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Time to battle

Mafia Romance

von Charlene Vienne (Autor:in)
430 Seiten
Reihe: Time to Reihe, Band 2

Zusammenfassung

Die Vergangenheit hat Tom eingeholt und ihn wieder in seine Rolle als Tommaso gezwungen. Verstrickt in die Machenschaften seines Vaters ist er dessen Willkür hilflos ausgeliefert. Am Ende einer schicksalhaften Nacht muss er erkennen, dass die Weichen längst neu gestellt wurden. Der Kampf, der nun vor ihm liegt, fordert eine Entschlossenheit, die nur Tommaso Cosolino hervorrufen kann. Sich erneut völlig auf sein altes Ich einzulassen, birgt die Gefahr, sich endgültig zu verlieren. Trotzdem ist er bereit, alles zu geben - um das zu schützen, was er auf gar keinen Fall verlieren darf! Band zwei der Time to-Trilogie

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Time to battle – Time to-Reihe Band 2

© 2020/ Charlene Vienne

www.facebook.com/Charlene.Vienne.Autorin/

Alle Rechte vorbehalten!

 

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

 

Umschlaggestaltung

Charlene Vienne; Bilder: istock.com

 

Bildmaterial Buchlayout

istock.com

 

Lektorat/ Korrektorat

Elke Preininger

 

Erschienen im Selbstverlag:

Karin Pils

Lichtensterngasse 3-21/5/9

1120 Wien

 

 

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Das Buch enthält explizit beschriebene Sexszenen und ist daher für Leser unter 18 Jahren nicht geeignet.

Kurzbeschreibung

 

Die Vergangenheit hat Tom eingeholt und ihn wieder in seine Rolle als Tommaso gezwungen. Verstrickt in die Machenschaften seines Vaters ist er dessen Willkür hilflos ausgeliefert.

Am Ende einer schicksalhaften Nacht muss er erkennen, dass die Weichen längst neu gestellt wurden. Der Kampf, der nun vor ihm liegt, fordert eine Entschlossenheit, die nur Tommaso Cosolino hervorrufen kann.

Sich erneut völlig auf sein altes Ich einzulassen, birgt die Gefahr, sich endgültig zu verlieren. Trotzdem ist er bereit, alles zu geben - um das zu schützen, was er auf gar keinen Fall verlieren darf!

 

Band zwei der Time to-Trilogie

 

 

Kapitel 1

 

 

 

 

 

 

Tommaso Salvatore Cosolino, 12. Januar 2000, London

 

Durch den Schleier meines Rausches beobachte ich die anderen. Früher waren sie mir wichtig, jetzt sind sie Mittel zum Zweck. Nun, da die Illusion der Freiheit wie eine Seifenblase zerplatzt ist, brauche ich ihr Vertrauen, um das meine in die Zukunft nicht zu verlieren.

Ein geschmackloser Witz, daraufhin Gelächter. Ich lache mit – bleibe in meiner Rolle. Ein Schluck meines Drinks brennt sich meine Kehle hinunter.

Mein Herz krümmt sich unter der Angst, die der Gedanke an morgen in mir auslöst. Versprechungen sind leere Worte – zumindest, solange sie aus dem Mund meines Vaters kommen. Die wichtigsten Menschen in meinem Leben werden hier zurückbleiben, während ich meinen Job erledige.

»Das wird morgen ein Spaß, meinst du nicht Figo?«

Er sieht mich an. Ich weiß, was er hören will, also ziehe ich meinen rechten Mundwinkel nach oben und brumme ein »Auf jeden Fall.«

Für ihn ist es Spaß. Menschenleben-Roulette.

»Freust du dich auf Zuhause?«

Es kostet mich Mühe, mein Lächeln zu halten. Dieses Mal nicke ich lediglich, doch seine spöttische Miene danach zeigt mir, wie wertlos mein Bluff ist.

»Er liebt dich!«, sagt er leise, vielleicht möchte er nicht, dass die anderen ihn hören.

»Es geht aber nicht nur um mich«, entkommt es mir, bevor ich es verhindern kann.

»Du setzt einfach falsche Prioritäten«, spottet er.

Der Hass schwappt in mir hoch, doch ich dränge ihn zurück. Nicht jetzt! »Was hat er vor?« Mein Herzschlag ist so stark, dass es sich anfühlt, als müsste man das Pochen durch den ganzen Raum hören.

Wieder Gelächter, ein Glas zerbirst irgendwo im Hintergrund. Wir drehen uns beide nicht um, fixieren uns mit wissendem Blick.

»Du kennst den Plan«, sagt er, und ich weiß, dass er lügt.

Und er weiß, dass ich es weiß.

 

 

Kapitel 2

 

 

 

 

 

 

 

Als Sue Tom am Morgen des 12. Januar nach nur knapp drei Stunden Schlaf weckte, fühlte sich sein Kopf an, als würde er jeden Moment zerspringen. Whisky und Champagner vertrugen sich wohl nicht besonders. Joe hatte am Vorabend unbedingt ihren Abschied von London feiern wollen, und Tom hatte keine Gelegenheit gesehen, sich dem zu entziehen, ohne dass es aufgefallen wäre. Sie hatten bis drei Uhr früh getrunken, und als er nach oben gekommen war, hatte Denise, gehüllt in einen Hauch von Nichts, auf ihn gewartet. Wie hätte er da widerstehen sollen?

Mit dem Finger an den Lippen deutete er Sue an, leise zu sein, schlüpfte dann aus dem Bett und blickte noch einmal lächelnd auf Denises entspanntes Gesicht. Er wusste nicht mehr, wie oft sie sich in dieser Nacht geliebt hatten, doch bis in die frühen Morgenstunden hatten sie nicht voneinander lassen können. Es war fast wie eine Abschiedsfeier gewesen, auch wenn keiner von beiden gewagt hätte, es so zu nennen.

Als er nach seiner Hose griff, segelte ein Stück Papier zu Boden. Vorsichtig bückte er sich und hob es auf. Sue zog wieder ungeduldig an seiner Hand, und er erhob sich gähnend, während er die Zeilen der Nachricht überflog.

 

Tom,

instruiere Denise, Sue keinen Moment aus den Augen zu lassen. Salvatore hat irgendetwas vor, vielleicht sie zu trennen, während du den Job machst. Das darf nicht passieren, sonst ist unsere Flucht in Gefahr. Mein Plan ist fertig, hol sie nach dem Auftrag ab und fahre zu Sues alter Schule. Erinnere dich an Beth, sie hat einen Umschlag für dich!

Sei vorsichtig!

Huck

 

Wer auch immer hinter Huck steckte, kannte tatsächlich jedes Detail seines Lebens. Tom fühlte sich sofort ein Stück sicherer bei dem Gedanken daran, dass sie es wirklich schaffen würden zu entkommen. Um Denise nicht zu wecken, ließ er den Zettel unter einem der Couchkissen verschwinden – er würde ihn später entsorgen. Danach folgte er Sue auf leiser Sohle, erst auf den Flur und dann hinunter.

Im Esszimmer erwartete sie wie gewohnt ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Sue plapperte fröhlich vor sich hin und Tom nahm dankbar eine riesige Tasse Kaffee von Pierre entgegen. »Könnten Sie mir noch ein Aspirin besorgen? Das wäre wirklich nett«, murmelte er, während er bereits an seiner Tasse nippte.

»Natürlich, Mr. Tommaso.« Pierre entfernte sich lächelnd und Tom lehnte sich kraftlos auf seinem Stuhl zurück.

»Was machen wir heute?« Sue kletterte auf seinen Schoß.

»Ach, Prinzessin. Ich bin noch so müde.« Er küsste kurz ihre Stirn und seufzte erleichtert, als Pierre mit einem Glas auf ihn zukam. Er trank es hastig aus und verzog angewidert das Gesicht.

»Was ist mit dir? Wie lange warst du auf? Hast du schlecht geschlafen?« Sue zappelte auf ihm herum, was für seine Kopfschmerzen nicht förderlich war. Er drückte die Augen zusammen und gähnte.

»Miss Sue, möchten Sie mir vielleicht beim Waffelmachen zusehen?« Pierre lächelte die Kleine an.

»Oh ja. Darf ich, Tom?«

»Mhm.« Er nickte dankbar und grinste Pierre kurz zu, während dieser seine Schwester mit nach draußen nahm.

Tom nutzte die freie Zeit, um weitere zwei Tassen Kaffee hinunterzustürzen, und als Sue fünfzehn Minuten später zurückkehrte, war der Schmerz in seinem Kopf zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Er konnte sogar schon wieder lächeln, als sie ihm stolz ihr Waffelhaus präsentierte und wich zurück, damit sie auf seinen Schoß klettern konnte.

Sie schmiegte sich an ihn wie ein Kätzchen. »Gehen wir heute in den Zoo? Onkel Salvatore hat mir erzählt, dass ein Eisbärenbaby geboren wurde.«

»Ich kann heute nicht, Prinzessin. Ich muss arbeiten.«

»Aber ich will in den Zoo.« Schmollend schob sie ihre Unterlippe vor.

»Vielleicht gehen Alex, Melina und Denise mit dir?«

»Darf ich sie fragen? Bitte!!« Schon war sie wieder zu Boden gesprungen und hüpfte wie ein Gummiball auf und ab.

»Sue, bitte. Alle schlafen noch«, stöhnte Tom gequält, worauf Sue sich an seinem Hosenbein festklammerte. »Aber mir ist sooooo langweilig.«

Ihre Quengelei zerrte an seinen Nerven. »Willst du dir vielleicht einen Film ansehen?«

»Oh ja!«

Tom presste erneut die Augen zusammen. »Okay. Dann rüber mit dir in den Salon. Such inzwischen etwas aus.«

Pierre stand bereits wieder mit der Kanne neben ihm. Schmunzelnd hielt er ihm den Becher entgegen. »Danke!«

»Wenn Sie mir erlauben, Mr. Tommaso, würde ich Ihnen gerne sagen, wie sehr ich Sie für Ihre Geduld mit unserer kleinen Miss Sue bewundere. Ich habe schon für viele Herrschaften gearbeitet, aber das ist auch für mich eine sehr schöne, aber neue Erfahrung, Sir.«

Tom grinste ihn an. »Sie ist aber auch toll, oder?«

»Ja, Sir. Das ist sie.«

 

Als Tom fünf Minuten später ins Wohnzimmer kam, lief bereits Alice im Wunderland – welche Überraschung! Auf seinen Armen trug er Stephanie. Es ging ihr nun wirklich bedeutend besser, also hatte er beschlossen, dass sie lange genug allein in ihrem Zimmer gewesen war. Außerdem musste sie ohnehin heute Abend das Haus verlassen, immer vorausgesetzt, seines Vaters Plan war tatsächlich der, den er ihnen vorgebetet hatte.

Vorsichtig legte er sie auf das kleinere Sofa und lümmelte sich zu Sue auf die große Couch. Sie kuschelte sich an ihn, und obwohl er sich dagegen wehrte, war er binnen weniger Minuten eingeschlafen.

Ein paar Mal weckte sie ihn – »Tom, du schnarchst!« –, doch er brummte nur kurz und döste weiter.

Gegen Mittag kam endlich Leben ins Haus. Melina kam als Erstes nach unten. Unsicher suchte sie das Erdgeschoss ab. Als sie die drei schließlich entdeckt hatte, setzte sie sich vor Stephanie auf den Boden, und die beiden plauderten leise, um Tom nicht zu wecken.

Kurz danach endete der Film und Sue kletterte zu ihnen hinüber. »Warum ist Tom denn heute so müde?«, flüsterte sie.

Stephanie strich ihr übers Haar. »Er hat gestern lange gefeiert, Kleines. Lass ihn noch ein bisschen schlafen. Er hat heute einen schweren und sehr langen Tag vor sich.«

Lina blickte sie fragend an.

»Du solltest nicht mehr als nötig wissen, glaub mir«, raunte Steph ihr zu.

»Alex hat mir einiges erzählt. Er sagte, Tom muss heute noch einen Job machen, dann …«, begann Melina, doch Stephanie unterbrach sie nervös lächelnd.

»Nicht vor der Kleinen, bitte!«, wisperte sie und sprach sofort weiter, als Sue neugierig hinübersah. »Ist mit dir und Alex alles in Ordnung?«

Das Blut schoss Lina in die Wangen. »Ja. Ich denke schon. Die letzten Tage waren sehr schön.«

»Was macht denn Tom heute?«, piepste Sue plötzlich ängstlich, und Melinas Gesicht zeigte deutlich ihr Bedauern. Sie hatte Sue nicht aufregen wollen.

Stephanie wandte sich schnell um und stupste mit dem Zeigefinger auf ihr Näschen. »Ich hab Hunger, Kleines. Würdest du mir bitte etwas vom Buffet holen?«

»Ich gehe mit, ich habe auch Hunger.« Lina stand auf und nahm Sues Hand. Immer noch dominierte Reue ihre Miene.

Während die beiden durch die Halle eilten, kam Joe aus seinem Zimmer und ließ sich nach einem kurzen Gruß im Esszimmer nieder. Alex, Will und Mike kamen, gefolgt von Julia, ein paar Minuten später.

Alles in allem verlief das Frühstück schweigend. Nur Sue lief plaudernd zwischen Ess- und Wohnzimmer hin und her, bis sie es schaffte, auch Tom aufzuwecken. Noch etwas benommen wechselte er das Zimmer, um sich eine weitere Tasse voller Koffein zu besorgen.

»Na? Alles klar, Tom?« Alex grinste ihm entgegen.

»Woher nimmst du diese Energie? Ist ja schrecklich.« Tom ließ sich neben ihm auf den Stuhl fallen.

Sein Freund feixte. »Ich bin eben noch jung.«

»Aja, ich vergaß«, brummte Tom sarkastisch mit den Lippen an der Kaffeetasse.

»Alex, würdest du bitte mit deiner Freundin und der Kleinen ins Wohnzimmer verschwinden? Wir Männer haben zu reden.« Joe hatte die Zeitung beiseitegelegt und starrte über den Tisch hinweg auf die zwei Angesprochenen.

»Komm, Alex. Wir können uns noch einen Film angucken.« Sue zog schon ungeduldig an seiner Hand, und auch Melina erhob sich und eilte hinter den beiden aus dem Esszimmer.

Kaum waren sie allein, stand Mike auf. »Wann kommt Wayne?« Er ging zum Buffet, um sich Kaffee nachzuschenken.

»Der ist doch schon da. War er nicht gestern schon da?« Verwirrt schaute Joe umher.

»Gestern war er da. Wenn er nicht gegangen ist, wird er wohl irgendwo oben schlafen.« Gelangweilt zuckte Tom mit den Achseln. »Mike, such ihn bitte.«

Sekunden später fiel die Tür ins Schloss.

»Ich nehme mal an, ich gehöre zu den Männern, nachdem du mich nicht hinausgeschickt hast, Joe.« Julia spielte mit ihrem Löffel an der Tasse.

»Halt einfach den Mund und mach, was man dir sagt.« Tom rieb sich über die Stirn und gähnte, bevor er mit eintöniger Stimme fortfuhr. »Wir sind gut vorbereitet. Will fährt in einer Stunde los, wir folgen um neunzehn Uhr. Ich schlage vor, ihr geht noch ein letztes Mal den Ablauf durch, und ich leg mich noch ein oder zwei Stunden hin, sonst schaff ich nicht mal die erste Runde.«

»Okay. Mach das. Ich kümmere mich um alles«, erklärte Joe.

»Bis später.« Tom erhob sich, eilte zur Tür und drängte sich an Mike vorbei, der eben mit Wayne hereinkam. Er schaute noch kurz ins Wohnzimmer. Der nächste Film lief, es war ruhig, also blickte er auf die Uhr. Okay, es war mehr als genug Zeit!

Zwei Stufen auf einmal nehmend erklomm er die Treppe und war im Nu in seinem Zimmer. Denise lag noch im Bett, doch ihre Augen waren offen. Sie lächelte, als er sich neben sie fallen ließ und unter die Decke kroch.

»Seit wann bist du auf?« Ihre Haare kitzelten ihn, als sie den Kopf auf ihn legte.

»Seit Stunden! Die Kleine war so früh wach.«

»Du Armer.« Sanfte Küsse hagelten auf seine Brust nieder.

»Hast du nach heute Nacht immer noch nicht genug?« Er war so müde, dass er nicht mal die Augen aufmachen konnte, um sie anzusehen.

»Niemals«, flüsterte sie verführerisch, bemerkte jedoch gleichzeitig, dass er dabei war, einzuschlafen. Etwas später ging sie hinunter, um zu frühstücken.

 

Als sie gegen siebzehn Uhr dreißig wieder ins Zimmer kam, lag Tom noch genauso im Bett, wie sie ihn vor Stunden verlassen hatte. Vorsichtig legte sie sich an seine Seite und strich mit einer ihrer Haarsträhnen über seine Nase und seinen Mund.

»Hm.« Er drehte den Kopf weg, seine rechte Hand fuhr zu seinem Gesicht, um die Störung wegzuwischen.

Denise wich zuerst zurück, doch dann senkte sie ihre Lippen an seinen Hals und strich sachte nach oben. Als sie unter seinem Ohr angekommen war, verharrte sie kurz und drückte ihm einen sanften Kuss auf. »Aufwachen, Schlafmütze«, wisperte sie schließlich, als er sich immer noch nicht bewegte. Keine Reaktion.

Ratlos hob sie den Kopf, beugte sich über sein Gesicht und quietsche laut, als Tom sie plötzlich um die Taille packte. Ruckartig warf er sie auf den Rücken und sich selbst auf sie. »Du Scheusal. Lass mich sofort los!«, kicherte sie und drückte beidhändig gegen seine Brust.

Er presste sie nur tiefer in die weichen Kissen, fesselte ihre Hände mit einer der seinen und grinste sie an. »Willst du das wirklich?«

»Nein, aber Joe und die anderen möchten schon um achtzehn Uhr dreißig los. Das heißt, in einer Stunde. Leider.« Sie betonte das letzte Wort mit trauriger Stimme, zusätzlich zog sie einen Schmollmund.

Tom holte sich seufzend einen Kuss, bevor er sie losließ. »Okay, dann spring ich kurz unter die Dusche.« Er robbte rückwärts vom Bett und küsste dabei schmatzend eine unsichtbare Linie ihren Bauch entlang nach unten.

Denise seufzte wohlig und schloss die Augen. »Soll ich mitkommen unter die Dusche?«

»Nicht, wenn ich pünktlich unten sein soll«, wisperte er, den Kopf in ihrem Schoß vergraben.

Sie stöhnte und leckte über ihre Lippen. »Wie du willst.« Heiser klang ihre Stimme, ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Toms Mund wanderte weiter ihr rechtes Bein hinab, und als er bei ihren Zehen angelangt war, sah sie zu ihm hinunter. Sein lausbubenhaftes Grinsen brachte sie zum Lachen. »Du bist grausam.« Ihre Stimme sollte wütend klingen, war jedoch tonlos und schwach.

»Entschuldige.« Er erhob sich vom Bett, beugte sich aber noch einmal zu ihr, um sie zu küssen. »Ich mach’s wieder gut. Heute Nacht, okay?«

»Das will ich dir auch geraten haben.« Schmollend rollte sich Denise zu einer Kugel zusammen und schloss die Augen. Sie spürte seine Hand über ihre Wange streicheln und lächelte. Still lag sie da, bis sie hörte, wie das Duschwasser aufgedreht wurde. Ihr Pulsschlag hatte sich im Gleichklang mit ihrer Erregung wieder soweit beruhigt, dass sie aufstehen konnte, ohne zu ihm ins Badezimmer stürmen zu müssen.

Also stieg sie langsam aus dem Bett und griff sich den Kleidersack, den ihr Joe vorhin in die Hand gedrückt hatte. Neugierig zog sie den Reißverschluss hinunter. Zum Vorschein kam ein Hosenanzug mit weiten Beinen und engem Oberteil. Der Stoff war winterweiß, mit silbern und hellblau scheinenden Fäden durchzogen. Sogar eine passende Garnitur Dessous hing mit an dem Bügel. Vorsichtig zog sie alles aus dem Plastiküberzug und warf es aufs Bett. Die Sachen waren edel, genauso wie die, die sie gemeinsam mit Tom gekauft hatte. Erneut erfasste sie die Gewissheit, wie reich Salvatore und somit auch irgendwie Tom war, dennoch war ihr gleichzeitig bewusst, dass er nicht umsonst vor seinem Vater geflohen war. Heute war es soweit – sie beide mussten den Preis dafür zahlen, dass Tom Tommaso hinter sich gelassen hatte – oder zumindest gedacht hatte, es getan zu haben.

Seufzend zog sie sich aus und die neue Unterwäsche an. Dann trat sie vor den Spiegel und begutachtete ihre Haare. Die Locken waren durch die aktive Nacht etwas wilder als gewöhnlich, aber durchaus ausbaufähig. Mit einigen geschickten Handgriffen und etlichen Spangen gelang es ihr schließlich, die Mähne zu bändigen. Danach war das Make-up dran. Sie legte viel Sorgfalt hinein, weil sie instinktiv spürte, dass Salvatore das von ihr erwartete. Perfektionismus durch und durch. Von ihr und von seinem Sohn.

Als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, betrachtete sie sich im Spiegel. Die Frau, die ihr entgegensah, ähnelte ihr nur bedingt, und das lag nicht nur am ungewohnt starken Make-up. Das Bewusstsein, dass in wenigen Stunden die Entscheidung fallen würde, ob sie es gemeinsam hier herausschaffen würden oder nicht, zeichnete ihr Gesicht. Und natürlich die Angst davor.

Tom hatte sie in den vergangenen Tagen vorsichtig darauf vorbereitet, und obwohl es ihr gehörige Furcht einjagte, wenn er versuchte, sie auf alle Eventualitäten einzustellen, sah sie diese Notwendigkeit ein. Sie wussten nicht sicher, ob der Plan, der in den letzten Wochen von Joe und Tom ausgearbeitet worden war, tatsächlich dem Vorhaben seines Vaters entsprach. Es war möglich, sogar mit großer Wahrscheinlichkeit, dass Salvatore im Hintergrund andere Fäden zog. Ebenso unsicher war, ob Huck nun wirklich Freund oder doch Feind war, was genau seine Taktik war, und ob alles nach seinen Vorstellungen verlief. Die Angst um Sue und Stephanie hatte sich wie ein Fieber von Tom auf sie übertragen, und heute brannte es lichterloh – in ihnen beiden.

Sie verdrängte ihre Überlegungen und ging dann zum Bett, um auch den Rest anzuziehen. Die Dusche war inzwischen verstummt, kurz darauf hörte sie, wie sich die Badezimmertür öffnete. Durch den Spiegel sah sie Tom, der nur mit einem knappen Handtuch um die Hüften in der Tür stand und mit einem weiteren Tuch seine Haare trocken rubbelte. Ein zauberhaftes Lächeln formte seine Lippen.

»Casanova, ich bitte dich. Zieh dich schnell an, oder ich falle doch noch über dich her«, rief sie lachend, worauf er hinter sie trat und ihren Nacken küsste. »Dito, meine Schöne.«

Von dem Punkt, der von seinen Lippen berührt wurde, breitete sich die Wärme über ihre Schulter aus. Sie seufzte leise. Wieder drängten sich die Gedanken von vorhin in den Vordergrund, und sie atmete tief ein. »Tom?«

»Hm?« Er küsste die Senke neben ihrem Schlüsselbein.

Im Spiegel suchte sie seinen Blick, und als er ihn erwiderte, trat ein furchtsamer Ausdruck in ihre Augen. »Wenn wir getrennt werden …«, begann sie und zog die Stirn in Falten, als er sie unterbrechen wollte. »Wenn wir getrennt werden, weiß ich, dass du alles tun wirst, um mich wieder zu dir zu holen. Ich weiß, dass du mich, oder Sue und mich finden wirst, also …« Sie zögerte kurz, drehte sich in seinen Armen um und legte ihre Hände an seine Wangen. »Lass dir von niemandem einreden, dass ich dich nicht mehr will oder verlassen habe. Auch wenn du nichts von mir hörst, Tom, oder selbst, wenn du wieder einen Brief, ein Video oder was auch immer bekommst – glaub ihnen nicht. Vergiss nie, wie sehr ich dich liebe, und dass du alles bist, was mein Leben ausmacht. Ich werde auf dich warten. Egal wie lange, egal was passiert. Es wird für mich nie jemand anderen geben.«

Seine Augen schimmerten wie ein See im Mondlicht. Die Angst vor den nächsten Stunden und die Besorgnis um Sue schwammen darin, doch als er kurz blinzelte und dann in ihrem Blick versank, war da nur noch die Liebe zu ihr. »Ti amo, tesoro, flüsterte er und küsste sie.

»Vergiss das nur nie.« Lächelnd sah sie zu ihm auf, aber ihre Miene war ernst. »Ich erwarte von dir das Gleiche. Keine andere Frau – versprich es mir. Egal was passiert.«

Laut stieß er den Atem aus und erwiderte dann mit vollkommener Aufrichtigkeit: »Niemals. Ich verspreche es dir.«

Sie besiegelten den Schwur mit einem langen, zärtlichen Kuss.

Als sich Tom schließlich von ihr löste, wanderte sein Blick neugierig von den Sachen auf dem Bett zu ihrer Unterwäsche. »Wofür machst du dich denn so fein?«

»Dein Vater hat den Plan etwas geändert. Joe hat mich den ganzen Nachmittag instruiert.« Sie sah ihn misstrauisch über ihre Schulter lugen. »Na ja, nachdem er Julia nicht mehr wirklich traut, werde ich einspringen.«

Ruckartig richtete Tom sich auf. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!«

Denise schluckte, biss auf ihre Unterlippe und drängte sich an ihm vorbei. »Dein Vater will es so. Und unsere oberste Priorität ist, ihn nicht zu verärgern, damit Sue sicher ist. Das waren deine Worte, weißt du nicht mehr?«

Er schnaubte. »Ich sagte, eure Sicherheit geht vor, das schließt dich ja wohl mit ein.«

»Ich werde sicher sein, denn du bist ja bei mir. Ich glaube eher, dass du mir den Job nicht zutraust.« Sie klang enttäuscht.

Tom verdrehte die Augen. »Darum geht es doch nicht. Ich will nicht, dass du zu tief in die Sache hineingerätst. Das ist keine Welt für dich!« Wütend ging er zum Schrank, und die Tür knallte an die Wand, als er sie aufriss.

»Das ist deine Welt, wie kann ich da nicht hingehören?«, fragte sie, an ihrem Daumennagel kauend.

»Du weißt nicht, was du da redest, Denise. Hier geht es nicht um ein Familienfest, von dem ich dich ausschließen will.«

»Nein, es geht um unsere Zukunft, von der du mich gerade ausschließen willst«, murrte sie in verzweifeltem Tonfall.

Tom legte stöhnend die rechte Hand an seine Stirn. »Das ist nicht unsere Zukunft, Denise. Wir werden es schaffen, hier rauszukommen, und ich werde nicht zulassen, dass du irgendwie in Gefahr gerätst.«

»Aber ich will dir dabei helfen. Ich möchte dich unterstützen und für dich da sein.« Ihre Stimme war immer leiser geworden.

Mit zwei großen Schritten war er bei ihr. Die Hand unter ihr Kinn legend, zwang er sie sanft, ihn anzusehen. »Es ist zu gefährlich, und außerdem …« Er zögerte kurz, schloss danach gequält die Augen. »Ich will nicht, dass du mich so siehst. Ich bin … ich muss anders sein während des Jobs.« Er ließ sie los und blickte zu Boden. »Wenn du dabei bist, dann …«

»Nicht!« Denise nahm sein Gesicht fest zwischen ihre Hände. Nun war sie es, die seinen Blick auf sich lenkte. »Du machst deinen Job und ich meinen. Ich weiß, wie du wirklich bist, und nur das zählt. Ich liebe dich, Tom. Nichts kann daran etwas ändern.«

Seine zweifelnde Miene war voller Trauer und Unsicherheit. »Du weißt nicht, wie ich sein kann, Denise. Sein muss. Es wird dir nicht gefallen, was ich tue. Du wirst es …«

Ihr Zeigefinger legte sich zärtlich auf seinen Mund. »Hör auf damit. Vertrau mir.«

Seufzend zog er sie an sich. »Ich hab solche Angst, dich zu verlieren.«

Ein Klopfen schreckte sie auf. »Zehn Minuten noch, Figo. Wie weit bist du?« Mikes Stimme drang durch die Tür.

»Ja, wir kommen gleich runter«, schnauzte Tom. Abrupt ließ er Denise los, griff fahrig nach dem Kleiderhaken mit seinem Smoking, warf ihn aufs Bett und begann, sich anzuziehen.

Denise spürte seine Wut, wusste jedoch, dass sie nur seiner eigenen Hilflosigkeit geschuldet war. Still schlüpfte sie ebenfalls in ihr Outfit, beobachtete dabei aber jede seiner Bewegungen. Als er noch einmal kurz im Bad verschwand, war sie bereits fertig und setzte sich auf den Lehnsessel, um ein letztes Mal ein wenig Entspannung zu suchen.

Tom kam schnell zurück und stellte sich vor den Spiegel, um sich die Fliege zu binden. Seine Augen funkelten immer noch verärgert.

Denise linste ängstlich zu ihm hinüber. »Alles okay zwischen uns?«

Er atmete tief ein und stieß dann die Luft wieder aus. Als er sich zu ihr umdrehte, lag ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. »Natürlich.«

»Bist du sicher?« Zögerlich stand sie auf, streckte ihm ihre Hand entgegen.

Er griff danach und nickte. »Du siehst übrigens wunderschön aus.«

»Du auch. Richtig elegant.«

Sie lachten kurz, doch Tom wurde plötzlich wieder ernst. Die Nachricht von Huck war ihm gerade eingefallen. »Shit!«

»Was ist?« Denise blickte ihn stirnrunzelnd an.

»Du musst bei Sue bleiben.«

»Alex bleibt hier, bei Sue und Steph. Gemeinsam mit Melina. Er hat mir versprochen, dass er sie keinen Moment aus den Augen lässt. Tom? Was hast du denn?«

»Nein, du musst bei ihr sein. Er hat es mir …« Er rieb über die tiefe Falte, die über seiner Nase erschienen war und blickte dann hektisch auf seine Uhr. »Es ist zu spät. Wenn wir es jetzt umdrehen, wird er Verdacht schöpfen.«

»Tom, du machst mir Angst. Wovon sprichst du?«

»Ich muss mit Alex reden. Schnell! Komm!« Er packte ihr Handgelenk und zog sie hinter sich her.

 

 

Kapitel 3

 

 

 

 

 

 

 

Als sie unten ankamen, sandte ihnen Mike einen misstrauischen Blick. »Warum ist deine Freundin denn so aufgestylt, Figo?«

»Der Capo hat sie zu Julias Nachfolgerin ernannt. Weißt du, wo Alex ist?« Tom scannte nervös die Halle, dabei verkrampfte seine Hand an ihrem Arm.

»Du tust mir weh!« Denise befreite sich aus seinem festen Griff und rieb kopfschüttelnd ihr Handgelenk, während Mike schnell zu Tom lief. »Was soll das heißen? Ich dachte, sie bleibt bei der Kleinen!«

Toms Blick irrte weiter durch die Halle. »Ja, ich auch. Ich hab’s eben erst erfahren. Verdammt, wo ist Alex?«

»Ich schau mal im Salon nach.« Denise entfernte sich von ihnen, immer noch strichen ihre Finger über ihre Hand.

Mike sah ihr hinterher, dann huschte sein Blick durch den Raum, bevor er sich ganz nah zu Tom beugte und raunte: »Du kannst Alex nicht trauen.«

Tom fuhr zu ihm herum, die Augen ungläubig aufgerissen. »Was meinst du damit?«

»Pscht. Sprich leiser, verdammt.« Er drängte Tom ein paar Schritte nach hinten. »Wir haben jetzt keine Zeit. Ich lass mir was einfallen. Mach einfach weiter wie geplant. Aber kein Wort zu Alex – bitte vertrau mir, Tom

Tom blinzelte, als er plötzlich verstand, wer sein heimlicher Helfer war. »Woher wusstest du …?«

Mike klopfte ihm auf die Schulter und lachte laut. »Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen – Figo.«

Die Schritte der anderen erfüllten die Halle. Tom verschloss seine Gefühle und setzte gedanklich seine Maske auf. Er schlenderte vor den großen Spiegel neben dem Eingang und richtete seine Fliege, Joe stellte sich zu ihm und reichte ihm eine brennende Havanna. »Bereit, Tommaso?«

»Mehr als das. Lasst uns unseren Job machen, etwas Spaß haben und jede Menge Geld verdienen, Jungs.« An seiner Zigarre ziehend wandte er sich um, Denise kam eben zur Tür herein. »Und Mädels.«

Sie runzelte leicht die Stirn und nickte unauffällig zu Alex, der wartend zu ihm sah.

»Bereit, Baby?« Tom deutete ihr an, näherzukommen. Als sie vor ihm stand, legte er grob eine Hand auf ihren Hintern und zog sie an sich. Dann küsste er ihren Hals und raunte ihr leise zu: »Ich erkläre es dir später. Vergiss das mit Alex.«

Gleich darauf ließ er sie wieder los und schlenderte zu Joe. »Ok. Dann raus zum Auto.«

Den Arm lässig um Denise legend setzte er an, loszugehen, da fiel ihm plötzlich ein, dass er sich nicht von Sue verabschiedet hatte, und fuhr herum. Denise folgte seinem Blick, der fast schmerzhaft sehnsüchtig auf die Salontür gerichtet war, und legte ihre Handfläche an seine rechte Gesichtshälfte.

»Es wird alles gut gehen, Tom. Wir sehen sie nachher«, wisperte sie und er nickte versteckt, bevor er sich tatsächlich in Bewegung setzte. Denise folgte ihm, dabei verzweifelt hoffend, ihm nicht zu viel versprochen zu haben.

 

Als die Limousine aus der Einfahrt fuhr, verteilte Tom die vorbereiteten Champagnergläser. »Auf heute Nacht.« Er hob sein Glas und Joe, Mike und Denise taten es ihm gleich.

Sie tranken jeder einen großen Schluck. Denise blickte durch das Wagenfenster nach draußen. Es schneite wieder, doch dieses Mal machte der Sturm das Wintermärchen kaputt. Eiskalt fegte er durch die abendliche Stille und formte die Schneekristalle zu eisigen Körnern. Sie nippte an ihrem Glas und zog ihre Pelzstola zurecht. »Darf ich eigentlich wissen, warum wir das heute machen? Ich meine, das Geld wird ja wohl nicht der einzige Grund sein. Salvatore erwähnte das Wort ›ausgleichende Gerechtigkeit‹.

»Möchtest du Denise aufklären?« Tom lehnte sich zurück und nickte Joe auffordernd zu. »Immerhin warst du damals dabei. Ich kenne die Geschichte nur von Dad.«

»Wie du willst.« Joe beugte sich nach vorn, sein Mund verzog sich zu einem seelenlosen Lächeln. »Das Pokerturnier, das wir heute besuchen werden, findet zu Ehren des einundzwanzigsten Geburtstages von Klein Charly – Carlos Charles Drum dem Dritten – statt. Sein Vater, Carlos Drum der Zweite, ist einer der reichsten Männer Englands. Er besitzt unter anderem das Casino, in dem heute das Turnier stattfindet.«

Joe lehnte sich wieder zurück und zündete sich eine Havanna an. Während der Rauch in kurzen Schwaden aus seinem Mund entwich, stieß er ein verächtliches Lachen aus. »Carlos kommt ursprünglich aus Venezuela, da hieß er auch noch Sánchez, kam aber mit etwa zwanzig nach Chicago. Er war nie ein Freund des Gesetzes. Deshalb auch der Namenswechsel, als er in Amerika angekommen war. Schon früher hat er das Recht gerne so hingebogen, wie es seinem Vorteil nützte. Salvatore machte seit den frühen Siebzigerjahren Geschäfte mit ihm. Immer sehr lukrativ – für beide Seiten. Vor einigen Jahren hatten wir einen ziemlich guten Auftrag an Land gezogen. Einer dieser arabischen Geldsäcke war an Salvatore herangetreten. Er wollte ins Casinogeschäft einsteigen, Salvatore hatte die nötigen Kontakte nach Vegas. Eigentlich war alles geregelt. Mein Bruder Silvano war nach Abu Dhabi gereist, um alles zu fixieren. Als der Capo und ich nachkamen, war Drum bereits wieder dabei, abzureisen. In seinem Gepäck unser Vertrag, und an seinen Händen Silvanos Blut.«

Denise schnappte schockiert nach Luft. »Das tut mir leid, Joe.«

»Danke, meine Liebe. Aber das ist schon ewig her.« Erneut ein leeres Lächeln, bevor er abwinkte und tief den Rauch einsog. Während er ihre Gläser ein weiteres Mal füllte, fuhr er fort. »Um die Geschichte abzuschließen – Drum hat uns gelinkt, ist als Mittelsmann aufgetreten und hat sich dann die gesamte Kohle unter den Nagel gerissen. Die des Scheichs und die von Salvatore. Der Araber war nicht sehr glücklich darüber, und Salvatore und ich bekamen das zu spüren. Zwei überaus unbequeme Tage verbrachten wir in eine Zelle gepfercht, was sich nicht wirklich gut auf die frischen Verletzungen auswirkte, die uns seine Schläger beigebracht haben. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Madeleine, die damalige … Freundin … von Salvatore, ihr Leben verloren hat, als wir Carlos an der Flucht hindern wollten. Ich weiß bis heute nicht, ob er sie absichtlich getroffen hat, oder ob es ein Unfall war, aber das spielt auch keine Rolle. Sie war eines der wenigen Mädchen, die Salvatore wirklich gemocht hat, also traf ihn der Verlust ziemlich hart. Auf jeden Fall kamen wir erst frei, nachdem Anthony mit der Summe antanzte, die der Scheich verloren hat. Wir flogen zurück, doch Drum war bereits erfolgreich untergetaucht. Als er drei Jahre später aus der Versenkung zurückkehrte, war er so reich und gut geschützt, dass wir nicht mehr an ihn herankamen. Er war in London untergekommen und hat sich in England einen guten Namen gemacht. Deshalb musste Salvatore bis heute auf seine Rache warten. Auf der Suche nach Tommaso sind wir durch Zufall auf die nötigen Infos gestoßen, um Carlos endlich mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Der Plan ist gut – ich bin sicher, dass es funktionieren wird!«

Denise blickte mit gerunzelter Stirn in die Runde. »Und wie kommt es, dass die Polizei hier mit uns zusammenarbeitet?«

Joe schenkte ihr ein weiteres Mal nach und lächelte überheblich. »Wir haben einige Cops gekauft, nicht alle, Kleines. Drum wäscht seit Jahren über seine Casinos Geld. Er lässt zum Beispiel seine Geschäftspartner hohe Gewinne einstreichen und rechnet die Verluste über die Versicherung ab. So wie es auch für heute Nacht geplant ist.«

Denise hob ihr Glas an den Mund und trank es mit zwei großen Schlucken leer. Ihr Magen war zu einem Klumpen Eis mutiert, und trotzdem spürte sie Hitze in ihren Wangen. »Und ihr habt ihn verpfiffen?«

»Wir haben nur dafür gesorgt, dass die Cops mitbekommen, was ihnen bis jetzt entgangen ist.« Tom grinste arrogant und griff nach der Champagnerflasche, um sich erneut nachzuschenken. »Der Fettsack und seine Familie müssen lernen, dass man nicht ewig davonkommt.«

»Das ist der Plan?«, hakte sie nach. »Du streifst den Gewinn ein, und er geht ins Gefängnis?«

»Natürlich nicht«, schnaubte er spöttisch. »Der geht nirgendwo mehr hin.« Er zwinkerte Joe zu und der brach in ein gemeines Lachen aus.

»Ich glaube, ich nehme noch Champagner.« Denise reichte Tom ihr Glas und begegnete erstaunt seinem starren Blick.

»Du hast genug! Schließlich haben wir noch zu arbeiten«, fuhr er sie an, und sie wich erschrocken zurück.

»Süße?« Mike nahm ihr das Glas aus der Hand. »Du willst uns doch helfen, dass Salvatore zu seinem Recht kommt, oder?«

»Natürlich.« Unsicher drehte sie den Kopf wieder nach rechts, starrte aus dem Wagenfenster, spähte jedoch aus dem Augenwinkel zu Tom hinüber. Er beachtete sie nicht, zog nur gelangweilt an seiner Zigarre. Der Eisbrocken in ihrem Magen rotierte.

Plötzlich ließ er den Blick über die anderen gleiten, sie aussparend. »Okay, nachdem jetzt alle im Bilde sind, sollten wir uns auf den Job konzentrieren. Es ist überaus wichtig für meinen Vater, dass heute alles klappt. Und ich wünsche keine Fehler. Ist das klar?« Zuletzt sah er sie doch an, die Augen kalt und leer, nur sein Mund lächelte. »Du bist noch neu im Geschäft, Baby. Also halte dich an das, was ich dir gesagt habe, dann wird schon alles gutgehen.« Da er sich wieder wegdrehte, konnte sie sein Gesicht nicht mehr sehen. Aber sie sah das von Joe, seine Reaktion auf Toms Worte – ein dreckiges Grinsen.

Leise seufzend sank sie zurück in den Sitz. Toms Gehabe verunsicherte sie doch intensiver, als sie gedacht hatte. Er klang und benahm sich wie an dem Tag im Restaurant, aber obwohl er sie vorgewarnt, sie eindringlich darauf vorbereitet hatte, dass er in diese Rolle schlüpfen würde, spürte sie eine gewisse Abneigung in sich aufsteigen. Natürlich hatte sie ihn in den letzten Tagen des Öfteren in dieser Stimmung erlebt, aber stets nur kurz. Zwischendurch hatte er immer wieder eine Möglichkeit gefunden, sie mit einem Lächeln oder Augenzwinkern zu beruhigen. Das würde heute nicht passieren. Er würde über Stunden so bleiben, und sie hatte Angst, dass ihr Versprechen an ihn zu voreilig gewesen war. Was, wenn diese Nacht doch Spuren hinterlassen würde?

Sie verdrängte diese Gedanken und reckte ihr Kinn nach vorn. Das war ein Spiel, ein Job! Sie würden das erledigen und danach würden sie frei sein!

 

 

Kapitel 4

 

 

 

 

 

 

Denise stieg mit Mike ein paar Straßen vorher aus, damit sie nicht zusammen mit Tom gesehen wurden. An der Treppe zum Eingang des Casinos eingetroffen, sahen sie daher nur noch, wie er einer Gruppe kichernder junger Damen durch das prächtige Portal folgte. Joe war nicht bei ihm, der würde später, nachdem er seine Verkleidung angelegt hatte, über den Personaleingang folgen. Mike legte fast liebevoll seinen Arm um Denises Mitte und zog sie langsam weiter. Ihr Herz klopfte wie wild und sie zog ihre Stola enger, um sich vor der eisigen Nachtluft zu schützen – genauso wie vor den Schauern der Angst, die sie in regelmäßigen Abständen zittern ließen. Was heute Vormittag, als Joe sie eingewiesen hatte, noch ein wenig nach einem Spiel geklungen hatte, war nun dabei, ernst zu werden.

Mike warf ihr immer wieder besorgte Blicke zu. »Alles okay?«, fragte er sie schließlich, kurz bevor sie die goldbeschlagene Eingangstür erreichten. »Bist du bereit?«

Sie nickte nervös, blies die Luft aus und lächelte.

»Braves Mädchen.« Er lächelte ebenfalls, die sonst meist ausdruckslose Miene für einen kleinen Augenblick weich und freundlich, dann verschwand der Anflug von Menschlichkeit und er fiel zurück in seine Starre. Irgendwie war sie froh, dass er an ihre Seite gestellt worden war, weil er von all den Männern Salvatores derjenige war, der zumindest ein wenig Sympathie in ihr weckte. Dennoch konnte er ihr kein wirkliches Gefühl der Sicherheit schenken – das hätte nur Tom gekonnt. Aber der würde den ganzen Abend zwar in ihrer Nähe sein, jedoch einen Fremden mimen.

Ihr Handtäschchen umklammernd, spielten ihre zitternden Finger mit den Strass-Steinen darauf, während Mike ihre Einladungen vorzeigte. Die Prüfung der beiden baumhohen Türsteher dauerte lange und steigerte ihre Nervosität noch mehr. Endlich wurden sie durchgewinkt und von einem rothaarigen Mädchen im knappen gelben Glitzerkleid zur Bar begleitet.

Denise ließ ihren Blick möglichst unauffällig durch den Saal gleiten. Schließlich erblickte sie Tom, umringt von einer Gruppe Frauen, deren Aufmerksamkeit gänzlich auf ihm lag. Sie kicherten, spielten nervös mit ihren Haaren, und einige von ihnen flirteten ihn so ungeniert an, dass es Denise übel aufstieß. Vor allem deshalb, weil er auf diese Avancen mit einem absolut hinreißenden Lächeln reagierte. Innerlich mit den Augen rollend seufzte sie. Sie liebte seine einnehmende Art und konnte nicht abstreiten, dass sie, gepaart mit der männlich-geheimnisvollen Aura, die ihm seine heutige Rolle verlieh, noch stärker war als sonst.

Mehrere Kellner mit Jacken aus dem gleichen lächerlichen gelben Glitzerstoff wie die Kleider der Barmädchen, liefen mit großen Tabletts mit Gläsern herum. Tom schnappte sich einen Whiskey und verwickelte eine der Blondinen, die mit ihm hineingekommen waren, in ein Gespräch. Sie himmelte ihn mit verklärtem Blick an, und ihre Freundinnen vergingen vor Neid, als Tom sich lächelnd näher zu ihr beugte und ihr etwas zuflüsterte.

Natürlich war Toms locker-leichte Fassade nur aufgesetzt, doch das merkte niemand. Innerlich hatte ihn die Anspannung jedoch fest im Griff. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sich Mike mit Denise am Arm einen Weg durch die Menge der Gäste bahnte; einige Männer wandten sich nach ihr um. Was kein Wunder war – sie sah wirklich umwerfend aus! Die Aufregung hatte ihre Wangen mit einem zarten Rot überzogen und ihre Augen glitzerten geheimnisvoll. Er belächelte höflich einen Witz, den sein Gegenüber eben schüchtern zum Besten gegeben hatte. Nebenbei stellte er sein Whiskeyglas auf dem Tablett eines vorbeieilenden Kellners ab und schnappte sich stattdessen ein Glas Champagner. Nun nippte er allerdings nur langsam daran. Er musste bei klarem Verstand bleiben. Denises Blick streifte ihn unauffällig, als sie an ihm vorbeischritt, doch er konnte eigentlich nur auf Mikes Hand starren, die wie selbstverständlich auf ihrem Rücken lag, knapp über ihrem Po Ansatz.

Er riss sich von dem Anblick los, als er bemerkte, wie sich mit einem Mal die drei riesigen Flügeltüren am Ende des Raumes öffneten. In der mittleren Tür stand Carlos Drum mit seiner Frau Vivienne und seinem Sohn Carlos junior, der jedoch allgemein nur Charly genannt wurde. Er war ähnlich hässlich wie sein Vater. Sein verschwitztes Haar klebte an seinem eher kleinen, runden Schädel fest und er war kaum größer, dafür noch breiter als sein Erzeuger. Tom hoffte nur, dass der Doc die Dosis für das Gift ordentlich berechnet hatte.

Mit gierigen Augen musterte der Junior die anwesenden Damen und fing letztendlich Denise ein. Tom sah, wie sein lüsterner Blick ihren Körper scannte, seine Zunge über seine spröden Lippen glitt. Träum weiter, du kleines Ekelpaket, dachte er, bevor er seine Hand an den unteren Rücken der Blondine legte, um sie näher an die Gastgeber heran zu lenken.

Carlos Drum umfasste seine Frau, eine hübsche, schlanke Brünette, bei deren Anblick sich Tom die Frage stellte, was sie – außer Macht und Geld – an diesen Mann fesselte. Eine kurze Begrüßungsrede folgte. Bis er zum Toast auf seinen Sohn kam, hatte es das Personal geschafft, dass sämtliche anwesende Gäste ein neues Glas Champagner in der Hand hielten. Diese wurden nun von allen zu Charlys Ehren erhoben. Tom entdeckte Joe, der sich bereits unter die Menge gemischt hatte. Natürlich hinter Bart und Perücke versteckt, immerhin war er Drum aus der Vergangenheit bekannt.

Applaus erklang, der nur langsam abebbte. Danach traten die Gastgeber zur Seite, worauf die Massen in die Spielhalle strömten. Tom und seine Begleitung folgten dem Strom, dabei sah er sich um und entspannte sich ein wenig. Am Tisch fünf bereitete Will eben die Karten und Chips vor – alles verlief nach Plan. Die Blondine schob ihren Arm in seinen und er lächelte sie kurz an. Er konnte sich beim besten Willen nicht an ihren Namen erinnern. »Ich bin an Tisch fünf und Sie, Thomas?«, säuselte sie, und es dauerte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, dass sie mit ihm sprach. Stimmt, er hatte sich ihr als Thomas Miller vorgestellt, was fast schon komödiantisch war. Sein Deckname als Schutz vor seinem Vater war nun seine Tarnung für einen neuen Coup des Capo.

»Thomas?«, versuchte sie erneut, seine Aufmerksamkeit zu erregen, also wandte er sich ihr zu. »Ja?«

»Ich sagte, dass ich Tisch fünf zugeteilt bin.« Ihr Blick glitt zur Brusttasche seiner Jacke, in der seine Einladung steckte.

Seine Mundwinkel wanderten mechanisch hoch. »Das trifft sich ja großartig. Ich auch.«

Er führte sie weiter, während sie sich kichernd an seinen Arm klammerte. »Ich bin so aufgeregt. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir es zusammen in die Endrunden schaffen würden?« Ihr säuselnder Tonfall war nervtötend, doch das zeigte er natürlich nicht. Stattdessen nickte er und neigte lächelnd den Kopf zu ihr hinunter. »Das wäre wirklich toll«, hauchte er, dabei streifte sein Atem gekonnt die Haut ihres Halses, ließ dort eine zarte Gänsehaut erblühen.

»Ach, Thomas«, seufzte sie, gleichzeitig überkam Tom ein seltsames Gefühl. Ein Blick nach rechts bestätigte seine Vermutung. Denise, die eben von Mike an Tisch sieben begleitet wurde, starrte mit schlecht kaschierter ärgerlicher Miene zu ihm hinüber. Angestrengt darum bemüht, nicht wegen ihrer Eifersucht zu schmunzeln, wich er von der Blondine zurück und rückte ihr stattdessen den Stuhl zurecht. Danach riskierte er einen Blick zu seiner Traumfrau, die ihm ein dankbares Lächeln schickte.

»Setzen Sie sich zu mir, Thomas?« Miss Blond war anscheinend nicht bereit, seine Aufmerksamkeit zu teilen, und mit dieser Kritik schien sie nicht allein dazustehen. Als Tom nämlich nun ebenfalls Platz nahm, entdeckte er, dass sich Joe zu ihnen an den Tisch gesellt hatte. Und seiner finsteren Miene nach hatte er den Blickaustausch zwischen Denise und ihm bemerkt.

Tom räusperte sich, fokussierte seine Rolle. Gelangweilt mit seinen Chips spielend, lauschte er der Begrüßung von Will, der sich ihnen als ihr heutiger Croupier vorstellte. Kurz darauf kam das Geburtstagskind an ihren Tisch und ließ sich mehr oder weniger elegant auf dem eigens für ihn vorbereiteten Ledersessel nieder. Er glich einem Thron, und genau das war anscheinend der Plan gewesen. Kaum hatte er seinen breiten Arsch erfolgreich hineingequetscht, wandte er sich lächelnd an Toms Tischnachbarin. »Irena. Es freut mich, dass du es geschafft hast.«

Danke, Fettsack, dachte Tom erleichtert und wiederholte den Namen in Gedanken, um ihn sich einzuprägen. Schließlich sollte sie das Gefühl haben, ihm wichtig zu sein – zumindest für heute Abend.

Irena gratulierte Drum und übernahm es auch gleich, Tom vorzustellen. Natürlich als Thomas Miller.

Tom murmelte ebenfalls einen Glückwunsch, bevor er Charlys Hand schüttelte. Er war froh, als er die verschwitzte Pranke wieder loslassen konnte. Seine Abscheu zauberte ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht; dass er den Typ nicht mochte, machte die Sache um ein Vielfaches leichter.

Irena beugte sich zu Tom, und ihre rotgeschminkten Lippen berührten dabei fast seine Haut. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Thomas«, raunte sie ihm zu, und Tom fing einen weiteren eifersüchtigen Blick von Denise ein, den er dieses Mal aber geflissentlich ignorierte.

Und dann begann das Spiel.

 

Will machte seine Sache großartig. Tom gewann gerade so unregelmäßig, dass es nicht auffiel, und sich seine Chips doch mehrten. Es lief alles nach Plan, eine Stunde später waren Irena und fünf der anderen Mitspieler bereits ausgeschieden.

Die Männer waren nach ihrem Aus ärgerlich vom Tisch geflohen, hatten das Casino verlassen oder sich an die Bar zurückgezogen. Nur Irena war zu Toms Bedauern geblieben, um ihm als – wie sie es nannte – Glücksengel zu dienen. Seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber, die eigentlich nur seine Rolle als reicher Playboy hätte stärken sollen, war anscheinend einen Hauch zu gut gespielt gewesen, denn sie machte keinerlei Anstalten, zu gehen. Ihre Finger spielten mit ihrem Haar und ihre Augen beobachteten jede seiner Bewegungen, was für die nächsten Minuten keineswegs hilfreich sein würde. Als weder seine Versuche, sie zu ignorieren, noch seine schwindende Freundlichkeit Erfolge brachten und auch Joe auf seine hilfesuchenden Blicke nicht reagierte, gab er auf und winkte einen der Kellner zu sich.

Kurz darauf wurde die von ihm georderte Runde Drinks serviert. Er gab Joe das vereinbarte Zeichen, und während der und Will das improvisierte Streitgespräch begannen, das sowohl Charlys als auch Irenas Aufmerksamkeit fesselte, ließ Tom die vorbereitete Kapsel in eines der Gläser fallen. Jenes Champagnerglas stellte er danach vor Drum auf den grünen Filz, der den Tisch zierte, bevor er die anderen verteilte.

Joe hatte inzwischen planmäßig die Diskussion beendet. Es folgte ein Trinkspruch auf das Geburtstagskind. Alle tranken, und als sie die Gläser wieder abgesetzt hatten, begann Irena, in ihrer Tasche zu kramen, was Tom nutzte, um Joe einen weiteren verzweifelten Blick zu senden. Der erwiderte ihn erst verständnislos, doch als Tom unauffällig auf die Blondine neben sich deutete, schien er endlich zu begreifen. Nach kurzem Überlegen entschuldigte er sich und verschwand.

Tom beschloss, die Unterbrechung zu nutzen, um noch einmal einen Toast auf das Geburtstagskind auszusprechen – es galt schließlich dafür zu sorgen, dass Charly seinen Drink gänzlich leerte. Ein Blick auf dessen Glas zeigte jedoch, dass diese Bemühung nicht nötig war – es war bereits leer! Drum Junior selbst schien schon leicht angeschlagen – verdammt, es wirkte schneller als gedacht!

»Miss Trane?« Einer der Kellner trat an ihren Tisch und Irena fuhr herum. »Ich würde Sie bitten, an der Bar zu warten. Die letzten Runden beginnen jetzt, und die Konzentration der Spieler sollte nicht gestört werden.«

Verwirrt blickte sie zuerst zu dem jungen Mann auf, danach zu Tom. »Dann muss ich wohl draußen auf Sie warten, Thomas«, flötete sie bedauernd, und er nickte ihr zu. »Ich kann es kaum erwarten, Sie wiederzusehen.«

Joe kehrte zurück, und Tom zwinkerte ihm zu, was dieser mit einem kurzen Nicken quittierte. Danach versuchte Tom, geduldig zu sein, während Irena umständlich ihre Sachen zusammenpackte. Er konnte jedoch nicht vermeiden, dass seine Finger ein nervöses Muster auf den Tisch trommelten. Erst ein Räuspern von Joe machte ihn darauf aufmerksam, und er stoppte es.

»Also, viel Glück«, hauchte ihm Irena noch zu, bevor sie letztendlich doch das Weite suchte.

Sowohl Joe als auch Tom sahen ihr ungeduldig hinterher. Als sie endlich außer Hörweite war, wandte sich Tom an Drum Junior. »Fühlen Sie sich nicht wohl, Charly? Sie sind ganz blass«, sagte er harmlos.

»Ich … mir ist wirklich etwas seltsam … mein Kopf …« Er räusperte sich, schloss kurz die Augen, dann rollte sein Kopf zur Seite und er sackte zusammen. Toms Blick glitt zwischen Joe und Will hin und her, und er nickte ihnen zu. »Es geht los!«

Will scannte prüfend den Raum und nickte danach ebenfalls. »Also los!«

Sofort erhoben sich Tom und Joe und traten hinter Charly. Sie stützten ihn gemeinsam, während sie ihn vom Sessel hochhievten.

»Achtung, Jungs. Er sieht her«, nuschelte Will, legte den Kartenstapel beiseite und setzte eine besorgte Miene auf.

Tom blickte skeptisch auf die Bürotür am gegenüberliegenden Ende des Saales, anschließend zurück auf Charly, der kraftlos wie ein nasser Sack an ihm hing. Joe zuckte kaum merklich mit den Schultern, doch Tom verstand. Sie griffen fester zu, zogen den schlaffen Körper höher, dann gingen sie langsam los. Bereits nach einigen Metern keuchten beide – der Drum-Kronprinz war deutlich schwerer, als Tom vermutet hatte. Etwa auf der Hälfte des Weges spürte er, wie der Fleischberg zwischen ihnen weiter an Spannung verlor und zu stöhnen begann. Also packte er noch härter zu, Joes Schnaufen im Ohr, gemischt mit einem leisen Fluchen. »Wie kann man nur so ein fettes Schwein sein?«

Tom wandte den Kopf nach hinten und sah, dass Carlos Drum den Raum mit großen Schritten und halb ärgerlicher, halb besorgter Miene durchquerte. »Er folgt uns«, drängte er. »Wir müssen uns beeilen.«

»Leichter gesagt als getan«, ächzte Joe, doch sie schafften es trotzdem, schneller zu werden.

Einige Gäste waren auf die Situation aufmerksam geworden. Ein stetiges Gemurmel erfüllte den Saal, während sich nach und nach Köpfe in Richtung der Gruppe drehten. Will unterrichtete unterdessen den Turnierleiter, und dieser gab, mit einem entschuldigenden Lächeln an die restlichen Spieler, eine kleine Pause bekannt.

Denise und Mike hatten ihren Aufbruch natürlich ebenfalls bemerkt. Mike deutete ihr mit einem beinahe unsichtbaren Kopfnicken an, dass ihr Auftritt nahte, also holte sie tief Luft und stand auf. Sein aufmunterndes Lächeln half ihr, sich zu straffen, bevor sie mit gemächlichem Tempo losging. Ihre rechte Hand grub sich in ihre Handtasche, und als sie den kühlen Lauf der Waffe darin spürte, fühlte sie sich eine Spur ruhiger. Sie dachte an das Schießtraining am Nachmittag mit Joe und lächelte ungläubig. Hätte ihr das jemand vor ein paar Wochen vorausgesagt, sie hätte ihn für verrückt erklärt.

Tom und Joe waren inzwischen mit ihrer Last im Büro angekommen und setzten das mittlerweile halb bewusstlose Geburtstagskind auf die braune Ledercouch. Sobald Tom sich wieder aufgerichtet hatte, vernahm er die schweren Schritte von Carlos Drum, der kurz darauf im Eingang erschien. »Was ist mit ihm?«, herrschte er ihn in gebieterischem Ton an und drängte sich in den Raum.

Tom grinste zu Joe hinüber, bevor er sich mit einem arroganten Lächeln im Gesicht an ihren Gastgeber wandte. »Nun, Mr. Drum. Ich denke, Ihrem Sohn geht es nicht besonders gut.«

Drum zuckte vor Tom zurück. Unglaube und – er war sich sicher – auch ein bisschen Angst spiegelten sich in seinem Blick. Joe trat an Carlos heran und schob ihn weiter zur Couch, während er hinter ihm die Tür schloss.

»Was zum Teufel …« Mit eisern ausdruckslos gehaltener Miene blickte Drum von einem zum anderen.

»Beruhigen Sie sich und hören Sie mir jetzt aufmerksam zu«, begann Tom mit sonorer Stimme. »Im Körper Ihres Sohnes befindet sich ein Gift, das ihn innerhalb der nächsten acht Stunden töten wird. Wir haben ein Gegengift, und dieses können Sie sich verdienen, indem Sie unsere Wünsche erfüllen, verstehen Sie?«

Drums Hand schob sich in seinen Anzug, und Toms Lächeln verwandelte sich in ein bösartiges Grinsen. »Wenn Sie versuchen, einen von uns anzugreifen oder zu töten, oder wenn sich unsere Mitarbeiter, die, wie ich sagen kann, reichhaltig über dieses Gebäude verteilt sind, in irgendeiner Weise bedroht oder verraten fühlen, erlischt das Angebot der Rettung Ihres Sohnes natürlich ohne vorherige Warnung.«

Drums Hand tauchte leer wieder aus den Tiefen seiner Jacke auf, Resignation grub sich in seine Züge.

Tom machte zufrieden auf seinem Absatz kehrt und ließ sich neben Charly auf die Couch fallen. Betont lässig legte er seinen Arm um ihn und Charlys Kopf fiel auf seine Schulter. »Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit. Im Moment spürt er noch keine Schmerzen, aber in zwei Stunden geht’s dann richtig los.« Wie beiläufig tätschelte er Drum juniors Wange.

Auf Carlos’ Gesicht erblühten dunkelrote Nervenflecken, die unterdrückte Wut zeichnete eine tiefe Falte in seine Stirn. »Sie Schwein, was wollen Sie?«

»Was denken Sie denn, was ich will?« Tom lächelte süffisant. »Geld.«

»Was?« Drums Miene war fassungslos.

»Sie werden Mr. Landon zu verstehen geben, dass er Will, den Croupier von Tisch fünf, zum Spielleiter des Finales macht, und Sie werden als Geburtstagsüberraschung den Jackpot verzehnfachen. Ich meine, eine Million Pfund ist ein guter Preis für das Leben Ihres einzigen Sohnes.«

Drum blickte ihn hasserfüllt an. Man konnte förmlich sehen, wie er im Kopf seine Möglichkeiten durchging. »Wo ist dieses Gegenmittel? Ich will es sehen!«

Tom zeigte ihm ein überhebliches Grinsen und hob entschuldigend die Hände. »Ich bluffe nicht, Carlos, aber ich werde Ihnen doch nicht verraten, in welchem meiner Ärmel das Ass steckt.«

Er erhob sich und Drum junior rutschte, jetzt, da er ihn nicht mehr stützte, langsam tiefer, bis er seitlich auf der Couch lag.

Joe trat hinter den Senior. »Sie sollten sich schnell entscheiden, die Gäste werden schon unruhig.«

Carlos zögerte nur kurz, dann stieß er ein resignierendes, leises Schnaufen aus. »Okay. Ich mache mit, aber lassen Sie mich einen Arzt holen. Er kann sich um Charly kümmern, bis … alles erledigt ist.«

Sein Blick wurde flehend. Er bettelte richtig, und Toms Augen wandten sich ab, teils aus Abscheu, teils aus Mitleid. »Ihre Frau kann bei ihm bleiben, und eine unserer Mitarbeiterinnen wird auf die beiden aufpassen.« Er nickte in Joes Richtung, und dieser öffnete die Tür. Dort stand Will, der Vivienne Drum hereindrängte, welche wiederum von Denise verfolgt wurde, die ihre Waffe an Mrs. Drums Rücken drückte. Denises Wangen waren leicht gerötet, ansonsten wirkte sie vollkommen entspannt. Will machte kehrt und verschwand, Joe schloss wieder die Tür.

»Alles klar hier Jungs?« Denises Blick glitt über Tom zur Couch. Nicht einen Moment zuckte sie zusammen, als sie den bewusstlosen Körper liegen sah. Sie hatte sich absolut im Griff.

Sie ist ein Naturtalent, dachte Tom, dabei empfand er gleichzeitig Widerwille und Bewunderung.

Mrs. Drum lief zum Sofa und fiel neben ihrem Sohn auf die Knie. »Was ist mit ihm? Carlos, tu doch etwas.«

Ihr Mann seufzte. »Das mache ich gerade, Darling. Bleib du bei ihm und mach bitte nichts Unüberlegtes. Ich weiß, du neigst zu Heldentaten, aber die sind hier nicht angebracht. Es geht um unseren Sohn, also sei einfach für ihn da, okay?«

Sie nickte und strich mit der Hand über Charlys gerötetes Gesicht. Er atmete schwer, Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

»Kann ich etwas tun, damit es ihm besser geht?« Mrs. Drum wandte sich an Tom, instinktiv spürte sie, dass er hier das Sagen hatte.

»Er wird schlafen, aber sollte er wach werden, sollten Sie ihm so viel Wasser wie möglich einflößen. Das Gift löst Fieber aus, dadurch verliert sein Körper viel Flüssigkeit.«

Sie nickte wieder und seufzte.

Tom ging zur Tür. »Okay – lasst uns weiterspielen.« Betont fröhlich klatschte er in die Hände und deutete den Männern an, zu gehen. Als er an Denise vorbeikam, streiften seine Fingerspitzen kurz ihre Hand, und er spürte ihren Seufzer mehr, als dass er ihn hörte. Es fiel ihm schwer, sie in dem Raum zurückzulassen, und es verwirrte ihn, sie mit der Waffe zu sehen, der Gesichtsausdruck so ernst und hart. Doch das durfte ihn nicht ablenken. Nicht jetzt!

Also konzentrierte er sich auf seine Aufgabe, während er gemeinsam mit Joe und Mr. Drum zu Mr. Landon ging. Der Spielleiter nahm die Befehle seines Bosses ohne Nachfrage und Murren entgegen, und fünf Minuten später versammelten sich wieder alle an ihren Tischen. Die letzte Runde der Qualifikation musste noch gespielt werden.

 

 

Kapitel 5

 

 

 

 

 

 

Im Büro kam Carlos Drum junior langsam wieder zu sich. Denise, die mit gezogener Waffe am Schreibtisch lehnte, deutete Mrs. Drum, die eben ein Tuch mit Wasser tränkte, um sie darauf aufmerksam zu machen. Schnell trat diese zu ihrem Sohn und breitete den feuchten Lappen über seine Stirn.

»Mum? Was ist passiert?« Er klang kraftlos, und Vivienne schloss in stummer Qual die Augen. »Es wird dir bald besser gehen. Dein Dad ist gerade dabei, alles in Ordnung zu bringen.«

Denise hörte die Tränen in ihrer Stimme und musste sich bemühen, sich ihre Zweifel nicht ansehen zu lassen. Klar war ihr bewusst, dass sich ein Mensch wie Carlos Drum nur dann einem fremden Willen beugte, wenn tatsächlich etwas auf dem Spiel stand. Also hatte Salvatore das Wichtigste ausgewählt – sein eigen Fleisch und Blut. Trotzdem war sie schockiert von der Brutalität dieses Plans, immerhin hatte Charly nichts mit den damaligen Geschehnissen zu tun. Die Ausmaße der Opferbereitschaft, die Salvatore bei der Ausübung seines Racheplans an den Tag legte, war milde gesagt erschreckend, und plötzlich war sie froh, dass sie nicht genau wusste, was Tom und die anderen noch alles vorhatten.

»Wie kommt es, dass sich so ein hübsches, junges Mädchen für so etwas hergibt?« Mrs. Drum hatte sich erhoben. Charlys Augen waren wieder geschlossen, sein Gesicht war entspannt. Er schlief – oder war bewusstlos – was auch immer.

»Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu unterhalten.« Denises Stimme triefte vor Überheblichkeit.

»Wie Sie wünschen, es interessiert mich aber wirklich.« Vivienne Drum kam einen Schritt näher, worauf Denise den Lauf der Pistole ein Stück anhob. »Ich schlage vor, Sie kümmern sich um Ihren Sohn und halten den Mund.«

Vivienne lächelte selbstsicher. »Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie so hart sind, wie Sie sich geben, meine Liebe. Sie sehen aus wie eine Elfe, nicht wie eine Hexe!«

Denise stieß sich von der Tischplatte ab und ging auf die Frau zu. Joe hatte sie heute Nachmittag auf genau so eine Situation vorbereitet. Du musst ihr von Anfang an zeigen, wer das Sagen hat, hatte er ihr erklärt. Das ist das Wichtigste!

Mrs. Drum hielt ihrem Blick jedoch selbstbewusst lächelnd stand. »Kommen Sie. Helfen Sie mir, meinem Sohn zu helfen. Ich schicke nach einem Arzt. Sie müssen den anderen ja nichts davon sagen. Ich habe Geld, gleich hier im Safe. Oder vielleicht gibt es sonst etwas, was ich für Sie tun kann?« Das Schmeicheln in ihrer Stimme passte nicht zu der aufmerksamen Miene, während sie das Zimmer scannte.

Denise wurde klar, dass, genauso wie sie, auch diese Frau gerade eine Rolle spielte, um ihr Ziel zu erreichen. Also überlegte sie nicht lange. Jetzt kam es darauf an, wer besser überzeugen konnte. Sie holte aus, und die Wucht ihres Schlages ließ Mrs. Drum schwanken. Geschockt duckte sie sich, hob die Arme über ihren Kopf und starrte irritiert zu ihr auf.

»Setz dich hin und halt die Klappe! Verstanden?«, fauchte Denise, dabei schrak sie innerlich vor ihrer eigenen Stimme zurück – sie klang knallhart und gefühllos.

Auch ihr Gegenüber schien nun höchst verunsichert. Schweigend ließ sie sich neben ihrem Sohn, der nun spannungslos auf dem Sofa lag, auf dem Boden nieder.

Denise stellte sich ebenfalls wieder an ihre ursprüngliche Position. Sie fühlte sich seltsam. Das Schweigen von Vivienne Drum erfüllte sie mit Triumph. Sie hatte es geschafft, dass sich diese Frau, die an der Seite eines der mächtigsten Männer Londons lebte, von ihr Befehle erteilen ließ. Gleichzeitig war sie geschockt, wie schnell sie zur Gewalt bereit gewesen war, nur um ihren Willen durchzusetzen. Sie verstand Tom nun ein Stück besser. Das hier konnte man nur überstehen, wenn man alle Gefühle ausschaltete. Also verschloss sie ihr Herz, ihr Mitgefühl und ihre Angst. Sofort entspannte sich ihr Körper, und ihr Blick wurde wieder ruhig und fest.

 

In der Spielhalle versammelten sich die Gewinner der Vorrunde am Finaltisch. Die Zuschauer hatten in einem Abstand von etwa vier Metern einen Kreis um den Tisch gebildet. Das Hauptlicht war gedimmt, nur einige Spots erhellten den grünen Filz des Spielfeldes.

Die Gesichter der fünf Spieler lagen im Halbdunkel. Joe befand sich unter den Schaulustigen, fast direkt hinter Tom, und er wirkte mehr als zufrieden. Will erledigte seinen Job ausgezeichnet, und auch Denise hatte ihn sehr positiv überrascht. Mike war bereits verschwunden, um sich umzuziehen, und Tommaso selbst saß hochkonzentriert auf seinem Platz. Eigentlich konnte nichts schief gehen.

Will öffnete eben ein neues Deck und begann die Karten zu mischen. Mr. Landon stand unmittelbar hinter ihm. Seine Augen beobachteten aufmerksam Wills Hände, während die Spielkarten durch seine Finger glitten. Anscheinend war ihm die Entscheidung seines Chefs, gerade diesen unerfahrenen Jungen als Spielleiter für das Finale auszuwählen, suspekt. Joe schickte Mr. Drum einen auffordernden Blick. Sofort bewegte sich dieser zu seinem Turnierleiter, der nach einer kurzen Aufforderung sichtlich widerwillig zurücktrat. Drums Stirn zog sich in Falten. Seine Augen flogen nervös von Tom zu Joe und wieder zurück, die bleiche Haut seines Gesichts glänzte vor Schweiß.

Das leise Murmeln im Saal verstummte, als Will begann, die Karten auszuteilen, und das Geräusch, wenn sie auf dem Samt landeten, klang unglaublich laut in der spannungsgeladenen Stille. Noch bevor die Spieler ihre Karten aufnehmen konnten, trat Drum plötzlich an den Tisch. Er räusperte sich lautstark, während er nervös seine Krawatte lockerte. »Okay. Besondere Feier, besondere Regeln.« Alle wandten sich ihm zu und er fuhr fort. »Eine Runde. Der Sieger bekommt den Jackpot plus den Einsatz.« Sein Blick glitt über die Gesichter der Finalisten, einer nach dem anderen nickte. Bei Tom verweilte er etwas länger, und erst als dieser ein zweites Mal nickte, trat Drum wieder zurück.

Gespenstisch synchron griffen sich nun alle ihre Karten. Tom schob sein Blatt einhändig auseinander; Herz Bub und Herz König.

Das Setzen begann, und bereits nach der ersten Runde stiegen zwei der Mitspieler aus. Will spielte den Flop. Auf dem Tisch lagen nun eine Herz Zehn, ein Pik sowie ein Treff Ass.

Tom musste ein triumphierendes Grinsen unterdrücken – Will war wirklich gut. Er gab vor zu zögern, fuhr sich betont nervös durch die Haare. Dann schob er gleichgültig zwei seiner fünf Chiphaufen in die Mitte.

Mit einem ärgerlichen »Fold« warf sein Nachbar sein Deck auf den Tisch und setzte an, aufzustehen, doch einer der Männer hinter ihnen drückte ihn grob auf den Stuhl zurück. Die beiden anderen Mitspieler hielten Toms Einsatz, und Will deckte die vierte Karte auf – Herz Dame.

In den nächsten Setzrunden erhöhte Tom zwei Mal. Danach waren nur noch er und ein älterer Herr im weißen Anzug übrig, der sich ihm vorhin mit Smith vorgestellt hatte. Sie starrten sich über den Tisch hinweg an.

Toms Lächeln hing in seinem Mundwinkel, die Augen waren ausdruckslos. Smiths Blick, der anfangs noch so selbstsicher und entspannt gewesen war, suchte nun besorgt den von Drum. Der wich ihm jedoch aus, sah einfach stur geradeaus, über Toms Kopf ins Leere. Nur sein rechtes Augenlid zuckte, ansonsten stand er wie erstarrt. Ein paar Sekunden später sah Smith schließlich zurück auf seine aufgefächerten Karten – sein leises Seufzen entging Tom nicht.

Tom nickte, als hätte jemand etwas gesagt, und legte die Rivercard, mit dem Bild nach unten, in die Mitte.

Im Raum herrschte nun vollkommene Stille, nur ein einzelnes Husten schreckte alle auf. Das heißt, alle, bis auf die zwei Spieler. Die fixierten sich weiter schweigend. Smith bemühte sich um ein gelassenes Lächeln. Lediglich sein Auge zuckte, so wie vorhin das von Drum, und er lehnte sich versucht lässig gegen die Lehne seines Stuhls.

Tom lächelte nicht, schob nur seine Karten zusammen und legte sie vor sich auf den Tisch. Danach beugte er sich vor und strich mit beiden Händen seine verbliebenen Chips in die Mitte. »Na dann.«

Smiths Auge zuckte erneut, anschließend fand er jedoch sein Lächeln wieder und stieß seine restlichen Jetons fast wütend in den Pott. »Okay, alles oder nichts.« Ein weiteres Mal sah er zu Drum, doch dieser wich sofort einen Schritt zurück, sodass sein Gesicht im Schatten verschwand. Smith seufzte wieder, und diesmal hörten es alle. Er deckte sein Blatt auf und schob ein Karo Ass zu den beiden anderen Assen in der Mitte.

Gedämpftes Murmeln erklang im Hintergrund, während sich Wills rechte Hand über die verdeckte letzte Karte legte.

Tom nickte ihm zu und drehte seine Karten um.

Mit dem ausgestreckten Zeigefinger zog Will diese nun nacheinander zum Herz Zehner, den Abschluss bildete die Dame.

Das Raunen im Publikum schwoll an, und seine Rechte hob sich im Zeitlupentempo von der Rivercard.

Die Zuschauer hielten den Atem an, Mr. Smith schloss die Augen. Drums Hand lag auf seinem Herzen, sein Gesicht war nun wieder im Licht. Seine Zungenspitze flitzte über seine trockenen Lippen, sein Kehlkopf hüpfte auf und ab.

Will schob seinen Mittelfinger unter und den Zeigefinger über die Karte und schnippte sie anschließend elegant in die Luft. Einen Augenblick hing sie wie schwerelos im Licht und warf einen länglichen Schatten, während sie wieder hinabsank. Als sie auf dem grünen Filz zu liegen kam, erklangen vereinzelt leise Überraschungs- und Begeisterungsrufe.

Langsam öffnete Smith seine Augen und starrte auf das Herz Ass.

»Royal Flush. Wir haben einen Gewinner!« Mr. Landons Stimme erhob sich über das Gemurmel im Saal und Mr. Drum begann mit versteinerter Miene zu applaudieren.

Tom stand auf, verneigte sich, mimte den glücklichen Sieger, doch sein Blick wanderte wachsam über die Menge. Smith schüttelte als Erstes seine Hand und eilte dann, nach einem wütenden Seitenblick auf Drum, davon.

Carlos Drum winkte einem seiner Mitarbeiter, der mit dem Geldkoffer bereitstand. Auf das Zeichen hin kam er, von zwei Sicherheitsleuten flankiert, näher. Mr. Landon bat Tom zu sich und führte ihn dann, mit der Hand an seiner Schulter, in die Mitte des Raumes. Drum überholte sie bereits nach ein paar Schritten, bestieg noch vor ihnen das dort platzierte Podest und wartete ungeduldig auf die Übergabe. Seine Augen irrten immer wieder ängstlich in Richtung Büro.

Tom hingegen schien es nicht eilig zu haben, lächelte Drum nur an. Als er seinen Fuß auf die erste Stufe setzte, flogen alle Türen des Saales gleichzeitig mit einem lauten Krachen auf, und das Deckenlicht flammte auf. Zwanzig bewaffnete Polizisten stürmten herein und blieben nach einigen Metern mit gezogenen Waffen stehen. Tom machte noch zwei Schritte, griff sich den Koffer und reichte ihn mit einer geschickten Handbewegung an den wartenden Will weiter.

Mr. Drum beobachtete ihn dabei und zischte ihm zu: »Was ist mit dem Gegenmittel? Sie haben es versprochen!«

»Keine Panik.« Tom blieb völlig cool, drehte den Kopf in Joes Richtung und nickte ihm zu.

»Wo ist das Gegenmittel?«, wiederholte Drum etwas schärfer und Tom lächelte.

»Alles zu seiner Zeit«, raunte er, grinste dem Detective, der sich vor ihm aufbaute, entgegen und ließ sich von dem Polizisten, der hinter ihm auftauchte, ohne Gegenwehr die Handschellen anlegen.

 

 

Kapitel 6

 

 

 

 

 

 

Als Joe eintrat, fuhr Denise herum. Auch Vivienne Drum richtete sich auf und blickte aufmerksam in seine Richtung. Charly lag völlig spannungslos auf der Couch, hatte die Augen aber geöffnet. Er wimmerte leise, aus seinem Mundwinkel rann ihm der Speichel über das Kinn.

»Scotland Yard ist eingetroffen«, sagte Joe, nahm Denise die Pistole ab und richtete sie auf Mrs. Drum. Dann zog er zwei kleine Päckchen aus seiner Tasche und drückte sie Denise in die Hand. »Los geht’s!« Er deutete mit dem Kopf Richtung Tür, worauf sie nickte und sich vom Tisch abstieß.

»Was tun Sie? Ist das das Mittel, das mein Sohn braucht?« Vivienne Drum sah ängstlich zu ihr hinüber.

Denise musterte sie teilnahmslos. »Leben Sie wohl.«

»Bitte, ich flehe Sie an, lassen Sie ihn nicht sterben. Er ist mein Sohn, ich gebe Ihnen, was Sie wollen.« Nun klang ihre Stimme nicht mehr überheblich oder selbstsicher, nur panisch und flehend.

Dennoch hielt Denise ihren Blick ausdruckslos. Auch das hatte Joe ihr gestern eingeschärft und gerade jetzt – vor ihm – wollte sie auf keinen Fall versagen.

Mrs. Drum brach in lautes Schluchzen aus. »Kennen Sie kein Mitleid?«, weinte sie.

»Du musst gehen«, drängte Joe.

»Wenn Sie jetzt gehen und meinen Sohn sterben lassen, dann werde ich Sie finden.« Vivienne Drum war aufgesprungen und packte Denise am Oberarm. Ihre Stimme war voller Hass. »Ich schwöre, dass ich Ihnen alles nehme, was Ihnen etwas bedeutet.«

Joe presste die Pistole an ihre Schläfe. »Lass sie los, du Schlampe!«

Mit einem erneuten verzweifelten Schluchzen zog sie ihre Hand zurück, doch der Hass in ihren Augen flackerte weiter.

»Geh jetzt, Kleines. Ich regle das hier schon.« Joe deutete kurz mit dem Lauf zum Ausgang.

Denise nickte und schlüpfte durch die offene Tür hinaus. Draußen ließ sie sich mit den Rücken gegen die Wand sinken. Das Echo von Vivienne Drums Schwur hallte in ihrem Kopf wider, und mit einem Mal überkam sie eine so gewaltige Welle der Schuld, dass ihr der Atem wegblieb. Sie benötigte ein paar Sekunden, bis sie sich von der Mauer abstoßen konnte. Noch etwas wackelig durchquerte sie den Flur, doch mit jedem Schritt fand sie zu ihrer Selbstsicherheit zurück.

Im Saal angekommen mischte sie sich unter die staunenden Gäste. Aufgeregtes Geflüster erfüllte die Luft. Denise streckte sich, um einen Blick auf die Raummitte zu erhaschen. Sie sah, dass einige der Beamten dort standen, einer davon sprach lebhaft mit dem Turnierleiter.

Plötzlich kam Bewegung in die Menge. Die Menschen rückten zur Seite, bildeten einen breiten Durchgang in Richtung Ausgang. Will, Tom und Mr. Drum wurden mit mittels Handschellen auf den Rücken gefesselten Händen, flankiert von, wie es schien, Dutzenden Polizisten, abgeführt. Denise konnte nur einen kurzen Blick auf Tom erhaschen. Er trug ein verwegenes Lächeln auf dem Gesicht, das perfekt zu Tommaso passte, sein von ihr geliebtes Antlitz aber entstellte. Innerlich schüttelte sie ihren Kopf über ihre eigenen Gedanken, doch es war tatsächlich so, dass diese beiden Männer zwar in ihm wohnten, jedoch für sie eben zwei Personen darstellten.

Die Gruppe hatte nun beinahe den Ausgang erreicht, also fuhr auch sie herum, drängte sich hektisch durch die Menge, um weiter nach hinten in den Raum zu kommen. Wieder mal warf Joes Unterweisung vom Vormittag ihren perfekten Schatten. Auf Anhieb fand sie den dunklen Geheimgang neben dem Büro, der sie zum Hinterausgang und somit aus dem Gebäude führte. Die Kälte der Nacht raubte ihr für einen Moment den Atem, aber darum konnte sie sich nicht kümmern. Sie hatte keine Zeit, um zu frieren.

Eilig lief sie los. Es fiel ihr schwer, mit den hohen Absätzen auf dem eisigen Beton den Halt nicht zu verlieren, doch nur ein paar Sekunden später war sie an der Vordertreppe. Sie sah sich suchend um, schlich dann zu den wartenden Polizeiautos. Ihr Blick glitt prüfend über die Nummernschilder, und schließlich kauerte sie sich hinter einen der Wagen und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Casinoausgang. Durch die Scheiben der Tür waren bereits Schatten zu sehen.

Sie zitterte. Vor Aufregung und natürlich vor Angst, und außerdem vor Kälte. Was würde sie jetzt für ihr Pelz-Cape geben, das nun jedoch als Waise an der Garderobe des Casinos zurückblieb. So unauffällig wie möglich öffnete sie die hintere Tür des Wagens und schob eines der Päckchen auf die Sitzfläche. Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel ließ sie zusammenfahren. Auf dem Beifahrersitz saß ein Mann, der seinen Blick hob und zu ihr sah. Sie erstarrte, doch es war, als würde er durch sie hindurchsehen, bevor er den Kopf wieder nach vorn wandte.

Denise drückte die Wagentür vorsichtig zu, verharrte danach aber in ihrer gebückten Stellung. Erst als sie sicher war, dass der Typ nicht aussteigen würde, schlich sie, verborgen von der Wagenreihe, zurück zur Straßenecke und verschwand im Schatten der Hausmauer. Nervös lugte sie um die Ecke zur Haupttreppe des Casinos und erneut zu dem Polizeiwagen, in dem sie vorhin das Päckchen abgelegt hatte. Der Mann saß immer noch vollkommen ruhig am Beifahrersitz, was ihr ein erleichtertes Seufzen entlockte.

Plötzlich kam Bewegung ins Spiel. Leises Stimmengewirr erklang vom Eingang her. Sie sah gerade nach oben, als sich die Casinotüren öffneten und die drei Verhafteten, umgeben von einer Traube Uniformierter, heraustraten. Es waren weniger als eben im Saal, was Denise zwar auffiel, ihr aber keine weiteren Gedanken wert war. Viel interessanter war, was jetzt geschah.

Einer der Polizisten löste sich aus der Gruppe und lenkte die anderen, die Tom und Will eingegrenzt hatten, zu den ersten zwei Autos. Carlos Drum wurde von den restlichen beiden Scotland Yard Typen begleitet. Er versuchte, sich von dem Mann hinter ihm loszureißen, der packte ihn jedoch nur etwas fester und stieß ihn weiter.

»Ich bitte Sie, glauben Sie mir doch. Sie müssen noch einmal jemanden hineinschicken. Mein Sohn ist irgendwo da drinnen und stirbt.« Weinerlich flehte er nun, die Verzweiflung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Die Männer hielten jedoch den Blick stur nach vorne gerichtet.

Ein weiteres Mal startete er einen Versuch, sie zu stoppen, indem er abrupt stehenblieb. Dieses Mal reagierte zumindest einer seiner Begleiter. »Seien Sie vernünftig, Mr. Drum. Wir haben das Büro gecheckt, wo er angeblich sein sollte. Da war niemand.«

Carlos’ hochrotes Gesicht wandte sich bittend an den Polizisten zu seiner Rechten. »Dann hat ihn jemand weggebracht. Ich flehe Sie an, ich zahle Ihnen alles, was Sie wollen.«

Ein Mann im Anzug kam mit großen Schritten auf die kleine Gruppe zugelaufen. »Mein Name ist Albert Ring. Ich bin der Anwalt von Mr. Drum, und ich verlange seine sofortige Freilassung«, herrschte er die Uniformierten an, die sich von seiner Aufregung allerdings völlig unbeeindruckt zeigten.

Drum versuchte wieder, sich aus dem Griff der Polizisten zu befreien. »Al, sie haben Charly! Bitte! Du musst ihm helfen!«, schrie er ihm zu, doch dieser schüttelte nur ungeduldig den Kopf. »Jetzt holen wir dich erst mal raus, Carlos.«

Drum stöhnte laut auf. »Nein, du verstehst nicht. Er wird …«

Einer der Beamten unterbrach ihn, indem er Ring am Arm packte. »Sie können gerne mit uns auf die Polizeistation fahren, der Haftrichter wird dann schnellst möglich die Kaution festlegen.«

Noch bevor Drum etwas Weiteres sagen konnte, war sein Anwalt in den Wagen gestiegen, und auch er wurde zum Einsteigen gedrängt.

»Carlos!« Inspektor Morgenside, der leitende Beamte, war herangetreten und gab seinen Kollegen ein Zeichen. Sie ließen sofort von Drum ab. Einer ging davon, der andere setzte sich vorne in den Wagen. Carlos stand, halb im und halb außerhalb des Autos, und warf Morgenside einen fragenden Blick zu.

»Hier möchte Ihnen jemand kurz eine Nachricht überbringen.« Lächelnd trat er zur Seite und gab die Sicht auf Tom frei, der mit immer noch auf dem Rücken gefesselten Händen vor ihm stand.

Als Carlos sein breites Grinsen sah, setzte er ein vorsichtig optimistisches Lächeln auf.

»Sie werden im Wagen Ihr Geschenk finden.« Toms Stimme war leise, doch so voller Verachtung, dass Drum erstarrte. »Schade, dass es Ihnen auf dem Polizeirevier nicht viel nützen wird.«

Tom wandte sich um, aber bevor er sich von Mike, der in einer Polizeiuniform an seiner Seite stand, wieder abführen ließ, lehnte er sich ein letztes Mal in Carlos Richtung. »Ich soll Ihnen noch schöne Grüße von meinem Vater ausrichten. Ich glaube, Sie kennen ihn von früher. Sein Name ist Salvatore Cosolino.«

Nun sank Drum kraftlos zusammen, sodass Morgenside keine Mühe aufwenden musste, um ihn endgültig ins Wageninnere zu schubsen. Tom lachte leise, bevor er hinter Mike zum Auto schlenderte. Kurz darauf knallten einige Autotüren und nur einen Moment später setzten sich zwei der drei Polizeiwagen in Bewegung. Nur der Inspektor blieb zurück.

Denise trat aus dem Schatten der Hausecke und schritt langsam auf ihn zu, während Will aus dem übriggebliebenen Auto stieg. Er rieb sich die Handgelenke und ging mit zufriedenem Grinsen auf Morgenside zu. Die beiden Polizisten im Wagen hinderten ihn nicht daran, sondern starrten weiter stur nach vorn.

»Inspektor Morgenside?« Denise stand nun unmittelbar hinter ihm.

Er drehte sich lächelnd zu ihr um. »Mrs. Cosolino, nehme ich an.«

Noch nicht – dachte sie, nickte dennoch. Sie reichte ihm das zweite Päckchen, das er mit zufriedenem Grinsen entgegennahm.

»Bestellen Sie Salvatore die besten Grüße von mir.« Damit wandte er sich ab und verschwand, ohne Will auch nur zu beachten, im wartenden Wagen, der sofort danach abfuhr.

 

* * *

 

Das Dröhnen des Motors erweckte Carlos aus seinem Schock. Hektisch begann er, mit seinen gefesselten Händen die Rückbank abzutasten.

»Wer war das, Carlos? Was für ein Geschenk?« Albert Ring beugte sich zu ihm.

»Sie haben Charly ein Gift verabreicht und irgendwo hier muss das Gegengift sein, du Idiot.«

Einer der Beamten blickte ärgerlich zu ihnen nach hinten. »Haltet die Klappe. Oder der Anwalt steigt wieder aus und fährt uns mit dem Taxi hinterher.«

Carlos Drum erstarrte, als sich seine Hände um eine längliche Schachtel schlossen.

»Hier ist es«, flüsterte er. »Sag ihnen, dass du aussteigen willst, und bring das zurück zum Casino. Irgendwo muss Charly sein. Sie haben ihn und Vivienne sicher versteckt, als die Polizei das Gebäude stürmte.«

Albert blickte verständnislos, nickte aber und beugte sich vor zum Gitter, das sie vom vorderen Teil des Wagens abschottete.

»Ich möchte …«, sagte er, erstarrte jedoch, als der Mann am Beifahrersitz plötzlich eine Waffe zog und damit auf den Kopf des Fahrers einschlug. Dann öffnete er die Wagentür und ließ sich zusammengerollt nach draußen fallen.

Der Polizist sackte auf dem Lenkrad zusammen, und der Wagen kam augenblicklich auf der glatten Straße ins Schleudern.

Drum schrie auf, und Alberts Hand suchte verzweifelt den Türgriff. Gefangen in Panik wurde ihm klar, dass er sich in einem Polizeiwagen befand, was bedeutete, vom Rücksitz aus gab es keine Möglichkeit, auszusteigen. Er schrie ebenfalls auf, als er hart gegen die Umrandung der Tür krachte, während der Wagen in eine Drehung schleuderte und von der Straße abkam. Sie schlitterten über die Uferpromenade und durchbrachen schließlich die Absperrung des Kais. Der Aufprall warf Ring zuerst in den Sitz zurück, dann prallte er mit dem Kopf an das Gitter vor ihm und sank benommen zusammen.

Nur Sekunden später begann sich das Auto mit eiskaltem Wasser zu füllen. Sein verschwommener Blick fiel auf Carlos Drum, der bewusstlos zusammengesackt war, aus einer Wunde an seiner Schläfe sickerte Blut. Er hielt die Schachtel, die die Rettung für seinen Sohn enthielt, immer noch krampfhaft umklammert.

Langsam sank der Wagen tiefer und Albert spürte, wie die Kälte seinen Körper erstarren ließ. Und noch bevor sein Kopf unter Wasser war, hatte er das Bewusstsein verloren.

 

* * *

 

Tom rieb über die Striemen an seinen Handgelenken, die die Handschellen hinterlassen hatten. Danach griff er sich die Zigarette, die ihm Joe entgegenhielt. Er gab ihm Feuer und beide starrten auf den Fluss. Die Wasseroberfläche war wieder glatt und bewegungslos. »Wo werden die Drum und ihr fetter Sohn hingebracht?« Tom schloss seine Jacke und wandte sich Joe zu.

»Sie kommen an einen sicheren Ort, bis es vorbei ist. Es sind drei Männer abgestellt, um bei ihnen zu bleiben, bis der kleine Charly tot ist.«

»Was hat mein Vater beschlossen? Werden wir Vivienne am Leben lassen?«

Der Rauch von Toms Atem mischte sich mit dem Qualm der Zigarette, während er sprach, und auf Joes Gesicht erschien ein Grinsen. »Was denkst du denn?«

Tom ersparte sich eine Antwort, stattdessen fragte er das, was ihm wirklich wichtig war. »Wer holt Denise ab?«

»Will hat eben angerufen. Er ist mit ihr bereits auf dem Weg zu der Kleinen.«

Tom zog an seiner Zigarette, bevor er über seine rechte Schulter blickte. »Mike? Wie weit bist du?«

»Fertig!« Mike zog seine Hose hoch und griff nach dem Uniformhemd, das er eben ausgezogen hatte. In der geöffneten Tür des Autos hinter ihm saß der Beifahrer aus Drums Wagen. »Pass gefälligst auf, du machst meine Rückbank voll«, knurrte er ihn an und hielt ihm das Hemd entgegen.

»Danke.« Der Typ drückte den Stoff an seinen blutenden Kopf. Sein Sprung aus dem fahrenden Auto hatte ihm eine Platzwunde eingebracht.

Joe wandte den Blick vom Fluss ab. »Soll ich den Mann bezahlen, Figo?«

»Nein, leg ihn um.« Tom schnippte die Zigarette ins Wasser.

Joe nickte gleichgültig und holte den Schalldämpfer aus seiner Jackentasche. »Du solltest übrigens losfahren, dein Vater erwartet dich im Maxime«, sagte er beiläufig, während er ihn am Lauf seiner Waffe befestigte.

»Ich dachte, er kommt erst morgen und wir fahren direkt zum neuen Haus.« Tom versuchte, seine ausdruckslose Miene zu halten. Ein eisiges Gefühl beengte seine Kehle, das sich noch verstärkte, als Mike mit zusammengekniffenen Augen nähertrat.

»Der Capo hat seine Meinung geändert. Er ist vor ein paar Stunden angekommen und möchte mit dir allein sprechen, bevor wir abreisen. Er kommt dann mit dir wieder zurück, und wir fahren alle gemeinsam los«, erklärte Joe, während er sich umdrehte und zum Wagen ging. Kurz darauf waren zwei gedämpfte Schüsse zu hören.

Tom und Mike tauschten einen unsicheren Blick, Mike zuckte kaum merklich mit den Schultern.

Joes ungeduldige Stimme erklang vom Auto her. »Würde mir bitte jemand helfen? Oder soll ich ihn alleine schleppen?«

Mike schnitt eine Grimasse, während Tom ihn eingehend musterte. Sein beschleunigter Atem dampfte vor seinem Gesicht in die Höhe und seine Finger spielten nervös am Verschluss seiner Jacke.

»Gibt’s Probleme? Seid ihr dort festgefroren?«, rief Joe verärgert.

»Nein, ich komm schon.« Mike eilte zu ihm, gemeinsam trugen sie die Leiche zum Wasser und warfen sie hinein.

»Soll ich Tommaso hinfahren?«, erkundigte sich Mike, als sie vom Kai zurückkamen. Seine Stimme klang gelangweilt, so als hätte er kaum Lust dazu.

»Geht das für dich klar, Figo?« Joe blieb neben Tom stehen. Sein Blick war taxierend.

Tom bemühte sich, Desinteresse zu mimen. »Mir egal«, maulte er, während Mike bereits in den Mercedes einstieg. »Treffen wir uns danach im alten Haus, oder wo?«

Joes Lächeln verrutschte keinen Millimeter, aber er vermied den Augenkontakt, während er ausweichend antwortete. »Das wird dir dein Vater sagen, ich muss selbst erst mit ihm telefonieren.«

Tom stieg ohne Erwiderung ins Auto, worauf Mike augenblicklich losfuhr. Sobald sie außer Sichtweite waren, glitt Toms Hand in seine Jackentasche und fischte das Telefon heraus. Er wählte Denises Nummer. Nach dem fünften Klingeln kam er auf ihre Mobilbox. »Shit.« Das Handy verschwand wieder in seiner Tasche und er rieb sich nervös über die Stirn.

»Was machen wir jetzt?« Mike drehte sich zu ihm.

Tom fuhr mit ärgerlichem Blick herum. »Keine Ahnung, du bist doch scheinbar das Planungsgenie.«

»Ich hab mein Bestes gegeben, Tommaso. Damit konnte ich nicht rechnen. Sie müssen irgendetwas gemerkt und ihre Pläne geändert haben.«

Toms Magen krampfte sich zusammen und er spürte, wie Panik in ihm aufstieg. »Warum hilfst du uns überhaupt? Ich dachte, du bist einer von Dads besten Männern.«

»Das war ich. Bis er mir genommen hat, worum du gerade bangst.«

Tom stöhnte auf. »Was meinst du damit, Mike? Ich hab jetzt echt keinen Kopf und keine Nerven für Rätsel!«

Mike seufzte tief. »Ich liebte einmal ein Mädchen. Sie hieß Amayeta, ich denke, der Name sagt dir etwas.«

Toms Kopf drehte sich so heftig zu ihm, dass sein Genick knackte.

Ein Schnaufen erklang, bevor Mike mit einem schiefen Lächeln und leiser Stimme fortfuhr. »Ich nannte sie Maya, und ich war wirklich bis über beide Ohren in sie verliebt. Salvatore ließ mich glauben, dass sie mich benutzt hatte, um ihrem Liebhaber zu helfen, was natürlich nicht stimmte. Chay war ihr Freund, nicht ihr Geliebter, und sie hatte keine Ahnung von seinen Plänen. Er war mit ihr zur Schule gegangen, hatte durch Zufall herausgefunden, dass sie mich kannte und deshalb wieder ihre Bekanntschaft gesucht. Er hat es verstanden, sie auszuhorchen. Und sie hat ihm weitererzählt, was ich ihr erzählt habe, aber nicht aus böser Absicht, so wie Salvatore behauptet hat. Sie wusste nicht, dass Chay mich oder den Capo kannte. Doch ich glaubte natürlich Salvatore – du weißt, wie überzeugend er sein kann. Und ich gab Maya die falschen Informationen weiter, wie er mir aufgetragen hatte, und machte mit ihr Schluss, wie er mir befohlen hatte. Natürlich habe ich sie erst dadurch in Chays Arme getrieben. Er erzählte mir später, wie sehr sie unter der Trennung von mir gelitten hat, und dass sie ihm erzählt hat, wie sehr sie mich liebte.«

»Du hast mit Chay gesprochen?« Ungläubig schüttelte Tom den Kopf.

Mike lächelte traurig. »Mehr als das, Tommaso, mehr als das. Ich war es, der den vergifteten Wein zu deiner Mutter lieferte. Und die Einzige, die ich damit tötete, war Maya. Als ich in dieser Nacht, nachdem ich dich mit Joe und Anthony aus deinem Zuhause entführt hatte, zurückkam, klärte mich Salvatore auf. Nie werde ich sein Gesicht vergessen, als er mir sagte, dass sie tot ist, dass ich es war, der ihm geholfen hat, sie zu töten. Er genoss es sichtlich, so eine Macht über mich zu haben, und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich nicht mehr so leben kann – nicht mehr so leben will. Also fuhr ich los und suchte nach Chay. Ich wartete vor eurem Haus, bis er früh morgens nach Hause kam. Ich hatte irgendetwas Melodramatisches im Sinn, wie mich von ihm erschießen zu lassen oder so. Aber du weißt selbst, dass Chay nicht einmal aus Rache zu so etwas fähig war. Der gemeinsame Schmerz um Maya hat uns zusammengebracht. Er wurde mein Freund, und nur ihm zuliebe blieb ich noch bei Salvatore. Ich hielt ihn über dich am Laufenden und half ihm schließlich auch dabei, dich von dort raus zu schaffen.«

Tom hatte ihm aufmerksam gelauscht, doch als er geendet hatte, schüttelte er wieder den Kopf. »Ich glaube dir nicht«, flüsterte er mit unsicherer Stimme, seine Stirn lag in Falten.

Mike zuckte fast gleichgültig mit den Achseln. »Das ist deine Entscheidung, Tommaso. Chay hat mich gebeten, dich und Sue zu beschützen, und das tue ich, soweit es in meiner Macht steht. Ich halte mich an Chays Wunsch, soweit das möglich ist und habe einen Plan ausgearbeitet, wie wir beziehungsweise du und deine Mädchen heil hier raus kommt.« Er räusperte sich, als er Toms skeptischen Blick bemerkte. »Eine Kopie aller Aufzeichnungen liegt in einem Schließfach, dessen Schlüssel Stephanie vor zwei Tagen an Sues ehemalige Lehrerin geschickt hat. Sie wird ihn dir geben, wenn du zu ihr gehst.«

»Elisabeth Klier?«, erkundigte sich Tom erstaunt.

»Sie ist die Einzige, die uns eingefallen ist, die Salvatore nicht auf dem Schirm hat. Es war Stephs Idee.«

»Steph weiß Bescheid?«

»Ja, seit einigen Tagen. Ich habe sie eingeweiht, weil ich ihr Hoffnung geben wollte. Immerhin ist sie Chays Mutter, und ich habe ihm versprochen, sie ebenfalls zu beschützen.«

»Toll!« Tom stieß ein heiseres Lachen aus und blickte für ein paar Minuten schweigend aus dem Autofenster. Dann drehte er sich zurück. »Was hat er mit ihnen vor, Mike?«

»Ich weiß es nicht, aber ich fürchte, dass wir nichts mehr an seinen Plänen ändern können.«

»Und was jetzt?«

»Wir fahren zum Maxime und schauen, ob er dort ist. Wenn ja, müssen wir bleiben, wenn nicht, fahren wir sofort zurück.«

»Und er hatte inzwischen genug Zeit, sie so weit weg zu schaffen, dass ich nichts mehr tun kann«, murmelte Tom verzweifelt.

Mike nickte, danach stießen sie synchron einen tiefen Seufzer aus.

Tom starrte wieder aus dem Fenster. Dichter Eisregen hatte die Straßen in Rutschbahnen verwandelt und Mike musste die Geschwindigkeit drosseln, um nicht ins Schleudern zu geraten. Schließlich runzelte Tom die Stirn, als ihm etwas einfiel. »Warum hast du mich eigentlich vor Alex gewarnt?«

»Er steckt mit drin. Ich weiß es leider erst seit gestern und hatte keine Gelegenheit mehr, Stephanie zu warnen.« Am Ende des Satzes war seine Stimme nur noch ein Flüstern, voller Angst und für einen Moment sogar ohne Hoffnung.

 

 

Kapitel 7

 

 

 

 

 

 

»Okay. Ganz wie Sie wünschen, Salvatore.« Alex klappte das Handy zu und blies lange und geräuschvoll die Luft aus.

Wayne klopfte ihm grob auf den Rücken. »Nimm es wie ein Mann«, sagte er überheblich.

Alex verzog unglücklich das Gesicht und kehrte danach ins Wohnzimmer zurück. Für einen Moment saugte er die vermeintliche Idylle auf, die ihn empfing. Sue war zu Steph auf die Couch geklettert, hatte sich an sie gekuschelt und ihr Köpfchen auf ihren Schoß gebettet, während Melina, ihm vorsichtig entgegenlächelnd, auf dem zweiten Sofa saß. Seufzend setzte er sich neben seine Freundin und legte den Arm um sie. »Wann kommen Tom und Denise zurück?« Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

Alex sah sie nicht an, und als er sprach, klang seine Stimme unsicher. »Tom hat noch etwas zu erledigen, Denise wird bald hier sein.«

Melina hingegen blieb weiter auf ihn fixiert – mit beunruhigter Miene. Er selbst starrte stur nach vorne, auch wenn ihm nicht entging, dass Steph alarmiert den Kopf gehoben hatte. Ihr drängender Blick schien sich förmlich in ihn zu bohren, er spürte, wie sich der Schweiß in seinen Handflächen sammelte und ballte die Hände zu Fäusten.

»Alex, könntest du mir helfen?« Stephanies Stimme zitterte.

Er hielt still, gab vor, sie nicht gehört zu haben.

»Alex. Kannst du mir bitte helfen?«, wiederholte sie nun lauter. Die oberflächliche Wut, die ihren Tonfall färbte, hatte den vagen Beigeschmack von Angst.

Widerstrebend gab er nach. »Klar. Warte.« Sich von Melina lösend stand er auf. Die Tür immer im Auge, ging er zu ihr hinüber. »Was brauchst du?«, wisperte er, nachdem er sich zu ihr hinunter gebeugt hatte.

»Was ist hier los?«, flüsterte sie zurück. Ihr Blick war mehr als misstrauisch und er zuckte schuldbewusst zusammen.

»Nichts«, zischte er und war froh, als Sue an Stephs Ärmel zupfte. Sie gähnte. »Muss ich heute nicht schlafen gehen?«

»Nein, Kleines. Du bleibst schön mit Alex und Melina hier unten. Wir werden später noch einen Ausflug machen.« Wayne kam eben, gefolgt von einem Typen, den Alex nicht namentlich kannte, zur Tür herein und nickte ihm kurz zu. »Ich werde mit Stephanie nach oben gehen. Sie wird uns vorläufig noch nicht begleiten.«

»Warum klingt das für mich wie ein Befehl?«, bemerkte Steph bissig.

»Vielleicht, weil es einer ist, meine Liebe«, zischte Wayne zurück, während er sie kurzerhand vom Sofa zog.

Alex schnappte sich Sue und setzte sich gemeinsam mit ihr zu Melina auf die Couch. Er wirkte nervös, was ihm selbst nur allzu bewusst war. Zu behaupten, ihm würde diese Sache über den Kopf wachsen, war bereits vor Stunden eine Untertreibung gewesen. Ihm war selbst nicht klar, wie er sich so hatte von Salvatore einwickeln lassen. Der charismatische, reiche Vater seines Freundes war zum Mafiaboss und berechnenden Verbrecher mutiert, und er hatte ihn blindlings dabei unterstützt, all das, was gerade passierte, möglich zu machen. Scham war ein zu kleines Wort dafür, was er empfand. Schuldbewusst wandte er sich schnell von Stephanie ab und dem Fernseher zu.

»Jim, leiste doch den jungen Leuten hier Gesellschaft, ich habe etwas mit Stephanie zu besprechen«, bemerkte Wayne zuckersüß und verließ, sie hinter sich herziehend, den Raum.

»Alex?«, hauchte Melina, aber er konnte ihr nicht antworten. Im Augenwinkel scannte er diesen Typ, der wohl als ihr Bewacher abgestellt worden war. Sein Jackett war offen und gab den Blick frei auf die Waffe, die er in einem Halfter um die Brust trug.

»Jetzt nicht«, wisperte er nur zurück, während die Panik und die Reue in ihm brannten, wie Feuer.

 

Eisige Angst schnürte Stephanies Kehle zusammen. Sie empfand Waynes Hand, die die ihre immer noch festhielt, wie eine Fessel. Sein Blick, der zu einem gehässigen Grinsen verkniffene Mund und sein beschleunigter Atem waren ihr Omen genug, dass das hier wirklich übel für sie werden konnte. Während ein Schauder ihren Rücken herablief, erinnerte sie sich zurück an die letzte Vergewaltigung durch Salvatore. Schmeckte erneut das Blut, spürte den beißenden Schmerz, der sich in ihren Unterleib grub, als er, ohne sie auch nur irgendwie vorzubereiten, über sie hergefallen war. Vorsichtig lugte sie zu Wayne hinauf – seine Zunge umkreiste seine Lippen und seine Miene war so von böser Zufriedenheit gezeichnet, dass sie Übelkeit überkam.

Zu ihrer Überraschung, die aber keineswegs Erleichterung in ihr auslöste, führte er sie jedoch nicht nach oben ins Schlafzimmer, sondern ins Gästezimmer, wo sie Julia bereits erwartete, mit einem Whiskeyglas in der Rechten. Zwischen den Fingern der anderen Hand klemmte die letzte Notiz von ›Huck‹. »Sieh mal Steph, was ich in Toms Zimmer gefunden habe.« Ihr Lächeln war überheblich und gemein.

Stephanie bemühte sich, den Schock zu verbergen, der sie durchfuhr. »Was ist das?«, fragte sie ruhig und beherrscht.

»Ich denke, das weißt du.« Julia ging an ihnen vorbei und schloss die Tür, während Wayne Steph zu einem der Lehnsessel lenkte, und sie danach aufforderte, Platz zu nehmen.

Er selbst wählte den Sessel ihr gegenüber. Sein Kinn auf die Spitze seiner gefalteten Hände legend, musterte er sie mit angespannter, wachsamer Miene. »Wir wissen, dass mal wieder jemand versucht, Tommaso zu manipulieren. Dein verdammter Sohn hat es einmal geschafft, sich von seinem Vater und seiner Familie abzuwenden. Du wirst verstehen, dass wir annehmen müssen, dass du damals involviert warst und es wahrscheinlich auch jetzt bist.«

»Oder ist es diese rothaarige Schlampe?« Julia stellte sich an die Lehne von Stephanies Sessel und griff nach ihren Schultern. Ihre Finger krallten sich an ihr fest und sie beugte sich hinunter zu ihrem Ohr. »Es liegt an dir, hier heil aus der Sache rauszukommen, also sag uns, was wir wissen wollen.«

»Denise weiß überhaupt nichts, lasst sie in Ruhe«, stieß Steph zornig aus und riss sich von Julias Griff los.

Wayne hob beschwichtigend die Hände. »Hey, Mädels, lasst uns ruhig bleiben.« Er stand auf und bediente sich an der kleinen Bar in der Ecke. Mit zwei Whiskeys kehrte er zurück. Einen der Schwenker hielt er Stephanie hin, die zuerst den Kopf schüttelte, ihn dann aber doch nahm.

Wayne blieb vor ihr stehen und trank die Hälfte seines Glases mit einem Schluck aus. »Wir haben leider keine Zeit, Stephanie oder Sybil, wie auch immer. Also ist es besser, wenn du uns jetzt alles erzählst, was du weißt. Zwing mich nicht, Sue herüber zu holen. Du kennst mich noch nicht lange, aber ich kann dir garantieren, dass ich nicht weniger über die Methoden der Firma weiß, oder weniger geneigt bin, sie anzuwenden, als Salvatore.«

»Nein!« Steph erbleichte, hob jedoch trotzig den Kopf. »Du wirst die Kleine nicht anfassen. Du weißt, das würde Tommaso euch nie verzeihen. Und das weiß auch Salvatore.«

Ihr selbstsicheres Lächeln brachte Wayne zur Weißglut. Er holte aus und schlug sie mit dem Handrücken auf die rechte Seite ihres Gesichts. »Es ist mir egal, was du glaubst zu wissen. Ich will von dir hören, wer diese Nachricht geschrieben hat!«

Sie schüttelte nur stumm den Kopf, doch Julias Finger krallten sich in ihre Haare und zogen sie hoch. »Du verdammte Nutte, du wirst uns sagen, was wir wissen wollen, oder ich persönlich werde dich töten.«

Wayne zog seine Waffe und drückte den Lauf gegen Stephanies Schläfe. »Also, raus mit dem Namen. Es ist Mike, oder?«

Angst spiegelte sich in Stephs Zügen, obwohl sie verzweifelt versuchte, genau das zu verhindern. Wayne durfte nicht entdecken, dass es vor allem ihre Furcht davor war, Mikes Geheimnis nicht wahren zu können. Doch es war zu spät. Wayne hatte die Antwort in ihren Augen gelesen und stieß ein ungläubiges Lachen aus.

»Ha! Ich hatte von Anfang an Recht!« Julia ließ ihr Haar abrupt los und trat einen Schritt zurück. »Ich habe euch gesagt, dass ich die SMS nicht geschrieben habe. Keiner hat mir geglaubt, auch du nicht!«

Ihr verärgerter Blick erheiterte Wayne ungemein. »Ich war mir ziemlich sicher, dass du die Wahrheit sagst, aber warum hätte ich mich für dich einsetzen sollen? Der Capo und auch Joe glaubten Mike, und ich war nicht dabei. Ich sah keinen Vorteil darin.«

»Salvatore hätte mich fast umgebracht.« Empört starrte sie ihn an.

»Du übertreibst mal wieder, du lebst ja noch. Und jetzt …« Er brach ab, während ein gefährlich verrücktes Funkeln seine Augen eroberte. »Du hast eine Nachricht zu überbringen. Ich werde mich inzwischen gebührend von Steph verabschieden.«

Leise und flehend erklang plötzlich Stephanies Stimme. »Darf ich Sue noch auf Wiedersehen sagen?«

Wayne lächelte großzügig. »Hol sie kurz rein«, rief er Julia beim Hinausgehen zu.

Eine Minute später kam Julia mit der Kleinen an der Hand zurück. Sue war bereits umgezogen, trug Jeans und einen Pullover, und ihr Haar zu einem Zopf geflochten auf ihrem Rücken.

»Komm her, Kleines«, bat Steph mit zitternder Stimme. Als sie neben ihrem Stuhl angekommen war, zog sie ihre Enkelin in die Arme und drückte sie an sich. »Vergiss nie, wie sehr ich dich liebe, Sue. Und wie sehr Tom dich liebt. Egal was in den nächsten Tagen passiert, du darfst nie an ihm zweifeln.«

»Ich hab dich auch lieb«, wisperte Sue an ihrer Brust. Steph legte ihren Mund an Sues rechte Gesichtshälfte, als würde sie sie zum Abschied küssen. »Sag Alex, er soll dich sofort hier rausbringen. Wayne will euch wehtun.«

»Was gibt’s da zu flüstern?« Wayne trat an die Tür und streckte Sue die Hand entgegen. »So, das genügt. Wir haben noch ein straffes Programm diese Nacht.«

Als Sue sich aus ihrer Umarmung löste, saugte Steph ihren Anblick in sich auf. Toms – Claires – grüne Iris, Chays Gesicht und Haar. Alles, was sie je geliebt hatte, stand vor ihr. Sie schloss kurz die Augen und schenkte ihrer Enkelin ein letztes, sehnsuchtsvolles Lächeln.

Sues fragender Blick zeigte leichte Verunsicherung über das merkwürdige Verhalten ihrer Grandma. »Warum bist du so traurig? Alex sagt, wir sehen uns morgen. Dann fliegen wir alle mit einem großen Flugzeug!«

Stephanie bemühte sich sofort um Beschwichtigung: »Ja. Natürlich, Kleines«, brachte sie gepresst hervor. Die Tränen brannten bereits in ihren Augen.

Sue winkte ihr lächelnd zum Abschied zu. »Bis morgen!«

Steph konnte nur stumm nicken, sie fühlte Nässe auf ihren Wangen. »Ich hab dich lieb«, schluchzte sie, doch Sue konnte sie nicht mehr hören, weil Julia sie schon durch die Tür nach draußen geschoben hatte. Bevor sie selbst hindurch ging, drehte sie sich jedoch noch einmal mit bösartigem Grinsen um. »Will und Denise werden gleich zurückkommen, Wayne. Vielleicht verschiebst du deine Abschiedsfeier auf nachher, wenn wir weg sind. Der Capo möchte nicht, dass sie vorher irgendeinen Verdacht schöpft.«

Wayne nickte widerstrebend, bevor er sich an Stephanie wandte. »Sie hat leider recht. Also muss ich dich zu meinem Bedauern vertrösten. Ich komme aber sofort wieder, meine Süße.«

Steph lauschte der Tür, wie sie ins Schloss fiel, danach dem Geräusch des Schlüssels, und begann nun richtig zu weinen.

 

* * *

 

Mike und Tom betraten das Maxime gegen Mitternacht. Der Kellner begleitete sie an einen der Tische im VIP-Séparée. »Mr. Cosolino lässt sich entschuldigen. Er wurde aufgehalten und wird in der nächsten Stunde eintreffen«, erklärte er, bevor er sie verließ.

»Es ist eine Falle«, stellte Mike nüchtern fest, kaum dass sie allein waren.

»Ja. Und nun?«

»Sie werden ihn anrufen, wenn wir gehen.«

Tom schloss verzweifelt die Augen. »Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen.«

»Du hattest nicht wirklich eine Wahl. Du darfst deinen Vater niemals unterschätzen. Er ist sehr gut im Planen, das weißt du.«

»Großartig. Soll ich jetzt aufgeben und zulassen, dass er sie verschleppt, oder schlimmer noch, tötet?« Er griff sich sein Handy, wählte und hob es ans Ohr. Denise meldete sich wieder nicht. »Verdammt. Wenn ich nur wüsste, wo sie jetzt ist.«

Mikes Blick war starr. »Ich denke, wir müssen es riskieren. Ich werde uns zwei Damen an den Tisch rufen, und nach etwa fünfzehn Minuten werden wir mit ihnen in eines der Spezialzimmer verschwinden. Von dort können wir raus, und dann müssen wir so rasch wie möglich ins Haus zurück.«

»Das dauert zu lange. Wir sind am anderen Ende der Stadt. Wir werden zu spät kommen.«

»Es gibt keine andere Möglichkeit. Besser, wir versuchen es so, als wir tun nichts, oder?«

Der Kellner kam mit ihren Drinks, Tom nickte Mike zu. Dieser zog einen hundert Pfundschein aus der Tasche und hielt ihn, zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt, hoch. »Wie wäre es mit zwei Blondinen?«

 

 

Kapitel 8

 

 

 

 

 

 

Als Denise an Wills Seite das Haus betrat, überfiel sie eine eigentümliche Stimmung. Die Atmosphäre war angespannt und feindselig, und Julias Anblick diente ebenfalls nicht dazu, sie zu beruhigen. Sie stand in der Halle und grinste ihr entgegen.

»Was ist so lustig?«, erkundigte sich Denise, während sie an ihr vorbeischritt.

»Nichts.« Noch immer grinsend drehte sich Julia am Absatz um und betrat das Arbeitszimmer.

Denise sah ihr kurz hinterher und eilte danach weiter in den Salon. Sue kam ihr in der Tür entgegengelaufen und sprang ihr in die Arme. Ihr Näschen drückte sich an ihre Wange. »Stephanie hat gesagt, Alex soll uns hier wegbringen, weil die uns wehtun wollen«, wisperte sie ihr zu. Es war zu hören, dass die Kleine nicht genau wusste, was sie von dieser Nachricht halten sollte.

Denise hingegen war klar, was hier los war – zumindest grundlegend. Sie waren aufgeflogen! Ihr Blick wanderte zu ihrem Bruder, der sie kurz ängstlich ansah, bevor er sich abwandte.

Wayne lehnte lässig am Kaminsims. »Hallo, Süße. Wie war’s?«

Sie blickte mit zusammengezogenen Augenbrauen zu ihm. »Alles nach Plan gelaufen. Wo sind die anderen?«

»Noch nicht hier. Sie haben noch etwas zu tun und treffen uns dann auf der Jacht.«

Denise versuchte, ihre Angst hinunter zu schlucken. »Welche Jacht?«

»Sie wird uns aus London rausbringen. Schließlich werden wir bald zurück nach Chicago fliegen, oder?«

Unsicher zupfte Denise an ihrem Oberteil. »Natürlich. So war’s ja geplant.«

»Wer fliegt nach Chicago?« Melina, die bis jetzt stumm ihrer Unterhaltung gefolgt war, erhob sich plötzlich vom Sofa.

»Wir alle«, antwortete Alex, stand ebenfalls auf und packte sanft ihre Schultern.

Sie fuhr herum. »Für wie lange?«

»Das sehen wir dann«, murmelte Alex.

»Ich kann nicht einfach verreisen. Was ist mit meinem Studium?«

»Lina bitte, wir werden das später besprechen, okay?«, presste Denise hervor, gleichzeitig sandte sie ihr einen beschwörenden Blick. Sue enger an sich drückend fixierte sie danach erneut ihren Bruder. »Okay – Alex, komm bitte mit, wir müssen noch einige Sachen einpacken.«

»Das wird nicht nötig sein. Ich habe bereits alles zusammen, was wir brauchen.« Julia erschien im Türrahmen, hinter ihr stand breit grinsend Will.

Sues Hände verkrampften sich um Denise Nacken. »Ich habe Angst. Wo ist Tom?«, wisperte sie leise.

»Wir treffen ihn später.« Denise strich ihr beruhigend über den Kopf. »Na dann. Holen wir Steph und fahren los.«

»Stephanie wird hier bei mir bleiben. Wir kommen morgen nach.« Wayne lächelte geheimnisvoll.

Denise bemühte sich, Strenge in ihre Augen zu legen. »Ohne Steph werden wir nirgends hinfahren!«

Wayne verzog sein Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse. »Du kannst es dir aussuchen, Denise. Wenn du darauf bestehst, dass Stephanie euch heute begleitet, dann wird statt ihr Sue hierbleiben.«

»Nein«, hauchte Denise tonlos, während sich Sues Finger in den Stoff ihres Oberteils krallten. Die Kleine zitterte nun heftig. Ein Klicken war zu hören, als Will seine Waffe entsicherte, gleich darauf spürte Denise Julias Atem an ihrer Wange. »Du wirst machen, was wir dir sagen, verstanden?«

»Wo ist Salvatore? Ich möchte ihn anrufen. Ich werde ihn fragen, warum wir nicht alle zusammen fahren können«, verlangte sie zu wissen, ihre Angst hinter einer störrischen Miene versteckend.

Alex legte seine Hand an ihren Rücken. »Ich habe mit ihm gesprochen, niemand wird etwas passieren, Denise. Er will sich nur absichern. Stephanie kommt morgen nach. Versprochen. Bitte komm jetzt.« Er drängte sie, loszugehen, und Sue schmiegte sich weinend näher.

Denise dachte an ihr Versprechen an Tom, rang um das Vertrauen in ihren Bruder, das immer so selbstverständlich gewesen war, nickte dann langsam und folgte Alex und Lina zögernd in die Halle. »Kann ich mich wenigstens von ihr verabschieden?«, wisperte sie. Auf einmal schien es nicht mehr nötig, ihr Entsetzen zu verbergen. Sue weinte leise vor sich hin.

Wayne grinste hämisch. »Sie ruht sich aus«, spottete er nur. Denise spürte, wie nun auch ihr die Tränen kamen, aber noch schaffte sie es, sie zurückzuhalten.

»Du siehst sie morgen. Es wird alles gut.« Alex’ versucht beruhigende Stimme hüllte sie ein, während er sie umarmte, um sie nach draußen zu lenken.

Als sie an Wayne vorbeigingen, klopfte dieser Alex anerkennend auf die Schultern und wisperte: »Gut gemacht, Junge!« Danach wandte er sich an Julia. »Fahrt über die Seitenstraßen und meldet euch, wenn ihr da seid.«

Sie nickte, öffnete die Eingangstür, blieb darin stehen und winkte die kleine Gruppe durch, dann grinste sie Wayne zu. »Viel Spaß!«

Sein dröhnendes Lachen folgte ihnen, bis sich die Wagentür hinter dem letzten von ihnen geschlossen hatte. Denise blickte über ihre Schulter und sah, wie Wayne nach drinnen ging. Während der Wagen beschleunigte, löste sich eine Träne von ihren Wimpern und tropfte auf Sues Hand.

 

Waynes Schritte führten ihn zielstrebig ins Gästezimmer. Steph sah auf, als er eintrat. Vor ihr auf dem Tisch standen ein Glas sowie die mittlerweile fast geleerte Flasche Whiskey. Ihr Blick war ausdruckslos, ihre Augen vom Weinen gerötet.

»Wie ich sehe, hast du dich in Stimmung gebracht.« Während er nähertrat, löste er seinen Krawattenknoten und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. »Ich muss sagen, ich habe dich wirklich vermisst. Du warst weitaus freundlicher zu mir, als du mich noch Roman nanntest.«

Stephanies Blick blieb unverändert, als er seine Hose öffnete.

»Ich bin froh, dass Tommaso Salvatore gebeten hat, auf deine Gesellschaft zu verzichten. So kann ich mich nun wieder um dich kümmern.«

Sie fuhr fort zu schweigen, was Ärger in seiner Miene aufflackern ließ. »Sprichst du nicht mit mir, Baby? Ich kann das Schweige-Spiel nicht leiden, Steph. Ich warne dich!« Er trat näher und zog sie grob hoch, doch sie blieb still, sah ihn nur weiter starr an. Ihre Teilnahmslosigkeit brachte seine Wut dazu, überzukochen. Er holte aus und traf sie so brutal ins Gesicht, dass sie das Gleichgewicht verlor und zuerst gegen den hohen Lehnstuhl und dann zu Boden stürzte.

Der Schmerz in ihrer Brust nahm ihr den Atem. Blut floss aus einer Wunde an ihrer rechten Gesichtshälfte, dort, wo sein schwerer Siegelring ihre Haut aufgerissen hatte. Sie wimmerte leise und versuchte verzweifelt, Luft in ihre Lunge zu saugen. Das Brennen in ihrem Hals weitete sich auf ihren gesamten Brustkorb aus und sie schrie auf, als sie ein weiterer Hieb traf. Sie hob die Arme über den Kopf, um sich zu schützen, was das Stechen in ihrer Brust jedoch sofort vervielfachte. Ihr Weinen wurde immer lauter, während sie sich unter seinen brutalen Schlägen und Tritten duckte, bis er endlich wieder zur Besinnung zu kommen schien und von ihr abließ.

»Wirst du jetzt brav sein?«, presste er zwischen den Zähnen hervor.

Steph nickte verzweifelt, rang gleichzeitig nach Luft, doch er gönnte ihr kaum eine Pause.

Brutal zog er sie erneut hoch, bevor er sie grob nach hinten stieß. Ihre Hüfte knallte an die Tischkante. Er drückte gegen ihre Brust, und sie ließ sich kraftlos auf die Tischplatte sinken.

Ihr Kopf war leer. Eigentlich war sie seit Wochen bereit gewesen, zu gehen. Nur die Sorge um Sue und Tom hatte sie gezwungen, weiterzumachen. Und dann war Mike gekommen, hatte ihr von ihm und Chay erzählt, ihr einen Brief ihres Sohnes gezeigt, der seine Worte bestätigt hatte, und ihr so wieder Hoffnung geschenkt.

Als Wayne ihr nun die Kleidung vom Leib riss und sich zwischen ihre Beine drängte, konnte sie nur daran denken, wie sehr sie sich wünschte, Mike noch einmal sehen zu können. Ihm zu sagen, wie viel ihr seine Worte bedeutet hatten und wie dankbar sie ihm für die Hilfe war, die er Tom und Sue gab.

Sue!

Sie hoffte, Chay konnte ihr verzeihen, doch sie hatte nicht mehr die Kraft, weiter zu kämpfen. Zum Glück hatte die Kleine Tom – und Denise. Sie würden sie beschützen. Diese Gedanken halfen ihr, die Schmerzen auszublenden, als Wayne rücksichtlos in sie eindrang und sofort begann, hart in sie zu stoßen. Immer fester warf er sich gegen sie, und sie sann nach einer Möglichkeit, dieses Monster mitzunehmen, wenn sie ging. Jeder Gegner, den sie ausschalten könnte, wäre eine Bedrohung weniger für Tom und die Kleine.

Sie hob die Arme über ihren Kopf, und Wayne stöhnte zufrieden auf, da er annahm, sie würde endlich auf sein Tun reagieren. Seine Hand griff gierig nach ihrer Brust, sein Mund senkte sich auf ihren Hals.

Ein schwacher Schrei klang durch das Zimmer. Stephanie hatte ihn ausgestoßen, als sie plötzlich ein rasender Schmerz mit unerträglicher Heftigkeit durchfuhr. Wayne presste sich an sie, um sie zu küssen, sein Gewicht drückte ihren Brustkorb zusammen. Eine der angeknacksten Rippen brach. Sie stöhnte laut auf und schloss die Augen.

»Wusste ich’s doch. Du bist nicht aus Stein, du kleine Nutte«, keuchte er.

Ihre Hände tasteten bebend über die Schreibtischfläche und stießen plötzlich auf etwas Kaltes, Glattes. Ein Brieföffner. Sie mobilisierte ihre letzten Kraftreserven und öffnete die Lider. »Warte«, hauchte sie, ihre freie Hand drückte sanft gegen seine Brust.

Er hob erstaunt den Blick und grinste, als er sah, wie sie lächelte. »Das können wir doch besser«, flüsterte sie heiser.

Er richtete sich weiter auf und Steph packte seinen Nacken, um sich ebenfalls hochzuziehen. Wieder ein Stich knapp unter ihrem Herzen. Sie keuchte auf, hielt jedoch nicht inne.

Wayne seufzte tief und seine Hände legten sich an ihre Hüften, um sie näher zu ziehen.

Steph rang stoßweise um Atem, und während der Schmerz immer stärker wurde, vernebelte ein Schwindel ihre Sinne. Die wenige Luft, die den Weg zu ihrer Lunge fand, brannte wie Feuer. Bilder tanzten vor ihren Augen. Chay und Claire, sterbend auf der Straße. Salvatore, als er von ihrem Körper Besitz ergriff, wieder einmal, als er sie missbrauchte, sie zu der Hure machte, die er forderte, um sich als ihr Bezwinger zu fühlen. Dann sah sie Sue vor sich, in ihrer Geburtsstunde, dahinter Claires verschwitztes und erledigtes Gesicht, und Chays Lachen. Ein Leben, das dafür sorgte, dass ihr Sohn weiterlebte. Für sie, dachte sie nur noch, und mit letzter Kraft hob sie den Brieföffner und stieß ihn in seine Brust.

»Was …?«, presste er hervor. Seine Augen weiteten sich überrascht, langsam kippte er nach hinten und fiel zu Boden.

Stephanie hielt inne und starrte auf ihn hinunter. Sein Blick war ungläubig auf sie gerichtet, und sie versuchte zu lächeln, als sie aufstand. Ein zittriger Atemstoß entwich seinem Mund, dann lag er ruhig.

Ein erleichterter Seufzer kroch über Stephs Lippen. Für einen Moment fiel es ihr wieder leichter, zu atmen. Dennoch umkreiste ihre Hand unentwegt den Punkt, unter dem in ihrer Brust der Schmerz pulsierte. Sie sah noch einmal auf Waynes reglosen Körper und spürte eine stille Zufriedenheit in sich. Ein Ungeheuer weniger!

Wieder kam der Schwindel, diesmal heftiger, und sie taumelte hinüber zur Couch. Vorsichtig sank sie darauf nieder, während der Druck in ihrer Lunge mit jedem Atemzug stärker zurückkehrte. Sie atmete mühsam, stockend, ihr Kopf sackte gegen die Lehne. Eine eisige Kälte erfasste sie, gleichzeitig breitete sich der Geschmack von Blut in ihrem Mund aus. Ein letztes Mal holte sie mit einem kurzen Zug Luft und ihre Augen blinzelten zwei Mal, als ein weiterer Stich ihre Atmung zum Aussetzen brachte.

Sanftes Licht erhellte das hintere Ende des Zimmers, sie sah ihre Gesichter darin. Tom und Denise, Chay und Claire mit Sue im Arm. Stephanie lächelte und genoss die Kühle der Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Ein letzter Atemzug hob und senkte ihre Brust, dann war es still.

 

* * *

 

»Das Haus ist dunkel, sie sind weg!« Toms Stimme war panisch.

»Sehen wir nach.« Mike stieg aus dem Wagen, die Waffe entsichert in seiner Hand.

Tom überholte ihn noch auf der Treppe zum Eingang, kurz darauf stürmte er durch die Tür. Er lief in die obere Etage, dort als Erstes in Stephs Zimmer, doch das war leer.

Mike hatte sich indes das Erdgeschoss vorgenommen. Die Stille in der Villa war erdrückend, auch das Personal war gegangen. Selbst sein Atem war zu hören, als er durchs Halbdunkel vom Salon zum Büro eilte. Er lauschte den Geräuschen von oben, den Schritten von Tom, wie er ein Zimmer nach dem anderen absuchte und schlussendlich zur Treppe zurückkehrte. »Sie sind nicht hier«, rief er hoffnungslos, doch Mike konnte nicht antworten.

Eine seltsame Gewissheit hatte ihn plötzlich erobert. Jagte Schauer über seine Haut. Sein Blick fixierte die Tür zum Gästezimmer – es schimmerte Licht durch die angelehnte Tür. Er seufzte tief und wandte sich um. Zuerst bewegte er sich zögernd, dann schneller, als er hörte, dass Tom näherkam. Er wollte vor ihm da sein! Er drückte gegen die Tür und stöhnte laut auf.

»Nein!«, keuchte Tom, der nun fast bei ihm war. Er wurde langsamer, legte die letzten Schritte so schwerfällig zurück, wie er sich plötzlich fühlte. Als er bei Mike angekommen war, blieb er stehen, um über dessen Schulter hinweg in das Zimmer zu sehen.

»Nein!«, schrie er nun, drängte sich grob an ihm vorbei und fiel vor Stephanie auf die Knie. Seine Hände schwebten zitternd über ihr – er wusste nicht, wo und wie er sie berühren sollte. Schließlich zog er sich zurück, umschloss stattdessen seinen eigenen Nacken und verschränkte die Finger. Fassungslos starrte er auf ihren nackten, geschundenen Körper.

Mike trat hinter ihn und griff nach der Decke, die auf der Couch lag. Er breitete sie über Stephanie und legte dann eine Hand auf Toms Schulter. »Du kannst hier nichts mehr machen. Komm.«

»Ich werde ihn töten«, stellte Tom nüchtern fest.

»Das hat sie schon erledigt«, warf Mike ein.

Tom folgte seinem Blick zu Waynes Leiche. Der Anblick brachte ihm nur leider nicht einmal ein bisschen Genugtuung ein. Der Hass in ihm loderte weiter. »Ich meinte eigentlich meinen Vater«, stieß er bitter hervor.

Mike nickte. »Bin dabei.« Er sah noch einmal auf Chays Mutter – noch jemand, den zu beschützen er nicht in der Lage gewesen war.

Tom straffte sich, bevor er sich erhob. »Wo könnten sie sein?«

»Ich habe Joe und Wayne heute belauscht, sie sprachen von einem Schiff. Es liegt nahe der Tower Bridge vor Anker. Vielleicht will Salvatore damit westlich aus der Stadt raus.«

»Haben wir einen anderen Anhaltspunkt?« Tom bewegte sich bereits Richtung Tür.

»Nein.«

»Dann los.« Er trat hinaus in die Halle, doch Mike hielt ihn kurz vor der Eingangstür zurück. »Warte«, sagte er nur und verschwand über die Treppe nach oben.

Tom sah ihm hinterher, blickte danach auf den Christbaum, der nun unbeleuchtet war und in der beklemmenden Dunkelheit des Hauses fast bedrohlich wirkte. Er schloss die Augen und sah sich für einen Moment wieder davor sitzen, seine Gitarre in der Hand, Stephanie hinter und Sue singend neben ihm. Er seufzte tief und hob den Kopf, als er hörte, wie Mike zurückkam. Er trug zwei prall gefüllte Reisetaschen. Tom fragte nicht. In ihm war kein Platz für etwas anderes als den Gedanken, Sue und Denise zu finden. »Lass uns gehen«, sagte er nur, danach gingen sie schweigend nach draußen und zum Auto.

»Ich sollte allein zu ihm gehen. Wenn er dich erst hat, befürchte ich, dass wir keine Möglichkeit mehr haben, ihn unter Druck zu setzen«, murmelte Mike, während er die beiden Taschen auf die Rückbank stellte.

Tom verzog zweifelnd das Gesicht. »Ich will zu Denise und Sue«, stöhnte er leise.

Mike warf ihm einen bestimmenden Blick zu. »Tommaso …«, begann er, doch Tom unterbrach ihn mit erhobener Hand. »Könntest du bitte aufhören, mich so zu nennen?«

»Okay. Tom! Es geht vor allem um Sue. Ich denke nicht, dass er Denise etwas tun wird, aber die Kleine ist nur sicher, solange er dich noch zu sich locken will. Das weißt du.«

Tom nickte widerstrebend, stieg jedoch in den Wagen.

»Wie ist unser Plan?«, erkundigte er sich, kaum, dass Mike ebenfalls eingestiegen war.

»Das kommt drauf an. Es gibt zwei Pläne«, erklärte ihm dieser, gleichzeitig startete er den Motor und fuhr los. »Einen für unsere Flucht auf eine wunderschöne Südseeinsel, und einen für deine Reise zurück nach Chicago. Also für den Fall, dass wir es nicht schaffen, Denise und Sue jetzt gleich zu befreien. Was wahrscheinlich zur Folge hat, dass ich es auch nicht schaffe und du dann auf dich allein gestellt bist. Ich habe einige Leute auf deinem Weg nach und in Chicago, die dir helfen können. Also kein Grund durchzudrehen, wenn wir sie heute nicht rausholen können. Verstanden?«

Tom ächzte verzweifelt. »Inwieweit hängt Alex mit drin?«

»Insoweit, als dass er ein kleiner Idiot ist. Joe hat herausgefunden, wie nah du den beiden stehst, und als sie nach Paris geflogen sind, hat Salvatore ihnen Joe und Julia nachgeschickt. Nachdem Julia Alex verführt hat, war es für Joe ein Leichtes, ihn einzufangen. Er erzählte ihm von deinem unsagbar reichen Vater, der alles dafür tun würde, seinen verlorenen Sohn zurückzubekommen. Erst war Alex skeptisch, doch leider stellte sich heraus, dass er für Geldgeschenke ziemlich empfänglich ist. Joe erzählte ihm von einem harmlosen Plan. Er sollte lediglich dafür sorgen, dass du dich in Julia verknallst. Leider hast du ihnen den Plan zunichte gemacht, also musste Salvatore umdenken. Ab da hat er ihn mit Denise unter Druck gesetzt. Alex deponierte Kameras und Mikros in eurem Haus, und als Salvatore mitbekommen hat, dass du Denise alles oder fast alles erzählt hast, hat er Alex gezwungen, sie zu ihm zu bringen, während du bei Joe und Wayne warst, um Sue und Steph abzuholen. Salvatore ließ ihn den Brief an dich schreiben, natürlich in Denises Namen, und den Film machen. Danach hat Salvatore die beiden bei Wayne in Verwahrung gegeben. Sie waren zwar im gleichen Haus, aber in getrennten Zimmern, und als du Denise zurückgeholt hast und Alex wusste, dass sie vermeintlich in Sicherheit war, hat er sich erneut kaufen lassen. Zu seiner Verteidigung muss ich dir sagen, dass er davon ausgegangen ist, dass es euch wirklich gut geht und es bei dem Ganzen nur um einen dummen Familienstreit geht, den Salvatore beilegen wollte. Aber er hat Salvatore so ziemlich alles über Denise erzählt, was natürlich heißt, dass Salvatore genau weiß, welche Knöpfe er bei ihr drücken muss, um das zu bekommen, was er will.«

»Na toll!«, stieß Tom verärgert hervor, Mike warf ihm einen besänftigenden Blick zu.

»Er wollte nie etwas Böses. Er ist naiv – versteht diese Welt nicht, Tom. Niemand, der nicht zu uns gehört, kann sich vorstellen, wie es hier läuft.« Er seufzte tief. »Ich denke allerdings, jetzt, da Sue und Denise bei Salvatore sind und er zumindest annimmt, dass du wieder gegen ihn arbeitest, wird Alex nicht mehr lange gebraucht. Vielleicht sollten wir ihn rausholen, er könnte uns noch nützlich sein. Wir brauchen im Moment jede Hilfe, die wir bekommen können.«

Tom schnaufte. »Warum sollte ich ihm helfen? Er ist schuld, dass das alles passiert ist.«

»Sei vernünftig. Er braucht dich und du brauchst ihn. Außerdem – er ist immer noch Denises Bruder. Und … du weißt, dass er nicht schuld ist. Salvatore hätte auch anders einen Weg gefunden.« Mike musterte Tom eindringlich, der mit den Achseln zuckte und schließlich mit störrischer Miene murrte: »Okay. Dann holen wir ihn raus. Aber irgendwann wird er mir dafür Rechenschaft ablegen müssen.«

Mike seufzte, bevor er mit dem Kinn zu den Taschen auf dem Rücksitz deutete. »Ich hab da auch schon eine Idee, wie wir ihn rausbekommen.«

 

 

Kapitel 9

 

 

 

 

 

 

Sue war nach langem Weinen eingeschlafen. Schlaff hing sie in Denises Armen, die vor Anstrengung zitterten, während sie über den Steg auf die Jacht gingen. Alex hatte mehrfach angeboten, sie ihr abzunehmen, doch sie wollte die Kleine keine Sekunde aus ihrer Nähe geben. Hoch konzentriert versuchte sie, mit ihren High Heels auf den eisigen Brettern nicht den Halt zu verlieren, und hoffte, dass irgendjemand an Wechselkleidung für sie gedacht hatte. Der Hosenanzug, den sie immer noch trug, war vielleicht sexy, aber sicher nicht zweckdienlich und bequem.

Julia schubste Melina, die leise weinte, seit sie das Haus verlassen hatten, grob vor sich her. Sie war in Panik, das war nicht zu übersehen. Versuchte wohl irgendwie zu verarbeiten, dass sich der Ausflug in die Welt der Reichen, der ihr durch die Einladung von Salvatore ermöglich worden war, in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hatte. Sie hatte noch nie zuvor eine Waffe aus der Nähe gesehen, bis ihr heute plötzlich jemand eine an den Kopf gehalten hatte. Sie war sich nicht sicher, ob das alles tatsächlich real war. Ob ihre Freunde wirklich zu einer Verbrecherbande gehörten, die sie nun nach Amerika verschleppen würde, oder ob sie selbst nur Opfer waren, die zufällig in deren Visier geraten waren. Sie wusste eigentlich gar nichts mehr!

»Da runter«, nuschelte Will, als Denise unschlüssig stehen blieb, nachdem sie die Jacht betreten hatte. Ihre Arme schmerzten und sie bemühte sich, Sues Gewicht auf eine Seite zu verlagern, während sie die schmale Treppe hinunterstiegen. Unten angekommen trat sie durch die niedrige Tür in einen relativ geräumigen Raum. Er war komplett mit Holz verkleidet, was eigentlich Wärme ausstrahlen sollte, wäre da nicht dieses seltsam schummrige Licht, das absolut düstere Stimmung verbreitete.

Einige Schritte nach der Tür blieb sie stehen, hinter ihr kamen die anderen herein. Sie sah sich um. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand eine riesige Sitzecke. Sie lag im Halbdunkel, doch es war offensichtlich, dass dort jemand saß. Zögerlich bewegte sie sich darauf zu, und mit jedem Meter wurde das Gesicht des Mannes deutlicher. »Hallo, Salvatore.« Sie versuchte ein Lächeln, als sie sich an der äußersten Ecke der Couch niederließ.

»Hallo, ciccina. Ich habe gehört, du hast erstklassige Arbeit geleistet«, sagte er mit Stolz in der Stimme und Wehmut in seinen Augen.

Denise sah ihn an, fragend, und öffnete den Mund, um zu sprechen, als Will nähertrat. »Wir alle waren gut, Sir.« Er stellte den Geldkoffer vor Salvatore auf den Tisch und setzte sich an das andere Ende der Sofalandschaft. Eine Blondine trat aus dem Dunkel neben der Sitzecke. Salvatore griff sich den Koffer und reichte ihn an sie weiter. Sofort verschwand sie durch die schmale Tür, die hinter ihr lag, und kehrte einen Augenblick später mit leeren Händen zurück.

»Du möchtest dich sicher zurückziehen, Denise. Ich lasse euch zu eurer Kabine bringen. Melina kann dich begleiten. Wenn Tommaso eintrifft, lasse ich dich holen.« Salvatores Stimme war freundlich, aber bestimmend, und ein auffordernder Blick zu Will genügte, damit dieser sich erhob.

»Danke, Salvatore. Ich sollte die Kleine wirklich ins Bett bringen.« Denise stand auf, weil sie ohnehin keine andere Möglichkeit sah, und deutete Lina, ihr zu folgen. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, trat Alex auf Salvatore zu.

»Ich hab alles getan, was Sie wollten. Sie haben mir versprochen, uns freizulassen, wenn es vorbei ist«, flüsterte er und nestelte nervös an der Seitennaht seiner Jeans.

Salvatore zog an seiner Zigarre und lächelte ihn an. »Erstens ist es noch nicht vorbei, und zweitens habe ich nur versprochen, dass deiner Schwester nichts passieren wird, wenn du für mich arbeitest. Vom Freilassen und von dir war nie die Rede.«

»Aber …« Alex rang verzweifelt um seine Fassung.

Salvatores Lächeln wich nicht. »Meinst du wirklich, die Menge Geld, die du bekommen hast, war ein Monatslohn?« Er schnaubte verächtlich. »Damit hab ich dich gekauft, Junge. Du und deine Eier gehören mir, solange ich euch brauche. Verstehst du?«

Alex’ Magen fuhr Achterbahn und sein Gesicht erbleichte. Er versuchte, den Kloß in seinem Hals weg zu schlucken, doch er blieb dort wie festgeschweißt.

Salvatore beugte sich vor. »Julia, sei so nett und kümmere dich um unseren Freund hier, bis ich mich entschieden habe, wie es weiter geht.«

»Natürlich, Capo«, erwiderte sie prompt. Kurz darauf spürte Alex ihre Nägel, die seinen Nacken kitzelten. Sie stand jetzt hinter ihm, ihre Rechte strich über seine Schulter, danach seinen Arm hinunter, dann griff sie nach seiner Hand. »Komm, Süßer. Du darfst noch ein bisschen mit mir spielen.«

Alex ließ sich, vor Angst und schlimmer Vorahnung erstarrt, von ihr in den Nebenraum ziehen, Salvatore winkte die Blondine, die hinter ihm stand, ungeduldig näher. »Es wird Zeit, Süße. Zeig mir, was du kannst.«

 

* * *

 

Will hatte die drei Mädchen in die vorbereitete Kabine begleitet. Der Raum war klein und wurde von einem riesigen schwarzen Bett dominiert. Denise trat näher, legte Sue auf die Matratze und wandte sich dann zu ihm um. »Danke für den Begleitschutz, aber jetzt kommen wir allein zurecht!«

Ihr ärgerlicher Blick ließ ihn unsicher zurückweichen. Diese Frau war sicher mindestens fünf Jahre jünger als er, trotzdem fühlte er sich ihr unterlegen. Er wusste nicht, ob es an ihrer Person oder an der Tatsache lag, dass sie dem Capo so wichtig war, aber er spürte, dass es besser war, sie nicht zu verärgern.

Denises Augen zogen sich zusammen, und sie hob ihre rechte Hand zu einer wegwerfenden Bewegung in seine Richtung. »Du sollst verschwinden! Oder muss ich noch deutlicher werden?«

Er verließ fluchtartig den Raum, blieb aber für einige Minuten vor der Tür und lauschte. Als er keine weiteren Laute von drinnen vernahm, lief er den Gang zurück. Einer Eingebung folgend blickte er vorsichtig durch das Glas der Schwingtür, bevor er eintrat, und stoppte sofort. Der Kopf der Blondine bewegte sich zwischen Salvatores Beinen auf und ab. Es bestand kein Zweifel daran, womit sie beschäftigt war.

Schnell wich Will zurück und nahm den hinteren Aufgang zum Oberdeck. Mit einer Zigarette ließ er sich dort nieder. Es war sicher in Ordnung, wenn er hier wartete.

 

In der Kabine lag Melina noch immer weinend in Denises Armen. »Wo ist Alex? Wo ist Tom? Was haben die denn mit uns vor?«

»Ich weiß es nicht, Lina. Aber Panik bringt uns nicht weiter. Wir müssen jetzt Ruhe bewahren.« Denise streichelte beruhigend an ihrem Rücken auf und ab. Sue schlief zum Glück so tief, dass sie Melinas Weinen nicht störte.

Sie seufzte leise, hoffte immer noch verzweifelt, dass Tom auf dem Weg zu ihnen war. Im Moment würde sie alles dafür geben, Salvatores Plan zu kennen. Die dunkle Vorahnung, die sie seit der Abfahrt vom Haus erfasst hatte, verhieß nichts Gutes. Und auch wenn sie bei dem Gedanken daran fast wahnsinnig wurde – ihr Kopf wusste bereits, dass der Schrecken dieses Tages noch nicht vorbei war.

 

* * *

 

»Danke, Süße, das war sehr gut«, sagte Salvatore und griff nach seiner Zigarre, die er vorhin beiseitegelegt hatte. Der Kopf der Blondine verließ seinen Schoß. »Gern geschehen, Mr. Cosolino.«

»Aber jetzt verzieh dich«, murmelte er beiläufig, während auch er sich erhob und seine Hose schloss. Nur einen Moment später eilte sie aus dem Raum, wobei sie auf der engen Stiege mit Mike zusammenprallte.

»Pass auf, du Schlampe«, blaffte der, drängte sich an ihr vorbei und betrat zielstrebig das Zimmer. Salvatore stand an der Bar und drehte sich zu ihm um. Auf seiner Miene lag ein verschlagener Ausdruck. Eine seiner Augenbrauen hob sich. »Wo ist Tommaso?«

Mike zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich hab ihn beim Maxime abgesetzt, so wie du es wolltest. Ich dachte, du wolltest dich dort mit ihm treffen?«

»Meine Pläne haben sich geändert«, antwortete Salvatore trocken.

Mike blieb vollkommen ruhig. »Viel wichtiger ist, was ich vorgefunden habe, als ich zurück ins Haus kam.«

»Und was war das?«

»Die Leichen von Wayne und Sybil. Alex und Julia arbeiten schon die ganze Zeit zusammen. Julia muss ihn erstochen haben, nachdem er Sybil getötet hat. Wayne rief mich an, scheinbar kurz bevor er starb, und hat mir erzählt, was er herausgefunden hat. Alex hat Tommaso bei seinen Plänen unterstützt. Sie standen die ganze Zeit über Julia in Kontakt. Sie hat Tommaso die Nachrichten von Alex weitergeleitet. Wayne hat eine ihrer Notizen gefunden. Mehr konnte er mir allerdings nicht erzählen, das Gespräch wurde unterbrochen. Er war es auch, der mir gesagt hat, dass ihr schon auf der Jacht seid.«

Salvatore nahm einen langen Schluck, trat zu einer Tür rechts von der Bar und hämmerte krachend mit der Faust dagegen.

Julias Kopf erschien kurz darauf in der geöffneten Tür. »Was?« Sie stockte, als sie Mike erblickte. »Du!«

Mike grinste. »Was kommt jetzt?«

Julia verschwand wieder, kam jedoch nur Sekunden später in einen Seidenmantel gehüllt nach draußen. »Was macht er hier?« Sie blickte von Salvatore zu Mike und zurück.

»Ich bin etwas verwirrt«, lachte Salvatore, bevor er sich lässig auf das Sofa sinken ließ. Sein Blick war aufmerksam, als würde er einen spannenden Film verfolgen. »Was Mike erzählt, stimmt nicht mit dem überein, was du mir vorhin am Telefon gesagt hast, Julia. Ich hoffe, deine Fantasie ist nicht wieder mit dir durchgegangen.«

Sie konzentrierte sich darauf, ihre Stimme ruhig und bestimmt klingen zu lassen. »Er hat die ganze Zeit gegen uns gearbeitet. Wayne hat eine Notiz von ihm in Toms Zimmer gefunden. Er hat ihn gewarnt, wegen Denise und der Kleinen.«

»Oh! Das ist dein Plan. Verstehe!« Mike schritt lächelnd auf die Bar zu – er wirkte vollkommen entspannt. »Du versuchst, den Spieß umzudrehen.« Er goss sich langsam Whiskey ins Glas und drehte sich danach wieder in ihre Richtung.

Julias Mund stand offen und ihre Augen waren ungläubig geweitet.

»Blöd nur, liebe Julia, dass Wayne mich noch anrufen konnte, bevor du ihn erledigt hast. Er hat mir alles erzählt.«

»Er hat dir alles erzählt?« Sie wandte sich um, ihre Stimme war hysterisch, voller Angst. »Er lügt, Capo. Er war es! Er hat dich hintergangen, nicht ich!«

Salvatore schlug die Beine übereinander und blickte zwischen den beiden hin und her. »Er klingt aber weit glaubhafter als du, Julia. Und ich kenne ihn viel länger als dich.«

Mike beschloss, trotz Salvatores Zustimmung kein Risiko einzugehen, und legte Julia von hinten seine Hände auf die Schultern. »Warum hast du eigentlich mit mir geschlafen? Wolltest du sicher sein, dass ich dir traue?« Beinahe zärtlich wanderten seine Finger nach oben zu ihrem Hals. Sein Mund schwebte über dem pulsierenden Puls an ihrer Haut, und seine rechte Handfläche berührte zart ihre Wange. »Ich verrate dir ein Geheimnis, Julia. Ich habe dir keine Sekunde vertraut.« Mit einer geschickten Bewegung brach er ihr Genick und ließ sie zu Boden fallen.

Salvatore erhob sich. »Hol den Jungen.«

 

Denise hörte die Stimmen durch die dünnen Wände. Mike musste gekommen sein, aber warum war Tom nicht bei ihm? Sie runzelte verwirrt die Stirn und setzte sich auf. Schon vorhin hatte sie bequeme Kleidung in einem kleinen Schrank gefunden und schlüpfte nun aus ihrem Hosenanzug und in Jeans und T-Shirt. Danach zog sie ungeduldig die Nadeln aus ihrer Hochsteckfrisur und seufzte erleichtert, als ihre Haare wieder locker ihren Rücken herabflossen. Sie stand auf, öffnete behutsam die Kabinentür. Noch einmal einen Blick auf das Bett werfend verharrte sie. Melina lag regungslos neben Sue. Sie hatte sich erst vor einigen Minuten beruhigt und war gleich danach eingeschlafen.

Dann ging sie leise nach draußen, schloss die Tür hinter sich und schlich den Gang entlang. An der Schwingtür hielt sie an und blickte durch das Glasfenster in den Raum. Sie sah, dass Mike Alex am Arm aus dem Nebenraum zerrte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich, während ihre Kehle trocken wurde.

»Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?« Mike ließ ihn so plötzlich los, dass Alex strauchelte, als er beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Mike. Ich hab alles gemacht, was ihr mir gesagt habt.« Alex blickte flehend zu Salvatore. »Glauben Sie mir. Ich hab mich immer an Ihren Plan gehalten.«

Denise erstarrte. Alex machte gemeinsame Sache mit Salvatore?

»Alex, du hast dich selbst überschätzt. Du hast mich und Tommaso gleichzeitig hintergangen. Das konnte nicht gut gehen. Das hätte dir klar sein sollen«, sagte der Capo, während er zufrieden beobachtete, wie sich der Angstschweiß an Alex’ Stirn sammelte.

»Aber.« Alex brach ab, seine Knie wurden weich und er versuchte, sich an einem Sessel abzustützen.

»Was ist hier los?« Denise trat zögernd durch die Tür, ihr Herz raste. Sie sah Julia am Boden liegen und blickte zu Alex, der sie panisch anstarrte.

»Ciccina, bitte geh zurück. Das hier ist nichts für dich.« Salvatore war zu ihr gekommen, seine Hand legte sich an ihren Rücken.

Sie musterte ihn mit ängstlichen, flehenden Augen. »Bitte. Er ist mein Bruder, Salvatore.«

Er fixierte ihr Gesicht und seine Lippen verzogen sich zu einem hinterlistigen Lächeln. »Vielleicht hast du recht, Denise. Du solltest es in der Hand halten.«

Verständnislos erwiderte sie seinen Blick, während Mike erstarrte. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was jetzt kommen würde.

»Es ist Zeit, sich zu entscheiden, Denise. Du kannst nicht alles haben. Du kannst das Leben mit Tommaso und Sue wählen, Melina kann uns nach Chicago begleiten, wenn du willst, oder wir lassen sie gehen. Du kannst meine Schwiegertochter werden und ein glückliches Leben führen. Oder?«

»Oder?« Denise wiederholte das Wort lautlos.

»Oder du hilfst jetzt deinem Bruder, verlässt mit ihm das Schiff und siehst Tommaso nie wieder. Melina und die Kleine bleiben bei mir. Deine Entscheidung.«

»Ich verstehe nicht.« Tränen traten in ihre Augen, als ihr Blick zwischen ihrem Bruder und Salvatore hin und her glitt. »Du kannst mich nicht zwingen, zwischen Tom und meinem Bruder zu wählen. Das kann ich nicht.«

»Du wirst es müssen, mia cara.« Salvatore verzog arglistig das Gesicht. »Aber ich werde es dir leichter machen.« Er ließ sie los, ging zurück zum Tisch und holte sich eine Zigarre. Kurz darauf durchzog der Qualm der Havanna den Raum. Erst danach wandte er sich wieder Denise zu, die ihn atemlos beobachtet hatte. »Alex hat mir geholfen, dich zu erwischen, als Tommaso ihn gebeten hat, dich in Sicherheit zu bringen. Er hat Julia geholfen, Tommaso kennenzulernen und sein Vertrauen zu gewinnen. Er hat euch heute hierhergebracht, obwohl er gleichzeitig Tommaso versprochen hat, euch vor mir zu beschützen.« Salvatore hob unschuldig seine Arme. »Er hat Tommaso verraten – und dich auch.«

Alex fixierte ihren Blick, seine Augen waren verzweifelt. »Das ist nicht wahr, Denise. Er hat mich erpresst. Er hat gesagt, du bist nicht sicher, wenn ich nicht tue, was er will.«

Salvatore stand nun wieder hinter ihr. Seine Hand kreiste an ihrem Rücken. »Warum sollte ich das tun, Denise? Tommaso liebt dich und du weißt, dass ich ihn liebe. Würde ich dir etwas antun, hätte ich ihn für immer verloren.«

Denises Gedanken schwirrten wirr in ihrem Kopf. Sie hörte Toms Stimme, erinnerte sich, wie wichtig es ihm war, dass sie bei Sue blieb. Spürte wieder ihre eigene Verwirrung, als Alex plötzlich bei der Silvesterparty erschien und keinerlei Angst oder Erstaunen zeigte über die neue Situation. Er musste Bescheid gewusst haben. Aber er war ihr Bruder!

»Denise?« Mike trat auf sie zu, in seiner Rechten lag eine Pistole. Langsam streckte er sie in ihre Richtung. »Tommaso würde wollen, dass du es tust.« Sein Blick bohrte sich in ihren, und sie spürte eine seltsame Vertrautheit darin. Irgendetwas überzeugte sie von der Ehrlichkeit dieser Worte. Wie in Trance nahm sie die Waffe entgegen.

Alex schloss kurz die Augen, eine Träne rann über seine Wange. »Denise, ich bitte dich, du wirst ihm doch nicht glauben.«

Denise schluckte schwer.

»Er hat den Brief an Tom geschrieben. Und das Video. Das war auch er«, ergänzte Mike Salvatores Anschuldigungen.

»Ich musste es tun, Denise«, hauchte er. »Für deine Sicherheit.«

Ein fassungsloses Stöhnen kroch über ihre Lippen. »Du hattest tausend Gelegenheiten, mir die Wahrheit zu sagen, seit sie dich zu Silvester zu uns gebracht haben und du gesehen hast, dass es mir gut ging.«

»Deine Sicherheit war nie wirklich seine größte Sorge, Denise.« Salvatore lachte leise. »Oder woher glaubst du, stammt das Geld für den Schmuck und die Uhr, die er trägt.«

Alex zuckte schuldbewusst zusammen, gleichzeitig versuchte er, sein Handgelenk zu verstecken, doch Denise hatte die goldene Rolex bereits gesehen. Für einen Moment sah sie wieder Tom vor sich, als sie heute das Haus verlassen hatten. Seine plötzliche Ablehnung, mit Alex sprechen zu wollen, ergab auf einmal Sinn. Er musste von Alex’ Verrat erfahren haben. »Alex!« Voller Trauer sah sie ihn an.

»Erzähl Denise doch mal, was Wayne mit Sybil vorhatte.« Salvatores überhebliches Lächeln galt nun Alex.

Eine eisige Faust schloss sich um Denises Herz. »Es geht ihr doch gut, oder? Du hast gesagt, er wird ihr nichts tun.«

Alex stöhnte verzweifelt auf, Denises Augen weiteten sich ungläubig.

»Er hat sie vergewaltigt und verprügelt, Denise. Sie ist tot«, flüsterte Mike.

»Alex, sag mir, dass du das nicht zugelassen hast.« Denises Stimme war voller Schmerz. »Sag mir, dass das nicht wahr ist.« Sie starrte ihn an, ihr Kopf war leer.

Alex schluckte laut und streckte die Hand nach ihr aus. »Ich wusste nicht, dass er sie töten wollte, Denise.«

Sie atmete tief ein und aus und wich einen Schritt zurück. »Selbst wenn das stimmt, Alex. Du wusstest, dass er sie misshandeln will. Er hat gesagt, er kommt morgen nach. Du hättest zugelassen, dass er sie die ganze Nacht vergewaltigt?«

Er hob hilflos die Arme. »Was hätte ich denn tun sollen?«

Mike nahm ihre Hand mit der Waffe und entsicherte sie für sie. Seine Lippen berührten beinahe ihr Ohr, als er sich zu ihr beugte. »Vertrau mir, vertrau Tom. Alex wird nichts passieren.« Dann trat er hinter Alex, der plötzlich im Schock erstarrt zu sein schien.

»Bist du stark genug, um Tommasos Liebe zu verdienen?«, fragte Salvatore. In seinen Iris funkelte bösartige Faszination. Beiläufig wandte er sich zur Seite, um sich einen weiteren Drink einzuschenken.

»Du musst es tun«, beschwor Mike sie. Über Alex’ Schulter hinweg fixierte er sie, danach Salvatore, der nun mit dem Rücken zu ihnen stand und wieder zurück zu ihr. »Jetzt«, befahl er.

Trotz der Unwirklichkeit der Situation erwiderte Denise seinen Blick, doch in ihrem Kopf wechselten sich die Bilder in rasender Geschwindigkeit ab. Toms Gesicht, von Verzweiflung verzerrt, als er ihr von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Stephs Antlitz, die Spuren von Salvatores Schlägen darauf. »Denise – jetzt«, formten Mikes Lippen tonlos, und das Drängen in seinen Augen, gepaart mit der seltsamen Vertrautheit, die sie vorhin bei seinen Worten verspürt hatte, brachte sie dazu, das Unglaubliche zu tun. Sie betätigte den Abzug.

Der Schuss war kaum zu hören. Erst jetzt entdeckte sie die Vorrichtung auf, die sich vorne an der Waffe befand – ein Schalldämpfer, wie ihr plötzlich bewusst wurde.

Alex fiel unendlich langsam. Fast als hätte irgendjemand auf Slow-Motion umgeschaltet. Verwirrung, Entsetzen und Überraschung dominierten seinen Blick, bevor er leer wurde.

Denise hatte aufgehört zu atmen, starrte ungläubig auf den dunkelroten Fleck, der sich in den Stoff des Hemdes gesogen hatte, dann wieder in sein Gesicht. Seine Lider waren nun geschlossen – er bewegte sich nicht mehr.

Sie presste die Augen zusammen und konnte selbst nicht fassen, was sie eben getan hatte. Sie hatte einem Verbrecher vertraut, und dadurch ihren Bruder getötet.

»Benvenuta nella famiglia! Willkommen in der Familie.« Salvatore hatte sich zurück in ihre Richtung gewandt, die Überraschung stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. »Das hätte ich nicht erwartet, aber ich bin furchtbar stolz auf dich, meine Liebe.« Zufrieden gönnte er sich einen Schluck aus seinem Glas.

Mike nahm Denise die Waffe aus der Hand. »Den Rest erledige ich.« Er packte Alex’ Leiche und schmiss ihn sich über seine Schulter.

Denise stand stumm da und sah ihm hinterher, als er durch die Tür und die Treppe hoch ging. Wie von selbst setzten sich ihre Beine in Bewegung und folgten ihm. Als sie oben ankam, sah sie gerade noch, wie Mike den leblosen Körper über Bord warf. Das laute Platschen ließ sie zusammenfahren und sie begann zu weinen.

Mike kam zu ihr zurück und zog sie sanft mit sich. »Komm nach unten. Es kommt alles in Ordnung. Glaub mir!«

Sie spürte, wie er ihr etwas in die Hand drückte, es war ein kleines Päckchen.

»Versteck das. Du darfst es erst öffnen, wenn du hundertprozentig sicher bist, dass dich niemand sieht. Niemand – auch Sue oder Melina nicht.«

Sie weinte lauter. »Was meinst du damit? Was ist das?«

»Denise, bitte. Vertrau mir.« Er packte sie am Arm und zog sie mit sich zur Tür. Sie beobachtete ihn mit gerunzelter Stirn, er blickte sich aufmerksam um und legte dann seine Lippen an ihr Ohr. »Da drin ist eine Nachricht von Casanova«, flüsterte er, und sofort fühlte sie sich ein bisschen besser.

 

 

Kapitel 10

 

 

 

 

 

 

Alex kam durch den Schock des kalten Wassers wieder zu sich. »Oh Gott«, stöhnte er und begann wild um sich zu schlagen.

»Hältst du wohl still, du Idiot«, erklang es irgendwo aus der Dunkelheit, und mit einem Mal spürte er Arme, die ihn über Wasser hielten.

»Was?«, keuchte er atemlos, bevor er versuchte, sich umzudrehen, um zu sehen, wer da hinter ihm war.

»Versuch, ein bisschen mitzuhelfen, okay?«

Sein Erstaunen war groß, als er Tom in der Stimme erkannte. »Ich spüre meinen rechten Arm kaum«, jammerte er.

»Das ist die Nachwirkung des Mittels. Wir mussten dich betäuben. Wäre komisch gewesen, wenn du wieder aufstehst, nachdem du erschossen wurdest.« Tom atmete schwer und bemühte sich, schneller zu schwimmen. Die eisige Kälte des Flusses erschwerte ihm jede Bewegung.

»Warum habt ihr das gemacht?«

Alex’ Frage ließ Tom die Augen verdrehen. »Können wir das vielleicht später besprechen?«, schlug er atemlos vor.

»Ich … will … es … aber … jetzt … wissen«, brachte Alex jeweils zwischen zwei keuchenden Atemzügen hervor. Sein gefühlloser Arm glitt wie schwerelos durch das Wasser, während seinen anderen langsam aber sicher die Kraft verließ. Das forderte seinen Tribut, und seine vollgesogene Kleidung tat das Übrige – er ging unter. »Hilf…«, stieß er aus und versuchte hektisch, an Tom Halt zu finden.

Dessen »Hey« erstarb, als er ebenfalls untertauchte. Nur schwer gelang es ihm, sie beide zurück an die Oberfläche zu bringen. Als es geschafft war, spuckte er erst Wasser, dann bitterböse Worte aus. »Halt die Klappe! Und lass mich uns erst ans Ufer schaffen, dann erklär ich dir alles!«

Alex beeilte sich, zustimmend mit dem Kopf zu nicken, klammerte sich aber, wenn nun auch vorsichtiger, an Tom fest.

Die restliche Strecke schwammen sie schweigend, nur ihr Keuchen war zu hören. Alex’ Gewicht zog Tom immer wieder hinunter, und als er nach endlosen Minuten endlich Grund unter seinen Füßen spürte, seufzte er erleichtert auf. Er zerrte Alex hinter sich her ans Ufer und ließ sich schließlich völlig außer Atem neben ihn fallen.

Der Schnee fiel in dicken Flocken herunter und überzog sie mit einer weißen Schicht. Langsam normalisierte sich Toms Herzschlag und das Brennen, welches das Atmen in seiner Kehle ausgelöst hatte, ging zurück. Er setzte sich auf, blickte sich zitternd um und entdeckte ein Stück weiter vorne den Wagen. Stolz regte sich in ihm. Sein Orientierungssinn funktionierte wirklich gut – er hatte das Ufer fast auf den Meter genau erreicht. Stöhnend rappelte er sich auf und zog seinen Freund mit hoch, der sich jedoch, sobald er aufrecht stand, wieder kraftlos an ihn krallte. »Mann, du könntest dich ein bisschen mehr anstrengen«, meckerte Tom ärgerlich.

»Ich versuch es ja.« Alex klammerte sich noch fester an seinen Arm, schaffte es aber schließlich, zumindest einen Teil seines Gewichts selbst zu tragen. Seine Zähne klapperten laut.

Als sie endlich beim Auto ankamen, spürte Tom seine Zehen nicht mehr. Er riss die Tür auf und ließ Alex los, der auf den Sitz sank. Dann humpelte Tom weiter zum Kofferraum, zerrte die Tasche heraus, suchte Sachen zum Wechseln und warf Alex ein paar davon zu, bevor er sich selbst umkleidete.

Natürlich benötigte Alex auch dabei Hilfe. Sein rechter Arm war immer noch kaum zu gebrauchen, also eilte Tom ihm zur Seite, sobald er fertig war.

Als sie beide wieder in trockenen Kleidern steckten, startete er den Wagen, stellte die Heizung auf die höchste Stufe und ließ sich dann neben Alex in den Sitz fallen. »Wie geht es Denise und Sue?«, fragte er, nun erneut schwer atmend.

»Sue gut, denk ich. Sie war in der hinteren Kabine und schlief«, erzählte Alex, bevor er säuerlich seine Miene verzog. »Denise hoffe ich nicht so gut, immerhin hat sie mich eben erschossen.«

Ohne Vorwarnung traf ihn Toms Faust mit voller Wucht, und er schrie auf. »He! Spinnst du?« Seine Hand rieb über sein Kinn, während er ihn empört anstarrte.

Tom funkelte ihn mit vor Zorn verzerrtem Gesicht an. »Du Arsch. Wem haben wir denn das alles zu verdanken? Sei froh, dass ich dich am Leben gelassen habe.« Er kramte im Handschuhfach eine Schachtel heraus und sprang aus dem Auto. Ein paar Schritte vom Wagen entfernt zündete er sich eine Zigarette an, inhalierte tief den Rauch und versuchte, sich zu beruhigen.

»Es geht ihr gut. Dein Vater tut ihr sicher nichts.« Alex stand plötzlich hinter ihm. »Es tut mir leid, Tom. Ich hab mich da reinziehen lassen. Zuerst war es aus Angst um Denise und dann, als ich wusste, dass es ihr gut geht, wollte ich auch ein Stück vom Kuchen haben. Er hat mir versprochen, niemandem würde etwas passieren.«

Tom spürte seine Hand auf seiner Schulter und schüttelte sie grob ab. »Stephanie ist tot«, sagte er kalt.

»Ich weiß.« Alex schluckte hörbar an seiner Beklemmung. »Mike hat es vorhin erzählt. Ich wusste nicht, dass Wayne vorhatte, sie zu töten.«

»Nein, wusstest du das nicht, Alex? Aber wie ich Wayne kennengelernt habe, hat er euch nicht im Unklaren gelassen, was er mit ihr vorhatte – er hat euch sicher davon vorgeschwärmt, wie er sich mit ihr zu amüsieren gedenkt, oder? Aber du dachtest dir, du lässt sie einfach bei ihm und es wird schon irgendwie gutgehen. Nur weil du aktiv nichts gemacht hast, befreit dich das nicht von deiner Schuld.« Seine Augen waren vor Zorn zusammengepresst, als er sich zu ihm umdrehte. »Er hat sie verprügelt und vergewaltigt, und trotzdem hatte sie den Mut, ihn zu töten. Sie ist für Sues, Denises und meine Sicherheit gestorben, Alex. Daran solltest du denken, wenn du dich dran erinnerst, dass du es ja nur zugelassen hast.«

Alex zuckte zusammen. »Warum machst du das? Glaubst du nicht, dass ich mich schon schlecht genug fühle?«

»Nein, das denke ich nicht. Du hast keine Ahnung, worauf du dich hier eingelassen hast. Wo du deine Schwester hineingestoßen hast.« Er warf die Zigarette weg und eilte zum Wagen zurück. »Aber das macht es nicht besser, Alex. Nur, weil man nicht weiß, was man tut, wird es nicht besser.«

»Es tut mir leid.« Zögernd folgte Alex ihm.

Tom seufzte. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Setz dich ins Auto. Wir sind noch immer unterkühlt, wir sollten nicht in der Kälte stehen.«

Sie stiegen beide ein und Tom fuhr langsam an. Plötzlich stockte er, hielt noch einmal an und wandte ihm mit einem ungläubigen Lächeln den Kopf zu. »Was heißt, sie hat dich erschossen?«

Alex zog eine Grimasse. »Salvatore hat gesagt, sie muss sich entscheiden – entweder ich oder du und Sue. Und als ihr Mike von Stephanie erzählt hat, hat sie einfach abgedrückt.« Eine tiefe Falte lag zwischen seinen Augen, er konnte es immer noch nicht glauben.

»Sie hat wirklich auf dich geschossen?« Tom lächelte und setzte den Wagen wieder in Bewegung.

»Freut mich, dass du dich freust«, bemerkte Alex säuerlich.

Tom lachte. »Mike muss ihr ein Zeichen gegeben haben, dass dir nichts passiert, sonst hätte sie das nicht gemacht. Glaub mir.«

»Ich weiß nicht, sie war ziemlich wütend«, murmelte Alex, während er traurig aus dem Fenster blickte. »Was war das überhaupt? Es tut höllisch weh …« Er griff an seine Brust, dorthin, wo ihn das Geschoss vorhin getroffen hatte. »Ich hab aber kaum geblutet, soweit ich das im Dunkeln sehen konnte.«

»Eine Betäubungspatrone – Mike kennt da einen Spezialisten. Das ist ähnlich wie das Zeug, das man für Tiere benutzt. Sie dringt nicht tief ein, aber wir müssen sie später rausholen.«

»Was meinst du mit rausholen?«

Toms Augenbrauen zuckten hoch, Alex verdrehte die Augen. »Na toll. Das wird ja immer besser.«

»Keine Angst.« Tom grinste schelmisch. »Ich hab’s noch nie gemacht, aber Mike hat mir genau erklärt, wie es funktioniert.«

»Na, da bin ich ja beruhigt«, spottete Alex.

Sie fuhren die Straße ein Stück flussaufwärts und blieben schließlich auf Höhe der Jacht, an der Seite, stehen. Das Schiff trieb hell erleuchtet am Ufer. Dichter Nebel schwebte rund um den Rumpf und verlieh dem Bild ein gespenstisches Aussehen.

Tom beugte sich nach vorn und starrte durch die Windschutzscheibe. »Shit, ist das Joe?«

Alex folgte seinem Blick und sah eine Gestalt über das Deck laufen. Er drehte sich zurück. »Und?« Seine Schultern hüpften auf und ab.

Toms Gesicht war bleich geworden. »Das ist nicht gut«, murmelte er. »Warum kommt Joe erst jetzt? War er nicht mit euch unterwegs?«

Alex schüttelte den Kopf. »Nein, es war geplant, dass er dich und Mike abholt, nachdem wir vom Haus weg sind.«

»Das heißt, er weiß Bescheid, dass ich nicht dort bin, wo ich sein sollte, und wenn er Mike jetzt an Bord findet … Verdammt.« Toms Augen waren zusammengepresst, und Alex beugte sich neugierig in seine Richtung. »Was hat Mike denn eigentlich damit zu tun?«

»Er hat uns geholfen … also mir. Lange Geschichte. Erzähl ich dir später«, erwiderte Tom und blickte wieder übers Wasser auf das Schiff.

An Deck herrschte plötzlich reger Betrieb. Mindestens fünf Männer huschten aufgeregt an Deck hin und her, um die Trossen zu lösen.

»Sie legen ab«, stellte Tom trocken fest, bevor er den Wagen langsam losrollen ließ.

 

* * *

 

Denise lag in der dunklen Kabine. Der Ruck, als das Schiff sich in Bewegung setzte, schreckte sie auf, doch sie blieb dennoch ruhig liegen. Sie konnte nicht aufhören zu weinen – die letzten dreißig Minuten hatten ihr mühsam wieder zurechtgerücktes Leben ein weiteres Mal auf den Kopf gestellt. Sie fühlte sich wie gelähmt.

Tom war nicht gekommen, der Plan war gescheitert. Salvatore hatte ihn durchschaut. Sie und Sue waren seinem Zorn hilflos ausgeliefert. Er hatte sie dazu gebracht, auf ihren Bruder zu schießen, das machte ihr am meisten Angst. Es machte die Sache nicht besser, dass Alex, wenn Mike die Wahrheit gesagt hatte, lebte und bei Tom war. Die Tatsache blieb, dass sie leichter zu beeinflussen war, als sie jemals geahnt hätte. Wozu konnten Salvatore und dieser Irrsinn hier sie noch bringen?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752137033
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Mafia Romantikthriller Romantik Spannung Liebe Mafiaromance Krimi Thriller

Autor

  • Charlene Vienne (Autor:in)

Charlene Vienne wurde 1973 in Wien geboren, wo sie immer noch lebt. Sie ist Mutter zweier erwachsener Söhne. Ihre Liebe zum Lesen schenkte ihr in einer harten Zeit die Möglichkeit, dem Alltag für eine Weile zu entkommen. Doch recht schnell stellte sich heraus, dass es noch besser war, selbst aktiv zu werden. Also begann sie, einige Ideen niederzuschreiben und wagte schließlich sogar den Weg zur Veröffentlichung. Ihr Anliegen ist es ihren Lesern eine schöne Auszeit zu schenken.