit gutem Appetit eingenommen hatten, bestellte Torkimann noch eine Runde Kräuterschnaps zur Verdauung. Max sprach einen kurzen Toast auf den edlen Spender aus und dann lief das edle Tröpfchen durch die Kehlen der Runde. Brokk und Max schnappten heftig nach Luft, Torkimann schmatzte behaglich und Ipas grinste Max über das kleine Glas hinweg, an dem sie nur genippt hatte, spöttisch an.

Wahrscheinlich kannte sie diese als Fusel getarnte Salzsäure aus dem blauen Giftzahn, in dem sie lange Zeit gearbeitet hatte, überlegte Max verdrießlich.

Bevor Max noch weiter darüber nach denken konnte, flog die Tür auf und ein heftig atmender Mann mit zitronengelbem Umhang betrat den Schankraum. Schlagartig verstummten alle Gespräche und zwei, drei Dutzend Augenpaare wandten sich dem Neuankömmling zu. Mit einer flinken Bewegung, die lange Übung erkennen ließ, wickelte er eine Pergamentrolle auf und begann, ihren Inhalt vorzutragen: »An die ehrenwerten Anwesenden - die neuesten Nachrichten des Wetterdienstes. Für die Dunkelstunden ist mit einem leichten Gewitter zu rechnen, das sich eventuell zu einem kleineren Sturm ausweiten könnte. Andauer des schlechten Wetters wahrscheinlich bis morgen Sonnenhochstand. Schwerer Wellengang auf dem See und den angrenzenden Gewässern. Die Fischerei sollte bis morgen Mittag eingestellt werden. Ich danke den Herren für ihre Aufmerksamkeit und wünsche noch fröhliche Stunden.« Blitzschnell rollte er die Rolle wieder zusammen und war im nächsten Moment durch die Tür verschwunden.

»Was - war - das?«, fragte Max perplex, während der Lärmpegel wieder seinen alten Stand erreichte.

»Was soll das sein? Der Mann vom Wetterdienst natürlich«, antwortete Torkimann, verwirrt über Maxens Frage.

»Wetter... was?«

»Ah - ich sehe, Ihr kommt von weiter her als ich gedacht habe«, sagte der Flussmeister nach kurzem Nachdenken bedächtig.

»Pah! Weit her...«, schnappte Brokk beleidigt. »Jeder weiß, was eine Wettervorhersage ist. Das, was mein Freund meint, ist die Art der Verbreitung und von den Windhängern hat er wahrscheinlich keine Ahnung.«

»Ho, mein junger Freund, jetzt langsam«, antwortete Torkimann besänftigend. »Ich wollte euch nicht beleidigen.«

»Ist schon gut«, lenkte Max schnell ein. »Aber ich glaube, einen Windhänger habe ich heute schon gesehen. Das ist eine Person, die sich von einer Wind getragenen Papier- oder Stoffkonstruktion in die Luft heben lässt.« Er sah Torkimann fragend an.

»Ah - genau. Die Windhänger steigen auf und besehen sich alles von oben. Das Aussehen der Wolken, die Fernsicht und so.« Der Flussmeister machte eine umfassende Geste. »Dann prüft er die Windstärke und die Temperaturen in verschiedenen Höhen und was weiß ich noch alles.« Er sah nach Worten suchend von einem der Gefährten zum anderen. »Also, er prüft und macht und ich weiß auch nicht, warum man das nicht auch vom Boden aus machen könnte«, setzte er dann zusammenhanglos hinzu. »Auf jeden Fall stellt er aus diesen Dingen einen Bericht zusammen, der anschließend an den Wettermagier weiter geleitet wird. Dieser wertet das alles aus, zieht zusätzlich seine magischen Hilfsmittel hinzu und - voilá der Wetterbericht ist fertig. Die Gelbfalter lesen ihn dann nur noch an öffentlich zugänglichen Orten vor.« Torkimann klatschte bestätigend mit der flachen Hand auf den Tisch und nahm einen tiefen Schluck.

»Dank Euch, Flussmeister«, nickte Max und trank ihm zu. Einfache meteorologische Beobachtungen, überlegte er. Hat mit Magie wohl soviel zu tun wie das Zufrieren des Sees im Winter.

Ein greller Blitz, der den Schankraum trotz der verrußten Scheiben in gleißendes Licht tauchte, ließ Max diesen Gedanken noch einmal überdenken.

»Seht ihr?«, meinte Torkimann nicht besonders beeindruckt. »Der Gelbfalter hatte recht.«

»Toll!«, nörgelte Brokk abfällig.

»Nun, meine Freunde«, sprach Torkimann weiter, ohne auf Brokks Stichelei einzugehen. »Ich habe noch einige Papiere durch zu arbeiten und muss euch deshalb jetzt allein lassen. Ein schönen Abend noch. Essen und Trinken gehen auf meine Rechnung.« Er grüßte noch einmal, dann zwinkerte er Ipas anzüglich zu und verschwand über die schmale Treppe zu den Zimmern im ersten Stock.

Wenig später begaben sich auch Max und Ipas auf ihr Zimmer. Nur Brokk blieb noch etwas sitzen - um Informationen zu sammeln - wie er sich ausdrückte.

*

Vier Tage später, davon drei auf dem Fluss, hatten sie die Hälfte der Strecke nach Mittlandhafen hinter sich. Und wie die beiden Tage zuvor ließ Torkimann früh abends an einer der in bequemen Tagesetappen voneinander getrennten notdürftigen Anlegestellen festmachte.

Die Gefährten brachten ihre Kortis von Bord, um ihnen ein bisschen Bewegung zu verschaffen und um sie von dem frischen Gras und den saftigen Blättern des Unterholzes, das den Rastplatz umschloss, fressen zu lassen.

Da sie das einzige Schiff waren, das hier zur Übernachtung fest gemacht hatte, war Platz im Übermaß und so lagerten die drei Freunde ein gutes Stück unterhalb der Besatzung der Flussblitz.

Gegen Mitternacht wurde Max durch ein hartes Pochen, das von Täuscher ausging und seinen rechten Arm wie ein leichter Stromschlag durchlief, geweckt.

Erschrocken und auch besorgt von dieser seltsamen, neuen Eigenschaft Täuschers, sah Max sich vorsichtig um. Obwohl eine mondhelle Nacht war, konnte er nichts Auffälliges erkennen. Schlafende Matrosen, glimmende Lagerfeuer und die zusammen gekauerten, fast unsichtbaren Gestalten der Wachen, die nahezu mit dem Unterholz verschmolzen. Das war alles, was er sehen konnte. Aber irgend etwas musste hinter dem sonderbaren Verhalten Täuschers stecken.

Max rieb sich die Augen und stand dann mit einer entschlossenen Bewegung auf. Wenn er schon wach war, konnte er auch vorsichtshalber nach den Kortis sehen. Er hatte erst zwei, drei Schritte gemacht, als ihn ein knackendes Geräusch hinter ihm herum fahren ließ. Erleichtert erkannte er die dunkle Gestalt Brokks, der mit seinem Bogen in der Hand vor ihm stand.

»Na - Schlafstörungen?«, fragte dieser leise und mit einem spöttischen Klang in der Stimme.

Aber Max konnte an seiner angespannten Haltung erkennen, dass der junge Dieb angestrengt in die Dunkelheit lauschte. »Nein«, entgegnete er flüsternd. »Ich hab irgendwie ein komisches Gefühl. Ich komme mir beobachtet vor - wie als wenn mich tausend Augen aus der Finsternis heraus anstarren würden«, setzte er Schulter zuckend hinzu.

»Ja, ich bin auch mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen aufgewacht«, sagte Brokk. »Es ist auch nichts zu sehen und Torkimann hat Wachen aufgestellt.« Er deutete auf die dunklen Gestalten am Waldrand. »Andererseits scheinen mir aber die Kortis nervös zu wirken.«

Max sah in die Richtung der Tiere und erkannte, dass sie unruhig umher stampften und suchend ihre Köpfe bewegten. Max nickte zustimmend und nachdem sie sich noch einmal umgesehen hatten, gingen sie zu ihrem Lager zurück.

Max überlegte gerade, ob er Ipas wecken sollte, als aus dem Wald ein brechendes Geräusch erklang. Aus dem Lager der Schiffsmannschaft kam ein gurgelnder Laut und eine der Wachen taumelte mit einem Pfeil im Hals in das nieder gebrannte Lagerfeuer. Bevor Max zu einer Reaktion fähig war, kam Leben in die Dunkelheit. Von infernalischem Geheule begleitet flogen Dutzende von Pfeilen ins Lager und laute Schmerzensschreie bekundeten, dass mancher sein Ziel gefunden hatte.

»Schnell, Ipas, zum Schiff!«, rief Max. »Dort bist du sicher. Brokk und ich versuchen, die Kortis zu retten.« Er zog sein Schwert, streifte sein Schild über und machte sich auf den Weg. Brokk folgte ihm hastig und legte einen Pfeil schussbereit auf die Sehne seines Bogens.

Das Lager der Flussfahrer hatte sich mittlerweile in einen Hexenkessel verwandelt. Die Männer, die einige Dutzend Meter oberhalb der Gefährten gerastet hatten, suchten noch schlaftrunken nach ihren Waffen, während aus dem Unterholz eine brüllende Horde abenteuerlich bekleideter Gestalten gestürmt kam. Es war eine bunt gemischte Menge aus vielerlei Rassen und Hautfarben. Im flackernden Licht des Lagerfeuers sah Max, dass die Angreifer bereits gut die Hälfte der Besatzung nieder gemacht hatten, bevor diese ernsthaft Widerstand leisten konnten. Die Stille der Nacht war erfüllt vom Klirren der Schwerter, dem wilden Brüllen der Kämpfenden und den schrecklichen, klagenden Schreien der Sterbenden.

Max bedeutete Brokk durch Handzeichen, sich allein um die Kortis zu kümmern. Er selbst fasste sein Schwert fester und eilte - jedem Einwand seines Freundes zuvor kommend - den Bedrängten zu Hilfe.

Er hatte die Menge der Kämpfenden fast erreicht, als ein hoch gewachsener Mann aus dem Schatten schräg neben ihm auftauchte. Mit einem hässlichen Lachen schwang er sein uraltes, schartiges Schwert nach Max' Kopf. Ein blitzschneller, harter Ruck, der Max fast die Schulter ausrenkte und Täuscher schoss seitlich vor, um die grinsende Fratze des Angreifers in eine blutige Masse zu verwandeln.

Ohne auf den Zusammenbrechenden zu achten, hastete er weiter. Irgendwie schien sich sein Geist vom Körper gelöst zu haben und ihn aus sicherer Entfernung zu lenken. Mit einem ruhigen, fast analytisch anmutenden Sehen erfasste er den Kampfplatz und das Schreien und Brüllen der Kämpfenden wurde zu einem leisen Murmeln, dem er keine Aufmerksamkeit mehr widmete. In einem kurzen Aufflackern des Lagerfeuers sah er, wie drei in speckiges Leder gekleidete Männer Bolbord, den Steuermann der Flussblitz, bedrängten.

Max bewegte sich schnell, aber ohne zu laufen, auf die Gruppe zu. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Sein Schwert zuckte in einem blitzenden Bogen herum und durchtrennte den Holzstiel einer Axt. Ohne im Schwung inne zu halten, fuhr die funkelnde Klinge im Bogen zurück und teilte den Mann fast bis zum Brustbein. Mit einem kurzen Ruck zog Max das Schwert frei, drehte sich um und warf Täuscher mit einer schnellen, fließenden Bewegung. Die Handhabung des Schwertes, der anschließende Wurf - es war, als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Wieder trat dieser seltsame, Zeit verzögernde Effekt auf, der Max schon beim Kampf gegen Klerabis aufgefallen war und obwohl sein anvisiertes Ziel nur ein paar Meter entfernt war, schien Täuscher einen wahren Zick-Zack-Kurs einzuschlagen. Als hätte er die Männer auf magische Weise in seinen Bahn gezogen, durch spaltete er einem Ersten den Kopf, als fahre man mit einem scharfen Messer durch eine überreife Melone, huschte einem Zweiten an der Kehle vorbei und ließ sie weit auf klaffen. Der Dritte hatte gerade noch Zeit, die Augen weit auf zu reißen, bevor Täuscher ihm durch den Leib fuhr.

Bolbord starrte Max mit ungläubig geöffnetem Mund an und ließ sein Schwert sinken. Er schloss seine Augen nie wieder. Ein Pfeil bohrte sich mit einem hässlichen Geräusch durch seinen linken Augapfel ins Gehirn.

Max sah den Steuermann langsam in sich zusammen fallen, dann wurde seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Ziel gerichtet. Blitzschnell riss er seinen Schild hoch und eine Axt glitt funken sprühend darüber. Max kam es vor, als wären seine Sinne bis ins Extreme verschärft. Er sah, wie einer der Banditen mit beiden Händen nach Täuscher griff und von einem dunklen flirrenden Brodem verschlungen wurde, der schnell auseinander faserte und verschwand. Das - und noch vieles mehr - nahm er fast unbeteiligt wahr.

Sein Schwert zuckte nach hier und nach da, die Reaktionen seiner Gegner erschienen fast bis zur Bewegungslosigkeit erstarrt. Dann fasste seine Schildhand nach Täuscher und als seine Finger sich um den sanft pulsierenden Schaft schlossen, da wusste er, dass der Kampf verloren war. Ein kurzer Blick in die Runde gab seinem Gefühl recht. Nur noch eine Handvoll Männer wehrte sich matt gegen die Banditen.

Max eilte zurück - er musste zum Schiff, bevor die Angreifer die letzten Flussfahrer nieder gemacht hatten und über ihre Beute her fielen. Ipas war dort nicht sicher. Es war von vornherein ein dummer Gedanke gewesen, auf dem Schiff Zuflucht suchen zu wollen. Sie mussten versuchen, mit den Kortis durch den Wald zu fliehen. Die Banditen hatten anscheinend keine Reittiere, oder hatten sie zurück gelassen. Wie auch immer: Max hoffte, dass die Plünderung des Schiffes die Räuber lange genug aufhalten würde, um ihnen einen guten Vorsprung zu geben. Aber erst galt es jetzt, Ipas zu holen.

Er hatte das Schiff fast erreicht, als er die junge Frau schwer beladen und heftig atmend über den Laufsteg kommen sah.

»Ich habe mir gedacht...«, begann sie keuchend.

»Gut gemacht«, unterbrach sie Max, »wir müssen zu den Kortis.« Schnell blickte er sich um, aber wider Erwarten waren sie bisher noch der Aufmerksamkeit der Banditen entgangen. Schlechte Planung, kam es Max ungewollt in den Sinn. Er schüttelte bei diesem Gedanken ärgerlich den Kopf, dann riss er Ipas den größten Packen aus der Hand und gemeinsam liefen sie zu den Kortis.

»Endlich kommt ihr«, erwartete sie Brokk nervös. »Ich habe schon gedacht, die Banditen haben euch geschnappt - oder Schlimmeres«, fügte er aufatmend hinzu. »Ich wollte schon nach schauen, wo ihr bleibt. Der Kampf ist verloren, vorbei, aus. Wir müssen sehen, dass wir weg kommen, bevor die verlausten Gestalten dort auf uns aufmerksam wer­den.« Brokk machte eine unbestimmte Geste in die Richtung, in der die Kampfgeräusche zum Erliegen gekommen waren. Nur noch siegestrunkenes Gegröle und leises Waffenklirren drang herüber.

»Ja, ja, ich weiß«, keuchte Max zwischen zwei heftigen Atemzügen heraus.

Schnell warfen sie die Packtaschen über die Rücken der Kortis und saßen auf.

»Jetzt nichts wie weg!«, rief Brokk in gedämpftem Ton und hieb seinem Reittier die Fersen in die Flanken.

In wenigen Augenblicken hatten sie die kurze Distanz bis um Waldrand überwunden. Sie verlangsamten das Tempo der Kortis etwas, als sie in das Unterholz einbrachen. Trotzdem wurden sie schmerzhaft von tief hängenden Ästen und Zweigen getroffen und Ranken und Dornen peitschten und kratzten über ihre tief auf die Kortis geduckten Körper. Hinter ihnen verstummten der Lärm und das Geschrei der Banditen, die inzwischen angefangen hatten, sich um die Beute zu streiten und der eigentliche Wald, mit all seinen nächtlichen Geräuschen und Gerüchen, nahm sie auf.

GAARSON-GATE 053

GAARSON-GATE ist die Schwesterserie von STAR GATE – das Original!

Titel:

Die Droge des Lebens

von K. H. Reeg

Co-Autor: Thomas Maul

»Den einen bringt sie den Tod

- den anderen ewige Jugend!«

27. Oktober 2052 = Tipor Gaarson beschert der Menschheit den nach ihm benannten GAARSON-Effekt - als schier unerschöpfliche Energiequelle. Sie wird zum »Tor zu den Sternen«.

13. Januar 2091 = In den Annalen der Menschheit vermerkt als der Todestag des Genies Tipor Gaarson. Aber was niemand auf der Erde bemerkt: Im gleichen Moment, als Tipor Gaarson stirbt, erscheinen in einer fernen Galaxis, auf den Ruinenwelten des untergegangenen so genannten Prupper-Reiches verteilt, sämtliche 18 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben. Sozusagen von einem Augenblick zum anderen. Aber es sind nicht die »Originale«, sondern exakte Klone. Ihre Nachfahren nennen die unvorstellbare Macht, die dies vollbrachte, ihren »Pruppergott«.

Der Pruppergott ist in Wirklichkeit das ominöse »Konglomerat der Mächtigen« und verfolgt mit der Erschaffung des »NEUEN IMPERIUMS« aus Menschenklonen eine noch undurchsichtige Absicht. Dass es ausgerechnet Erd-Menschen klont, liegt an einem speziellen Menschen, der im zwanzigsten Jahrhundert seine Aufmerksamkeit erregte. Er heißt Maximilian »Max« Junker - und dieser gelangt zufällig in eine seltsame und gefährliche Welt. Seine wichtigste Waffe heißt »Täuscher«. Sie sieht aus wie ein Wanderstab, doch sie hat gewissermaßen »magische Eigenschaften«.

In einer fremden Stadt trifft er zwei Menschen, die sich ihm als Gefährten anschließen: Der junge Dieb mit Namen Brokk - und die schöne Ipas. Mit ihnen macht er sich auf den weiteren Weg.

Nach einigen Abenteuern geraten sie während einer Rast in einen nächtlichen Hinterhalt und können mit knapper Not auf ihren Reittieren, den Kortis, fliehen...

*

»Langsam jetzt«, befahl Max heiser, nachdem sie gut eine halbe Stunde fast blind, sich nur auf die Instinkte der Kortis verlassend, durch die nahezu vollständige Dunkelheit des Waldes galoppiert waren.

»Sie scheinen unsere Flucht nicht bemerkt zu haben oder es ist ihnen egal, ob wir entkommen oder nicht. Auf jeden Fall werden wir nicht verfolgt«, meinte Brokk, nachdem sie ihre Tiere zum Halten gebracht und er ein paar Atemzüge lang in die Finsternis gelauscht hatte.

»Du hast recht«, stimmte Max zu. »Aber auf jeden Fall ist es viel zu dunkel, um weiterhin ohne zwingenden Grund und in diesem Tempo durch die Dunkelheit zu reiten. Wir haben unser Glück schon reichlich strapaziert und ich will nicht erleben, dass ein tiefer, dicker Ast erreicht, was den Banditen nicht gelungen ist.«

»Die kommen nicht nach«, mischte sich jetzt auch Ipas, mit bestimmter Stimme, ein.

»Hä? Und warum nicht?«, fragte Max ziemlich bedeppert.

»Natürlich - klar«, ließ sich Brokk mit einem tiefen Seufzer vernehmen. »Wir hätten uns die ganze wilde Jagd sparen können.«

»So - und warum?«, schnappte Max ärgerlich, als Brokk keine Anstalten machte, weiter zu sprechen. »Würdet ihr mich an eurer Weisheit teilhaftig werden lassen?«

»Oh, entschuldige«, nahm Ipas besänftigend das Thema wieder auf. »Diese Banditen, das war ein ziemlich herunter gekommener Haufen Lumpenpack. Bei dem Angriff war nicht die Spur eines Plans oder sonst einer Organisation zu erkennen. Da ist einfach jeder für sich vor gestürmt und hat nieder gemacht, was im Weg war. Hätte die Mannschaft des Schiffes, mit der wir gemeinsam rasteten, ein bisschen Zeit zum Sammeln gehabt...«

»Bitte, komm zum Kern«, unterbrach sie Max müde. »Ich hab auch gesehen, was für ein verkommener Verein das war.«

»Na ja«, nahm jetzt Brokk den Faden wieder auf. »Das war ein loser Haufen - jeder für sich. Mehr eine Zweckgemeinschaft.« Er schoss das Wort förmlich ab und kicherte dann leise vor sich hin.

Max verzog ärgerlich das Gesicht, was in der nahezu vollständigen Dunkelheit des Waldes von seinen Freunden unbemerkt blieb und befahl barsch: »Weiter!« Obwohl er langsam verstand, auf was die beiden hinaus wollten.

»Ha - ganz einfach«, antwortete Brokk, immer noch mit fröhlicher Stimme und ohne auf Max' Tadel einzugehen. »Jeder ist sich selbst der Nächste. Jeder, der uns verfolgt hätte, hätte seinen Teil der Beute auf dem Flussschiff verloren. Die teilen nicht«, fügte er bestimmt hinzu. »Zu­mindest nicht freiwillig. Die ganze Ladung, stell dir vor! Und sich darauf verlassen, uns ein zu holen und dass wir etwas Lohnenderes dabei haben? Nein, nein, so denken die nicht.«

»Ah, ja«, meinte nach einem kurzen Moment Max bedächtig. »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.«

»Ähm, ja«, stimmte Brokk vorsichtig zu. »Wenn das bessere Ding das auf dem Dach ist - ja.«

»Vögel«, kicherte Ipas. »Vögel sind das. Und das Ding auf dem Dach ist ein besonders wohlschmeckender.«

»Meinetwegen«, brummelte Brokk verdrossen.

Es ist schon ein seltsames Ding, überlegte Max, wie dieser Übersetzer in meinem Kopf arbeitet. Brokk hat die beiden Tiernamen nicht verstanden, weil es diese Tiere auf Vilodera nicht gibt und ich die Namen zweifellos auf deutsch ausgesprochen habe. Aber Ipas hat sofort gewusst, was gemeint ist. Obwohl sie vorher noch nie ein Wort in dieser Sprache gehört hat. Der einzige Unterschied zu Brokk besteht darin, dass sie die Tiere kennt.

»He - Skarabäus«, dachte Max »laut« in Richtung seines seit langem stummen Begleiters in seinem Schädel, entschlossen, Licht ins Dunkel zu bringen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752136500
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
GG fantastisch SF Gaarson-Gate science fiction SG Fantastik stargate Phantastik SciFi Roman Abenteuer Fantasy

Autor

  • Wilfried A. Hary (Autor:in)

Nähere Angaben zum Autor und Herausgeber Wilfried A. Hary siehe WIKIPEDIA!
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Titel: GAARSON-GATE: Die 6. Kompilation