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Seemannsgarn an der Weser

von Franco Parpaiola (Autor:in)
104 Seiten

Zusammenfassung

Sich auf See zu fragen, warum und weshalb Schiffskatastrophen entstehen oder wieso Schiffe sinken können, ist zwecklos. Die leitenden Offiziere im technischen Bereich an Bord, sind meist damit beschäftigt, die Schiffe von Punkt A nach B zu bringen, und sind mächtig froh, wenn das ohne ernsthafte Zwischenfälle geschieht. Als der Autor jedoch in den neunziger Jahren technischer Inspektor eine Reederei in den USA, später in Holland und zuletzt als Schiffsbau-Inspektor für deutsche Reedern im Ausland tätig war, begriff er, dass Schiffskatastrophen beginnen bereits an Land. Auf See werden sie später vollendet. Mit dieser bitteren Erkenntnis greift der leitende Maschinist zu Papier und Feder und schrieb in autobiografischer Form sein Leben auf See nieder. In zehn Büchern schildert er chronologisch all seine Kämpfe um die Sicherheit und Seetüchtigkeit des Schiffes.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


SEEMANNSGARN AN DER WESER

Impressum

Franco Parpaiola

Jippen 1

289115 Bremen

francoparpaiola@hotmail.de

HIC MANEBIMUS OPTIME TERTIUM NON DATUR

Aus Manuskript N° 3: Die Werft

...unser damaliges Küstenfahrtgebiet, das sich noch bis in die 70er-Jahre von Brest im Westen bis zur Nord- und Ostsee ausdehnte, war nicht eben groß.

Wenn auch beschränkt als Gebiet der sogenannten „Kleinen Fahrt“, war es sicherlich sehr groß an Gefahren und voll von Überraschungen.

Wir, die Kleinen, weil wir in den Augen der Großen klein und unbedeutend, oft belächelt und bemitleidet worden waren, flitzten mit unseren Küstenmotorschiffen mit bis zu 999 BRT überallhin.

Ohne uns wäre damals, genauso wie heute, die gesamte Versorgung der nordischen Länder zusammengebrochen.

Kein Sturm war damals für uns zu groß, kein Hafen zu klein, nichts konnte uns aufhalten.

Besonders in England, wo es von Tidehäfen nur so wimmelt, gingen wir bei Hochwasser beladen an die Löschpier, saßen dann bei Niedrigwasser auf Grund und kamen mit dem nächsten Hochwasser wieder hoch.

Wenn der Sturm zu stark war und wir nicht weiterfahren konnten, gingen wir Kopf auf See. Der Kapitän steuerte dann also den Bug des Schiffes durch Wind und Wellen und kämpfte so beharrlich gegen den Sturm an, bis Rasmus, der Herrscher der Stürme, sich wieder beruhigt hatte.

Während solch heftiger Stürme hatten die Jungs an Deck sowie der Koch in der Kombüse praktisch Feierabend. Denn der Koch konnte aufgrund des Stampfens des Schiffs nicht kochen, deswegen gab es nur Butterbrote, und die Besatzung konnte nicht an Deck arbeiten und ging deswegen meistens schlafen.

In dieser einfachen und arbeitsreichen kleinen Welt der christlichen Seefahrt gab es nicht nur einfache und gute Menschen, sondern es gab auch Vollidioten, die, weil eben Vollidioten, jede Menge Mist bauten.

Darüber könnte man ganze Bücher voll Geschichten schreiben – manche wären lustig, manche weniger lustig, manchen wären traurig, andere einfach nur dämlich.

Etwa so dämlich wie die Geschichte, als wir innerhalb von sechs Wochen zweimal auf Grund gelaufen sind, mit einem Kümo, Anfang der 70er-Jahre.

Manchmal laufen Schiffe auf Grund, und das taten wir auch − das erste Mal in Schweden, das zweite Mal in Finnland.

Das erste Mal passierte es im schwedischen Kalmarsund, wobei der gesamte Schiffsboden von der Vorpeak bis zur Vorkante des Maschinenraumschotts verbeult wurde und außerdem ein kleines Leck in dem mit Raps voll beladenen Laderaum entstand.

Nach notdürftiger Unterwasserabdichtung des leckgeschlagenen Laderaums mit Pferdefett und Palmzweigen bei einer lokalen Seebergungs-Reederei wurde das Schiff erst mal etwas leichter gemacht.

Später, sobald die Kiste wieder flott war, wurden wir nach Kalmar geschleppt und dort wurde das Schiff vollständig gelöscht.

Erst dann konnten wir die Reise nach Deutschland fortsetzen, wo in einer sechswöchigen Reparaturzeit in der Werft in Bremerhaven das Schiff mit einem funkelnagelneuen Boden versehen wurde.

Grade mal zehn Tage später, und diesmal mit zwei anderen nautischen Trotteln auf der Kommandobrücke, liefen wir schon wieder auf Grund, diesmal aber etwas weiter nordöstlich vom Kalmarsund, nämlich bei Utö in Finnland.

Diesmal gab es keinen dämlichen Navigationsfehler, wie damals, als der erfahrene Kapitän bei den ersten Grundberührungen einfach Backbord mit Steuerbord verwechselte und deswegen beim Kalmarsund-Leuchtturm auf einen Unterwasserfelsen auffuhr.

Hier war etwas anderes im Spiel, etwas viel Gefährlicheres und Hinterhältigeres als der Mangel an nautischem Können − nämlich die Routine.

Wobei der neue Schiffsboden, der erst zehn Tage alt war, auch in diesem Fall von der Vorpeak bis zur Vorkante des Maschinenraumschotts klein gemacht wurde.

In diesem Fall hatte der neue Kapitän die uralten Navigationskarten benutzt, die wir damals an Bord hatten, ohne sie an den aktuellen Standard anzupassen oder einfach neue Karten zu bestellen, was auch dringend nötig gewesen wäre, nicht nur weil sie sehr alt, sondern weil sie mittlerweile auch ziemlich dreckig waren.

Die Gefährlichkeit der Routine zeigte hier in vollendeter Einfachheit ihre Konsequenzen.

Wenn man bedenkt, dass beide − sowohl der Kapitän als auch der Steuermann − diese Route durch die finnischen Schären nach Turku in Finnland schon seit Jahren kannten und gefahren waren, so sieht man, was passieren kann, wenn man sich seines Wissens und Könnens allzu sicher fühlt.

Was geschehen kann, wenn man etwas ohne zu überlegen tut, weil man es ja schon immer so gemacht hat.

Denn aufgrund des neuen IMO-Bojensystems, erst seit kurzem in Kraft, waren die Navigationslichter der Leuchttürme geändert worden.

Während also bis vor kurzen der eine Lichtstrahl den Fahrwasserweg signalisierte, zeigte derselbe nun direkt auf ein nichtfahrbares Gebiet voller Untiefen und unter dem Wasserspiegel verborgener Felsen.

Die beiden „Argonauten“ auf der Brücke, daran gewöhnt, nach dem alten Licht zu fahren, ahnten nichts davon und fuhren gedankenlos weiter, mit voller Kraft voraus, der Grundberührung Numero due entgegen.

Sie merkten nicht, dass auf einmal und zum ersten Mal überhaupt der Leuchtturm nicht wie üblich an der Backbordseite ihrer Route stand, sondern an der Steuerbordseite.

Diese betriebsblinden Makaken sahen nicht, dass die anderen Schiffe einen ganz anderen Kurs fuhren.

Sie merkten nicht, dass die Anderen parallel zu uns fuhren (nur eine halbe Seemeile weiter steuerbord von uns, versteht sich von selbst) und dass sie uns wild zuwinkten und zu uns rüber riefen.

Angeblich hörten sie nicht mal ihre Rufe auf UKW.

Einer der Matrosen, der zu dieser Zeit auf der Brücke war, erzählte mir später, dass der Kapitän, als er sah, wie jemand uns zuwinkte, freudestrahlend auch noch zurückgegrüßt hätte.

Er sagte außerdem, der Steuermann habe sich zwar gefragt, was die alle wohl von uns wollten, aber eher im Spaß als fachmännisch, und daher nicht weiter darüber nachgedacht.

Sie antworteten auch nicht auf den UKW-Ruf der Lotsenstation, die uns zu warnen versuchte und das ganze Trauerspiel am Radar bis zum bitteren Ende mitverfolgten musste.

Plötzlich rumpelte es kurz im Karton, und dann war der funkelnagelneue Schiffsboden wie seine Vorgänger: am Arsch!

Und dann war erstmal Ruhe im Puff.

Wir steckten auf dem harten Teil des Planeten fest, der uns den Boden zertrümmert hatte (und diesmal direkt bis zu den Ballastpumpen im Maschinenraum), und bewegten uns nicht mehr.

Und genau, als das geschah, befand ich mich im Maschinenraum und wollte gerade essen gehen, weil es Mittag war, als die Flurplatten des Maschinenraums vor dem Hauptmotor sich vor meinen Augen anhoben.

Ich schaltete auf der Stelle den Motor ab und stürmte wutentbrannt und von Mordgelüsten getrieben auf die Brücke.

Erst jetzt erwachten die beiden zünftigen Argonauten aus ihrer Gehirnstarre und schauten mich betroffen an.

Es war aber zu spät, denn das Schiff war abermals innerhalb weniger Wochen dort gelandet, wo der Hammer hängt, nämlich am Arsch!

»Meister, rufen Sie bitte den Inspektor an – wir, der Steuermann und ich sind hier neu, ihr kennt euch – und sagen Sie ihm bitte, dass es mir leid tut!«, flehte mich der junge Kapitän mit Tränen in den Augen an, als ich, felsenfest davon überzeugt, vom lieben Gott gerade einen Mord freigegeben bekommen zu haben, auf die Brücke stürzte.

Er rief sofort die Küstenradiostation über UKW an und bat um ein Gespräch nach Hamburg.

»Guten Morgen, hier ist Franco.«

»Was ist los, Franco, hast du den Hauptmotor ruiniert oder seid ihr am Absaufen?«, fragte der Inspektor am anderen Ende der Leitung lachend.

„Wir können nicht absaufen, in der Situation, in der wir uns befinden, selbst wenn wir es wollten.“

Der Inspektor verstummte sogleich und erkundigte sich nach einer Pause gefasst danach, wo wir waren.

»Wir sitzen in Finnland, eine Meile südwestlich von Utö.«

»Verstanden. Gut, ich übernehme den Fall von hier, wir sehen uns in der Werft.“

»Ich will in Urlaub!«

»Das kann ich mir vorstellen, ich habe sowieso ein anderes Schiff für dich, tschüss, bis bald!«

In Finnland auf dem Felsen hatten wir es geschafft, uns durch Abwerfen des gesamten Ballastes, den wir an Bord hatten, leichter zu machen. Der Fels aber wollte das Schiff nicht wieder hergeben.

Er hielt uns nach wie vor fest.

Wir hingen wie Piek sieben da an dem Fels und kamen erst vier Tage später, als das Hochwasser etwas höher als sonst wurde, mit Hilfe eines Schleppers wieder frei.

Verbittert und verärgert verließ ich ein paar Tage später das Schiff, gleich nach der Ankunft unter Schlepp in Schweden, wo das Schiff den Schiffsboden Numero zwo bekommen würde.

Zusammen mit dem Koch, der ebenfalls die Schnauze voll hatte von dem ganzen Zirkus, ging ich von Bord und gemeinsam flogen wir nach Hamburg zurück.

Mich widerte so langsam alles an, ich hatte von der Kümofahrt vorläufig die Schnauze gestrichen voll und wollte nur noch weg.

Hinzu kam, dass viele meiner Kollegen im Rahmen von Sparmaßnahmen entlassen worden waren und die Maschinenanlage des Schiffs für ein paar hundert DM, als Schwarzgeld bar auf die Kralle, dem Kapitän anvertraut worden war.

Die Misere der Ausflaggung der Handelsflotte hatte seit Kurzem begonnen und man kann ohne Weiteres davon ausgehen, dass das Fundament für das heutige Elend des Fahrpersonals in der Seefahrt damals gelegt worden ist.

Die Heuern waren auch zu billigen, sogenannten Haustarifen geschrumpft worden und viele Kollegen von mir, damals wie auch heutzutage, dachten ans Auswandern.

Wie viele andere Kollegen auch beschloss ich, als ewiger Auswanderer und Gastarbeiter auf den Offshore-Bohrinseln der Nordsee, bei den Amis, mein Glück zu probieren.

Mit dem Koch im Schlepptau verließ ich damals das Schiff und flog nach Deutschland zurück.

Zweimal hatten wir beide, ohne Schäden davonzutragen, eine schwere, in voller Fahrt erlittene Grundberührung überstanden.

Keiner von uns beiden hatte Lust, es mit zwei neuen trotteligen Argonauten auf der Kommandobrücke auf ein drittes Mal ankommen zu lassen.

Am Hamburger Flughafen entstand zwischen dem alten Koch und mir ein kurzes Abschiedsgespräch:

»Hast du das auch gehört, Meister? Ich meine, nach der zweiten Grundberührung, nachdem du die Hauptmaschinen abgestellt hattest, kamst du sofort fluchend an Deck. Wir trafen uns in den Gängen, es war totenstill an Bord. Obwohl der kleine Hilfsdiesel lief – es war totenstill! Hast du das auch gehört, Meister?« fragte mich der alte Mann.

»Du meinst wohl, ob ich dieses sarkastische tiefe Lachen, das aus dem Zentrum der Erde zu kommen schien, auch gehört habe, nicht wahr?«

»Ja, Meister, das meine ich, hast du es auch gehört?«

»Ja, Koch, ich hab’s gehört und ich werde es, solange ich lebe, nie mehr vergessen!«

»So! Das hast du also! Das dachte ich mir schon, dass du es gehört hattest. Ja, dann mach’s gut, Meister.«

»Mach’s besser, Koch.«

»Übrigens: ich habe auch die Anderen danach gefragt, die haben nichts gehört. Die haben mich sogar ausgelacht, als ich danach fragte«, fügte der alte Mann noch hinzu, mit einem enigmatischen Lächeln im Gesicht.

»Noch was, Meister«, sagte noch, bevor er endgülitig wegging, und er lächelte wieder etwas unheimlich dabei, »Du kannst, solange du willst, zur See fahren, dir wird nie etwas Böses zustoßen. Ein leichtes Leben aber, das wirst du nicht haben.«

Verblüfft wollte ich ihn fragen, was er damit meinte, da wurde ich aber von einer jungen Frau kurz abgelenkt, die mich fast umgerannt hätte, so schnell lief sie auf einen jungen Mann zu, der hinter mir stand, um in seinen Armen zu versinken.

Als ich mich wieder nach dem Koch umschaute, war er weg, wie vom Boden verschluckt.

Jahre später hörte ich von einem Bekannten, der als Kapitän fuhr, an der Theke meines Stammlokals, dem „La Grotte“ neben dem deutschen Seemannsheim in Rotterdam, etwas, was ich lieber nicht gehört hätte.

Denn als wir zwischen dem einen oder anderen Bier über Schiffe sprachen, kamen wir auch auf das Schiff mit den zwei in vierwöchigem Abstand aufeinanderfolgenden Grundberührungen zu sprechen.

Er erzählte mir, dass dieses Schiff noch im selben Jahr während eines Wintersturmes in der Nordsee mit Mann und Maus untergegangen war.

Bei Terschelling soll sie damals abgesoffen sein. Beladen mit Bauholz für England!

Es gab keine Überlebenden. Es waren alles Freunde von mir.

Tertium non datur!

PISSED AS A NEWT – NON LICET ESSE

Auszug aus: Manuskript N° 3: Von anderen Geschichten und Epilogen.

Bremen ist nicht meine Wahlheimat. Meine Wahlheimat ist das Meer, mein Zuhause sind die Schiffe, auf denen ich fahre.

Nein, Bremen ist nicht und Bremen wird nie meine Wahlheimat sein.

Bremen ist meine Art und Weise zu leben, frei nach dem Motto: Alles oder nichts und immer nach vorne schauen.

Alles oder nichts hat mit Geld wenig zu tun.

Für mich bedeutet alles oder nichts weder Geld noch Macht oder Reichtümer. Für mich bedeutet alles oder nichts: Leben.

Jetzt leben, sich nicht kleinkriegen lassen und um des Lebenswillens zu leben, zu wachsen und zu sein!

Um des Lebens wegen da zu sein, auch dann, wenn die Weichen schlecht gestellt sind; sich einzusetzen, um zu verbessern, aus reiner Freude am Leben und aus Enthusiasmus am Tun.

Das ist Bremen für mich und so bin ich.

Wäre nicht der akute seemännische Scharfsinn in punkto Weiber in mir gewesen, dann hätte ich mich vor einigen Jahren in Bremen ganz bürgerlich und vornehm verheiratet.

Anstatt in den Katakomben des Seemannsheims zu wohnen, wäre ich häuslich geworden, mit eigener Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, eigenem Klo und all den Annehmlichkeiten des gutbürgerlichen Lebens.

Dann wäre ich noch zivilisierter und noch gesitteter, noch artiger und anständiger geworden, als es heute der Fall ist.

Die Evastochter, die die häuslichen Gefühle in mir wieder erweckt hatte, arbeitete als Kellnerin in einer gut besuchten und gepflegten Kneipe unweit von Bremen.

Sie muss um die 40 Jahre alt gewesen sein, vielleicht ein bißchen älter, aber keineswegs jünger.

Zwar, um ehrlich zu sein, ein bisschen zu alt für mich. Ihrem Alter zum Trotz aber gut erhalten, gut ernährt und mit einem noch vollständigen eigenen Gebiss ausgestattet.

Sie hatte zwar einen viel zu kurzen Haarschnitt, eher maskulin als weiblich, der ihren etwas zu klein geratenen Kürbis auf ihrem korpulenten Körper noch kleiner erscheinen ließ.

Sie pflegte sich auch sehr komisch zu kleiden; ihre Art und Weise, sich herausputzen, fand ich wirklich lachhaft.

Ihr Geschmack in punkto Klamotten war wirklich das Allerletzte, was man sich an so einer reifen und erfahrenen Frau vorstellen kann.

Ich persönlich fand ihre Vorliebe für Großmutterklamotten einfach lächerlich.

Wenn sie aber um ihren kurzen Hals herum auch noch ein palästinensisches Bettlaken schlang, dass ihren Kopf mit dem Kurzhaarschnitt auf ihrem korpulenten Körperbau noch einmal kleiner erscheinen ließ, dann war wirklich alles zu spät mit ihr.

Trotzdem fand ich die altertümliche Dame nett und ausbaufähig, sozusagen.

Falls es mit uns letztendlich, was keineswegs sicher war, geklappt hätte, hätte sie sich was anderes anziehen müssen, denn ein Seemann geht bekanntlich nicht mit einer als Frau getarnten Vogelscheuche aus.

So oder so hätte ich ihr also ganz bestimmt ihre geschmacklose Weise, sich zu kleiden, notfalls mit ein paar auf die Schnauze auszutreiben gewusst.

Irgendwie hätte ich sie bestimmt zur Vernunft gebracht, da bin ich mir ganz sicher, denn bis dahin hatte ich mich in punkto Frauenzimmer noch nie geirrt.

Mehrere Male schon hatte ich sie mir, was in Anbetracht ihrer Camouflagemanie wahrlich nicht einfach gewesen war, am Tresen zurechtgesoffen. Nach mehreren Anläufen und anstrengenden Versuchen hatte ich es fast geschafft, dass sie mir in meinem Suff wunderschön vorkam. Hatte mir für sie die passende Frisur zurechtgesoffen: langes, fülliges, schwarzes Haar, das ihren kleinen Kürbis unter seiner Fülle verschwinden ließ. Ihr Palästinenserbettzeug in den Mülleimer geworfen, ihre Klamotten der Heilsarmee geschenkt und den Fensterkitt aus ihrem Gesicht geschabt. In meinem Suff hatte ich für sie ein dezentes, aber sexy blaues Kostüm ausgesucht und sie dort hineingequetscht. Auf ihr Gesicht hatte ich eine hauchdünne Schicht roten Puder gelegt, denn obwohl von grober Bauart und kugelrund, sah es nach der Fensterkittentfernung letztendlich doch etwas blass und mitgenommen aus.

So in etwa sah also in meinen Suff die Frau meiner Träume aus. Gewiss nicht gerade erste Auslese, das war sie keineswegs, das war mir klar − auf jeden Fall immerhin besser als vor dem Zurechtsaufen.

Und um ehrlich zu sein: Man sollte sich doch in meinem Alter nicht allzu wählerisch geben, denn viel hatte ich im Grunde genommen auch nicht zu bieten. Denn als Seemann, Ausländer, Sozialsäufer, weiberfaul und mit einer Bierwampe noch dazu ist man nicht gerade ein blaublütiger Prinz, nicht wahr?

Blau schon und das oft und richtig, aber ein Prinz?

Nein, das bin ich wirklich nicht.

Sie aber, so wie ich sie mir zurechtgesoffen hatte, sie hätte bestimmt ihren Zweck erfüllt und das wäre doch der Sinn der ganzen Übung gewesen.

Wie gesagt, fast hätte ichs geschafft, wäre bloß nicht ihr Arsch gewesen. Himmel, Gott ist mein Zeuge, dass ich mir mit allen mir zu Verfügung stehenden Mitteln diese einem Nilpferd ähnliche Monstrosität, die an ihrem Achtersteven hing, schönzusaufen versucht habe.

Es nützte alles nichts, ihr alter Arsch blieb so, wie er war, und ich war jeden Tag nur noch besoffen.

Fest entschlossen, doch noch einen passenden Arsch für ihren Achtersteven zurechtzusaufen, verpasste ich mir, sozusagen als zusätzliche Stärkung und Reiz für meine gestalterischen Fähigkeiten, zu jedem Beck‘s-Bier einen Doppelkorn.

Von da an nahm das Unheil erbarmungslos seinen Lauf, denn nach ein paar Tagen anstrengender Versuche bekam ich gewaltige Magenschmerzen, meine Hände fingen an zu zittern − und ihr starrköpfiger Arsch schien mir noch größer geworden zu sein.

Fast entmutig, aber immer noch mit dem verbissenen Draufgängertum des erfahrenen Seemanns, wechselte ich kurzerhand von Bier und Doppelkorn zu Bier und Wodka.

Es nützte alles nichts, ganz im Gegenteil, es wurde nur noch schlimmer, denn ihr Arsch schien mir nach einigen Tagen unverdrossener Versuche noch monumentaler und monströser als je zuvor geworden zu sein.

Also probierte ich es mit Bier und Cognac, da musste ich aber, als mein Magen mir fast um die Ohren flog, schleunigst meine zitternden Flossen davon lassen.

Es war wirklich zum Verzweifeln, denn nie zuvor hatte mich so ein dämlicher, enormer, kuhähnlicher Weiberarsch so viel Mühe und Geld gekostet.

Ein halbwegs passabler Einfall, um wenigstens zu retten, was noch zu retten war, kam mir, als ein Bekannter auf ein Bier ins Lokal kam.

Von ihm wusste ich, dass er gute Cocktails zubereiten konnte, und so bat ich ihn in Anbetracht meines Problems, mir eine Bloody Mary zu machen.

Woraufhin sie, die meine verzweifelten Anstrengungen, ihr einen besseren Arsch zu verpassen, zu schätzen und zu würdigen wusste, sich sofort bereit erklärte (in freudiger Erwartung, ein neues Hinterteil zu bekommen?), mir die Bloody Mary selbst zuzubereiten.

Ein Experiment, das ich mir angesichts der Lage und weil ich ihr nicht so ganz über den Weg traute, ersparen wollte. Und deswegen dankend, aber bestimmt, ablehnte.

Daraufhin wurde das undankbare Geschöpf, ungeachtet all meinen Bemühungen, sauer und sprach kein Wort mehr mit mir.

Nichtsdestoweniger hatten die vielen Bloody Marys, die ich an dem Abend trank, die ersehnte magische Wirkung, die ich erfreulicherweise in der Vergangenheit schon mehrere Male erleben durfte.

Denn je mehr ich davon trank, desto nüchterner und klarer wurde ich im Kopf.

An diesem Spätabend dort an der Theke trank ich, bis ich ganz und gar nüchtern wurde, und schwor mir, mich nie wieder um dicke Weiberärsche zu kümmern.

Ich gab mir das Versprechen, nur noch nach jungen Damen Ausschau zu halten, die gute Bloody Marys zubereiten und dazu auch noch einen gesunden Opa-Komplex nachweisen können.

Denn wie ich von Bekannten, die es angeblich schon ausprobiert haben, irgendwann zu hören bekam: Junge Damen, die gute Bloody Marys zubereiten könnten, die schnarchen nicht.

Nachdem ich die gepfefferte Rechnung bezahlt hatte, ging ich auf Nimmerwiedersehen aus der Kneipe und direkt ins Seemannsheim, wo ich geschlagene vierundzwanzig Stunden lang den Schlaf der Gerechten schlief.

Bevor ich einschlief, bat ich ganz höflich, aber bestimmt, all die lustigen Kobolde und die winzig kleinen grünen Männchen mit den riesigen Nilpferdärschen in meiner Bude, nicht so toll herumzutanzen und nach Möglichkeit nicht so laut zu sein.

Heute, viele Jahre später, geistern diese lustigen Kobolde und die kleinen grünen Männchen mit den riesigen Nilpferdärschen immer noch ab und zu in den Katakomben des Seemannsheims herum.

Ab und zu besuchen sie mich und wir reden von vergangenen guten alten Zeiten.

CARPE DIEM

Wer behauptet, das Leben eines arbeitslosen Seemanns, der im Seemannsheim wohnt, sei langweilig und monoton, der spinnt.

Wer behauptet, dass ein arbeitsloser Seemann nichts zu tun habe, der weiß nicht, wovon er redet.

Wer erklärt, dass arbeitslose Seeleute phlegmatische faule Säcke seien, der sollte seine Fresse halten, denn das ist nicht wahr.

Seit zwei Monaten bezog ich nun − zum ersten Mal in meinem Leben − Arbeitslosengeld, weil auch ich, wie viele andere vor mir, für manches ehrenwerte Mitglied des Verbandes Deutscher Reeder angeblich zu teuer geworden und durch Seeleute aus der Ukraine abgelöst worden war.

Das fand ich einfach beleidigend, beschämend und entwürdigend, konnte aber nichts dagegen tun.

Wie viele meiner Kollegen vor mir war ich der Willkür der VDR-Mitglieder und der Kurzsichtigkeit der Politiker einfach ausgeliefert.

Während dieser Zeit hatte ich mit unzähligen Reedereien telefoniert und mich für eine Stelle als Maschinist beworben.

Außer leeren Versprechungen − so nach dem Motto „danke für den Anruf, sobald wir jemanden brauchen, werden wir Sie anrufen“ − kam nichts dabei heraus.

Nicht nur das: Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Seemannsmission, allesamt erfahrene Schiffskapitäne, wussten zu berichten, dass auf den Schiffen, die sie tagtäglich besuchten, fast nur noch asiatisches oder osteuropäisches Personal zu finden sei.

Selten deutsche oder westeuropäische Seeleute.

Ein besonders anständiger Personalchef aus Hamburg sagte mir vor einiger Zeit, dass ich mit meinen 63 Jahren schon zu alt für die Seefahrt sei und dass es für mich deswegen sehr schwer sein würde, wieder ein Schiff zu bekommen.

Außerdem informierte er mich auf höchst belehrende Weise, dass ein Westeuropäer alleine unter lauter Osteuropäern an Bord erst mal gar nicht klarkommen und große zwischenmenschliche Probleme bekommen würde.

Aber was die Langeweile eines arbeitslosen Seemanns betrifft, der im Seemannsheim wohnt, so existiert die erst mal gar nicht.

Bevor er seine Schnauze noch einmal aufmacht, sollte derjenige, der behauptet, dass arbeitslose Seeleute muffige faule Säcke seien, erst mal nachdenken, was er da überhaupt sagt.

Am besten sollte er erst mal selbst probieren, um die tausend Euro pro Monat zu versaufen, und das monatelang, dann würde jener unbekannte Vollidiot ein für allemal wissen, was es bedeutet, hart zu arbeiten.

So viel zur Faulheit eines arbeitslosen Seemanns im besten Mannesalter, der im Seemannsheim wohnt und Langeweile hat.

Von wegen hier phlegmatisch, leidenschaftslos oder apathisch.

Ein arbeitsloser Seemann, der im Seemannsheim wohnt, ist so dermaßen damit beschäftigt, Geld zu vergeuden und sich selbst langsam umzubringen, dass er noch nicht mal Zeit zum Bumsen hat.

###

Genau das aber hatte ich mir an dem Morgen vorgenommen.

Dieser Tag hätte mein goldener Bumstag werden sollen.

Schon um acht Uhr morgens, als ich wach wurde, stand für mich fest: Dies würde ein glorreicher Bumstag werden!

Die dafür nötige Latte hatte ich ja schon, nach dem Pipimachen aber folgte das Scheißding dem unwiderstehlichen Ruf von Mutter Erde und ihren Anziehungskräften − und schon war alles finito.

Denn der ging sofort wie hypnotisiert in seine gewohnte Winterschlaf-Dauerdämmerung­stellung zurück und rührte sich nicht mehr.

Das Ding wirkte genauso leblos und lethargisch wie ein kleines Würmchen im Winterschlaf, und das wars dann.

Bumstag ade, dachte ich mir, als ich die Bescherung sah, die Mutter Erde und ihre Scheiß-Anziehungskräfte meinem besten Stück beschert hatten.

Enttäuscht, entrüstet und beleidigt ging ich nach dem Duschen in den Clubraum zu den anderen Helden und holte mir einen Ersatzbefriedigungscappuccino aus dem Automaten.

Dort hustete sich Fischdampfer-Werner wie an jedem Morgen fast die Seele aus dem Leib, gut gelaunt und guter Dinge, weil kein Hund auf „seinen“ Rasen im Garten gekackt hatte.

Er pflegte aber tapfer, konsequent und verbissen sein Asthma, seine Lungenasbestose und seinen lädierten Kreislauf, indem er eine selbst gedrehte Zigarette nach der anderen verqualmte.

Sein Hobby war die Pflege des Gartens; die Blumen, die er liebevoll pflanzte, kauften wir selbst, auch drei kleine Bäume hatten wir zusammen gekauft.

Der Garten war seine Welt geworden, mehr hatte der Werner nicht vorzuweisen, nur sich selbst, seine Aufrichtigkeit und seinen gepflegten Garten, der von vielen in der Nachbarschaft schon bewundert und gelobt worden war.

Das bedeutete Werner viel, sehr viel, denn er hatte sonst eigentlich nichts, er hatte nur sich selbst, seine Aufrichtigkeit und seinen Garten und die paar Freunde in den Katakomben auf der ersten Etage des Seemannsheims, wo wir, die glorreichen Vierzehn, hausten.

Nebenan, an den Frühstückstischen, saßen acht Russen oder Ukrainer auf ihren gepackten Koffern und unterhielten sich leise.

Sie waren schon seit zwei Tagen Gäste des Hauses, nun standen sie bereit, an Bord eines Schiffs gefahren zu werden.

Diese neuen Gäste des Seemannsheims würden noch an selbem Tag an Bord irgendeines ausgeflaggten deutschen Schiffs gehen.

An dem Tag würden die Kollegen aus der Ukraine eine ganze deutsche Schiffsbesatzung ablösen, und acht deutsche Kollegen würden arbeitslos werden.

So war es bei uns im Seemannsheim an dem Tag, als das vierteljährliche Magazin der Seemannsmission von dem bevorstehenden Kaffee-und-Kuchen-Nachmittagstreff der Deutschen Binnenschiffertanten Kunde gab.

Nichts Besonderes also.

Etwas später an diesem Morgen kam es, wie es kommen musste.

Nach einer Weile, so gegen zehn Uhr morgens, hielt ich es im Seemannsheim nicht mehr aus und ging auf die Menschheit los.

Wie üblich kam ich nicht weit, denn am Markt hatte bereits „John Benton“ auf. Dort ging ich immer, wenn ich in Bremen war, gerne ein paar Biere trinken.

Das Lokal ist sehr traditionsreich. Dort ist es ruhig, das Lokal ist sehr gut gepflegt, die Musik ist entspannend und dezent und das Restaurant wegen seiner guten Küche gut besucht.

Später, nach den vier oder fünf Bieren, die ich mir bei „John Benton“ sozusagen als Frühstücksergänzung zur Brust genommen hatte, würde ich weiterziehen.

Ich würde dann im Andechs-Wirtshaus in der Katherinen-Passage einlaufen und dort mit meiner Anwesenheit, die Mädchens beglücken.

Nach, sagen wir, noch einigen Bieren wäre ich zum Leidwesen der entzückenden und freundlichen Belegschaft dann gegen vierzehn Uhr zum „Störtebeker“ hinübergezogen, zu den anderen müden Helden der Theken.

An solchen Tagen denkt man nicht ans Bumsen.

Der Wirt schenkt bis zum Abwinken wie angewiesen automatisch immer brav ein, und so erfüllt auch hier jeder im guten Teamgeist seine zugeordnete Aufgabe.

Schade, dass man bei solchen Übungen viel zu schnell müde wird, denn ich mag die Geister der Theke.

Leider werde ich immer spätestens gegen sechzehn Uhr schläfrig, ab da ist es finito mit lustig und ich ziehe heimwärts.

Dies entspricht aber immerhin einem Arbeitspensum von sechs Stunden an der Theke, danach muss ich schlafen gehen, sonst versacke ich.

„Sonst versacke ich“ bedeutet bei mir, die Dörfer um Bremen zwei Tage lang konsequent durchzuziehen.

Jeder anständige arbeitslose Seemann aber, auch der rüstigste unter ihnen, hält seinen Mittagsschlaf, und da ich keine Ausnahme mehr sein will, tue ich es eben auch.

Bevor ich aber zurück ins Heim gehe, kaufe ich bei Karstadt etwas ein. Meistens besorge ich mit nur Brötchen und Aufschnitt, denn die Milch, die gibt es bei uns im Heim am Automaten.

Um zu erfahren, wie an diesem Tag das Volk über aktuelle Themen informiert bzw. für dumm verkauft und verschaukelt wird, kaufe ich mir auch die Bildzeitung, erst dann gehe ich heim.

In meiner Bude landet die Einkaufstüte samt der Bildzeitung und der Milch auf dem Tisch und ich in der Koje.

Zuvor aber schalte ich, um etwas Unterhaltung zu haben, die Glotze an, kurz darauf aber fordert mein Arbeitstag seinen Tribut und ich schlafe ein.

Die Brötchen und der Aufschnitt würden dann mein Abendbrot werden oder besser gesagt mein Nachtschmaus, denn normalerweise werde ich erst gegen Mitternacht wieder wach, und dann habe ich Hunger.

Danach wird, was nicht sehr schwer ist, Tagesbilanz gezogen, und nach der Feststellung, dass der gerade vergangene Tag nichts anderes als ein neuer verlorener und beschissener Tag war, schlafe ich wieder ein.

Das ganze traurige Spiel fängt am nächsten Morgen wieder von vorne an, jeweils mit der freudigen felsenfesten Überzeugung, dass aus dem neugeborenen Tag endlich der langersehnte Bumstag werden wird.

Aber Scheiße! Mutter Erde, weiß der Geier warum, vertritt immer eine andere Ansicht als ich und verdirbt mir die Freude, immer wieder, jeden Tag aufs Neue.

Denn am nächsten Tag, nach den gleichen frühmorgendlichen Hoffnungen, folgt wie üblich die berühmte tote Hose vom Feinsten.

Nach den gleichen Träumen und sinnlichen Wünschen, nach der gleichen Prozedur wie am Morgen zuvor wird es wieder nix mit Bumsen.

Und während also die Nutten dieser Welt langsam am Verrosten sind, sitze ich gegen elf Uhr wieder am Tresen, mit denselben Gedanken im Kopf wie am Tag zuvor.

Mit demselben Kater.

Mit demselben Elend.

Mit denselben Hoffnungen auf das Wunder, das mich wieder zur See fahren lässt.

Mit denselben Enttäuschungen und mit derselben Wut.

Mit demselben Groll auf all das politische Gesindel, das all das Elend in der Seefahrt zuerst ermöglichte und zuließ und auch heute mit einem zynischen Lächeln im Gesicht immer noch duldet.

Es war ein wahres Kaleidoskop der Gefühle, das da in mir tobte, am schlimmsten aber war die Gewissheit, ausrangiert worden zu sein.

Nicht abgehakt, weil krank oder weil senil oder alterschwach geworden − nein, ich wurde abgeschnitten und weggeworfen aus purem wirtschaftlichem Kalkül, weil ich angeblich wie viele andere Kollegen auch für die Geier des Geldes einfach zu teuer war.

Die osteuropäischen Sklaven sind für die niemals satt zu kriegenden Amigos des Landes vom Verband Deutscher Reeder einfach billiger.

Jedoch − obwohl froh, mit heilen Knochen davongekommen zu sein − fühlte ich mich in meinem letzten Berufsjahr zum ersten Mal wirklich arbeitslos, ohne Aussicht auf Arbeit, nutzlos und frustriert.

Seit Monaten schon ging es mir so, ich hatte merklich an Gewicht zugenommen und meine Wampe fing langsam an, mir auf den Geist zu gehen.

Dagegen war ich aber machtlos, denn die Anziehungskraft der Biertheken Bremens und des guten Essens bei dem alten Casimiro, meinem Lieblingsitaliener in der Knochenhauerstraße, war stärker als meine eigene Willenskraft.

Meine Lage war wirklich miserabel, ich hatte nicht nur mit einer unendlichen Langeweile zu kämpfen, ich wurde auch zunehmend alt und immer dicker und fetter.

Aber so etwas von dick und fett, dass mein alter Arsch in die fast brandneuen Hosen, wenn nicht ein Wunder geschah, bald nicht mehr hineinpassen würde.

Hinzu kam, wie könnte ich es vergessen, dass mein Bauch mir den Blick auf meine Füße (und nicht auf diese) versperrte, so aufgebläht und korpulent war ich schon geworden.

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Eines Tages, als ich unterwegs zum Störtebeker war, merkte ich, wie ich mit mir selbst am Philosophieren war.

Das war nichts Besonderes, aber ich ertappte mich dabei, wie ich auf einmal die Meinung vertrat, dass ich langsam, aber sicher, eine fast asoziale Faulheit der Bumserei gegenüber entwickelt hatte.

So weit war es also mit mir schon gekommen, ich war gerade eben 63 Jahre alt, in den besten und blühendsten Bumsjahren eines Mannes also!

Meine Dritten waren brandneu und dank guter Haftpaste bombenfest im Maul verzurrt, und ich musste mir selbst gegenüber zugeben, das ich zu faul zum Ficken war!

Die dafür benötigten Tanten, die kannte ich, meine früheren Jahre waren voll von guten Tanten.

Das war ein beträchtlicher Haufen an Tanten, was sich da im Laufe der Jahre sozusagen zusammengehäuft hatte, nicht wahr!

Gegenwärtig musste ich aber auch ihr hohes Alter berücksichtigen, und sie deswegen und auch, weil Mutter Erde mit ihrer scheiß Anziehungskraft mir immer wieder in die Quere kam und mir brutal und erbarmungslos jeden Morgen einen Strich durch die Rechnung zog, sie alle in dankbarer Erinnerung haltend ad acta legen.

Außerdem waren all die alten Tanten von anno dazumal sowieso in alle Windrichtungen verstreut und die meisten schon ewig alte Omas. Manch andere hatte sich aus reinen Altersgründen längst aus dem Geschäft zurückgezogen.

Hinzu kam, dass ich sowieso keine Lust zum Verreisen hatte.

Also abgehakt und finito.

Für den Fall, dass irgendwann Mutter Erde doch ein klein wenig von ihrer Anziehungskraft verlieren würde, würde ich mir eben, je nachdem, wie ich bei Laune war, nicht wahr, eventuell etwas Neues suchen.

So 'ne jüngere Tante natürlich, 'ne Tante um die Zwanzig, jung und treuherzig und knackig, mit rosaroten Arschbacken und Titten al dente.

Sie hätte aber nicht nur jung, treuherzig, vertrauensselig und knackig sein müssen, nein, das wäre natürlich nicht genug gewesen.

Einen Komplex müsste sie auch vorweisen können, ich erwähnte es schon, einen Opa-Komplex meine ich, denn, so sagte man mir, diese sind die besten und die dankbarsten.

An diesem Morgen hatte ich, weiß der Geier warum, einen anderen Weg eingeschlagen und war nicht die Obernstraße längs zu „John Benton“ gegangen, sondern hatte zuerst den Verspermann besucht. Nach ein paar Bieren war ich dann doch bei meinem Lieblingsostfriesen, dem Störtebeker, gelandet.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739472799
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Marika Komarno Küstenschifffahrt SLK Bremen Amrum Seemannsgarn Weser

Autor

  • Franco Parpaiola (Autor:in)

Portrait Franco Parpaiola Geboren am 06. Januar 1940 in Friaul, Italien. Nach dem Abschluss der Mittleren Reife und einer Lehre als Maschinenbauschlosser wanderte er im Jahr 1959 nach Deutschland aus, wo er zuerst als Handlanger im Bergbau arbeitete.
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Titel: Seemannsgarn an der Weser