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Herr der sieben Königreiche: Tausend Wunder ... und ein Tropfen Ghulspucke

von Sylvia Rieß (Autor:in)
200 Seiten

Zusammenfassung

Bevor die Welt gerettet werden kann, muss sie ja erstmal kaputtgehen. Zitara Zaylandra, Voodoodienstleistungen aller Art, -Verzaubern, Verbannen, Entfluchen; oder das jeweilige Gegenteil davon -, lebt abgeschieden und getrennt von ihrem Zwergenclan in der Einöde Dramuriens nahe der Berge der Verdammnis. Die Hütte, in der schon ihre Großmutter dem Zaubergeschäft nachging, ist nur einen Steinwurf entfernt von der berüchtigten Grotte der Tausend Wunder. Der Alltag hier ist eher dröge, bis eines Nachts der gnomische Möchtegern-Meisterdieb Maljosh mit einem plüschigen Problem vor ihrer Tür steht. Sie soll seinen Hamstergefährten Ambros von einem dunklen Fluch heilen, bevor das bemitleidenswerte Wesen sich den letzten Rest seiner Seele aus dem Leib hustet. - Im wahrsten Sinne des Wortes! Um dafür die sieben Zutaten der Macht zu beschaffen, müssen sie wohl oder übel hinab in die tiefsten Teile der Grotte, aus denen noch kein Abenteurer lebend zurückgekehrt ist. Doch mit Zitaras grenzenloser Selbstüberschätzung und Maljoshs linken Händen kann eigentlich gar nichts schiefgehen ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Herr der Sieben Königreiche







Teil I


Tausend Wunder … und ein Tropfen Ghulspucke


















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Gewidmet einem Hamster, dem auch die sieben Zutaten

der Macht nicht mehr helfen konnten,

und meinem Bruder.

Happy Birthday!



Inhaltsverzeichnis




Prolog

Kapitel 1 Geisterhusten

Kapitel 2 Die sieben Zutaten der Macht

Kapitel 3 Teleportationsbomben und

Fönzwerge

Kapitel 4 Getrennte Wege

Kapitel 5 Runen und Riesenschildkröten

Kapitel 6 Magie in den Tiefen des Berges

Kapitel 7 Spiegeltricks

Kapitel 8 Rätsel

Kapitel 9 Elementare Schäden

Kapitel 10 Kitzele niemals einen schlafenden

Drachen

Kapitel 11 Die letzte Gruft

Kapitel 12 … und ein Tropfen Ghulspucke

Epilog

Glossar


Prolog



Roxxor Mannor war ein Bau aus schwarzem Marmor, der wie ein hässliches Geschwür über die blank polierten Bronzedächer der Stadt hinausragte. Erbaut auf dem Platz, auf dem ehemals der Tempel der Göttlichen Sieben gestanden hatte, thronte es auf jenem Felsen, der als höchster Punkt der Ebene auf zweihundert Meilen weithin deutlich hervorstach. Die geschliffenen Wände wiesen dabei keine erkennbare Symmetrie auf. Es ähnelte einem unvollkommenen, unförmigen Kristallsplitter, der sich mitten ins Herz Septanas gebohrt hatte.

Im Osten grenzten die Marmorwände dabei an den Teil des Hauses, der noch aus grauer Vorzeit stammte und im Stil der Fachwerkhäuser ringsum gehalten war. Die üppigen Verzierungen an den Balken waren erst vor kurzem neu gestrichen worden und bildeten einen grotesken Kontrast zu der alles verschlingenden Düsternis des neu angebauten Traktes. In die obere Spitze der massiven Wände war nur ein einzelnes Fenster eingelassen; ein fragiles Mosaik aus buntem Glas, entworfen vom größten Glaskünstler, den Septana kannte. Es war ein weiterer Bruch in der Fassade, bei deren Anblick sich das Auge nicht entscheiden konnte, ob es in Ehrfurcht verharren und jedes noch so winzige Detail mit Blicken abtasten sollte, oder ob man besser schreiend davonlief vor diesem Mahnmal an architektonischer Dissonanz.

Für den Gnom in schwarzem Leder, der gerade noch einmal die Sicherheitssysteme und Wachen in Augenschein nahm, welche zahlreicher um das Gebäude anzutreffen waren als Obdachlose im Gesindeviertel am neuen Tempel, stellte sich diese Frage allerdings nicht. Was er wollte, das war in den Tiefen der Grüfte und Kavernen verborgen, die es angeblich unter Roxxor Mannor geben sollte. Das Unterfangen nun abzublasen, nachdem er seit Monden die Karten studiert, die Lagepläne um Sicherheitshinweise und Codewörter ergänzt hatte und endlich auch den direkten Weg hinunter zur Tür ins Innere des Allerheiligsten des Anwesens kannte, kam nicht infrage.

Allein ein winziges aber vermutlich zu vernach-lässigendes Detail hatte sich für ihn nicht erschlossen. Nicht einmal die Dienstboten hatten mit dem Messer an der Kehle auch nur das Geringste darüber preisgegeben. So blieb tatsächlich der fehlende Schlüsselcode zum Haupteingang sein einziges Hindernis. Doch nichts, womit er nicht umgehen konnte. Er war, mal ganz bescheiden ausgedrückt, einer der besten seiner Branche, obwohl er noch nicht lange dabei war. Da würde so eine doppelt verriegelte Panzertür mit diversen Gift-, Lähmungs- und Todesfallen ja wohl kein Problem darstellen.

Zur Bestätigung kam aus seinem rechten Ärmel ein hohes und freudig erregtes Quieken. Sein Partner knackte also auch schon mit den Knöcheln. Das war gut. Das war sogar sehr gut.

Ein kurzer Blick huschte über seine Schulter zu einer der sieben Laternen, die den Vordereingang erhellten. Natürlich mussten es sieben sein. So wie es auch sieben Wachmannschaften, sieben Fallen im Durchlass und hinter der Tür mindestens sieben Wachwyvern geben würde. Noch viel wahrscheinlicher waren allerdings sieben mal sieben. An die Echsenkreaturen brauchte er jedoch keinen Gedanken verschwenden dank der Mixtur, die vor Jahren schon mehr aus Versehen und als Abfallprodukt in seinem Labor entstanden war. Unglaublich, dass er sie damals noch als wertlos erachtet hatte.

Auf diesen Gedanken hin überprüfte er noch einmal den Sitz seines Trankgürtels, die Vollzähligkeit seiner Dietriche, die Anzahl an Rauchbomben und Minisprengsätze – nur zu Ablenkungszwecken, verstand sich -, Täuscherkappe, Flüsterstiefel, Tarnumhang und natürlich und als Wichtigstes: seine völlig unmagische schwarze Maske aus feinstem kevronischem Wasserbüffelleder.

„Ich bin bereit. Und du?“, flüsterte er in seinen Ärmel.

Als ein neuerliches Quieken daraus hervorkam, holte er tief Luft und machte mit einem „Na dann, holen wir uns mal, was rechtens unser ist“ einen beherzten Schritt auf das Tor zu.



Geisterhusten



Ein dröhnendes Hämmern an der Haustür und aufgeregte Schreie ließen Zitara aufschrecken. Schlaftrunken drehte sie den Kopf in Richtung Tür und fragte sich, ob sie in einem ihrer üblichen Träume gefangen war.

Geübt sondierte sie die Umgebung. Finger? Fünf. Ecken? Annähernd rechte Winkel; – so gut das bei einem Zwergenbau eben möglich war. Alle Gegenstände ihres Laboratoriums? An ihrem Platz. Der alte Kupferkessel, die Destillierkolben, die Reagenzien im Regal daneben - alles schön geordnet.

Nein, kam Zitara zu dem Schluss, sie war nicht in einem Traum. Sie würde heute keine prophetischen Erkenntnisse über ihre oder irgendjemand anderes Zukunft erlangen und auch keinen Auftrag ausführen. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie ja derzeit nicht einmal einen Auftrag. Kundschaft zu bekommen war in Dramurien schwer. Dennoch. Mitten in der Nacht?!

Gähnend schlurfte sie zur Tür, zog sie auf und starrte in zwei Knopfaugen umrahmt von einem pelzigen, aufgedunsenen Gesicht. Winzige Pfötchen hingen dabei schlaff auf einer Hand, die in schwarzes Leder gehüllt war. Der Hamster keuchte. Sie schob den Arm beiseite, der ihr das Tierchen unter die Nase hielt, und blickte dahinter in die stahlgrauen Augen eines Gnoms.

„Atemnot. Schon seit Tagen“, brachte der hervor. Die Stimme war dabei panisch, überschlug sich fast.

Zitara sah noch einmal auf ihre Hände. Fünf Finger. Eindeutig. Sie sah auf die Hand des Gnoms. Sechs Finger, wie es sich gehörte. - Alle Gnome hatten einen Finger mehr. Das war praktisch, wenn man mit feinen Mechaniken arbeitete. - Darauf fuhr sie sich mit der Hand durchs Gesicht. „Ernsthaft jetzt?“, fragte sie, noch nicht ganz entschieden, ob sie lachen, weinen oder einfach die Tür zumachen sollte. „Es ist zwei Uhr in der Früh.“

„Ich weiß, ich weiß“, überging der aufgelöste Gnom diesen Einwand und schob sich durch den Türspalt. „Aber Ambros hustet sich die Seele aus dem Leib.“

„Und da kommt Ihr zu mir? Gibt es nicht irgendwelche mildtätigen Elfen in der Nähe, die sich zu so etwas berufen fühlen?“

Zitara musste stark an sich halten, um nicht völlig unfreundlich zu werden. Sie war Hexe! Voodoo-Dienstleistungen aller Art. Entzaubern, entfluchen, verbannen. Oder das jeweilige Gegenteil davon. Ganz wie gewünscht. Mit Haustierseuchen oder Humunculus-Leiden hatte sie herzlich wenig am Hut.

Sie holte tief Luft, wollte ihrem Gegenüber das in aller Deutlichkeit klarmachen und ihn dann mit einem 'Gute Nacht' vor die Tür schieben, da ertönte aus der Hand des Gnoms ein erbärmlicher, schrill krächzender Laut.

„Ähü, Ähü“, gab der Hamster ein Husten von sich, das mitleiderregend und schwach klang. Seine schwarzen Knopfaugen verdrehten sich zur wurzelüberzogenen Decke. Rotzfähnchen blubberten aus beiden Nasenlöcher und aus dem kleinen Mund kroch ein silbriger Dunst.

„Oh nein! Nicht noch ein Stück!“, schrie der Gnom, drückte Zitara den Hamster in die Hand, fummelte sich umständlich eine Tasche vom Gürtel, - beides ebenfalls aus schwarzem Leder -, und wühlte mit zittrigen Finger darin herum. Das Klappern von Metall auf Glas war zu hören. Dann zog er einen Kristallflacon heraus, entkorkte den Verschluss und konnte ihn gerade noch rechtzeitig unter die feucht glänzende Schnauze halten, bevor der silbrige Nebel sich im Raum verteilte. Im Fläschchen gerann der Dunst zu dem Bild einer schummrigen Höhle, in der ein ganzer Haufen kleiner Hamster sich eng aneinander kuschelten.

„Bei allen Drachen, Geistern und Göttern! Ambros Kindheitserinnerungen! Die braucht er doch noch!“

Akribisch verkorkte der Gnom das Fläschchen und schob es zurück in die Tasche. Dann nahm er Zitara behutsam den Hamster aus der Hand und ließ sich mit theatralischer Geste auf einem Stuhl zusammensinken.

Die Zwergin verschränkte die Arme vor der Brust. „Geisterhusten also“, schlussfolgerte sie.

Der Gnom schielte auf seine Stiefelspitzen, wagte nicht aufzublicken.

Zitara war nun klar, dass er das mit dem ‚Seele aus dem Leib husten‘ eben wörtlich gemeint hatte; eine der wirklich unangenehmsten Folgen eines Geisterhustens. Einzelne Fragmente seiner Persönlichkeit auszuspucken war genau so unangenehm, wie es klang, und mit dem Fortschreiten der Krankheit wurden es immer mehr.

Es war somit auch keine Frage mehr, warum der Gnom ausgerechnet zu ihr kam, und sie wusste auch, dass ihm klar sein musste, wie schwierig die Umkehrung einer solchen, durch Fluch verursachten Krankheit war.

„Wie viele Stückchen hat er schon ausgespuckt?“, wollte sie wissen. In ihre rostbraunen Augen legte sich ein Funkeln. Trotz aller Widrigkeiten und der frühen Morgenstunde war jetzt ihre Neugier geweckt.

Der Gnom begann kommentarlos erneut in seiner Tasche zu wühlen und förderte einen Flacon nach dem anderen zutage.

„Nur drei insgesamt in der ersten Woche. Darum hab ich es auch so spät erst begriffen. Als erstes muss ihm seine Wasserphobie abhanden gekommen sein. Aber wir hatten nichts mit Wasser zu tun. Gestern hab ich nur noch die Reste davon am Boden seiner Schlafhütte aufkratzen können.“

Er deutete auf ein Fläschchen, in dem ein einzelner Wassertropfen klebte. Sah man hinein, schien er von unendlicher Tiefe. Dennoch rief das Seelenfragment kein wirkliches Erschaudern in Zitara hervor, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie auch mit dem richtigen Gegenmittel diesen Teil der Hamsterseele nicht wieder herstellen konnte.

„Das zweite war dann seine Langschläfernatur. Die kam mir entgegengeflogen, als ich morgens von der Kundenakquise zurückkam und er quietschvergnügt noch vor dem ersten Hahnenschrei eine Runde nach der anderen im Generator-Rädchen drehte. Ich konnte sie grade noch fangen, bevor sie aus dem Fenster geflogen wäre. Als er schließlich sein sonniges Gemüt aushustete, wurde es schlimmer. Da habe ich dann auch endlich verstanden, was er sich eingefangen hat.“

Zitara hörte aufmerksam zu und sah mit an, wie ihr nächtlicher Gast nun noch weitere vier Fläschchen neben die drei besagten stellte. Eins davon war das gerade gefangene Bild der Hamsterhöhle.

„Die sind alle von heute Nacht“, betonte der Gnom. Seine Stimme nahm dabei schon wieder diesen unangenehm weinerlich-schrillen Tonfall an.

Zitara stemmte die Hände in die Seite und nahm ihren Besucher nun zum ersten Mal genauer in Augenschein. Wie Handschuhe und Tasche war auch die restliche Kleidung aus schwarzem Leder. Typisch für seine Branche.

„Neue Märkte, richtig?“, mutmaßte sie, während sie zu ihrem Reagenzienregal ging und in den Kisten, Beuteln und Flaschen nach den passenden Zutaten zu suchen begann.

Der Gnom gab ein Geräusch von sich, das sowohl Zustimmung wie Verneinung der Frage bedeuten konnte. - Auch typisch.

„Ich müsste auf jeden Fall wissen, wo er sich das geholt hat. Denn die Machtstufe desjenigen, der den Fluch ausgesprochen hat, bestimmt die Stärke des Gegenmittels.“

Weiterhin Schweigen.

Zitara drehte sich um, nagelte ihn mit Blicken fest. „Spuck‘s aus! Wen habt ihr beklaut?“

Auf diese Frage reckte der Gnom gekränkt das spitze Kinn. „Ich darf doch sehr bitten!“, entrüstete er sich. „Wenn Ihr so fragt, klingt das, als wäre ich ein gewöhnlicher Dieb. Die neuen Märkte verstehen sich dabei eher als Dienstleistungsbranche. Umverteilung von Werten, Beschaffung, Entsorgung und Neuorientierung von Mobilien aller Art. Wenn es uns nicht gäbe, würde die gesamte Sicherheitsbranche den Bach runtergehen. Ohne uns wären Meteoritenstahltresore völlig unnötig und Dragonsecurity würde ihre Wachwyvern auch an keinen mehr loswerden ...“

„Jajajaja“, unterbrach Zitara ihn. Neue Märkte-Entrepreneure waren dafür bekannt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gleich eine Grundsatzdiskussion zur Umorientierung der Weltmärkte zum Besten geben zu müssen. Ein Blick auf den Hamster sagte ihr allerdings, dass sie dafür die Zeit gerade nicht hatten. Der Gnom schwieg jedoch eisern, was Zitara dazu veranlasste, sich ganz ihren Reagenzien zu widmen und geschäftig an ihrem Labortisch zu werkeln.

Sie baute Apparaturen auf, schüttete dieses und jenes zusammen, worauf das Gemisch im Kolben zu blubbern begann und mit jeder neuen Zutat die Farbe wechselte. Die Antwort auf ihre Frage blieb der Gnom ihr dabei weiterhin schuldig. Er schaute nur fasziniert mit vor der Brust verschränkten Armen zu.

„Ihr wollt also nicht, dass ich eurem Freund helfe“, stellte Zitara nach Minuten nüchtern fest, als sie schließlich eine giftgrüne stinkende Flüssigkeit abfiltrierte und wieder zu ihm aufsah. Trotzig blickten die grauen Augen unter dem blau-melierten Haar zurück.

Eigentlich, musste sie sich eingestehen, sah er für einen Gnom fast schon zu gut aus, und eigentlich war er für einen Gnom auch etwas zu groß. Beides half ihr aber nicht bei der Lösung des Problems und so zwang sie sich, diese Gedanken beiseite zu schieben.

Hamster Ambros gab derweil einmal mehr ein keuchendes Pfeifen von sich. Der Gnom zuckte zusammen. Seine Finger schoben sich in Richtung Tasche, darauf vorbereitet in der nächsten Millisekunde die Schnalle aufreißen zu müssen, um weitere Fläschchen hervor-zuholen. Es kam jedoch kein weiteres Seelenfragment und der kleine Mund blieb geschlossen.

Zitara nahm derweil eine Pipette, zog etwas von der giftgrünen Mixtur auf und flößte dem Hamster drei Tropfen davon ein. Schon nach Sekunden meinte man, eine gewisse Erleichterung auf den pelzigen Gesichtszügen ausmachen zu können.

„Ihr habt ihn geheilt!“, flog sogleich ein gellender Schrei durch die Hütte. Der Gnom sprang aus dem durchgewetzten Sessel auf und machte Anstalten, Zitara um den Hals fallen zu wollen. Sie streckte allerdings abwehrend den Arm aus, bevor er sich ihr auch nur auf drei Schritte nähern konnte. Dann schüttelte sie energisch den Kopf.

„So einfach ist das nicht. Und ich habe eben nicht aus Neugier gefragt, sondern weil es wirklich relevant für den Trank ist.“ Wieder stemmte sie die Hände in die Seiten und legte ihre Stirn in Falten. „Das hier“, fuhr sie in einem Ton fort, in dem man üblicherweise Kindern die Banalitäten des Lebens erklärte, „ist lediglich die Elementarmischung. Es verzögert das Fortschreiten des Geisterhustens und mildert fürs erste die Symptome. Doch kurieren wird ihn nur die richtige Zugabe weiterer, sehr mächtiger Substanzen.“

Sie zog vielsagend die grünen Augenbrauen hoch. Der Gnom starrte zurück, als würde er nicht verstehen können, was sie ihm mitzuteilen versuchte. Minuten vergingen. Die Stille war angespannt und irgendwie albern. Die Zeiger der Uhr wanderten in Richtung drei.

„Sehr mächtiger, sehr schwer zu beschaffender, sehr kostspieliger Substanzen“, versuchte Zitara ihrem Gegenüber auf die Sprünge zu helfen.

„Ja, also?! Worauf wartet Ihr noch? Geld spielt keine Rolle. Ihr habt jeden Gefallen bei mir gut, den Ihr wollt, aber mixt den Kram schon zusammen und rettet Ambros!“

Ein wenig leid tat ihr Besucher Zitara auf einmal schon. So naiv. So überaus naiv. Wie hatte er sich bisher in den neuen Märkten halten können?

„Hör mal“, sagte sie und ließ jede Förmlichkeit und damit auch jede Höflichkeit aus ihrer Stimme weichen, „ich kenne mich mit dem Ehrenkodex deiner Branche nicht aus, aber ich gehe dennoch einfach mal davon aus, dass ihr ebenfalls unter einem Kundengeheimnisgelübde steht wie wir praktizierenden Schwarzmagier auch. Doch in diesem Fall hilft diese Einstellung nicht. Du kannst entweder deinem Kunden gegenüber loyal sein, oder du rettest das Vieh da. Beides geht nicht.“

„Aber wieso nicht? Wenn Ihr die Substanzen da habt, dann tut sie in den Trank. Die stärksten, die nötig sind. Geht doch einfach davon aus, es ist der mächtigste mögliche Zauber gewesen.“

Jetzt musste Zitara lachen.

„Du hast keine Ahnung, oder? Aber auch echt gar keine. Weißt du eigentlich, was passiert, wenn ich Drachenschuppen und Golemessenz hineinmische, der Fluch aber bloß vom stümperhaften Humunculus eines mittelgradig magiebegabten, neureichen Elfensöhnchens stammt?“

Die grauen Augen blinzelten sie nun fast schon treudoof an. „Nein“, erwiderte der Gnom wahrheitsgemäß.

„Nein?!“, platzte Zitara hervor. Sie musste tief Luft holen. „Nein“, japste sie ein zweites Mal, mehr zu sich als zu ihm. „Arbeitet in den neuen Märkten, und hat keine Ahnung von simpelster Wirkungs-Gegenwirkungs-Chemiolystik.“ Ihre Stimme bebte dabei ein wenig und ihre giftgrünen Zöpfe wackelten hin und her. Dann holte sie tief Luft und rezitierte das einschlägige Standardwerk zu diesem Thema: „Bei der Umkehrung von Flüchen der Kategorie drei ist darauf zu achten, dass das Gegenmittel, sei es oraler, mentaler oder metaphysischer Natur, stets dem Grad der Wirkung angepasst ist. Bei zu schwacher Wirkung passiert bestenfalls gar nichts. Meist erreicht man jedoch eine kurzzeitige Aufhebung, - Erstverbesserung -, die von einem massiven Rückfall gefolgt ist, der schneller als der ursprünglich ausgesprochene Fluch seine maximale Wirkung erreicht. Kommt man in die Versuchung, einen zu starken Gegenfluch zu wählen, implodiert die betroffene Kreatur.“

„Wie bitte?“ Dem Gnom standen die blau-grauen Haare jetzt noch mehr zu Berge als ohnehin schon.

„Implodieren. Das ist ...“

„Ich weiß, was Implodieren heißt. Ich bin ja nicht blöd!“, entrüstete er sich. Zitara hätte gerne widersprochen, doch ließ er sie nicht zu Wort kommen. „Wer denkt sich denn einen solchen Schwachsinn aus. Viel hilft viel! Das weiß doch jedes Kind.“

„Nur bei Flüchen der Kategorien eins, zwei und sieben. Doch Geisterhusten ist leider ein Kategorie drei Fluch. Also einer, der nicht spezifisch personengebunden ist, sondern objekt- und handlungsabhängig. Somit ist er also nicht gerichtet, und die Umkehrung ist ein diffiziler Prozess, bei dem alle Komponenten sorgfältig gegeneinander abgewogen sein müssen, um anschließend in einer präzise abfolgenden Reihe ohne determinierte Wendepunkte zugemischt zu werden. Nachzulesen bei Servatius von Hohensteins grundlegenden Techniken der chemio-physikalischen, objektgebundenen Schwarzmagie. Außerdem habe ich gar keine Drachenschuppen und Golemessenzen da. Wenn es also ein mächtigerer Fluchwirker war, dann ...“

„Dann was?“

Zitara zögerte. Ein Blick auf das kleine Fellbündel in seiner Hand ließ ihr Herz allerdings mitleidig zusammenzucken. Hilfesuchend sah sie als nächstes auf das golden gerahmten Bild einer älteren Zwergin in orange- und magentafarbenen Roben, das gegenüber an der Wand hing. „Dein weiches Herz wird dich irgendwann ins Grab bringen, meine Kleine“, hörte sie in sich die warnenden Worte ihrer Großmutter, zuckte aber gleichzeitig ergeben mit den Schultern.

„Es gibt nicht viele Orte, wo man hier in der Gegend auf die Schnelle neue Zutaten bekommt. Sobald du mir allerdings endlich gesagt hast, wo er verflucht wurde und von wem, ist vielleicht etwas möglich.“

Der Gnom biss sich auf die Lippen, nestelte nervös an den bronzefarbenen Schnallen seiner Weste herum und schaute immer wieder zwischen der Höhlendecke, Zitaras starrem rotbraunen Blick und seinem keuchenden Gefährten hin und her. „Roxxor“, nuschelte er schließlich halb in seinen schwarzen Hemdkragen, als wolle er nicht, dass Zitara den Namen verstand.

Wie alle Zwerge hatte sie aber ein unglaublich gutes Gehör und bei der Nennung des Namens fiel ihr die Kinnlade herunter. Ihre goldbraune Haut nahm einen ungesunden, aschfahlen Farbton an und sie schluckte.

„Hast du Roxxor gesagt?“

„Hm hm.“

„Rangun Roxxor der Dritte, Präsident der Kings Lair Trust and Wealth Foundation - KLTWF -, Multitrilliardär und finanzieller Berater aller sieben Königreiche, Gründer der Roxx Inc., Inhaber von Roxx-Defenses und nebenbei mächtigster Schwarzmagier unserer Zeit?“

So kurz das Zucken seines Kopfes auf diese Frage auch war, es konnte leider nicht anders als als Nicken interpretiert werden. Zitara wurde schlecht.

„Das ist nicht dein Ernst“, flüsterte sie, stellte den Kolben mit der Flüssigkeit ab und sank auf ihrem Laborstuhl zusammen.

„Heißt das“, fragte der Gnom mit unschuldigem Blick, „heißt das, es wird sehr teuer?“

Zitara starrte ihn auf diese Frage minutenlang einfach nur an. Er blickte treudoof mit seinen tiefgrauen Augen zurück. Die Hände fuhren dabei unablässig beruhigend über den Kopf der kleinen Kreatur, die endlich ein wenig Schlaf gefunden zu haben schien. Vor dem Fenster begann es bereits zu dämmern und in der Ferne kam die Silhouette eines riesigen zerklüfteten Berges in Sicht.

Zitara seufzte. In ihren Gedanken haderte sie still mit der vernünftigen Stimme in sich, die stets wie die ihrer Großmutter klang. Andererseits musste sie auch an den letzten Kunden ihrer Oma denken, der Mann in dem silbernen Mantel mit dem glühenden Blick, und damit war es entschieden.

„Sag mir wenigstens, wie du heißt, bevor wir aufbrechen“, ergab sie sich in ihr Schicksal. „Ich will wissen, mit wem ich heute sterbe.“

Der Gnom war zu perplex, um zu fragen, was genau sie damit sagen wollte, und stotterte: „M...Maljosh. Man nennt mich Maljosh.“

„Schön“, nickte Zitara, „sehr schön. Dann lass uns gehen, Maljosh. Ich hoffe, du hast genug Fläschchen dabei, falls Ambros wieder zu husten anfängt.“

„Hab ich. Aber sag, wo gehen wir denn hin?“

Zitara deutete aus dem Fenster. „Dahin. Zum Gipfel der brennenden Vorsehung, in die Grotte der tausend Wunder.“



Die sieben Zutaten der Macht



Mit dem immer rascher zunehmenden Licht der Morgensonne brachen Zitara und Maljosh also auf. Letzterer hatte dabei die erbärmlich kränkliche Gestalt des Hamsters in einem Tragetuch vor seiner Brust festgezurrt. Kurz hatte er überlegt, ihn lieber in der Hütte der Zwergin in Sicherheit zurückzulassen, doch gegen das Argument, dass sie im diesem Fall niemals alle Teile seiner Seele zu fassen bekamen, um sie bei der geringen Aussicht auf Erfolg dann doch wieder herstellen zu können, hatte er nichts zu erwidern gewusst. Zitara schien sich ihrer Sache außerdem verdammt sicher zu sein, und darum beschloss Maljosh einfach, ihr zu vertrauen.

Die Zwergin selbst hatte sich eilig mit dem Nötigsten ausgestattet, was sie für eine solche Expedition brauchten: ein langes Seil, ein paar feste Schnürstiefel, die mit ihrem bunten Wickelgewand zusammen sehr martialisch wirkten, ein paar simple aber wirkungsvolle Runen für allerlei Zwecke und natürlich ihre Tranktasche. Maljosh schielte seit dem ersten Schritt aus der Tür immer wieder neugierig auf den grünen Beutel, in den sie das alles wildwütig hineingeworfen hatte. Die Zwergin behielt ihn und vor allem seine Finger allerdings genau im Auge. Den neuen Märkten durfte man nicht einmal vertrauen, wenn man mit ihnen Geschäfte machte.

Der Weg vor Zitaras windschiefer Hütte führte sie zunächst eine gute halbe Stunde durch das raue Ödland der Vorgebirge von Leebanich, die als einer der trostlosesten Orte in ganz Dramurien und damit folglich auch den sieben Königreichen galten. Der Gipfel der brennenden Vorsehung überragte die Szene dabei wie ein düsteres Omen, das von der Unausweichlichkeit ihres Verderbens kündete. Nach der ersten Meile begann Zitara ein fröhliches Lied zu summen, das sie erst unterbrach, als sie schließlich an eine tiefe Schlucht gelangten. Über deren Kanten pfiff ein eisiger Wind und trug den Geruch von Feuer mit sich.

„Da müssen wir durch, bis zum Abgrund ohne Namen und dann sind wir auch schon da“, erläuterte die Zwergin seltsam gut gelaunt.

Maljoshs Blick fiel auf einen großen, hölzernen Wegweiser am Rand, von wo es anschließend über einen steinigen Geröllhang abwärts ging. Ein Totenkopf prangte mitten darauf und in elfischen Runen war 'Fremder, der du unglücklichen Fußes diesen Weg gefunden, kehre um!' zu lesen. Mit rostbrauner Farbe, - oder vielleicht auch Blut -, hatte jemand in Gemeinschrift geschrieben: '!!!Todesgefahr. Ab diesem Punkt ist mit Ghulen, Wyvern, Weltumschlingern, Drachen und anderem Gesocks zu rechnen!!!'

Maljoshs Gesicht verzog sich. Er starrte Zitara einen Augenblick lang an, doch die schien gar nicht auf den Wegweiser zu achten und hatte schon mit dem Abstieg begonnen. „Kommst du? Oder willst du da Wurzeln schlagen?“, fragte sie von unten herauf.

„Hast du nicht gelesen, was da steht?“, gab der Gnom entsetzt zurück und rührte sich keinen fußbreit.

„Ich weiß, was da steht. Ich hab‘s geschrieben. Diesen Elfenquatsch versteht doch sonst keiner“, erwiderte sie immer leiser werdend. So langsam geriet sie außer Hörweite, und weil Maljosh nicht schreien wollte, kletterte er ihr nun doch hastig hinterher.

„Wie jetzt, du hast das geschrieben? Sag bloß, du warst schon mal dort?“

„Ständig“, entgegenete Zitara, ohne sich dabei um-zublicken. Das Schweigen, das auf diese Aussage folgte, sprach allerdings für sich, und so setzte sie erklärend hinzu: „Was glaubst du eigentlich, warum meine Oma sich vor einhundertsechsundachtzig Jahren hier niedergelassen hatte? Weil‘s so ne nette Gegend ist? Weil man hier so viel unternehmen kann? Wohl kaum. Dramurien ist so ungefähr der toteste Winkel in den sieben Königreichen. Das ist allgemein bekannt. Das einzige, was es hier gibt, ist die Grotte.“

„Ja, aber das ist doch eigentlich nur was für Verrückte und lebensmüde Möchtegern-Helden, die glauben, sie könnten zu Ruhm und Reichtum gelangen.“

„Nicht, wenn man weiß, wie die Grotte der tausend Wunder funktioniert.“ Jetzt blieb sie kurz stehen, sah ihn an, - wieder stellte sie dabei fest, dass sie und er in etwa gleich groß waren, was sie ungeheuer wurmte -, und tat mit unverkennbarem Stolz in der Stimme kund: „Es ist ganz einfach, wenn man Peregreins Gesetz der Berechenbarkeit nicht nur auf Tränke und magische Formeln anwendet, sondern auf prinzipiell alles um uns herum. Seine These besagt, dass Tränke konzentrisch und in der aufsteigenden Macht ihrer Wirksamkeit gebraut werden sollten. Sprich, hast du einen Stufe eins Liebeshex, einen Blindwurmbann und einen Klasse sieben Fluch an einem Tag zu vollbringen, dann fang mit dem geringsten an und nicht einfach in beliebiger Reihenfolge.“

Maljosh klappte der Mund auf, doch Zitara war nun ganz in ihrem Element und holte zwischen den einzelnen Sätzen kaum mehr Luft. „Wenn du nun von diesem Gesetz ausgehend dir einmal unsere Welt betrachtest, dann wirst du feststellen, dass in der Mitte der sieben Königreiche Septana liegt. Das Leben da ist sicher und einfach. Je weiter man sich allerdings zu den Rändern wagt, umso unwirtlicher und beschwerlicher und damit auch gefährlicher wird es. Ich habe mal auf einer Karte versucht, Zonen einzuteilen. Demnach befinden wir uns hier in Zone sechs. Also maximale Gefahr.“

„Aha“, kommentierte Maljosh und trottete ergeben hinter Zitara her, „und was ist dann Zone sieben?“ - Er ging einfach mal davon aus, dass es eine siebte geben musste, denn alles in den Königreichen wurde immer in sieben Teile geteilt. -

„Die beginnt jenseits der bekannten Grenzen. Ich habe sie 'sicherer Tod' genannt.“ Maljosh schluckte. Zitara plapperte fröhlich weiter. „So, und nun nimm dieses Wissen, und dann überleg‘ dir, was es für die Grotte bedeuten könnte.“

Maljosh dachte angestrengt nach, doch irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, worauf Zitara hinauswollte. „Kein Plan“, gab er schließlich zu.

Zitara grinste selbstzufrieden. „Na, nach dieser Annahme könnte es fast mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit bedeuten, dass du auch sieben Teile, Systeme oder Ebenen oder was auch immer in der Grotte finden wirst. Ein paar Lurker und Schlammmolche, Ratten, Kobolde und anderes Kroppzeugs in der ersten davon. Gefahren eben, mit denen man fertig wird, wenn man sich nicht ganz ungeschickt anstellt. Doch je tiefer man gelangt, umso schlimmer wird es. Von Zombies und Ghulen bis runter zu Wyvern, Padonkins, Rischken und vielleicht auch echten Drachen. Also muss man im Prinzip nur wissen, in welche Stufe man sich selbst einteilen sollte und wo welche Zone beginnt, und schwuppdiwupp kann man sich gefahrlos in der Grotte bewegen“

„Und warum sollte man das wollen?“

Sie hatten nun den Grund der Schlucht erreicht und konnten den gewundenen Pfad entlang blicken, der in einer Hängebrücke über einem Abgrund mündete. Dahinter klaffte eine große, schwarze Finsternis auf wie das Maul einer Bestie, die nur auf neue Opfer wartete.

„Ach Dummerchen!“, schüttelte Zitara ungläubig den Kopf und stapfte weiterhin ungebremst auf die Hängebrücke und ihren unausweichlich scheinenden Tod dahinter zu. „Man kann nirgends so billig an magische Zutaten kommen wie da unten. Weißt du, was ich auf dem Markt für ein paar Wandleraugen oder eine Draugenzunge bezahle?“

Da Maljosh nicht einmal wusste, was genau ein Drauge überhaupt sein sollte, verkniff er sich jede Erwiderung und beeilte sich, mit Zitara Schritt zu halten. Als sie gemeinsam nun die Hängebrücke erreichten, blies der Wind unvermittelt heftiger auf und ließ die Bretter unheilvoll über dem Abgrund hin und her schaukeln.

„Pass auf“, warnte Zitara Maljosh vor, „einige der Planken sind schon recht alt und morsch. Ich habe sie mit roter Erde markiert, doch der Regen wäscht sie immer wieder ab. Also halt dich am besten gut am Seil fest. Ach ja, nicht nach unten schauen.“

Maljosh nickte. Doch wie man eben sofort an einen rosagepunkteten Wasserspeier denken musste, wenn jemand sagte 'denk nicht dran', konnte er der Versuchung nicht widerstehen und blickte in die Tiefe.

Benommen taumelte er zwei Schritte zurück. Leere war dort unten auszumachen; nichts als gähnende Leere, die sich in der Dunkelheit verlor. Genau wie das schwarze Loch da vor ihnen auf der anderen Seite der Brücke.

Sein Magen drehte sich einmal um sich selbst. Sterne tanzten vor seinen Augen. Warum, dachte er sich. Warum hatte er sich darauf nur eingelassen?

Aus dem Beutel vor seiner Brust erklang da aber ein dünnes Keuchen und erinnerte ihn daran, was Ambros für ihn riskiert hatte in jener Nacht. Nein, riss er sich zusammen. Er konnte seinen einzigen Freund nicht einfach so im Stich lassen. Wenn Ambros gesund werden und seine Fähigkeiten zurückerlangen würde, vielleicht hatten sie dann ja doch noch einmal die Chance sich an Roxxors Tresor zu versuchen.

„He!“, drang es da an sein Ohr. „Nicht träumen. Weitergehen. Und zwar flott. Wenn du zu lange stehen bleibst oder zu laut trampelst, dann werden die Felsenbeißer auf dich aufmerksam.“

„Felsenbeißer?“

Zitara schlug sich die Hand vor den Kopf. Wo hatte dieser Gnom eigentlich bisher sein Leben verbracht? In einer Werkstatt in den blauen Bergen? Konnte eigentlich nicht sein; - nicht wenn er tatsächlich den neuen Märkten angehörte.

„Das sind lästige Biestchen“, erklärte sie neunmalklug. „Nicht gefährlich. Aber es tut weh, wenn sie sich dir an die Wade hängen. Die Blutergüsse wirst du monatelang nicht los. Nicht mal mit Omas Trauma-Spezial.“

Maljosh nickte wieder. Mit jedem Wort, das sie sagte, kam er sich dümmer vor. Doch für Ambros würde er alles wagen. Für Ambros und die winzige, kaum vorhandene Wahrscheinlichkeit, doch noch seine Familienehre wiederherstellen zu können.

Bevor seine Gedanken nun allerdings wieder zu jenem schrecklichen Abend wanderten, der mit ihm als zitterndem Bündel im Schlamm am Fuß der Klippe von Roxxor-Mannor geendet hatte, den keuchenden, blau angelaufenen Ambros in den Händen, zog Zitara ihn energisch vom letzten Brett der Brücke runter und stieß ihn in den weit geöffneten Schlund der Grotte.

Für Sekunden war es um Maljosh herum nun so stockfinster, dass er die Hände vor Augen nicht sehen konnte. Unbeholfen wie ein Kind tastete er um sich und traf Zitara im Gesicht. „He, pass doch auf!“, rief sie. Es gab ein polterndes Geräusch. „Na toll, das waren die Fackel und der Feuerstein. Prima!“ Maljosh zuckte entschuldigend mit den Schultern, was Zitara natürlich nicht sehen konnte. Er bückte sich nach vorn, um nach den Sachen zu suchen. Sie hatte leider genau die gleiche Intension verfolgt. Ihre Köpfe stießen laut rappelnd aneinander. „Au!“, schrien sie gleichzeitig auf und das Echo ihrer Stimmen halte den Gang hinab. „Hast du zwei linke Körperhälften oder wie?“, begann Zitara zänkisch. Maljosh wollte etwas sagen, bewegte sich in ihre Richtung doch sie zischte ihn augenblicklich böse an. „Halt! Stopp! Aus! Sitz! Was auch immer du gerade zu tun, zu sagen oder zu denken vorhast, lass es einfach! Augenblicklich. Beweg dich nicht. Rede nicht. Am besten hältst du die Luft an, bis ich die Fackel gefunden und angemacht habe.“

Der Gnom tat wie geheißen, und Zitara kroch auf Knien über den felsigen Boden, bis sie endlich ihre Lichtquelle in die Finger bekam. Mit geübten Griffen ließ sie den Stein Funken schlagen und der warme, rötliche Schein ergoss sich in den dunklen Tunnel vor ihnen. Maljosh holte einmal tief Luft. Seine Lippen waren schon blau geworden. Zitara sah ihn ungläubig an.

„Du hast nicht wirklich … ?“

„Du hast doch gesagt, ich soll nicht atmen.“

Sie rollte mit den Augen. „Folge mir. Und tu nichts. Fass nichts an. Sei mein Schatten. Nein, sei unauffälliger als mein Schatten. Das solltest du doch können.“ Maljosh nickte und sie stiegen über den unebenen, grob gehauenen Stein hinab in die Dunkelheit.

Für eine ganze Weile führte der Gang in sanften Windungen und Kurven stetig abwärts. Maljosh trottete gemächlich hinter Zitara her, die ihn gar nicht erst auffordern musste, einen gewissen Abstand einzuhalten. Er verkniff sich dabei auch jedwede Bemerkung über die auffälligen Kratzmarken in den Granitwänden, die auf den einen oder anderen Bewohner der Grotte schließen ließen. Nur bei einer sehr langen, sehr tiefen Narbe im Fels konnte der Gnom nicht an sich halten und musste Zitara einfach darauf hinweisen.

„Risse im Felsen kommen öfter vor“, gab sie entnervt zurück und wollte fragen, ob er denn noch nie in einem Berg gewesen war, doch Maljosh unterbrach sie.

Ein Riss, meine liebe Zitara, mag ja angehen. Einen so tiefen Riss lass ich auch noch gelten. Doch erstens ist er nicht in Bewegungsrichtung der Platten, aus denen sich das Gebirge hier einst aufgefaltet hat. Und zweitens, - leuchte mal da hin.“

Als sie ihn mit offenem Mund nur anstarrte und seiner Aufforderung nicht nachkam, drückte er gegen die Hand, mit der sie die Fackel trug, und der helle Schein fiel auf die Stelle unterhalb des Risses. Parallel dazu war ein zweiter, genau gleicher solcher Riss. Maljosh zog an ihrem Arm. Wütend stieß sie ihn fort, doch folgte ihre Bewegung der angedeuteten Richtung. Und ja, auch oberhalb zog sich eine tiefe Furche durch das Gestein. Zitara schluckte. Maljosh brauchte es fast nicht mehr in Worte fassen. „Ein Drache“, platzte es dennoch aus ihm heraus.

Zitara nickte, wollte etwas erwidern, war aber für den Moment gelähmt vor Schreck. Wie hatte ihr in all den Jahren das hier entgehen können? Hatte sie sich Nachlässigkeiten erlaubt, weil dieser Teil des Berges ja nur zu den Koboldhöhlen gehörte und darum keiner weiteren Aufmerksamkeit bedurfte? Nach einer Weile ging ihr auch auf, dass es selbst ihrer Oma nicht aufgefallen war, sonst hätte sie es ihr gezeigt. Zinora Zaylandra hatte ihr immer alles gezeigt. Das erste Mal bei all ihren Ausflügen in die Grotte überkam Zitara ein Gefühl, das sie vor vielen Jahren schon überwunden zu haben glaubte und das einer Voodoo-Zwergin nicht zustand. Eine Hexe ihres Schlages kannte keine Furcht.

Dann aber fasste sie sich wieder. Sie schüttete den Kopf und setzte eine versteinerte Miene auf. Sie war schließlich nicht zum ersten Mal hier, und so gesehen war das ja nur die Bestätigung der Gerüchte, die sich schon immer um den Berg gerankt hatten. Obwohl sie bisher wirklich niemals Spuren für die Existenz eines echten Drachen gefunden hatte.

„Ja, das stand doch auf meinem Schild schon drauf“, überspielte sie patzig ihrer kurzzeitige Verwirrung und Maljoshs Mund klappte augenblicklich wieder zu. „Ich bin durchaus schon öfter hier gewesen, und was glaubst du wohl, werden wir als eine der letzten und mächtigsten Zutaten für den Wundertrank für deinen Ambros brauchen?“

Maljosh schüttelte den Kopf und trottete ihr wieder folgsam hinterher.

„Drachenschuppen, Dummerchen. Sie gehören zu den sieben Zutaten der Macht. Zum Teil völlig harmlos, unmagisch und nicht zu verwenden. Gemeinsam aber mit Gold und Diamanten nicht aufzuwiegen. Aber lass uns mal lieber beten, dass es reicht, wenn wir auf Ebene vier ein paar Dragonkins ihre giftgrünen Brustschüppchen ausreißen, denn dem Exemplar, das diese Krater in die Wand geschlagen hat, sollten wir tunlichst nicht begegnen.“

„Ist ohnehin unwahrscheinlich. Die Spuren sind sehr verwittert. Der Drache wird also nicht erst kürzlich hier lang sein. Ich wollte dich ja nur darauf hinweisen, ...“ „Danke, spar‘ dir in Zukunft deine Spucke dafür“, unterband Zitara jede weitere Bemerkung in dieser Richtung.

Damit bogen sie um eine Ecke und der Gang vor ihnen teilte sich und verlor sich in einem Gewirr aus weiteren Gängen, von denen keiner irgendwie besonders aussah. Maljosh rümpfte die knollige Nase. Es roch aus jeder Richtung eindeutig nach Kobolddreck. Er konnte nur hoffen, dass die Zwergin sich so gut auskannte, wie sie behauptete, da trat Zitara schon an eine der Felswände heran und mit dem nächsten Schritt war sie weg.

„He?“, rief Maljosh willkürlich in die Gänge hinein. Schon machte er Anstalten einer beliebigen Windung in die nun völlige Dunkelheit zu folgen, in der selbst er mit seinen Gnomenaugen nur wenige Umrisse erahnen konnte, da tauchte schräg hinter ihm der Fackelschein wieder auf. Im selbigen stand Zitara und schüttelte den Kopf.

„Du bist dir sicher, dass du in den neuen Märkten arbeitest?“ Mehr sagte sie nicht, bevor sie ihn hinter einem Vorsprung um eine zweihundertundzehn Grad Kurve schleifte, wo ein schmaler Pfad tiefer nach unten führte.

„Die meisten Anfänger übersehen diesen Gang und irren manchmal tagelang durch die Koboldhöhlen. Dann erschlagen sie ein paar Schlammkrabben und Lurker, finden ein paar Kupfer und manchmal eine Silbermünze und fühlen sich wie echte Abenteurer.“

Am Tonfall in der Zwergenstimme konnte Maljosh sehr genau ausmachen, dass die Voodoohexe eben das auch von ihm dachte. Aber mal ernsthaft, sie hatte gesagt, er sollte ihr folgen. Eigeninitiative schien nicht gewünscht. Somit fühlte er sich auch kein bisschen schlecht, dass er den gut getarnten Abgang nicht direkt gesehen hatte. Er hatte nicht nach einem gesucht.

„Das hier ist schon Ebene zwei“, fuhr Zitara derweil mit ihren Belehrungen fort. Dabei war es für Maljosh kein Problem zu erkennen, dass sie sich nun in einem ganz anderen Teil des Berges befinden mussten. Es war hier unten nicht mehr dunkel. Bläulich schimmernde Flämmchen an den Wänden tauchten ihre Umgebung in ein gespenstisches Licht. Die Zwergin packte die Fackel vorerst weg, legte den Finger an die Lippen und bedeutete Maljosh von hier ab vorsichtiger zu sein. Sie selbst tastete sich mit Zehen und Fingerspitzen weiter vor.

Maljosh dachte an ihren Vortrag über Peregreins Gesetz der Berechenbarkeit und kam zu dem Schluss, dass er sie ruhig noch eine Weile vorauslaufen lassen konnte. Das tat Zitara auch mit der zwergischen Selbstverständlichkeit, mit der sich ihr Volk den Schoß der Erde einst zu eigen gemacht hatte. Dabei leuchtete sie immer wieder nach links und rechts und schien an den Kreuzungen in völlig willkürlicher Reihenfolge ihren nächsten Weg zu bestimmen.

„Was genau brauchen wir eigentlich alles?“, wagte der Gnom sich schließlich zu fragen, nachdem sie hinter den drei folgenden Abzweigungen nichts als weitere endlose Gänge und noch mehr blaue Flämmchen gefunden hatten.

Zitara wollte einmal mehr genervt herumfahren, weil die Antwort auf seine selten dämliche Frage für sie schon seit ihrem Gespräch in der Hütte auf der Hand lag. Im letzten Moment überlegte sie es sich allerdings anders. Der Gnom schien wirklich keinen Schimmer von den Gesetzen der Magie zu haben und es machte durchaus Sinn, wenn sie ihn einweihte.

„Ihr habt versucht etwas vom Roxxor-Anwesen zu stehlen. Da ist allgemein bekannt, dass der alte Rangun seine Sicherheitsvorkehrungen keinem Fremden überlässt. Also gehst du richtig aus, wenn du denkst, dass der Bann, in den dein Haustierchen gestolpert ist, von ihm höchstselbst gewirkt wurde. Das wiederum bedeutet, dass Ambros einen der mächtigst möglichen Zauber in allen sieben Königreichen abbekommen hat. Und damit brauchen wir die sieben Zutaten der Macht.“

„Zutaten der Macht?“

Zitaras Hand zuckte in Richtung ihrer Stirn. Hatte sie das nicht eingangs schon erwähnt? Sie unterließ es aber, sich theatralisch vor den Kopf zu hauen. Das war dieser ignorante Weltfremdling hier nicht wert. Stattdessen erklärte sie betont geduldig: „Sieben Städte, sieben Königreiche, sieben Götter, sieben Türme am Palast der Ewigkeit. Jeder davon steht für einen Ring der Macht. Auch die Monster, das habe ich dir ja schon erklärt, lassen sich in diese Kategorien oder Machtkreise einteilen. Und für jeden dieser Machtkreise gibt es einen Vertreter, der quasi das Urbild dieses Kreises ist.

Unser kleinstes Problem, da du genug davon an dir trägst, ist Koboldhaar für den ersten Kreis der Macht.“

„Koboldhaar?!“, entrüstete sich Maljosh und richtete sich zu seiner vollen Größe von einer ganzen dreiviertel Kalibre auf, die ihn unter Gnomen zu einem wahren Riesen machte.

Zitara schien das weniger zu imponieren. Sie leuchtete mit der Fackel in einen weiteren Gang, der nach Sackgasse aussah, und drehte sich dann an Maljosh vorbei, um die andere Abzweigung zu nehmen.

„Ich weiß schon, dass ihr Gnome das nicht gerne hört. Doch hat es bisher in all meinen Tränken immer geklappt, weswegen die Bauernweisheiten stimmen müssen und ...“

„Gar nichts stimmt! Wir haben mit diesem stinkenden Kroppzeugs nichts zu schaffen!“

Wie ein garstiges Kind stampfte Maljosh auf diese Behauptung hin mit dem Fuß auf, und ein paar Stalaktiten lösten sich von der niedrigen Decke und knallten ihnen vor die Füße. Er wollte noch weiter zetern, da hörten sie in der Ferne der Gänge ein Poltern und Rasseln und Zitara hielt in ihrer Bewegung inne und wirkte für einen ganz kurzen Moment ernsthaft besorgt.

„Na super“, fiel sie aber schnell wieder zurück in ihre gewohnte Überheblichkeit, „ich habe vor dem Fallenlabyrinth noch nie Probleme bekommen, aber mit dir ist das ja ein großes Vergnügen. Hast du zufällig eine Aura des Unglücks abbekommen, als du noch klein warst?“

Sie zerrte ihn am Ärmel hastig weiter, übersprang zielsicher die Auslöseplatten zweier Sprengsteine, die so geschickt getarnt waren, dass selbst Maljosh sie erst im letzten Moment wahrnahm, und rannte dann um drei weitere Ecken.

Hier teilte sich der Weg in insgesamt fünf Richtungen und Zitara musste in jeden Gang ein paar Kalibren weit gehen, bis sie entschied, welchem davon sie folgen würden. Bevor sie allerdings mit selbstzufriedenem Nicken vorausgehen konnte, zog Maljosh sie am Trageriemen ihrer Tasche zurück. Unter zischendem Protest schob er sie wieder auf die Kreuzung und fummelte selbst an einem Überhang, bis man ein leises Klicken vernahm.

Zitara zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Oh!“, war alles, was sie hervorbrachte, als der Gnom ihr das Gestell mit dem Giftpfeil unter die Nase hielt, das wirklich exorbitant gut getarnt in der Wand gesteckt hatte.

„Ich dachte, du warst schon mal hier. Solltest du da den Weg nicht auswendig kennen? Und warum hast du das ganze Gerümpel hier nicht schon längst entsichert?“

„So einfach ist das nicht“, fauchte Zitara und leuchtete nun deutlich vorsichtiger in den Gang hinein. „Willst du vorgehen?“, fragte sie schließlich, ohne Maljosh dabei anzusehen.

Triumphierend drücke der Gnom sich an Zitara vorbei, knackte selbstbewusst mit den Knöcheln und wechselte unauffällig die einfache Schließe seines Umhang in eine, die ein Falkenauge stilisierte.

So schlichen sie eine Weile weiter durch die Gänge. Der Gnom versicherte sich dabei mit einem steten Blick zurück, dass er richtig lief, und Zitara überließ es seinen fachkundigen Fingern, mit den Drähten, Schnüren und Schaltern der Pfeil-, Gift- und Sprengfallen des Labyrinthes fertig zu werden. Das Poltern und Stöhnen hatte sich ihnen dabei allerdings doch ein gutes Stück genähert und hin und wieder konnte sie in den entfernten Gängen ein Surren, Klacken oder gar den Laut einer Explosion vernehmen.

„Ghule“, kommentierte Zitara Maljoshs wiederholt fragenden Blick. „Sie leben in den Kammern am Ende der Sackgassen. Wenn du unvorsichtig bist und dich in eine solche hinein manövriert, bist du geliefert. Einzeln sind die nicht so schlimm und zerfallen zu Staub, wenn du sie nur mit einem Küchenmesser an der richtigen Stelle piekst. Aber das Problem ist -“

„Dass sie meist nicht einzeln auftauchen?“, beendete Maljosh ihren Satz.

„Exakt“, nickte sie. „Um aber nochmal zur Liste zurückzukommen, einen Tropfen ihrer Spucke brauchen wir auch“, fing sie an, da hob Maljosh die Hand.

„Einen Augenblick“, bat er und nestelte eifrig an seiner Tasche herum, dann zog er einen kleinen Notizblock hervor.

„Ernsthaft jetzt?“, fragte Zitara und ihre grünen Zöpfe, die im blauen Licht eher kränklich als giftig wirkten, begannen ungehalten zu wippen.

Maljosh ließ sich von ihrer brüsken Art jedoch immer weniger einschüchtern und schrieb mit filigraner Handschrift auf den Zettel: Koboldhaar. Sofort entriss Zitara ihm den Stift, zog gleichzeitig mit der anderen Hand eine Locke aus seinem Hinterkopf und strich das Wort direkt durch.

„Au!“, empörte sich Maljosh, doch Zitara ignorierte ihn geflissentlich. Stattdessen nahm sie die Grundmixtur des Heiltranks von ihrem Gürtel, entkorkte die Flasche und ließ Maljoshs Haare hineinfallen. Das Gebräu begann zu blubbern und wechselte von Giftgrün auf Blau mit grauen Schlieren darin, ganz wie die Haare des Gnoms.

„Siehst du?“, hielt Zitara ihm die Flasche unter die Nase. „Es funktioniert. Womit bewiesen sein dürfte, dass ihr Gnome Koboldblut in euch tragt.“

„Ich halte das auch weiterhin für eine noch zu untermauernde These. Aber lass uns nicht streiten. Hauptsache das, was du da zusammenrührst, wirkt am Ende auch. Was brauchen wir noch?“

„Den Zahn eines Trolls für den dritten Kreis der Macht. Haare vom Schwanz einer Chimäre für den vierten. Die Essenz eines Golems, was schon schwierig werden dürfte. Und dann natürlich die Schuppe eines Drachen und zu guter Letzt Staub vom Sarg eines Nosferatu.“

Das Kritzeln von Maljoshs Stift endete fast zeitgleich mit Zitaras Aufzählung. „Staub vom Sarg einer … wie bitte?“

Er sah sie entsetzt an. Von den blutrünstigen und überaus schlauen Gestaltwandlern gab es noch weniger Legenden als von den großen Drachen. Viele Gelehrte der siebenfaltigen Universität stellten die Existenz dieser halbgottartigen Geschöpfe sogar ganz infrage und führten sämtliche Geschichten über sie auf einen Blutkult im ersten Jahrtausend zurück, der einer imaginären verdammten Königin gehuldigt hatte, von den Rittern des Tempels der Sieben aber zerschlagen worden war. Der Kloß in seinem Hals, der sich augenblicklich bildete, ließ sich nicht herunterschlucken.

„Glaubst du denn, dass wir so was hier unten finden werden?“, sprach er seine Sorge schließlich aus.

Zitara zuckte mit den Achseln, wandte aber ihr Gesicht ab. Ihre nächsten Worte nuschelte sie ein wenig, als ob sie sich dessen nicht so ganz sicher war, oder vielleicht auch, als ob sie etwas verbarg.

„Möglich. Auf der sechsten und siebten Ebene bin ich noch nie gewesen. Immer nur bis zum Beginn der fünften. Allerdings ist das die allerletzte Zutat. Ich habe ja schon gesagt, dass sie in fester Reihenfolge zugefügt werden müssen. Von jeder so entstehenden Mischung muss dein Ambros jedesmal einen Schluck zu einem genau definierten Zeitpunkt trinken und es wird ein Teil des Fluchs aufgehoben werden. Erst wenn erneut Verschlechterungen eintreten, ist es Zeit, den Trank mit der nächsten Zutat zu potenzieren und den nächsten Therapiezyklus zu starten.“

„Das klingt ja nach Ewigkeiten“, stöhnte Maljosh auf. „Ich habe nie gesagt, dass es schnell geht, und du hast nicht gefragt“, wimmelte Zitara jede weitere Beschwerde ab und kam zum eigentlichen Punkt: „Der Vorteil für uns ist, dass, selbst wenn wir heute den Sargstaub noch nicht finden, wir vermutlich noch ein wenig Zeit haben, uns anderweitig danach umzutun. Obwohl ...“

„Obwohl was?“

„Naja, meine Oma war stets streng dagegen, beim Annehmen eines Auftrags auf Zeit zu pokern. Sie sagte immer: ‚Sieh zu dass du alles zusammen hast und dann erst fang an.‘ Die Voodoohexen sind nicht ohne Grund eine der zuverlässigsten Branchen mit der höchsten jemals bewerteten Kundenzufriedenheitsquote in den ganzen Königreichen.“

Maljosh ließ diese Ausführungen unkommentiert. Was hätte er dem auch entgegenbringen sollen? Außer, dass er Zitaras Namen nicht aus dem einschlägigen Branchenbuch hatte. Aber das mochte seine Gründe haben.

Seine Augen huschten noch einmal über die Liste.

„Der Rest müsste dann aber ja machbar sein … außer … Was genau ist die Essenz eines Golems?“

„Das kommt immer auf den Golem an. Ist er aus Stein, dann ist es eine Druse geronnen aus überschüssigen magischen Energien, die bei jedem Zauberprozess anfallen. Sie wird ihm als Herz eingesetzt. Ist er aus Wasser, ist es der erste Tropfen einer Quelle. Und so weiter. Man kann diese Dinge aber nicht vom Golem entfernen, ohne ihn zu töten.“

„Oh.“

„Du sagst es. Aber wenn die Gerüchte stimmen, gibt es unten irgendwo in der fünften Zone eine Art Laboratorium. Ich weiß nicht, wer es betreibt. Ich weiß nur, irgendwer muss hier alles in Schuss halten, denn das Labyrinth ändert sich jedesmal, wenn ich hier bin, und entschärfte Fallen werden stets wieder nachgeladen. Dort könnte man sowas also vielleicht finden bevor es zu einem Golem verarbeitet wird.“

Maljosh bekam große Augen. Er musste schlucken, wollte etwas sagen, doch das Poltern und die ächzenden Laute der Ghule kamen immer näher.

„Na, dann machen wir uns mal daran, die nächste Zutat zu holen.“ Allen Mut zusammennehmend, drehte er auf dem Absatz um und wandte sich in Richtung der schlurfenden Schritte, die keine zwei Wegbiegungen entfernt sein konnten.

Zitara hielt ihn zurück. „Warte!“, sagte sie energisch. „Ihnen einfach in die Arme zu laufen bringt uns vielleicht die Ghulspucke, die wir brauchen, nur dann haben wir die Brut den Rest des Weges am Hacken. Sie sind langsam, doch dafür lästig. Und glaub mir, den Gestank willst du nicht die ganze Zeit ertragen müssen.“

„Und was schlägst du stattdessen vor?“

Sie hatte aber schon ein Fläschchen mit einer grell rosa schimmernden Flüssigkeit von ihrem Gürtel genommen und wich ein Stück in den Gang zurück.

„Omas Trauma-Spezial“, erwiderte sie vergnügt und bedeutete ihm, hinter ihr in Deckung zu gehen. Maljosh wollte etwas sagen, doch Zitara ließ ihn nicht zu Wort kommen, holte Schwung und warf.

Die Flasche traf den oberen Torbogen des Durchgangs, hinter dem sich gerade das erste Stück verwesenden Fleisches hervorschieben wollte. Der Ghul sah sie aus seinen toten Augen an. Einen Moment schien es darin zu blinzeln. Die rosa Schmiere lief rechts und links neben ihm an der Wand herunter.

„Und jetzt lauf! Wir müssten es gleich geschafft haben.“

„Was haben wir gleich geschafft?“

Maljosh blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf das Wesen, das eine seltsame Mischung aus einem Skelett einem Zombie und einem Aasfresser war, Klauen und Fangzähne hatte, doch offensichtlich nicht gerade mit viel Intelligenz gesegnet war. Er konnte noch sehen, wie es sich von ihnen weg und langsam der Schmiere zu wandte, wie ein zweites unter dem Torbogen dazukam und es ihm nach tat, dann aber zerrte Zitara ihn mit aller Gewalt weiter, sprintete vor ihm den Gang entlang, an dessen Ende man plötzlich rötlichen Feuerschein statt blauer Flämmchen erahnen konnte, und sprang hinter einem großen abgebrochenen Stalagmiten in Sicherheit. Maljosh tat es ihr nach und hielt wie sie die Hände über den Kopf. Da folgte auch schon eine Detonation, die das ganze Labyrinth zum Erbeben brachte.

„Was war das denn?“, fragte Maljosh entsetzt, als sie sich aus ihrem Versteck wieder erhoben und er sich die Gesteinsbrocken aus dem Kragen fischte. „Ich dachte, das Zeug schmiert man auf Wunden und Verletzungen.“

Zitara nickte und ein flammendes Glühen war in ihren Blick getreten. „Ja, dafür kann man es auch verwenden“, eröffnete sie ihm freudig. „Doch durch einen witzigen Nebeneffekt explodiert es, wenn es mit untotem Fleisch in Berührung kommt, und die grelle rosa Farbe lenkt sie irgendwie immer ab.“

„Das glaube ich sofort“, sagte Maljosh, kontrollierte den Sitzt seines Gürtels und des Brustbeutels und streichelte Ambros kurz über den Kopf. Anschließend schloss er mit zwei schnellen Schritten zu Zitara auf, die schon wieder weitergegangen war.

„Hey, warte. Am Ende tappst du in irgendeine Falle rein“, rief er ihr nach, sah die grünen Zöpfe aber schon energisch hin und her wackeln.

„Hier nicht. Da vorn ist die Schänke. Dort können wir erstmal durchschnaufen.“



Teleportationsbomben und Fönzwerge



Maljosh hatte ja zunächst gedacht, er habe sich verhört. Zitara konnte nicht wirklich was von einer Schänke gesagt haben. Als sie allerdings die letzte Kurve des Gangs hinter sich ließen, um die Ecke bogen und direkt auf eine heimelig-kuschelige Wirtshausathmosphäre zusteuerten, rieb er sich ungläubig die Augen. Inmitten einer geräumigen Höhle prasselte ein gemütliches Feuer über dem mehrere Spieße brieten, von denen ein köstlicher Duft aufstieg. Um dieses Feuer herum waren aus dem blanken Felsen Tische, Bänke und Hocker gehauen worden, die so ungefähr zur Hälfte auch mit Gästen besetzt waren. Die Wände waren bedeckt mit Regalen der gleichen Bauweise und Krüge, Tontöpfe, Schüssel und Flacons in allen Größen und mit jedem nur vorstellbaren Inhalt befanden sich darauf.

„Guten Morgen, Tardoman“, rief Zitara fröhlich in die Runde und steuerte zielstrebig an den vielen bunten Gestalten vorbei auf einen Steintresen zu, hinter dem ein muskelbepacktes, hünenhaftes Wesen stand, das auch sogleich seinen Stierkopf in ihre Richtung drehte. Beim Anblick der Zwergin zog es die breiten Maulwinkel hoch und legte das Geschirrtuch und den Becher beiseite.

„Guten Morgen, Zit! Was führt dich denn schon so früh in meine bescheidene Hütte.“

Maljosh zwickte sich in den Arm und musste den Schrei, den er daraufhin ausstieß, direkt unterdrücken. Zitara und auch der Minotaurus ignorierten ihn.

„Kundschaft wie immer“, entgegenete sie beiläufig und deutete über ihre Schulter auf Maljosh, ohne ihn dabei anzusehen.

Der war weiterhin wie vor den Kopf gestoßen, dass er sich seit ungefähr zwei Stunden in der wohl gefährlichsten Grotte der sieben Königreiche befand, nun aber mitten in einem Gasthaus stand.

„Der sieht so aus, als habe er noch nicht viel von der Welt gesehen, und von der Grotte hat er keinen blassen Schimmer, was?“, bemerkte der Minotaurus abschätzig. Von Zitara kam kein Wort, doch da sie ihre Unterhaltung fortsetzten, ging Maljosh davon aus, dass sie genickt haben musste. Er selbst war viel zu perplex seine übliche Rede vom weltgewandten Mobilienakquisiteur zu geben, und versuchte stattdessen noch immer mit der Reizüberflutung dieser völlig unvermittelten Umgebung klarzukommen.

Mit einem gekonnten Satz schwang sich die Zwergin unterdessen auf den Hocker vor dem Koloss und die zwei begannen sich über Kudrun, Fleck und Donner zu unterhalten, und Maljosh kam, auch wenn er nur mit halbem Ohr hinhörte, recht bald dahinter, dass es sich bei den Namen um die Familie des Minotauren handeln musste. Ab diesem Punkt stiegen seine Ohren aus dem Gespräch gänzlich aus, denn ein sagenumwobener Stiermann als liebender Familienvater, der einem Minitauren beibrachte, wie man Zechpreller auf die Hörner spießte, lag definitiv jenseits seiner Vorstellungskraft.

Stattdessen ging er dazu über, zwei Zalamander zu belauschen, die sich ganz in ihrer Nähe über akrymantische Kunstobjekte unterhielten, von denen sie glaubten, dass sie in den Tiefen der Höhlen zu finden seien. Als der eine sich dabei vorsichtig über die Schulter umsah, und den neugierigen Blick des Gnomen traf, senkten sie die Stimmen allerdings noch weiter, sodass Maljosh deren Gespräch nicht mehr folgen konnten. Seine Augen begaben sich daraufhin wie von selbst auf Wanderschaft durch die restliche Schänke und er stellte fest, dass er noch nie eine solche Ansammlung an sonderbaren Gestalten auf einem Haufen gesehen hatte.

Nicht nur die äußerst seltenen Echsenwesen aus den jachmäischen Wüsten gab es hier gleich in mehreren Gruppen und Zusammenstellungen zu sehen, auch ein Trollote saß wie ein riesiger Felsen mitten im Raum. Seine graue Steinhaut verschmolz mit der Inneneinrichtung, doch seine zwei dümmlich dreinblickenden Köpfe konnten keinem entgehen. An einem anderen Tisch saß ein Kjashti, dessen Raubtiergesicht gähnend den Fang aufriss und seine blendenden Eckzähne entblößte, und in einer Ecke hatten ein paar Zwerge die Bärte zusammengesteckt. An den Gürteln unter der steinernen Tischplatte konnte der Gnom selbst auf die Entfernung die prallen Geldbörsen klimpern hören.

Davon war seine professionelle Neugier sogleich geweckt und er glitt von seinem Stuhl; leise und unauffällig. Nicht einmal Zitara und der Minotaurus schienen es zu bemerken. Wie ein Windhauch in den Schluchten der blauen Berge bewegte er sich danach zwischen den Tischen und Bänken entlang. Im Vorbeigehen konnte er so einen Blick auf das erhaschen, was sich außer den ledernen Beuteln voller Goldmünzen unter dem Tisch zwischen den Zwergen befand: Es war eine Karte, offensichtlich so etwas wie ein Lageplan der Höhlen, und ab und an tauchten zwei der bärtigen Gesichter ab und tuschelten unter der Steinplatte etwas miteinander.

An einem Tisch daneben saßen zwei weitere Zalamander, die im Gegensatz zu den anderen nicht in grüne Lederpanzer sondern rote Kapuzenumhänge gehüllt waren. Der eine hatte ein weißliches Schuppengesicht mit hellroten Augen, der andere ein schwarz-gelb geflecktes. Ihre zischelnde, kehlige Sprache, die eindeutig ein seltener Dialekt ihrer Volkszunge war und in keiner Weise dem melodischen Jachmäisch glich, war sehr unangenehm und Maljosh sah zu, dass er weiterkam. Er huschte an zwei Stuhlbeinen vorbei und drückte sich um eine weitere Tischkante, stets im Glauben unbemerkt zu sein, bis er plötzlich stolperte und der Länge nach hinfiel.

„Hoppala“, wurde sein Sturz von oben kommentiert und ein Gesicht mit rostrotem Haar und einem sehr gepflegten Kinn- und gezwirbeltem Oberlippenbart beugte sich zu ihm hinunter.

„Was macht Ihr denn so tief unten, Herr Gnom? Darf man Euch auf die Füße helfen?“, fragte einer der Zwerge mit schlecht gespielter Höflichkeit.

Ein Trupp Kobolde vom Nachbartisch bekam das mit, sprang sofort auf die Füße, was Maljosh mehr als peinlich war, doch schon erhoben sich auch die restlichen Zwerge und ein stummes Säbelrasseln mit Blicken begann. Bevor er allerdings etwas sagen oder auch nur die Hand ausschlagen konnte, die der feixende Zwerg ihm reichte, sprang bereits Zitara dazwischen.

„Keine Minute kann man dich aus den Augen lassen“, zischte sie, grinste aber zuckersüß den Zwerg an, der Maljosh das Bein gestellt hatte, und klimperte mit den grasgrünen Wimpern. „Ihr verzeiht, Bruder Zwerg, mein Begleiter ist ein wenig ungeschickt.“ Damit hob sie Maljosh auf die Füße, der sie so rasch wie möglich von sich schob. Ein Griff zum Brustbeutel. Mit Ambros war zum Glück alles okay. Er rollte die Ärmel hoch und machte sich bereit, dem dreisten Kerl vor sich eins auf die parfümierte Fönfrisur und den gezwirbelten Bart zu geben.

Zitara schien das aber wie unter zivilisierten Zwergen regeln zu wollen – nämlich durch völliges Ignorieren der offensichtlichen Provokation - und schob Maljosh wieder zurück in Richtung Tresen. Kaum waren sie da angekommen, ließ der Fönzwerg sich auch schon auf den Stuhl neben Zitara fallen, stützte die Ellbogen auf die Steinplatte und legte den Kopf auf die Hände. Maljosh fiel da erst auf, dass der Zwerg einen ganz schönen Buckel unter seinem Mantel hatte. Was aber rein gar keinen Einfluss auf sein Selbstbewusstsein zu haben schien.

„Nun sag mir doch mal, Schwester“, legte Fönfrisur volltönend los, „was macht ein patentes Mädel wie du denn mit solch nutzlosem Equipment“ - und bei diesem Wort galt sein Blick eindeutig Maljosh - „in diesem Berg?“

„Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, flötete Zitara ungeniert zurück und schielte dabei auf seine samtenen Hosen, das fesche Wildlederwams über dem Brokathemd, das im Kampf ziemlich unnützen Zier-Stilett am nieten-beschlagenen Gürtel und der Laute aus milwischem Wüstenkupferholz, widmete sich dann aber wieder dem Krug, den sie hatte stehen lassen, und schien darauf zu warten, dass der Schankwirt-Minotaurus zurückkam.

Maljosh kicherte verhalten in die Hand hinein. Ja, der Zwerg wirkte wirklich ein bisschen aufgedonnert und eher feminin; und das trotz Bart. Er wollte sich schon in das Gespräch einklinken und darauf hinweisen, dass er Zitaras Auftraggeber war und sie nicht wünschten, dass man sie belästigte, da kam ein heißeres Fauchen und Keuchen von unter seiner Rüstung. Maljosh vergaß seinen spitzen Kommentar, sprang augenblicklich auf und kreischte ohne jegliche Zurückhaltung durch die ganze Schänke „Nein!“

Zitaras Augen weiteten sich. „Mach hier nicht so einen Aufstand. Die warten doch alle nur auf einen Grund, sich gegenseitig zu filetieren“, wollte sie den Gnom noch warnen, doch es war schon zu spät. Wild mit den Armen um sich rudernd, zerrte Maljosh an seinem Gürtel, um eine der leeren Phiolen in die Finger zu bekommen, was aber wohl von den umstehenden und sitzenden Gästen als Geste eines versuchten Angriffs gewertet wurde. Sofort ging ein Brüllen, Kreischen, Schreien, Poltern, Zischen und Fauchen in allen Ecken der Wirtsstube los. Messer, Schwerter, Äxte und Zauberstäbe wurden gezückt und lagen im Anschlag.

Zitara kam nun nicht mehr umhin, sich mit der flachen Hand vor die Stirn zu hauen, stieg dann allerdings sofort geistesgegenwärtig auf die Theke und versuchte die Meute zu beschwichtigen. Ohne Erfolg. Keiner hörte ihr auch nur im Ansatz zu und Maljosh trat bei seiner Jagd nach dem Seelenfragment einem Kjashti auf den langen getigerten Schwanz. Damit setzte er die Prügelei in Gange.

Die eben noch schlaftrunkenen Tavernengäste, die sich auf ihren nächsten Tag in den Tiefen der Grotte hatten vorbereiten wollen, stachen, prügelten und zauberten aufeinander ein, dass kein Augen trocken, kein Knochen heile und kein Fleckchen Haut in seiner Originalfarbe blieb. Der Minotaurus-Wirt kam gerade zu einem Seiteneingang hinein und musste sich unter einer fliegenden Axt wegducken, da konnte Zitara, die an der Theke Deckung gesucht hatte, sehen, wie Maljosh im Begriff war, den Hammer eines Trolloten als Sprungbrett zu benutzen, um an das Streifchen Silberdunst zu gelangen, das unter der Decke gleich neben dem Kerzenleuchter schwebte.

„Ist der von Sinnen?“, wollte der piekfeine Zwerg wissen, der mitnichten in Angst und Panik verfiel, sondern die Pfauenfeder von seinem Seidenhütchen genommen hatte und auf einen Bogen Pergament eifrig am kritzeln war.

„Nein, aber offensichtlich du, Bruder“, sagte Zitara fassungslos und nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie ein Brandzauber aus dem Stab des Feuerzalamanders nur um Haaresbreite an Maljoshs Kopf vorbeiging. „Geh in Deckung oder kämpf, aber was du da machst ist lebensmüde!“

„Keine Sorge, Schwester, das ist mein täglich Brot. Wenn ich dir sage, wer ich bin, dann wird es dir wie Wyvernschuppen aus dem Reagenzglas fallen.“ Er zog dabei die Augenbrauen auf eine so merkwürdige Art und Weise hoch, dass es Zitara für übelkeiterregende fünf Sekunden ablenkte und sie beinahe einen der Kristalldolche abbekommen hätte, die aus dem Stab des zweiten Zalamanders in ihre Richtung geflogen kamen.

„Sag mal, flirtest du mit mir?“, entfuhr es ihr fassungslos, als sie den Kopf kurz hob, doch musste sie sich gleich im nächsten Augenblick wieder wegducken. Keine Sekunde zu spät, denn schon steckte vibrierend oberhalb ihres rechten Zopfes ein magisches Geschoss im steinernen Tresen. Fönzwerg machte ein belämmertes Gesicht, zog dann aber noch einmal die Augenbrauen hoch, vielleicht in der Hoffnung, es würde beim zweiten Versuch fruchten, lehnte sich zu Zitara rüber, ein Stück zu nah für ihren Geschmack, und meinte: „Was wäre denn, wenn es so wäre?“

„Dann kann dir vermutlich keiner in den sieben Königreichen mehr helfen. - Pass auf!“

Der Trollote bekam gerade einen riesigen Wutanfall, weil Maljosh ihm beim Haschen nach der Hamsterseele mit seinen Stiefeln mitten im linken Auge seines rechten Kopfes stand, riss einen der Stühle vom Boden hoch, die vermutlich ansonsten nur Tardoman bewegen konnte, und warf ihn voller Zorn in Richtung Theke.

„Doch nicht immer in die Flaschen mit dem Waldbrand-wein!“, schrie der Minotaurus und stapfte schnaufend los.

Was er dagegen unternahm, dass die ganze rauflustige und ausgeschlafene Abenteurerbande gerade seine Wirtschaft auseinandernahm, konnte Zitara nicht mehr sehen. In einem Anfall völliger Selbstlosigkeit hatte sie den Fönzwerg von seinem Hocker gerissen, damit der Granitsessel beim ihm nicht den Kopf vom Hals und gegen das Regal mit den Getränken kickte. Jetzt lag sie hinter der Theke auf dem Boden. Der Zwerg halb auf ihr. Er grinste. Sie nicht.

„Wenn du das mit deinen Augenbrauen noch einmal machst, dann scheuer ich dir eine“, stellte sie fest und wälzte sich unter ihm hervor. Anschließend fuhren ihre Finger prüfend über den Trankgürtel und die Tasche. Es schien noch alles da und heile zu sein. Erst danach tastete sie weiter Arme, Beine und den Kopf ab. Dabei blieb ein großes Büschel grüner Haare in ihrer Hand hängen. Zitaras Unterlippe begann zu beben.

„Hey Süße, gräm dich nicht. Du siehst auch mit kurzen Haaren noch zum Anbeißen ...“ - Wam! Zitaras Faust landete mit einem unschönen Schmatzen in dem Gesicht, das sich von hinten über ihre Schulter schob.

„Abstand, mein Freund. Abstand!“

Darauf kam keine Erwiderung, denn der Fönzwerg lag tatsächlich bewusstlos am Boden. Dabei hatte Zitara nicht einmal mit ganzer Kraft zugeschlagen. Mit triefendem Sarkasmus fügte sie noch hinzu: „Oh, wie schade, jetzt werde ich nie erfahren, wie du heißt und warum ausgerechnet das mich vom Hocker hauen sollte“, dann hob sie den Kopf über den Tresen, um zu schauen wie die Schlägerei im Rest der Kneipe sich so entwickelt hatte. Noch bevor sie allerdings die Lage einschätzen konnte, erfüllte ein ohrenbetäubendes Gejaule die ganze Höhle.

„Was ist denn …?“, setzte sie an, doch die Kreaturen um sie herum erstarrten allesamt. Hatten sich Kobolde und Zwerge eben noch auf dem Boden gerollt, bei dem Versuch, die anderen möglichst effektiv zu massakrieren, zogen sie sich nun gegenseitig auf die Füße und sahen mit entsetzten Blicken in Richtung des Ausgangs, der die Schleuse in die tieferen Teile der Grotte darstellte.

„Alles klar! Formation bitte! Ihr kennt das Prozedere!“, übertönte da von irgendwoher Tardomans Stimme die kleinhirnschmelzende Sirene.

Zitara sah aus den Augenwinkeln, wie er an ihr vorbei eilte, in ein Fach hinter der Theke griff, einen langen Gürtel daraus hervorzog, der mit großen Granaten bestückt war, und sich dann mitten in den Raum stellte. In dem Moment, als die anderen begannen, sich mehr oder weniger gesittet zu kleinen Grüppchen zu formieren, kam ein etwas angesengter Gnom um die Ecke gekrochen und schob sich zwischen Zitara und den bewusstlosen Fönzwerg.

„Was passiert da jetzt?“, wollte Maljosh wissen, doch Tardomans Stimme übertönte seine.

„Evakuierung, der Grotte in fünf “, dabei schmiss er die erste Granate in die Gruppe Zwerge.

„Ist der geisteskrank!“, schrie Maljosh auf. Zitara hielt ihn allerdings am Ärmel zurück.

„Bleib unten wenn …“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739418124
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juni)
Schlagworte
kleine Charaktere Drachengeschichten Zwerge Fantasy ungewöhnlich Humor Episch High Fantasy

Autor

  • Sylvia Rieß (Autor:in)

Sylvia Rieß wuchs im ländlich geprägten Mittelhessen auf. Mit dem Schreiben von Geschichten hat sie schon früh begonnen. Als vielseitig interessiertes Kind war es aber auch immer ihr Traum Tierärztin zu werden. An beiden Wünschen hielt sie fest. 2012 schloss sie das Studium der Veterinärmedizin ab und schon 2015 folgte die Veröffentlichung der Trilogie "Der Stern von Erui". Seitdem entstehen immer neue phantastische Welten in ihrem Kopf, während sie unterwegs zu ihren Patienten ist.
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Titel: Herr der sieben Königreiche: Tausend Wunder ... und ein Tropfen Ghulspucke