Lade Inhalt...

Ein Licht in der Dunkelheit II

Wege des Schicksals

von Stephanie Rose (Autor:in)
119 Seiten

Zusammenfassung

Nachdem Sedryn zum wiederholten Male von Elea geträumt hat, macht er sich auf, sie zu suchen. Er kann einfach nicht glauben, dass sie von ihm gegangen sein soll. Sedryn scheitert und Yvannies Tochter bringt ihn nach Hause zurück. Seiner Verzweiflung folgen unglaubliche Offenbarungen, die ihn dazu ermutigen, seine Suche nicht aufzugeben. Die Vergangenheit holt die Wächter schließlich ein, als sie den Ruf einer unbekannten Macht vernehmen. Eine Macht, stark genug, ihre Welt zu vernichten … Wird es den Wächtern gelingen, ihre Welt zu retten? Und wird es Sedryn gelingen, seinen Wunsch zu erfüllen, seine große Liebe wiederzusehen?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


PROLOG

‚Ist das das Ende? Werde ich sie nie wiedersehen?‘

Sedryn lag am Boden, kraftlos und erschöpft. Vor seinen Augen kämpfte die Dunkelheit gegen ein näherkommendes Licht.

Jetzt, da er so weit gekommen war, konnte er doch nicht sterben?

Aber war nicht genau das die Lösung?

Elea war gestorben. Ihr in den Tod zu folgen, ermöglichte ihm vielleicht, sie wiederzusehen.

Aber was, wenn er sich irrte? Er würde nicht zurückkehren können und seine Geliebte für immer verlieren.

Die Dunkelheit breitete sich immer mehr vor seinen Augen aus und er drohte, das Bewusstsein zu verlieren.

Das Licht, das er gesehen hatte, war verschwunden und zurück blieb eine eisige Dunkelheit, die ihn mit sich trug …

Was war geschehen?

Sedryn hatte sich, nachdem er zum wiederholten Male von Elea träumte, dazu entschlossen, sie zu suchen.

In seinen Augen waren jene Träume keine Träume, sondern Visionen, die Elea ihm schickte, um ihm zu zeigen, dass sie noch immer am Leben war und auf ihn wartete. Sie rief nach ihm, damit er sich auf die Suche nach ihr begeben würde, da war er sich sicher.

Yvannie hatte, wie auch die Male zuvor, versucht, ihn davon zu überzeugen, dass sie nicht mehr am Leben war; dass sie für ihn gestorben war. Auch wenn sie es nie vermocht hatte, ihn zu überzeugen, so hatte er doch sein Vorhaben, sie zu suchen, aufgegeben. Diesmal allerdings nicht.

Yvannie ließ ihn ziehen, in der Hoffnung, dass er vielleicht doch eines Tages das finden mochte, was er suchte, auch wenn sie selbst nicht daran glauben konnte.

Es tat ihr so unendlich weh, Sedryn jeden Tag aufs Neue leiden zu sehen, wo sie sich für ihn doch nichts mehr wünschte, als dass er endlich mit der Vergangenheit abschließen und ein neues Leben beginnen konnte, wie sie es vermocht hatte.

Und so hatte er sich aufgemacht, sie zu suchen …

KAPITEL 1

Es war kalt und dunkel, als Sedryn die Augen öffnete. Das seltsame Gefühl, das ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, war verschwunden.

Als er sich aufsetzte, konnte er sehen, wie sein Atem vor ihm in kleinen Wolken kondensierte, die sofort davon schwebten und sich in Nichts auflösten.

„Was war das?“, flüsterte er in die Dunkelheit hinaus und runzelte die Stirn.

Wurde er beobachtet?

Das seltsame Gefühl, das ihn überkommen hatte, war verschwunden und er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was es gewesen war, dass ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.

Er stand auf und sah sich nachdenklich um. Etwas war anders, fühlte er, doch nachdem er sich sicher war, allein zu sein, packte er seine Sachen zusammen und brach, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, auf.

Die Nächte waren lang und kalt geworden und er vermochte nicht zu sagen, ob es nahe der Dämmerung war, als er seine Reise fortsetzte.

Er wanderte nun schon seit unzähligen Tagen ziellos durch die Gegend, ohne zu wissen, wo er zu suchen beginnen sollte.

Seine Träume, die ihn all die Zeit über geführt hatten, blieben aus und so war er auf sich allein gestellt.

Er fragte sich immer und immer wieder, warum Elea ihn in seinen Träumen nicht mehr aufsuchte, um ihm den Weg zu weisen.

War etwas geschehen, das sie davon abhielt? Oder lag es an ihm, dass er ihre Worte nicht mehr zu vernehmen mochte?

War er vielleicht zu sehr darauf versessen, sie wiederzusehen, dass er vergessen hatte, auf sein Herz zu hören?

Er horchte in sich hinein, in der Hoffnung, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Nichts. Etwas schien anders zu sein, spürte er, doch irgendetwas hinderte ihn daran zu begreifen, was es war.

Stirnrunzelnd sah er zum Himmel empor, an dem noch immer tausende winziger Sterne zu sehen waren.

‚Warum sprichst du nicht mehr zu mir? Bist du verärgert?‘, fragte er in Gedanken und seufzte innerlich.

Er wusste nicht recht, was er tun sollte, denn er hatte nichts, woran er sich orientieren konnte, um Elea zu finden. Alles was er hatte, waren jene verschwommenen Bilder eines Ortes, der ihm so vertraut schien.

Während er, ohne nachzudenken, seinen Weg fortsetzte, kreisten seine Gedanken immer wieder um eben diesen Ort.

Wo mochte er sein, dieser Ort? Und wo hatte er ihn schon einmal gesehen?

So sehr er sich auch bemühte, er schaffte es nicht, den Schleier zu verdrängen, der seine Erinnerung trübte. Dass er diesen Ort einst besucht hatte, war ihm klar, doch wann und wo blieb ihm ein Rätsel.

Je mehr er sich bemühte sich zu erinnern, desto mehr verschwamm das Bild dieses Ortes, der voller Licht und Geborgenheit zu sein schien.

Grüne Wälder, ferne Berge und ein Tal verborgen im Nebel, war alles, was seine Erinnerung ihm verriet. Jener Ort glich dem Tal der Wunder in seiner Reinheit – erfüllt von Licht und Frieden – aber das Tal existierte nicht mehr und kein Ort auf Erden schien diese Reinheit sonst noch zu besitzen, glaubte er. Es musste also etwas anderes sein.

Wenn er so darüber nachdachte, war es ein Ort, den man nicht mehr verlassen wollte. Ein Ort der Ewigkeit, voll Güte und Liebe. Das Paradies.

Sein Blick glitt gen Himmel, der nun von der emporkriechenden Sonne erhellt wurde und den Wald, den er durchschritt, in goldenes Morgenlicht tauchte.

Er liebte es mit anzusehen, wie die Sonne hinter dem Horizont emporkroch.

Die Ruhe, die ihn bei diesem Anblick durchströmte, ließ ihn für einen Moment alles vergessen. Aber so schnell, wie ihn dieses Gefühl überkommen hatte, war es auch wieder verschwunden und der Kummer kehrte wieder.

Er wandte den Blick von der Sonne, die nun vollkommen hinter dem Horizont aufgetaucht war, ab und setzte seinen Weg fort, den Blick auf den kargen Waldboden vor sich gerichtet.

Verwundert sah er plötzlich auf.

Die Lichtung, auf die er sich zubewegte, kam ihm seltsam vertraut vor und er runzelte verwundert die Stirn.

Vielleicht war er früher einmal auf einer seiner Reisen dort vorbeigekommen, dachte er und versuchte sich zu erinnern.

Sedryn rieb sich die Stirn und schüttelte schließlich den Kopf. Er war sich nicht sicher, denn er wusste nicht einmal genau, wo er sich befand.

‚Wo bin ich hier eigentlich?‘, fragte er sich schließlich und sah sich um, doch er konnte nichts entdecken, dass seiner Erinnerung auf die Sprünge half.

Ein gequältes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Sedryn war einfach immer nur seinem Instinkt gefolgt, in der Hoffnung, seine Liebe zu Elea würde ihn leiten.

Und das tat sie auch.

Immerhin war er nun schon seit einer Ewigkeit, wie es ihm schien, unterwegs und sein Ziel schien ihm näher gekommen zu sein, auch wenn Elea nicht mehr zu ihm sprach.

Vielleicht hatte sie Angst zurückzukommen, dachte er sich. Wenn sie sich wirklich an jenem Ort befand, wie er glaubte, dann glich seine Welt einem bösen Traum, aus dem man erwachen wollte.

Dieser Gedanke stimmte ihn traurig, doch konnte er sich seinen Gefühlen nicht erwehren. Er musste Elea finden und sie zurückholen.

‚Und wenn sie mich bittet, dort bleiben zu dürfen?‘, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf und er erschauderte. Ja, was wollte er dann tun?

Er erinnerte sich an den traurigen Schimmer in ihren Augen; an den Kummer, den ihr diese Welt bereitet hatte.

Wollte er ihr wirklich all das ein weiteres Mal antun?

Er wollte sie glücklich wissen – an seiner Seite.

Das war es, was er wollte und so beschloss er, sie einfach zu fragen. Wenn sie mit ihm gehen wollte, dann war er der glücklichste Mann auf Erden und all der Schmerz und Kummer der vergangenen Jahre würden wie ein böser Traum erscheinen, glaubte er. Würde sie aber dortbleiben wollen, so musste er geduldig warten, bis der Tod ihn ereilte und darauf hoffen, sie auf der anderen Seite wiederzusehen.

Er sank in sich zusammen und schluckte hart.

‚Nein …‘, dachte er betrübt und blinzelte sich die Tränen aus den Augen.

Er bezweifelte, dass er die Stärke besaß, allein in dieser Welt zu leben und Elea hinter sich zu lassen. Die letzten Jahre der Einsamkeit hatten ihn schier um den Verstand gebracht. Einzig und allein der Gedanke an seine Geliebte, hatte ihn am Leben erhalten.

Würde er es also schaffen, so lange zu warten?

Er schüttelte den Kopf und ein weiterer bedrückender Gedanke machte sich in ihm breit.

Selbst wenn er die Zeit überdauern würde, so wusste er nicht, ob er die Möglichkeit bekam, nach seinem Tod an Eleas Seite zu sein. Ob jener Ort, an dem sie sich befand, allen Seelen offen stand.

Diese Unwissenheit ließ ihn schier verzweifeln und erneut stiegen ihm Tränen in Augen. Er brauchte Antworten.

Sein Blick wanderte in den blauen Himmel hinauf und er seufzte leise.

‚Ich bitte dich, Elea, gib mir ein Zeichen! Ich ertrage diese Unwissenheit nicht!‘, dachte er schließlich verzweifelt und blinzelte sich die Tränen aus den Augen, die seine Sicht verschwimmen ließen.

Er blieb stehen und atmete tief durch, bis seine aufgewühlten Gedanken wieder zur Ruhe kamen.

Elea würde nicht zu ihm sprechen, das wusste er.

Sein trauriger Blick wanderte wieder auf den kargen Boden vor sich. Dann setzte er langsam einen Fuß vor den anderen.

Er musste sie endlich finden.

Der Tag verging wie die vorigen, ohne dass er in die Nähe eines Dorfes kam, oder ihm irgendeine Menschenseele begegnete, geschweige denn, dass Elea wieder zu ihm sprach.

Die einzigen Begleiter, die ihm hin und wieder Gesellschaft leisteten, waren die Menil.

Obwohl sie eigentlich sehr selten waren und viele Menschen sie ihr ganzes Leben nicht einmal zu Gesicht bekamen, begegnete er ihnen beinahe jeden Tag. Zu seiner Überraschung waren sie nicht einmal mehr scheu, wie es früher der Fall gewesen war. Manchmal schien es ihm sogar so, als wäre er ihnen schon hunderte Male begegnet.

„Hallo, meine Freunde!“, rief er ihnen erfreut entgegen, als sie sich ihm näherten.

Er beschloss, eine kleine Rast einzulegen und ließ sich im Gras nieder.

Die Menil sanken zwitschernd auf seinen Knien nieder und sangen fröhlich ihre Lieder für ihn.

Je länger er ihnen zuhörte, umso befreiter wurde sein Herz und er konnte alles um sich herum vergessen – sogar Elea. Wenn er sich dessen allerdings bewusst wurde, brach er sofort wieder auf und ließ die Menil allein zurück.

Er musste sie finden, er durfte sie nicht vergessen, denn sie hatte nach ihm gerufen. Dass sie es nun nicht mehr tat, musste einen Grund haben.

Sedryn hielt inne.

Oder entsprang alles nur einem Traum, wie Yvannie es all die Zeit vermutet hatte, und sein Geist war nun an einem Punkt angelangt, an dem er sie ziehen lassen konnte, um sein Leben ohne sie weiterzuleben?

Sedryn schüttelte wild den Kopf und versuchte, diesen Gedanken wieder zu vergessen. Er konnte sich ein Leben ohne Elea einfach nicht vorstellen.

‚Diese Unwissenheit bringt mich um den Verstand!‘, dachte er entsetzt und rieb sich verzweifelt die Stirn. Sein Glaube war das einzige, das ihn noch bei Verstand hielt. ‚Ich darf nicht aufhören daran zu glauben … Bitte, ich darf nicht aufgeben!‘

Sein Blick glitt in den klaren, blauen Himmel hinauf und eine einzelne Träne rann seine Wange hinab.

Für einen Augenblick überkam ihn das Gefühl tiefer Einsamkeit und er erschauderte. Sein Herz schmerzte und begann schließlich wild zu schlagen.

Sedryn hielt den Atem an und versuchte sich wieder zu beruhigen. Er durfte seinem aufgewühlten Geist nicht gestatten, sein Herz zu übermannen und ihn in die Verzweiflung zu treiben. Er musste stark bleiben und daran glauben, dass Elea dort draußen auf ihn wartete.

Ein Gedanke schlich sich plötzlich in seinen Geist und er legte verwundert den Kopf schief.

Vielleicht war gar nicht er das Problem.

Ein neuer Funken Hoffnung entflammte in seinem Herzen und trieb ein Lächeln auf seine Lippen.

Wenn es nicht an ihm lag, so musste das Problem bei Elea selbst liegen.

Er nickte zustimmend und versuchte eine Erklärung zu finden, doch das, was ihm in den Sinn kam, ließ sein Lächeln schließlich ersterben.

Hatte sie ihn vergessen? War das der Grund, warum sie nicht mehr zu ihm sprach?

Sedryn schüttelte den Kopf. ‚Daran solltest du nicht einmal denken!‘, ermahnte er sich. Sie würde ihn nicht vergessen, da war er sich sicher, denn es würde ihm das Herz brechen.

Er sank in sich zusammen.

‚Nein, so darf ich nicht denken. Sie würde mich nie vergessen … niemals … niemals …‘, versuchte er sich einzureden und schüttelte wild den Kopf, um jenen Gedanken wieder aus seinem Geist zu verbannen.

Er wünschte sich doch nichts mehr, als sie endlich wiederzusehen. Deswegen würde sie ihn nicht vergessen. Seine Gedanken würden sie erreichen, wenn er nur fest genug daran glaubte, da war er sich sicher.

Die Dunkelheit brach allmählich herein und es war an der Zeit für ihn, sich ein Lager für die Nacht zu suchen.

Wie auch die Nacht zuvor, lag er hellwach, an einen Baum gelehnt, da und starrte in den sternenverhangenen Himmel empor. Der Mond stand hoch oben am Firmament und sandte sein sanftes silbernes Licht auf die Erde hinab, um den Tieren der Nacht ihren Weg zu erleuchten.

Seine Gedanken glitten davon und blieben wieder bei Elea hängen.

Es brachte ihn schier um den Verstand, nicht zu wissen, warum sie nun nicht mehr zu ihm sprach.

Er saß eine lange Zeit regungslos da und starrte in die Nacht hinaus, bis seine Augen allmählich schwer wurden und eine tiefe Müdigkeit über ihn hereinbrach. Er schloss die Augen und glitt in das Reich der Träume davon …

„Endlich habe ich dich gefunden!“

Sedryn drehte sich überrascht um und seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er jenes kleine Mädchen erblickte, das vor ihm stand.

„Wie … kommst du denn hier her?“, fragte er verwundert und blinzelte überrascht.

Träumte er?

Es war Elea, Yvannies Tochter.

Er sah sich um und runzelte die Stirn. „Wo ist deine Mutter? Yvannie sorgt sich sicherlich.“

Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, nein, das tut sie nicht. Sie weiß ja, dass ich hier bin.“

Sedryn sah sie verwundert an und legte schließlich fragend den Kopf schief. Er verstand nicht.

„Aber das kann nicht sein. Ich bin so weit von euch entfernt, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr war!“, entgegnete er entsetzt.

Was ging hier vor sich? Hatte sie sich heimlich davongeschlichen, um ihn nach so langer Zeit wiederzusehen?

Elea schüttelte langsam, aber bestimmt, den Kopf. Es fiel ihr schwer, ihm die Wahrheit zu offenbaren, doch er musste es wissen.

„Sedryn …“, begann sie zögerlich und trat unruhig von einem Bein auf das andere. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie wollte diese Worte nicht über ihre Lippen bringen und starrte auf den grünen, moosigen Boden vor sich. „Du bist im Kreis gelaufen …“

Die Zeit schien plötzlich stehen zu bleiben.

Hatte er sich verhört?

Es dauerte einige Augenblicke, ehe er begreifen konnte, was sie ihm offenbart hatte.

Sedryn blinzelte und starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren. Was sie da von sich gab, konnte er nicht glauben. Es ergab einfach keinen Sinn.

„Schon seit vielen, vielen Tagen sehe ich dich hier immer und immer wieder vorbeikommen“, fuhr sie fort, als sie seinen ungläubigen Gesichtsausdruck bemerkte und erzitterte. Ihr Herz raste. „Als ich Ada davon erzählt habe, wollte sie mir zuerst nicht glauben, aber dann hat sie dich ebenfalls gesehen …“

Elea sah ihn mit durchdringenden Augen an und schwieg eine Zeit lang, um ihre Worte auf ihn wirken zu lassen.

„Ich soll dich nach Hause holen.“

Sedryn sah sie enttäuscht an und schüttelte schließlich traurig den Kopf.

Sprach sie die Wahrheit? Oder war sie nur ein Trugbild, eine Illusion, erschaffen von seinen Gedanken, um zu erklären, was geschehen war?

„Nein, Sedryn, ich bin wirklich … Ich bin hier, bei dir … Komm nach Hause, bitte“, antwortete sie auf seine Gedanken.

Als Elea Sedryns verzweifelten Blick bemerkte, zuckte sie zusammen. Der Schmerz in seinem Herzen war unerträglich, fühlte sie. Es verletzte ihn zutiefst, sich wieder am Anfang seiner Reise zu wissen.

„Alles umsonst?“, flüsterte er leise vor sich hin und wandte sich von Elea ab.

Langsamen Schrittes entfernte er sich von ihr.

Elea rieb sich über die Schultern, um das Zittern, das ihren Körper schüttelte, wieder unter Kontrolle zu bringen.

Sie war sich sicher, dass er weinte und so hielt sie es für besser, ihn für den Moment allein zu lassen, um seine Gedanken zu ordnen und zu begreifen, was geschehen war.

Traurig sah sie ihm nach und folgte ihm dann schließlich in einiger Entfernung. Doch als sie bemerkte, dass er in die entgegengesetzte Richtung davon wollte, blieb sie entgeistert stehen.

Irgendwie musste sie ihn nach Hause bringen. Aber was sollte sie tun? Was konnte sie tun?

„Sedryn, ich … Es tut mir leid …“, flüsterte sie dann, den Tränen nahe. Sedryns Traurigkeit war für sie zum Greifen nahe und es fühlte sich beinahe wie ihre eigene an.

„Bitte … komm zu uns zurück.“

Jetzt vermochte sie es nicht länger, ihre Tränen zurückzuhalten und sie senkte den Kopf, um diese zu verbergen. Sedryn sollte ihre Tränen nicht sehen.

„Komm zu uns zurück und …“, sie hielt den Atem an und blickte ihm direkt in die Augen, als er sich ihr schließlich wieder zuwandte, „… lass uns gemeinsam suchen, denn ich glaube dir.“

Sedryn sah sie überrascht an.

Hatte er sich auch nicht verhört?

Er schwieg einige Augenblicke und wusste nicht recht, was er darauf erwidern sollte.

„Du … glaubst mir?“, fragte er schließlich zögerlich und starrte sie mit großen Augen an. „Du glaubst, sie ist da draußen und wartet?“

Elea nickte und warf sich weinend in seine Arme.

Sedryns Blick glitt gen Himmel, der sich allmählich verdunkelte und die kommende Nacht ankündigte. Seine Gedanken kreisten wild um die Worte der kleinen Elea und er schaffte es nicht, sie in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Ein gequälter Seufzer entrann seiner Kehle und er fasste einen Entschluss, der ihn schier um den Verstand brachte. Er machte den Mund auf, schloss ihn dann aber wieder und schüttelte den Kopf. Dann versuchte er es ein weiteres Mal.

„Gut … ich komme zurück, bis sie mich wieder ruft …“, murmelte er tonlos und blinzelte sich die Tränen aus den Augen. Diese Worte über seine Lippen zu bringen, fiel ihm so unendlich schwer, aber einen anderen Weg kannte er nicht. Und vielleicht war es genau das, was seine Geliebte wollte: Ihn für den Winter in Sicherheit wissen.

So musste es sein, dachte er.

Und vielleicht würde sie ihm im nächsten Frühjahr wieder erscheinen und ihn bitten, sie zurückzuholen.

Sedryn atmete tief durch und versuchte, sich nicht in seinem Kummer zu verlieren. Er blinzelte und blickte dann einige Augenblicke später auf den Kopf der kleinen Elea hinab, die sich noch immer fest an ihn klammerte und leise weinte.

„Na komm, hör auf zu weinen, Elea“, meinte er dann mit einem sanften Lächeln auf den Lippen und strich ihr durch das hellblonde Haar.

Sie sah ihn mit verweintem Gesicht an. Es war das erste Mal, dass er diesen Namen aussprach und sie damit meinte.

Elea wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Sedryns starke Gefühle hatten sie einfach übermannt.

Die Nacht brach schnell herein, so dass sie in tiefster Dunkelheit das kleine Haus am See erreichten.

„Elea! Der Göttin des Lichts sei Dank! Ich hab‘ mir solche Sorgen gemacht!“

Yvannie warf sich ihrer Tochter um den Hals und atmete tief durch, um ihr aufgewühltes Herz zur Ruhe zu bringen.

„Mach das nie wieder, so spät nach Hause zu kommen, hörst du!“, tadelte sie ihre Tochter und drückte sie noch fester an sich.

Elea lächelte kaum merklich und löste dich aus der Umarmung. Dann deutete sie auf die Person, die sich hinter ihr befand. „Sieh, wen ich mitgebracht habe“, sagte sie und trat einen Schritt zur Seite.

Yvannie musterte den Mann hinter ihrer Tochter eingehend und lächelte schließlich.

„Sedryn, du bist wieder zurück. Elea hat mir erzählt, was passiert ist …“, begann sie und kam auf ihn zu, doch er schüttelte nur den Kopf und sie hielt inne.

Sedryn wollte nicht darüber reden, schon gar nicht mit Yvannie, die von Eleas Tod überzeugt war. Er wollte einfach nur allein sein.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging er an ihr vorbei. Den Kopf hielt er gesenkt, um zu vermeiden, irgendwem in die Augen blicken zu müssen.

„Ich habe Eintopf gemacht“, sagte Yvannie schließlich und wollte Sedryn in die Küche geleiten, doch dieser schüttelte nur den Kopf. „Aber du musst essen … Du hast sicherlich seit Tagen nichts mehr zu dir genommen.“

Sie musterte ihn eingehend und erschrak. Er wirkte müde und sein Gesicht eingefallen. Sedryn hatte deutlich an Gewicht verloren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, stellte sie entsetzt fest.

„Ich habe keinen Hunger …“, war das einzige, das er von sich gab, ehe er sich zurückzog. Er wollte allein sein und sich darüber im Klaren werden, was geschehen war.

War er wirklich all die Zeit über im Kreis gelaufen?

Er konnte noch immer nicht glauben, was die kleine Elea ihm offenbart hatte. Alles erschien ihm seltsam unwirklich – wie ein böser Traum.

Sedryn betrat das Zimmer, das Yvannie vor einigen Jahren für ihn hergerichtet hatte. Einst war es Eleas Zimmer gewesen, aber nach ihrem Verschwinden stand es lange Zeit leer, ohne dass irgendjemand gewagt hatte, es zu betreten.

Sedryn hatte Yvannie gebeten, dieses Zimmer nutzen zu dürfen.

Sein Haus in Can‘aan hatte er aufgegeben. Dorthin wollte er auf keinen Fall zurückkehren, denn die Erinnerungen, die er mit diesem Ort verband, waren zu schmerzhaft für ihn. Er wollte alles zurücklassen, was ihn irgendwie an sein früheres Leben erinnerte, aber Elea konnte und wollte er nicht vergessen.

Dieser Ort und dieses Zimmer trugen beinahe noch mehr Erinnerungen an jenes Leben in sich als ihm lieb war, doch hier fühlte er sich besser als irgendwo sonst.

Als er das Zimmer betrat, fiel sein Blick zuerst auf das kleine Tischchen, das unter dem Fenster stand. Es war alles noch genau so, wie er es zurückgelassen hatte.

Bücher und Schriftrollen bedeckten den Tisch in ihrem Durcheinander.

Es waren Jahre vergangen, stellte er jetzt erstaunt fest, seit er das letzte Mal hier gewesen war.

Obwohl sich Yvannie rührend um sein Zimmer gekümmert zu haben schien und den Schmutz, den die Zeit hinterlassen hatte, entfernen wollte, so hatte sie trotz allem versucht, nichts von seinem Platz zu entfernen.

Eine dünne Staubschicht auf manchen der Schriftrollen bestätigten ihm dies und ein Lächeln glitt über seine Lippen. Im Stillen dankte er ihr für ihr Bemühen, jedoch wünschte er sich nichts mehr, als zu verschwinden und sein Ziel endlich zu erreichen.

Er setzte sich an den Tisch und starrte aus dem Fenster in die Nacht hinaus.

Der Mond stand hoch am Himmel und erleuchtete die fernen Berge.

Sein Blick glitt auf den kleinen See vor dem Haus, dessen Wasser das Licht des Mondes um ein Vielfaches zu verstärken schien. Kleine silbrigweiße Lichtpunkte tanzten auf dem See auf und ab und für einen kurzen Moment glaubte Sedryn, die Silhouette einer Frau zu erkennen.

‚Elea!‘, schoss es ihm durch den Kopf und er sprang auf, doch ehe er sich versah, war es wieder stockdunkel.

Da war nichts auf dem See; kein Mondlicht, keine Lichtpunkte und schon gar nicht … Elea.

Als er seinen Blick gen Himmel wandte, sah er, wie Wolken den Mond verdeckten und Regen ankündigten.

Traurig und enttäuscht setzte er sich wieder. Für einen Moment hatte er doch tatsächlich geglaubt, Elea war zu ihm zurückgekehrt.

Allmählich begann er, an seinem Verstand zu zweifeln. Es verging beinahe kein Tag, an dem er sie nicht in irgendeiner Weise in seiner Nähe zu haben glaubte. Auch, wenn er sie nicht sehen konnte, so hatte er doch das Gefühl sie war da.

Gedankenverloren sank er in sich zusammen und rieb sich schließlich die Stirn. Eine einzelne Träne rann seine Wange hinab und tropfte schließlich auf das kleine Tischchen, auf das er sich stützte.

‚Elea, bitte, komm zu mir zurück … Ich ertrage das nicht länger.‘

Draußen begann es allmählich zu regnen, als sich Sedryn von seinem Tisch erhob und zum Bett hinübertrat.

Die Regentropfen, die an sein Fenster hämmerten, wurden stärker und stärker, bis er die einzelnen Tropfen nicht mehr zu unterscheiden vermochte.

Er schob sich das Hemd von der Brust und warf es achtlos auf den Boden. Ehe er sich allerdings seiner Hose entledigen konnte, klopfte es an seiner Tür.

Er fuhr herum und starrte die Tür einige Momente mit großen Augen an, ehe er sich ihr schließlich näherte.

Der Türknauf war eiskalt und ein Schauder rann ihm den Rücken hinab, als er ihn berührte.

Er öffnete die Tür und blickte in das lächelnde Gesicht der kleinen Elea. Sie schien sichtlich nervös zu sein und Sedryn runzelte verwundert die Stirn.

„Was machst du denn so spät am Abend noch hier? Du solltest schon längst im Bett sein!“, sagte er entgeistert und schüttelte tadelnd den Kopf.

Elea grinste, sah ihn erwartungsvoll an und drückte sich schließlich an ihm vorbei in das Zimmer, ohne abzuwarten, dass er sie hereinbat.

„Ich muss mit dir reden, Sedryn. Bitte“, meinte sie bestimmt.

Sedryn starrte sie an, als habe er einen Geist gesehen. Sie wirkte ungewöhnlich ernst und erwachsen, fand er.

„Wenn Yvannie das rausfindet, kriegen wir beide Ärger!“, zischelte er und schloss eiligst die Tür hinter sich.

Elea musste lachen. „Sie wird es schon nicht mitbekommen. Vertrau mir, na komm schon.“ Sie sah ihn mit durchdringendem Blick an. „Du willst deine Geliebte doch so schnell wie möglich wiederhaben, oder nicht?“

Er sah sie überrascht an und nickte schließlich, unfähig etwas zu sagen. Was ging nur in ihr vor?

„Na also, dann hör mir jetzt gut zu.“ Sie setzte sich auf sein Bett und wartete darauf, dass er es ihr gleichtat.

Sedryn allerdings ließ sich auf dem Boden nieder und zog sich dabei sein Hemd wieder über.

Er sah sie erwartungsvoll an und sein Herz begann schneller zu schlagen.

Was hatte sie ihm zu erzählen?

„Aber zuerst …“, begann sie und wagte es nicht, ihn direkt anzusehen.

Ihre Hände zitterten, bemerkte Sedryn überrascht, und er zog verwundert eine Augenbraue nach oben.

Was machte sie so nervös?

„… möchte ich dich bitten, mir einen anderen Namen zu geben. Ich ertrage es nicht zu sehen, wie sehr du darunter leidest, dass ich ihren Namen trage … wie sehr es dich jedes Mal aufs Neue an sie erinnert …“

Sedryn starrte sie verblüfft an und wusste nicht, was er sagen sollte. Trotz ihres jungen Alters schien sie voll und ganz zu verstehen, was er fühlte.

Ein Seufzer ging über seine Lippen.

„Elea …“, sagte er schließlich zögerlich und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Ich … Das kann ich nicht.“ Er schüttelte den Kopf und setzte ein gequält wirkendes Lächeln auf. „Das ist der Name, der dir von deinen Eltern gegeben wurde. Weil sie dich lieben und … weil sie sie geliebt haben …“

Sedryn schwieg einen Moment, um sich seine nächsten Worte zurecht zu legen, aber Elea ließ ihn nicht weitersprechen.

„Aber ich sehe doch, wie du darunter leidest … Ich fühle es! Ich kann deinen Schmerz beinahe greifen! Ich will nicht, dass du wegen mir leiden musst, wegen diesem Namen! Ich will nicht Tag um Tag dein trauriges Gesicht sehen müssen und daran erinnert werden, dass ich sie niemals ersetzen kann! Egal, wie sehr du versuchst, sie in mir zu sehen, ich bin es nicht!“

Heiße Tränen rannen ihre Wangen hinab und sie schluchzte leise. Sie war wütend auf ihn, weil er etwas in ihr sah, dass sie nicht war und auch niemals sein würde. Aber noch wütender war sie auf sich selbst, weil sie nichts tun konnte, um ihm das Leben zu erleichtern oder ihm gar seinen Schmerz zu nehmen.

Sedryn war sprachlos und wusste nicht recht, wie er auf ihre Worte reagieren sollte.

„Elea … das … das ist nicht wahr“, entgegnete er zögerlich und erhob sich. Er hatte nie etwas anderes in ihr gesehen als Yvannies und Isions Tochter. „Ich weiß doch, wer du bist … Du bist nicht sie. Du bist du und niemand sonst, das musst du mir glauben …“

Sedryn ließ sich neben ihr auf der Bettkante nieder und legte einen Arm um sie.

„Es tut mir leid, wenn du das Gefühl hattest, ich sehe nur sie in dir … Komm her … ist ja gut, shhhhh … beruhige dich wieder, Kleines …“

Elea klammerte sich an ihn und vergrub das Gesicht in seiner Schulter.

„Es tut mir so leid!“, schluchzte sie unter Tränen.

Sedryn schüttelte langsam den Kopf und strich ihr vorsichtig übers Haar. „Schon gut … beruhige dich erst mal wieder, Liebes, du zitterst ja am ganzen Körper … Shhhh, ist ja gut …“

Elea schob ihn von sich und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann atmete sie tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Es war lange her, seit sie zuletzt so die Beherrschung verloren hatte, doch Sedryns starke Gefühle hatten sie einfach übermannt.

Ihr Herzschlag beruhigte sich langsam wieder und auch das Zittern ihrer Hände ließ nach.

Elea sah auf. „Hast du sie gesehen?“, fragte sie ihn dann nach einiger Zeit und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster.

Sedryn sah sie verwundert an. Er verstand nicht.

„Was meinst du?“, fragte er neugierig und legte den Kopf schief.

„Ea! Hast du Ea gesehen? Hast du sie gesehen, draußen am See?“

Es dauerte einige Augenblicke, ehe Sedryn verstand, dass sie mit Ea in Wirklichkeit Elea meinte.

Seine Augen weiteten sich und sein Herz begann schneller zu schlagen. Plötzlich schien es ihm, als würde die Zeit stehen bleiben.

„Dann war es also doch keine Halluzination?“ Er blinzelte und hielt den Atem an. Seine Gedanken überschlugen sich.

Geschah dies wirklich? Oder träumte er?

Elea schüttelte den Kopf und ein breites, freudiges Grinsen ging über ihre Lippen.

„Sie war da, wenn auch nur für einen Moment. Ich habe sie gespürt. Hier …“ Sie legte sich eine Hand aufs Herz und sah Sedryn aufgeregt an. „Sie hat so ein angenehm warmes Licht …“

„Ja … ja, das hat sie“, flüsterte er mit einem erfüllten Lächeln auf den Lippen.

Sein verträumter Blick glitt in die Ferne.

Elea war also wirklich gekommen; sie war noch immer am Leben.

Mit einem Mal fühlte er sich leichter und befreiter als jemals zuvor in seinem Leben, denn ihm wurde klar, dass sein Streben sie wiederzufinden nicht einfach nur seinem verzweifelten Wunsch entsprach, nicht wahrhaben zu wollen, dass sie von ihm gegangen war.

Sie lebte und wartete nur darauf, zu ihm zu gelangen.

„Du nennst sie Ea …“, begann er dann und kniff die Augen zusammen.

Elea hielt den Kopf gesenkt und antwortete: „Sie ist Ea, sie ist die weiße Magie. Ich weiß, es ist einfallslos sie einfach Ea zu nennen und doch … das Wort Licht in der alten Sprache trifft am ehesten auf sie zu.“

Sedryn nickte, als er verstand und lächelte ihr aufmunternd zu. „Ich verstehe, du willst dich so von ihr abgrenzen.“

Sie nickte zögerlich und hielt den Atem an, aus Angst, Sedryn würde dies nicht akzeptieren.

„Eleas früherer Name war Ea, bevor sie auf deine Mutter traf. Bevor sie in diese Welt kam …“, sagte er dann und tätschelte ihren Kopf. „Mach dir also keine Gedanken darüber.“ Er zwinkerte ihr zu und Elea nickte erleichtert.

Gedankenverloren starrte sie dann in die dunkle Nacht hinaus, wo sie verzweifelt etwas zu suchen schien.

Sedryn folgte ihrem Blick.

„Ich frage mich …“, begann Elea dann leise und runzelte die Stirn. „Warum kommt sie nicht zu dir, wenn sie schon so nahe war? Sie kennt diesen Ort doch. Auch sie hat hier gelebt.“

Sedryn sah sie an. Darüber hatte er auch schon nachgedacht.

„Vielleicht kann sie nicht. Vielleicht hält sie irgendetwas oder irgendjemand davon ab, zu uns zu kommen? Immerhin …“ Sedryn unterbrach sich und dachte nach. Er wollte sich nicht daran erinnern, was geschehen war – warum seine Elea verschwunden war.

All die Jahre hatte er sich eingeredet, sie war verschwunden, weil sie eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Immerhin wohnte ein Teil der Magie in ihr.

Er hatte sich eingeredet, dass sie eine Pflicht, die ihr mit jener Macht zuteil wurde, zu erfüllen hatte und sei es, dass sie alles andere dafür opfern musste.

„Aber die Magie ist verschwunden, keiner von euch vermag es noch, einen Zauber zu vollbringen, Sedryn.“

Er sah sie überrascht an und runzelte die Stirn. „Wie … Woher weißt du, was ich denke? Ich habe doch nicht laut gesprochen, oder etwa doch?“

Elea lächelte und schüttelte den Kopf. Also war es an der Zeit, ihm ihr kleines Geheimnis anzuvertrauen.

„Vor ein paar Jahren hat es angefangen“, begann sie zu erzählen. „Ich habe irgendwann bemerkt, dass ich irgendwie wusste, was mein Gegenüber dachte. Anfangs hielt ich es für Zufall, aber dann geschah es immer häufiger. Ich konnte es nicht kontrollieren und manchmal habe ich Dinge gesehen, die ich nicht sehen sollte. Dinge, die Ada tief in ihrem Herzen vergraben hatte …“ Sie hielt für einen Moment inne, als sie daran zurückdachte. „Ich habe alles gesehen, was damals passiert ist. Alles. Auch das aus ihrem früheren Leben.“

Elea sah ihn mit großen, traurigen Augen an.

Es hatte Tage gedauert, bis sie über die traurige Geschichte ihrer Mutter hinweggekommen war und die grausamen Bilder wieder aus ihrem Geist verbannen konnte.

„Mittlerweile habe ich gelernt, diese Gabe zu kontrollieren und die alte Weide hat mir dabei geholfen. Sie kann sprechen, weißt du?“

Sedryn starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren und war unfähig etwas zu sagen. Seine Gedanken überschlugen sich.

‚War die Weide nicht …‘

Er dachte zurück.

Als sie damals aufgebrochen waren, die Wächter zu vereinen, hatte er gespürt, wie das Ende der alten Weide gekommen war und als sie nach langer Zeit wieder zurückkehrten, wuchs kein einziges Blatt mehr auf ihren Zweigen.

Was war mit ihr geschehen?

Elea sah ihn an und lächelte.

„Sie war nie gestorben, Sedryn“, erklärte sie. „Die alte Weide hat nur einen Teil ihrer Magie an Ea zurückgegeben und war wieder zu einem gewöhnlichen Baum geworden. In den vergangenen Jahren hat sie sich regeneriert und neue Kraft geschöpft. Nicht zuletzt durch die Macht des Sees. Sie hat noch eine Aufgabe zu erfüllen, weißt du? Sie muss den Hüter ausbilden …“ Eleas Blick ging in die Ferne. An diesen Teil wollte sie sich nicht erinnern und sie kniff die Augen zusammen.

„Aber …“, begann Sedryn verwundert und musterte sie eingehend.

Elea sprach, als würde die Magie noch immer existieren.

Wenn die alte Weide es wirklich wieder vermochte zu sprechen, dann musste ein Teil der Magie noch immer in ihrer Welt wohnen.

Die Weide war ein magisches Geschöpf, das hatte Elea ihm damals selbst erzählt. Wenn die Magie vollkommen aus ihrer Welt verschwunden wäre, dann hätte auch die alte Weide aufhören müssen zu existieren, überlegte er.

Ohne nachzudenken murmelte Sedryn einen Zauber und … er gelang, wenn auch nur schwach.

Kleine Lichtkügelchen lösten sich von seinen Händen, schwebten im Zimmer umher und verschwanden beinahe sofort wieder.

„Das … das ist unmöglich! Wie kann das sein?“, keuchte Sedryn und schnappte erstaunt nach Luft. Er hatte Tränen in den Augen und lächelte, völlig außer sich. „Sie lebt! Sie lebt wirklich noch!“

Jetzt vermochte er es nicht länger, seine Tränen zurückzuhalten und weinte. Er weinte, wie er es seit dem Verschwinden seiner Geliebten nicht mehr getan hatte. Doch diesmal waren es Tränen der Freude.

Elea lächelte ebenfalls.

Erst jetzt war ihr wirklich klar, was Sedryn all die Jahre ohne seine Geliebte durchgemacht haben musste. Wie sehr er gelitten hatte und sich an den Gedanken klammerte, dass sie noch immer am Leben sein musste und auf ihn wartete, obwohl die Hoffnung so verschwindend gering war; und ihr wurde klar, dass dieser Gedanke ihn davor bewahrt hatte, den Verstand zu verlieren.

Ihr wurde das Herz schwer.

Elea erhob sich und wollte das Zimmer verlassen. Sie konnte nicht länger bei ihm bleiben, ohne ihm die ganze Wahrheit zu erzählen. Aber sie durfte nicht, sie hatte es ihr versprochen.

„Du gehst?“ Sedryn sah sie verwundert an und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Ja, ich bin müde“, log sie und lächelte schwach. Sie hoffte, dass er ihren Worten Glauben schenkte und sie nicht weiter mit Fragen, sie sie nicht beantworten konnte, löchern würde.

„Wir können uns morgen weiter unterhalten. Gute Nacht.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus seinem Zimmer, ohne seine Antwort abzuwarten.

Als sie ihr eigenes Zimmer betrat, konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Ihr Herz begann zu rasen und ihr Körper erzitterte unter der Anstrengung, ihren Gefühlsausbruch wieder unter Kontrolle zu bringen.

Sie schloss die Tür so leise sie konnte und sank dann an ihr zu Boden, die Arme um ihren Körper geschlungen.

„Ich hätte es ihm s-sagen sollen … I-ich hätte … h-hätte es t-tun müssen …“ Sie schluchzte leise und rieb sich die Augen, aber die Tränen wollten nicht versiegen.

Vor ihr tanzte ein blendend helles Licht auf und ab und als sie aufsah, verwandelte es sich in eine Frau.

Es war Ea.

„Ich danke dir“, flüsterte diese mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Ich kann nicht lange bleiben …“ Ihr Blick glitt für einen Augenblick in die Ferne, ehe sie sich der kleinen Elea wieder zuwandte.

Diese wischte sich die Tränen aus den Augen und setzte sich aufrecht hin. Das angenehme Licht, das von Ea ausging, half ihr dabei, sich wieder zu beruhigen.

„Du musst zu ihm gehen! Er will dich wiedersehen, er braucht dich! Ohne dich hat sein Leben keinen Sinn, das ist mir jetzt klar geworden! Du …“ Sie hielt inne und sah Ea flehentlich an. „Bitte, geh zu ihm …“

Doch diese schüttelte betrübt den Kopf.

„Ich kann nicht …“, entgegnete sie mit gesenktem Blick. „Ich erinnere mich an nichts aus meinem sterblichen Leben … und an das was ihr Liebe nennt … Solange ich diese Erinnerung nicht wiedergefunden habe, kann ich ihm nicht unter die Augen treten. Versteh das bitte … Ich will ihn nicht noch mehr verletzen. Es würde ihm das Herz brechen … glaube ich.“ Ein gequältes Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie daran dachte und das seltsam beklemmende Gefühl in ihrem Innern wurde stärker. „Vielleicht ist es sogar besser, wenn ich seine Erinnerung lösche und er mich für immer vergisst …“

Elea starrte sie entgeistert an und schüttelte wild den Kopf. Wie konnte sie so etwas nur sagen?

„Du hast ihm neue Hoffnung geschenkt, als du zuließest, dass er einen Zauber erfolgreich ausspricht! Er wird dir bis ans Ende der Welt folgen, auch in den Tod, das weißt du! Tu ihm das nicht an … tu es dir nicht an! Du wirst es bereuen irgendwann. Und dann … wird er vielleicht nicht mehr sein und du hast all deine Chancen verspielt.“

Elea schwieg einen Moment, ehe sie fortfuhr.

„Du wusstest damals nichts über die Liebe und hast seine Gefühle trotzdem zugelassen. Warum nicht auch jetzt? Er würde für dich sterben, das weißt du.“

„Und davor habe ich Angst …“, flüsterte Ea mit gesenktem Kopf. „Ich will nicht, dass sich ein Wesen meinetwegen opfert, auch nicht aus Liebe … Nicht für mich, die keine Ahnung von alldem hat.“

Elea schüttelte bestimmt den Kopf. „Du irrst dich, Ea. In … deinem früheren Leben hast du all das ebenso gefühlt. Ada hat es mir erzählt. Und deine Gefühle für Sedryn … Auch wenn du es nie offen gezeigt hattest, sie hat dein Herz durchschaut, und dann hast du dein Leben für seines gegeben. Aus Liebe, Ea … das ist Liebe …“

Elea sah sie flehentlich an. Sie wusste, dass sie sie damit nicht überzeugen konnte, noch weniger, weil sie selbst nichts über die Liebe wusste; sie konnte es nur erahnen und das wiedergeben, was sie in den Herzen ihrer Familie erblickt hatte.

Ea sah sich um und trat ans Fenster heran. „Ich muss gehen, man ruft mich …“

Und ohne sich zu verabschieden oder gar auf Eleas Worte einzugehen, verschwand sie aus ihrem Zimmer und ließ sie allein zurück.

Elea erhob sich und blickte nachdenklich aus dem Fenster, dann schüttelte sie den Kopf. Sie musste einen Weg finden, Ea zu überzeugen ihre Gefühle zu akzeptieren.

Die Wärme, die sie in ihrer Gegenwart verspürt hatte, war, zusammen mit ihr, verschwunden und Elea fröstelte leicht.

Tränen rannen ein weiteres Mal ihre Wangen hinab, als sie ihren Blick gen Himmel richtete. Dieser war wieder aufgeklart und die Sterne leuchteten hell an ihm, doch konnten sie sie diesmal nicht trösten, wie sie es sonst immer vermocht hatten.

Ein beklemmendes Gefühl machte sich erneut in ihrem Herzen breit, als sie an die Zukunft dachte. Alles veränderte sich und schon bald würde etwas geschehen, das ihr Leben für immer verändern würde, fühlte sie.

Gedankenverloren zog sie sich schließlich ihr Schlafgewand über und kroch unter die Bettdecke.

Sich darüber den Kopf zu zerbrechen änderte ja doch nichts.

KAPITEL 2

Sedryn hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan.

Seine Gedanken kreisten wild um die Geschehnisse des vergangenen Abends und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.

Seine ganze Welt hatte sich verändert, seit er sich mit Elea am vergangenen Abend unterhalten hatte. Die erdrückende Last, die all die Zeit auf seinen Schultern geruht hatte, schien wie weggeblasen.

Er stand nicht kurz davor, den Verstand zu verlieren, denn Elea hatte sie ebenfalls gesehen; sie war also real.

Diese Erkenntnis hatte ihn von seinem Kummer befreit und spornte ihn nun noch mehr an, dem kommenden Frühjahr entgegenzufiebern, um seine Suche nach ihr fortzusetzen.

Aber warum warten?

Er drehte sich zur Seite und blickte aus dem Fenster. Der Mond sank allmählich am Horizont nieder.

Nicht mehr lange und der neue Tag würde anbrechen, dachte er.

Als es schließlich dämmerte, erhob er sich aus seinem Bett und trat ans Fenster hinüber. Er öffnete es und sog die kühle, frische Morgenluft tief in seine Lungen ein.

Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er in der Ferne die Sonne emporsteigen sah, die die Nebelschwaden langsam vertrieb, und das silberne Glitzern des Taus zum Vorschein kam.

Als die Sonne vollends hinter den Bergen hervorgekrochen war, zog er sich an und verließ das Zimmer.

Er musste Yvannie danken, dass sie ihm trotz allem ein Quartier bot.

Ein leises Grummeln war zu vernehmen, als ihm klar wurde, dass er seit Tagen nichts mehr gegessen hatte und er errötete. Er war sich sicher, dass Yvannie bereits das Frühstück vorbereitete und entschloss sich, ihr dabei Gesellschaft zu leisten.

Kaum hatte er die Küche betreten, empfing ihn ein freundliches „Guten Morgen!“, zu seiner Überraschung allerdings nicht von Yvannie. Es war Lauren, die er in der Küche vorfand, wie sie gerade einen Brotteig knetete.

Er blinzelte verwundert.

„Du hast Yvannie erwartet, nicht wahr?“, meinte sie lächelnd, als sie seinen verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte.

„Was tust du hier?“, fragte Sedryn neugierig, als er seine Sprache wiederfand.

Lauren sah ihn für einen Moment überrascht an, lächelte dann aber wieder.

„Oh, tut mir leid, du warst so lange verschwunden, sicher hast du mich vergessen …“, entgegnete sie ihm dann und für einen Moment blitzte ein verletztes Glitzern in ihren Augen auf.

Sedryn schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist es nicht. Ich hatte nur Yvannie erwartet, das ist alles. Du bist die Erste, der sie erlaubt zu arbeiten. Ich erinnere mich noch, wie Elea damals …“ Er brach mitten im Satz ab und starrte auf den leeren Tisch vor ihm.

„Sprichst du von deiner Geliebten? Yvannie hat mir von ihr erzählt. Es tut mir leid, dass sie gestorben ist …“

Sedryn sah auf und schüttelte den Kopf, dann lächelte er. „Sie ist am Leben, irgendwo da draußen, und wartet auf mich … Gestern war sie sogar hier, wenn auch nur für einen Augenblick …“

Sein verträumter Blick verlor sich in der Ferne. Alles erschien ihm plötzlich wie ein Traum, doch es war real. Sein sehnlichster Wunsch würde sich nun endlich erfüllen, hoffte er.

Lauren sah ihn verwundert an und runzelte die Stirn, dann lächelte sie verständnisvoll.

Yvannie hatte ihr von Sedryns Erscheinungen erzählt.

„Das war sicher nur ein Traum …“, begann sie langsam. Sedryn musste endlich aufwachen und aufhören einen Traum zu jagen, dachte sie betrübt. „Yvannie meinte, du würdest dich an diesen Gedanken klammern, um nicht den Verstand zu verlieren.“

Sie hielt einen Moment inne.

„Deswegen hat sie dich damals ziehen lassen … in der Hoffnung, du würdest dir endlich darüber im Klaren werden, dass sie nie mehr zu dir zurückkehren wird. Sie hat dir alles bedeutet, nicht wahr?“

Sedryn hielt es für besser, erst einmal nichts darauf zu erwidern und wechselte das Thema: „Schläft Yvannie etwa noch? Das sieht ihr gar nicht ähnlich.“

Lauren schüttelte den Kopf. „Nein, sie ist mit Ision bei Dämmerung aufgebrochen. Seit du uns verlassen hattest, tun sie das beinahe jeden Tag. Ich glaube, heute besuchen sie Mynuel. Sie ging kurz nach dir fort …“

„Mynuel hat euch verlassen?“, fragte Sedryn überrascht. Er hatte sich gewundert, warum er sie am vergangenen Abend nirgends erblicken konnte, nun wusste er es.

„Ja, sie hatte etwas von einem Licht erwähnt, das sie wiederfinden musste. Ich vermisse sie … Sie ist seither nicht wiedergekommen.“

„Warum gehst du sie nicht einfach besuchen? Du weißt doch sicher, wo sie lebt“, fragte Sedryn und legte den Kopf schief. Es war das erste Mal, dass er, ohne einen Groll gegen Lauren zu hegen, sich mit dieser unterhalten konnte.

Lag es vielleicht daran, dass er nun sicher wusste, dass seine Elea am Leben war? Er dachte nach und nickte schließlich kaum merklich.

Lauren senkte den Kopf und trat unruhig von einem Bein auf das andere. Sollte sie Sedryn von ihrem Kummer erzählen?

„Ich glaube nicht, dass sie mich sehen möchte …“, begann sie dann zögerlich.

Sie schwieg einen Augenblick und blickte Sedryn dann direkt in die Augen. Ein trauriges Glitzern lag in ihnen und jagte ihm einen Schauder über den Rücken.

„Ich habe das Gefühl, dass ich etwas Schlimmes getan habe, bevor ich hierher kam … Mynuel war immer freundlich zu mir, aber der Kummer in ihren Augen, wenn sie mich angesehen hat … Irgendetwas ist vorgefallen, und ich war ein Teil davon. Ich kann es spüren … Habe ich Böses getan?“ Sie sah ihn mit forschenden Augen an und schluckte hart. Sie fürchtete seine Antwort und sah schließlich zu Boden. „Du weißt, was es ist, nicht wahr? Du weißt, was ich getan habe.“

Sedryn sah sie an und wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Es tat ihm weh, Lauren im Dunkeln zu lassen, doch er wollte verhindern, dass sie ihre Erinnerung zurückgewann und vielleicht wieder zu dem Wesen werden würde, das sie einst gewesen war.

„Ich glaube nicht, dass sie dich hasst, falls du das meinst“, entgegnete er ihr schließlich mit einem Lächeln, doch sie schien nicht ganz davon überzeugt.

„Lauren, hast du es nie bedauert, dein Gedächtnis verloren zu haben?“

Sie sah ihn verwundert an und schüttelte langsam den Kopf.

„Nein. Und um ehrlich zu sein, habe ich Angst davor zu erfahren, was geschehen ist. Sollte ich wirklich … jemandem etwas angetan haben, dann möchte ich diese Erinnerung nie zurückerlangen. Ich habe Angst davor das zu werden, was ich fürchte … Außerdem gefällt mir mein Leben jetzt wie es ist. Ich habe sogar etwas, das ich eine Familie nennen kann.“

Sedryn nickte verstehend und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Die Lauren, die vor ihm stand, war ganz anders als die Lauren, die er einst gebannt hatte.

„Sag, hast du etwas zu essen für mich? Ich habe schon seit Tagen nichts mehr gegessen.“

Lauren lächelte.

„Das Brot ist noch nicht fertig, aber wir haben noch etwas von gestern übrig, wenn dir das nichts ausmacht?“

Sedryn nickte. „Ich verhungere! Ich würde jetzt fast alles essen.“ Er lachte.

Sie wandte sich von ihm ab und machte sich daran, die Überbleibsel des vergangenen Tages zusammenzusuchen.

„Es ist nicht viel, aber für den Anfang dürfte es reichen.“

Sie stellte ihm einen Teller mit kleinen belegten Brotstücken und ein wenig Gemüse, das sie am frühen Morgen geerntet hatte, vor die Nase. Danach formte sie den Brotteig und schob den Laib in den heißen Steinofen.

„Ich gehe nach draußen“, meinte sie dann mit einem Blick zu Sedryn hinüber und verließ die Küche, ohne seine Antwort abzuwarten.

Das drückende Gefühl in ihrer Brust wurde wieder stärker und sie warf ängstliche Blicke in den klaren blauen Himmel hinauf, als sie das Haus verlassen hatte.

Etwas veränderte sich, sie konnte es immer deutlicher fühlen.

Aber was war es, das sie fühlte? Kehrte ihre Erinnerung allmählich wieder?

Oder war es etwas anderes, etwas Dunkles, das sich ihrer bemächtigen wollte?

Sie erschauderte, als sie daran dachte und hoffte inständig, dass sich ihre Ängste nicht bewahrheiteten.

Was auch immer es war, das sie fühlte, es war unbeschreiblich mächtig. Es rief nach ihr und es fiel ihr mit jedem Tag schwerer, diesem Ruf zu widerstehen und so unbeschwert weiterzuleben, wie sie es die letzten Jahre getan hatte.

Es dauerte nicht lange und der köstliche Duft frischen Brotes drang durch das Haus.

Sedryn beendete sein Frühstück, warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den Steinofen und verließ dann ebenfalls die Küche.

Draußen war es noch immer frisch und die kühle Morgenluft ließ ihn frösteln. Trotz allem wollte er ein Bad nehmen.

Er entledigte sich seiner Kleidung und stieg in den See hinein.

Wie er es erwartet und all die Jahre vermisst hatte, war das Wasser des Sees kühl, aber er fror nicht. Die seltsame Kraft des Sees war noch immer da.

‚Wie ich dieses Gefühl vermisst habe‘, dachte er bei sich und tauchte unter.

Seine Gedanken klärten sich mit jedem Augenblick, den er länger im Wasser verbrachte, bis er schließlich so ruhig war, dass er problemlos über die Geschehnisse der vergangenen Jahre nachdenken konnte.

Er dachte daran, was geschehen war, und wieder glitten seine Gedanken zu Elea.

Wann hatte sie aufgehört zu ihm zu sprechen?

Er dachte nach und das kühle Wasser des Sees half ihm dabei, seine Gedanken in Ruhe zu halten, so dass er es vermochte, eine Antwort auf seine Frage zu finden.

Sie hatte aufgehört zu ihm zu sprechen, als er zum ersten Mal auf die Menil traf und …

„Als ich anfing im Kreis zu laufen …“, murmelte er vor sich hin.

Aber konnten die Menil der Grund dafür sein?

Er schüttelte den Kopf. „Nein … etwas ist passiert … Ich war … nicht immer dort …“

Was auch immer geschehen war, er konnte sich nicht erinnern.

Er schloss die Augen und ließ sich schließlich gedankenverloren auf dem See treiben.

„Denkst du schon wieder an sie?“, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme sagen.

Sedryn rappelte sich erschrocken auf und verschwand für einen Moment unter Wasser. Als er die Oberfläche wieder durchstieß, erkannte er, dass es Ision war, der sich am Ufer niedergekniet hatte und ihn beobachtete.

„Ihr seid zurück?“, fragte Sedryn überrascht und schwamm ans Ufer hinüber.

„Ja, schon eine ganze Weile. Du warst so in Gedanken versunken, dass wir dachten, wir lassen dich noch eine Zeit lang in Ruhe. Aber Yvannie meint, du solltest jetzt endlich rauskommen, bevor du dich erkältest. Es ist kalt geworden.“

Sedryn sah ihn an und nickte dann. „Ja, du hast recht, aber ich bezweifle, dass man sich da drin wirklich erkälten könnte. Du weißt, was ich meine, es ist noch immer hier.“

Ision lachte und warf einen verstohlenen Blick zum Haus hinüber.

„Ich weiß, aber du kennst doch Yvannie. Sie wird sich nie ändern. Na komm, lass uns rein gehen. Mynuel kommt heute Mittag zurück. Sie war ganz aufgeregt, als wir ihr von deiner Rückkehr erzählten; sie freut sich, dass du endlich wieder da bist.“

Sedryn stieg aus dem See und griff nach dem Tuch, das Ision ihm anbot.

Gegen Mittag zogen Wolken auf und hüllten den Himmel in ein graues Tuch, das kein Sonnenstrahl durchdringen konnte.

Es begann allmählich zu dämmern, als Mynuel endlich eintraf und es schließlich anfing zu regnen.

„Tut mir leid, dass ich so spät komme“, entschuldigte sie sich mit einer leichten Verbeugung bei Yvannie.

„Das macht doch nichts“, entgegnete diese mit einem Lächeln. „Wir sind froh, dass du endlich zurückkommst. Elea hat dich vermisst.“

„Wo ist Sedryn?“, fragte Mynuel schließlich, als sie ihn nirgends entdecken konnte und runzelte die Stirn. Sie hatte geglaubt, er würde sie mit großer Spannung erwarten.

„In seinem Zimmer, nehme ich an. Als er erfahren hat, dass du kommst, war er ganz aufgeregt“, sagte Ision kopfschüttelnd und nahm Mynuel ihren Mantel ab.

„Geh zu ihm. Ich bringe euch etwas zu trinken“, meinte Yvannie dann und schob Mynuel vor sich her. Sie war froh, dass sie nun endlich alle wieder vereint waren und hoffte, dass nun auch Sedryn wieder zu sich selbst finden konnte und die Vergangenheit ruhen ließ.

„Danke.“

„Und Mynuel …“, sagte sie dann, als sich diese von ihnen entfernte. „Bitte, mach Sedryn keine falschen Hoffnungen … du weißt genauso gut wie wir, dass Elea niemals zurückkehren wird. Ermutige ihn nicht in seinem Glauben, ich bitte dich.“

Mynuel warf einen traurigen Blick zurück und nickte langsam.

Sie schritt den Flur entlang und blieb schließlich unentschlossen vor Sedryns Türe stehen.

„Mynuel, da bist du ja endlich wieder! Ich habe dich so vermisst!“ Elea kam auf sie zugelaufen und schloss sie in ihre Arme. „Endlich bist du wieder da!“

Mynuel lächelte freudig und strich ihr über den Kopf.

„Du bist groß geworden …“, bemerkte sie erstaunt. Sie schob sie auf Armeslänge von sich und musterte sie eingehend. „… und deine Kräfte haben weiter zugenommen, nicht wahr?“

Elea trat überrascht einen Schritt zurück und starrte sie mit großen Augen an. „Woher weißt du das? Ich habe nie …“

Mynuel zwinkerte ihr zu und klopfte dann an Sedryns Tür.

„Lass uns später darüber reden, ja? Sedryn interessiert das sicher auch.“

„Mynuel?“, drang es von der anderen Seite der Türe an ihre Ohren.

Sedryn öffnete die Tür und lächelte begeistert.

„Du hast dir ganz schön viel Zeit gelassen. Ision sagte, du kommst schon am Mittag“, sagte er enttäuscht und ließ sie eintreten. „Komm rein, ich muss mit dir reden.“

Mynuel sah Elea an, die sich, an Sedryn vorbei, ebenfalls ins Zimmer schob.

„Das betrifft nur Mynuel und mich, Elea“, meinte Sedryn bestimmt und bedeutete ihr wieder zu gehen.

Sie sah ihn mit enttäuschten Augen an.

„Ada wird nichts erfahren, bitte!“, bat sie nervös und sah hilfesuchend zu Mynuel hinüber.

Diese streichelte ihr über den Kopf und drückte sie an sich. Sie wusste ganz genau, warum Elea ihrem Gespräch beiwohnen wollte, aber das konnte sie Sedryn noch nicht sagen.

„Es ist okay, von mir aus kann sie bleiben“, meinte sie dann und zwinkerte ihr zu.

Sedryn zuckte die Schultern und schloss die Türe, dann bedeutete er seinen Gästen, sich zu setzen.

„Was ist los?“, fragte Mynuel mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen, als sie sich auf Sedryns Kopfkissen, das er am Boden hatte liegen lassen, niederließ.

Sedryn schien sichtlich angespannt zu sein und ein seltsames Leuchten lag in seinen Augen, das sie nur zu einer einzigen Vermutung kommen ließ. Der Zeitpunkt war also endlich gekommen.

„Hast du irgendetwas Seltsames bemerkt?“, fragte sie schließlich und musterte ihn eingehend.

Sedryn starrte sie mit großen Augen an und hielt verwundert den Atem an. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Sie konnte doch gar nicht Bescheid wissen, oder hatte ihr Elea schon alles erzählt? Die Art, wie sie jenen Satz sprach, ließ ihn vermuten, dass sie etwas wusste.

Er kniff die Augen zusammen und beobachtete jede ihrer Bewegungen genau. Sie wirkte genauso angespannt wie er es war.

„Bemerkt?“, entgegnete er schließlich euphorisch und lachte voller Freude auf. „Nein, ich habe sie gesehen! Hier, draußen am See! Und Elea hat sie auch gesehen!“

‚Natürlich hat sie das‘, dachte Mynuel mit einem Seitenblick zu ihr.

„Dann hat sie ihre Kräfte also endlich regeneriert.“

Ein sanftes Lächeln huschte über Mynuels Gesicht und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Lange hatte sie diesen Moment herbeigesehnt und gehofft, ihr Geheimnis preis geben zu dürfen, aber noch war es nicht soweit. Sie musste sich noch etwas gedulden.

Mynuel blickte Sedryn mit einem allesdurchdringenden Blick an.

„Du hast versucht, Magie anzuwenden, nicht wahr?“ Sedryn machte den Mund auf, doch ehe er antworten konnte, fuhr sie fort: „Ich sehe es in deinen Augen. Du bist müde. Nicht nur, weil du letzte Nacht nicht geschlafen hast. Das sind die Nachwirkungen des Zaubers. Es ist nicht mehr so einfach wie früher Magie anzuwenden, Sedryn.“

Sedryn, und ebenso Elea, blickten Mynuel verwundert an. Sie schien weitaus mehr darüber zu wissen, als sie beide es für möglich gehalten hatten.

„Woher weißt du das alles?“, fragten die beiden wie aus einem Mund.

Mynuel senkte den Kopf und seufzte leise. Noch konnte sie ihr Geheimnis nicht offenbaren.

„Das darf ich euch nicht sagen, tut mir leid …“, entgegnete sie zögerlich.

„Aber …“, begann Sedryn, doch sie schüttelte bestimmt den Kopf und bedeutete den beiden, dass jede weitere Diskussion diesbezüglich sinnlos war.

Auch wenn es ihr schwer fiel, den beiden zu verschweigen, was sie wusste, so hatte sie doch einen Schwur geleistet, dem sie treu bleiben wollte.

Elea musterte Mynuel eingehend und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Hatte sie Ea etwa ebenfalls getroffen?

Sie konzentrierte sich und versuchte Mynuels Gedanken zu lesen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Enttäuscht ließ sie den Kopf hängen und hoffte, Mynuel würde ihr Geheimnis bald preisgeben.

Sie schwiegen sich eine Zeit lang mit gesenkten Köpfen an, bis die Stille schier unerträglich wurde, doch auch dann wagte es keiner, sie zu durchbrechen.

Es klopfte an der Tür und die drei schreckten auf.

„Ehm … ja?“, fragte Sedryn einen Moment später und erhob sich, froh darüber, dass die Stille nun endlich durchbrochen wurde.

Die Tür öffnete sich und Ision trat, beladen mit einem Tablett Tee und Gebäck, ein.

„Ich dachte, ich leiste euch ein wenig Gesellschaft. Eure Themen scheinen ja sehr interessant und voller Enthüllungen zu sein, die mir bis jetzt entgangen waren.“ Sein Blick glitt zu seiner Tochter, die den ihren allerdings schnell von ihm abwandte.

Sie wusste, dass er sie durchschaut hatte. Immerhin hatte sie ihre Gabe, die Gedanken anderer zu lesen, von ihm geerbt.

„Keine Sorge, Yvannie wird nichts erfahren, wenn ihr das nicht wollt. Sie hat mit der Vergangenheit abgeschlossen und die damaligen Ereignisse in die hintersten Winkel ihres Geistes verbannt. Solange ihr nicht auf die Idee kommt, eine Reise zu unternehmen“, er sah Sedryn durchdringend an, „wird sie nichts erfahren.“

Sedryn hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut, ich hab‘ ja verstanden“, entgegnete er eilig und seufzte innerlich. „Noch ist es nicht soweit, dass ich wieder aufbrechen kann.“

Sedryn schwieg einen Moment und dachte nach, ehe er fortfuhr: „Aber bald ist die Zeit gekommen … und dann werde ich sie finden. Du wirst schon sehen. Ich werde sie hierher zurückbringen.“

Ision hielt es für besser, nichts zu erwidern und reichte stattdessen jedem von ihnen eine Tasse Tee. Den Teller mit Keksen stellte er auf den Boden, so dass jeder zugreifen konnte, wenn er wollte.

„Du hast also noch immer nicht aufgegeben?“

Überrascht über diese Frage, sah Sedryn ihn mit großen Augen an.

„Nein, natürlich nicht. Und das werde ich auch nie, denn sie wartet da draußen. Ich weiß es“, antwortete er mit Nachdruck.

Nun meldete sich Mynuel zu Wort.

„Ision, sie ist noch immer in unserer Welt“, warf sie dann ein. „Und die Magie kehrt auch zurück. Deine Kräfte müssten ebenfalls allmählich wiederkehren.“

Ision sah sie verwundert an, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ich möchte meine Kräfte gar nicht zurück. Diese Zeit ist vorbei. Ich möchte ein ganz normales Leben mit Yvannie und meiner Tochter führen. Sie haben es verdient, ein Leben jenseits der Verpflichtungen zu führen, die die Magie mit sich bringt.“

„Aber …“ Elea sah ihren Vater mit großen, traurigen Augen an. Wie konnte er so etwas nur sagen? „Aber ich kann ohne das nicht leben …“

Vor ihr begannen die Kekse in der Luft zu schweben und auf und ab zu tanzen; begleitet wurden sie von silbrigweißen Lichtkügelchen.

„Ich kann ohne das nicht leben …“ Sie schien den Tränen nahe.

„Wird aber auch Zeit, dass du mir deine Kräfte offenbarst, Liebes“, meinte Ision mit einem väterlichen Lächeln auf den Lippen. „Ich habe so etwas ja schon geahnt, trotzdem ist es ein seltsames Gefühl.“ Er schüttelte den Kopf und versuchte seine Unsicherheit zu verbergen, doch so ganz gelang es ihm nicht.

Sedryn starrte Elea an, als habe er einen Geist gesehen.

Sicher, er wusste ja, dass sie die Gefühle und Gedanken anderer lesen konnte, aber dass sie auch die Magie selbst verstehen konnte, erstaunte ihn, und ihm wurde klar, dass sie weitaus mehr zu wissen schien, als es zu Beginn den Anschein hatte.

Warum hatte sie ihm dies verheimlicht?

Warum hatte sie ihm nicht von Anfang an die Wahrheit offenbart und die Last von seinen Schultern genommen, die ihn schier um den Verstand gebracht hatte?

„Wie … lange kannst du das schon?“, fragte er schließlich neugierig und blinzelte verwundert. Er wollte alles über sie erfahren.

„Seit ihrer Geburt“, entgegnete Mynuel dann an ihrer statt.

Alle Blicke wandten sich ihr zu.

Ision war der Erste, der verstand, und er lächelte amüsiert. „Dein Lachen …“

Mynuel nickte langsam.

„Yvannie und ich hatten uns immer gefragt, warum du in Eleas Gegenwart stets so fröhlich warst. Jetzt verstehe ich …“

Sedryn sah Mynuel entgeistert an und wusste nicht recht, wie er auf diese Offenbarung reagieren sollte.

Sie wusste bereits seit Jahren darüber Bescheid, dass die Magie – und damit auch seine Geliebte – noch immer in dieser Welt weilten.

Sedryns Herz begann bei diesem Gedanken schneller zu schlagen und er fragte sich verzweifelt, warum sie ihm dies verschwiegen hatte und Jahre des Leids durchleben ließ. Sie hätte seine Pein vor langer Zeit beenden können, dachte er enttäuscht. Doch ehe er etwas sagen konnte, sprach Mynuel weiter.

„Dann verstehst du auch, dass Ea noch immer in unserer Welt weilt? Nicht nur die Rückkehr unserer Kräfte beweist das. Denkt doch mal nach. Sie war nie wirklich aus unserer Welt verschwunden. Ich habe selbst einige Zeit gebraucht, es zu verstehen, aber jetzt …“

Mynuel sah sie der Reihe nach an, doch da keiner Anstalten machte, etwas zu sagen, fuhr sie fort: „Lauren … sie war – ist – Eas Gegenstück. Licht kann ohne Dunkelheit nicht existieren und umgekehrt. Solange Lauren am Leben ist, wird Ea es auch sein. Die beiden sind im Leben, wie auch im Tod, miteinander verbunden, versteht ihr?“

„Selbst du nennst sie Ea“, sagte Sedryn schließlich verwundert, ohne auf ihre Worte einzugehen, und runzelte die Stirn. „Warum? Du kanntest sie als Elea.“

Es dauerte einige Augenblicke, ehe er verstand.

„Ihretwegen, nicht wahr?“ Er sah zu Elea hinüber, die betreten auf den Boden vor sich blickte.

Mynuel sah ihn an und nickte schließlich kaum merklich. Den wahren Grund konnte sie ihm einfach nicht nennen, dachte sie betrübt.

Sedryn schien mit ihrem Nicken zufrieden zu sein und ein breites Grinsen ging schließlich über seine Lippen. Seine Gedanken überschlugen sich und ein erwartungsvolles Leuchten lag in seinen Augen, als er einen Entschluss fasste.

Ein langer Augenblick des Schweigens folgte, ehe er sich räusperte und sein Vorhaben freudig verkündete: „Dann werde ich sofort aufbrechen und weiter nach ihr suchen!“

Er fühlte sich so unendlich frei und all der Kummer, den er die vergangenen Jahre ertragen hatte, schien wie weggeblasen. Nun zählte für ihn nur noch, seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Er wollte nicht warten. Er konnte nicht warten.

Sein Herz begann noch schneller zu schlagen, als er daran dachte, seine Geliebte bald wieder in die Arme schließen zu können. Aber erst musste er sie finden und sein Blick wanderte zu Mynuel.

Wusste sie vielleicht sogar, wo er sie finden konnte?

Mynuel sah ihn enttäuscht an und schüttelte betrübt den Kopf. Schon bereute sie, dass sie einen Teil ihres Geheimnisses preisgegeben hatte.

Das Letzte, das sie wollte, war Sedryn in seinem Glauben zu ermutigen und ihn jetzt, da der Winter Einzug nahm, wieder auf der Suche nach Ea zu wissen.

Sie glaubte zu wissen, dass er es diesmal nicht überleben würde, denn nun, da er sicher wusste, dass sie dort draußen war, würde ihn nichts mehr davon abhalten, alles aufs Spiel zu setzen, um sein Ziel zu erreichen. Er würde weder schlafen, noch essen, da war sie sich sicher.

„Sedryn“, drang Eleas ängstliche Stimme an ihre Ohren und holte sie in die Realität zurück. „Geh nicht! Nicht jetzt!“ Sie sah ihn flehentlich an und versuchte, sich ihre nächsten Worte zurecht zu legen.

Sie wollte Ea nicht enttäuschen und das Versprechen, das sie ihr gegeben hatte, nicht brechen. Aber wie konnte sie Sedryn davon überzeugen, bei ihnen zu bleiben, ohne ihm die Wahrheit zu offenbaren?

„Was … was glaubst du, warum Ea all die Zeit nicht mehr zu dir gesprochen hat?“, murmelte sie schließlich leise. „Denk doch mal nach, Sedryn …“

Elea senkte den Blick und erzitterte. Sie wusste besser als jeder andere, dass Ea es vermied ihn zu sehen, doch das konnte sie ihm nicht sagen.

„Ea will dich in Sicherheit wissen … deswegen spricht sie nicht mehr zu dir. Wenn der Winter vorbei ist, wird sie sich dir wieder zeigen, da bin ich mir sicher. Bitte, Sedryn … um Eas Willen, bleib hier.“

Sie hoffte inständig, dass er ihre Worte nicht hinterfragen würde. Sedryn war jahrelang auf der Suche nach Ea gewesen. Er hatte viele Winter überlebt.

Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten und verließ eilends das Zimmer.

Yvannie hatte sich in der Zwischenzeit in der Küche zu schaffen gemacht und bereitete das Abendessen vor.

Es war lange her, seit so viel Leben in ihrem Haus geherrscht hatte.

Ein Lächeln schlich über ihre Lippen, als sie sich an die Brust fasste und die Augen schloss. Das wärmende Gefühl, das sie durchfloss, hatte sie seit Eleas Geburt nicht mehr verspürt.

Alles schien wieder beim Alten zu sein – doch sie vermisste ihren Bruder Cal.

‚Cal wäre schon längst erwachsen … und hätte bestimmt schon eine eigene Familie‘, dachte sie betrübt.

Yvannie ließ ihre Gedanken gleiten, bis sie ihren Bruder vor sich sah. Ein gequältes Lächeln huschte über ihre Lippen.

Er war hoch gewachsen und überragte sie um einen Kopf. Sein blondes Haar fiel ihm ins Gesicht und verdeckte seine sanften grauen Augen. Lächelnd wischte er sich die Haare aus dem Gesicht.

Ein helles Lachen erklang und Cal wandte sich mit einem breiten Grinsen von Yvannie ab.

Der kleine Junge, der Cal in die Arme fiel, glich ihm aufs Haar. Yvannie war sich sicher, dass dies sein Sohn sein musste.

Tränen rannen ihre Wangen hinab und sie blinzelte.

Als sie sich umsah, stand sie wieder allein in der Küche und ihr wurde klar: Cal war nicht mehr am Leben. Er war nie erwachsen geworden und hatte nie eine Familie gründen können. Alles, was sie gesehen hatte, war ihrer Fantasie und ihren Wünschen entsprungen.

Sie konnte die Tränen nicht aufhalten und schluchzte leise, als sie daran zurückdachte, was ihrem kleinen Bruder vor so vielen Jahren wiederfahren war.

‚Ich vermisse dich so sehr …‘, dachte sie verzweifelt. Der Schmerz in ihrem Herzen war unerträglich.

Es war ihr unangenehm, denn jeden Moment konnte sich die kleine Versammlung in Sedryns Zimmer dem Ende neigen und sie wollte nicht, dass man sie so sah.

Sie warf einen schnellen Blick in den kleinen Ofen und verließ dann eilends die Küche und das Haus, um frische Luft zu schnappen.

Draußen angekommen, sog sie die kühle Nachtluft ein, doch die Tränen flossen weiter. Es war lange her, seit sie das letzte Mal so die Beherrschung verloren hatte.

Ihre Gedanken kreisten um ihre verstorbenen Freunde, die sie so sehr ins Herz geschlossen hatte, dass sie den Schmerz ihres Verlustes kaum ertragen konnte.

Die Regenwolken hatten sich in der Zwischenzeit wieder verzogen und Tausende winzige Sterne standen am klaren Nachthimmel.

Yvannie störte es nicht, dass sie ihr Kleid durchnässte, als sie sich am seichten Ufer des Sees niederließ. Im Gegenteil, es hatte eine beruhigende Wirkung auf sie und sie schaffte es endlich, ihren Gefühlsausbruch wieder unter Kontrolle zu bringen.

Das wärmende Gefühl, das beim Anblick des Mondes ihren Körper durchwanderte, wurde stärker und Yvannie glaubte, das sanfte Mondlicht auf der Oberfläche des Sees ebenfalls heller werden zu sehen.

Verwundert betrachtete sie die unbewegte Oberfläche und die winzig kleinen Lichtpunkte, die nun über der Mondspiegelung auf und ab tanzten.

Das Bild, das sich Yvannie bot, hatte etwas Magisches an sich, fand sie, und erinnerte sie an Elea. Dasselbe Gefühl, das sie damals verspürt hatte, als sie sie zum ersten Mal traf, durchzog ihren Körper nun ein weiteres Mal und jagte ihr einen leichten Schauder über den Rücken.

Langsam kam sie wieder zur Ruhe und das entspannende Gefühl, die sie nun durchströmte, ließ ihrer Kehle ein schwaches Seufzen entrinnen.

‚Glühwürmchen …‘, dachte sie mit einem erfüllten Lächeln auf den Lippen.

Die Glühwürmchen tanzten weiter auf und ab und zu ihnen gesellten sich andere, größere Leuchttiere, die Yvannie nicht zu identifizieren vermochte.

Verwundert und von Neugierde gepackt, beobachtete sie das sich ihr bietende Bild und als sich die Glühwürmchen ihr näherten, erkannte sie, dass es gar keine Glühwürmchen waren.

Sie hielt den Atem an.

‚Ein Lichtzauber, wie ihn Cal …?‘ Yvannie schluckte hart, als sie wieder an ihren Bruder dachte und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739477251
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Magie Love Fantasy Romance Liebe Romantasy Episch High Fantasy Liebesroman

Autor

  • Stephanie Rose (Autor:in)

Stephanie Rose, am 15.05.1987 in Heilbronn am Neckar geboren und im beschaulichen Städtchen Gundelsheim aufgewachsen, wurde die künstlerische Begabung von ihrem Vater, einem Goldschmiedemeister und erfolgreichen Maler expressionistischer Werke, in die Wiege gelegt. Ausgestattet mit einer regen Fantasie und stets fasziniert von Mythen und fantastischen Geschichten verfasste sie bereits während der Schulzeit Gedichte und Kurzgeschichten.
Zurück

Titel: Ein Licht in der Dunkelheit II