Lade Inhalt...

Die Tränen der Einhörner III: Der Kreis des Lebens

von Stephanie Rose (Autor:in)
115 Seiten

Zusammenfassung

Viele Tage nach dem Tod des Teala der Dunkelheit, bemerken Miriel und Sirion, dass ihre Welt noch immer dem Untergang geweiht ist. Sie begeben sich auf die Suche nach dem Herrn der Lüfte, der das Wissen des Universums birgt. Miriels Visionen offenbaren ihr, dass das Teala der Dunkelheit wiedergeboren wurde und ihres Schutzes bedarf, denn Lian, Caylens dämonischer Freund, trachtet nach dessen Leben. Wird es ihnen gelingen, Lian von seinem Vorhaben, das wiedergeborene Teala der Dunkelheit zu töten und die Welt ins Chaos zu stürzen, abzuhalten und ein für alle Mal Frieden nach Aeriya zu bringen?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


PROLOG

Lian warf einen finsteren Blick zurück und murmelte etwas Unverständliches.

In der Ferne konnte er noch immer den Palast erkennen, den er bis vor kurzem noch sein Eigen, sein Zuhause, hatte nennen können.

‚Ihr werdet alle dafür büßen, das schwöre ich!‘, dachte er wütend und ballte die Hände zu Fäusten. Dann zog er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, um das Sonnenlicht von seiner Haut fern zu halten.

Er achtete darauf, dass kein Zentimeter seiner Haut auch nur einen Moment der Sonne ausgesetzt war, doch für einen Augenblick brannte sie doch auf seine nackte Hand und ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Körper und ließ ihn das Gesicht zu einer Grimasse verziehen.

Vorsichtig strich er sich über den schmerzenden Handrücken. ‚Verdammt!‘, fluchte er in Gedanken und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. ‚Wie kann es nur sein, dass ich, der große Herrscher meines Volkes, eine solch immense Schwäche aufweise?‘, schoss es ihm schließlich durch den Kopf und er sah zu Boden. ‚Ich, der für kurze Zeit alles besaß und so kurz vor der Erfüllung all seiner Träume stand? Und obwohl ich die geheimsten und dunkelsten Künste studiert habe, war es mir nicht möglich, etwas zu finden, das diese Schwäche beseitigt und mich von diesem Fluch befreit?‘

Wenn er so darüber nachdachte, glich es schon einem Wunder, dass niemand seiner Untertanen auch nur den leisesten Hauch eines Verdachtes geschöpft hatte, und ein schwaches, dämonisches Grinsen schlich sich auf seine Lippen.

Er war ein Meister der Täuschung. Seit er sich erinnern konnte, war es ihm immer ein Leichtes gewesen, andere zu täuschen und glauben zu lassen, was immer er wollte. Diese Gabe hatte es ihm auch ermöglicht, seinen unmöglich erscheinenden Plan, den früheren Herrscher des Dämonenvolkes, Inaris, zu stürzen.

Ein stechender Schmerz in seinem Kopf holte ihn schließlich in die Realität zurück und er verzog das Gesicht.

Mit schnellen Schritten setzte er seinen Weg schließlich fort und versuchte, einen schattigen Ort in der kahlen Wüstenlandschaft seiner Heimat zu erspähen, der ihm Schutz bieten konnte, bis der Abend hereinbrach und die Sonne am Horizont verschwand.

Vergebens. Resigniert kam er wieder zum Stehen und ließ den Kopf hängen.

Seine Gedanken glitten erneut in die Vergangenheit davon.

‚Doch meine größte Schwäche warst du …‘, schoss es ihm dann durch den Kopf. ‚… Leyla, … meine Geliebte …‘

Ein betrübter Seufzer ging über seine Lippen, als er an sie zurückdachte. Er hatte alles, was ihm je etwas bedeutet hatte, verloren – all jenes, für das er so hart gekämpft hatte. Über so lange Zeit hatte er sie beschützen können, doch nun war alles verloren. Alles, was ihm geblieben war, waren Erinnerungen, Gefühle und ein unbändiger Hass, der in den vergangenen Tagen seit Leylas und schließlich auch Caylens Tod um ein Vielfaches angewachsen war und der ihn jetzt drohte zu überwältigen.

„Das ist alles deine Schuld, Caylen“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ballte die Hände erneut zu Fäusten. Doch dann wurde ihm klar, dass er ohne Caylen niemals so weit gekommen wäre und die Wut in seinem Innern begann noch heißer zu brennen. Er war wütend auf sich selbst, seine Situation und seine Umgebung, doch am allermeisten verabscheute er die Ungerechtigkeit der Welt.

Wieder und wieder fragte er sich, warum Caylens Schwester und ihre Gefährten so verzweifelt versucht hatten, das einzig Gute, das er in seinem langen Leben vollbringen wollte, zu zerstören.

Er ließ den Kopf hängen und blinzelte sich die Tränen aus den Augen.

Dann sah er wieder auf und starrte mit festem Blick in die Ferne.

„Auch wenn ihr es geschafft haben mögt, das Gleichgewicht wiederherzustellen und all meine Bemühungen ungeschehen zu machen, so werde ich doch einen Weg finden, mein Ziel zu erreichen!“, rief er in die Wüste hinaus. „Diese Welt wird untergehen!“

KAPITEL 1

Sirion starrte gelangweilt aus dem Fenster und betrachtete die einzelnen Wolken, die in unregelmäßigen Abschnitten die Sonne verdeckten und wandernde Schatten auf die Erde warfen.

Seit einigen Tagen fiel es ihm schwer, sich zu entspannen oder gar zu konzentrieren und seinen Aufgaben und Studien nachzukommen. Seine Gedanken begannen, wie schon die Tage zuvor, zu wandern und jedes Mal, wenn er versuchte, diesen eine Richtung zu geben, verblasste alles.

Er ließ den Kopf hängen und zuckte kaum merklich zusammen, als seine Stirn auf das kalte Glas des Fensters traf. Ein leiser Seufzer entrann seiner Kehle, und er wandte sich schließlich von diesem ab.

Seit Therun wiedererrichtet und sein Lehrmeister Rayan zum neuen Leiter ernannt worden war, hatte er begonnen, sich dem Studium der Anderen Welt zu widmen, in der Hoffnung, sich an das zu erinnern, was er vergessen glaubte. Tief in seinem Innern konnte er fühlen, dass sich die Antwort irgendwo in seinen Studien verborgen hielt.

Sein Blick glitt über die weite Ebene, die tief unterhalb der Mauern Theruns lag und sich bis an den Horizont erstreckte. Die fernen Bäume, die mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen waren, verloren allmählich ihr grünes Blätterkleid und nahmen die goldrote Farbe der untergehenden Sonne an.

Sirion runzelte die Stirn, als seine Gedanken sich erneut den vielen offenen Fragen zuwandten, und er ließ resigniert den Kopf hängen.

‚Yasu …‘, dachte er betrübt. ‚Ich wünschte, ich könnte dir all die Fragen stellen, die mir auf der Zunge brennen … Du kennst die Antwort, nicht wahr? Du weißt, wonach ich suche … hilf mir, bitte …‘

„Denkst du schon wieder nach?“, fragte eine freundliche, tiefe Stimme hinter ihm und ließ Sirion erschrocken herumfahren. Beschämt strich er sich das Haar aus dem Gesicht, als er erkannte, dass es nur Meister Rayan war, der zu ihm sprach.

„Ja und nein …“, antwortete er schließlich langsam und wandte sich wieder dem Fenster zu. „… etwas beunruhigt mich … Etwas … nein, ich habe vergessen, was es ist.“ Er schüttelte den Kopf und rieb sich die Stirn. „Meister …“

Sirion verstummte und hielt für einen Moment den Atem an.

‚Nein, ich kann Euch nichts von alledem erzählen …‘, dachte er und seufzte innerlich.

Als er nach Therun zurückgekehrt war, hatte er sich geschworen, alles geheim zu halten, was die Teala oder die Tränen der Einhörner betraf. Je weniger Rayan oder irgendwer sonst darüber wussten, umso besser, fand er.

Rayan schien zu verstehen und schwieg. Er wusste, dass Sirion ein Geheimnis bewahrte und lächelte ihm aufmunternd zu. Auch er kannte das drückende Gefühl, das diese Bürde mit sich brachte.

Sirion strich sich resigniert das Haar aus dem Gesicht und ging dann zu dem kleinen Tischchen hinüber, auf dem eine Handvoll Schriftrollen und dicke, alte Bücher lagen.

„Was studierst du gerade?“, frage Rayan schließlich neugierig und folgte ihm. Sein Blick glitt über die Schriftrollen und er nickte verstehend.

„Du solltest diese Aufzeichnungen nicht so offen herumliegen lassen. Dieses Wissen ist gefährlich. Gib mir bitte keinen Grund zu bereuen, dir Zugang dazu gewährt zu haben.“

Sirion nickte entschuldigend und packte die Bücher und Schriftrollen eilends in seine lederne Tasche zurück. „Ich werde mein Studium in meinem Quartier fortsetzen“, meinte er dann und sah Rayan in die Augen. „Ich danke Euch.“

Er deutete eine Verbeugung an und verließ das Archiv mit schnellen Schritten.

‚Ich ertrage dieses bedrohliche Gefühl nicht!‘, dachte Sirion einen Moment später und schüttelte wild den Kopf.

Zähneknirschend betrat er sein Quartier und warf die lederne Tasche achtlos auf den Tisch zu seiner Rechten, dann trat er ans Fenster hinüber und starrte in die Tiefe.

Der Wasserfall, der unter seinen Füßen in die Tiefe donnerte, trug seine aufgewühlten Gedanken mit sich und gestattete Sirion, wieder zur Ruhe zu kommen.

In den vergangenen Tagen hatte es Lian endlich geschafft, den Aufenthaltsort der Büchse zu ergründen, die er mit Caylen vor Ewigkeiten, wie es ihm schien, in Europa, einem riesigen Land in der Sterblichenwelt, vermutet hatte.

Seine Suche würde nun endlich ein Ende finden, hoffte er.

Wenn er die Macht der Büchse schon nicht kontrollieren konnte, um selbst eine neue, gerechtere Weltordnung zu erschaffen, so wollte er die Welt, wie sie bestand, doch zumindest zu ihrem Ende bringen. Er konnte es einfach nicht ertragen zu sehen, wie Unschuldige ihr Leben lassen mussten, weil sie sich von anderen in ihrer Herkunft oder ihrem Wesen unterschieden. Dem musste er ein Ende setzen.

Mit erwartungsvollen Augen überblickte er das tiefe Tal zu seinen Füßen, das sich bis zum Horizont erstreckte. Hier irgendwo lag die Büchse versteckt.

„Bald ist es getan“, murmelte er zu sich selbst und ein dämonisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. ‚Und dann werde ich dich auf der anderen Seite wiedersehen, geliebte Leyla. Ich werde dich finden und mit dir gemeinsam darauf hoffen, ein neues Leben in einer besseren Welt zu leben. Eine Welt, in der wir alle gleich sind.‘ Mit diesen Gedanken setzte er sich in Bewegung und folgte dem schmalen Gebirgspfad ins Tal hinab.

Der Abstieg war gefährlich und mühsam, stellte er fest, denn der Pfad zu seinen Füßen war an vielen Stellen einfach verschwunden. An seiner statt klafften nun tiefe Löcher, die herabstürzendes Gestein in den Fels gehauen hatten und Lian wurde klar, dass dieser Pfad wohl sehr lange nicht mehr benutzt worden war. Die Büchse konnte sich also nach all dieser Zeit tatsächlich noch immer verborgen an jenem Ort befinden.

Sein Herz begann schneller zu schlagen, als er den Pfad verließ und schnellen Schrittes über die Ebene ging.

In der Ferne konnte er Bewegungen wahrnehmen, die nicht von Tieren zu stammen schienen. Lian blieb stehen und musste schließlich erstaunt feststellen, dass seine Anwesenheit für Panik zu sorgen schien, denn die Gestalten begannen wild durcheinander zu laufen.

‚Menschen‘, dachte er dann angewidert und setzte seinen Weg wieder fort.

Aus dieser Entfernung konnten die Menschen unmöglich erkennen, wer oder was er war, folglich mussten Fremde in dieser Gegend eine Seltenheit sein, und dies wiederum ließ ihn vermuten, dass sie an diesem Ort ein großes Geheimnis hüteten. Ein Geheimnis, das er ergründen würde.

Fidell blickte gedankenverloren in die Ferne und wünschte sich, die Zeit würde stehen bleiben und diese Momente des Friedens für immer anhalten.

Seit sie mit Maiya in Len’Nenia angekommen war, waren unzählige Tage vergangen, und sie konnte immer deutlicher spüren, wie sich etwas in ihr veränderte. Je mehr Zeit sie bei den Elfen verbrachte, umso mehr wurde sie zu einer der ihren.

Maiya riss sie schließlich aus ihren Gedanken und ließ sie überrascht zu ihr hinüberblicken. Sie hatte nicht bemerkt, wie sie sich ihr genähert hatte und runzelte die Stirn.

„Bald ist es soweit!“, rief diese dann begeistert und klatschte freudig in die Hände. „Bald hast du deine Ausbildung zur Heilerin beendet!“ Sie lächelte voller Freude und legte den Kopf schief, als Fidell keine Anstalten machte, irgendetwas zu erwidern.

Fidell sah zu Boden und nickte schließlich langsam.

Sie erinnerte sich an den Tag zurück, als sie mit Elantris in Ceven angekommen war und diese Cerin bat, sie in der Kunst des Heilens zu unterrichten, ehe sie ihre Ausbildung zur Magierin beginnen wollte. Nun war also der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ihre neu gewonnene Familie und Freunde verlassen musste.

Tränen begannen in ihren Augen zu brennen, doch sie schaffte es, sie zurückzuhalten und stattdessen ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.

„Freust du dich denn nicht?“, fragte Maiya etwas zögerlich und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie konnte spüren, dass Fidell etwas vor ihr zu verbergen versuchte.

„Natürlich freue ich mich!“, entgegnete diese eilends und klatschte mit einem breiten Grinsen in die Hände. Sie wollte nicht, dass Maiya Verdacht schöpfte und ihren Kummer bemerkte.

„Cerin hat mir erzählt, dass dein Wissen tiefer geht, als das eines jeden anderen Menschen, der je versucht hat, unsere Wege zu verstehen. Es ist fast so, als seist du eine von uns. Du bist wahrlich von Gaia gesegnet.“ Maiyas Augen glitzerten voller Stolz, und sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Ich wusste schon seit unserer ersten Begegnung, dass du etwas Besonderes bist!“

Fidell errötete leicht und kniete sich schließlich nieder, um sich dem Kräuterbündel zu widmen, das sie zum Trocknen auf einem ledernen Tuch in der Sonne dort ausgebreitet hatte.

Sie wendete die einzelnen Blätter und Blüten und versuchte hierbei, ihre Gedanken wieder zu ordnen und den Kummer zu vertreiben, der ihr Herz erschwerte.

Maiya verstummte kurze Zeit später wieder und Fidell war sich nun sicher, dass sie den Schmerz spüren konnte, den sie in ihrem Herzen unter Verschluss hielt. Seit sie zusammen in Len’Nenia angekommen waren, war das Band der Freundschaft zwischen ihnen immer weiter gewachsen und Maiya war schließlich den Bund mit ihr eingegangen, der sie zu Schwestern machte.

Fidell ließ ihre Gedanken schweifen und erinnerte sich an Cerins überglückliches Gesicht, als er sie nach all der Zeit sicher und wohlbehalten in Len’Nenia begrüßen konnte.

Trotz allem fühlte sie sich noch immer fremd an diesem paradiesischen Ort und je mehr Maiya oder Meera ihr versuchten zu erklären, dass sie willkommen war, desto mehr begann sie daran zu zweifeln.

Sie seufzte innerlich und hoffte, Maiya würde über ihre Gefühle hinwegsehen und sie nicht damit konfrontieren. Dies war etwas, mit dem sie allein klarkommen musste, das wusste sie. ‚Lass mich einfach allein für den Augenblick … ich bitte dich‘, dachte sie betrübt, doch wagte sie es nicht, ihre Gedanken offen auszusprechen.

Sie hob den Blick und sah Maiya an, die sie und ihre Bewegungen eingehend zu beobachten schien, als wolle sie ihre Gedanken lesen. Sie legte den Kopf schief, als Maiya vor ihr niederkniete und ihre Hände auf die Fidells legte.

„Hab‘ ich etwas im Gesicht?“, fragte Fidell schließlich stirnrunzelnd und wischte sich mit der Hand übers Gesicht, doch Maiya schien sich nicht ablenken zu lassen. Ein Lächeln schlich sich schließlich auf ihre Lippen, das Fidell erwiderte.

„Ich weiß, woran du gedacht hast“, meinte Maiya einige Augenblicke später und blickte Fidell tief in die Augen. „Ich kann den Schmerz spüren, den du versuchst zu verbergen. Wir sind jetzt Schwestern, vergiss das nicht. Ich werde immer bei dir sein. Du bist nicht allein.“

Fidell lächelte und strich sich nervös durchs Haar. Sie wusste, dass Maiya recht hatte, doch wusste sie auch, dass sie, um ihre Ausbildung als Magierin beenden zu können, nach Therun zurückkehren musste, und dorthin musste sie allein gehen.

Die Magie der Elfen unterschied sich von der der Menschen und so konnte sie Cerin nicht bitten, sie auch noch in dieser Kunst zu unterweisen. Sie war sich sicher, dass Maiya dies nicht wusste und sie beschloss, es ihr zu verschweigen, bis sie nach Therun aufbrechen musste. Es genügte, wenn sie allein sich dem Kummer hingab, fand sie.

„Lass uns zurückkehren, der Abend wird bald hereinbrechen“, meinte Maiya nach einigen Augenblicken und riss Fidell aus ihren Gedanken. „Komm!“

Lächelnd hielt sie Fidell ihre Hand entgegen, doch diese schüttelte nur den Kopf und warf einen Blick in Richtung der Kräuter, die noch immer auf dem ledernen Tuch vor ihr lagen.

„Noch nicht“, entgegnete sie kopfschüttelnd. „Gib mir noch etwas Zeit. Ich folge dir in Kürze.“

Maiya nickte verstehend und wandte sich zögerlich um.

Sie wusste, dass Fidell die Kräuter nur als Vorwand benutzte, um ihren Gedanken noch etwas länger nachzuhängen und sich ihrem Kummer hinzugeben.

‚Warum sprichst du nicht mit mir über das, was dich bedrückt? Ich ertrage es nicht, dich so zu sehen …‘, dachte sie traurig, respektierte aber ihren Wunsch und hoffte, sie würde irgendwann von selbst zu ihr kommen.

„Ich warte vor der Höhle auf dich!“, rief sie und ging davon.

Fidell sah ihr nach und wandte sich schließlich wieder dem Tal zu, das sich einige Schritte von ihr entfernt, soweit das Auge blicken konnte, erstreckte.

Die Sonne sank allmählich am Horizont hinab und tauchte alles in goldenes Licht. Fidell schloss die Augen und genoss die letzten Augenblicke der Wärme, die die Sonne auf ihr Gesicht warf. Dann war sie verschwunden und zurück blieb ein tiefroter Himmel, der sich langsam verdunkelte.

‚Ich werde diesen Ort wahrlich vermissen …‘, dachte sie betrübt und seufzte. ‚Doch wird man mich in Therun überhaupt noch willkommen heißen nach allem, was geschehen ist? Wird man sich überhaupt noch an mich erinnern? Wird Sirion mich nach so langer Zeit wiedererkennen?‘ Und plötzlich dämmerte ihr, dass wohl niemand in Therun von Elantris‘ Tod wusste und sie erschauderte.

Tränen begannen in ihren Augen zu brennen und sie blinzelte. Dann schüttelte sie den Kopf und rieb sich die Stirn.

„So darf ich nicht denken …“, flüsterte sie kaum hörbar mit zitternder Stimme. ‚Ich darf Elantris‘ Erinnerung nicht beschmutzen und muss meinen Schwur erfüllen. Ich muss stark sein und meine Ausbildung zu Ende bringen, egal was geschieht. Ich muss lernen, diese Gabe zu kontrollieren, und vielleicht finde ich eines Tages einen Weg, sie sicher einzusetzen und euch alle wieder zu sehen … Mama, Papa … Taia … ich vermisse euch alle so sehr …‘

Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab und sie schluckte hart, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann wandte sie sich den Kräutern zu und verpackte diese sauber sortiert in kleine Gläschen, die sie schließlich in ihrer ledernen Tasche verstaute.

Sie ließ ihre Gedanken wandern und lächelte schließlich, als sie sich daran erinnerte, wie sie völlig erschöpft mit Maiya auf dem Rücken in Len’Nenia ankam und nicht sicher wusste, ob sie an jenem wundervollen Ort wirklich willkommen war. Zu ihrer Überraschung musste sie allerdings feststellen, dass Maiya wirklich zu ihrem Wort stand und alles daran setzte, dass man sie dort akzeptierte. Doch erst, als sie auf Meera und Cerin traf, wusste sie, dass alles gut werden würde und sie Len’Nenia als ihr neues Zuhause bezeichnen konnte.

Ein betrübter Seufzer ging über ihre Lippen, als sie versuchte, sich vorzustellen, wie ihre Ausbildung in Therun verlaufen würde und hoffte inständig, dort dieselbe Wärme vorzufinden, wie sie es in Len’Nenia tat.

Wieder stiegen Zweifel in ihr auf.

„Denk nicht daran … versuche, dich darauf zu konzentrieren, dein Versprechen einzuhalten … alles andere ist unwichtig …“, murmelte sie kaum hörbar zu sich selbst und fasste sich an die Brust. „Beende deine Ausbildung und du kannst hierher zurückkehren … So schnell es geht …“

‚Ja … so soll es sein‘, dachte sie und fasste den Entschluss aufzubrechen, sobald sie ihre Ausbildung zur Heilerin beendet hatte. Sie warf einen letzten Blick zum Himmel hinauf, ehe sie sich erhob und auf den Rückweg machte.

Miriel starrte mit großen Augen in die Ferne und versuchte das Zittern, das ihren Körper schüttelte, zu unterdrücken. Tränen brannten in ihren Augen und sie blinzelte.

Es war noch immer nicht vorbei.

‚Warum?‘, dachte sie verzweifelt und fasste sich an die Brust. Ihr Herz raste.

Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt; der Gral war von seinem Fluch befreit und die Welt gerettet worden, doch hatten sie etwas Wichtiges außer Acht gelassen. Etwas, das ihre Bemühungen der Vergangenheit negieren konnte.

Miriel wusste, dass nicht mehr viel Zeit blieb, um das drohende Ende ihrer Welt doch noch abzuwenden und sie beschloss, Sirion ein weiteres Mal um Hilfe zu bitten. Mit ihm an ihrer Seite würde es gelingen, da war sie sich sicher.

Tief in ihrem Innern konnte sie eine leise, trübsinnige Stimme hören, die verzweifelt nach Erlösung schrie. Sie wollte all den Kummer und Schmerz vergessen, den sie auf ihrer Suche nach dem Gral und den Tränen der Einhörner erlitten hatte und nach vorne blicken, doch warf sie ihre Vision zurück in jenes dunkle Loch, aus dem sie in den letzten Tagen mühsam erstiegen war.

Es schmerzte sie. Es schmerzte sie so sehr, dass ihr Herz langsam zu zerbrechen begann und Miriel schluckte hart. Sie wusste, dass eben diese Verzweiflung ihren Bruder Caylen letztlich in den Wahnsinn getrieben hatte und sie erschauderte.

‚Ich fürchte die Zukunft …‘, dachte sie angsterfüllt und wischte sich mit zitternden Händen die Tränen aus den Augen. Langsam beruhigte sie sich wieder und atmete tief durch.

„Was bedrückt dich, Miriel, Wächterin des Lichts?“

Miriel fuhr erschrocken herum und erkannte Raphael, der ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Dieses traurige Gesicht steht dir nicht“, meinte er dann neckisch, als Miriel keine Anstalten machte, etwas zu erwidern.

„Vergib mir“, murmelte sie schließlich bedrückt und sah zu Boden.

Seit sie ihm die Tränen der Einhörner eingeflößt und den Fluch, der ihn beinahe das Leben kostete, gebrochen hatte, war das Band der Freundschaft zwischen ihnen immer weiter gewachsen.

Raphael konnte die tiefen Wunden, die ihr Herz durch die ihr auferlegte Aufgabe erlitten hatte, spüren und hatte es sich nach seiner Genesung zur Aufgabe gemacht, Miriel zu helfen, die Vergangenheit und Caylens Tod zu verarbeiten.

Miriel wandte sich von ihm ab und blickte in die Ferne. Seine Gegenwart gab ihr neue Kraft und ein schwaches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

„Du hattest eine Vision“, bemerkte Raphael schließlich und kniff die Augen zusammen. „Was hast du gesehen?“

Miriel fuhr herum und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Es schien ihr fast so, als konnte Raphael ihre tiefsten Gedanken und Ängste erblicken und sie wie ein offenes Buch lesen.

„Das ist meine Gabe, mein Fluch“, meinte er dann lächelnd und kam näher. „Ich kann deinen Schmerz fühlen.“ Er legte seine Hände auf ihre Schultern und drückte sanft zu. „Vertrau mir, ich bin auf deiner Seite. Was auch immer du gesehen hast, ich werde dir helfen, das durchzustehen. Du bist nicht allein.“

Miriel errötete leicht und sah verlegen zu Boden. „Ich … danke dir …“, murmelte sie, beschloss dann aber, Raphael in ihre Vision nicht einzuweihen.

Sein sanftmütiges Herz hatte, ebenso wie das ihre, viel Kummer und Leid erfahren, und sie wollte ihm ihren Schmerz nicht ebenfalls auflasten.

Raphael war ihr mittlerweile ein sehr guter Freund geworden und sie wollte ihn vor zukünftigem Kummer bewahren.

„Verzeih, ich kann nicht darüber sprechen“, sagte sie dann bestimmt und trat einen Schritt zurück, ehe sie ihm wieder in die Augen sah.

„Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Deine Gegenwart gibt mir Kraft.“ Sie lächelte, wandte sich von ihm ab und schritt davon. „Wir werden uns wiedersehen, Raphael, Heiler der gebrochenen Herzen.“

‚Herr, ich bitte dich … gib mir Kraft, diesen Weg ein weiteres Mal zu gehen und endlich Frieden in die Welt zu bringen …‘, bat sie und sah mit festem Blick in die Ferne.

Sie würde erneut nach Aeriya aufbrechen und zusammen mit Sirion das Schicksal der Welt, das sie erblickt hatte, ein für alle Mal abwenden.

Schneeweiße Flügel brachen aus ihrem Rücken hervor und sie erhob sich in die Lüfte.

Raphael sah ihr nach und hoffte im Stillen, dass sie die Kraft finden mochte, ihren Weg bis zum Ende zu gehen, ohne wie ihr Bruder der Dunkelheit zu verfallen.

Es war viel Zeit vergangen, seit Miriel zuletzt die Welt ihres Schützlings besucht hatte und noch mehr Zeit war vergangen, seit sie mit ihm gesprochen hatte.

Sie erinnerte sich an ihr letztes Treffen, bei dem Sirion endlich verstanden hatte, wer sie wirklich war und sie ihre Magie nicht länger verstecken musste.

„Miriel?“ Sirion blinzelte überrascht und ein breites Grinsen ging über seine Lippen, als er sie erblickte. „Was führt dich hierher?“

Sein Herz begann höher zu schlagen und er strich sich nervös das lange Haar aus dem Gesicht. Es waren viele Tage, zu viele in Sirions Augen, vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte und er hatte beinahe vergessen, wie sie aussah.

Ihre wunderschönen blauen Augen und die leuchtende Aura, die sie umgab, zogen ihn erneut in ihren Bann und er blinzelte, um sich aus ihm zu lösen.

Er vermisste die alten Zeiten, in denen sie zusammen unterwegs gewesen waren, um die Welt zu retten und er ertappte sich dabei, wie er sich in diese zurückwünschte, nur um Miriel erneut an seiner Seite zu wissen.

Sie musterte ihn eingehend und schloss schließlich die hölzerne Tür seines Quartiers mit einem leisen Knarren. „Es ist viel Zeit vergangen …,“, begann sie schließlich und trat ans Fenster hinüber, „… seit wir die Bedrohung, die unsere Welt zu vernichten drohte, bannten. Doch haben wir etwas Wichtiges außer Acht gelassen.“ Sie schwieg einige Augenblicke. „Ich habe es gesehen, das Ende.“

„Wovon sprichst du?“, fragte er dann verwundert und bedeutete ihr, sich zu setzen, ehe er sich ihr gegenüber niederließ und die Feuerstelle wie durch Zauberhand entflammte und dem Raum zusätzliches Licht und Wärme spendete.

Sirion kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. Dann presste er die Fingerspitzen aneinander und stützte sein Kinn darauf ab. Kannte sie etwa die Antwort, nach der er so verzweifelt suchte?

„Ich hatte eine Vision. Der Heilige Gral vermag es nicht ewig, das Gleichgewicht zu halten und den Kreis zu schließen. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, waren all unser Schmerz, all unsere Opfer umsonst …“ Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie jene Worte sprach und das Bild ihres Bruders schoss vor ihrem inneren Auge vorbei.

„Der Kreis?“ Sirion runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Seine Gedanken rasten, doch wusste er nicht, wovon Miriel sprach.

‚Der Kreis …‘, wiederholte er in Gedanken und einige Augenblicke später weiteten sich seine Augen.

„Der Kreis des Lebens? Ist es das?“ Er nickte verstehend und sein Herz begann zu rasen, als er erkannte, dass es genau die Antwort war, nach der er all die Zeit vergeblich gesucht hatte.

Sie nickte und überlegte, wie sie beginnen sollte.

„Als das Teala der Dunkelheit getötet wurde und …“, sie hielt für einen Moment inne und sah zu Boden, dann atmete sie tief durch und blickte Sirion schließlich direkt in die Augen. „… mein Bruder versuchte, die anderen Teala ebenfalls auszulöschen, wurde das Gleichgewicht von Leben und Tod, der Kreislauf des Lebens wie ihr es nennt, durchbrochen, erinnerst du dich? Damals glaubten wir alles verloren …“ Sie hielt inne und musterte Sirion eingehend.

„Ja, ich erinnere mich …“ Er nickte langsam und rieb sich die Stirn.

‚Wie konnte ich etwas so Wichtiges nur vergessen?‘, dachte er resigniert und seufzte kaum hörbar.

„Ohne ihn vermag kein Wesen wirklich zu sterben oder ein anderes Leben zu geben. Das Chaos, das hieraus folgen wird, wird uns alle letztlich vernichten, denn die Toten werden beginnen, in dieser Welt zu wandeln, und ich denke, du weißt, was das bedeutet.“

Sirion schluckte hart und erschauderte. Miriel hatte recht. Ohne den Kreislauf des Lebens waren sie alle verloren. Er kannte die Geschichten, doch wusste er nicht, was sie tun konnten, um ihr Schicksal zu verändern und ihr drohendes Ende aufzuhalten.

Er trat an das hohe Regal heran und begann, nach einem Buch zu suchen.

„Aber natürlich!“, meinte er dann und wandte sich wieder Miriel zu, als er nicht fand, wonach er suchte. „In all dem Durcheinander und deinem nahenden Tod hab‘ ich das völlig außer Acht gelassen! Ich war einzig und allein darauf fixiert, dich zu retten und die Welt vor ihrem Untergang zu bewahren! Wie konnte ich nur so etwas Entscheidendes außer Acht lassen?“

Empört begann er, im Kreis zu laufen. „Ich hätte mich mehr konzentrieren müssen, mehr darauf achten müssen, was geschah … Es ist meine Schuld, dass es nun so weit gekommen ist“, meinte er dann schuldbewusst. ‚So hätte mich Yasu sicher niemals akzeptiert. Als Herr der Lüfte und Wächter allen Wissens ist es selbstverständlich, all diese Dinge zu bedenken. Ich habe versagt … ich habe mich weder als würdig erwiesen, noch das geschafft, weswegen wir aufgebrochen waren.

Resigniert ließ er den Kopf schließlich hängen und kam zum Stehen.

„Was können wir tun?“, fragte er hilflos und sah Miriel an.

„Wir müssen erneut aufbrechen und den Herrscher der Lüfte finden. Ich bin sicher, er kennt die Antwort“, murmelte Miriel dann zögerlich. Sirion schien nicht ganz überzeugt und tiefe Falten durchzogen seine Stirn.

„Sirion, das Wissen des Universums wohnt in ihm, wenn er die Antwort nicht kennt, dann kennt sie niemand. Er ist unsere einzige Hoffnung!“

„Du hast nichts zu befürchten“, versuchte Cerin Fidell zu beruhigen, als er bemerkte, wie sie am ganzen Körper zitterte. „Beruhige dich. Ich habe dich alles gelehrt, was du wissen musst. Du warst eine wunderbare und sehr wissbegierige Schülerin. Ich habe keine Zweifel, dass du meine Fragen ohne große Mühe beantworten kannst.“ Er lächelte, um seine Worte zu untermalen.

Fidell sah ihn verständnislos an und wagte es nicht, den Mund aufzumachen. Nur mit Mühe gelang es ihr, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, indem sie diese aneinander presste.

Was würde geschehen, wenn sie auf Cerins Fragen keine Antwort wusste? Fidell erschauderte, als sie an die bittere Enttäuschung dachte, die sie mit Sicherheit in Cerins Augen erkennen würde, sollte sie die Prüfung nicht bestehen und sie wünschte sich noch mehr, einfach davonzulaufen.

Maiya hatte sich etwas abseits auf einem kleinen Erdhügel niedergelassen und lächelte Fidell aufmunternd an. Sie wusste, dass sie den Fragen Cerins gewachsen war.

„Es ist ja nicht so, dass du bestraft werden würdest, wenn du eine falsche Antwort gibst“, warf sie dann schließlich ein, als ihr klar wurde, dass Cerins Versuche, Fidell zu beruhigen, allesamt scheiterten und sie stattdessen nur noch nervöser wurde. „Vertrau mir, es wird alles gut werden. Denke einfach daran, was du gelernt hast und du wirst bestehen.“

Fidell warf ihr einen ängstlichen Blick zu, unfähig etwas zu erwidern.

„Setz dich, bitte“, meinte Cerin dann lächelnd und bedeutete ihr, Platz zu nehmen.

Fidell fühlte sich plötzlich an ihre erste Lektion zurückerinnert und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Auch damals hatte sie befürchtet zu versagen, doch Cerins unendliche Geduld hatte sie letztlich vom Gegenteil überzeugt und in ihr den Wunsch geweckt, alles über die Heilkünste der Elfen zu erfahren.

Langsam sank sie zu Boden und atmete tief durch. Ihr Herz schlug ihr noch immer bis zum Hals, doch gelang es ihr allmählich, sich zu beruhigen.

„Gut so“, sagte Cerin dann und sank ihr gegenüber im Schneidersitz zu Boden. „Wollen wir beginnen?“

Fidell nickte langsam und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich werde dir Heilkräuter nennen und du sagst mir, wo sie Anwendung finden und wie sie aussehen. Es ist ganz einfach“, erklärte er und überlegte, womit er beginnen sollte.

„Goldblume.“

Fidell dachte einige Augenblicke nach, ehe sie antwortete: „Ihr Stängel und Blätter sind hellgrün und behaart. Die Blüten tragen eine goldgelbe Farbe, deswegen nennt man sie auch Goldblume. Sie reinigt, wirkt Entzündungen entgegen und hilft, die Wundheilung zu unterstützen.“

„Sehr gut“, lobte Cerin sie lächelnd.

„Narden.“

Jetzt konnte Fidell ein Grinsen nicht mehr unterdrücken, denn der Gedanke an ihre erste Begegnung mit Cerin schoss ihr erneut durch den Kopf. Die Nardenblüte war das erste Heilkraut, das sie damals kennengelernt hatte.

„Nardenblüten tragen eine violette Farbe und bilden, ähnlich wie Weizen, eine ährenhafte Form. Ihr Duft wirkt sehr beruhigend und heilsam. Sie hat ebenfalls entzündungshemmende Eigenschaften, allerdings würde ich hier Hamamelis oder Lägenblatt bevorzugen …“ Sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, dass sie Cerins Frage bereits beantwortet hatte.

„Was kannst du mir über Valoona erzählen?“, fragte er sie dann.

„Valoona …“, murmelte Fidell leise und dachte angestrengt nach. Sie wusste, dass sie diesen Namen schon einmal gehört hatte.

Stirnrunzelnd sah sie zu Maiya hinüber, die aufmunternd nickte und ihr sagen wollte, dass sie die Antwort kannte, und dann erinnerte sie sich: „Blaugrüne, längliche Blüten. Ihre Sporen haben halluzinogene Wirkung und erlauben einem, sein Gegenüber glauben zu lassen, was immer man will. Ihr Nektar dagegen ist harmlos, er wäre höchstens schlaffördernd zu erwähnen.“

Cerin stellte ihr noch einige Fragen über die Blütezeit einzelner Blumen und Kräuter und wo man sie finden konnte.

„Und zum Schluss noch Blaumohn und Goldmohn.“

„Vier weiße bis lilafarbene Blüten. Die Kapsel, die die milchige Flüssigkeit enthält, ist rundlich. Sie wird gegen starke Schmerzen angewandt. Seine Nutzung ist aber sehr gefährlich, da eine zu hohe Dosierung tödlich sein kann … Goldmohn hat eine schwächere schmerzstillende, wie auch beruhigende Wirkung, ist aber ebenfalls giftig. Im Gegensatz zu Blaumohn ist der Saft allerdings wässrig und farblos. Mit beiden Pflanzen sollte man sehr vorsichtig umgehen und sie nur einsetzen, wenn man keine andere Wahl hat und vor allem weiß, wie man sie richtig anwendet.“

Fidell sah Cerin erwartungsvoll an.

Zu ihrer eigenen Überraschung war es ihr doch tatsächlich gelungen, alle seine Fragen ohne große Probleme richtig zu beantworten.

Maiya kam mit einem breiten Grinsen auf den Lippen näher und schloss sie schließlich in die Arme.

„Ich wusste, du schaffst das“, meinte sie stolz und schob Fidell auf Armeslänge von sich. Fidell errötete leicht und wandte den Blick ab.

„Ich hatte den besten Lehrer, den man sich vorstellen kann“, entgegnete sie lächelnd und nickte Cerin dankend zu. Ohne seine Hilfe, so glaubte sie, hätte sie ihren Weg bereits vor langer Zeit verloren.

Ihre Gedanken glitten zu Elantris zurück und sie schluckte hart, als sie sich an ihren Schwur erinnerte. Nun war also die Zeit gekommen, dachte Fidell traurig und blickte in die Ferne.

‚Ich will nicht fort von hier …‘, dachte Fidell, den Tränen nahe, als sie in aller Stille ihre Sachen zusammenpackte und leise ins Freie schlüpfte.

Ihr Atem kondensierte in kleinen Wölkchen vor ihren Augen und schwebte davon.

Am fernen Horizont begann es allmählich zu dämmern und das Schwarz des Nachthimmels wandelte sich langsam zu einem immer heller werdenden rotgoldenen Ton.

Fidell warf einen traurigen Blick zurück. Sie wollte diesen Ort, den sie ihr neues Zuhause nannte und an dem sie sich geborgen und sicher fühlte, nicht verlassen.

„Guten Morgen“, meinte eine freundliche, vertraute Stimme plötzlich und ließ Fidell erschrocken herumfahren. Bei der ruckartigen Bewegung glitt ihr die lederne Tasche von der Schulter und schlug mit einem dumpfen Schlag am Boden auf.

„Meera, du hast mich schier zu Tode erschreckt!“, entgegnete Fidell schwer atmend und fasste sich an die Brust. Ihr Herz raste.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Es ist ungewöhnlich, dich im Morgengrauen auf den Beinen zu sehen“, bemerkte Meera lächelnd und musterte sie eingehend.

„Was tust du?“ Sie legte den Kopf schief und starrte die lederne Tasche zu Fidells Füßen an.

„Willst du uns etwa … verlassen?“, fragte sie dann zögerlich und kam einen Schritt näher.

Fidell wich zurück und sah sie nur mit großen Augen an, unfähig etwas zu erwidern. Sie hatte gehofft, niemandem auf ihrem Weg zu begegnen oder sich gar für ihr Tun rechtfertigen zu müssen, wenn sie im Morgengrauen aufbrach.

„I-ich …“, begann sie kaum hörbar und sah zu Boden. Tränen begannen in ihren Augen emporzusteigen. „Ich muss nach Therun gehen, halt mich nicht auf!“, presste sie dann unter zusammen gebissenen Zähnen hervor und stürmte an Meera vorbei.

„Nach Therun? Aber wieso?“, rief diese ihr nach und folgte ihr schließlich.

„Fidell, so warte doch!“ Meera bekam sie am Arm zu fassen und zwang sie, stehenzubleiben.

„Warum musst du uns verlassen? Warum musst du nach Therun gehen?“, fragte Meera mit zitternder Stimme und lockerte schließlich ihren Griff um Fidells Arm. „Fidell, sieh mich an … bitte …“

Sie konnte fühlen, wie Fidells Körper unter der Anstrengung, ihre Tränen zurückzuhalten, erzitterte.

Es vergingen einige Momente, ehe sie sich ihr zuwandte und sie mit traurigen Augen ansah.

Meera wich einen Schritt zurück, als sie den Schmerz in ihrem Innern erspürte und fasste sich betrübt an die Brust. Der stechende Schmerz, der ihr Herz durchfuhr, verschwand nach wenigen Augenblicken wieder, doch war sie sicher, dass Fidell diesen nach wie vor spüren konnte.

„Sag mir … warum willst du nach Therun gehen? Hast du Len’Nenia nicht dein neues Zuhause genannt? Fühlst du dich hier denn nicht mehr wohl?“

Fidell zuckte zusammen und schüttelte heftig den Kopf. „Nein, ganz im Gegenteil! Ich möchte nicht fort von hier!“, rief sie mit zitternder Stimme. „Ich liebe diesen Ort, ich möchte für immer hier bleiben!“

Meera legte eine Hand auf ihre Schulter und zog sie zu sich. Fidell wehrte sich nicht und begann in ihren Armen bitterlich zu weinen.

Es verging eine Ewigkeit, ehe sie sich aus ihrer Umarmung löste und sich allmählich beruhigte. Meera sagte all die Zeit über nicht ein Wort und wartete geduldig darauf, dass Fidell ihr von ihrem Kummer berichtete.

„Ich habe Elantris versprochen, die Magie zu erlernen. Als ich in Nöten war, war sie die Einzige, die sich neben Sirion meiner angenommen hatte. Und als sie … gestorben ist, habe ich mir geschworen, dieses Versprechen zu erfüllen und zu einer großartigen Magierin zu werden, auf die sie stolz gewesen wäre …“ Sie schwieg für einen Moment und blickte in den heller werdenden Himmel hinauf. „Deswegen muss ich nach Therun gehen, nur dort kann ich mein Versprechen erfüllen … Ich muss einen neuen Meister finden, der mich die Magie lehrt.“

Ein schwaches Lächeln huschte über Meeras Lippen. „Nichts spricht dagegen, dass du die Magie hier erlernst.“

„Aber …“, warf Fidell zögerlich ein, doch Meera schüttelte bestimmt den Kopf und sie verstummte.

„Es mag schwerer für dich sein, unsere Art der Magie zu erlernen, aber es ist nicht unmöglich. Du hast die Kunst des Heilens ebenfalls gemeistert, warum also solltest du hier scheitern? Je mehr Zeit du hier mit uns verbringst, desto mehr wirst du wie wir werden. Du magst zwar von Geburt an ein Mensch sein, aber in all der Zeit, die du mit uns verbracht hast, bist du mehr und mehr zu einer der unsrigen geworden.“

„Aber ich dachte immer, die Magie der Elfen ist etwas Besonderes. Eine Kunst, die nur die Elfen selbst meistern können? Kein Mensch besitzt die Kraft, sich eure Magie zu eigen zu machen.“

Meera schüttelte den Kopf. „Unsere Magie unterscheidet sich nur in einem Punkt; einem Punkt, den du bereits gemeistert hast.“

Fidell legte den Kopf schief und ein Lächeln ging über Meeras Lippen, als sie ihr direkt in die Augen sah. Angestrengt dachte sie darüber nach und schüttelte dann langsam den Kopf, als sie nicht wusste, worauf Meera anspielen wollte. „Ich verstehe nicht“, murmelte sie leise und trat betrübt einen Schritt zurück, dann sah sie zu Boden.

„Fidell, in deiner Ausbildung zur Heilerin hast du gelernt, was es bedeutet, eine der unsrigen zu sein. Du hast gelernt, die Wege des Lebens, die Kraft unserer Erde, zu verstehen und dir zunutze zu machen. Unsere Magie wächst mit unserem Wissen dieser Kraft. Wir brauchen keine Zauber, wie die Menschen dies tun, um unsere Magie auszuüben, verstehst du? Unsere Magie kommt von der Natur, die uns umgibt. Alles, was du um dich herum siehst, ist mit Magie durchzogen. Jeder Grashalm, jeder Stein, jedes Lebewesen. Ja, sogar die Luft, die uns umgibt. Die Magie lebt in uns allen und wir leben in ihr. Wir sind alle Teil des Ganzen. Wenn du das verstehst, dann wirst du unseren Weg der Magie meistern. Vertrau darauf,“, Meera deutete auf ihr Herz, „vertrau auf uns.“

Fidell sah sie fragend an und nickte dann einige Augenblicke später zögerlich. Sie war sich nicht sicher, doch glaubte sie, zumindest einen Teil dessen verstanden zu haben und ihre Miene hellte sich auf.

„Du hast die Gabe und die Kraft, unsere Magie zu meistern, du musst es nur wollen. Du hast dich im Laufe der Zeit so sehr verändert; dein Herz ist dem unsrigen so nahe gekommen. Verlass uns jetzt nicht, bitte.“ Meera lächelte bei diesen Worten und nickte ihr aufmunternd zu. Dann schwieg sie einen Moment und ließ ihre Worte auf Fidell wirken.

„Elantris hätte sicher nicht gewollt, dass du dich ihretwegen quälst“, fuhr sie dann fort. „Glaub mir, Cerin wäre überglücklich, dich ebenfalls in der Kunst der Magie zu unterweisen und ich werde dich auch unterstützen, wenn du es möchtest. Du bist nicht allein. Wenn du Sorgen hast, komm zu mir. Ich werde dir helfen, wo immer ich kann.“

„Ich kann … hierbleiben? Wirklich?“ Fidells Stimme begann erneut zu zittern, doch schaffte sie es diesmal, sich unter Kontrolle zu halten und stattdessen ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.

Sie fühlte, wie eine unsagbar schwere Last von ihren Schultern fiel und all der Kummer, den sie die letzten Tage mit sich getragen hatte, vom sanften Morgenwind davon geblasen wurde.

KAPITEL 2

„Verdammt!“, schrie Lian völlig außer sich und schlug mit seiner flachen Hand auf die Felswand vor sich ein. Der Schmerz, der für einen Augenblick seine Handfläche durchzog, wurde im Nu von der unbändigen Wut in seinem Innern verschlungen und er ballte die Hände zu Fäusten. Wieder schien ihm sein Ziel ferner denn je zuvor.

Missgelaunt wischte er sich schließlich seine blutigen Hände an seiner Kleidung ab. Dann warf er einen eisigen Blick zurück und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Der Zorn, der nun in seinem Innern immer heißer brannte, war unerträglich geworden.

Hinter ihm lagen zwei ältere Herren blutüberströmt am Boden und rührten sich nicht. Lian schnaubte aufgebracht und wandte sich den reglosen Körpern zu.

„Was ist es nur an euch Menschen, das euch diese Welt erobern ließ? Ihr seid schwach und zerbrechlich. Eine falsche Bewegung eurer Körper und ihr fallt in euch zusammen und verrottet. Nicht einmal eure Lebensspanne lässt euch glänzen. Ihr seid ein Nichts und doch habt ihr es geschafft, die Büchse all diese Zeit versteckt zu halten und die Fehler eurer Vergangenheit nicht zu wiederholen.“

Er schüttelte angewidert den Kopf und trat den Körper des schwarzhaarigen Mannes, so dass dieser zur Seite rollte und knapp am Rand des Abgrundes zum Halten kam. Ein weiterer Tritt und er stürzte in die schwarze Tiefe hinab.

Lian verzog das Gesicht, als er einen leisen, kaum hörbaren, dumpfen Knall vernahm, dann wandte er sich vom Abgrund ab und verließ die Höhle schnellen Schrittes.

Er folgte dem Gang, den er gekommen war, und bog dann rechts in einen ihm unbekannten Weg ab. Dank seiner Herkunft fiel es ihm nicht sonderlich schwer, in der Dunkelheit etwas zu erkennen und sich sicheren Schrittes fortzubewegen.

‚Sie kann nicht einfach so verschwinden‘, dachte er wütend und ballte die Hände erneut zu Fäusten. ‚Was also ist geschehen? Bis vor kurzem hat sie sich noch an eben diesem Ort befunden. Ich habe es gesehen, ich konnte ihre Magie sogar noch immer fühlen. Was habt ihr mit ihr angestellt? Wohin habt ihr sie gebracht?‘

Er folgte dem Gang in die Tiefe hinab und bemerkte nach einiger Zeit, wie die Luft um ihn herum immer wärmer und stickiger wurde, doch das störte ihn nicht, immerhin war seine Heimat ähnlich beschaffen.

Nach einiger Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit erschien, öffnete sich der schmale Gang in eine riesige Höhle, die durch schwaches, rotes Licht nur minimal erhellt wurde.

Er sah sich interessiert um und bemerkte, dass das schwache, rote Licht durch glühendes Magma erzeugt wurde, das im hinteren Teil der Höhle entlang floss.

Lian hielt es aber für besser, sich diesem Bereich nicht weiter zu nähern und beschränkte seinen Aufenthalt auf das vordere Areal, als plötzlich etwas außerhalb der Höhle, nur wenige Schritte von ihm entfernt, seine Aufmerksamkeit erregte.

Neugierig näherte er sich der kleinen Öffnung, die in eine winzige Kammer mündete.

Lian zwängte sich mit Mühe hindurch und erkannte auf der anderen Seite eine kleine Anhöhe, auf der eine Handvoll Bücher oder Schriftrollen lagen.

Ga’ah mae vaa!“, murmelte er und schickte winzige Lichtkügelchen zur Decke, die den kleinen Raum erhellten.

Jetzt erkannte er, dass es sich um mehrere, in dunkelbraunes Leder gehüllte Bücher handelte.

Neugierig schlug er das lederne Tuch zur Seite und zog eines der Bücher hervor.

Eine dünne Staubschicht bedeutete ihm, dass bis vor kurzem noch jemand diese Bücher in Händen gehalten und gelesen haben musste.

Neugierig schlug er das Buch auf und schnappte überrascht nach Luft, als er erkannte, dass es sich um die niedergeschriebenen Ereignisse, ausgelöst durch die dunkle Macht, die im Innern der Büchse ruhte, handelte.

Fasziniert las er die erste Seite des Buches und ein euphorisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er hoffte, in jenen Büchern nun endlich die Antwort zu finden, die er so vergeblich suchte und die ihn seinem Ziel näherbringen sollte.

Gedankenverloren starrte Fidell in die Ferne und lauschte dem Rauschen der Blätter im Wind. Ein leichtes Frösteln schüttelte ihren Körper, als eine starke Windbö an ihrer Kleidung zerrte und sie aus dem Gleichgewicht brachte.

Sie blinzelte überrascht und lächelte schließlich verlegen.

‚Die Tage werden kürzer und immer kühler‘, dachte sie und rieb sich die Schultern. ‚Der Winter wird bald hereinbrechen.‘

„Was tust du hier so weit draußen?“, hörte sie Cerins freundliche Stimme hinter sich sagen, doch ehe sie sich ihm zuwandte, entgegnete sie: „Ich beobachte, wie die Blätter der Bäume langsam die Farbe der Sonne annehmen, um diese zu ehren …“ Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. „… und ihr zu danken für all die Wärme und das Leben, das sie gab.“

Cerin lächelte und kam näher.

„Es ist Zeit zurückzukehren und deine Ausbildung fortzusetzen“, meinte er dann nur und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

Fidell sah zu Boden und nickte schließlich.

Obwohl ihr Meera versichert hatte, die Magie der Elfen erlernen und so ihren Schwur Elantris gegenüber erfüllen zu können, so hatte sie sich in den vergangenen Tagen doch den Kopf zerbrochen und sich gefragt, ob es wirklich das Richtige war, was sie tat.

Cerin schien ihre Zweifel zu spüren und lächelte ihr aufmunternd zu.

„Hab keine Sorge, du wirst bestehen und dein Versprechen erfüllen.“

Fidell sah ihn an und schluckte hart, dann nickte sie langsam. „Es tut mir leid, ich …“ Sie brach ab und wandte sich um. „… Ich wünschte, sie wäre noch hier bei mir“, murmelte sie dann leise.

„Sie wird immer bei dir sein, solange du dich an sie erinnerst und sie in deinem Herzen trägst“, entgegnete Cerin ruhig und blickte in den Himmel.

Dunkle Wolken brauten sich am Horizont zusammen und Cerin konnte spüren, wie sich etwas veränderte. Er wusste, dass nicht viel Zeit blieb, ehe ein Unwetter über sie hereinbrach und er wollte Fidell zumindest einen kleinen Einblick in das geben, was sie in ihrer kommenden Ausbildung zur Magierin erwartete.

„Wir können ebenso hier beginnen, wenn du es wünschst“, meinte er dann nach einigen Augenblicken und ließ sich schließlich im Gras nieder.

Fidell nickte zögerlich und sank ihm gegenüber zu Boden. „Ich bin bereit“, entgegnete sie ernst und versteifte sich.

Obwohl sie wusste, dass Cerin ein überaus geduldiger und freundlicher Lehrmeister war, hatte sie doch Sorge, seinen Anforderungen gerecht zu werden und die ihr gestellten Aufgaben zu meistern, ehe er die Geduld verlor.

Die Kunst des Heilens zu erlernen war ein Kinderspiel gewesen, fand sie, doch nach den Geschichten, die sie über die Magie der Elfen gehört hatte, war sie sich nun nicht mehr sicher, was sie tun sollte und fürchtete zu versagen. Sie hatte nicht die Bindung zu Gaia, wie die Elfen sie hatten. Und wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht einmal spüren, was die Natur um sie herum bewegte.

„Schließ deine Augen“, forderte Cerin sie nun auf und beobachtete jede ihrer Bewegungen eingehend.

Fidell schloss die Augen und versuchte, sich zu entspannen.

„Lass los und versuch an nichts zu denken.“

Er wartete einige Augenblicke, um ihr die Chance zu geben, ihren Geist zu befreien, dann fuhr er fort. „Und jetzt … konzentrier dich auf die Kraft, die in dir schlummert. Spüre sie, ergreife sie. Werde eins mit ihr.“

Nun schloss Cerin ebenfalls die Augen und griff nach der Macht in seinem Innern. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er die unglaubliche Wärme fühlte, die ihn nun durchfloss.

Er blinzelte und sah zu Fidell hinüber, die ihn mit großen Augen anstarrte.

„Es ist nicht leicht, sie auf Anhieb zu erkennen“, meinte er dann lächelnd und streckte ihr seine rechte Faust entgegen.

Als er diese öffnete erstrahlte ein helles Licht in ihr und ließ Fidell erschrocken zusammenfahren. „Dies ist nur ein Teil der unbändigen Kraft, die im Herzen eines jeden Wesens ruht. Wenn du es schaffst, sie zum Vorschein zu bringen, so wie ich dies nun tue, werden wir deine Ausbildung fortführen.“

Fidell nickte und starrte weiterhin auf das helle Licht in Cerins Handfläche.

Sie konnte spüren, wie eine reine und mächtige Kraft von ihm ausging, eine Kraft, die sich so sehr von dem, was sie in Sirions Gegenwart stets verspürt hatte, unterschied, dass sie Zweifel hatte, diese Energie in ihrem Innern zu finden.

Das Licht verblasste und Cerin sah sie erwartungsvoll an. „Nur zu, versuch‘ es.“

Fidell schloss die Augen und versuchte, sich auf ihr Innerstes zu konzentrieren, doch konnte sie in all der Tiefe nichts erspüren, das sich auch nur annähernd wie das Licht anfühlte, das Cerin Augenblicke zuvor heraufbeschworen hatte.

Enttäuscht öffnete sie wieder die Augen und sah betreten zu Boden.

„Du darfst es nicht erzwingen“, erklärte er lächelnd. „Lass deinen Gedanken freien Lauf. Wenn du soweit bist, wird es von selbst zu dir kommen. Selbst Elantris hatte große Schwierigkeiten, diese Aufgabe zu meistern.“

Fidell sah überrascht auf.

„Ihr habt Elantris unterrichtet?“, fragte sie neugierig und legte den Kopf schief.

„Ich begann nur ihre Ausbildung, doch dann beschloss sie, nach Therun zu gehen. Sie konnte nicht loslassen und hat vergeblich versucht, Antworten zu finden über die Kraft, die ihre Heimat einst vernichtete. Antworten, die ich ihr nicht geben konnte.“

Cerin sah betrübt zu Boden, und Fidell wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also schwieg sie.

Augenblicke, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen, vergingen, als plötzlich einzelne Regentropfen zu Boden fielen und sie aus ihren Gedanken rissen.

„Lass es uns für heute beenden“, meinte Cerin dann und blickte in den Himmel hinauf. „Du kannst diesen Teil deiner Ausbildung auch ohne mich fortführen.“

„Die Nächte sind kühl geworden“, bemerkte Sirion und beobachtete die kleinen Wolken, die vor seinem Mund entstanden und langsam davon schwebten.

Sein Blick wanderte zum Himmel empor, an dem noch immer tausende winziger Lichtpunkte zu sehen waren, die langsam dem heller werdenden Morgenlicht wichen.

Miriel saß still neben ihm und sah ihn mit großen Augen an. Sie fühlte diese Kälte nicht, die er beschrieb.

„Du solltest etwas essen“, meinte Miriel nach einer Weile und riss ihn schließlich aus seinen Gedanken.

Sirion schüttelte den Kopf und sah sie an.

„Ich habe keinen Hunger“, entgegnete er nur und erhob sich. „Lass uns lieber weiter gehen, ehe ich erfriere.“ Er rieb sich über die Schultern und versuchte, sich so etwas aufzuwärmen.

„Verzeih“, murmelte Miriel schließlich und sah schuldbewusst zu Boden. Dann erhob sie sich ebenfalls und zog das Tuch, auf dem sie gesessen hatte, mit sich. „Hier, es wird dich warm halten.“

Sirion sah sie verständnislos an, ehe ihm klar wurde, dass sie vermutlich aufgrund ihrer Herkunft die Kälte nicht spürte. Dann nahm er das Tuch dankend an und warf es sich über die Schultern.

Sofort durchströmte ihn eine unbeschreibliche Wärme, die sogar die Kälte in seinem Herzen vertrieb, die ihn seit sie von Therun aufgebrochen waren begleitete. Erstaunt schnappte er nach Luft. Die Magie, die sie über das Tuch gelegt hatte, war mächtig, stellte er fest.

„Ich wusste nicht, dass ihr Menschen so reagiert. Verzeih mir.“

Sirion schüttelte den Kopf und lächelte.

Er war froh, Miriel nun endlich als das erleben zu können, was sie war: ein Wesen des himmlischen Reiches; sein Schutzengel.

Sirion setzte sich in Bewegung und führte Miriel Richtung Osten, der aufgehenden Sonne entgegen.

Als die ersten Sonnenstrahlen am Horizont zu erblicken waren, blieb er stehen und genoss das wärmende Gefühl, das ihre Strahlen mit sich brachten. Ein Schauder rann seinen Rücken hinab, als die Wärme der Sonne endlich die Kälte in seinen Gliedern vertrieb und er blinzelte.

Miriel, die neben ihm stand, beobachtete das Schauspiel des goldenen Lichts aufmerksam und lächelte. Es war einige Zeit vergangen, seit sie zuletzt etwas Derartiges erblicken durfte.

In ihrer Heimat gab es keine Nacht, denn kaum begann die Sonne am Horizont hinabzusinken, begann eine weitere in entgegengesetzter Richtung aufzusteigen, um den Tag aufs Neue anbrechen zu lassen. Die schwache Dämmerung und Färbung des Himmels, die hierbei entstand, war nichts im Vergleich zu dem wundervollen Anblick, den sie hier in Aeriya erblicken durfte.

Saphire blickte in die Ferne und ließ seine Gedanken treiben.

Die Geschehnisse der nahen Vergangenheit machten ihm noch immer zu schaffen und er wusste nicht recht, was er tun konnte, um sich von dieser Last zu befreien.

Dann kam ihm Lyria in den Sinn, die zusammen mit Eryn einige Zeit spurlos verschwunden war. Er hatte sie ziehen lassen, in der Hoffnung, sie würde selbst erkennen, wo ihr Platz war; und schließlich, eines Tages, stand sie am Ufer des Meeres und wollte sich tapfer ihren Aufgaben als künftige Herrscherin stellen.

Saphire wusste, dass sie noch immer tief in ihrem Inneren einen Groll gegen ihn hegte für das, was er ihr angetan hatte, und er konnte ihr keinen Vorwurf machen. So beschloss er, sich in die Tiefen der Meere zurückzuziehen, bis sie ihm verzeihen konnte. Seither hatte er sie nicht wiedergesehen.

Hinter ihm regte sich plötzlich etwas und er wandte sich neugierig um.

Seine Gefährten, die Wächter der Elemente, hatten sich nun endlich alle versammelt.

Es ist viel Zeit vergangen, seit wir uns zuletzt alle versammelt haben, um die Wiedergeburt eines der unsrigen zu erwarten‘, bemerkte Saphire schließlich mit gesenktem Kopf.

Er bedauerte zutiefst, was Beren widerfahren war, und hoffte inständig, dass sich jene dunklen Ereignisse nicht noch einmal wiederholen mochten.

Als hätte Gaia seine Gedanken gelesen, entgegnete sie ruhig: „Das ist der Lauf der Dinge … niemand kann es verhindern … Wesen leben und sterben. Auch uns wird dieses Schicksal eines Tages ereilen. Du solltest dich vor dem Tod nicht fürchten. Er ist nur ein weiterer Weg, den wir alle gehen müssen. Der Tod ist nicht das Ende.“ Gedankenverloren stützte sie das Kinn auf ihren Handflächen ab und starrte auf das flache Gras vor sich.

Mir gefällt dieser Gedanke nicht‘, bemerkte Saphire und erschauderte. Wenn er ehrlich war, fürchtete er den Tod.

Ein Lächeln glitt auf Gaias Lippen und sie strich ihm vorsichtig über den Kopf.

Du bist noch jung. Deine Zeit ist noch lange nicht gekommen‘, warf Yasu schließlich ein und blickte sehnsüchtig in den klaren Himmel hinauf.

‚Berens Zeit war ebenfalls noch nicht gekommen und trotzdem musste sie ihr Leben lassen!‘, entgegnete Saphire mit finsterem Blick und flatterte dann aufgebracht durch die Lüfte.

Yasu schüttelte den Kopf und sah zu Boden. Saphire hatte recht, doch blieb ihm nichts anderes übrig, als nach vorne, der Zukunft entgegen, zu blicken.

Ein einzelner heller Stern erstrahlte in der Ferne. Die Zeit war gekommen, Yasu konnte es fühlen. Der Kreis des Lebens begann sich zu schließen und er erwartete mit Neugier das Erscheinen des wiedergeborenen Herrn des Todes.

Es würde noch einige Zeit vergehen, ehe dieser sein Schicksal erkannte und den Weg zu ihnen fand.

‚Ich frage mich, ob es diesmal eine Sie oder ein Er werden wird‘, sagte Cami neugierig und flatterte auf und ab.

Gaia sah sie an und schüttelte lächelnd den Kopf. Auch sie hatte sich diese Frage bereits gestellt und erwartete mit Sehnsucht die Ankunft ihres neuen Gefährten.

Ich werde über den wiedergeborenen Hüter der Dunkelheit wachen, bis er sein Schicksal erkennt und seine Macht annimmt‘, meinte Yasu dann, breitete seine weiten Flügel aus und erhob sich in die Luft.

Die anderen sahen ihm nach.

‚Ich sorge mich um ihn …‘, murmelte Saphire traurig, als Yasu außer Sicht war und sah besorgt zu den anderen hinüber. ‚Er hat es noch immer nicht vergessen.‘

‚Er kann es nicht vergessen‘, entgegnete Cami dann aufgebracht und schnaubte. Sie wollte nicht daran erinnert werden und warf Saphire einen vernichtenden Blick zu. Bei jeder ihrer Bewegungen loderten kleine Flämmchen durch ihr goldrotes Gefieder und zeigten allen, wie verärgert sie war. ‚Keiner von uns kann das!‘

‚Nur, weil sein Wächter ihn verraten hat, heißt das noch lange nicht, dass andere so sind wie er! Keiner von uns konnte vorhersehen, was geschehen wird. Es ist nicht Yasus Schuld …‘

Gaia schüttelte den Kopf. „Nein, ist es nicht, und doch wird er sich immer vorwerfen, die wahre Natur Erans nicht rechtzeitig erkannt zu haben“, erklärte Gaia ruhig. Sie konnte Yasus Gefühle sehr gut nachvollziehen und wünschte sich verzweifelt einen Lichtblick, der Yasus Welt wieder erhellen würde. Er konnte nicht auf ewig in der Einsamkeit leben ohne dem Wahnsinn zu verfallen.

‚Sirion ist kein einfacher Wächter. Er ist der Eiri’ha, der wahre Wächter der Lüfte. Er würde dich nie verraten‘, dachte Gaia traurig. Sie alle wussten es, doch schien sich Yasu nicht davon überzeugen zu lassen.

Am nächsten Tag stand Fidell im Morgengrauen auf und beschloss, eine kleine Reise zu unternehmen, um ungestört Cerins Aufgabe zu meistern.

Sie schlich sich so leise sie konnte aus der Hütte, die sie zusammen mit Maiya errichtet hatte, und packte sich etwas Obst und Brot in ihr ledernes Täschchen.

Dann brach sie auf.

Sie war froh, dass Maiya ihr Verschwinden nicht bemerkt zu haben schien und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Es gelang ihr immer mehr, sich wie die Elfen lautlos fortzubewegen.

So sehr sie ihre Gesellschaft auch genießen mochte, dies war etwas, das sie allein und in aller Stille meistern musste. Sie wollte Cerins Aufgabe ohne Hilfe bewältigen und ihrem Ziel so einen Schritt näher kommen.

Ihr Weg führte sie über die breite Ebene zu einem schmalen Pfad, der sie ins Tal hinab führte, das sie einige Tage zuvor mit großem Kummer und Sorgen überblickt hatte und den Entschluss fasste, nach Therun zurückzugehen.

Jetzt konnte sie leichten Herzens die wundervolle herbstliche Landschaft vor sich bewundern, und sie fühlte sich in einen Traum versetzt. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie nur wenige Tage zuvor beinahe der Verzweiflung, ihre wundervolle neue Heimat verlassen zu müssen, erlegen war, und sie lächelte voller Freude. Meera hatte ihr neue Kraft gegeben und sie glaubte nun von ganzem Herzen, alles zu meistern und ihren Schwur zu erfüllen. Sie würde eine großartige Magierin werden und Elantris‘ Andenken in Ehren halten.

Als sie den Grund erreichte, stieg die Sonne am Horizont empor.

Fidell wanderte durch das Tal und erfreute sich an den goldenen Farben der Blätter, die im sanften Wind durch die Luft schwebten und in ihrer Farbe der Sonne nacheiferten. In einiger Entfernung konnte sie nun den Wald erblicken, der ihr Ziel war. Das leise Rauschen der Blätter im Wind ließ sie lächeln und sich erfreut im Kreis drehen. Sie liebte diesen Ort.

Langsam wanderte sie durch den Wald und beobachtete die einzelnen Lichtstrahlen, die durch das noch immer dichte Blätterdach brachen und goldene Muster auf den Boden warfen.

‚Dies ist ein guter Platz‘, dachte sie und blieb stehen. Sie sah sich noch einmal um und versicherte sich, auch wirklich allein und ungestört zu sein, dann sank sie auf den Boden nieder und atmete tief durch.

‚Langsam hat Cerin gesagt … es kommt von allein …‘

Sie schloss die Augen und ließ ihre Gedanken treiben.

Eine tiefe Ruhe legte sich über sie und zauberte ein unbewusstes Lächeln auf ihre Lippen.

Das Rauschen der Blätter gewann plötzlich an Intensität und je mehr sie sich auf ihr Innerstes konzentrierte, desto stärker hatte sie das Gefühl, ihre Umgebung vor ihrem inneren Auge zu erblicken.

Schemenhafte rote und goldene Punkte flackerten schließlich vor ihren Augen auf und verblassten wenige Augenblicke später wieder.

Fidells Geist schien zu wandern und ehe sie sich versah, erkannte sie etwas vor sich. Sie blinzelte und sah überrascht auf. Es dauerte einen Moment, ehe sie verstand, dass die goldenen und roten Farben den herabfallenden Blättern der Bäume glichen.

Verwundert stand sie auf und suchte nach dem Etwas, das sie letztlich vor sich entdeckt hatte. Hatte ihr Geist wirklich etwas sehen können, als sie die Augen geschlossen hatte? Oder hatte sie sich all dies nur eingebildet?

Und da war es. Vor ihr, einige Schritt entfernt, saß ein kleines pelziges Etwas, das sie mit großen dunklen Augen ansah. Überrascht schnappte Fidell nach Luft und legte den Kopf schief. Langsam setzte sie sich in Bewegung und näherte sich dem Tier.

Erst jetzt erkannte sie, dass es wohl ein junger Wolf sein musste, der vor ihr saß. ‚Wie süß!‘, dachte sie vergnügt und lächelte. Nur mit Mühe konnte sie der Versuchung widerstehen, sich niederzuknien und das Kleine zu liebkosen.

Zu ihrer Überraschung rührte es sich kein Stück. Es saß einfach nur da und sah Fidell an.

Neugierig blickte sie in den Wald hinein, doch rührte sich auch hier nirgends etwas und sie kam, von Neugier getrieben, näher.

Als sie den Welpen erreicht hatte, kniete sie vor ihm nieder und betrachtete ihn eingehend.

Ein leises Winseln drang durch die Luft und ehe sie sich versah, hatte er die Distanz zwischen ihnen überwunden und sich an ihre Knie geschmiegt. Fidell fühlte sich unwillkürlich wieder dazu verleitet, ihm über den Rücken zu streicheln und lächelte verlegen.

„Wo ist deine Mama?“, fragte sie schließlich verwundert und sah sich erneut wachsam im Wald um. Sie wusste, dass es gefährlich war, sich dem Jungen genähert zu haben, doch sie konnte nicht anders, und den letzten Schritt war das Kleine selbst gegangen.

„Hast du sie verloren?“

Fidell legte den Kopf schief und lächelte schließlich, als das Kleine es ihr gleichtat und das Köpfchen ebenfalls zur Seite neigte. „… oder ist sie etwa …“ Sie wagte es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen und verzog das Gesicht. Daran wollte sie nicht einmal denken.

Langsam erhob sie sich und starrte in den Wald hinein, auf der Suche nach irgendeiner verräterischen Bewegung, die die Mutter des Jungen offenbarte.

Nichts.

Fidell schloss die Augen und versuchte sich, wie Meera es ihr gezeigt hatte, auf ihre Umgebung zu konzentrieren und ihre Sinne zu schärfen. Doch außer dem Rauschen der Blätter im Wind und ihres eigenen Herzschlages konnte sie nichts wahrnehmen.

Mit einem enttäuschten Seufzen gab sie schließlich auf und wandte sich erneut dem Wolfsjungen zu.

„Ich kann deine Mama nicht finden, aber ich bin sicher, dass sie sich irgendwo ganz in der Nähe versteckt hält und über dich wacht.“ Sie lächelte und versuchte sich selbst einzureden, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen.

„Machs gut, Kleines, und pass auf dich auf. Deine Zutraulichkeit wird dir sonst noch zum Verhängnis werden“, meinte sie dann liebevoll und wandte sich zum Gehen.

Sie beschleunigte ihre Schritte und versuchte, ihre Zweifel zu verdrängen.

Erschrocken hielt sie aber inne, als sie plötzlich etwas Warmes und Weiches an ihrem Bein verspürte. Sie schluckte hart und sah zu Boden.

Der Welpe war ihr gefolgt und hatte sich erneut an ihr Bein geschmiegt, um sie daran zu hindern, sich weiter zu entfernen.

„Ich kann dich nicht mitnehmen, mein Kleines“, meinte Fidell lächelnd und sank zu Boden. „Geh zu deiner Mama, na komm. Sie macht sich sicher schon Sorgen um dich! Geh schon!“ Fidell wedelte mit den Händen und versuchte den Welpen zum Gehen zu bewegen, doch mehr als ein einsames Winseln gab es nicht von sich.

‚Was soll ich jetzt tun?‘, dachte sie mitfühlend und sah sich hilfesuchend um. ‚Ich kann es nicht mitnehmen, aber hier lassen kann ich es auch nicht … Ich weiß nicht, wieso, aber ich bin mir sicher, dass es ganz allein ist … und ich weiß, wie sich das anfühlt …‘

Schuldbewusst blickte sie in die großen dunklen Augen und fasste einen Entschluss.

„Ich werde Meera um Rat fragen. Als Priesterin der großen Göttin weiß sie sicher, was zu tun ist. Vielleicht kann sie auch deine Mama finden. Was hältst du davon, hm?“ Sie tätschelte den Kopf des Kleinen und hievte es sich schließlich auf die Arme.

„Du bist so weich und warm“, bemerkte sie lächelnd und errötete leicht, dann setzte sie sich wieder in Bewegung und versuchte eilends den Wald zu verlassen, aus Angst, der Mutter des Kleinen letztlich doch noch zu begegnen.

Fidell passierte die Grenzen des Waldes und setzte ihren Weg über die Ebene, deren Gras noch immer saftig grün war, fort. In der Ferne konnte sie die Klippen erkennen, die steil in die Tiefe schossen und sich schließlich in das wundervolle Tal eröffneten, durch das sie am Morgen gewandert war.

Kurz bevor sie das Ende der Ebene allerdings erreichte, wandte sie sich nach links und folgte einem engen Pfad in Richtung Gebirge.

„Ich glaube, es denkt, du seist seine Mutter“, bemerkte Maiya überrascht und musterte das Junge eingehend.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739477268
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Februar)
Schlagworte
Gut gegen Böse Licht und Dunkelheit Fantasy Dämonen Engel Elementmagie Elementwesen

Autor

  • Stephanie Rose (Autor:in)

Stephanie Rose, am 15.05.1987 in Heilbronn am Neckar geboren und im beschaulichen Städtchen Gundelsheim aufgewachsen, wurde die künstlerische Begabung von ihrem Vater, einem Goldschmiedemeister und erfolgreichen Maler expressionistischer Werke, in die Wiege gelegt. Ausgestattet mit einer regen Fantasie und stets fasziniert von Mythen und fantastischen Geschichten verfasste sie bereits während der Schulzeit Gedichte und Kurzgeschichten.
Zurück

Titel: Die Tränen der Einhörner III: Der Kreis des Lebens