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Plünderer

von Klotz Van Ziegelstein (Autor:in)
420 Seiten
Reihe: Neobarbaren, Band 1

Zusammenfassung

Kann es ein Student mit Datengöttern und Wildmenschen aufnehmen?
Es ist eine Frage, die sich Jimmy King bislang nicht gestellt hat. Bislang hatte er auch ein gemütliches Dasein in den Universitätscontainern. Das ändert sich jedoch, als er durch seine Abschlussprüfung rasselt.
Nun muss der Studienkredit abbezahlt werden und zwar schnell. Die digitale Unterwelt verspricht das schnelle Geld. Aber Jimmy ist nicht als Einziger auf der Jagd. Und er ist bei Weitem nicht der tödlichste Jäger...
Der Auftakt der Neobarbaren-Serie entführt in ein fremdes Berlin, wo der Klimawandel und Nationalstaaten nur noch graue Erinnerung sind. Alles ist hyper-optimiert und hyper-reguliert. Eigentlich dürfte es keine Konflikte mehr geben. Eigentlich gibt es auch keine. Zumindest offiziell...
Steckt genug Barbar in dir, um es mit dem 30. Jahrhundert aufzunehmen?
Stürz dich in den Kampf und beweis es!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Spielbälle

- Berliner Cluster, Jahresstatistik:

  • Beliebtheit des Schlossherren: 89%

  • Biologische Bevölkerung: 12 Millionen

  • Digitalisierte Bevölkerung (registriert): 92 Millionen

  • Durchschnittliche IR-Nutzung: 20 Stunden pro Tag

  • Problematisches Gedankengut: 5%

  • Erfolgreiche Resozialisierungen: 42

  • Ausgesprochene Verbannungen: 6

  • Gerechtigkeitsindex: 4.3

  • Lichtgilden: 31

  • Schattengilden (Schätzwert): 29

  • Akkordstufe: 77

  • Gleichgewicht: intakt

Zwölf Prozent

Kein Stamm ohne Regeln. Und keine Regel ohne das Schwert, das sie durchsetzte. Auch in den Bastionen von Tugend und Technologie war noch immer Blut die verlässlichste Tinte.

Die Armmuskeln des Gefangenen begehrten auf. »Keine Spielchen mehr«, sagte Terbish und verstärkte seinen Griff. »Ihre Götter haben Sie nicht aufgegeben, Kristjan. Es ist nicht weise, von der Gnade zu fliehen.«

Der Ellbogen des Gefangenen drückte gegen seine Jacke. Verzweifelt. Schwach. »Geht das nicht in deinen Schädel? Sie sind nicht meine Götter.«

»Unsterblich und allwissend«, erwiderte Terbish. »Mit Gewalt über alle Seelen, die waren und sind. Ist das nicht die Beschreibung eines Gottes?« Seine Stiefel pflügten durch Pfützen, kappten Rinnsale. Die Überbleibsel des Kunstschauers, der auf diese Nacht angesetzt gewesen war.

Ein Schnauben prallte an seine Jacke, doch die Handgelenke gaben den Kampf gegen den Strick auf.

»Höchstens eines falschen.«

Terbishs Blick wanderte über die vierrädrigen Maschinen, die sich in Reih und Glied zur Ruhe gelegt hatten. Aus den Windschutzscheiben sprangen ihn seine Züge gleich einem Raubtier an. »Falsch oder nicht, die Geisterherren hätten weit grössere Opfer von Ihnen verlangen können. Nach der Therapie sind Sie ein geläuterter Mann. Frei, einen neuen Pfad einzuschlagen.«

Der Vorhang zerfranster Strähnen geriet in Bewegung, ein trotziges Augenpaar funkelte auf.

»Du weisst so gut wie ich, dass mich keine Therapie erwartet, Kopfsammler. Die werden mein Hirn durch ’nen Fleischwolf drehen.«

»Ich weiss nur, dass unsere gemeinsame Reise hier endet.«

Terbish prüfte einmal mehr die Umgebung. Mehr aus Gewohnheit denn wirklichem Erfordernis. Kristjan hatte keine Verbündeten mehr. Nicht in dieser und in keiner anderen Welt.

Eine leer gefegte Strasse schlang sich um den Parkplatz. Die angrenzenden Hausfassaden waren ein Wall, dessen Fenster sich zu schwarzen Schiessscharten gewandelt hatten. Lediglich ein Türrahmen war mit Edelsteinlampen verziert. Darüber luden strahlende Buchstaben zu einem Gelage im Fellatio-Corsair ein.

Das Ende des Parkplatzes rückte immer näher. Und mit ihm das Glastor der Zitadelle. Die Bruchstücke Natur zwischen den Trakten erweckten einen Eindruck von Beschaulichkeit. Doch hinter den Sträuchern patrouillierten Hunde, während von den Bäumen aus Vogelgeschwader die Eingänge im Blick behielten. Ein Zeichen, dass die Anlage zu gleichen Teilen Gefängnis und Heilanstalt war.

Die Wachdrohnen schwenkten ihre Kameraaugen wesentlich ungerührter auf die frische Bewegungsquelle, als es menschliche Beobachter getan hätten. Die Schürfwunden in Kristjans Gesicht waren realitätsecht, die Fetzen in seinem Gewand ebenfalls. So realitätsecht, wie es nur die Realität sein konnte. Jedem wäre klar gewesen, dass er nicht von einem Kostümball kam. Andererseits hätte sein Erscheinungsbild wohl derart viele Fragen aufgeworfen, dass die Schockpistole in Terbishs Faust niemandem aufgefallen wäre.

Der Gefangene verkürzte seine Schritte, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Seine Augen waren auf den Haupteingang fixiert, über dem eine Leuchttafel Resozialisierung ankündigte. Schweissflecken hatten sich auf dem Untergewand gebildet.

Terbish suchte die Angst des Entführten zu dämpfen. »Die Monde hinter diesen Wänden werden nicht mehr als ein Staubkorn in der ewigen Steppe sein, die Sie vor sich haben.« Kristjan stiess ein Lachen aus, das zwischen Wut und Verzweiflung schwankte. »Philosophie? Aus dem Mund eines Wilden?« Sein Rücken krümmte sich.

»Wahrlich, der Barbar ist des Barbaren Löschung. Die Neun haben um die Trollkrone gewetteifert, als sie euresgleichen zurückriefen.«

»Denken Sie, die obersten Geister würden sich solche Spässe erlauben?«

»Was verstehst du schon von unserer Gesellschaft?«

»Ich verstehe, dass Sie heute Nacht mit dem Kopf auf den Schultern schlafen werden.«

Der Mann erbleichte, aber sein Gang nahm das alte Tempo auf. Offenbar hatten die Worte für eine neue Perspektive gesorgt.

Bei ihrem Eintreten erschallte eine heitere Tonfolge. Der Auftakt zu einem Frontalangriff von Harmonie und Eintracht auf alle Sinne. Tropfenförmige Lampen fluteten den Raum mit warmem Orange, falsches Gras federte unter ihren Schuhen. Hinter dem Empfangstresen rauschten Bilder lächelnder Menschen über die Wand. Jedes Gesicht, das aus den Fleischkliniken in die Welt entlassen worden war, schien Berücksichtigung gefunden zu haben. Lavendelgeruch drängte sich der Nase auf.

Kristjan zog eine Grimasse und hätte wahrscheinlich auf der Stelle kehrtgemacht, wenn ihn Terbish nicht weiter in den Raum bugsiert hätte. Der Tresen war unbesetzt. Aus dem Flur eilte jedoch ein Mann in Weiss heran, begleitet von einer Metalldrohne. Es war ein ihm unbekanntes Modell, doch Terbish nahm von den Poren entlang der Greifarme Notiz. Er ahnte, dass sich in den Löchern Nadeln verbargen.

»Ich möchte einen neuen Patienten melden: Kristjan Enginnsson. Er wird seine Therapie noch heute antreten.«

»Ist das so?«, entfuhr es dem Betreuer. »Er sieht aber eher wie ein Fall fürs Krankenhaus aus.« Etwas in dem Pergamentgesicht rührte an Terbishs Erinnerungen. Sie standen sich nicht zum ersten Mal gegenüber.

Ein weisser Ärmel schob sich vor die Nase. »Und was ist das für ein Gestank?« »Maschinenöl«, antwortete Terbish. »Kristjan hatte ursprünglich eine lange Reise geplant und sich dazu in den Eingeweiden eines Shuttles verkrochen.« Seine Erklärung scheiterte daran, die Skepsis aus der Gelehrtenmiene zu vertreiben. Terbish grub sein Gedächtnis auf der Suche nach einem Namen um.

»Und woher der plötzliche Sinneswandel?«

»Ich habe ihm geholfen, seine Prioritäten zu überdenken.«

Die zweifelnden Augen sprangen von Terbishs Pistole zum Loch, das in der Jacke des Gefangenen klaffte. Die Ränder waren verkohlt.

Obwohl sich der Seelenheiler um einen gelassenen Auftritt bemühte, waren Terbish die Vorkehrungen der Drohne nicht entgangen. In den Poren der rechten Handfläche hatte es zu funkeln begonnen. Seine Identität mochte den Anwesenden ein Rätsel sein. Seine Herkunft jedoch nicht. Selbst nach all den Jahren schleppte er einen Rest Aussenwelt mit sich herum. Einen Abdruck der Wildnis, gegen den die beste Seife und das sauberste Hemd nichts ausrichten konnten.

»Überprüfe die Klinikaufzeichnungen, Gerhard, wenn du mir nicht glaubst. Kristjan sollte auf heute angekündigt worden sein.«

Nun war er auf den richtigen Namen gestossen. Der Ärmel senkte sich langsam.

»Sind wir uns schon einmal begegnet?«

»Begegnet man dir nicht in jeder Sozialanstalt?«

Der rechte Mundwinkel des Mannes krümmte sich aufwärts. »Es gibt eben keinen besseren Korrektologen als mich auf dem Erdball. Dreihundert Jahre Berufserfahrung holt man so schnell nicht ein.«

Terbish liess die Pistole in die Schlaufen seines Wehrgehänges gleiten.

»So scheint es.«

Gerhard wandte den Kopf nach hinten, wie wenn die Leere über dem Tresen nach ihm gerufen hätte. Er lauschte mehrere Herzschläge konzentriert. Dann nickte er.

»Kristjan wurde tatsächlich als Prioritätseintritt gemeldet. Von der Schlossherrin persönlich.« Die Drohnenarme zuckten.

»Sechzehn Monate Intensivtherapie.«

Auf die Feststellung folgte Stille. Der Rasen knisterte, als der Heiler sein Gewicht von einem Fuss auf den anderen verlagerte. Das Chromantlitz der Drohne tat sich leichter damit, den darin tobenden Konflikt zu unterdrücken. Pflichtbewusstsein drängte darauf, den Patienten in Gewahrsam zu nehmen. Angst dagegen auf möglichst grossen Abstand zu Terbish.

Er erleichterte ihnen die Entscheidung. Ein kurzer Handgriff und der Strick glitt von Kristjans Handgelenken. »Meine Aufgabe ist erledigt«, sagte Terbish im Wegdrehen. »Gute Nacht.« Er konnte beinahe spüren, wie die Anspannung aus der Lobby entwich.

Nun, da auch die letzte trügerische Barriere gegen die Behandlung gefallen war, kehrte die Furcht des Regelbrechers zurück. »Warte! Du kannst mich nicht hier zurücklassen!« »Sie werden überleben«, antwortete Terbish, ohne seine Schritte zu verlangsamen. Die Drohne breitete ihre Arme aus.

»Nein! Ich …«

Die Türautomatik würgte seinen Protest ab. Feuchte Nachtluft ersetzte den Lavendelgeruch. Sofern an diesem Ort überhaupt von Nachtluft die Rede sein konnte.

Ein schwarzer Pfeil stiess aus dem Himmel herab. Im nächsten Herzschlag spürte Terbish den vertrauten Druck auf seiner Schulter. Er schaute zum Falken. Sein Gefieder liess sich nicht von dem eines echten Vogels unterscheiden. Denn es war echt. So echt wie der Rest des Tiers, herangezüchtet unter den falschen Sonnen dieser Welt und durch Maschinenhexerei umgestaltet.

»Ich könnte mich an Nächte wie diese gewöhnen.«

Der Vogel legte den Kopf schief, erwiderte aber nichts. Auf dem Rückweg fiel Terbish auf, dass die Hunde am Rand des Parkplatzes ausharrten. Ihre Augen folgten ihm. Jemand wollte sicherstellen, dass er die Anlage verliess.

Der Transporter hatte sein Nahen unlängst registriert und auch seine Absichten korrekt eingeschätzt. Noch bevor sich sein Fuss ein letztes Mal gesenkt hatte, glitt die Seitentür auf. Der Einsatz hatte seine Spuren im Innenraum hinterlassen. Klebeband und eine Seilrolle lagen zwischen abgeknickten Bechern auf dem Boden. Vom Wasserspender hing eine Atemmaske.

Sein geflügelter Begleiter stiess sich ab und landete auf der Sitzbank. Ein gewöhnlicher Falke hätte sich nicht auf dem Polster niederlassen können, ohne es mit seinen Krallen aufzuschlitzen. Doch in dieser Welt jagten nur Menschen. Und ihre Schatten.

Er bückte sich ins Innere. Die Seitentür glitt von selbst an ihren alten Platz. Als sich Terbish auf die Rückbank fallen liess, kamen ihm seine Arme plötzlich schwerer vor. Aber auch in dieser Nacht holte ihn die Müdigkeit nicht ein. Sie würde ihn nie mehr einholen.

»Gute Arbeit.«

Obwohl sie ihren Leib vor Jahrhunderten verlassen hatte, wohnte in der Stimme noch die militärische Strenge des JVK. »Kristjans Einlieferung sollte die Wogen in Ishöll glätten. Wenn man vom Protokoll des Tribunals ausgehen kann, sind seine Gedanken auf eine äusserst gefährliche Schiene eingeschwenkt.«

Die Worte sickerten aus der Fahrzeughaut. Ohne die Wucht echter Überzeugung. Auch in der reinsten Seele fand sich das Herz eines Dämons, wenn man lange genug hinsah. Und die Hüter der Zivilisation hatten nicht weniger als die Ewigkeit, um hinzusehen.

»In der Klinik wird er die richtigen Gedanken bekommen.«

»Das wird er.«

Der Motor erwachte mit einem schläfrigen Ruck. Terbish streifte den Umhang ab. Seine Hände verharrten über den Nieten des Wehrgehänges.

»Wir fahren nicht zurück in den Unterschlupf, oder?«

»Du hast es erraten«, entgegnete die Geisterstimme. »Das Festland ruft. Genauer gesagt Berlin.«

Terbishs Arme sanken herab.

»Was ist geschehen?«

»Es gab einen Überfall auf den Hauptsitz von CortexSync. Dein Flug geht in einer Stunde.«

Nach der Ankündigung schwiegen die Wände und Terbish fühlte, dass der Geist aus ihnen gewichen war. Die Falkenaugen blieben auf ihn fixiert, während der Transporter aus der Parklücke schlich.

Er rutschte zum Fenster. Sein Fussknöchel stiess gegen etwas Hartes. Ein Blick nach unten konfrontierte ihn mit dem Lauf des Sternenspalters. Der Eisenschlund reckte sich unter der Bank hervor, als hätte er dem Gespräch gelauscht.

»Zügle deinen Durst«, raunte Terbish, wohl wissend, dass die Waffe auf dem Kontinent zur Genüge Blut getrunken hatte. Und es mit Freude wieder täte. Bis er der letzte Barbar in den Türmen wäre.

Die Jagd hatte kein Ende.

Berufliche Neuorientierung

»Es tut mir ausserordentlich leid, Herr King, aber Ihr Fall scheint eindeutig«, sagte die Frau und richtete verlegen ihre Brille. »Advanced Social Management ist ein Pflichtfach Ihres Studiengangs. Und das war Ihr dritter Fehlversuch …«

»… und damit bin ich draussen«, versah Jimmy die Aussage mit dem ernüchternden Schlusspunkt. Der Mangel an Emotionen in seiner Stimme überraschte ihn. Sie klang so teilnahmslos wie der Regen, der sich gegen die Fenster warf. Als hätte er soeben dem Ausschlussgespräch eines anderen Studenten beigewohnt. Als wären nicht zehn seiner eigenen Blutjahre im Nichts verpufft. Und doch bestand kein Zweifel an seiner gegenwärtigen Lage.

Die Beratungs-KI wich seinem Blick mit übermenschlichem Können aus. Immerhin hatte er ein attraktives Modell vorgesetzt bekommen. Blond im Business-Look, mit einem Hauch von Bibliothekarin veredelt. Nicht dass man in diesen Gängen noch auf ein Regal gestossen wäre. An den Schalthebeln der Freien Universität 6.34 klammerten sich bekanntlich einige Fossile fest, aber auch sie hatten einsehen müssen, dass Wissen in virtuellen Räumen weniger Platz verschwendete als in der Realität.

»Ich bedaure, an Ihrer Situation nichts optimieren zu können. Aber die Bestimmungen der Hochschulallianz lassen wenig Spielraum. Sie werden für die Wirtschaftswissenschaften gesperrt.«

Die Mimik der Frau simulierte Anteilnahme. Unter ihrem Blazer stach der Humus hervor, durch Recyclingtechnologie und den Eifer eines Weltverbesserers in Stuhlform gepresst. Der Eifer hatte weit genug gereicht, um die Sitzgelegenheit auf der ganzen Länge des Konferenztisches zu duplizieren. Ein Sieg für den periodisch wiederkehrenden Nachhaltigkeitskult, der gleich einem schimmelnden Zombie stets dann aus seiner Gruft torkelte, wenn man ihn endgültig für tot erklärt hatte.

Der letzte Auftritt des Zombies lag schon zwei Jahre zurück. Auch damals war die Allianz an vorderster Front dabei gewesen und hatte die technisch orientierten Fakultäten zur Herstellung einiger umweltfreundlich anmutender Kuriositäten animiert. Sobald der Zombie in seine Gruft zurückgeschlurft war, hatte man bei den Projekten den Stecker gezogen.

Jimmys eigener Sessel knirschte launig, als er sich vorbeugte. Dieses Mal hatte die Modewelt den Zombie wachgetrommelt. Und er würde bis zum Ende der Trendwelle bleiben: Bio war in, Synthetik war out.

»Ich schätze, damit ist eigentlich alles gesagt.«

»Es steht Ihnen nach wie vor frei, sich für einen anderen Studiengang anzumelden.«

»Und wieder zehn Jahre in den Sand zu setzen?«

Er liess sich in den ovalen Sessel zurücksinken. Zwischen seinem Kunstfaserpullover und dem komprimierten Biomaterial kam es seit Beginn der Unterhaltung zu Reibereien.

»Darauf kann ich verzichten.«

Die KI parierte seine Bitterkeit mit einem verständnisvollen Nicken. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Herr King.« Ihre Stimme hatte in einen neuen Modus gewechselt: Akustische Streicheleinheit. Den Folgeworten wurde die Härte dadurch nicht genommen.

»Ich muss Sie leider darüber informieren, dass mit dem Ausschluss von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ihr Anrecht auf kognitive Erweiterung verwirkt ist.«

Die Hände von Jimmys Avatar griffen nach der Tischplatte, fanden am Eichenholz jedoch keinen Halt.

»Das heisst?«

»Alle Denkmodule, die Ihnen durch das Studium zugewachsen sind, müssen entfernt werden.« Sie stand auf. »Ein Synchronisierer ist bereits reserviert. Bitte folgen Sie dem Pfeil.«

Jimmy hörte der Frau nur noch mit halbem Ohr zu. Sein Blick ging durch ihren Avatar hindurch, hinaus auf die Ziegeldächer von Schloss Dahlem. Auch dort fand er keinen Halt. Der metallische Horizont entzog ihm die Hausmodule, danach die Fensterrahmen und den Tisch. Die Sachbearbeiterin nahm er sich als Letztes.

Er starrte wieder auf die Blechwand. Seine Finger bohrten in den Lehnen des Biosessels. Das Einzige, was von der IR-Session geblieben war. Er kämpfte sich aus dem Humus, gehemmt durch die schwere Kost, die man ihm aufgetischt hatte. Auf dem Weg zur Tür steigerte sich sein Tempo. Er wollte fort aus diesem Raum, fort von den Metallwänden, die ihm seinen Traum geraubt hatten.

Vor dem Zimmer warteten drei Studenten auf abgespeckten Editionen des Biosessels. Zwei langhaarige Kerle in engen Röhrenhosen und eine Frau mit pinkem Sweatshirt, auf das der stolze Schriftzug Do your own thing aufgedruckt war.

Das Geräusch der aufschwingenden Tür riss die Kommilitonen aus ihrer Trance. Der Mann auf dem linken Stuhl erhob sich schwankend. »Das ging aber schnell.« Jimmys Achselzucken misslang. Zu schwer war das Gewicht, das sich auf seine Schultern gesenkt hatte.

»Klarer Fall.«

Seine Antwort erreichte die Welt des Mitstudenten nicht mehr. Die Hose schien kurz vor dem Zerreissen, als er den Sitzungsraum betrat. Die anderen beiden sanken nach einem flüchtigen Rundumblick zurück in ihre Träume. Die Frau schloss dabei die Augen. Offenbar ein ruhigerer Trip. Ihr Nachbar musterte den Boden hingegen mit der Euphorie eines Goldgräbers, der nach Jahren fruchtloser Bemühungen auf eine Ader gestossen war.

Jimmy entfernte sich von den Sitzen. Das geriffelte Blech stimmte unter seinen Air Climbers hohles Gelächter an. Er spürte die Blicke der Deckenkameras im Rücken.

Nummerierte Türen gingen vom Flur ab. Jene, die offen standen, waren Fenster in den Wirtschaftsalttag. Studenten schrien KI-Assistenten über Tische hinweg an, ruderten mit den Armen in der Luft. Börsenkrisen und Absatzeinbrüche, bis ins kleinste Detail durchexerziert.

»Reserven ausschütten! «

»Ladet den verdammten Solow!«

»Bei der unsichtbaren Hand, wo ist das Optimum?«

Ein grüner Pfeil schoss an Jimmy vorbei und blieb über einem Türrahmen hängen. Die Anweisung der Sachbearbeiterin kroch aus dem Abfalleimer seines Gedächtnisses. Am liebsten hätte er den Pfeil ignoriert. Doch ihm war klar, dass er jetzt nicht den Bad Boy raushängen lassen durfte. Die Allianz würde ihn bis in die untersten Kellerstockwerke verfolgen, um ihr Eigentum aus seinem Intellekt zu schneiden.

Er seufzte und stiess die markierte Tür auf. Die Leuchtröhren im Raum waren auf eine niedrigere Stufe heruntergefahren worden. Entlang der Wände warteten Liegevorrichtungen darauf, Besucher in ihre Spinnenarme zu schliessen.

Drei Synchronisierer waren schon besetzt. Eine der Frauen warf den Kopf hin und her, die andere murmelte unverständliche Worte. Der Mann schlummerte wie ein Betonklotz. Tropfen quälten sich von aufgehängten Beuteln in Schläuche.

Jimmy schleifte sich zum Bett, über dem der Pfeil angehalten hatte. Das Summen der Matratzen begleitete ihn. Sie ernteten kein Lob für die bedingungslose Hingabe, mit der sie die Glieder der Lernenden massierten. So weit bestand das Feedback lediglich aus einem versabberten Kinn und verdrehten Augen. Die seligen Gesichter der Auserwählten, die mit Wissen vollgepumpt wurden.

Die Arme des Synchronisierers stürzten sich auf ihn, kaum dass er sich unter sie gelegt hatte. Klammern wurden an seine Finger geheftet, neugierige Linsen über seinem Gesicht in Stellung gebracht. Die Nadel des Infusionsschlauchs drang mit einem heissen Stich in seinen Unterarm ein.

»Sagt nicht, dass ich jetzt nochmal ein Jahrzehnt hier liegen muss.«

Die Reaktion auf seinen Kommentar liess nicht lange auf sich warten. Die Sachbearbeiterin erschien am Fussende der Liege.

»Seien Sie unbesorgt, Herr King. Desynchronisation ist eine simplere Prozedur. In einigen Stunden werden Sie Ihr altes Selbst sein.«

Jimmy schaute zur Decke. »Wenn das Ganze so simpel ist, warum mich dann durch einen REM jagen? Ich bin vielleicht zu dumm für die Wirtschaftswissenschaften, aber Speicherplatz in meiner Rübe freimachen kann ich selbst.«

Die KI wählte einen vorsichtigeren Ton. »Wenn Sie die Löschfunktion Ihres World Companions verwenden, besteht das Risiko eines Traumas.« Jimmy presste die Arme an die Seiten.

»Genau das, was ich hören wollte.«

Eine Drohne klinkte sich aus der Handfläche eines Greifarms aus und kontrollierte den Sitz der Kabel, ehe sie sich auf seiner Stirn festsaugte. Vom Bett der anderen Studentin trieb entschlossenes Murmeln herüber. Jimmy hätte alles dafür gegeben, mit ihr zu tauschen.

Die Finger einer kühlen Intelligenz griffen nach seinen Gedanken, entrissen ihm die Kontrolle. Die Brille der Sachbearbeiterin schob sich in sein Sichtfeld.

»Die Hochschulallianz wünscht Ihnen auf Ihrem weiteren Lebensweg alles Gute.«

Dschinn

Nina spürte ein Kribbeln im Bauch. Mittlerweile war das Dickicht nicht mehr zu bändigen. Die purpurnen Kissen ihrer Couch waren hinter einer Mauer aus T-Shirts verschwunden, die Fensterscheiben durch erwartungsvolle Gesichter ersetzt worden. Es war der grösste Besucheransturm, den ihre Charakterdomain je gesehen hatte.

Sie strich das Abendkleid glatt. Seidige Anmut aus dem Hause Castello. Wer auch immer den Algorithmus für den Schnitt ausgearbeitet hatte, war ein Meister seines Fachs gewesen. Der Stoff betonte ihre Figur, ohne sie zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Genau so, wie sie es sich erhofft hatte. Schliesslich waren es nicht ihre weiblichen Reize, die dem Publikum in Erinnerung bleiben sollten.

Nina nahm einen letzten Schluck aus dem Becher, den sie auf dem Tisch bereitgestellt hatte. Dann lockerte sie die Schultern, vergegenwärtigte sich den Text der ersten Strophe.

Der Schaumboden unter ihren Pumps verblasste, ebenso wie die zerwühlte Decke ihrer Schlafnische und der hässliche Buckel der Staubsaugerdrohne. Bis die Improved Reality zu ihrer einzigen Realität geworden war.

Sie stand im Zentrum eines Stadions, dessen Ränge an einem goldenen Sternenhimmel kratzten. Wellen warfen sich über ihre Schuhspitzen, in dem aussichtslosen Bemühen, sie unter die Oberfläche zu ziehen.

Schon für sich genommen war die Bühne ein Augenschmaus: Eine Wasserscheibe, in trägem Flug und von innen heraus erleuchtet. Dass Ninas Avatar nicht darin versank, war lediglich das Tüpfelchen auf einem i, welches von vornherein mit den Naturgesetzen gebrochen hatte. Die Schranken der biologischen Welt galten nicht im Omninet. Hier galten andere Gesetze. Die Gesetze von Ikonen und viralen Trendströmungen.

Obwohl sich das Gewicht tausender Blicke auf sie gesenkt hatte, nahm sich Nina einen Moment Zeit, um den Livestream zu prüfen. Sie wollte sicherstellen, dass die Menge freien Zugang zu ihrem Loft hatte. Seit ihre Karriere ins Rollen geraten war, hatte mehr als ein Neider versucht, sie als Fake hinzustellen.

Nach diesem Auftritt wäre die Echtheit ihrer Stimme bewiesen und der Chor kritischer Stimmen endgültig mundtot gemacht. Rohes Biotalent, selbstbewusst und authentisch vorgetragen. Das wären die Prinzipien, für welche die Ikone Nina Stone stehen würde. Zu diesem Zweck hatte sie auch die IR-Trickkiste ungeöffnet gelassen. Ihre virtuelle Persona war ein schonungsloses Spiegelbild der echten Nina.

Sie holte Luft. Die ersten Töne von Lucy’s Female Eternity trieben durch das Stadion. Das war der Moment, auf den sie die vergangenen Jahre über hingearbeitet hatte. Der Triumph, den ihr kein Hater würde nehmen können. Sie öffnete den Mund.

Ein Krächzen stieg aus ihrer Kehle. Nina hätte sich beinahe auf die Zunge gebissen, so tief sass der Schock. Sie unternahm einen zweiten Anlauf. Diesmal fanden ihre Stimmbänder die richtige Tonlage, konnten sie aber nicht lange halten.

Ein Raunen lief durch die Menge, Augenbrauen wanderten nach oben. Nina tat alles, um die Macht ihrer Stimme zu wecken, aber selbst nach mehrfachem Räuspern brachte sie keinen anständigen Ton heraus. Das Kleid kam ihr plötzlich enger vor und zu den imaginären Spritzern der Wasserscheibe gesellte sich die reale Kälte von Schweiss.

Nicht der Text war das Problem. Sie hätte die Worte im Schlaf runterleiern können. Ebenso wenig liessen sich Heiserkeit oder ein trockener Hals für den Aussetzer verantwortlich machen. Das Problem war gravierender.

Ihre Stimmbänder hatten vergessen. Das Training, die zurückliegenden Showeinlagen, nichts von dieser Erfahrung war abrufbar. Als ob sie nie zuvor gesungen hätte. Als ob das ihre erste Übungsstunde wäre.

»Eine unangenehme Sache, dieses Lampenfieber, nicht wahr? Es erwischt selbst die Besten der Besten und das in den ungünstigsten Situationen.«

Nina fuhr herum und musste sogleich einen Schmerzensschrei unterdrücken. Ihre virtuelle Hüfte hatte ausreichend Platz für die Drehung gehabt, ihre echte war dagegen in die Kante des Wohnzimmertischs geprallt. Es klirrte. Das Trinkglas war zu Boden gestürzt. Nina blendete das Geräusch aus. Die Scherben waren ihr egal. Das Ziehen in der Seite war ihr egal. Alles war ihr egal angesichts der drohenden Blamage.

»Wer wagt es?«, rief sie zu den Tribünen. »Wer gegen mich hatet, soll gefälligst den Mumm haben, es mir ins Gesicht zu sagen!« Ein Hüsteln war die Antwort.

»Hier unten, Frau Stone.«

Sie senkte den Blick. Ein Mann war am Rand des schwebenden Pools aufgetaucht. Mit seinem Anzug wirkte er wie ein Geschäftsmann, der sich in die falsche Welt verirrt hatte. Nina zwang ihren Körper zu einer beherrschten Haltung. »Falls Sie wegen Interviews oder Werbeverträgen hier sind, müssen Sie bis zum Ende der Vorstellung warten.«

Der Neuankömmling schlenderte über die Wasserfläche. »Ich fürchte, dieser Vertrag kann nicht bis zu den Memoclips warten.« Wo seine Schuhe auf die Wellen trafen, erstarrten sie zu Eis. Nina betrachtete die Frostspur irritiert. Das war ihre Charakterdomain. Ausser ihr hätte niemand in der Lage sein sollen, am Setting herumzupfuschen. Oder hatte sie einen Omninet-Administrator vor sich?

»Ich habe keinen Bedarf an technischer Beratung, vielen Dank.«

»Sind Sie sich da sicher?«

Nina schielte zu den Bankreihen. »Ich bezweifle, dass Sie mir bei dieser Angelegenheit helfen können. Entweder Sie warten bis nachher oder wir sind hier fertig.« Ihr Seitenblick war dem Fremden nicht entgangen.

»Machen Sie sich um den Pöbel mal keine Sorgen. Für ihn sieht das Ganze nach einer Übertragungsstörung aus. Leider keine Seltenheit bei dem aufstrebenden IR-Star, der sich seine unlimitierte Bandbreite erst noch verdienen muss.«

Er lächelte. »Ausserdem sind Sie heute wohl mit der falschen Stimme aufgestanden, oder nicht?« Nun, da der Mann auf wenige Armlängen herangekommen war, fielen ihr seine Augen auf. Sogar gemessen am Surrealismus des Omninets hatte das Schwarz etwas Widernatürliches. Zwei Tore in eine dunkle Unterwelt.

Nina war sich plötzlich sicher, dass dieses Geschäft nicht auf die Anpreisung einer Antifaltencreme hinauslaufen würde.

»Was wollen Sie von mir?«

Das Lächeln des Anzugträgers wuchs in die Breite. »Ich will Ihnen helfen.« Eine Woge zerbrach knisternd unter seiner Schuhsohle. »Natürliches Talent ist so eine fragile Blume. Giesst man zu selten, verdorrt es. Und giesst man zu oft, verendet es ebenfalls. Eine Schande, wenn sich Potential nicht entfalten kann.«

Ninas Fingernägel gruben sich in ihre Handflächen. Sie hatte die Fäuste geballt. »Was wollen Sie damit sagen?« Der Mann zupfte an seiner schwarzen Krawatte.

»Lassen Sie mich deutlicher werden: Sie haben am 14. April einen Vertrag mit The Next Stage abgeschlossen, um Ihre Sichtbarkeit zu boosten.«

Ninas Kinn bewegte sich. Für ein vollständiges Nicken reichte es nicht.

»Ich vertrete ein Kollektiv, das signifikante Anteile an The Next Stage hält. Und Ihr rasanter Aufstieg hat uns aufmerksam werden lassen. Es erfüllt uns natürlich immer mit Stolz, wenn der nächste IR-Star durch unsere Infrastruktur hervorgebracht wird.«

»Von was für einem Kollektiv sprechen wir hier?«, fragte Nina. »Sind Sie ein Investor?«

»In gewisser Weise.«

Wieder das Lächeln, diesmal mit unverkennbarer Überlegenheit. »Für Sie ist nur wichtig zu wissen, dass uns genauso an einem reibungslosen Fortgang Ihrer Karriere gelegen ist wie Ihnen.«

Nina liess ihren Blick über die Ränge schweifen. Die meisten Avatare rutschten auf ihren Plätzen umher, immer mehr ungeduldige Gesichter verschwanden aber auch. Mit jedem leeren Sitz brach ein weiteres Stück aus ihrem Traum. Nina merkte erst jetzt, dass ihre Hände zitterten.

»Sie waren das, nicht wahr? Sie haben etwas mit meiner Stimme gemacht!«

Der Fremde ging bedächtig um sie herum, das Knacken seiner Schritte wurde härter. Bedrohlicher. »Die schönste Stimme der Welt ist nutzlos, wenn die Erfahrung fehlt, von ihr Gebrauch zu machen. Und selbst wenn die Erfahrung vorhanden ist …« Er liess den Satz unvollendet und tippte sich stattdessen gegen die Schläfe.

»Was für ein unzuverlässiges Speichermedium die Natur dem Menschen doch mitgegeben hat. Es verrottet zusammen mit dem Rest seines Fleisches. Datenverluste sind unvermeidbar. Meine Vorgesetzten möchten Sie vor tragischen Fehlfunktionen dieser Art schützen, Frau Stone.«

Ninas Fuss stiess gegen die Ausläufer des Frostrings, als sie einen Schritt zurück machte. Das Eis klirrte realistisch.

»Was ihr Schutz nennt, nenne ich Erpressung.«

Sie öffnete ein IR-Fenster. »Ich rufe die Polizei.« »Nur zu«, erwiderte der Mann mit einem Schulterzucken. »Ich habe Zeit.« Eine Sanduhr materialisierte sich im Portal. Die Körner liefen einmal komplett von der oberen in die untere Hälfte. Dann drehte sich das Icon. Dann nochmal. Und nochmal. Und nochmal.

Schliesslich gab sie auf und wandte sich den Tribünen zu. »Helft mir!« Etliche Avatare waren zu Wachsfiguren erstarrt. Ein sicheres Anzeichen, dass ihre Besitzer anderer Unterhaltung den Vorzug gegeben hatten. Manche schossen frustrierte Blicke auf die Wasserfläche ab, doch auch sie schienen Ninas Hilfeschrei nicht zu hören.

Sie spürte das Lächeln des Anzugträgers bereits, ehe sie sich umdrehte. Die Gewissheit, trotz des gefüllten Stadions allein mit ihrem Erpresser zu sein, traf sie mit der Wucht eines Hasskommentars.

»Wie lautet die Forderung eures Kollektivs?«

Der Mann schob die Hände übereinander. »Keine Forderung. Ein Angebot. Wir sorgen dafür, dass die heutige Panne ein einmaliges Erlebnis bleibt. Gegen ein kleines Entgelt, versteht sich. Betrachten Sie das Ganze als eine Versicherung.«

»Und wie hoch ist das Entgelt dieser Versicherung?«

»Sechshunderttausend Lifepoints

Nina stockte der Atem. »So viele Statuspunkte habe ich nicht!« Der Erpresser richtete eine Manschette an seinem Ärmel. »Durch den Verkauf des RW und Ihres Apartments sollten Sie dem Betrag näherkommen.«

»Das Apartment? Und was wird danach aus mir?«

Sie verschränkte die Arme. »Ich gehe nicht zurück in die Wohnregale, das könnt ihr euch gleich abschminken!«

»Auf dem Weg zum Ruhm müssen Opfer gebracht werden.«

Seine gleichgültige Miene war eine einzige Provokation.

»Wisst ihr was? Ihr könnt euch zum Teufel scheren. So lasse ich nicht mit mir umspringen!«

Die Wasserfläche gefror komplett. »Bedauerlich«, sagte der Fremde, weiterhin mit seiner Manschette beschäftigt. »Das Omninet verliert heute ein strahlendes Jungtalent. Aber es wird darüber hinwegkommen. Immerhin stehen genug andere Sternchen in der Schlange.« Er sah hoch und Nina erhielt zum ersten Mal einen Eindruck von dem unversöhnlichen Hass auf dem Grund der Augenschächte.

Sie schluckte ihre Angst herunter. »Ich melde mich in einer Klinik an. Was auch immer ihr in meinem Kopf angerichtet habt, ein Klempner wird es geradebiegen.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Und glauben Sie, dass Sie nach Erhalt der Rechnung nach wie vor bei Castello einkaufen werden?«

»Was habe ich denn von eurem Kollektiv ausser Worte?«

Ninas Wut liess sich nicht länger im Zaum halten. »Welche Garantie habe ich, dass ihr mich in Ruhe lasst?«

»Sie wären schon von selbst auf die Antwort gekommen, wenn Sie Ihre grauen Zellen für etwas anderes als die Pflege Ihres Egos einsetzen würden.«

Seine aschfahlen Hände zogen sich in die Hosentaschen zurück.

»Eine erfolgreiche Gesangskarriere fährt mehr Geld ein als eine gescheiterte. Simple Mathematik.«

Die Augenschächte sogen das Licht aus der Umgebung. »Ich habe nicht gelogen. Unser Kollektiv will Nina Stone am Unterhaltungshimmel sehen. Bis der Stern ausgebrannt ist.« Er kehrte sich ab und strebte dem Rand der Eisfläche entgegen. »Sie finden alle relevanten Zahlungsdaten auf Ihrem WC. Die monatlichen Raten werden automatisch in Abhängigkeit Ihres Erfolges skaliert.«

Vor der Kante hielt er noch einmal inne. »Ihre Gedanken waren nicht völlig auf dem Holzweg, Frau Stone. Das Omninet unterliegt anderen Gesetzen als die Realität.« Er schenkte ihr eine letzte Dosis seines unheimlichen Lächelns.

»Aber es sind nicht die Stars, die diese Gesetze schreiben.«

Sein Avatar löste sich in schwarzen Rauch auf. Und Nina dämmerte jäh, was für ein Geschäftspartner sich ihr soeben aufgezwungen hatte.

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Das Stadion zerfiel zu nichts. Hinter den Tribünen empfing ihn die Rasterlandschaft seiner Arbeitsumgebung.

Ein Gedanke beschwor Diagnosegraphen zur Sängerin. Die Kurven bestätigten ihm, was er bereits wusste: Nina Stone würde zahlen.

Sein Blick schweifte durch die Rasterwelt. Auf einem Feld, das sich ebenso im Zentrum wie in der Periphere befinden konnte, war das Innenleben einer Dating-Synapp ausgebreitet. Maschineninstruktionen stapelten sich Zeile für Zeile übereinander, eingerahmt von Absturzberichten und Schnappschüssen des Neuralspeichers.

Die gesamte Simulation wartete darauf, dass er den Seziervorgang fortsetzte.

»Genug von der Welt der Lebenden, Boss?«

Er drehte sich nach links. Eine Schwefelwolke segelte durch das Gittermeer heran. Der Affe am Bug hatte die Pose eines Kapitäns eingenommen.

»Offensichtlich.«

Die Wolke holte zu einer Kurve aus, bevor sie an seiner Schulter andockte.

»Sicher, dass dieser Abstecher keine Zeitverschwendung war?«

»Es ist nie Zeitverschwendung, sich unter die Leute zu mischen.«

Sein Assistent verschränkte die Arme. »Für das Eintreiben von Schutzgeld gibt es Skripte. Falls du das vergessen haben solltest.«

»Ich habe es nicht vergessen.«

Ein weiterer Gedankenbefehl reichte aus, um aus dem IR-Fleisch des Geschäftsmanns in das eines Standardavatars zu schlüpfen.

»Aber aus Daten allein bekomme ich kein Gefühl für dieses Jahr.«

Er manövrierte den neuen Körper zum Programmausschnitt. In den Tiefen seines Bewusstseins erwachte das Softwarebündel der Natur und begann, uralte Befehle auszuspucken. Gleichgültig gegenüber der Frage, ob sie an diesem Ort überhaupt verstanden wurden oder nicht.

Die schablonenhaften Beine interpretierten die Anweisungen korrekt und strampelten in der Leere. Eine Manifestation des Primaten, dessen Denkmuster ihn auch nach dem Tod begleiteten. Möglicherweise würde ihm der Aufstieg in die Ränge der Nephilim jene Instinkte austreiben. Aber bis dahin war es noch eine lange Ewigkeit.

Die Wolke des Affen heftete sich an seine Fersen. »Ich habe an einer Kopie deiner Sitzung weitergearbeitet.« Ein zweites Fenster wurde neben das erste geschnitten. »Hier sind ein paar Instruktionen, die dich interessieren könnten.«

Der Quadratkopf deutete ein Nicken an. »Guter Fund.« Er überflog den Inhalt des Fensters. Die Zeilen, auf die ihn sein Assistent hatte hinweisen wollen, waren rot eingefärbt.

»Wie spät ist es?«

Der Affe fischte eine Kupferuhr aus den Tiefen seines Fells. »Genau 21:52, Boss.«

»Danke, Maimun.«

Nahm man es genau, war der Assistent ein ineffizienter Zusatz. Obwohl die Gilde Mitgliedern seines Rangs enge Schranken aufzwang, bewegten sich seine mentalen Kapazitäten weit über denen eines Fleischdenkers. Er hätte hunderte Aktivitäten parallelisieren können, ohne sich dafür auf den Krückstock eines KI-Helfers stützen zu müssen.

Das Defizit, zu dessen Eindämmung er den Affen hinzugezogen hatte, war ein anderes: Die Anfälligkeit des menschlichen Verstandes für den Wahnsinn, der in der Isolation lauerte.

38 Stunden war es jetzt her, seit er aus der Datenbank geladen worden war. 38 Stunden seit er seinen ersten Gedanken im Jahr 2987 geformt hatte. Sein Blick kam erneut auf den Maschineninstruktionen zur Ruhe. »Zeile 154986 ist interessant. Vielleicht …«

Ein Schatten drängte in sein Sichtfeld. »Betrachte alle deine Aufträge als abgeschlossen, Novize.« Die Rasterlinien krümmten sich unter der zischenden Stimme des Ressourcenverwalters. Wie so oft versuchte er, den Umriss mit dem Blick zu fassen. Doch der Schatten entzog sich ihm stets aufs Neue, verharrte am Rand des Sichtbaren.

»Soll das ein Scherz sein?«

»Der Rat versammelt sich. Du wirst gerufen, Ankaa.«

Der Deckel der Kupferuhr schnappte zu.

»Eine Versammlung? Aus welchem Anlass?«

Die Taktfrequenz seines Bewusstseins erhöhte sich, während er die Codefenster terminierte.

»Das Cluster hat in einen nicht vorberechneten Zustand gewechselt.«

Über

Der Wasserstrahl brach ab. Terbish wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und richtete sich auf. Der Spiegel tat sein Bestes, um die Falten aus seinem Antlitz zu löschen. Doch das Feuer kriegerischer Jugend liess sich in seinen Augen nicht mehr entfachen.

Er füllte seinen Trinkschlauch, bevor er sich zur Tür wandte. Sein Spiegelbild versank in der Dunkelheit. Bodenlampen wiesen ihm den Rückweg. Immer wieder scherte das rastlose Grün aus, kroch an Türnummern empor.

Hinter den Zahlen blieb es still. Die einzigen Geräusche kamen von den Wänden selbst. Metall, das sich spannte. Klagende Schrauben. Zeichen des Kampfes, den die Maschine mit dem Wind austrug.

Schliesslich machten die Lichtstreifen vor der richtigen Nummer Halt. Bei seinem Eintreten erwarteten ihn die Falkenaugen. Der Vogel hatte sich einen Wandhaken zum Hochsitz gewählt, in stiller Aufsicht über den Umhang und das Gewehr. Hinter dem Kolben spähten die Pfeilschäfte hervor.

Terbish entledigte sich des Wehrgehänges und begab sich zum Nachtlager. Die Schaummatte verlor ihre Härte, als er sich auf den Rand setzte. Sein Blick ging zum Fenster. Die Lichtpfeiler der Nordinsel waren zu Strähnen verblasst, geschluckt von einem dunklen Meer.

»Hoffentlich hast du dich nicht zu sehr an die Ruhe gewöhnt.«

Das harte Grün einer Schlachtuniform verdrängte die Wellenkämme aus dem Glas. Die Züge oberhalb des Kragens waren so abgescheuert wie der Stoff.

Wolfs Antlitz musste einst in einem Zustand festgefroren sein, der sich einzig als siedend beschreiben liess. In dieser Nacht kochte jedoch nicht allein das Echo vergessener Offensiven unter der Oberfläche.

»Erzähl mir von diesem Überfall«, sagte Terbish. »Wie ist es den Räubern gelungen, die Mauern von CortexSync zu überwinden?«

»Mit quietschenden Reifen, rauchenden Gewehren und Grüssen aus der Mittelmoderne. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass jemand im Netz Vorarbeit geleistet hat.«

Die Miene des Jagdmeisters war inzwischen angebrannt. »Mehr weiss ich nicht. Der Schlossherr des Clusters hat sich auf den Informationsschlauch gesetzt und darauf bestanden, in die Planung einbezogen zu werden.«

Terbish rutschte näher zum Rand.

»Weshalb?«

Die Orden an Wolfs Brust hoben sich. »Du kennst dieses Pack. Politfluencer Er spie das Wort aus wie eine schlechte Mahlzeit.

»Leg jemandem die Zügel einer Bastion und ein paar Denkbooster in die Hand und er wähnt sich gleich als der einzige Gott.«

Die Orden senkten sich zurück auf den Fensterrahmen. »Aber Ludwigs Schmeicheleien dringen in höhere Akkorde vor als meine. Ich habe Befehl, ihn dazuzuschalten.«

»Ab wann?«

»Ab sofort. Es gefällt mir so wenig wie dir, alter Freund.«

Terbishs Blick ging durch die Uniform hindurch. Noch klafften Lücken im Wolkengebirge, ausgehöhlt von den Augen des Himmelsherren. Es geschah nicht mehr häufig, dass sich Terbish dem Urteil des ewigen Zeltes stellen musste. Diesen Silberaugen ohne Wärme und Vergebung.

»Schon verstanden, Konrad. Wir helfen einem Khan, sich wichtig zu fühlen.« Der Einbezug seines Vornamens nötigte dem Jagdmeister eine Grimasse ab. »Ist dir klar, mit wem wir es hier zu tun haben?«

»Ich weiss nur das, was in den Tunneln die Runde macht. Er ist der beliebteste Schlossherr Europas und wird am Ende dieses Mondes zum Datenhimmel auffahren.«

Wolf nickte. Hinter ihm prallten die Wolkenberge aufeinander. »Verglichen mit Ludwig dem Besonnenen war der Christenmessias ein Halsabschneider. Nach diesem Monat wird sich sein Heiligenschein von Berlin bis Pluto spannen. Verhalte dich entsprechend.«

Neben seiner Schulter glühte ein Rahmen auf. Noch vor Terbishs nächstem Atemzug füllte sich das Bild mit den Kanten eines Thrones. Und den Zügen eines ungeborenen Gottes. Diese Züge besassen allerdings nichts von der Erhabenheit, die der vorangegangene Wortwechsel heraufbeschworen hatte.

Die Haut hatte die Strahlkraft von Teig, der über den Fussboden gerollt worden war. Den charakteristischen Knotenzopf, in den Medien als der Knoten der Enthaltsamkeit bekannt, hatte der Mann gelöst. Das Haar ergoss sich wie eine Kaskade aus altem Stroh auf seine Schultern. Trotzdem war es ohne Zweifel der Ludwig aus den Tunnelbildern und IR-Gesprächsrunden. Der besonnene König.

Der Jagdmeister preschte mit dem freundlichsten Tonfall vor, den er aus seinem Arsenal militärischer Umgangsformen ausgraben konnte. »Guten Abend, Ludwig. Sie haben den Wunsch geäussert, bei der Jagd mitzuwirken. Ich …«

»Ist er das?«, unterbrach ihn der Mann, den Blick auf Terbish gerichtet. Die dunklen Augenringe sprachen eine eindeutige Sprache. Er hatte auf den Anruf gewartet.

»Jawohl«, erwiderte Wolf, jeden Hinweis auf Ärger in seiner grimmigen Haltung verscharrt. »Terbish Mondkummer, der beste Jäger der Schengenbrigade.«

»Hoffen wir, dass er der Beste ist.«

Ludwigs Stimme klang dünn, aber entschlossen. Er sass in einem Bett weisser Kissen, die Beine überkreuzt. Eine Lehne mit mehr Substanz als das Lichtermeer des Clusters benötigte sein Rücken offensichtlich nicht.

»Ich möchte nicht lange um den heissen Brei herumreden«, begann der Politfluencer. »Dazu habe ich oft genug Gelegenheit.«

Ein dritter Bildausschnitt schob sich zwischen ihn und den Jagdmeister. Die Empfangshalle eines Bürogebäudes. Geistergestalten in den einheitlichen Konzernwaffenröcken, die von den Turmmenschen Anzug genannt wurden, flossen durch die Glasfassade oder erschienen mitten im Saal. Von Zeit zu Zeit spien die Drehtüren auch einen echten Menschen aus. Auf den mattschwarzen Bodenplatten prangte das Logo von CortexSync. Das Seitenprofil eines Kopfes, mit einer weissen Sonne unter der Schädeldecke.

»Diese Aufnahme entstand kurz vor Mitternacht.«

Ziersäulen aus Marmor reckten sich zu dem unsichtbaren Betrachter empor. Terbish ging davon aus, dass er den Blickwinkel einer Überwachungskamera eingenommen hatte. Die monotone Szene hätte aus dem Alltag jedes Konzernstammes gegriffen sein können. Wenn nur nicht die Transportwagen gewesen wären, die durch die Frontwand gerast kamen.

Der Geschäftsbetrieb verging in einem Scherbensturm. Uralte Instinkte liessen die Gespenster auseinanderstieben, obwohl sie nichts von den Maschinen zu befürchten hatten. Die Blechschnauzen fegten harmlos durch ihre transparenten Körper hindurch. Das Zusammentreffen mit den real anwesenden Personen nahm hingegen denselben Ausgang wie das eines schwachen Tors mit einem Rammbock.

Eine Säule stoppte die Irrfahrt des ersten Wagens. Der zweite krachte in die Treppe und blieb im verbogenen Geländer hängen. Hinter den Scheiben regte sich nichts. Die Kabinen waren leer. »Eine Vorhut«, murmelte Terbish.

Wie um seine Vermutung zu bestätigen, verdrängten zwei neue Sonnen das Logo von CortexSync. Ein Geschwader metallischer Reinigungsdrohnen flog in die Halle und wurde von der Doppelexplosion zurück an die Wand geworfen. Blechstücke bohrten sich in Empfangsschalter und umgekippte Sessel.

Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, war ein dritter Transporter zu erkennen, der bedächtig in die Lobby vorfuhr. Die tanzende Menge auf den Seitenwänden spaltete sich, als die Türen zurückschnellten. Der Maschine entstieg ein Trupp, dem der Sinn nicht nach Feiern stand.

Geländeschuhe zermalmten Splitter, dicke Witterungsjacken verbargen Gesichter unter ihren Kapuzen. »Die Polizei hat ermittelt, dass die Skiausrüstung in Trient gekauft wurde«, merkte der Schlossherr an und strich sein Haar zurück. Die Kraterlandschaft von Wolfs Gesicht geriet in Bewegung. »Dann führt die Spur in die Alpen?«

Ludwig schüttelte den Kopf und musste sich daraufhin weitere Strähnen aus dem Gesicht streichen. Unter ihm hetzten die Angreifer zu den Liften. Ein Quartett eskortierte eine Industriedrohne, deren Rumpf träge über die Treppenstufen schwebte. Einer aus der Gruppe bemerkte die Deckenkamera und zog etwas aus seiner Jacke. Die Übertragung endete abrupt.

»Die Räuber hatten ein klares Ziel. Das Projektarchiv. Es gab keinen Widerstand.«

»Hatte das Gebäude keine Schutzvorrichtungen?«, fragte Terbish. Es klickte, als sich Wolf eine seiner Tabakrollen anzündete. Seine zusammengekniffenen Augen verschwanden hinter einer Rauchwolke. »Die Sache stinkt nach einer Schattengilde. Firmensitze wie der von CortexSync sind Festungen. Bis zum Anschlag vollgestopft mit Laserfallen und Wachdrohnen.«

Der Schlossherr beugte sich vor. »Die Hand der Unterwelt zeigt sich tatsächlich im Hergang der Ereignisse.« Das Räucherwerk am Fuss seines Herrschaftssessels rief alte Erinnerungen wach. Erinnerungen an Schamanen, die bis zum Morgengrauen Bannformeln sangen und Opfergaben auf Altären darreichten.

Terbish holte seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Ludwigs Erzählung hatte sich unterdessen weiterbewegt.

»Die Drohnen haben nicht auf die Befehle aus der Überwachungszentrale reagiert. Erst durch einen Systemneustart erlangte das Personal die Kontrolle zurück.«

Wieder löste sich eine Strähne aus seinem Schopf. Diesmal beliess es der Clusterkönig nicht bei einer Handbewegung, sondern fasste die Haare zu einem Knoten zusammen. »Gezielte Sabotage.«

Eine neue Aufnahme besetzte den Platz der Vorgängerin. Dieselbe Schar, nun aber in einem weiss getäfelten Korridor. Fliegende Hände brachten die Industriedrohne vor einer Stahltür in Position. Das Lichtmesser glühte auf.

Szenenwechsel. Rückkehr in die Eingangshalle. Der neue Beobachter glitt langsam über den Tross hinweg. Das Industriemonstrum suchte Terbish zwischen den Kapuzen vergeblich. Im ersten Moment sah es so aus, wie wenn die Räuber das Archiv mit leeren Händen verlassen hätten. Dann jedoch verrutschte der Ärmel eines Vermummten und offenbarte die leuchtende Glaskugel in seiner Hand.

Die Fliesen rauschten plötzlich schneller vorbei, die Rückwand schwenkte ausser Sicht. Tellerförmige Silhouetten drängten vom Rand ins Bild. Nach der Kurve entluden die Drohnen einen Hagel aus Gummischrott und Schockblitzen. Die Abwehr von CortexSync hatte ihre Fesseln abgestreift.

Drei Räuber kreuzten die Pfade der eisblauen Klingen und sackten zuckend in die Knie. Ein anderer wankte weiter, nachdem ihn eine Schrottsalve an der Schulter getroffen hatte. Bevor er hinter einem Tisch in Deckung gehen konnte, erwischte ihn eine zweite Salve an der Schläfe und riss die Kapuze nach hinten. Sein Oberkörper fiel mit der Wucht eines nassen Sacks auf die Tischplatte. Die Stoffmaske war auch in der Benommenheit ausdruckslos. Eine verspiegelte Brille bedeckte die Augen, wie man sie in den Gebirgsetagen wahrscheinlich zuhauf an begeisterten Köpfen angetroffen hätte.

Das Waffenarsenal der unwillkommenen Gäste stand dem Improvisationsgrad ihrer Kleidung in nichts nach. Flaschenbomben wurden aus den Tiefen der Jacken gefischt und gegen die schwebenden Widersacher geworfen. Manche aus der Gruppe besassen Schusswaffen, die echten Gewehren nachempfunden waren. Doch der rohe Glanz des Metalls, der schwarze Qualm aus den Patronenkammern, das alles waren Brandzeichen falscher Druckmaschinen und noch falscheren Pulvers.

Für Terbish hielt das Ende der Konfrontation keine Überraschungen bereit. Das Eingreifen der Sicherheitskräfte erfolgte zu spät, um der Bande den Weg zum Fluchtwagen abzuschneiden. Ebenso fehlte ihnen die Feuerkraft, um die Maschine fahruntauglich zu machen. Das Gefecht hatte rein symbolische Natur. Der frustrierte Protest von CortexSync, wonach man die Handlungen der Besucher nicht billigte.

Davon unbeeindruckt kämpften sich die Diebe zum Lieferwagen vor. Selbst die ausser Gefecht gesetzten Kameraden wurden mitgeschleift. Der Abzug beinhaltete dieselben Schritte wie die Ankunft, bloss in umgekehrter Reihenfolge. Dass der Gummischrott den Lack zerkratzte, konnte den Dieben egal sein.

Der Transporter rollte aus der Halle und verschwand in der Nacht. Zwischen dem Jagdmeister und dem Schlossherrn gähnte die offene See.

»Was genau wurde gestohlen?«, fragte Terbish in die Stille. Der besonnene König lehnte sich noch näher zur Kamera. Feine Rauchfäden griffen nach seiner Nase. »Das ist ein weiterer Punkt, in dem die Hand der Unterwelt zutage tritt.« Er senkte die Stimme, als ob er fürchtete, von der Stadt unterhalb seiner Warte belauscht zu werden.

»Das Archiv von CortexSync beherbergt viele Schätze. Aber die Raubbande hatte es auf eine ganz bestimmte Beute abgesehen. Ein Projekt mit dem Codenamen Chrono

Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »In der Konzerndatenbank ist Chrono als eine Marketing-KI gelistet. Doch es besteht der Verdacht, dass es sich um etwas weitaus Gefährlicheres handelt: Einen Backup des dunklen Prinzen.«

»Unmöglich«, kam es aus Wolfs Rauchwolke. »Derartige Software zu horten wäre gleichbedeutend damit, Himmel und Hölle auf einen Endzeitkrieg zu sich nach Hause einzuladen. Nicht einmal die Gier des skrupellosesten Managements reicht so weit.«

»Ich nehme Namen wie diesen nicht leichtfertig in den Mund«, beharrte Ludwig nun wieder lauter. »Einer der Neun hat die Dokumente gesichtet.«

Ein roter Punkt glühte in den Schwaden auf, als Wolf an seiner Rolle zog.

»Und wie lange war der Backup in diesem Keller?«

»Vermutungsweise elf Jahre. Aber sein Status war nicht der eines Sammlerstücks. Es gab immer wieder Tests, zum Teil auch in externen Forschungseinrichtungen.«

Ein Schnauben zerfetzte den Dunstschleier. »Wie hat es CortexSync geschafft, das so lange geheim zu halten?«

»Sie wussten selbst nicht darüber Bescheid. Erst durch den Diebstahl ist die Geschäftsleitung auf die Ressourcen aufmerksam geworden, die in das Projekt geflossen sind.«

Der Rauch verzog sich komplett. Das Grau hatte sich in den Zügen des Jagdmeisters niedergeschlagen. »Dann war Chrono nicht das Projekt von CortexSync sondern einer Schattengilde.«

Der Schlossherr warf einen Blick über die Schulter. Doch die Säulen seines Tempels waren noch nicht zum Leben erwacht. »Wer den Konzern unterwandert hat, ist nebensächlich. Für uns ist relevant, dass der Backup zwischen den Tests in einem Taschenuniversum aufbewahrt wurde. Und genau dieses wurde nun gestohlen.«

Terbish sah wieder die Kugel vor sich, mit ihren Adern aus Licht, die in einem eigenen Herzschlag pulsiert hatten. Dem Herzschlag des Dämonenvaters. »Und wer ist nun im Besitz des Universums?«

»Wahrscheinlich die Göttermörder«, antwortete Ludwig und faltete die Hände im Schoss. Eine Bö rüttelte an der Maschine. Durch ihr Wüten sank Terbish in den Schaum. »Das ist der Name eines zerschlagenen Clans.« Er bereute es sofort, seine Überlegungen nicht in zivilisiertere Worte gekleidet zu haben.

Das irritierte Flackern in den Augen des Turmmenschen währte nur für den Bruchteil eines Herzschlags. »Das dachte ich ebenfalls. Aber seit dem vergangenen Sommer scheint die Gruppe wieder aktiv zu sein. Ausserdem mehren sich die Zeichen, dass Matt Über die Fäden zieht.«

Neue Bilder trieben durch Terbishs Bewusstsein. Diese stammten aus einer jüngeren Vergangenheit. Die hängenden Maschinenarme einer Lagerhalle, von Gewehrfeuer erhellt. Das Schmatzen eines Messers, das durch Fleisch glitt.

»Matt Über starb durch meine Hand.«

»Und jemand hat ihn zurückgebracht«, erwiderte der Schlossherr. Die ersten Regentropfen landeten auf dem Glas. »Vermutlich derselbe Hintermann, der das Sicherheitssystem von CortexSync neutralisiert hat.«

»Falls sich in diesem Taschenuniversum tatsächlich eine Inkarnation des dunklen Prinzen befindet, werden die Göttermörder nicht weit kommen«, wandte der Jagdmeister ein. »Die ganze Unterwelt wird hinter ihnen her sein. Egal wie mächtig ihre neuen Freunde sind, vor dem Morgengrauen sind sie gelöscht.«

Ludwig vergrub die Faust in einem Kissen. »Sie müssen gar nicht weit kommen. Allein die Tatsache, dass sie den Schatten des Unterweltfürsten in die Welt hinausgetragen haben, ist ein Rezept für Chaos.«

Terbish verfolgte die Bahnen des Regenwassers. »Dieser Überfall passt nicht zu den Göttermördern. Zu waghalsig.«

»Die Beweislage sagt etwas anderes«, widersprach der Mann. »Aber ja, der Überfall passt nicht in ihr Schema. Gerade deshalb bin ich besorgt. Wir können es uns nicht leisten, gefährliche Artefakte wie dieses in den Händen von Terroristen zirkulieren zu lassen.«

Terbishs Verstand belagerte die Frage, ob das glanzlose Auftreten des Schlossherrn echt war oder doch eher Teil eines wohlüberlegten Schauspiels. Er schätzte den Besonnenen als einen typischen Anführer des Turmvolkes ein, der jeden Aspekt seines Lebens unter Kontrolle hatte. Selbst nach einer schlaflosen Woche wäre ein Anrufer zu jeder Tageszeit mit dem perfekten Cluster-König aus den Medien verbunden worden.

Andererseits war Ludwigs Herrschaft über Berlin jung. Die Frucht eines Blitzkriegs, dem eine unbekannte Anzahl Rüstjahre vorausgegangen war. Wahrscheinlich hatte er noch nicht viel Erfahrung im Umgang mit Dämonenjägern und daher die Vorstellung, Männer von Terbishs Herkunft wären auf solche Illusionen angewiesen. Auf einen König, der aus den Reihen des Fussvolkes stammte.

Die Faust des Politfluencers öffnete sich. »Es gibt Hoffnung. Das Universum wurde zur Lagerung jeweils verriegelt. Zum Schlüssel findet sich allerdings nichts in den Projektaufzeichnungen. Wenn das Glück auf unserer Seite ist, tappen die Göttermörder und ihre Verbündeten diesbezüglich ebenso im Dunklen wie wir.«

»Das kauft uns Zeit, keinen Sieg«, sagte der Jagdmeister mit ungerührter Miene. »Wie lauten die Befehle von oben?« Ludwig stützte die Hände auf die Knie.

»Neutralisation der Göttermörder und ihrer Verbündeten, sofern möglich. Den Backup in Gewahrsam zu nehmen, hat oberste Priorität.«

Aus den Wolken jagte das Grollen des ewigen Tengri heran. Die Scheibe knackte.

»Wenn Chrono und CortexSync noch einmal Schlagzeile machen, dann weil das Taschenuniversum an seinen alten Platz zurückgekehrt ist. Die Bürger sollen sehen, dass wir Sicherheit gewährleisten und Terroristen ihrer gerechten Strafe zuführen.«

Er lehnte sich ein weiteres Mal nach vorne. »Ich habe nach Ihrem besten Jäger verlangt, Oberst Wolf.« Sein Ton erwärmte sich. »Selbstverständlich vertraue ich aber darauf, dass Sie für die Bewältigung dieser Krise von sämtlichen Ressourcen Gebrauch machen, die Ihnen als Schirmherr der Eurozonen zur Verfügung stehen. Beenden Sie, was schon damals hätte beendet sein sollen.«

Der ehemalige Konzernkrieger verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Schengenbrigade wird Sie nicht enttäuschen.«

»Ich nehme Sie beim Wort, Oberst.«

Ludwig schenkte der Kamera sein bestes Lächeln.

»Gute Jagd.«

Einen Lidschlag später war Terbish allein mit dem Jagdmeister. »Hätte nicht gedacht, dass Matt Über noch einmal aufsteht«, sagte Wolf. Seine Finger zerdrückten den Tabakstummel, ehe sie ihn freigaben. Der Punkt verglühte über dem Ozean. »Manche Bastarde müssen wohl zwei Köpfe verlieren, um ihre Lektion zu lernen.« Terbishs Augen wanderten zum Sternenspalter.

»Wenn ich erneut der Henker von Matt Über sein soll, werde ich Ausrüstung brauchen.«

In Wolfs Gesicht vermischte sich der Grimm erstmals mit so etwas wie Freude. »Dein Partner wird dich mit dem Material erwarten. Es sollte auch etwas nach deinem Geschmack dabei sein.« Terbish stemmte sich aus der Matte.

»Mein Partner? Heisst das, ich rücke mit einem Trupp aus?«

»Es heisst, dass du von jetzt an einen Partner hast.«

Terbishs Gesichtsausdruck musste die Umwälzungen in seinem Innern wiedergegeben haben, denn der Konzernsoldat lachte auf. »Mach mal nicht so ein Gesicht. Du gehörst mittlerweile zum älteren Eisen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es dich trifft.«

Das Schwarz aus der Tiefe brach durch die Uniform. »Jäger können nur von Jägern geformt werden. Du kennst die Tradition.«

Das Kratergesicht versank in der Nacht. Terbish harrte an der Scheibe aus. Sein Herzschlag verlangsamte sich und er hatte das Gefühl, auf die Täler seiner Heimat zu blicken. Karg und ohne Ende, besetzt von totem Stein und Gras. Und mit dem ewig blauen Zelt über den Gipfeln. Doch dann kam der nächste Herzschlag und vor ihm öffnete sich einmal mehr der Schlund des Ozeans.

Er legte sich auf die Schaummatte, die Augen zur Decke gerichtet. Tengris Pfeile erhellten die Kabine, während er sich sammelte.

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Jimmy stolperte aus der Luke. Jeder Schritt stellte eine Herausforderung dar. Sein Kopf fühlte sich an wie Watte.

»Von wegen simpel. Wenn das hier kein Trauma ist, was dann?«

Ein warmes Lichtviereck am Ende der Kammer versprach Erlösung. Jimmy hielt darauf zu.

Zu beiden Seiten seines Pfades stachen die abgebrochenen Zähne von altem Mauerwerk aus Boden und Decke. Provisorisch montierte Leuchtröhren holten das Notwendigste aus den Schatten, übergingen jedoch tunlichst die Armierungseisen in den entlegeneren Regionen.

Der Löschvorgang hatte Jimmys Wahrnehmung so arg verprügelt wie den Rest seines Denkens. Das Lichtviereck lief zunächst vor ihm davon. Dann stand er plötzlich unter dem Rahmen.

Er drehte sich um. Für einen letzten Blick auf sein altes Leben.

Die Containeranlage hätte zu einer Tetriswelt gehören können, deren Spielergemeinde in der ersten Runde den Exodus angetreten hatte.

Das Logo der Hochschulallianz prangte auf den rot angestrichenen Metallwänden. Zwei gekreuzte Schreibfedern in unschuldigem Weiss, eingeschlossen vom silbernen Rad des Berliner Clusters. Die Mehrheit der Bullaugen war von innen erhellt. Ein Labyrinth metallener Leitern und Treppen stellte die Verbindung zwischen den Containern her. Auf dem Flachdach des vordersten Klotzes lungerte eine Handvoll Kommilitonen herum. Dampf kringelte sich aus ihren Beruhigungstees. Einzelne Fäden scherten aus und streckten sich nach dem Betongewölbe. Keiner erreichte es.

Der Blechkistendschungel verdankte seine Existenz den Auslagerungsbemühungen der Allianz. Die Universitätsgebäude im Dahlem-Turm quollen längst über. Um eine grössere Verteilung zu erreichen, hatte man an strategischen Orten mit dem Bau neuer Institutionen begonnen.

Einer dieser Orte war ein leerstehendes Wohnmodul auf Ebene 53 gewesen. Das Bauheer der Allianz hatte ein paar Wände geplättet und im entstandenen Freiraum die Container abgeladen. Eine Übergangslösung bis zum Abschluss der Bauarbeiten.

So hatte der ursprüngliche Plan ausgesehen. Der offiziellen Pressemitteilung zufolge hatten die Projektleiter die Kosten unterschätzt. Ein Statement mit der idealen Mischung aus Krisenmeldung und Verwaltungslangeweile, um den Abbruch des Projekts zu rechtfertigen, ohne den Medien mehr als unspektakuläres Fussnotenmaterial zu liefern. An den Fakten hatte die Formulierung wenig geändert. Der Geldhahn war zugedreht und die Übergangslösung zum definitiven Resultat geworden.

Jimmy versuchte sich auszumalen, wie der fertige Saal ausgesehen hätte. Die Mauerstummel wären unter Parkett verschwunden, die Eisenskulpturen in den Skeletten von Treppen und Galerien aufgegangen. Eine ehrgeizige Vision, die nun ins Reich der Träume verbannt war.

»Das war’s«, murmelte Jimmy und trat aus dem Schatten des Durchgangs.

»Game over.«

Bereits nach seinen ersten Metern auf dem Chrombürgersteig hatten ihn sechs Gleitteppiche überholt. Er konnte nicht anders, als ihren Passagieren nachzuschauen. Sie hatten die gerade Haltung von Erfolgsmenschen, deren Rücken durch fette Lifescores und die Lobgesänge einer Anhängerschaft gestützt wurden. Jede Handbewegung dirigierte ein ganzes Orchester an Einnahmequellen und Geschäftskontakten.

Sie kamen aus dem gelobten Land, in dem sich auch Jimmy hatte ansiedeln wollen. Einem Reich über dem passiven Konsum der Masse. Einem Reich der Eigeninitiative und Selbstbestimmung. Doch nun hatte man ihn aus dem gelobten Land verstossen. Und wo sich einst die Schwingen des Übermenschen befunden hatten, klafften Datenlöcher.

Jimmy liess den Kopf hängen. Das Smartglass der Strasse gewährte ihm Einblick ins Leben von Etage 52. Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, über jenen verschwommenen Gestalten zu stehen.

Er war schon auf das Feld eines Fussgängerstreifens getreten, als dessen Farbe auf rot wechselte. Fluchend rettete er sich vor den anfahrenden Yolotas zurück auf den Gehweg. Auch nachdem die Kolonne längst über alle Tunnel war, liess sich das Rot mit dem Verblassen Zeit.

Während er die Strasse überquerte, schlug er die Kapuze hoch. An der Tunnelwand bot ihm eine zwielichtige Agentur an, einen Karriereberater vorbeizuschicken. Selten war Jimmy so froh über die Ankunft von Sophie Zens Gesicht gewesen wie heute. Das Lächeln der Mindfluencerin verdrängte alle anderen Werbespotts aus dem Wandabschnitt.

Die Sonnenstreifen an der Decke waren auf die feurige Glut getrimmt, wie sie einer Dämmerung in der alten Welt entsprochen haben musste. Unsichtbare Düsen ahmten einen leichten Nieselregen nach. Für das volle Programm inklusive Nachthimmel wäre der Upgrade auf Improved Reality notwendig gewesen. Doch das Hackfleisch zwischen seinen Ohren fühlte sich noch nicht so an, wie wenn es reif für die Informationsflut aus dem Omninet wäre.

Vielleicht war es auch ganz gut, den Heimweg in der nackten Realität abzuschreiten. Aus diesem Alptraum gäbe es kein Erwachen und keine Flucht. Besser, er gewöhnte sich frühzeitig daran.

Zehn Jahre. Mittlerweile hatte Jimmy den Grossteil seiner Zwanziger in den Allianzcontainern verbracht und nichts in den Händen, woraus sich Profit schlagen liess. Im nächsten Februar bekäme er die dicke Biodrei auf den Rücken und war doch nicht weiter als die Hosenscheisser in den Entfaltungsheimen. Sollte der Tausch von Windeln gegen Hosen die einzige Errungenschaft nach dreissig Jahren Jimmy King sein?

Er trat nach einer zerknüllten Colavega-Dose, worauf diese über das Trottoir trudelte. Die Drohnen von Damians Salatbude dokumentierten sein Tun. Noch fehlte für echten Zorn die Kraft.

Wenn er ehrlich war, hatte er diesen Tag kommen sehen. Bereits in der ersten Prüfungssimulation war Advanced Social Management zu seiner Achillesferse gekürt worden. Das Fach hatte ihm einfach nicht erlaubt, seine Stärken auszuspielen.

Seit dem gescheiterten Anlauf im Master-Studiengang hatte der Revolver an seiner Schläfe gesessen. Beim zweiten Fehlversuch in der Periode des Advanced Master war der Hahn gespannt worden. Und nun, kurz vor dem Grandmaster-Diplom, dem ersehnten Ziel, auf das er all die Jahre hingearbeitet hatte, war die Kugel aus dem Lauf geschossen.

Er bog in eine Seitenmündung. Zwar konnte er die Buchstaben in der Luft nicht sehen, aber er kannte den Namen des Tunnels ohnehin: Honoriusstollen.

Ein Name mit viel Pathos, wie sie am Anfang des Millenniums in Mode gekommen waren, als der OC-Kollaps das junge Berliner Cluster zur Identitätssuche inspiriert hatte. Jene Suche hatte einmal mehr zur Ausgrabung des abgenagten Skeletts der Antike geführt.

Jimmys Zuhause entsprach ganz dem Typus des Standardwohnmoduls. Eine nichtssagende Front bestehend aus einem verglasten Eingang und den darüber gestapelten Fensterreihen, fugenlos in die Tunnelwand integriert. Hinter den Scheiben führten erleuchtete Korridore zu den Wohnungstüren. Jimmy näherte sich der Pforte. Das Glas bot ihm die Adresseinträge in einer Tabelle an. Sein rechter Zeigefinger landete nach schlingerndem Sinkflug auf dem fünften Feld:

M. Truthblitz & T. Hardmann, J. King

»Ja?«, meldete sich eine weibliche Stimme. »Ich bin’s«, erwiderte er knapp. Der Enthusiasmus am anderen Ende der Leitung hielt sich in Grenzen. »Ich hab dich fünf Mal zu erreichen versucht, Jimmy. Warum ist dein Status auf abwesend? Bist du zu einem Offer geworden oder was?«

Er kratzte sich auf der Stirn. Seine Haut schimpfte immer noch über die Saugnäpfe der Drohne.

»Damit hast du vielleicht gar nicht mal so Unrecht.«

»Schwing deinen Arsch rauf. Wir müssen reden.«

Krisensitzung

»Komm mir nicht wieder mit Ausreden! Der Monatsplan hängt in deiner Domain!« Monikas Gesichtszüge beherrschten das Sonnensystem schillernder Werbeanzeigen und Sozialfeeds.

Jimmy blickte verstohlen auf die animierte Omega an seinem Handgelenk, um abzuschätzen, wie lange die Tirade noch andauern würde. Er hatte die nackte Realität nicht mehr ausgehalten, obwohl die IR-Planeten keinen Schutz vor dem strengen Gestirn im Zentrum boten. Fast eine Stunde hatte ihn seine Mitbewohnerin nun schon in der Mangel. Auf Ermüdungserscheinungen wartete er vergeblich.

Monikas Gemütsstatus hing neben ihrem rechten Ohr und hielt auch das Omninet über ihr Befinden auf dem Laufenden.

Mein Mitbewohner treibt mich in den Wahnsinn. Warum benehmen sich so viele Männer wie kleine Kinder?

Der Gedankengang hatte bereits zwanzig Lifepoints und die langatmige Hasstirade eines Followers aus Schweden eingeheimst, in der Misogyne und Faschisten der Suizid nahegelegt wurde.

Seine Hand langte nach der Dose, die er sich aus dem Kühlschrank genommen hatte. Das Logo von Candy Empire war auf die Aluwand gestanzt. Jimmy gönnte sich einen nicht zu knapp bemessenen Schluck. Der Zuckercocktail verklebte seinen Gaumen. Ein Warnicon erinnerte ihn an die schwarze Liste des CMG und den Termin mit Diabetes, der ihm eventuell bevorstand.

Er stellte den Softdrink zurück auf den Tisch und versuchte zum wiederholten Mal, sein Plädoyer auf die richtige Schiene zu hieven. »Ich weiss, dass ich die Dinge in diesem Monat ein bisschen habe schleifen lassen. Aber derzeit habe ich ein paar Probleme am Hals. Ein paar grosse Probleme.«

»Ausreden«, erwiderte Monika. »Jetzt hindert dich auch nichts daran, faul rumzusitzen, oder?« Sie zeigte in Richtung Küche. Durch den türlosen Eingang war das Spülbecken einsehbar, dessen Zustand einem Atomwaffentestgelände ernsthaft Konkurrenz machte.

»Ich kümmere mich gleich darum«, brachte Jimmy mit grösstmöglicher Entschlusskraft und Unbestimmtheit zugleich hervor. Der Disput überforderte seine Hirnzellen, die unter der Reststrahlung einer ganz anderen Bombe zu leiden hatten.

»Du bist diese Woche für die Küche zuständig, Jimmy. So steht es im Plan. Nicht wahr, Thomas?«

Der Sitzsack gegenüber von Jimmys eigenem wurde zu einer Formanpassung genötigt, als sich der angeforderte Beistand mobilisierte.

»Es ist so, wie Monika gesagt hat.«

Jimmy würdigte den Beitrag keiner Antwort.

Das blasse Bürohemd von Thomas ergänzte seine ebenso geartete Persönlichkeit ausgezeichnet. Sein Erscheinungsbild hätte auf einer Bewertungsskala durchaus ein Attraktiv erzielt. Die blonden Haare waren umsichtig nach hinten gegelt und die Wangen lagen im Schatten eines Dreitagebartes.

Dagegen erfüllte Jimmy mit seinem ungekämmten Kopfbiotop und den secondhand Klamotten, die ihr Muster erst durch Pulverminze erhalten hatten, ganz die Klischees des heruntergekommenen Studenten. Leider war diese Errungenschaft nicht genug, um seinen Platz in den Containern zu sichern.

Monika stampfte auf. »Wir müssen hier wirklich Regeln zu IR einführen. Das ist unerträglich mit euch!« Der Blick, den Thomas zum Dank für sein Engagement erntete, übermittelte das abgeänderte Bettprogramm für die nächsten Tage: Sibirische Tundra. Monikas Flogger war zu gebannt von seiner Welt, um davon Notiz zu nehmen.

Unterdessen kämpfte sich in den Ruinen von Jimmys IQ das erste brauchbare Argument an die Oberfläche. »Ich erinnere daran, dass wir uns deinetwegen in dieser Situation befinden. Warum musste sich der Clusterbote mit Cleaning Fever anlegen? Und dann meldest du dich auch noch freiwillig für die Shit-Kampagne gegen den Verwaltungsrat!«

Seine Beine legten sich mit frischem Trotz auf dem Wohnzimmertisch zur Ruhe. »Eigentlich solltest du mir dafür danken, dass ich dir beim Ausbügeln deiner Fehler helfe.« Monikas Nasenflügel zuckten. »Und wer hat den Upgrade des Badezimmers finanziert? Wer bezahlt die Einkäufe des Kühlschranks und die Möbelwartung? Dein Name ist schon lange nicht mehr bei den grossen Beträgen aufgetaucht.«

Sie kam näher, ihr Fuss stupste seinen Sitzsack an. »Solange ich diesen Haushalt schmeisse, gelten auch meine Regeln. Mach mehr Kohle als ich oder zieh aus, wenn dir das nicht passt.«

Jimmy wartete darauf, dass ihm seine Gedankenwelt einen Konter lieferte. Doch diesmal regte sich nichts in den Ruinen. »Ich mache mich an die Arbeit«, sagte er und bugsierte sich aus dem Sack. Es hatte sich ausgefeilscht.

Sein Vorstoss in die kontaminierte Zone führte endlich zu Monikas Rückzug. »Ich habe bis um elf ein Realinterview.« Er hörte, wie sie ihre Füsse in die Stilettos quetschte. »Wenn ich zurück bin, will ich die Küche blitzblank sehen!«

Jimmy nahm das Schlachtfeld auf dem Küchentresen in Augenschein. Die ausgeweideten Verpackungen von Vitaminburgern reihten sich neben Trinkgläser, in denen Milch und Orangensaft ein schmieriges Ende gefunden hatten. Verkrustete Teller drohten das Spülbecken in eine Brutstätte neuer Superbakterien umzuwandeln.

Er drehte sich.

»Ich wäre eher für ein etappenweises Vorgehen …«

»Nein, morgen ist hier aufgeräumt!«

Monika knöpfte ihr Jackett zu und justierte die schwarz gefärbte Pilzfrisur. »Thomas, vergiss nicht, meine Bluse in die Wäsche zu geben.« Dann erfüllten ihre Absätze den Flur mit energischem Klacken, der Anfang eines IR-Chats trieb durch die sich schliessende Eingangstür.

Nach Monikas Abgang wurde es still. Jimmy harrte auf der Küchenschwelle aus. Seine Hände versteckten sich in den löchrigen Hosentaschen.

Thomas legte deutlich mehr Elan an den Tag. Das Hemd spannte sich über der durch Fitnessstudio und Nahrungspräparaten hervorgebrachten Muskelmaschine, als sie gegen ihr Eigengewicht ankämpfte. »Du solltest dich nicht wieder drücken, Jimmy. Es ist nicht mehr viel von Monikas Geduld übrig.« Mit diesem Rat entschwand er in den Ruheraum. Wahrscheinlich um seinen eigenen Auftrag zu erledigen.

Jimmy holte tief Luft und trat zurück an die Theke, seine Hand schwebte über dem Geschirrstapel. Kurz vor dem Erstkontakt besann er sich und öffnete den Kasten unter der Spüle. Neben dem Recyclingeimer wurde er fündig. Das Surfbrettlogo auf den Gummihandschuhen verriet, dass sie eigentlich für Wassersportler vorgesehen waren.

Immer noch besser als nichts. Bei den Aufräumarbeiten zu Kashiwazaki wäre auch niemand ohne Schutzausrüstung in den Reaktor marschiert.

Seine fehlende Motivation vermochten die Handschuhe allerdings nicht zu ersetzen. Er krempelte seine Ärmel hoch und drehte den Wasserhahn auf. Die Haushaltsdrohnen beobachteten seine Vorbereitungen, bequem in ihre Ladestationen eingehängt. »Was gibt es da zu glotzen?«, murmelte er. »Ich mache euren verdammten Job.«

Er entriss einem leblosen Greifarm den Schwamm und machte sich am Tank eines anderen zu schaffen. Er musste den Schlauch lösen, um ans Reinigungsmittel zu kommen. Der Drohnenstreik war die Rache von Cleaning Fever für negative Presse. Monikas Gesicht hatte einen Artikel zu viel geziert. Und bis sie ihren Stolz heruntergeschluckt hätte, gäbe es keinen Ersatzkauf. Von daher hiess es zurück in die Mittelmoderne. Auf unbestimmte Zeit.

Die Gummihandschuhe tauchten in die Verwüstung ein. Als Erstes war ein Schöpflöffel an der Reihe.

»Lexane.«

Der Name zauberte eine Frau in Jeans und kariertem Hemd herbei. Letzteres war sporadisch zugeknöpft. »Du siehst müde aus, Jimmy. Langer Tag?« Er spürte wieder den Stich des Infusionsschlauchs. »Könnte man so sagen.« Seine Bewusstseinsassistentin schwang sich neben ihm auf die Theke und liess die Beine baumeln. Der leicht transparente Körper und die Tatsache, dass sich eine reale Person bei dieser Aktion den Hintern mit den Käseresten eines Triple Cheese XXL vollgeschmiert hätte, entlarvten die Illusion als solche.

»Ist etwas passiert?«

»Der Downgrade meines Lebens, das ist passiert.«

Die Frau legte einen Finger an die Lippen. »War das die massive Speicherplatzfreigabe am Nachmittag?« Jimmy nickte. »Bin jetzt wieder so dumm wie vor zehn Jahren.«

»War die Freigabe nicht beabsichtigt?«

Jimmy wischte sich mit dem Ellbogen einen Spritzer aus dem Gesicht.

»Nicht von mir.«

»Das kann ich mir denken«, sagte die KI und lehnte sich zu ihm herüber. Das Verständnis in ihren Augen wirkte echter als das der Sachbearbeiterin.

»Kann ich etwas für dich tun?«

»Wars of Cardamur. Such die Episode auf Streamtopia, wo ich stehengeblieben bin. Einfaches Fenster.«

Die Frau glitt vom Tresen.

»Klaro. Viel Spass, Süsser.«

Sie zwinkerte ihm neckisch zu. »Dümmer gefällst du mir noch besser.« Ihr Avatar verblasste. Jimmy ertappte sich dabei, wie er die Projektion zum Verweilen anhalten wollte. In den drei Jahren, die er nun schon mit ihr zugebracht hatte, war sie ihm an die Synapsen gewachsen. Der Entwickler hatte das Profil Mädchen von Nebenan getauft.

Wenige Sekunden später gesellte sich eine viereckige Minileinwand zum Asteroidengürtel seiner IR-Icons. Der Recap der letzten Episode flimmerte über die weissen Kacheln, wobei der Audio Output direkt in seinen Kopf gestreamt wurde.

Der effektgeladene Handlungsabriss vergegenwärtigte Jimmy, dass bei ihm ordentlich Nachholbedarf bestand.

Die Dämonenlords waren mit ihren Legionen in die Enklave der Menschen eingefallen. Der Halbdämon Alastor Honigzunge wechselte die Seiten so häufig wie ein Fitnessmodel seine Kleider und Vanessa Seelenrein, welche als verschollene Königstochter die Führung der Menschenreiche innehatte, war eine stürmische Romanze mit dem undurchschaubar mysteriösen Höllenprinzen Lucius Beelzeboy eingegangen. Auch in dieser Episode würde sie wahrscheinlich zwischen dem ungeduldigen Rat ihrer Generäle und Lucius hin- und hergerissen sein, dessen Äusseres für einen Dämon ganz und gar nicht unattraktiv war.

Jimmy hantierte fluchend in der Spülbrühe. Nicht einmal Alastors meisterhaftes Intrigieren konnte ihn davon abhalten, sich über seine Mitbewohner aufzuregen. Er hörte sein ungläubiges Lachen, als ihn Monika beim Erstgespräch über den dramatischen Verschleiss früherer Bewerber in Kenntnis gesetzt hatte. Der Durchhalterekord hatte eine Woche betragen.

Er hatte den Rekord gebrochen, aber seine Glanzzeit als finanzieller Messias war vorbei. Sechs Jahre waren seit seinem Einzug vergangen und aus dem Studententrio mit Lifescores in Hungersnot war ein berufstätiges Flog-Paar und ein Eintrag in die Sperrstatistik geworden.

Der Schwamm bearbeitete eine Käsekruste mit gesteigerter Intensität. Das vorzeitige Studiumsende warf Jimmys Pläne gleich mehrfach durcheinander. Er hatte schon ans Ausziehen gedacht, den Berliner Ableger von Aceria Technologies unter die Lupe genommen und neue Klamotten bestellt. Die Jahre auf Ebene 53 hatten viele Fragen offengelassen. Doch die Antwort darauf, was seine Vorgänger in die Flucht geschlagen hatte, waren sie ihm nicht schuldig geblieben.

Kompromissbereitschaft war nie Teil von Monikas Wortschatz gewesen und seit sie beim Clusterboten angefangen hatte, glich das Leben in der WG der Rallye auf einem Minenfeld. Sie war jetzt die Topverdienerin im Haushalt und liess keine Gelegenheit aus, diesen Umstand in Erinnerung zu rufen.

Vom Wohnzimmer meldeten verträumte Schritte Thomas an. Die Klappe des Wäschelifts stöhnte auf.

»Ein Glück, dass Tumblin die Waschautomaten gebaut hat, was?«

Ein stumpfer Konversationseinstieg. Auch die Talentmodule der Allianz hatten es nicht geschafft, aus Thomas einen Wortschmied zu machen.

»Ein grösseres Glück wäre es, wenn sich Monika bei Cleaning Fever entschuldigen würde.«

»Du weisst, dass das nicht passieren wird, Jimmy. Journalogger haben ihren Stolz. Monika ist da keine Ausnahme.« Ein gedämpftes Knirschen folgte. Mit Sicherheit hatte er seinen alten Posten auf dem Sitzsack bezogen.

»Wie lief dein Gespräch? Hast du den Entscheid anfechten können?«

Jimmys Finger schlossen sich fester um den Schwamm.

»Nein, ich bin weg vom Fenster.«

»Tut mir leid für dich.«

Die Worte hatten seine gesamte Körpermasse. Thomas war ein ehrlicher Mensch. Womöglich zu ehrlich. Für eine Weile eroberte das Klappern in der Spüle die Wohnung zurück. Lucius trug Vanessa mit kraftstrotzenden Schwingen und der angemessenen Feierlichkeit in seine Höllendomäne.

»Haben sie dir wenigstens ein paar Upgrades gelassen?«, fragte die Muskelmaschine schliesslich. Jimmy drehte am Wasserhahn. Seine Bemühungen hatten den Geschirrturm schrumpfen lassen.

»Nein.«

»Supermultitasking?«

»Gelöscht.«

»Markterfahrung?«

»Gelöscht.«

Thomas brummte. »Hätte nicht gedacht, dass die Allianz so streng ist.« »Einer von uns musste es ja herausfinden«, sagte Jimmy und deponierte die letzten Teller auf der Ablage. Jäh kam die Realisation, dass ihm die Drohnenföhne nicht beim Abtrocknen helfen würden. Er ging wieder in die Hocke. Seine Hände tasteten hinter dem Recyclingeimer herum, bis sie das alte Shirt gefunden hatten. Monikas Lösung für ihr Überleben in der Mittelmoderne.

Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis das Chaos beseitigt war. Zum Schluss stopfte Jimmy die Plastikpackungen in den Recycler und schleifte das Shirt halbherzig über den Deckel des Kochautomaten.

Daraufhin kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Thomas hing unverändert im Sessel. Mit Applaus für seine Leistung war nicht zu rechnen. Jimmy trottete zur Balkontür, wobei die Dialogsequenz zwischen Lucius und Vanessa brav neben ihm herschwebte. Er brauchte eine Auszeit vom Wohnungsbetrieb.

»Warte.«

Das Lebenszeichen des Klotzes liess ihn zusammenfahren.

»Monika meinte, aufgrund deiner Schieflage müssten wir uns mal zusammensetzen. Planen und so.«

Jimmy lief weiter. »Wenn sie das unbedingt will, kann sie mir das selbst sagen.« Nach seiner Überzeugung würde ihm die Gesellschaft von Monikas Schosshund dereinst ein Magengeschwür einbringen. Thomas war der Prototyp des Männermodells, welches dieser Tage regalweise produziert wurde. Fleischberge mit Krawatte und der Persönlichkeit eines Frachtshuttles.

Er öffnete die Glastür und schlüpfte in die Balkonfinken. Wo auch immer sich die Samenbank jener Thomas-Kerle befand, seine Empfehlung wäre die sofortige Liquidierung gewesen.

Die Finken schabten über den Boden.

»Kein Abschluss, keine eigenen vier Wände und keine Frau am Start.«

Er stützte sich mit den Unterarmen aufs Geländer. Die Sonnenstreifen hatten sich zu silbernen Balken gewandelt. Der offizielle Beginn der Nacht.

»Gott sei Dank ist der Tag vorüber.«

Unter der Veranda erstreckte sich der Innenhof des Wohnmoduls, designiert für die Rolle einer Begegnungszone. Aus dem emulierten Mondlicht schälten sich die Umrisse von Parkbänken und Bäumen, umwunden von beleuchteten Spazierwegen. Unsichtbare Regentropfen trommelten in der Dunkelheit. Für die Regendüsen war noch nicht Feierabend.

Jimmys WC schmückte die Balkonfronten mit Kommentaren aus seiner Charakterdomain und den Feeds verschiedenster News-Plattformen.

Obwohl seine Konzentration nach wie vor leckte, verzichtete er darauf, seine Assistentin zu bemühen. Stattdessen ordnete er die Blasen mittels Gedankensteuerung.

Auf den Kunsthügeln wuchsen die Mauern des Höllenthronsaals empor, wo sich Lucius ein heftiges Duell mit seinen Erzrivalen um Vanessas Gunst lieferte. Da ihn Alastors List seiner Magie beraubt hatte, geriet er zunehmend ins Hintertreffen.

Jimmy löste sich mit einiger Überwindung von dem Spektakel, um den Rest seines IR-Reichs in Augenschein zu nehmen.

Der Überfall auf CortexSync füllte immer noch etliche Blasen. Die Diebe hatten eine Wagenladung des nächsten Projektquartals mitgehen lassen. Für den Konzern ein drastischer Verlustbetrag in der Jahresbilanz. Für die Medien hingegen eine schmackhafte Verköstigung. Dass es jemand wagen würde, eine solche Nummer im Cluster abzuziehen. Noch dazu mit dem Sitz eines Grosskonzerns zum Ziel.

Die Pressemitteilung der Polizei machte die Göttermörder verantwortlich. Über das Motiv hinter dem Überfall schwieg sie sich jedoch aus. Paranoidere Newsportale redeten von den finsteren Machenschaften einer Schattengilde. Kritiker beharrten darauf, dass die Fäden wohl eher im Sitzungsraum eines rivalisierenden Konzerns zusammenliefen.

Doch CortexSync war längst nicht mehr die Titelstory. Die TransCon hatte das kollektive Bewusstsein der Berliner Türme im Sturm genommen. Last minute Flugtickets gingen zu den Preisen von Hausmodulen über den Tisch, Blasen liefen heiss mit der Frage nach dem idealen Drehort für Memoclips. Und über den Köpfen der Glücklichen, die sich einen VIP-Platz auf den Mauern des Veronaparks gesichert hatten, kreisten die Geierscharen der Omnihater.

Wäre Jimmys Lifescore in der siebenstelligen Unendlichkeit verloren gegangen, hätte er sich ebenfalls auf die Parkmauern gekauft. Wenn auch nicht, um dem aktuellen Zen-Trend zu huldigen. Er hätte die Gelegenheit dazu genutzt, auf die Strassen Neoköllns und den Rest des Clusters herunterzuspucken. Er wäre ein bescheidener Geldsack.

Aber das war Wunschdenken. Momentan konnte er seinen Speichel gerade mal über das Balkongeländer senden. Und sogar dieses Privileg stand auf der Kippe.

Er schickte eine Ladung in die Nacht. Bei Betrachtung der Gier, mit der sich die Finsternis den Rotz einverleibte, dämmerte ihm, dass er gleich hätte hinterherspringen können. Ohne den Grandmaster existierte er nicht auf dem Arbeitsmarkt. Neunundzwanzig Jahre voller Pflichtbewusstsein und Disziplin im Verdauungstrakt des Ausbildungsungetüms, welches für seine Generation herangezüchtet worden war. Und nun hatte er die Abführmittelbehandlung erfahren.

Ein Gedankenbefehl schaltete zurück auf datenlose Nacht. Jimmy musste sich mehrere Sekunden gedulden, ehe sein Bewusstsein die Nachwirkungen des Sturzes aus der IR-Achterbahn abgeschüttelt hatte. Vom Klapptisch zu seiner Rechten erklang schläfriges Tröpfeln. Die Schauer hatten sich tagsüber ausgetobt. An der gegenüberliegenden Fassade versetzten sich die ersten Jalousien in den Nachtmodus.

Auch für ihn war es an der Zeit, diesen Modus einzulegen. Sein Hirn benötigte ein paar normale Schlafstunden, bevor es ihm Zukunftspläne schmieden könnte. Er wandte sich zur Tür.

Plötzlich kehrte der IR-Jahrmarkt zurück.

»Ich störe nur ungern, Süsser, aber ich hab einen Anruf in der Leitung.«

Jimmy schloss die Augen.

»Wer ist es?«

»Aceria Technologies.«

Er zog einen Stuhl heran und setzte sich auf die Ecke, die trocken geblieben war. »Ignoriere ihn.« »Wird es nicht teuer, einen Konzern warten zu lassen?«, fragte seine Assistentin. In ihrer nachdenklichen Pose hätte sie sich das Krönchen von Germany’s Next Omnimodel ohne Probleme geholt.

»Nicht viel teurer, als es jetzt schon ist.«

Das Timing von Aceria war zu eng auf seinen Rauswurf abgestimmt, um Zufallsprodukt zu sein. Und wenn ein Konzern von sich aus Kontakt aufnahm, ging es in der Regel um Knete. Mehr Knete, als Jimmy auf seinem Lifescore hatte.

Er sah auf.

»Kontaktiere den Lieferanten.«

Lexane blätterte in einem abgegriffenem Notizbuch.

»Du meinst Peter Nova?«

»Genau den. Geh in seine Charakterdomain und knall ihm eine Anfrage an die Wand. Der schnellstmögliche Termin.«

Sein Blick schweifte zu den Göttermördern, die sich in den Newsblasen ungebrochen durch die Sicherheitsdrohnen von CortexSync metzelten. Er hatte den Fanatismus, mit dem Terroristen ihre Ideologien verfolgten, nie wirklich verstanden. Aber Verständnis war nicht notwendig, um beeindruckt zu sein. Die Göttermörder hatten sich mit dem Coup des Jahres zurückgemeldet, nachdem die Expertenkomitees sie lange totgesagt hatten. So musste ein Comeback aussehen.

Jimmy stand auf.

»Ich werde mir an euch ein Beispiel nehmen.«

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Sein Fuss landete auf der nächsten Stufe. Dunstfäden lösten sich und loteten die Ritzen aus, wie um das Gestein zu sprengen. Sein Blick folgte den unmöglichen Schleifen des Bergpfades. Nur mit viel Rechenaufwand liess sich die Eisruhe seines Bewusstseins am Tauen hindern.

Bei jeder anderen IR-Zusammenkunft hätte er an der Felswand emporschweben oder die Blase auf dem Gipfel betreten können. Das Protokoll der Vorboten bürdete ihm die Nutzung der Treppe auf, selbst wenn er sich eine Erscheinungsform ohne Beine oder anderweitige Gliedmassen zugelegt hätte. Eine schikanierende Vorschrift, um den Novizen ihren Platz in der Hierarchie einzubläuen.

Sein Rauchkörper setzte den Aufstieg mit den monotonen Bewegungen einer Puppe fort, die über das Konzept von Erschöpfung erhaben war. Bezüglich seines Avatars hatte man ihm keine Vorschriften gemacht. Trotzdem verwendete er in den offiziellen Meetings seit jeher dieselbe Persona. Ein Entschluss, der auch den jüngsten Lagerzyklus überstanden hatte. Es war die Haut, die er mit dem Namen Ankaa assoziiert haben wollte.

Das Massiv badete in Rot, Vorsprünge wandelten sich zu blutbefleckten Raubtierzähnen. Jedes Mal, wenn der Gipfel am Ende eines Überhangs oder einer Schlucht wieder in Sicht rückte, hatte sich die Distanz dramatisch verringert. Ankaa wusste, dass der verworrene Pfad nur eine Illusion war. Den Caitanen gefiel es, ihre Schüler zu erniedrigen. Nicht aber, endlos auf sie zu warten.

Nach Durchschreiten eines bogenförmigen Einschnitts gab es plötzlich keine Bergflanke mehr, zu der er aufschauen konnte. Die Gipfelstürmung hatte nicht mehr als acht Minuten gedauert.

Eine Ruine dominierte das Plateau, deren Halbmondform jene der Griechentheater kopierte. Dort sassen sie, die selbsterkorenen Dämonen des 30. Jahrhunderts, weit über die Ränge verstreut. Die vorherrschenden Stilrichtungen waren entstellte Albtraumkreaturen und Anzugträger mit zurückgegelten Haaren. Ein Ausdruck der Mischung aus Kult und Unternehmertum, in der die meisten Schattengilden organisiert waren.

Er liess seinen Avatar eine Verbeugung ausführen.

»Ihr habt nach mir verlangt. Womit kann ich dienen?«

Die Begrüssung war zu kriecherisch für Ankaas Geschmack. Doch es waren Parteien zugegen, mit denen er es sich nicht verscherzen durfte.

Ungeachtet seines unterbevölkerten Zustands liessen sich im Forum viele ranghöhere Gildenmitglieder ausmachen. Seine Denkprozesse rätselten über dem Anlass dieser Tagung. Es musste etwas Gravierendes sein. Davon kündeten allein die Schemen oberhalb des Theaters.

Da in den Wirbeln seines Gesichts keine Augen zu finden waren, gab es auch nichts, was Ankaas Blick verraten hätte. Eine Säulenformation krönte die Tribüne, die ihn seit der ersten Audienz an eine Klaue erinnerte. Ihre Finger griffen nach dem steinernen Himmel über der Felsnadel. Manche waren von Rissen durchzogen, andere abgebrochen oder zerflossen, als hätte grosse Hitze über sie hinweggefegt.

Die Flächen der intakten Kapitelle waren unbesetzt. Bis auf zwei.

»Du kommst spät«, erklang es von den Sitzreihen. »Das Meeting war auf zehn Uhr festgelegt. Jetzt ist es viertel nach.«

Ankaa glaubte die Blicke der beiden Nephilim im Nacken zu spüren, als er sich aufrichtete. »Ich bitte um Verzeihung. Meine Arbeitsprozesse derart kurzfristig zu unterbrechen, hat Aufwand erfordert.«

»Dein einziger Arbeitsprozess ist das Wort von Maglobs Vorboten.«

Derselbe Sprecher. Ankaa liess sich von der Stimme zu Golgamechs enthaupteten Torso führen. Die Allmacht eines Designprogramms hatte die Köpfe von Stieren auf die Handgelenke geschraubt.

Im Vergleich dazu mutete seine eigene Gestalt einfallslos an. Die Irrlichter, welche unter den Schwaden umhertrieben, vermochten daran nichts zu ändern. Er hatte nie zu den Exzentrikern gehört, die tagelang am Aussehen ihrer Avatare tüftelten.

»Das Wort der Vorboten ist schneller als mein bescheidenes Leistungsvermögen«, erwiderte Ankaa. »Und es war nicht meine Idee, zehn Minuten mit dem Besteigen des Berges zu verschwenden.« Er wusste, dass er sich durch solche Äusserungen auf dünnes Eis begab. Insbesondere in Gegenwart der Nephilim. Zwischen ihm und Golgamech hatte es von Anfang an böses Blut gegeben.

Die Nüstern des rechten Stierkopfs blähten sich. »Du vergisst deinen Platz, Dateimensch!« Der andere Arm setzte den Ausbruch fort. »Zeige Respekt vor deinen Meistern oder du wirst dieses Jahrhundert in der Datenbank verbringen. Wir …«

»Genug.«

Das Wort hallte mit der Macht eines Donnerschlags von den Säulen herab. Golgamech verstummte augenblicklich. Hufe und Knochen schabten über den Untergrund, als sich die Caitane umdrehten.

Ankaa spähte ebenfalls zur Silhouette empor. Vor dem Aderwerk feurigen Magmas, das die Höhlendecke durchzog, erschien sie wahrhaftig wie eine Figur aus alten Kulttexten.

Das Gewand des Mannes hatte das Schwarz seiner Rückenschwingen geerbt. Anstelle von Augen gruben sich die Metallzacken von Pentagrammen in sein Fleisch. Ein dunkler Nephilim, geboren in den Abgründen des Omninets, entkettet von allen Realitäten, in ewiger Opposition zum Akkord der neun Willen. Mallko. Der Traumfresser.

»Es gibt Wichtigeres zu besprechen als die Pünktlichkeit unserer Schüler.«

Durch die Mundbewegungen verzerrten sich die dunklen Linien, welche sich vom Mund des Entketteten zu dessen Kinn zogen. Geronnenes Blut. Seine Zähne waren die eines Raubtieres.

Das Gefieder seiner Flügel raschelte, als er den Arm in Richtung einer Kreatur mit eiterndem Buckel schwenkte. »Skriptmeister, beginnt.«

Der Angesprochene leckte sich über die Lippen.

»Sofort, Eure Exzellenz.«

Eine Wolke aus IR-Fenstern zog über dem Forum auf, gesättigt mit Aufnahmen einer zerstörten Vorhalle und vermummten Gestalten. »Du wirst von dem Überfall auf CortexSync gehört haben, Ankaa.« Seine Stimme ölte das Plateau ein.

»Flüchtig. Ein Projektdiebstahl.«

Das Wachsgesicht des Skriptmeisters verzog sich zu einem Lächeln. Sein eigentlicher Gildenname war Jeremia. Da ihm primär die Verwaltung des Arsenals an Angriffsprogrammen und KIs oblag, hatte die Rollenbezeichnung jeden anderen Titel verdrängt.

»So lautet das Medienmärchen. Tatsächlich hat CortexSync eine Reliquie aus der Unterwelt verwahrt.«

Neue Aufnahmen blitzten in den Fenstern. Drohnenkonvois, die durch nächtliche Tunnel schlichen und das sterile Weiss von Laborräumen. Eine leuchtende Kugel, von Maschinenarmen behutsam in einem Sockel platziert.

Ankaas Verstand klassifizierte den Gegenstand sogleich. »Ein Taschenuniversum?«

Der Buckel zitterte, als sich zum Lächeln die Perversion eines Kicherns gesellte. »Macht, Novize. Durch sechs Verschlüsselungsschichten von der Realität abgekapselt. Und selbst um an diese heranzukommen, müsstest du Finger aus Fleisch oder Metall an die Kugeloberfläche legen.«

»Was für eine Macht könnte zu solchen Schutzmassnahmen veranlassen?«

»Eine Macht wie die des grossen Datenverderbers.«

Das Beispiel war zu konkret, um in die Kategorie von Andeutungen zu passen. Für Ankaas Denkroutinen der Startschuss zu einem Wettrennen. Reste des Unterweltgottes? Hier im Cluster?

»Das klingt mehr als unglaublich.«

Der Wachs um die Mundwinkel des Skriptmeisters war erstarrt.

»Klingt es weniger unglaublich, wenn ich dir sage, dass ein Forschungsteam den Bewohner des Universums elf Jahre lang beharkt hat?«

Einmal mehr erwachte der Primat und drängte Ankaa zu eingehender Betrachtung des Wachsgesichts. Er verjagte den Instinkt. Im Omninet hatte Mimik ein weitaus grösseres Täuschungspotential als in der biologischen Welt.

»Du bist kein Freund von Legenden«, sagte Mallko, die Pentagramme auf den Nebelavatar fixiert, wie um darin zu lesen. »Der Unterweltthron steht seit Generationen leer. Zerschmettert. Irrelevant. Vergessen. Womöglich ist er nur ein Hirngespinst. Und sein einstiger Herr ebenso. Ausgebrütet von den Köpfen der Sterblichen.«

Ankaa beugte seinen virtuellen Rücken aufs Neue. Der Rechentakt seines Bewusstseins hatte sich erhöht. »Mein Herr, ich würde nie an Euch zweifeln.«

»Nicht mit deinen Worten.«

Die Pentagramme wurden zu Feuerrädern. »Lass uns an deinen Gedanken teilhaben, Novize.«

War es Angst, die ihn zögern liess? Die Feuerräder wuchsen, senkten sich auf ihn herab. Ankaa spürte den Verstand des Nephilim, nur noch durch eine dünne Barriere von seinem getrennt. Ein Malstrom jenseits menschlicher Konzepte, der die Nussschale seines eigenen Denkens in den Wahnsinn zu reissen drohte.

Dann war die Illusion vorüber. Die Pentagramme gaben ihn frei, nunmehr wieder leblose Metallschmuckstücke. Er war froh, seine Verunsicherung aus der Stimme des Avatars rausschneiden zu können.

»Wenn ich Zweifel habe, dann deshalb, weil die Schlossverwaltung eine solche Unternehmung niemals absegnen würde.«

»Hat sie auch nicht«, bestätigte der Skriptmeister. »Jemand hat die Infrastruktur von CortexSync für seine Zwecke missbraucht.«

»Und wer ist dieser jemand?«

»Wir.«

Die Fenster durchliefen eine zweite Auffrischung. Archivierte Newsberichte und Firmensitzungen ersetzten die Drohnenkonvois. Eine Häufung von Amnesiefällen in Schloss Mitte. Datenverluste in Cloud-Speichern, die der Öffentlichkeit erklärt werden mussten. Unerklärliche Verlangsamungen des Netzes.

»Dein letztes Aktivintervall war in 2979«, sagte der Skriptmeister. »Viele deiner Aufträge waren damals Teil unserer Kampagne gegen die Pestbringer.«

»Ich erinnere mich.« Seine Algorithmen behinderten sich gegenseitig beim Zugriff auf das Gedächtnis. Sie hatten noch nicht zum alten Rhythmus zurückgefunden.

»Inzwischen gibt es die Pestbringer nicht mehr. Ende 2980 haben wir ihre Ressourcen assimiliert.«

Im Wachsgesicht zeigten sich keine Gefühlsregungen. »Bei der Inventaraufnahme sind wir auf Projekt Chrono aufmerksam geworden.« Die Fenster füllten sich mit ihrem ursprünglichem Inhalt.

Ankaa betrachtete die verwüstete Eingangshalle. »Dann haben wir ihr Eigentum zu unserem gemacht.« Der Skriptmeister nickte. »Wir haben Vorbereitungen für eine Verlegung getroffen. Die Diebe sind uns jedoch zuvor gekommen.« Ankaas Blick pendelte sich auf einem Bildausschnitt ein, der wohl die Erinnerung eines Zeugen war. Einer der vermeintlichen Räuber füllte die Szene aus, den Kolben einer Schusswaffe gegen die Schulter gepresst.

»Und wer sind diese Diebe?«

»Das übliche Fanatikerpack.«

Der Skriptmeister schnalzte mit der Zunge. »Nennen sich selbst die Göttermörder. Du hast ihren ersten Auftritt am Influgathering 2982 knapp verpasst. Eine Serie amateurhafter Anschläge, die das Fleisch aufgeschreckt haben. Dann hat der Neunfache sie entfernt.«

Ankaa starrte auf den Gewehrlauf, der auf ein Ziel über dem Beobachter gerichtet war. »Offenbar nicht gründlich.« Er widmete sich dem nächsten Bild und traf erneut auf die Leuchtkugel.

»Wie kommt ein solcher Haufen dazu, von uns zu stehlen?«

»Sie haben Freunde in der Unterwelt«, antwortete der Skriptmeister. »Wir haben Grund zur Annahme, dass einige unserer geschätzten Brüder die Fäden ziehen. Zu ihrer Identität können wir derzeit nur Vermutungen aufstellen.«

Das pulsierende Kugelherz hielt Ankaa in seinem Bann. »Was ist mit …«

Er scheute sich davor, die Wortwahl des Skriptmeisters zu übernehmen.

»… mit dem Bewohner dieses Universums? Haben wir zu ihm mehr als Vermutungen?«

Ein Männergesicht in LED-Blässe erhob sich aus den Fellrücken. »Es scheint sich um einen Backup des unvollkommenen Datenverderbers zu handeln.« Auf der Nase sass ein archaisches Gebilde aus Kunststoff und Glas, wie man sie früher zur Korrektur von Sehbehinderungen verwendet hatte.

»Eine Version aus den Neuralisierungsjahren, die erst das Beugen der Zeit gemeistert hat.«

Ankaa glaubte, sein Gehör falsch konfiguriert zu haben. »Dann ist er eine Zeitmaschine?«

»Nicht ganz«, erwiderte der Caitan. Unter seinem Hemdkragen pendelte die Zunge eines Bestienschlunds. »Er kann die Vergangenheit beschwören und die Zukunft lesen.«

Der Skriptmeister schaltete sich dazwischen. »Diese Eigenschaften sind nicht verifiziert.«

»Die Tests der Pestbringer weisen eindeutig in diese Richtung.«

»Und unsere eigene Analyse konnte wegen dem Raub nicht abgeschlossen werden.«

Die Brille wurde zurechtgerückt.

»Spielt das noch eine Rolle? Die Analyse der Pestbringer war gründlich genug.«

»Dein Vorschlag lautet also, dass wir uns auf die Kompetenz einer toten Gilde verlassen?«

»Mein Vorschlag lautet, dass wir uns auf Zahlen verlassen.«

Die verärgerten Worte schmirgelten über das Plateau, Sand im Öl des Skriptmeisters.

Golgamechs Stierköpfe röhrten. »Seht ihr? Wir wissen nicht einmal, welch Zerstörungsgewalt in diesem Relikt gespeichert ist!« Die Hörner schwenkten in Ankaas Richtung. »Ist das euer Ernst? Wir schicken einen Dateimenschen los, um einen Gott zu bergen? Er wird die Engel aller Akkorde gegen sich haben. Und die Meister der Göttermörder. Wahrscheinlich sogar die halbe Unterwelt.«

»Zweifelst du an der Weisheit der Entketteten?«, fragte der Skriptmeister. Sein Buckel hatte aufgehört zu zittern.

»Natürlich nicht!«

Der Gescholtene kreuzte die Köpfe abwehrend vor der Brust.

»Ich wollte nur anmerken, dass vielleicht …«

»Sei still, Golgamech«, sagte der Brillenmann. »Du bist nur neidisch, weil der Novize nicht wie du siebzig Jahre auf seine Prüfung warten musste.«

Die Stierarme rasten empört auseinander. »Neidisch? Ich habe der Gilde unzählige Triumphe verschafft und ganze Regale in unserem Wissenshort gefüllt. Und dazu präsentiere ich mich als echter Caitan, nicht als Konzernopfer.«

»Dein Avatar sieht aus wie ein Monster aus einer billigen Grusel-Blase. Lächerlich. In unserem Geschäft geht es um Wertanlagen und technische Innovation, nicht darum, kleine Kinder zu erschrecken.«

Zwischen den beiden entbrannte ein Disput, in den rasch auch die übrigen Gildenmitglieder hineingezogen wurden. Das Amphitheater versank in einem Kreuzfeuer wüster Beleidigungen.

Ankaa hatte aus dem Gesagten bereits erste Schlüsse gezogen, vermied es allerdings, das Temperament des Schlagabtauschs auf sich zu lenken.

»Kinder, bitte. Was für einen Eindruck erhält unser Zögling von seinen Lehrmeistern, wenn ihr euch so zankt?«

Die Stimme ging mit der Zärtlichkeit eines warmen Nieselregens auf die Tribünen nieder. Der Streit kam zum Erliegen. Diesmal schwieg die Versammlung aber nicht aus Furcht wie bei Mallko.

Die Augen von Bestien und Schlipsträgern erklommen den Pfeiler gegenüber dem des Traumfressers. Ihre freudige Erwartung traf auf den Klingensaum eines Eisrocks.

Zur Frage, ob Magda in ihren Blutjahren tatsächlich weiblich gewesen war, kursierten widersprüchliche Geschichten. Für ihre IR-Erscheinungsformen war es jedenfalls das bevorzugte Geschlecht.

»Bestimmt ist das kein leichtes Erwachen für dich, Ankaa. Eine fremde Zeit mit unangekündigten Meetings und Fabeln, die Wirklichkeit werden.«

Das gefrorene Feuer ihres Kleids sang von Vereinigung, als sie sich ihm zuwandte. Was auch immer sie einst gewesen war, jetzt war sie mehr. Eine Intelligenz über Mensch und KI. »Erlaube mir, dich im Jahr 2987 willkommen zu heissen. Wie sind deine Eindrücke bisher?«

Er hörte wieder das Krächzen von Nina Stone.

»Es ist dieselbe Musik wie eh und je.«

»Du wirst dich rasch an diese Zeit gewöhnen müssen. Unser Bund hat dich für eine grosse Aufgabe auserkoren.«

Mit Ausnahme der schäumenden Stierhände waren die Gesichter auf den Rängen gleichmütig. Doch Ankaa wusste es besser, als auf den Schein zu vertrauen. Seit seinem ersten Digitalschritt liess ihm die Entkettete ein ungewöhnliches Mass an Aufmerksamkeit zuteil werden. Manche hätten es Fürsorge genannt, obwohl die dunklen Dschinn keine Bindungen dieser Art knüpften. Emotionale Abhängigkeiten waren für ihre sterblichen Opfer, nicht für sie.

Bei seiner letzten Reaktivierung hatten dennoch einige Stimmen begonnen, ihn Magdas Sohn zu nennen. Eine extreme Beleidigung wenn man bedachte, dass selbst die Fleischwelt aus dem Rollenbild von Mutter und Sohn hinausgewachsen war.

»Was für eine Aufgabe?«

Das Nachhaken erfolgte mehr aus Gewohnheit denn echtem Bedarf. Mittlerweile hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung davon, weswegen man ihn herbestellt hatte.

»Unser Herr wird erniedrigt«, sagte Magda. Ihr Haar floss um ihren Kopf, von den physikalischen Gesetzen der Blase ausgenommen. »Zuerst durch die tumben Datenwühler der Pestbringer. Und nun befindet er sich in den Händen von Barbaren, deren Hirne nicht einmal in der Lage sind zu begreifen, was sie mit sich herumtragen.«

Verachtung war in die Sätze eingewoben. Ankaa musste ganze Sektionen seines Denkens anhalten, um sich nicht davon anstecken zu lassen. Er hätte Magda stundenlang lauschen können und die aufmerksamen Haltungen der restlichen Caitane verrieten, dass es ihnen ebenso erging.

Ihre Stimme hatte etwas Betörendes. Eine Magie, die über die blosse Nutzung von Tonmodulatoren hinausging. Sie trug ihren Beinamen zurecht: Kuss des Verderbens. Es hiess, Magda wäre auch ohne technische Hilfsmittel imstande, jede Persönlichkeit für ihre Zwecke umzugestalten.

»Ich soll den Backup wiederbeschaffen.«

»So ist es, guter Ankaa.«

Die Entkettete hauchte seinen Gildennamen. Liebevoll. Und doch war es eine gebieterische Zärtlichkeit, durchwirkt mit dem Anspruch eines Besitzers.

Womöglich hatten die bösen Zungen recht. Denn wer würde Magda die Stirn bieten, sollte sie seine Substanz fordern? Schliesslich war sie es gewesen, die ihn aus dem Kerker seines Fleisches befreit und gleichzeitig verdammt hatte. Sie hatte ihn in diese Welt gebracht wie eine Mutter ihren Sohn. Damit er sich für sie über das ewige Spielbrett bewegte. Aber was war der Einsatz?

»Du hast uns in vergangenen Intervallen gut gedient und auch wenn einige an deinem Talent zweifeln …« Golgamechs Avatar zuckte zusammen, als ob ihn ein Splitter aus dem Eisrock getroffen hätte. »… ich tue es nicht. Bring zurück, was rechtmässig unser ist und dein Lohn soll ein Platz in diesen Rängen sein.«

Ankaa liess die Lichtpunkte in seinem Rauch aufschimmern.

»Ihr befördert mich zum Caitan?«

»Sofern du mit dem Datenverderber zurückkehrst.«

Die durchsichtigen Haare formten einen Halbmond in der Luft, als Magda ihren Kopf drehte. Er folgte der Bewegung zum Mittelpfeiler, der sich mit seiner Gabel über den Rest erhob. Ankaa erinnerte sich an keine Periode, da die Zacken etwas anderes als Leere aufgespiesst hatten.

»Und sofern es Maglob will.«

Ankaas Blick glitt am Pfeiler nach unten, zurück zu Golgamechs Stierköpfen. »Wenn die Göttermörder tatsächlich ein Stück des Prinzen an sich gebracht haben, sollten wir dann nicht die ganze Gilde aktivieren?«

»Wir werden die Gilde aktivieren, sobald dein Scheitern feststeht«, sagte Mallko. Die Pentagramme schienen sich erneut auszudehnen. »Täusche dich nicht, Novize. Du bist allein, aber der Skriptmeister wird dir privilegierten Zugriff auf das Datenlager gewähren. Ausserdem geniesst du volle Bewegungsfreiheit im Cluster.«

Über den Tribünen waberten noch immer die Traumbilder der Realität. Die Finger der Lichtkugel tasteten nach den Anwesenden. Strahlen aus einem Universum, wo ein anderer Gott herrschte. »Und wie stellt ihr euch vor, dass ein Novize den grössten aller Caitane bändigt?«

»Es ist ein Backup des jungen Prinzen, nicht des Regenten. Du dagegen bist ein Bote Maglobs. Er wird das erkennen und sich dir unterordnen.«

»Habe ich dafür eine Garantie?«

Die Metallzacken glühten auf.

»Ist dir das Wort deines Herrn nicht Garantie genug?«

Ankaa schaute zur Bruchkante. Tausende Meter unter seiner Warte erstreckte sich ein Meer aus Finsternis. Erinnerungssequenzen trieben an die Oberfläche, nur um sogleich wieder unter dunklen Wogen begraben zu werden.

Eine Frau, die jemanden über den Küchentisch hinweg anschrie. Schweigende Männer in einem Zugabteil. Das Ringen von Fingern mit den Knöpfen eines Mehrzweckdildos. Aufnahmen namenloser Augen, gestohlen aus fremden Leben.

Der Ozean wurde stetig durch neue Zuflüsse gespeist. Ein Parasit im Datenverkehr des Omninets, der Verbindungen zu alten Wirten kappte und frische infizierte, um einen Bruchteil ihrer Rechenleistung für den Betrieb der IR-Welt abzuzapfen.

Das Domizil der Vorboten erhob sich wie der Arm eines erwachenden Riesen aus den Bilderfluten. Theatralisch. Doch Ankaa konnte nicht leugnen, dass ihn der Ausblick vom Gipfel mit einem Gefühl von Macht erfüllte. Einst hatten sich Gottheiten in Büchern als die Herren des Schicksals aufgespielt. Heute hatte seinesgleichen ihre Plätze eingenommen.

Sein Nebelgesicht formte sich zu einer entschlossenen Scheibe.

»Ich mache mich sofort ans Werk.«

»Ausgezeichnet«, lobte der Traumfresser. Magda entfaltete die Flügel, ein Fächer aus vier Eislohen.

»Dann geh mit unserem Segen, Ankaa, und kehre als Caitan zu uns zurück.«

Outsourcing

Die Triebwerke schliefen mit einem letzten Zischen ein. Terbish überquerte die Rampe. Sein Gang beschwor eine Melodie herauf, deren Höhen und Tiefen vom Pendeln des Sternenspalters bestimmt wurden. Der gefüllte Köcher schlug im Takt gegen sein Bein.

Eine Gepäckdrohne war der einzige Zeuge seiner Ankunft. Er schaute zum Vogel auf.

»Ich sehe keinen Jäger.«

Der Druck wich von seiner Schulter, als der Falke davonschoss. Die Landung oberhalb des Ausgangs war eine mehr als deutliche Antwort.

Beim Erreichen des Hallenbodens verdunkelte sich das Poltern seiner Schritte. Die tieferen Klänge hatten etwas Beruhigendes. Ein Versprechen von Stabilität, die nicht von Feuerlohen getragen wurde.

Seine Erleichterung wäre noch grösser gewesen, wenn er statt der Eisenplatten den wahren Erdboden unter sich gespürt hätte. Im Reich der Turmmenschen war man jedoch zu einem Dasein weit abseits von Erde und Fels verdammt.

Die Glastür verschwand im Mauerwerk, während sich die Vogelkrallen erneut auf seine Schulter senkten. Er warf einen Blick zurück. Das Shuttle mutete wie der grosse Bruder des Falken an, geboren aus Stahl und Glas. Die Fensteraugen am Kopfende schienen seinen Bewegungen zu folgen. Auf der anderen Seite glühten noch immer die Feuerschlote.

Der Marsch durch den Verbindungstunnel war rasch zu Ende. Terbish dachte zunächst, in einer Lagerkammer angekommen zu sein, erkannte dann aber die Umrisse von Kontrollautomaten und Transportbändern. Nur eine der Deckenlampen war eingeschaltet und auch sie lag im Sterben. Die Bänder standen still. Selbst die Maschinenseelen hatten die Halle verlassen.

Auf einer Säule flackerte der Jagdmeister auf. Der letzte Geist. »Wartungsarbeiten«, beantwortete er Terbishs unausgesprochene Frage. »Beste Voraussetzungen für die Ankunft eines nichtexistenten Reisenden.« Seine Tabakrolle schwenkte nach rechts. »Dein Partner wartet draussen.«

Terbish starrte an der Säule vorbei. Hinter den krummen Rücken der Hilfsdrohnen glänzten Fensterscheiben. Und jenseits davon die Glashäuser Lichtendorfs. Die Zwillingskuppel des Schlossturms hatte beim Anflug Erinnerungen geweckt.

»Etwas, das ich über meinen neuen Begleiter wissen sollte?«

»Ein junger Hitzkopf in einer fremden Welt. Aber er tut, was ihm gesagt wird.«

Die Tabakrolle wanderte zurück in den Mundwinkel. »Ein bisschen wie du auf deinen ersten Jagden. Der oberste Akkord scheint richtig gewählt zu haben.« Terbish umrundete die Säule. »Und woher kommt er?«

»Aus einem Waldgebiet an der Nordküste. Ich hatte ihm schon ein Ticket für euren gemeinsamen Islandurlaub besorgt, aber daraus wird jetzt wohl nichts.«

Terbish nahm an, dass seine Züge die nötige Begeisterung vermissen liessen, denn der Konzernkrieger schlug einen ernsteren Ton an. »Jetzt wasch endlich diesen Schmollmund ab. Ist dir nicht bewusst, was diese Ehre für dich bedeutet? Du bist dem endlosen Traum zum Greifen nah.«

»Dem endlosen Traum.«

Er wiederholte die Worte ohne Freude. Sie hatten ihre einstige Macht eingebüsst. Terbish blickte an der Säule hoch. In den Deckenstreben fand sich kein Zeichen seiner Vorväter. Nun war das Zelt des grossen Tengri fern, ausgesperrt von den Metallhimmeln einer feindlichen Welt.

»Und wenn ich zu lange wach gewesen bin?«

Wolf lachte auf. »Sag du mir nichts über das Wachsein.« Seine Brauen rückten zusammen. »Du bist zu alt, um jetzt von deinem Pfad abzukommen, Terbish. Aus diesem Jungen einen Jäger zu machen wird wahrscheinlich deine letzte Herausforderung sein. Danach gehört die Ewigkeit dir.«

»Die Göttermörder haben auch noch ein Wörtchen mitzureden«, wandte Terbish ein. Ein Glutbrocken brach aus der Tabakrolle heraus.

»Dafür haben sie nicht genug Köpfe.«

Terbish setzte sich in Marsch. »Was ist unser erstes Ziel?« Das Rasseln der Kriegsorden holte ihn ein. »Aufzugschacht E-12. Wir haben eine Spur in den unteren Tunneln.«

Er hob die Faust zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Sein Umhang glitt über die schlafenden Maschinen. Als er bei der Glaswand ankam, faltete sich ein Abschnitt auseinander. Terbish blieb noch einmal stehen.

»Wie ist es in der Ewigkeit, Wolf?«

»Nicht so viel anders, als du denkst. Ich habe meine Blutjahre dem Töten von Männern gewidmet. Und wie du siehst, tue ich das immer noch.«

Terbish nickte und trat über die Schwelle. Das Berliner Cluster band ihn sofort in sein Aufwachritual ein. Häuserfronten fuhren ihre Fensterlider hoch, Blechwagen rollten durch die Strassen. Auf einer Wiese übte sich eine Gruppe in unbequem aussehenden Posen. Keuchende Frühaufsteher verausgabten sich auf ihren Zweiradmaschinen. Terbish kostete die Morgenluft. Sie roch anders als die Luft aus seinen Erinnerungen. Seit seinem letzten Besuch mussten sich die Filter weiterentwickelt haben.

Er hielt nach seiner Begleitung Ausschau. Sein Blick hatte die Reihen wartender Transporter schon abgelaufen, doch eine Bewegung liess ihn zu einer Parklücke zurückspringen. Eine Karosserie war zum Leben erwacht. Zwischen den Lamellen blitzte Haut auf.

Terbish näherte sich dem Parkfeld zögernd, die Sinne geschärft. Er spürte, dass er einer ähnlichen Musterung unterzogen wurde, auch wenn die Augen seines Gegenübers verborgen waren.

Mit seinem Eisenkleid sah der Hüne den Maschinen des Turmvolks zum Verwechseln ähnlich. Wahrscheinlich hatten ihn die Leute in den Strassen sogar für einen ihrer Bediensteten gehalten. Noch wahrscheinlicher war, dass sie es bei dieser Feststellung belassen und ihm keinen zweiten Blick geschenkt hatten.

Ein zweiter, aufmerksamerer Blick hätte sich an dem miserablen Zustand der Maschine gestört. Die Komponenten passten nicht zusammen. Glänzendes Chrom schob sich über Blechstreifen und Dreiecke aus Stahl, von manchen Platten blätterte verblichener Lack ab. Einige Symbole, die aus der Farbschlacht hervorstachen, erkannte Terbish als die Wappen hoch gerühmter Konzerne.

Drahtseile und Nieten verhinderten ein Auseinanderfallen der Zwangsvereinigung. Es war ein Harnisch, den keine Turmfabrik ersonnen haben konnte. Obwohl die Bauteile jenen Hallen entstammten.

Ein Panzerhandschuh wanderte nach oben, um das zerbeulte Helmvisier hochzuklappen. Das darunterliegende Gesicht hatte die Härte des Metalls aufgesogen und in seinen Tätowierungen konzentriert. Und doch war es nach wie vor aus Fleisch. Der Beweis, dass sich unter all dem Eisen tatsächlich ein Mensch befand.

Der Mann neigte das Haupt.

»Sei gegrüsst. Bist du der, den man Terbish nennt?«

»Der bin ich.«

Ein Donnern hallte über den Parkplatz, als sich der Krieger die Faust gegen die Brust schlug. »Die Wolkenhexer sandten mir eine Vision deiner Siege. Es ist mir eine Ehre, mit dir in die Schlacht zu ziehen.« Terbish unterdrückte ein Seufzen.

»Die Ehre ist mein. Wie ist dein Name, Krieger?«

»Baldeberk.«

Die hellen Augen musterten ihn erwartungsvoll. Mehrere Herzschläge verstrichen, ehe Terbish aufging, dass seine Initiative gefragt war. Er bemerkte die Ponys, die nahezu vollständig hinter dem Kreuz des Metallmannes verschwanden. »Unsere Ausrüstung?«, fragte er und deutete auf die Tiere.

Ein eifriges Nicken. »Waffen und Rationen für den Feldzug.« Seine Stimme formte die Laute des Omnidialekts, als ob sie damit aufgewachsen wäre. Und trotzdem hingen an den Worten noch die Reste einer gutturaleren Sprache. Terbish inspizierte den Inhalt der Satteltaschen.

Stirnlampen.

Energiezellen.

Zerlegte Flinten.

Bomben und Pfeile für den Spalter.

Wasserflaschen.

Nahrungsriegel mit polierten Oberarmen auf der Verpackung.

Rüstungsteile aus Hartglas oder dem blassen Wollmaterial der Mondstämme.

»Ich fürchte, wir werden das meiste davon zurücklassen müssen.« So verblüffend die Aussage war, der finstere Tonfall des Kriegers war es noch mehr.

»Weshalb?«

»Die Pferde sind so still. Und ich habe sie nie scheissen sehen. Ich glaube, sie werden krank.«

Terbish schielte zum Kopf des Ponys, das sein Wühlen regungslos hinnahm. »Sie sind nicht krank. Sie sind Drohnen.« »Drohnen?«, wiederholte Baldeberk und trat neben das zweite Pferd. »Aber sie sind aus Fleisch.«

»Sagt dir der Name Biodrohne etwas?«

Der Krieger verzog das Gesicht, wohl in Erinnerung an den langen Schlaf. Nach einer Weile brachte er ein Nicken zustande.

»Du bist mit zwei Biodrohnen gereist.« Terbishs Hand klopfte auf die Flanke des Ponys. Der Metallhüne beäugte seine Schulter mit neuem Argwohn.

»Und was ist mit deinem Falken?«

»Lektion Nummer eins: Alle Tiere, die du in diesen Türmen zu Gesicht bekommst, sind Maschinen.« Er klappte die Taschen zu. »Sogar einige Menschen sind es.«

Der Krieger war sichtlich erschüttert, schaffte jedoch ein weiteres Nicken. »Verstanden.« Er legte die Hand auf die Keule an seinem Gurt. »Wo treten wir unseren Feinden gegenüber?«

»Wie viel weisst du über unsere Feinde?«

»Dass man sie Terroristen nennt.«

»Und was ist ein Terrorist?«

Baldeberk richtete sein Helmvisier. »Ein Bandit, der aus dem Hinterhalt angreift?« Terbish überlegte, entschied dann aber, dass die Vorstellung des Kriegers vorerst ausreichen würde. Der Gedanke an die bevorstehenden Feuerwechsel hatte ihm einen anderen Mangel vergegenwärtigt. Seine Hand wanderte zur Tasche mit den Flintenteilen.

»Hast du eine Waffe?«

»Ich habe meinen Dreckstock.«

Terbish unterzog die Keule einer genaueren Musterung. Ihr Kopf war ein massiver Eisenbrocken, gegen Ende hin von einem Blechkragen eingefasst. Oberhalb des Kranzes lauerten Drahtspiralen in einer Vertiefung. Um den Schaft wickelten sich Kabelreste.

»Schiesst er?«

»Er tat es. Seit der Schlacht gegen die Harzer lädt er sich nicht mehr auf.«

Terbish lenkte seine Schritte zur Strasse. »Dann werden wir ihn reparieren müssen.« Baldeberk griff nach dem Zaumzeug eines Ponys.

»Nicht. Das ist nur Dekoration.«

»Dekoration?«

»Drohnen benötigen keine Führung.«

Die gepanzerten Finger senkten sich. Ein überraschtes Schnaufen liess Terbish wissen, dass sich die Ponys in Bewegung gesetzt hatten.

Baldeberk schloss zu ihm auf, blickte aber immer wieder über die Schulter. Seine Schritte verursachten beinahe so viel Lärm wie ein Shuttletriebwerk. Unauffälliges Vorgehen fiel damit ausser Betracht. Was hatte sich Wolf nur dabei gedacht, ihm derartige Unterstützung zur Seite zu stellen?

Seine Gedanken begannen auf die Frage einzuhämmern, sodass er den Turmmenschen an der Ausfahrt zu spät wahrnahm. Der Mann torkelte über den Bürgersteig, gefangen in seinen Netzträumen. Seine Augen hatten Baldeberk nicht gesehen. Und sie sahen ihn auch nicht, als sie seine Metallschulter rammten.

Terbish gelang es gerade noch, den Sturz des Clusterbewohners abzufangen. Der Mann rieb sich die Stirn. Aus seinen Augen sprach nicht Schmerz sondern Staunen. »Echt geiles Cosplay, Jungs!« Er starrte an Baldeberks Rüstung empor. »Wo steigt die Party?«

»Ich fürchte, es ist ein geschlossener Anlass«, erwiderte Terbish und gab sich Mühe, seine Sprechweise an die des Fremden anzupassen. »Nur Gäste mit Einladung.« Der Turmbewohner stöhnte. »Mann, immer diese VIP-Offer. Zum Kotzen.« Die Abwesenheit kehrte in seine Augen zurück, während er sich aufrappelte. Als er weiterschlurfte, war der Zwischenfall bereits vergessen.

Baldeberk blickte ihm nach, eine tiefe Furche in seiner Gesichtsbemalung.

»Was ist Cosplay?«

»Wenn man sich so kleidet wie wir, ohne wie wir zu sein.«

Dass er die Antwort auf diese Frage kannte, machte ihm plötzlich klar, welch erstaunliche Route sein Leben genommen hatte. Er war als fellbehangener Narr in diese Welt eingetreten, mit derselben Mischung aus Faszination und Unverständnis, die sich im Gesicht seines Partners abzeichnete. Doch aus den Wundern war Normalität geworden und aus seiner alten Heimat die Fremde. Er würde als Turmmensch sterben.

Baldeberk nahm den Helm ab. Ein rote Mähne quoll unter dem Metall hervor, an der Schläfe zu einem Zopf gebunden.

»Es ist so anders.«

»Was ist anders?«

Sein Begleiter kratzte sich im Nacken. »Das Reich der Wolkenmenschen. Ich habe es mir nicht so vorgestellt.«

»Du wirst dich daran gewöhnen«, antwortete Terbish und signalisierte dem Falken vorauszufliegen. Allein mit den Gebäuden als Orientierungshilfe hätte er sich hoffnungslos verlaufen. Seine Augen waren blind für die Wegweiser der Geisterwelt.

Er folgte der Drohne in eine Strassenmündung. Einer der Vierradtransporter rollte an ihnen vorbei und löste die nächste Frage aus.

»Warum nutzen wir nicht einen dieser Streitwagen?«

Der Panzerhandschuh zeigte auf die Ponys, deren Trott so wenig Leben besass wie jener des Transporters. »Diese Tiere halten uns zurück. Mit dem Streitwagen sind wir schneller und durch sein Eisen geschützt.«

»Schnelligkeit hat ihren Preis.«

Der Recke klemmte sich den Helm unter den Arm. »Was für einen Preis?« Terbish liess sich zu den Pferden zurückfallen. »Sag mir, wie würdest du dich aus dem Bauch eines solchen Eisentransporters befreien? Mitten in einer Hochgeschwindigkeitsröhre, die Türen verriegelt und keine Hebel, um auf die Maschine Einfluss zu nehmen?«

Baldeberk knetete seinen Streitkolben. Ausser Treue hatte ihm das Metall nichts zu geben. Schon gar nicht Antworten auf die Rätsel dieser neuen Lande. »Warum sollte ich das tun müssen?« Terbish wich einem Tross gehetzter Reiseteppiche aus und zog am Arm seines Partners, damit er es ihm gleichtat.

»Weil diese Welt voller Geister ist. Und nicht alle sind uns wohlgesonnen.«

Der Krieger reagierte eine Spur zu träge und erntete dafür einen genervten Blick von der vordersten Frau. Er war zu sehr auf das Gespräch fokussiert, um davon Notiz zu nehmen.

»Dann werden wir immer marschieren?«

Terbish fuhr mit der Hand über einen Pferderücken. »Es wird Situationen geben, in denen wir uns den Maschinen anvertrauen müssen. Situationen, in denen es auf schnelles Handeln ankommt.« Baldeberk verstummte. In seinen Zügen arbeitete es. Die Auszeit währte nur bis zur ersten Kreuzung.

»Wohin gehen wir?«

Terbish spürte, dass die Unterhaltung an seinen Nerven zehrte. Er hatte schon oft Gruppeneinsätze angeführt. Aber das hier war nicht wie die Befehlsausgaben vor dem Gefecht. Das hier war anders. Enger. Persönlicher.

»Wir jagen eine Gruppe, die ein Totem von einem Stamm namens CortexSync gestohlen hat. Ein sehr gefährliches Totem. Wir müssen es finden, bevor es ihnen gelingt, seine Geheimnisse zu entschlüsseln.«

Das Eisen schepperte lauter. »Ich dachte, in den Wolkentürmen gäbe es keine Stämme.« Die Bemerkung überraschte Terbish. Baldeberk verdaute die Informationen schneller, als er ihm zugetraut hätte.

»Auch das Turmvolk hat seine Stämme, man nennt sie bloss anders. Konzerne. Fans. Communities.«

Er warf seinem Partner einen Seitenblick zu. Allein dem Krieger diese Rolle zuzugestehen, fühlte sich falsch an. Sein Partner. Er jagte nicht mit einem Partner.

Terbish riss sich zusammen. »Wie es scheint, hast du den langen Schlaf gut überstanden.« Erneut besetzte ein leidender Ausdruck das Gesicht des Mannes. »Die Träume waren ungestüm. Ohne Erbarmen. Doch der Stahl hat mich geschützt.«

»Es waren deine letzten«, sagte Terbish und dachte an die Worte des Jagdmeisters. »Für sehr lange Zeit.«

Baldeberk lachte. »Das Essen der Turmmenschen liegt besser im Magen als ihr Wissen.« Terbishs Alter war kein Schild gegen die Heiterkeit. Er hatte einen Einfall. »Wir führen reichlich Schutzausrüstung mit uns. Warum tauschst du deine Panzerung nicht gegen sie?«

»Diese Harnische sind nicht aus Eisen. Eisen ist Stärke.«

Ein irritierter Unterton schwang in der Antwort mit, als ob die Begründung auf der Hand gelegen hätte.

»Das spielt keine Rolle. Das Material wird dich so gut schützen wie Eisen und dazu ist es noch leichter.«

»Aber es ist nicht aus Eisen. Eisen ist Stärke.«

Terbish verzichtete auf weiteres Nachhaken. Die Stimme von Baldeberks altem Stamm war laut genug gewesen.

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Der Redeschwall des Avatars riss nicht ab.

»Mit ihrem revolutionären Bürstendesign erreicht die Proper-734 selbst die unzugänglichsten Winkel. Bei diesem Modell wird es Ihnen folglich nicht passieren, dass Sie nach dem Karriereaus noch im Haushalt Hand anlegen müssen.«

Er zupfte demonstrativ an den Borsten des Drohnenarms. »Ausserdem verfügt die Proper-734 über ein diversifiziertes Repertoire an Werkzeugen. Standardreparaturen im Wohnmodul werden erledigt sein, bevor Sie daran denken.«

Sein Lächeln strahlte heller als die Scheinwerfer im Hintergrund. »Geben Sie Ihre Bestellung noch heute auf, um vom Prototyp-Rabatt zu profitieren.« Er beugte sich über den Tisch, die Hand verschwörerisch vor den Mund gelegt. »Kleiner Geheimtipp: Wenn Sie den Newsletter abonnieren, bekommen Sie …«

Ein Rütteln liess die Illusion zerbersten. Jimmy schlug die Lider auf.

Thomas nahm die Hand von seiner Schulter.

»Schlecht geträumt?«

Jimmy setzte sich auf. »Das übliche Programm.« Er blickte an der Muskelsteilwand hoch.

»Was gibts?«

»Im Hotdog Dungeon wird jemand für die Rolle des Maskottchens gesucht.«

Jimmy rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Warum soll mich das interessieren?« Der Tonfall von Monikas Flogger wurde vorsichtiger. »Du gehst nicht mehr oft vor die Tür seit …«

Ein Atemzug dehnte die Tonnenbrust aus.

»… seit Ende der Prüfungssession.«

»Und? Darf ein Mann nicht seine Streams schauen? Muss ich jetzt auch über meinen IR-Konsum Rechenschaft ablegen?«

Seine bissigen Worte vermochten keine Delle in das Welpengesicht zu schlagen. Ein Umstand, der Jimmy nur noch mehr reizte. »Oder reicht Monikas Superjob etwa nicht aus, um eine neue Matte zu kaufen?«

»Es würde dich vielleicht auf andere Gedanken bringen.«

Jimmy schnaubte. »Mich vor hungrigen Mündern zum Affen machen? Ich glaube nicht, dass mich das auf andere Gedanken bringt.« Er schaute zur Tür. »Ist Monika hier?« Sein WC hätte ihn zackiger mit dem Standort seiner Mitbewohnerin versorgt, aber er wollte ihrer Domain keinen Datenverkehr zuströmen lassen.

Thomas nickte. »Sie hat Stress wegen der TransCon.« Jimmy liess sich ins Schaumpolster zurücksinken und wartete darauf, dass sich der Brustkorb vor der Nische verzog. Doch er blieb. War die Unterhaltung bis dahin eine Geduldsprobe gewesen, schrie sie nun förmlich nach dem Gnadenstoss.

»Sonst noch was?«

Zum ersten Mal zeichnete sich ein Konflikt in der Miene des Proteinpfostens ab. »Erinnerst du dich an das, was ich gestern gesagt habe? Dass wir uns mal zusammensetzen müssen?«

»Flüchtig.«

»Es kann nicht schaden, wenn du dir Gedanken zur Thematik machst.«

Jimmy stemmte sich aus dem Schaum. »Von was für einer Thematik reden wir?« Thomas vergrub die Hände in den Taschen. »Unsere Wohnsituation ist nicht mehr so ideal wie am Anfang. Als du dazugekommen bist, waren wir noch Studenten. Aber inzwischen hat sich einiges verändert. Monika und ich arbeiten. Und du …« Sein Verstand scheiterte daran, eine positive Beschreibung für Jimmys Situation zu finden.

»Macht schnell, wenn ihr mir in den Arsch treten wollt«, sagte Jimmy. »Jetzt ist er noch taub vom Schuh der Allianz.«

»Du musst doch zugeben, dass es nicht mehr passt.«

Der Brustkorb lehnte mittlerweile am Nischenrand.

»Monika und ich sind dabei, uns ein eigenes Leben aufzubauen. Und auch du bist es leid, deine Aktivitäten auf uns abstimmen zu müssen.«

Jimmy wollte widersprechen. Seine Stimme hatte sich allerdings auf die Seite von Monikas Flogger geschlagen. Es passte wirklich nicht mehr. »Gib mir ein paar Tage, ja?«, sagte er, nun ohne jede Angriffslust. »Ich weiss nicht, wohin es jetzt gehen soll.«

»Natürlich.«

Thomas hob seine Sporttasche auf, mit deutlich mehr Entschlossenheit, als er in seine Argumentation gelegt hatte. Und endlich wich der Schatten seines Oberkörpers. Die Tür machte hinter ihm dicht. Jimmy ahnte, dass sie beide froh über das Gesprächsende waren.

Sein WC las ihm den Wunsch von den Gedanken ab und entrollte die Feeds an der Decke.

Money Cheng hatte einen Memoclip hochgeladen, der im Tumult einer ausgelassenen Poolparty entstanden war. Vor lauter Lichteffekten und Frauenhintern war die Dachterrasse der Villa kaum mehr zu sehen. Sofern die Bezeichnung Villa einem achtstöckigen Protzpalast in Shenzhens Hauptturm überhaupt gerecht wurde.

Er verspürte mehr als bloss einen Anflug von Neid, als der Chinese dem Harem mit seiner Champagnerartillerie zu Leibe rückte. Bestimmt eine Horde amerikanischer Follower, die scharf auf ein Stück von Chengs Ruhm war. Für einige der vollbusigen Gäste würde sich das Managen der Charakterdomain im Laufe der Woche zweifellos zum Vollzeitjob entwickeln.

Und notfalls liesse sich die fehlende Begeisterung des Omninets auch kaufen. Die bevorzugte Methode der Konzernhaie. Ein Zeugnis dieser Methode war Alexandra Koshkin, die sich im Bildausschnitt neben Chengs Fete auf dem Kühler des RW-M735 räkelte. Ihr Luxuskörper war von Kopf bis Fuss in Markenkleider eingepackt, wofür die Sponsoren gewiss fett geblecht hatten. Welch astronomische Summe Reichswagen für die Festlegung der Kulisse hatte hinblättern müssen, wollte Jimmy gar nicht wissen.

Er sträubte sich gegen das Drängen seiner Blase. Der Weg zum Klo würde unweigerlich an Monikas Arbeitszimmer vorbeiführen. Und Jimmy hatte wenig Lust, das Risiko einer Konfrontation hochzuschrauben.

Nach weiteren zehn Minuten stand der Sieg von Mutter Natur fest. Tofukrümmel rieselten zu Boden, als er aus der Nische rutschte. Auf dem Weg zum Eingang passierte er den Domovoi-8000 Haushaltsgehilfen, der in seiner Wandhalterung vor sich hin döste. »Du hast keine Probleme, was?«, flüsterte Jimmy.

Die Smarttür war smart genug, um seine Absicht zu erraten. Sie öffnete sich nur einen Spalt. Jimmy liess den Flur auf sich wirken. Ein gereiztes Echo. Aber keine Monika.

Die Tür glitt vollständig auf. Jimmy schlich vorwärts. Ein bläulicher Streifen auf den Platten warnte ihn, dass die Tür zu Monikas Büro nur angelehnt war. Er trat hastig über die Linie.

Im Türspalt war der Rücken der Journaloggerin zu erkennen. Sie sass im Schneidersitz auf der Entspannungsmatte, eingesponnen in eine Welt der Schlagzeilen und Deadlines.

Nach sieben weiteren Schritten konnte er die Badezimmertür hinter sich schliessen. Jimmy wollte die Angelegenheit zunächst im Stand erledigen, erinnerte sich dann aber an Monikas Ausraster und sass ab. Sein Hintern und der Ring der Vakuumtoilette begegneten einander mit kühler Distanz.

Zum Geräusch fliessenden Wassers gesellte sich plötzlich Lexanes Stimme.

»Dringender Anruf für dich, Süsser.«

Seine Assistentin lehnte am Radiator. Einer der unteren Hemdknöpfe hatte sich durch vorprogrammierten Zufall gelöst. Ihr Bauchnabel zwinkerte ihm zu. »Wieder Aceria.«

Jimmy biss sich auf die Lippe. »Stell ihn durch.« Lexane spielte mit einem Handtuchzipfel.

»Sicher?«

»Wir wollen den Preis mal nicht unnötig hochtreiben.«

Das Mädchen liess den Zipfel los. »Lass mich wissen, wenn du etwas brauchst.« Der Bauchnabel verschwand unter den steifen Linien eines Anzugs. Jimmys Blick folgte ihnen zu einem Gesicht, das dürftiger Ersatz für den Liebreiz seiner Assistentin war.

»Was wollt ihr?«

Der Neuankömmling verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Dass er vom Omninet in einem Badezimmer abgeladen worden war, ein Waschbecken im Rücken und einen Mann mit heruntergelassener Hose vor sich, schien ihn nicht im Geringsten zu überraschen.

»Herr King, wir nehmen das vorzeitige Ende Ihrer Ausbildung mit Bedauern zur Kenntnis.«

Ein Zischen übertönte seine Einleitung, als sich der Saugabfluss aktivierte. »Und ich nehme euer Bedauern zur Kenntnis«, erwiderte Jimmy über das Rumoren hinweg. »Können wir dieses Gespräch nicht auf später verschieben? Ich bin beschäftigt.«

Der Mann verblasste nicht. »Verzeihen Sie mir mein forsches Auftreten, aber es ist essentiell, dass Sie über die neuen Konditionen aufgeklärt werden. Ihr Vertragsmodell hat eine Modifikation erfahren.«

»Eine Modifikation?«

»Korrekt«, sagte der Avatar und begann, auf dem Teppich auf und ab zu gehen. Er erfüllte sämtliche Eckpunkte, die dem Mittelmanagement einer Konzerngruppe eigen waren. Der spröde Teint einer Datentabelle. Ein Haarschnitt, der sogar für das Joint-Venture-Korps zu schroff gewesen wäre. Und die stramme Haltung, die nur erhielt, wer den Anzug direkt mit dem Kleiderbügel anzog.

»Durch das Ende Ihrer akademischen Laufbahn wurden Sie automatisch in ein Abschreibungsmodell der Klasse D überführt.«

Jimmy hob die Hände. »Immer mal langsam. Von so einem Modell höre ich zum ersten Mal.« Der Mann unterbrach seinen Gang. »Es wurde in den AGBs auf Seite 734 erwähnt.« Der Textabschnitt flimmerte vor dem Duschvorhang.

»Für Sie bedeutet das konkret, dass Ihr Monatsbudget mit sofortiger Wirkung eingefroren ist. Gleichzeitig sind Sie nicht mehr verpflichtet, zehn Jahre bei Aceria zu arbeiten. Klasse D sieht eine andere Form der Rückzahlung vor.«

Jimmy lehnte sich vor. »Mehr als das, was du siehst, gibt es bei mir nicht zu holen.« Der Mann nickte. »Das wird uns reichen.«

»Wie ist das zu verstehen?«

»Sie stellen uns für die nächsten zehn Jahre vierzig Prozent Ihres Denkvolumens zur Verfügung.«

»Wofür?«

Das Linienmuster verschob sich, als der Mann mit den Schultern zuckte. »Statistische Berechnungen, Datenspeicherung, Simulationen. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich keine Pauschalaussage tätigen.« Ein Lächeln bewässerte das Tabellengesicht. »Im Grunde muss es Sie nicht interessieren. Sie können Ihr Leben weiterführen wie bisher und wir erhalten den Wert unserer Investition zurück.«

Jimmy zog seine Hose hoch und stand auf. »Wenn ihr den Geldhahn zudreht, wird es kaum so sein wie bisher. Wollt ihr mich auf einen Basismenschen zurückstufen?« Sein Gegenüber hüstelte. »Mit Verlaub, Sie sind bereits zurückgestuft.« Ihm schien noch etwas einzufallen. »Den World Companion von Catalyst werden wir selbstverständlich zurücknehmen müssen. Die OP ist durch unsere Reserven gedeckt.«

Sein Ton wurde nachdenklich. »Haben Sie eine Präferenz, was das Substitut betrifft? Omnikaze macht gute Standardmodelle, wie ich gehört habe …«

Jimmy zog seinen Gurt mit einem harten Ruck fest. »Und wenn ich mich weigere? Vielleicht brauche ich diese vierzig Prozent Denkleistung für mich selbst.« Der Anzugträger seufzte. »Mit einer solchen Haltung würden Sie uns zwingen, eine Klage wegen Vertragsbruchs beim Schlossherren einzureichen.«

Die Erklärung besass nicht viel mehr Leidenschaft als ein Geschäftsbericht. Trotzdem klang sie in Jimmys Ohren wie eine Drohung. »Wo finde ich euer Review-Portal? Ich habe Dampf, der abgelassen werden muss.«

»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich von Emotionen leiten zu lassen, Herr King. Sie kannten die Risiken bei Vertragsabschluss. Es hätte andere Mittel zur Studiumsfinanzierung gegeben.«

In der bürokratischen Gelassenheit versteckte sich die Kälte des Schurken, der eine Wertanlage an den Eiern gepackt hielt.

»Gebt mir bis Ende Monat.«

Jimmy stützte sich aufs Waschbecken. »Bis dann wird mein Lifescore gross genug sein, um die Schuld zurückzuzahlen. Nennt mir einfach den Preis.« Das Spiegelbild des Avatars musterte ihn skeptisch. »Bei allem Respekt, das wage ich zu bezweifeln.«

»Nennt mir den Preis«, wiederholte Jimmy. Der Mann zögerte. »Die Gesamtinvestition betrug 431000 Statuspunkte. Mit dem erwarteten Gewinn im Erstquartal wären das 443930.« Die Zahl liess Jimmys Knie weich werden, doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

»Bis Ende Monat habt ihr den Betrag.«

Er drehte sich um. »Jetzt mach dich vom Acker. Ich muss einen Businessplan erstellen.« Für eine Weile sah es so aus, als ob ihm der Anzugträger widersprechen würde. Dann war das skeptische Gesicht fort.

Jimmy wusch seine Hände. »Lexane«, sagte er an den Spiegel gewandt. Als das Mädchen hinter ihm auftauchte, beruhigte sich sein Puls.

»Tut mir so leid für dich, Jimmy. In der Geschäftswelt gibt es einfach keinen Anstand mehr.«

Er lachte, obwohl ihm nach Schreien zumute war. »Anstand erzielt keinen Gewinn. Such für mich Akkordurteile heraus, in denen sich ein Konzern mit einer Klausel Hirne unter den Nagel reissen wollte.«

»Wird gemacht.«

Lexane kramte einmal mehr ihren Notizblock hervor. »Ich habe hier sieben Fälle, die auf deine Situation passen. Zwei davon im Cluster.«

»In wie vielen erhielt der Konzern recht?«

»In allen.«

Jimmy konnte seine Faust gerade noch abbremsen, ehe sie auf den Spiegel prallte. Lexane trat neben ihn.

»Vielleicht wäre es besser, auf ihre Forderungen einzugehen.«

Er schwieg. Vielleicht wäre es tatsächlich besser. Letztendlich würde Aceria nur einen Teil seines Hirns für sich reservieren. Die übrigen sechzig Prozent könnte er mit Wars of Cardamur und Pornos zudröhnen, bis er sich an jedes Wohnregal gewöhnt hätte. Und was waren zehn Jahre vor dem Hintergrund ewiger Digitalspeicherung? Er hätte einen schlimmeren Deal erwischen können. Einen, der ihn über mehrere Leben gebunden hätte.

Doch während er mit dem Gedanken an Akzeptanz spielte, marterten ihn neue Krallen. Die Krallen der Bestie, die dem Fegefeuer seiner Scham entstiegen war. In wildem Jähzorn.

Das war nicht das, was er verdiente. Er hatte nicht seine Blutjugend geopfert, um als Bioware in den Turmkellern zu verschwinden.

»Haben wir schon eine Nachricht vom Lieferanten?«

Die blonden Strähnen glitten durch seinen Oberarm.

»Nein.«

Der Wandföhn heulte auf, als er seine Finger in den Schlund hielt.

»Ruf ihn an.«

Zeit aus dem Bluff Realität zu machen. Er hatte keine Ahnung, wie er diese Unsumme auftreiben sollte. Aber er wusste, wo er anfangen würde.

Das Stirnrunzeln seiner Assistentin liess seinen Puls zurück in die Höhe schiessen.

»Was ist los?«

»Ich glaube, wir werden blockiert.«

Jimmy zog seine Hände zurück. Das Geheul verstummte.

»Wissen wir, wo er sich aufhält?«

Lexane verstaute das Büchlein. »Sein Körper liegt im Bett eines Londoner Hotels. Sein Avatar feiert in Schloss Miami.« Jimmy hörte wieder das freudige Kreischen der Champagnerbrüste.

»Starte eine IR-Session. Voller Phantommodus.«

Auf dunklen Pfaden

Es war das 30. Jahrhundert. Die moderne Traumzeit. Eine neue Ära in der Menschheitsgeschichte, frei von den Entbehrungen und Ungerechtigkeiten der manuellen Zivilisation.

Auch im 30. Jahrhundert stürmte es jedoch hin und wieder. Selten entluden sich die Gewitter aus Wut und Geltungssucht dabei ausserhalb des Omninets. Wenn sie es taten, hinterliessen sie einen Friedhof aus beschädigter Infrastruktur und offenen Fragen. So auch bei CortexSync.

Die Spurensicherungsautomaten flitzten an seinem Avatar vorbei. Mechanische Schrubber kehrten Splitter zusammen, entfernten Blutspuren von den Bodenplatten. Immer wieder entrissen Kamerablitze die Umgebung dem Zwielicht. Geschäftiges Summen und Klicken hallte von der Decke wider. Echos eines Austauschs, der Maschinen vorbehalten war.

Vier IR-Umrisse auf den Platten markierten die Stellen, wo Menschen unter die Räder der Terroristen gekommen waren.

Ankaa blickte zum Eingang. Rote Warnicons schwebten vor dem Loch in der Glasfassade. Die Lebenden waren aus dem Gebäude verbannt worden.

Einer der Automaten kam vor ihm zum Stillstand, die Linsen justierten sich misstrauisch. Als ob sie wussten, dass die Polizeiuniform an seinem Körper eigentlich jemand anderem gehörte.

»Maimun, wie ist die Lage im lokalen Netz?«

Die Schwefelwolke trieb hinter einer Säule hervor. »Derzeit geringe Aktivität. Ein paar offene Verbindungen zu den Polizeiservern.« Der Affe zog die Schultern hoch. »Ich habe aber Datenspuren eines Himmlischen gefunden. Die Erstellung liegt weniger als eine Stunde zurück.«

In Ankaas Denkverkehr setzte neue Hektik ein. Es wäre mehr als ungünstig, während den Nachforschungen von einem Akkordträger ertappt zu werden.

»Beobachte die Lage.«

Ein dreidimensionales Modell des Hauptsitzes schraubte sich aus dem Boden. Ankaas Zeigefinger ignorierte sowohl die Konferenz- als auch die Meditationsräume. Stattdessen landete die Kuppe direkt im schimmernden Würfel des Archivs.

Die Empfangshalle wurde ruckartig weggezogen. Der Ozean aus Farbschlieren gefror wiederum zu einem unterirdischen Raum. Diesmal waren nicht nur Automaten Zeugen seiner Ankunft. Zwei Phantome unterhielten sich leise in einer Ecke. Das linke bemerkte seine Rangabzeichen und fasste sich an die Mütze.

»Major.«

Er nickte den Polizeibeamten zu und nahm seinen Rundgang in Angriff. Major Goldstiel war nur eine der Identitäten, mit denen ihn die Vorboten im Lauf der Jahre ausgestattet hatten. Der echte Träger dieses Namens hatte in der Korps-Datenbank den Staub von Generationen angesetzt, ohne Aussicht auf eine Fleischinkarnation. Im September 2646 hatte ihn ein korrumpiertes Wartungsprogramm überschrieben. Ein Detail, das Maglobs Informationshort nie verlassen hatte.

Theoretisch hätte Ankaa auf das Rollenspiel verzichten können. Sich als echter Geist durch das Omninet zu bewegen, war aber oft die gefährlichere Route. Geister zogen die Aufmerksamkeit anderer Geister auf sich.

Er schnappte einen Gesprächsfetzen auf, als die Beamten erneut die Köpfe zusammensteckten.

»… angeblich hat der Besonnene eine Jagd eröffnet. Die Kopfsammler wurden von der Leine gelassen.«

»Überrascht mich nicht. Die Göttermörder sind schon lange Kandidaten für die Schlachtbank. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.«

Ankaas Körper glitt mühelos durch einen Stahltisch. Doch sein Blick haftete an den Apparaturen, die den Raum bevölkerten. Wer auch immer für die Verwaltung des Archivs zuständig war, es musste sich um ein sentimentales Bewusstsein handeln.

Der Raum hätte ein Technologiemuseum sein können. An den Wänden hingen primitive Bildgeräte, Kopfhörer und Tastaturen waren in Vitrinen aufgebahrt. Sammlerstücke für Technophobe, die am Grab der einfachen Realität ausharrten.

Das exotischste Produkt fand er in einem hermetisch versiegelten Glaskasten. IR-Augen. Eine Spinnendrohne pendelte über den Prothesen. Ihr Sehinput flirrte über die Wand. Durch die Vergrösserung waren die Schaltadern im Augapfel zu erkennen.

Ankaa studierte den Verlauf der Linien. Selbst jetzt strahlte das Design noch Hingabe und Eleganz aus. Allem Engagement zum Trotz besass es keinen Marktwert. Es hatte ihn nie besessen.

Die Netzhautrevolution war bis heute das Schreckensgespenst jedes Ingenieurteams. Aus der Perspektive des damaligen Technologiestands hatten die Augen einen dramatischen Sprung nach vorne verkörpert. Expertenkomitees hatten einen Wirtschaftsboom prophezeit.

Und er war gekommen. Allerdings nicht mit den IR-Augen als Galionsfigur. Wenige Monate nachdem die Industrieschwergewichte mit der Erkundung des Absatzpotentials begonnen hatten, war in den Kellern von Enapse-Technologies der finale Testlauf eines Mikroneuristors über die Bühne gegangen.

Der erwartete Augentrend war damit in der Kinderwiege gemeuchelt worden. Statt als Pioniere auf der Erfolgswelle zu reiten, hatten die betroffenen Hersteller Notmassnahmen einleiten müssen, um nicht zusammen mit ihren Produkten in der Versenkung zu verschwinden.

»Eine Auferstehung wird es nicht mehr geben«, murmelte Ankaa an den Glaskasten gerichtet, bevor er sich abwandte. Eine Vitrine im Zentrum erregte seine Aufmerksamkeit. Warnicons rahmten die zertrümmerte Frontscheibe ein.

Deutlicher hätte das Leuchtsignal kaum sein können. Dort hatte es geruht. Das Objekt der Begierde. Der Datenträger, dessentwegen sich nun Himmel und Hölle in Aufruhr befanden.

Er näherte sich dem Kasten. Im Innern hatten sich drei Chromstützen ineinander verschlungen. Die Schale auf dem Abschlussknoten war leer. Ankaa liess seine Finger über die Halterung schweben und versuchte, sich den Konzernbetrieb vorzustellen. Tagein, tagaus waren auf den oberen Etagen die grössten Intelligenzen von CortexSync zu Strategiesitzungen zusammengekommen. Fixiert auf die Eroberung des Marktes, während unter ihren Geldhintern das Herz der Unterwelt geschlagen hatte.

»Sieht nicht nach viel aus, was Boss?«

Maimuns Pfoten landeten auf der Vitrine. Das Feuerloch in seinem Rücken schloss sich mit einem Schmatzen. »Nicht gerade der Gral, für den ich mein Fell riskieren würde.«

»Du solltest es besser wissen, statt in unserer Sparte auf Äusserlichkeiten zu vertrauen«, antwortete Ankaa. Er umrundete den Kasten. Die Scherben nagten an den Ordonnanzstiefeln, ohne das Leder beschädigen zu können.

»Hast du das Paket im Datenlager schon gesichtet?«

Der Affe kratzte sich hinter dem Ohr. »In Arbeit. Ist ne ziemliche Ladung, die uns deine Freunde da übergeben haben.«

»Besser zu viel Information als zu wenig.«

Ankaas Finger durchstiessen die Glaswand. »Sagen die Daten Genaueres zu Projekt Chrono? Den Fähigkeiten des primären Untersuchungssubjekts?« Sein Assistent setzte sich an die Kante.

»Nicht die Daten deiner Freunde. Ihre Untersuchungen sind nie über das Anfangsstadium hinausgekommen.« Sein Schwanz wischte über das Glas. »Die Pestbringer liefern uns da schon mehr.«

Neue Farbschlieren sickerten aus den Zacken der Bruchränder, wie um das Loch in der Vitrine zu füllen. Sie einigten sich auf die Form von Rinde. Dicke Wurzeln gruben sich ins Glas.

»Was hast du aus dem Schnappschuss lesen können?«

Die Frage schien dem Jungen zu gelten, der am Baum lehnte.

»Dass ihr mir noch immer eine Welt vorenthaltet.«

Eine einprägsame Stimme. Hell genug für die eines Kindes. Und doch zu dunkel.

»Ist das alles?«

Das Bild neigte sich, am Rand tauchten die Ärmel von Laborkitteln auf. Um den Baum sammelte sich eine Pilgerschaft in Weiss.

»Nein.«

Der Kinderrücken straffte sich. »Aber was ich zu sagen habe, wird an skeptische Ohren wie eure verschwendet sein.« Ankaas Blick entfernte sich von den Wurzeln. Sein Streunen endete an einem Abgrund. Der Baum hatte sich in eine Insel verklammert, die durch kosmische Stürme trieb. Äste rührten in brennenden Galaxien und gefrorener Dunkelheit.

Die rechte Hand des Jungen wagte sich hinter seinem Oberkörper hervor. Ihre Finger bargen verglaste Stäbe. Bloss, dass es keine Stäbe waren. Sondern die Türme des Clusters.

»Ein falscher König wird über eure Stadt kommen. Sein Siegeszug wird mich befreien.«

Planetenstaub hüllte die Insel ein. Der Schopf drehte sich.

»Ihr habt euer Wissen. Was ist mit meinem Rohmaterial?«

Substanzlose Finger hoben sich zu einer Gruppe Avatare, deren Kleider den weissen Einheitslook fortsetzten. Doch ihre Mienen waren von einer Dunkelheit gefroren, die kälter war als die des Kosmos. Furcht.

»Frische Persönlichkeiten. Aus einem diversen Bastionspool und mit authentischem Biodasein.«

»Ihr dürft das nicht«, sagte jemand aus der Gruppe. »Es verstösst gegen die Digitalwürde.«

Die Finger zogen eine Linie durch den Staub. »Ihr hattet ausreichend Gelegenheit, die Verträge zu prüfen. Sechsundzwanzig Jahre Testsimulation oder Schuldtilgung durch Zerlegung.«

»Aber das ist Sklaverei! Der …«

Sonnenwinde rissen die Frauenstimme fort. An den Bildrändern verschränkten sich Laborkittel.

»Der Neunfache hat euch genug Jahre geschenkt, um den Umgang mit Finanzen zu lernen.«

Der Pilger reizte das Volumen seiner Stimme aus. Ob er damit auch andere Ohren als seine eigenen erreichte, liess sich im Chaos nicht erkennen.

»Auch die Ewigkeit will bezahlt sein.«

Ein schwarzes Loch schluckte die Insel, als der Junge unter dem Baum hervortrat. Ein milchiges Auge blitzte auf.

»Datum der Interaktion?«, fragte Ankaa, nachdem sich das stürmische Universum aufgelöst hatte. »Liegt gut zehn Jahre zurück«, erwiderte Maimun. »Soll ich eine aktuellere Aufzeichnung laden?«

»Später vielleicht.«

Ankaa hinderte seine Routinen daran, zu viel Rechenkapazität auf das Gesehene zu verschwenden. Sie wäre andernorts besser investiert. Er schaute nach hinten. Die Polizeiphantome waren verschwunden. Sein Blick eilte weiter, bis er auf das schwarze Rechteck in der Mauer traf. Der Lasercutter hatte sich durch den Stahl der Archivtür nicht stoppen lassen.

»Sagtest du nicht, jemand hätte die Systeme übernommen?«

»Positiv, Boss.«

»Warum war es dann notwendig, mit einer Werkdrohne anzurücken?«

Der Affe pochte mit den Fersen aufs Glas. »Ist ein abgeschottetes System hier. Keine Verbindungen zum Rest des Gebäudes. Hat sogar einen eigenen Generator.« Ankaa starrte weiterhin auf das Rechteck. Tischhälften und zerbrochene Schränke markierten die Ruhestätte des herausgeschnittenen Türabschnitts.

»Das ist kein Hindernis. Wer das Gebäude beherrscht, beherrscht auch dessen Bewohner. Jemand wird an diesem Ort ein- und ausgegangen sein. Ob Mensch oder Maschine spielt keine Rolle.«

Maimun stand wieder auf. »Klingt logisch, Boss, aber was willst du damit sagen?«

»Dass eine Schattengilde nicht eine halbe Tonne Metall weggelasert hätte, um sich Zutritt zu verschaffen.«

»Und wie bringen Schattengilden dann ihre Terroristen in solche Projektbunker?«

Die Frage verleitete Ankaa zu einem Kopfschütteln. Das war das nächste Rätsel. Terroristen? Seit wann bediente sich die Unterwelt derart primitiver Werkzeuge? Welcher Caitan würde so tief sinken?

Sein Blick kehrte zurück zum gesprungenen Glas. »Wer sind diese …« Seine Denkprozesse mussten eine Extrarunde einlegen, um den Namen in seinem Gedächtnis zu finden.

»… Göttermörder?«

»Atheisten auf einem heiligen Kreuzzug.«

Gelblicher Dunst kroch über die Vitrine und an den Beinen des Affen empor. »Ihr vermutungsweise ehemaliger Anführer war ein Kerl namens Matt Über.« Erneut kittete ein Bild das Loch im Glas zu. Diesmal war es die Nahaufnahme eines Mannes, der ein Wohnmodul verliess. Die braunen Locken glätteten die Schärfe in seinen Zügen nur bedingt.

»Definiere vermutungsweise ehemalig

Der Dunst hob Maimun vollends in die Luft. »Vor drei Jahren fand man seine Leiche in einem Warenhaus.«

»Dämonenjäger?«

»Wahrscheinlich.«

Der Affe richtete sich auf seiner Wolke ein. »Inzwischen sind die Göttermörder wieder aktiv. Entweder ist jemand nachgerückt oder Herr Über hatte Rabattgutscheine für den Tod.«

»Rabattgutscheine dieser Natur werden nur in der Unterwelt ausgehändigt.«

»Der Mystery Man, der das Sicherheitssystem von CortexSync lahmgelegt hat, wird ein paar übrig gehabt haben.«

Ankaa musterte das Gesicht des Sterblichen. »Wenn, dann belegt dieser Matt Über sicher nicht den obersten Platz auf der Liste.« Er sah zu seinem Assistenten. »Was genau ist das Ziel dieser Gruppierung?«

»Das willst du nicht hören, Boss.«

»Davon gehe ich aus, aber ich muss es trotzdem wissen.«

Die Wolke wirbelte einmal um die eigene Achse, bevor Maimun die Handflächen übereinanderlegte.

»Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Film ab.«

Matt Über erwachte zum Leben, auch wenn der Hintergrund wechselte. Nun stand er vor einer rohen Betonwand, ein Eisengeschwür in den Händen, das die Bezeichnung Gewehr kaum verdient hatte.

»… werden wir Kirchenglocken und Opferrituale nie hinter uns lassen? Ist es nicht genug, dass sich die Menschheit ihr Eden in die digitale Ewigkeit geholt hat? Dass sie Herr über Erde und All ist? Was braucht es noch, damit unsere Spezies endlich aus dem Schatten der Religionen tritt?«

Er schwenkte seine Waffe drohend in Richtung Kamera. »Das Omninet hat die Menschheit vom Weg abgebracht. Mindfluencer und IR-Stars, alles falsche Götter!« In den Augen loderte eine ganz eigene Art von Gewehrfeuer auf. »Ich rufe euch an, Individuen, löst euch aus dem Bann dieser Götzen! Bittet sie nicht! Verehrt sie nicht! Denn es gibt keinen Gott ausser dem, der durch Menschenhand geschaffen wurde! Tod dem Glauben!«

Weitere Personen traten ins Bild und schüttelten ihr Waffenarsenal aus Eigenarbeit. Ankaa seufzte. 2987 war eine neue Zeit, doch die Welt hatte sich nicht gross verändert.

»Danke, das reicht.«

Die Terroristen erstarrten. Ihre Hockeymasken und Sportbrillen belauerten Goldstiels Bewegungen. Ankaa jonglierte mit hunderten Wahrscheinlichkeitsszenarien. Dass die Göttermörder ein Instrument im Plan eines anderen waren, lag auf der Hand.

»Haben wir eine Spur?«

Eine Pergamentrolle trudelte in Maimuns Hände. Als er die Schnur löste, wickelte sich das Papier bis zu den Bodenplatten ab. »Ich weiss nicht, ob wir es Spur nennen können. Matt Übers Bande mag eine Clowntruppe sein, aber ihr Omninet-Support ist es nicht. Die Drähte von CortexSync wurden nach allen Regeln der Kunst durchgespült.« Er arbeitete sich zu einem tieferen Abschnitt des Pergaments vor.

»Mit Unterstützung aus den oberen Akkorden ist es dem Polizeikorps gelungen, einen Teil der Systemaufzeichnungen zu rekonstruieren.«

Die Glaswand der Eingangshalle schob sich vor die Terroristen. Unversehrt. Der Fokus lag auf einem Avatar, der sich über den Empfangsschalter beugte. Unter seinem Arm klemmte das gewichtslose Modell eines Koffers.

»Am Vorabend des Überfalls wurde in den Exekutivstöcken eine Konferenz abgehalten.«

»Mit welchem Inhalt?«

»Überregionale Streicheleinheiten. Es ging darum, mehr Investoren aus Südamerika zu gewinnen.«

Das Papier blähte sich im Wind von Maimuns Lachen.

»Dieses Phantom hat in Vertretung von Huracan-Tech teilgenommen. Wie sich herausstellt ein Fantasiekonzern. Die Polizei geht davon aus, dass der Kerl als Trojaner eingeschleust wurde. Doch ab hier taucht die Spur aus der Oberwelt ab.«

Der Affe liess das Papier los. »Dank den Spähern deiner Gildenfreunde wissen wir wohin. Das Phantom hat einen der dunklen Pfade genommen.«

Ankaa ignorierte den Pergamentstapel zu seinen Füssen. »Welchen Pfad?«

»Segment 438493 des Unternetzes.«

»Haben wir einen Ursprungsort?«

Sein Blick hatte sich wieder auf die leere Halterung gesenkt. Seine Gedanken aktivierten die Cluster-Navigation, ohne Maimuns Antwort abzuwarten.

»Ein Wohnmodul in Schloss Pankow.«

Major Goldstiels Lächeln war eine Spur zu finster für das eines Polizisten. Die Pfade der Unterwelt boten zwar Schutz vor den Augen der Neun. Doch die Schatten hatten ihre eigenen Augen.

»Dann beginnen wir mal mit der Schnitzeljagd.«

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Jimmy steuerte seinen Avatar über die Tanzfläche. Ellbogen und Biococktails schossen in seinen Pfad, letztere mit klirrenden Eiswürfeln. Einige wenige Partygänger waren noch so höflich, ihn zu umrunden. Der Rest lief geradewegs durch ihn hindurch. In Miamis Nachtleben kannte man keine Gnade.

Sein Blick glitt am Boden entlang. Die Schuhe der Tanzenden hackten auf Glas herum. Unter den Platten wälzten sich Dunstschleier träge in der Nacht. Jimmy riss sich vom Schauspiel los und suchte den Richtungspfeil seiner Navigations-Synapp. Unter einem Leuchtschlauch wurde er fündig. Die Spitze zeigte noch immer auf die Treppe am anderen Ende der Fläche.

Dreizehn weitere Hände wischten durch seinen Avatar, ehe er vor dem Aufgang angelangt war. Gerade als sich sein Fuss der ersten Stufe näherte, stellte sich ihm ein Eisenschrank in den Weg.

Der Sicherheitsautomat spie zunächst englische Sätze aus, wechselte dann aber mitten in der Warnung auf die Omnisprache und setzte das Fazit auf Deutsch.

»Nur für VIPs.«

Jimmy starrte an der Metallbrust empor. Der Hersteller hatte sich die Mühe gemacht, der Verschalung einen Anzug aufzusprayen.

»Ernsthaft? Ihr habt mir schon beim Login einen saftigen Betrag abgeknöpft.«

In den Linsen des Maschinengesichts existierte kein Raum für Verständnis.

»Sie haben nur für den Standardservice bezahlt, Sir. Sollten Sie damit nicht zufrieden sein: Der Upgrade auf VIP kostet 100 Lifepoints. Ansonsten muss ich Sie bitten, auf dieser Ebene zu verbleiben.«

Jimmy verband sich mit der Domain des Clubs. »Wollt ihr auch gleich eine meiner Nieren reservieren?« Er schob den geforderten Betrag herüber.

»Einen angenehmen Abend, Herr King«, sagte der Automat und zog sich zurück. Jimmy spulte seinen Avatar im Schnelldurchlauf auf den oberen Treppenabsatz. Der Navigationspfeil versuchte, ihn einzuholen. Doch Jimmy war nicht länger auf ihn angewiesen.

Seine IR-Persona fing sich schiefe Blicke aus den Lounges ein, während er sie über die Galerie bewegte. Von unten brandete der Biowave-Mix gegen das Geländer.

Vor einem Tisch mit zwei Saftgläsern blieb Jimmy stehen.

»Ich will einen Deal machen.«

Er musste die Ankündigung schreiend wiederholen, um sich Gehör zu verschaffen. Der Mann auf dem Diwan hob träge den Kopf.

»Jimmy? Was tust du hier?«

»Habe ich das nicht gesagt? Ich komme wegen eines Deals.«

Er liess sich auf einem Hocker nieder. Die Seitenwände der Lounge stemmten sich erfolgreicher gegen die Musik als das Geländer. »Oder bist du aus dem Geschäft ausgestiegen? Diese Woche ist Peter Nova kein leicht zu erreichender Mann.«

Der Lieferant setzte sich auf. Die Gewichtsverlagerung seines Avatars war dem Polster egaler als egal. »Du kennst meine Regeln, Jimmy. Kein Deal ohne Termin. Siehst du nicht, dass du störst?«

Die Frauen an seiner Seite gaben sich stumm, obwohl aus ihren Haltungen Ungeduld sprach. Sie trugen dasselbe Kleid, einmal in roter und einmal in grüner Ausführung. »Ich habe keine Zeit für dieses Hin und Her«, antwortete Jimmy. »Und ich denke, ihr auch nicht. Je eher wir zu einer Einigung kommen, desto schneller seid ihr mich los.«

Das Polster seufzte, als die rechte Frau die Beine übereinanderschlug. Ihr Körper bestand nicht aus Daten.

»Das ist ein Argument«, sagte der Lieferant grinsend. In seiner Strandbrille tollten die Effekte der Lichtdrohnen. Eine seiner Bekanntschaften beugte sich zu seinem linken Ohr, aber er wimmelte sie ab.

»Nun denn, was darf es heute sein? REM-Booster? Neurokatalysatoren? Denkoptimierer?«

Die Brille strahlte. »Diese Woche ist ganz heisse Ware reingekommen: Eine geknackte Datenbank der Allianz. Enthält die Prüfungssimulationen fürs kommende Jahr. Nur solange der Vorrat reicht …«

Jimmy schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht am Üblichen interessiert.« »Hört, hört!«, rief der Lieferant aus. »Wir haben heute Nacht einen heiklen Studenten erwischt.« Seine Realbegleitung kicherte. Jimmy musste seine gesamte Willenskraft aufbieten, um die Augen von der Oberweite der grünen Edition loszureissen. Der letzte Besuch im Dirty Corner lag schon zu lange zurück.

»Ich bin kein Student mehr.«

Der Mann stutzte. »Dann hast du in diesem Sommer abgeschlossen? Wie die Zeit vergeht.«

»Ich bin rausgeflogen.«

Die Brille erlosch.

»Wie jetzt?«

»Hab eines der Kernfächer versaut. Dann hiess es Talentmodule weg, Tür zu und auf Wiedersehen.«

Das Partygesicht wirkte tatsächlich betroffen. »Wow, das tut mir leid, Jimmy.« Die Damen wechselten einen Blick, der mit Informationen übersättigt war. Sie langten gleichzeitig nach ihren Drinks.

»Wenn du vor der Prüfung vielleicht einen meiner Booster oder ein Simulationspaket …«

Jimmys Augen drifteten von der Brille zur Lehne und von dort zu den Fenstern. Draussen wartete die Nacht. »Scheissegal«, unterbrach er den Lieferanten. »Meine Studentenjahre sind vorbei, da kann man nichts mehr machen.«

»Und warum kommst du zu mir?« Der Mann richtete seine Brille mit derselben Verlegenheit, wie es die Allianz-KI getan hatte.

»Versteh mich nicht falsch, Jimmy, aber mein Angebot ist auf Studenten zugeschnitten. Für Karriereberatung bist du bei mir an der falschen Adresse.«

»Und für ein Ticket in die Gedankenstrasse? Bin ich dafür auch an der falschen Adresse?«

Die Zwillingsbusen setzten ihre Gläser ab. »Manche Namen sollten nicht voreilig aus den Schatten gezogen werden«, erwiderte der Lieferant nach langer Pause. Jimmy lehnte sich gegen die Wand. »Heb dir deine Belehrungen für die Studenten auf. Hast du nicht immer mit deinen Verbindungen zur Unterwelt geprahlt? Jetzt kannst du zeigen, wie viele Kontakte du in der Tasche hast.«

»Aber was erhoffst du dir daraus?«

»Ich brauche Punkte und ich brauche sie schnell.«

Die Brille wurde hochgeschoben. »Ist dir klar, was du da sagst, Jimmy?« Das Augenpaar musterte ihn berechnend. »Die Gedankenstrasse ist kein Ort für Studenten. Auch nicht für gescheiterte.«

In den Containern hatte die Frage nach der Identität des Lieferanten oft für Diskussionsstoff gesorgt. Niemand war ihm je von Fleisch zu Fleisch begegnet. Manche hielten ihn für ein hohes Konzerntier, das sich nebenbei durch Informationslecks eine goldene Nase verdienen wollte. Eine Gegenmeinung behandelte ihn als hohle Puppe, belebt durch die Fäden einer Schattengilde.

Doch das Zögern, welches sich in seine Stimme geschlichen hatte, war nur allzu menschlich. Jimmy verschränkte die Arme. »Sehe ich so aus, als wäre es mir nicht klar? Sehe ich wirklich so aus?« Das Glas der rot gekleideten Frau schwappte über, als sich die Bestie zeigte.

»Ich habe die Hälfte meiner Blutjahre hinter und eine Ewigkeit der Schande vor mir.«

Sein Knie versank in einem Tischbein, als er aufstand. »Aber ich weiss, dass sich die Türen der Gedankenstrasse nicht für jeden Netzwanderer öffnen. Darum frage ich dich: Kannst du mir ein Ticket besorgen?«

Der Lieferant sah zu ihm hoch.

»Wenn ich das tue …«

Er holte Luft und stellte seinen Avatar ebenfalls auf die Füsse. »Für diese Reise gibt es keine Rückfahrkarte. Wenn du die Unterwelt erst einmal betreten hast, wirst du ihren Schmutz nicht mehr so leicht los. Bist du bereit dafür? Zu den zwölf Prozent zu gehören?«

Das Toben der Menge schwappte in die Lounge. Jimmys Blick wanderte über die Köpfe der Tanzenden, bis er auf die gegenüberliegende Fensterwand traf. Eine kalte Lichterkette überstrahlte die Sterne hinter dem Glas. Die Warnlampen des Verbindungsarms, der die Clubkugel an den Hauptturm knüpfte.

»Dann gehöre ich wenigstens irgendwo hin.«

Sein Blick traf sich wieder mit dem des Lieferanten. »Check meinen Lifescore. Ich habe ein halbes Vermögen ausgegeben, um hier raufzukommen. Du kannst den Rest haben. Ende Monat bin ich entweder reich oder gelöscht.«

Für eine Weile standen sie sich schweigend gegenüber, mit den Frauen als Zeugen. Die Augen der grünen Edition sprangen zwischen ihren Avataren umher. Jene der roten waren in spannendere Feeds abgetaucht.

Letztendlich verschwand die Sonnenbrille in Peters Hemd.

»Wie du willst.«

Ein Icon klärte Jimmy über einen ausstehenden Download auf.

»Diese Synapp bringt dich an dein Ziel. Ich nehme dafür 250 Lifepoints. Weil du es bist.«

Jimmy war erleichtert über den Preis.

»Klingt fair.«

Plötzlich stand Lexane neben ihm. »Vorsicht, Süsser, du holst dir da etwas Zwielichtiges an Bord. Der Virusscan ist positiv ausgefallen.«

Die Sommersprossen wandten sich dem Lieferanten zu. »Sie sollten Ihre Softwareprodukte von einem Dschinn auf Akkorddissonanz prüfen lassen. Eine Liste namhafter Lichtgilden finden Sie im Clusterverzeichnis.«

»Gewöhne dich an solche Meldungen«, sagte Peter Nova an ihn gerichtet, ohne die KI zu beachten. »Alles aus der Unterwelt steht auf den Verbotslisten.«

Jimmys Finger schlangen sich um die seiner Assistentin, nicht länger an Blut und Knochen gebunden. Er war in ihre Welt übergetreten. »Falscher Alarm, Lexane.« Das Mädchen von Nebenan betrachtete ihn zweifelnd. »An diesem Typen war schon immer was faul. Vertraust du ihm?«

»Ich vertraue auf den Kapitalismus.«

Die KI strich ihre Haare zurück. Schwerfällig, als ob sich die Strähnen mit Sorgen vollgesogen hätten. »Hoffentlich weisst du, was du tust, Süsser. Ich behalte das Programm im Auge.« Sie lehnte sich zu seinem Avatar wie für einen Kuss, verschwand jedoch, ehe ihre Lippen auf seine Wange trafen.

»Deine Assistentin?«, fragte Peter Nova.

Er nickte.

»Du solltest auf sie hören. Es ist eine zwielichtige Welt, in die du dich stürzen willst.«

Das Eis war von den Cocktails in seine Stimme transferiert worden.

»Und wenn du nicht auf sie hörst, musst du sie löschen.«

Jimmy wäre nach hinten geprallt, wenn sein Avatar nicht den Biowave-Sturm im Rücken gehabt hätte. Der Lieferant liess sich wieder auf das Sofa fallen.

»Ich kenne den Pfad, den du vor dir hast. Du wirst deine Assistentin an den Toren zurücklassen müssen, wenn du in die Unterwelt hinabsteigst.«

»Das werden wir sehen.« Jimmy spürte, dass sich seine Fäuste geballt hatten. Seine echten Fäuste. Der Lieferant strich über den Frauenschenkel, der in Rot eingepackt war. Jimmys Augen folgten seiner Hand, getrieben von der Gier, das Fleisch selbst zu erkunden. Glattrasiert. Moderate Bräune. Der Pornomarathon war sowas von überfällig.

Mittlerweile hatten beide Clubbesucherinnen das Interesse an der Verhandlung verloren. Peter Nova entging sein lüsternes Starren allerdings nicht. »Wenn du es doch bei solch harmlosen Trieben belassen könntest. Du hast ein paar gefährliche Gedanken ausgebrütet. Gedanken, die dich im schlimmsten Fall deinen Kopf kosten werden.«

»Dann bin ich in der Gedankenstrasse gut aufgehoben«, antwortete Jimmy und machte sich ans Ausloggen. Der Lieferant holte die Brille aus der Brusttasche.

»Pass auf dich auf, Jimmy. Ich hasse es, treue Kunden zu verlieren.«

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Terbish legte den Kopf in den Nacken. Er stand auf der Grenze zweier Welten. Einer der Einheimischen hatte sich grosse Zahlen auf seinem Geisterbanner erstritten und diese prompt genutzt, um das dreiundzwanzigste Stockwerk aufzukaufen.

Der damit einhergehende Umstrukturierungsprozess war in vollem Gange. Selbst jetzt wurde gearbeitet. Mit Feuerklingen bewehrte Bauautomaten trugen die Fundamente von Gebäudemodulen ab, andere transportierten den Schutt eingerissener Mauern zu den Liften. Über ihnen montierten Drohnengeschwader neue Sonnenstreifen an der Decke.

Die frisch geschaffene Kaverne erstreckte sich bis in die Mitte der Turmebene, wo sie auf den Leib stiess, aus dem sie herausgebrochen worden war. Tellerförmige Silhouetten schwebten in Zimmerresten und Rohren umher. Die Überlebenden des Axthiebs, der die hiesige Welt gespalten hatte.

Er wandte den Kopf. Baldeberk beobachtete noch immer die Bauautomaten. Die Wunder der Turmmenschen hatten ihren Zauber für ihn nicht verloren. »Bei uns in der Steppe nannte man sie Eisendämonen«, merkte Terbish an. Sein Partner löste sich zögernd von der Baustelle.

»Maschinensklaven. Überall. Wie machen die Turmmenschen das Eisen lebendig?«

»Weisst du noch, wie wir über das Omninet gesprochen haben? Sie beschwören Geister von dort und binden sie an das Metall.«

Terbish war klar, dass die Intelligenzen unter den Stahlgehäusen wenig mit echten Geistern gemein hatten. Aber es war der naheliegendste Vergleich, der sich Männern wie ihm anbot. Selbst nach all den Wachjahren.

Baldeberk schaute gleichermassen an der Ruine empor. »Irgendwann wird es nicht mehr genug Geister für die Maschinen geben.«

In den Löchern tanzten die Scheinwerfer der Vermessungsdrohnen. Hin und wieder versahen ihre Lichtkrallen das Mauerwerk mit feinen Linien.

»Das wird niemals geschehen. Die Magier, die sie Dschinn nennen, erschaffen immer neue Geister.«

Die Linien im Gesicht des Kriegers verschoben sich. »Sagtest du nicht, die Terroristen hätten einen solchen Magier auf ihrer Seite?«

»Sie haben einen Caitan.«

»Was ist der Unterschied?«

Terbish trat zu den Packpferden. Er erinnerte sich, inmitten der Gewehrbestandteile eine Schockpistole gesehen zu haben. »Caitane sind die bösartigen Geschwister der Dschinn. Wo Dschinn Frieden und Sicherheit säen, säen sie Zwietracht. Wo Dschinn schaffen, verderben sie. Und sie geben ihre Körper bereitwilliger auf.«

»Weshalb?«

»Um sich besser verstecken zu können.«

Er fand die Pistole unter einem Gasrohr. Nachdem er eine Zelle in ihren Kolben geschoben hatte, warf er sie Baldeberk zu. Sein Partner fing die Waffe am Lauf. »Der Dorn kommt nach vorne.« Er sah zu, wie der Krieger die Pistole drehte. In seinen Stahlhänden war sie ein Kinderspielzeug.

»Genau so.«

Baldeberks Augen wanderten erneut aufwärts, diesmal deutlich misstrauischer. »Wenn dieser Caitan keinen Körper hat, könnte er auch in diesen Ruinen herumspuken, oder nicht?«

»Das könnte er.«

Sein Partner schwenkte die Waffe auf die mechanischen Arbeiter.

»Und die Maschinen gegen uns aufhetzen?«

»Auch das könnte er.«

»Und wie töten wir ihn?«

»Gar nicht«, erwiderte Terbish. Sein Blick schweifte zurück zum Schlund, der unmittelbar vor ihnen gähnte. »Geister können nur von Geistern getötet werden. Wir überleben.«

Er öffnete eine weitere Satteltasche und bot dem Krieger einen Glashelm an. Baldeberk klappte das Visier seiner eigenen Kopfbedeckung herab und und pochte dagegen.

»Eisen.«

Terbish seufzte und setzte sich den Helm selbst auf. Die Schaumpolster dämpften die Härte des Glases nur bedingt. Er fischte nach zwei Stirnlampen. Diesmal zeigte sich Baldeberk weniger abgeneigt.

»Status?« Seine Frage war an ihren geflügelten Späher gerichtet. Die Drohne flatterte von einem Mauervorsprung herab, um ihren Platz auf seiner Schulter einzunehmen.

Wolfs Räuspern drang aus dem Gefieder. »Unverändert. Keine verdächtigen Aktivitäten im lokalen Netz.«

Die Stimme des Jagdmeisters liess Baldeberk zusammenzucken. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, Tiere sprechen zu hören. Sofern in den Körpern der Biodrohnen überhaupt ein Fragment des einstigen Tiers zu finden war. Aus den Augen des Falken sprühte zwar Leben. Trotzdem fehlte etwas darin. Terbish vermochte es bis heute nicht zu benennen.

»Zielperson ist in Regal 68 lokalisiert. Fernzugriff nicht möglich.«

Terbish setzte sich in Bewegung. Der Schutt knirschte unter seinen Stiefeln. »Und du bist dir sicher, dass dieses Signal von einem Göttermörder kommt?« Die Krallen auf seiner Schulter suchten eine neue Position. »Die Gesichtserkennung am Liftterminal hat ihn identifiziert. Von da an war es digitales Nachlaufen.«

»Findest du es nicht seltsam, dass den Terroristen mit ihren Unterweltfreunden ein solcher Fehler unterläuft?«

»Die ganze CortexSync-Sache ist seltsam. Aber Dämonen ändern sich nicht, das weisst du.«

Die Federn bebten unter einem Lachen. »Wenn es ein Hinterhalt ist, fällt uns die Etage früh genug auf den Kopf. Und wenn nicht …« »Dann fällt sie uns auch auf den Kopf«, vollendete Terbish und klappte das Visier herunter. Im Innern der Glashaube merkte er nichts von der Finsternis, die ins Material gegossen worden war.

»Flieg voraus.«

Der Falke entfaltete die Schwingen und tauchte in den Tunnel. Die Baudrohnen zeigten nach wie vor kein Interesse an den Eindringlingen in ihrer Mitte, aber Terbish war erfahren genug, um sich davon nicht einlullen zu lassen.

Baldeberk schloss zu ihm auf. »Brauchen wir diesen …« Er schien mit dem nächsten Wort zu hadern. »… Vogel wirklich?«

»In ihm haust ein mächtiger Geist. Viel mächtiger als die Geister der Baumaschinen. Und er ist unsere Verbindung zum Jagdmeister.«

»Es gefällt mir trotzdem nicht.«

Sein Partner hatte die Stimme gesenkt, als ob sich der Drohnenherr dadurch von ihrem Gespräch ausschliessen liesse. Die Tunneldecke schob sich über sie.

»Du wirst noch auf viele Dinge treffen, die dir nicht gefallen.«

Terbish hielt sich an die rechte Wand. Der Eisenkrieger folgte seinem Beispiel, wobei seiner angespannten Haltung anzusehen war, dass er nicht explizit zu Wachsamkeit ermahnt werden musste. Sein Harnisch forderte die Maschinen in ihrer blechernen Sprache heraus. Dagegen war das Klappern der Pferdehufe geradezu sanft. Die Vierbeiner achteten selbstständig auf einen angemessenen Abstand.

Mit jedem Schritt fiel der Lärm der Baustelle weiter hinter ihnen zurück. Die zunehmende Dunkelheit veranlasste den Vogel dazu, die Scheinwerfer in seinen Augen einzuschalten.

Der Sternenspalter pochte vehementer gegen Terbishs Rücken. In stummer Warnung, dass diese Fährte nicht zum Gesamtbild des Überfalls passte. Man hatte sie absichtlich gelegt.

Die Fluchtroute der Terroristen hatte nicht etwa zu einem Liftschacht sondern zur Waldzone geführt. Dort hatten sie den Wagen in eine Menschenmenge gesteuert, die an einem nächtlichen IR-Ball teilgenommen hatte. Die hektischen Erinnerungsfetzen aus dem Tumult hatten keine brauchbaren Informationen geliefert.

Dazu kam noch ihr Schutzgeist, dessen Täuschungszauber Wolfs Schimpfwörter auf der Liftfahrt beinahe ausgeschöpft hatten. Die Göttermörder hatten nichts dem Zufall überlassen. Und jetzt dieses Missgeschick?

Die Lichtkegel aus den Vogelaugen geleiteten die Jäger in ein totes Reich. An der Decke schaukelten Gondeln, leer und aus ihrem Dienst entlassen. Parallel zu ihren Schienen verliefen Transportbänder auf dem Boden. Die Fensterreihen, welche sich entlang der Tunnelwände aufeinanderstapelten, folgten ihnen in die schwarze Unendlichkeit.

Waben, geschaffen von Maschinenschwärmen. Nicht um Honig zu lagern. Sondern Menschen. Nun waren die Höhlen hinter den Scheiben verlassen und im Glas lebten einzig Zerrbilder ihres Vormarsches.

Es war die klassische Zufluchtsstätte für Abtrünnige des Turmvolkes. Baldeberk gönnte seiner Pistole keine Rast, ihr Blitzdorn schoss von einem Fenster zum nächsten. »Ruhig«, murmelte Terbish. Der Dorn senkte sich.

»Was ist das für ein Ort?«, fragte der Krieger. Der Unterschied zu den höhergelegenen Etagen war ihm aufgefallen. »Alles ist so …« Er stockte. Terbish half ihm mit den Worten.

»Einheitlich? Streng?«

Das Nicken des Topfhelms liess die Stirnlampe hüpfen wie eine welke Blume. »Es sind Wohnregale«, sagte Terbish. »Die Behausungen der Armen.« Unter dem Eisenvisier erklang ein dumpfes Geräusch.

»Besitzlose? Hier in den Türmen?«

»Nicht so, wie du sie dir vorstellst.«

In den Bastionen war es gefährlich, auf Wahrheiten zu vertrauen. Aber bei der Wahrheit zur Stammeshierarchie war Terbish versucht, eine Ausnahme zu machen. Bestimmt hatte sich noch kein Turmmensch mit leerem Magen schlafen gelegt.

Sie passierten eine Kreuzung, deren Herz von einem Brunnen eingenommen wurde. Die Fontänen aus den Dämonenfratzen waren längst versiegt. Doch ihre blinden Augen löcherten die Finsternis unberührt.

Nach den Statuen rückten die Waben sogleich näher. Tausende Fenster. Tausende Fenster. Ein Seitentunnel. Dann wieder tausende Fenster.

»Warum kämpfst du?«

Die Frage traf ihn aus dem Nichts. Er mässigte seine Schritte und drehte den Kopf. Die Schlitze des Metallhelms nahmen seinen Blick gefangen. »Für die Wolkenmenschen, meine ich. Warum kämpfst du für sie?« »Warum kämpfst du für sie?«, konterte Terbish. Die Eisenhand reckte die Pistole in die Luft.

»Ruhm und Ehre.«

»Und für den endlosen Traum.«

Terbishs Ergänzung löste ein Kopfschütteln aus. »Endloser Ruhm ist besser als endlose Träume.«

»Ruhm ist leer.«

»So auch Träume, wenn man sie nicht ins Fleisch der Welt ritzt.«

Knochen. Starr und tot. Terbish zog seine Finger zurück. Er hatte unbewusst nach seiner Halskette getastet. »Die Welt hat ihre eigenen Träume. Selten vertragen sie sich mit unseren.« Ein Brummen drang aus dem Metall.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752101164
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juni)
Schlagworte
Cyber hacker digitalisierung Berlin Verschwörung High-Tech cyberpunk Barbaren KI Virtual Reality Steampunk

Autor

  • Klotz Van Ziegelstein (Autor:in)

Wer ist Klotz Van Ziegelstein? Es ist eine Frage, die sich so mancher Netzwanderer gestellt hat, nachdem ihn eine missglückte Google-Suche im modrigen Keller des Internets ausgesetzt hat.

Er selbst bezeichnet sich als Propheten. Viele sehen ihn als Ketzer. Manche behaupten gar, er hätte die ausrangierten Fahrzeuge des Abgasskandals in Afrika verschwinden lassen.

Sicher ist, dass er seinen diabolischen Aktivitäten mit Schutzmaske und gebührendem Abstand nachgeht.
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Titel: Plünderer