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Three Night Stand

Liebe ist simpel

von Ina Linger (Autor:in) Cina Bard (Autor:in)
426 Seiten

Zusammenfassung

Es gibt drei Regeln, an die man sich halten sollte, wenn man sich auf einen One-Night-Stand einlässt: Suche dir jemanden aus, den du garantiert nie wieder sehen wirst. Sorge dafür, dass du den Spaß deines Lebens hast und verschwinde danach so schnell und so spurlos wie möglich. Dies ist auch Lisa klar, als sie sich kurz nach ihrer Ankunft in L.A. von ihrer besten Freundin Karen dazu überreden lässt, auf eine Party zu gehen und dort alle Hemmungen fallen zu lassen. Und in dem attraktiven Nick findet sie tatsächlich einen Gleichgesinnten, mit dem sie eine der aufregendsten Nächte verbringt, die sie je erlebt hat. Als Lisa am nächsten Morgen ganz planmäßig die Flucht ergreift, ahnt sie noch nicht, dass sie mit der ersten Regel nicht ganz so sorgsam war, wie sie gedacht hat. Denn Nicolas Jordan, der Mann, der ihr am Nachmittag im Restaurant bei ihrem ersten Geschäftsgespräch gegenüber sitzt und mit dem sie in den nächsten sechs Wochen an dem Drehbuch zu ihrem Bestsellerroman arbeiten soll, ist niemand anderes als Nick, ihr One-Night-Stand …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1

 

 

 

Ein Kitzeln an ihrem Ohr. Das war es, was sie als allererstes wahrnahm, als sie ganz langsam aus der Welt der Träume hinüber in die Realität glitt. Warme Luft, die immer wieder an ihrem Ohrläppchen vorbei über ihren Hals blies, dort eine leichte Gänsehaut hinterlassend. Dann waren da dieser schwere, warme Druck auf ihre Taille und Geräusche … nicht fremd an sich, aber fremd in dieser Situation, störend in dieser sonst so schönen Phase des langsamen Erwachens an einem freien Tag: Das Ticken eines Weckers ganz in ihrer Nähe, Straßenlärm, der aus einem gewissen Höhenunterschied zu ihr herauftönte, ihren noch so betäubten Gehörsinn aktivierte und dabei diese leichte Irritation hervorrief, die ihr Verstand selbst schon in diesem benebelten Zustand zulassen konnte. Und dieses andere Geräusch dicht hinter ihr, welches das Kitzeln an ihrem Hals begleitete … Das klang beinahe wie das ruhige Atmen einer anderen Person.

Lisa riss gewaltsam ihre Lider auf und verfluchte sich im nächsten Augenblick schon beinahe wieder selbst dafür. Gleißend helles Licht stach ihr in die empfindlichen Augen und durch ihre Schläfen zog ein scharfer Schmerz, der sie sofort wieder die Augen zusammenkneifen ließ und sich nur Sekunden später in ein ebenso unangenehmes, schmerzhaftes Pochen verwandelte. Ganz gleich, was sie in der gestrigen Nacht alles getan hatte, eines stand schon einmal mit Sicherheit fest: Sie hatte zu tief ins Glas geguckt und musste nun dafür bezahlen – mit Kopfschmerzen und Gedächtnisverlust, wie es aussah.

Was war nur gestern geschehen? Und wo zur Hölle war sie jetzt? Karen hatte sie dazu gebracht, am späten Abend mit ihr auf die Party eines Bekannten zu gehen, um endlich mal richtig zu ‚relaxen‘. Und das hatte sie wohl getan, mit zu viel Alkohol und … Gott-oh-Gott! Nicht damit! Bestimmt nicht damit!

Sie atmete tief durch und hob nun sehr viel vorsichtiger als zuvor die Lider, blinzelte gequält in das helle Tageslicht, das durch das geöffnete Fenster einen halben Meter von ihr entfernt in den großen Raum fiel. Helles Parkett, weiße Wände, helle, schlichte Möbel – definitiv nicht ihr Zimmer. Wie sollte das auch möglich sein? Schließlich war sie erst vor zwei Tagen in die Staaten eingereist. Doch es war auch nicht das Hotelzimmer, das sie gemietet hatte, oder das Wohnzimmer ihrer Freundin Karen, das diese ihr als Übernachtungsmöglichkeit angeboten hatte, kurz bevor sie zu der Party aufgebrochen waren.

Lisa schluckte schwer, während ihre Augen beinahe ängstlich durch das Zimmer huschten. Da lag Kleidung vor dem Bett … wenn sie sich nicht irrte, ihre eigene. Das Kleid, das sie gestern Abend angezogen hatte, ein paar Schritte weiter neben einem Herren-shirt ihr BH … ihr Slip … Ihr wurde schlecht, schlechter, als ihr ohnehin schon war. Oh Himmel, hatte sie es etwa wirklich getan? Diese eine Sache, die sie sich noch nie zuvor getraut hatte zu tun? Da war dieser Kerl gewesen: groß, dunkel, mit diesem männlichen, aber doch jungenhaften Charme. Sie konnte sich an sein Lächeln erinnern und diese vielen kleinen Fältchen um seine Augen herum, die sich immer gebildet hatten, wenn er lachte …

Sie bewegte vorsichtig den Kopf, versuchte an ihrem eigenen Körper hinunterzusehen, festzustellen, ob dieser Druck auf ihre Taille tatsächlich durch das verursacht wurde, was sie mit klopfendem Herzen bereits erwartete. Ein leicht behaarter Männerarm – natürlich, was hätte es auch anderes sein sollen? Sie schloss die Augen, versuchte den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, wieder herunterzuschlucken.

‚Keine Panik!‘, sprach sie sich selbst zu. ‚Ganz ruhig und cool bleiben. Du hast mit einem dir völlig fremden Mann geschlafen – na und?! Ein netter One-Night-Stand hat noch niemandem geschadet … Und da dir auch die Erinnerung daran fehlt – was soll’s?‘

Seine Lippen auf den ihren, sein heißer Atem auf ihrer Haut, sein tiefes Stöhnen dicht an ihrem Ohr. Nackte Haut auf nackter Haut … Wie wundervoll sich das anfühlte … Ihre Finger krallten sich fest in die Muskulatur seines …

Lisa riss entsetzt die Augen auf, konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, nach Luft zu schnappen. Ganz so erinnerungslos war sie dann wohl doch nicht. Du liebe Güte – wenn sie sich nicht irrte, hatte sie sich so gehen lassen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Wie peinlich! Sie war doch sonst nicht so. Und sie konnte diesem Mann jetzt unmöglich in die Augen sehen, geschweige denn mit ihm sprechen – jedenfalls nicht, ohne dabei vor Scham im Erdboden zu versinken. Was bedeutete, dass sie irgendwie aus dem Bett herauskommen musste, ohne ihn zu wecken. Bloß wie?

‚Erst einmal tief durchatmen und dann weitersehen, Lisa‘, sprach sie sich selbst zu. ‚Du kannst das. Konzentrier dich besser. Vielleicht täuschen dich ja auch deine Erinnerungsfetzen und du hast gar nicht mit diesem Mann geschlafen. Immerhin wart ihr sehr betrunken. Vielleicht seid ihr nur ins Bett gefallen und dann gleich eingeschlafen … nackt – gut – aber auch das muss ja nicht gleich zum Letzten geführt haben.‘

Lisa atmete tief ein und aus, bewegte sich, testete an, was ihre Bewegung bei dem Mann hinter ihr auslöste. Seine Atmung veränderte sich und sein Arm zuckte kurz, dann lag er wieder still. Vielleicht konnte sie ihn ja dazu anregen, seinen Arm von ihrem Körper zu nehmen, wenn sie ein bisschen herumruckelte – selbstverständlich vorsichtig, damit er bloß nicht aufwachte.

Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als sie sich wieder bewegte, ihre Hüfte minimal anhob. Der Mann hinter ihr gab nun ein leises Grummeln von sich und schien sich auf den Rücken zu drehen. Zumindest glitt sein Arm von ihrem Körper und landete stattdessen schwer auf der Matratze. Lisa schloss erleichtert die Augen. Das war doch schon die halbe Miete. Nun galt es nur noch aus dem Bett herauszukommen, ohne dieses dabei zu sehr wackeln zu lassen oder Geräusche zu verursachen, die ihre Kurzbekanntschaft vielleicht doch noch wecken würden. Sie hob die Lider wieder und schob vorsichtig ein Bein über den Bettrand, tastete mit den Zehenspitzen nach dem Fußboden. Da war er, glatt und kühl, nicht allzu tief unter ihr. Sie zog die dünne Bettdecke, die ihren Körper bedeckte, noch höher über ihren Brustansatz, spannte ihren Körper an und setzte sich auf – etwas zu schnell, denn der Raum begann sich sofort unangenehm um sie zu drehen. Glücklicherweise hielt der Schwindel nicht lange an und sie konnte einen vorsichtigen Blick auf den Mann in ihrem Bett werfen.

Sie hob überrascht die Brauen. Er hatte zwar seinen Kopf auf die andere Seite gedreht, sodass sie sein Gesicht nicht so richtig sehen konnte, doch wahrscheinlich hätte sie dafür eh keine Augen gehabt – bei diesem Körper! Das Betttuch war ihm bis zu den schmalen Hüften hinuntergerutscht und entblößte somit nicht nur seine muskulöse, leicht behaarte Brust, sondern auch den straffen Bauch und diese feine Linie dunkler Haare, die bis hinunter zu der stattlichen, sich deutlich unter dem Laken abzeichnenden Erhebung zu führen schien. Lisa wurde heiß und kalt zur selben Zeit und sie kämpfte mit aller Macht gegen die beschämenden Erinnerungen an, die sofort wieder in ihr hochkommen wollten. Sie musste hier weg – ganz schnell!

Ihr Versuch aufzustehen geriet durch ihr wachsendes Schamgefühl etwas zu hektisch und unkoordiniert und ließ sie völlig vergessen, dass man dazu eigentlich zwei Beine brauchte. Dass eines davon sich in der Decke ihres Liebhabers verfangen hatte, hatte sie zuvor gar nicht wahrgenommen – nun war es zu spät. Ihre Vorwärts-Aufwärts-Bewegung wurde so ruckartig gestoppt, dass sie das Gleichgewicht verlor, sich einmal um sich selbst drehte, mit wild um sich rudernden Armen zwei hilflose Hopser nach hinten machte, bevor sie ihr Bein aus der Decke ziehen konnte, und dann mit einem lauten Poltern zu Boden ging.

Für einen langen Augenblick blieb sie einfach nur liegen, kniff die Augen zusammen und wünschte sich, dass die Erde sich auftat und sie verschluckte. Nackt auf dem Boden vor dem Bett eines ihr wildfremden Mannes zu liegen und diesem zur Begrüßung am Morgen gleich den blanken Allerwertesten entgegen zu recken, weil man die ungeschickteste Person auf der ganzen Welt war, war etwas, was vom Grad der Peinlichkeit und des Schamgefühls kaum noch überboten werden konnte. Und sie war so laut gewesen, das der Fremde in dem Bett davon ganz bestimmt aufgewacht war.

Sie lauschte mit klopfendem Herzen und glühend heißen Wangen in die Stille hinein, doch da war nichts außer weiterhin recht regelmäßig klingenden Atemzügen. Sie hob den Kopf, sah über ihre Schulter hinüber zum Bett. Er lag noch genauso da wie zuvor, schlief tief und fest. Konnte sie wahrhaftig so viel Glück haben?

Sie stütze sich mit den Händen ab und richtete sich auf, griff rasch nach dem Laken, das zumindest noch um eines ihrer Beine geschlungen war, und versuchte es rasch um ihren Körper zu wickeln. Etwas war an ihrer Hand kleben geblieben und störte dabei nun ungemein. Sie drehte ihre Handfläche zu sich und ihr Magen vollführte erneut einen Salto Mortale. Die Plastikverpackung eines Kondoms – na, wundervoll! Mehr Beweise brauchte sie nun nicht mehr dafür, dass sie Sex gehabt hatte. Sie zupfte die Verpackung von ihrer Hand und erhob sich dann, den Mann auf dem Bett dabei angespannt im Auge behaltend. Doch er regte sich nicht, schlief selig weiter, auch als sie rasch ihre Sachen zusammensammelte und dann aus dem Zimmer in den Flur eilte.

Bad… wo war hier ein Bad? Da! Sie stürzte in den hell gekachelten Raum, als würde Michael Myers persönlich hinter ihr her sein, schloss die Tür lautlos hinter sich und verriegelte sie sofort. Erst dann wagte sie es, erleichtert durchzuatmen und einen Teil ihrer Anspannung gehen zu lassen.

„Ganz ruhig bleiben“, sprach sie sich selbst leise zu. „Du hast kein Verbrechen begangen, dir nur eine Menge Spaß gegönnt. Und der Kerl schläft wie ein Stein. Also, kein Grund zur Panik. Jetzt ziehst du dich an, Lisa, packst deine Sachen zusammen und verschwindest, so schnell du kannst – so, wie man das halt nach einem One-Night-Stand macht.“

Sie stimmte ihren eigenen Worten mit einem entschlossenen Nicken zu und runzelte dann die Stirn. Etwas kitzelte sie an ihrem Po. Sie griff rasch danach, fühlte, dass etwas an ihrer Pobacke klebte, und hob erstaunt die Brauen. Es ließ sich schnell ablösen und als Lisa es vor ihre Augen hielt, konnte sie diese nur noch in Resignation verdrehen. Eine weitere Kondomhülle. Ganz wunderbar! Dann war das wohl auch noch ein One-Night-Stand über mehrere Runden gewesen. Sie war eine Nymphomanin – eindeutig!

Lisa stieß ein leises Seufzen aus und begann dann endlich, ihren Plan in die Tat umzusetzen, weiterhin bemüht darum, sich bloß nicht an die Details von gestern Nacht zu erinnern. Das würde sie nur nervös machen. Unterwäsche an, Kleid überstülpen … Ach du Schande! War sie tatsächlich so auf diese Party gegangen?

Ihr Blick glitt über die Gestalt, die da in dem großen Spiegel vor ihr über dem Waschbecken zu sehen war und sich am Abend zuvor in dieses eng anliegende, dunkelblaue, unglaublich kurze Kleid ihrer Freundin gezwängt hatte. Es betonte ihre Kurven in einer äußerst provokanten Weise und dieser Ausschnitt… Es gab wohl keinen Menschen, der nicht sofort dorthin starren würde, wenn er ihr begegnete – egal ob Mann oder Frau!

„Wenn du damit heute keinen Kerl abschleppst, fress ich ‘nen Besen“, hatte Karen gesagt, als sie sich zusammen für die Party fertig gemacht hatten. „Das ist der Hingucker!“

Sie hatte wohl Recht gehabt – in beiderlei Hinsicht. Eigentlich war Karen daran schuld, dass das alles passiert war. Sie hatte schon vor ihrem Aufbrechen gemeinsam mit Lisa einen kleinen Cocktail ‚gekippt‘ – nur zur Auflockerung. Und die ganze Zeit hatte sie auf sie eingeredet: dass sie das endlich mal bräuchte nach dieser langen Zeit als Single; dass es ihr gut tun, sie lockerer machen würde; dass es sie von ihrer Anspannung bezüglich des auf sie zukommenden Kampfes um ihr Buch befreien würde und sie danach sehr viel besser und gelassener in die Verhandlungen und die anstehenden Treffen gehen würde. Irgendwann – nach ein paar Cocktails mehr auf der Party – hatte Lisa ihr geglaubt. Dann war ihr auch tatsächlich schon dieser Kerl über den Weg gelaufen, der wohl genau dasselbe wie sie gesucht und ungefähr dieselbe Menge Alkohol intus gehabt hatte.

Gott-oh-Gott, so etwas hatte sie eigentlich nie tun wollen. Alkohol und dumme Ideen – das führte höchst selten zu etwas Positivem. Wie sie nur aussah! Wie eine krude Mischung aus Gothic-Anhängerin und Punk. Ihre Augen waren von der verwischten Schminke schwarz umrandet und ihr blondes Haar stand nach allen Seiten ab, wirkte an ihrem Hinterkopf etwas antoupiert und Lisa wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, woher das wohl kam. Sie zog ein Kleenex aus der Packung, die auf einem kleinen Glastisch neben dem Waschbecken stand, befeuchtete es mit Wasser und versuchte sich wenigstens wieder so herzurichten, dass niemand schreiend vor ihr davonrennen würde, wenn sie aus dem Haus trat. Als sie gerade dabei war, ihr Haar mit den Fingern zu durchkämmen und auf diese Weise wenigstens einigermaßen zu glätten, fiel ihr Blick auf den Wecker, der in einem schmalen Regal stand, und sie gefror auf der Stelle zur Salzsäule. Zwölf Uhr dreißig?! Himmel! Wie lange hatte sie geschlafen?! Sie musste doch um fünfzehn Uhr in dem Restaurant sein, diesem Restaurant… dessen Name ihr schon wieder nicht einfallen wollte – verflucht noch mal!!

Handy. Wo war ihr Handy? Sie musste Karen anrufen! Die konnte sich bestimmt noch daran erinnern. Ihr Blick flog gehetzt durch den Raum. Dann schüttelte sie den Kopf über sich selbst und eilte hinüber zur Tür. Ihre Handtasche konnte nicht hier sein. Sie hatte sie schließlich nicht mitgenommen, als sie Hals über Kopf ins Bad geflohen war.

Sie steckte vorsichtig den Kopf aus der Badezimmertür hinaus und lauschte in die anhaltende Stille. Wenn sie sich nicht irrte, schlief ihr One-Night-Stand immer noch – welch ein Glück! Sie straffte entschlossen die Schultern und schlich dann auf Zehenspitzen durch den Flur zurück in das Schlafzimmer. Der Kerl lag nicht mehr ganz so da wie zuvor, hatte sich noch mehr auf die Seite gedreht, doch er schien zu ihrer Beruhigung noch zu schlafen. So konnte sie sich in Ruhe umsehen. Tasche… Tasche… TASCHE! Da war sie. Direkt neben dem Bett, leider auf der Seite, zu der sich der Mann umgedreht hatte.

‚Er schläft – keine Angst‘, sprach sie sich innerlich erneut zu, als sie sich ganz vorsichtig an das Bett heranpirschte. ‚Sei einfach ganz leise.‘

Zwei weitere Schritte und sie hatte die Tasche erreicht, streckte ihre Hand danach aus und hob sie hoch. Selbstverständlich musste irgendetwas darin verrutschen und ein leises Klappern erzeugen. Lisa erstarrte in ihrer Bewegung. Ihre Augen huschten ängstlich hinüber zu dem Gesicht des Mannes und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie gesehen zu haben, dass sich seine Lider bewegt hatten – so, als ob er sie gerade rasch geschlossen hätte. Aber das konnte ja nicht sein. Er schlief ja noch. Ganz bestimmt. Warum sollte ein erwachsener, tatsächlich unglaublich gut aussehender Mann – meine Güte, wie konnte ein Kerl nur so lange Wimpern haben?! – nur so tun, als ob er schlief? Das war doch lächerlich!

Sie schüttelte über diese absurde Annahme den Kopf, nahm ihre Tasche nun sehr viel vorsichtiger und leiser als zuvor an sich, hob auch gleich ihre Schuhe auf und huschte dann so schnell wie möglich hinaus aus dem Raum.

Nur Sekunden später stand sie vor der Tür des Apartments und schloss diese mit einem erleichterten Aufatmen hinter sich. One-Night-Stand abgeschlossen. Den Kerl würde sie nie wieder sehen. Schade eigentlich. Sie hatte bei der Auswahl dieser Kurzbekanntschaft selbst unter Alkoholeinfluss einen guten Geschmack bewiesen.

Sie schüttelte den Gedanken schnell wieder ab, schlüpfte rasch in ihre Schuhe und schulterte ihre Tasche. Es gab jetzt wichtigere Dinge, um die sie sich dringend kümmern musste, und die Zeit rannte ihr davon. Also marschierte sie schnurstracks den langen Flur hinunter, in dem sie sich nun befand, in der Hoffnung bald auf eine Treppe oder einen Fahrstuhl zu stoßen. Die vielen benummerten Türen, an denen sie dabei vorbeilief, ließen sie zu dem Schluss kommen, dass sie sich in einem kleinen, schlichten Hotel befand, und als ihr ein Zimmermädchen mit einem Wagen voller Putzutensilien entgegenkam, erhärtete sich ihr Verdacht.

Was sie allerdings die Stirn runzeln ließ, war das verschmitzte Grinsen, mit dem ihr die junge Frau begegnete, als sie sie mit einem freundlichen Nicken grüßte. Lisa versuchte sich nicht weiter darum zu kümmern, stieg rasch in den Aufzug, den sie nun endlich gefunden hatte, und fuhr mit diesem nach unten.

Als sich die Türen wieder öffneten, offenbarte sich ihr eine kleine, schicke Vorhalle mit einer Rezeption, an der ein junger Mann saß. Ganz dunkel konnte sich Lisa daran erinnern, dass er auch in der Nacht dort gesessen und ihr und ihrer Bekanntschaft den Schlüssel für das Zimmer ausgehändigt hatte.

Sie hielt unschlüssig inne, weil sie nicht genau wusste, was sie tun sollte. Das Hotel wortlos verlassen oder erklären, dass der Schlüssel noch oben bei … bei ihrer Kurzbekanntschaft war? Wie war noch gleich sein Name gewesen? Sie kniff angestrengt nachgrübelnd die Augen zusammen, während sie sich langsam auf die Rezeption zubewegte. Rick? Dick? Sie verkniff sich ein albernes Kichern. Wohl kaum! Mick? … Nick! Das war es. Nick … und wie weiter? Hatte er ihr überhaupt seinen Nachnamen gesagt? Bestimmt nicht. Wahrscheinlich stimmte noch nicht einmal sein Vorname, schließlich hatte sie ihm ja auch nicht ihren richtigen Namen genannt … oder doch?

Ihre Gedankengänge wurden unterbrochen, als der Rezeptionist von seiner Schreibarbeit, die er gerade noch erledigt hatte, aufsah, sie kurz musterte und plötzlich ebenfalls von einem Ohr zum anderen grinste. Lisa schoss sofort Hitze ins Gesicht, weil sie sich daran erinnerte, warum der Kerl so grinste. Sie und dieser Nick hatten sich gestern so auffällig verhalten, dass wohl jeder, der ihnen begegnet war, sofort gewusst hatte, was sie da oben in dem Hotelzimmer tun würden. Wie peinlich!

„Guten Morgen, Mrs. Perry“, begrüßte der junge Mann sie nun mit amüsiert funkelnden Augen und diesem ‚Na – war’s gut?‘-Blick, den sie überhaupt nicht ausstehen konnte und der ihr nur noch weiter die Schamesröte ins Gesicht trieb. „Wollen Sie uns schon verlassen?“

Wenigstens waren sie so schlau gewesen, sich auch in dem Hotel unter falschem Namen einzuschreiben. Sie musste sich räuspern, um überhaupt sprechen zu können. „Ja … ähm … ich … muss arbeiten …“ Sie rang sich zu einem flüchtigen Lächeln durch und ärgerte sich gleichzeitig über ihr peinliches Rumgestammel.

„Und der werte Gatte bleibt noch?“

Allein, wie er das Wort ‚Gatte‘ aussprach, zeigte schon überdeutlich, dass er ganz genau wusste, dass sie nicht verheiratet waren.

„Ja“, gab sie schnell zurück. „Er hat auch den Schlüssel und wird diesen dann bei Ihnen abgeben.“

Der junge Mann nickte schmunzelnd. „War denn alles zu ihrer Zufriedenheit?“, erkundigte er sich und hob fragend die Brauen.

„Ja, ja – ganz wundervoll“, beeilte sie sich zu sagen und fragte sich, ob vielleicht bereits Dampf von ihren Wangen aufstieg, so wie diese glühten. „Ich muss dann aber jetzt los. Danke noch mal für alles.“

Sie wartete erst gar nicht auf eine Antwort, sondern eilte schnell auf den Ausgang zu und noch viel schneller durch die Tür. Draußen angekommen griff sie sofort in ihre Handtasche, zerrte ihr Handy heraus und rief Karen an. Es war bereits zwölf Uhr fünfzig und sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Das war gar nicht gut.

„Lisa?!“, dröhnte die aufgeregte Stimme ihrer Freundin nur Sekunden später durch das Handy.

„Ja – wer würde sonst mit meinem Handy anrufen?“, gab sie verständnislos zurück.

„Gott sei Dank!“, stieß Karen erleichtert aus. „Ich hab mir schon Sorgen gemacht, weil du nicht da warst, als ich gerade nach Hause kam! Es sah aus, als wärst du gar nicht hier gewesen!“

Lisa schloss die Augen. Es brachte nichts, darum herumzureden. „Das war ich ja auch nicht.“

Stille.

„Du hast es getan?!“

Lisa atmete tief ein. „Hör zu, Karen, ich stecke hier in ganz schönen …“

„Oh, mein Gott!“, quietschte ihre Freundin begeistert und brachte damit Lisas Ohren zum Summen und die Kopfschmerzen, die sie bisher so schön hatte ausblenden können, in ihr Bewusstsein zurück.

„Mit dieser Sahneschnitte, mit der du auf der Party rumgemacht hast?“

Rumgemacht? Schon auf der Party? Vor allen anderen Gästen? Sie? Oh je.

Karen wartete erst gar nicht auf eine Antwort. „Endlich! Ich hoffe, er hat dir mal so richtig die Seele aus dem Leib gevögelt!“

Lisa verzog peinlich berührt das Gesicht, doch leider konnte Karen das nicht sehen und fuhr von daher weiter munter fort: „Du wirst sehen, jetzt kannst du alles viel lockerer und entspannter angehen. Also, wenn ich unter Stress stehe und mir vor Angst fast in die Hose scheiße, suche ich mir auch immer einen Kerl, der es mir so richtig …“

„Karen!“, gelang es Lisa nun endlich, den Redefluss ihrer Freundin zu unterbrechen. „Ich brauche deine Hilfe!“

Karen verstummte tatsächlich. Dann räusperte sie sich hörbar. „Sag jetzt nicht, du hast dich verliebt, willst ihn wiedersehen und herausfinden, wie sein richtiger Name lautet und wo er wohnt …“

„Nein!“ Lisa verdrehte entnervt die Augen. „Ich weiß nicht, wo ich bin und wie ich von hier so schnell wie möglich zu dir komme – oder besser wäre es wahrscheinlich, gleich zum The Palm in West Hollywood zu fahren.“

Halleluja! Der Name des Restaurants war wieder da!

„Was willst du denn beim The Palm?“

„Der Termin mit dem Drehbuchautoren, mit dem ich demnächst zusammenarbeiten soll – du erinnerst dich?“

„Oh, fuck – ja !“ Endlich verstand Karen, worum es ging. „Wo bist du denn?“

„Das weiß ich ja eben nicht!“

Lisa konnte beinahe hören, wie ihre Freundin am anderen Ende der Leitung nachdachte. „Hast du genug Geld für ein Taxi dabei?“

Lisa kramte ihre Geldbörse aus der Tasche und warf einen Blick hinein. „Ja.“

„Okay. Ich denke nicht, dass du dich am anderen Ende der Stadt befindest, denn zu weit dürftet ihr zwei nicht gekommen sein, so wie ihr euch aneinander festgesaugt hattet.“

Erdboden tu dich auf!

„Du lässt dich jetzt erst einmal zum Beverly Center fahren und kaufst dir da ein paar ordentliche Sachen für das Treffen. Die nehmen da auch Kreditkarten. Und dann sagst du dem Taxifahrer, dass du ins The Palm willst. Der weiß garantiert, wo das ist, und wird dich noch rechtzeitig hinbringen. Also, keine Panik!“

„Ich bin nicht in Panik“, erwiderte Lisa. Das war sie jedenfalls nicht mehr.

„Okay, dann mach dich auf die Socken und sieh zu, dass du nach dem Treffen mit Mr. Drehbuchautor deinen Hintern so schnell wie möglich hierher bewegst. Ich will über alles bis ins Detail informiert werden!“

„So interessant wird das Gespräch mit dem Mann bestimmt nicht werden“, stellte sich Lisa bewusst naiv, doch ihre Freundin fiel nicht darauf rein.

„Du weißt genau, wovon ich spreche!“

Lisa grinste breit. „Bis später, Karen“, sagte sie und legte dann auf. Karens Plan war gut – jetzt ging es nur noch darum, ihn erfolgreich umzusetzen.

 

Genau zwei Stunden und fünfzig Minuten später stand Lisa, frisch in neue, sehr anständige Sachen gehüllt, vor dem The Palm in West Hollywood. Der Laden machte von außen einen netten, für Hollywood-Verhältnisse recht schlichten Eindruck und der Duft von leckerem Essen, der ihr entgegenströmte, ließ ihren Magen knurren.

Dennoch konnte sich Lisa nicht sofort überwinden hineinzugehen. Die Aufregung war wieder da und ließ ihre Beine schwer wie Blei werden – die Aufregung, die sie schon mit sich herumtrug seit sie in Los Angeles gelandet war. Eigentlich war sie nun sogar noch größer als jemals zuvor, denn ihr war nur allzu deutlich bewusst, dass dieses erste Treffen sich durchaus schon zu dem ersten der vielen Kämpfe entwickeln konnte, die sie in den nächsten Wochen mit Sicherheit auszustehen hatte.

Alles hing davon ab, ob der neue Drehbuchautor, der mit ihr an ihrem ‚Baby‘ arbeiten sollte, tatsächlich kompetenter und vor allen Dingen umgänglicher war als sein Vorgänger. Sie hatte keine Lust sich ein weiteres Mal mit jemandem auseinandersetzen zu müssen, dem das Wort Klischee-Schreiber aus jeder Pore seines Körpers triefte. Und eigentlich musste sie das ja auch nicht. Mit ihrem neuesten Roman auf Platz drei der weltweiten Bestsellerliste und den Angeboten mehrerer anderer Film-Produktionsfirmen saß sie nun endlich am längeren Hebel, konnte Bedingungen stellen und Einspruch erheben, wenn ihr etwas nicht passte. Und das würde sie! Von daher war es von allergrößter Wichtigkeit, dass sie heute streng, souverän und äußerst professionell auftrat. Sie musste es von Anfang an vermeiden, Nähe zuzulassen, mit dem Mann auf einer persönlichen Ebene zu reden und zu arbeiten. Nur so konnte sie an ihren Wünschen und Zielen festhalten und sich gegen die Aasgeier um sie herum durchsetzen.

Lisa straffte die Schultern und setzte sich wieder in Bewegung, trat entschlossen durch die Tür des Restaurants und hielt dann auf den erstbesten Ober zu.

„Hallo“, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln.

Der Mann blieb sofort stehen und grüßte freundlich zurück.

„Ich bin hier mit jemandem verabredet“, fuhr sie in dem besten Englisch, das sie bei ihrer Aufregung zustande brachte, fort. „Einem Mr. Jordan.“

Der Ober dachte kurz nach, dann nickte er. „Sie sind Miss George?“

„Ja, die bin ich“, bestätigte sie. Er war also schon da und hatte nach ihr gefragt. Ganz automatisch ließ sie ihren Blick über die vielen Menschen gleiten, die hier an den runden, hübsch dekorierten Tischen saßen. Leider hatte sie keine Ahnung, wie er aussah, kannte nur seinen Namen.

„Kommen Sie, ich bringe Sie zu dem Herrn“, sagte der Ober freundlich und ging ihr voran. Sie folgte ihm brav und die ihr angeborene Neugierde verleitete sie dazu, immer wieder vorsichtig an dem Mann vorbeizuspähen, um festzustellen, auf wen genau er da zusteuerte.

Eine etwas abgelegenere Ecke … Die beiden älteren Damen dort konnten es nicht sein. Auch nicht die spießig aussehende Familie am anderen Tisch. Aber der Herr, der dort hinten allein saß und gerade in die Speisekarte blickte, das konnte er durchaus …

Lisa blieb stehen – schockgefroren. Der Mann hatte aufgesehen und sah sich nun um und Lisa brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um ihn zu wiederzuerkennen. Solch ein Gesicht prägte sich ein – vor allen Dingen, wenn man es in der Nacht so oft dicht vor sich gehabt und erst vor wenigen Stunden zum letzten Mal gesehen hatte!

Der Ober hatte gemerkt, dass er sie verloren hatte, blieb stehen und sah sich nach ihr um. „Miss?“

‚Beweg dich, Lisa!‘, fuhr sie sich selbst innerlich an und lief nun mit deutlich weicheren Beinen weiter. ‚Das wird er nicht sein. Das kann er nicht sein! Der Ober wird dich zu einem anderen Tisch führen. So unfair ist das Leben nicht!‘

Doch anscheinend war das Leben so unfair, denn der Ober hielt eindeutig auf ihre flüchtige Nacht-Bekanntschaft zu, die sie nun auch wahrgenommen hatte und genauso erstarrte wie sie selbst zuvor – mit einem Ausdruck ungläubigem Entsetzens auf dem Gesicht.

Nicolas. Nicolas Jordan. Das war der volle Name des Drehbuchautors. In Kurzform Nick. Ihr Nick. Der One-Night-Stand, den sie gehofft hatte nie wiederzusehen. Ihr wurde schlecht und ihr schoss das Blut ins Gesicht.

‚Tief durchatmen, Lisa! Sei stark! Sei professionell und souverän!‘

Sie würde das schon schaffen. Sie war eine erwachsene Frau, eine erfolgreiche Autorin, eine selbstbewusste Geschäftsfrau. Sie konnte das! Einfach gerade weiter auf ihn zuhalten und cool lächeln. Und wenn sie den Tisch erreicht hatte, würde sie einen lässigen Witz über das alles machen, mit dem sie dann die Geschichte von gestern Nacht hinter sich lassen konnten. Ja, genau. Das war ein guter Plan.

Doch es haperte schon bei dem ‚gerade auf ihn zuhalten‘, denn Lisa touchierte mit der Hüfte einen unbesetzten Stuhl und brachte diesen so arg ins Wanken, dass sie rasch zugreifen musste, damit dieser nicht laut polternd umfiel. Stattdessen stellte sie ihn (leider nicht sehr viel leiser) zurück auf seine Beine.

‚Nicht weiter schlimm, Lisa‘, sprach sie sich selbst zu. ‚Das kann jedem passieren. Geh jetzt weiter, gerade auf ihn…‘

„AAAAAAH!“

Der spitze Schrei zu ihrer anderen Seite hin ging ihr durch Mark und Bein und ließ sie sofort verharren. Und das war auch besser so, denn der Reißverschluss ihrer Tasche hatte eine Strähne des langen blonden Haares der Frau zu ihrer Rechten erfasst, die nun mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihre Richtung gekippt war.

„Oh, Gott – es tut mir leid!“, entfuhr es Lisa mit hochrotem Gesicht. „Warten Sie – ich mach das schon!“

Sie versuchte rasch das verknotete Haar zu lösen, doch die Frau zog zu sehr daran, kreischte hysterisch: „Vorsicht, das sind Extensions!“ und zog damit so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass Lisa sich nur noch wünschte, in ein Loch kriechen zu können und sich dort für ein paar Tage zu verstecken. So viel zum souveränen Auftritt.

„Ich hab das gleich“, stammelte sie und knüpperte verbissen an dem fest mit ihrem Reißverschluss verknoten Haar herum.

„Kann ich helfen?“, hörte sie eine ihr leider nicht mehr so unbekannte, tiefe Stimme neben sich fragen und ihre Augen flogen ganz automatisch zu dem großen, dunkelhaarigen Mann hinauf, der da auf einmal neben ihr stand.

Sie blickte in ein Paar blaue, amüsiert funkelnde Augen und schüttelte sofort den Kopf.

„Nein, danke“, krächzte sie und konzentrierte sich wieder auf das, was sie tat – mit Erfolg. Der Knoten löste sich endlich und die Frau war befreit, betrachte sofort empört ihre Haarsträhne und wandte sich dann mit einem letzten missbilligenden Blick auf Lisa von ihr ab.

Lisa schluckte schwer. Auch wenn sie es nicht wollte – sie musste Nick jetzt wieder ansehen, musste sich diesem Albtraum stellen. Natürlich spielte um seine Lippen bereits ein kleines Lächeln, als sie den Blick wieder hob, doch da war etwas in seinen Augen, das ihr verriet, dass auch er sich nicht so wohl mit der ganzen Situation fühlte.

„Ähm …“ Er wandte sich zu dem Tisch um, an dem er noch vor wenigen Minuten gesessen hatte. „Wollen wir vielleicht …“

„Ja – unbedingt“, schnitt sie ihm das Wort ab und brachte es sogar zustande, sich an ihm vorbeizuschieben und den Plan sofort in die Tat umzusetzen. Nur nicht weiter dumm in der Gegend herumstehen.

Am Tisch angekommen blieb sie jedoch sofort wieder stehen. Und jetzt? Hinsetzen konnte sie sich schlecht, wenn sie sich nicht einmal vorgestellt hatten. Aber was sollte sie auch sagen? Hi, ich bin die Nymphomanin von gestern Nacht, aber daran erinnerst du dich ja sicherlich noch?

Nick hatte nun zu ihr aufgeschlossen und blieb ebenso hilflos stehen wie sie selbst.

„Ähm …“, begann er wieder. „Wie machen wir es?“

Er hielt inne und stieß zeitgleich mit ihr ein peinlich berührtes Lachen aus. „Ich meine … das …“

Er hob eine Hand und kratzte sich verlegen an der Schläfe, während sie die Schultern hob und betete, dass sie nicht so rot war, wie es sich anfühlte. Sie hatte das Gefühl, dass man bald auf ihren Wangen Spiegeleier schön knusprig braten könnte.

„Am besten vergessen wir alles, was gestern Nacht passiert ist“, schlug sie rasch vor.

„… und das, was ganz früh am Morgen war“, setzte er nickend hinzu.

„… und fangen ganz von vorne an“, stimmte sie ihm zu und beide lachten wieder verlegen.

Einen Augenblick sahen sie einander unschlüssig an, dann streckte Nick ihr die Hand entgegen, mit diesem Lächeln auf den Lippen, das sie gestern Nacht ganz schwach gemacht hatte. Doch dieses Mal nicht – dieses Mal war sie gegen seinen Charme immun, war sie die toughe Geschäftsfrau, die gerade den Mann kennen lernte, mit dem sie in den sechs kommenden Wochen wahrscheinlich sehr viel Zeit verbringen würde.

„Nicolas Jordan“, sagte er nun.

Sie ergriff seine Hand, drückte sie fest. „Lisa George“

„Es freut mich, dich kennenzulernen“, setzte er hinzu und aus seinem Lächeln wurde ein kleines Schmunzeln, das Lisa instinktiv erwiderte.

„Ebenso“, gab sie zurück und war sich bewusst, dass sie beide dabei alles andere als ehrlich waren.

 

 

 

 

 

 

2

 

 

 

Nick war eigentlich keine besonders gläubige Person. Seine Mutter hatte ihn als Kind des Öfteren in die Kirche geschleppt, doch in dem Moment, als es ihm erlaubt gewesen war, selbst zu entscheiden, was er mit seiner Freizeit machte, hatten diese gelegentlichen Kirchgänge ein abruptes Ende gefunden. Dementsprechend selten betete er. Doch heute, an diesem Tag, an dem sich eine Katastrophe an die nächste zu reihen schien, tat er es. Selbstverständlich nur innerlich, da er nicht wollte, dass seine Begleitung auch nur annähernd etwas von dem Gefühlschaos, das durch sein Inneres tobte, mitbekam.

Nick Jordan betete zum ersten Mal seit Jahren. Er betete, dass sein bester Freund so unzuverlässig wie eh und je war und nicht im The Palm erscheinen würde. Er betete, dass die nächste sich anbahnende Katastrophe noch im Keim erstickt wurde. Es war von Anfang an eine dumme Idee gewesen und er selbst wäre nie darauf gekommen, Liam in dieses so wichtige erste Gespräch mit Lisa George zu involvieren. Doch Meggie hatte mal wieder einen ihrer Geistesblitze gehabt und gemeint, dass „diese geballte Ladung unwiderstehlichen Männercharmes“ die verkrampfte, kühle deutsche Autorin so von den Socken hauen würde, dass danach bei ihr bestimmt alle Tore offen standen. Zumal Meggie ja auch gehört hatte, dass die junge Autorin ein großer Fan von Liam Chandler war.

„Wenn ihr ihren Panzer schon gleich am Anfang knackt, werden wir es später in den Verhandlungen sehr viel leichter mit ihr haben“, hatte Meggie gesagt, mit diesem enthusiastischen Leuchten in den Augen, das Nick manchmal Angst machte. „Also strengt euch an, Jungs!“

Auch Liam war von der Idee, dem ersten Gespräch über das neue Drehbuch beizuwohnen, alles andere als begeistert gewesen – vor allem, da er am Abend zuvor auf diese Party hatte gehen wollen, die ein alter Freund von ihm veranstaltete und am nächsten Morgen „dann wohl kaum so früh aufstehen konnte“.

Nick hatte ihm geantwortet, dass man mit einem starken Willen und der nötigen Disziplin so ziemlich alles hinbekommen könne, was man sich wünscht, und im Grunde war das der Anfang dieses ganzen Dilemmas gewesen. Diese Bemerkung und der Umstand, dass er am vergangenen Abend nicht er selbst gewesen war …

 

Die Musik war zu laut. Nick hatte nicht wahrgenommen, dass Liam durch die offen stehende Terrassentür in die Wohnung gekommen und sich an ihn herangeschlichen hatte. Vielleicht lag es aber auch an dem Fakt, dass Nick sich bereits einen kleinen Schwips angetrunken hatte und gerade wie ein Irrer auf den Boxsack in seinem hauseigenen Fitnessraum einschlug, die Welt um sich herum dabei völlig ausblendend.

Selbstredend musste sein Herz kurz aussetzen, als er die dunkle Gestalt schräg hinter sich endlich wahrnahm, und anstatt mutig in Angriffsposition zu gehen, wie jeder richtige Kerl das eigentlich tat, wankte er mit einem peinlichen Keuchen zurück, stolperte und konnte sich nur auf den Beinen halten, weil er sich durch einen etwas verspäteten Reflex an dem Boxsack festklammerte.

„Scheiße, Liam!“, stieß er schließlich atemlos aus und versuchte sich verlegen wieder in eine wenigstens halbwegs aufrechte Position zu bringen. „Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?!“

Liam kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und hob eine Hand an sein Ohr.

„Ich verstehe dich nicht!“, schrie er gegen die laute Stimme von Sully Erna, dem Sänger von Godsmack, an, die durch die Boxen seiner Stereoanlage dröhnte und mit dem Song ‚Cryin’ like a bitch‘ Nick heute so richtig aus dem Herzen sprach.

Er wischte sich in einer verärgerten Geste mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und griff nach der Fernbedingung, die er zusammen mit seinem zusammengeknüllten Shirt zuvor auf das kleine Sofa im Raum geworfen hatte. Die Stimme von Erna wurde leiser – ganz konnte Nick aber noch nicht auf sie verzichten.

„Lass mich raten“, begann Liam nun, während er in diesem für ihn so typischen lässig-coolen Gang auf ihn zukam. „Du hast Patricia getroffen.“

Nick warf ihm einen finsteren Blick zu und begann sich mit dem Handtuch abzutrocknen, das ebenfalls auf der Couch gelegen hatte. Leider traf Liam mit seiner Vermutung genau ins schmerzhafte Schwarze.

Nick bemerkte, dass sein Freund ihn von der Seite aufmerksam musterte. „Mit neuem Anhang?“

Da war sie wieder, diese Hitze, die sofort durch seinen Körper hinauf in seinen Verstand schoss, diesen unangenehm betäubte und ihn zu diesem emotionalen Idioten werden ließ, der er nicht sein wollte. Nick biss die Zähne fest zusammen und vermied es, Liam anzusehen. Er legte sich stattdessen das Handtuch um den Nacken und machte sich daran, die festen Bandagen, die er zum Boxen um seine Hände gebunden hatte, abzuwickeln. Er hatte jetzt keine Nerven für Liams ‚kluge‘ Sprüche und unbrauchbare Weisheiten.

Doch seinem Freund schien diese Reaktion schon Antwort genug zu sein. „Oh!“ Da war echte Überraschung in seiner Stimme. „Das ging aber schnell!“

„Ach, was?!“, zischte Nick ihn an und warf wütend die erste Bandage auf die Couch.

„Wer ist es?“, hakte Liam mit dem gewohnten Mangel an Feinfühligkeit nach. „Jemand, den du kennst?“

Nick wollte es nicht sagen, wollte eigentlich nicht darüber reden, doch er konnte nicht anders. „Tom natürlich! Wer sonst?“

Liam hob verblüfft die Brauen. „Tom … Tom? Bester-platonischer-beinahe-schwuler-Freund – Tom … Tom?“

„Genau der! Und sie sind bereits verlobt – nach nur vier Monaten!!“ Nick schüttelte den Kopf, beförderte die zweite Bandage auf die Couch und musste auf einmal lachen, obwohl ihm gar nicht danach war. Doch Liam tat ihm den Gefallen und stimmte halbherzig mit ein.

„Meine Güte, auf was Frauen alles so zurückgreifen, um endlich unter die Haube zu kommen“, setzte er kopfschüttelnd hinzu. „Aber da siehst du wenigstens, dass es ihr gar nicht um dich ging.“

Nick starrte seinen besten Freund ungläubig an. „Danke, Li, das wertet mich und meine Persönlichkeit immens auf!“

Liam wagte es nun auch noch, erneut zu lachen. „Ach, komm schon, Nick! Du kennst doch selbst deinen Marktwert! Ich mein damit ja nur, dass Pat und du … dass ihr eigentlich gar nicht kompatibel wart. Jedenfalls, was so eure Vorstellungen von der Zukunft angeht.“

„Woher willst du denn wissen, wie ich mir meine Zukunft vorstelle?“, knurrte Nick ihn an und zog sich nun doch wieder sein T-Shirt über. Er würde wohl nicht so schnell zum Duschen kommen, solange Liam noch hier war.

„Hey!“ Liam sah ihn entrüstet an und wies dann auf seine eigene Brust. „Ich bin dein bester Freund!“

Nick schüttelte nur den Kopf. Dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer auf die Couch fallen.

„Auf jeden Fall hätte ich mir nie vorgestellt, dass Patty schon nach nur vier Monaten einen Ersatz für mich findet“, murmelte er, legte den Kopf in den Nacken und starrte resigniert die Decke an.

„Also, bitte!“, stieß sein Freund verärgert aus. „Tommilein ist doch kein adäquater Ersatz für dich!“

Er ließ sich nun ebenfalls auf der Couch nieder, machte es sich bequem und streckte die Beine von sich.

„Vielleicht geht es Patty auch nur darum, dir zu zeigen, dass andere Männer bereit sind, sehr wohl ihre Freiheit für sie aufzugeben, und keine Angst davor haben, sich fest zu binden.“

„Ich habe keine Angst davor!“, gab Nick entrüstet zurück, war sich jedoch dabei gar nicht so sicher, wie er tat. „Ich wollte nur nicht …“ Er brach ab, schüttelte den Kopf – dieses Mal über sich selbst. „Manchmal bin ich mir selbst gar nicht klar darüber, was ich will und was nicht. Ich meine … ich … ich habe sie geliebt. Wir haben uns gut verstanden und viel Spaß miteinander gehabt. Warum konnte ich nicht mit ihr zusammenziehen? Warum konnte ich ihr nicht ein kleines bisschen entgegenkommen? Wir hätten ja nicht gleich heiraten müssen. Das hätte sie bestimmt nicht so schnell gewollt.

Liam hob zweifelnd eine Augenbraue. „Wie’s aussieht, stand heiraten ganz fest in ihrem Plan drin.“

Nick zuckte die Schultern. „Selbst wenn – wäre das so falsch gewesen? Ich bin Mitte dreißig, Liam. Sollte ich nicht selbst langsam in diese Richtung denken?“

„Ich könnte morgen vom Auto überfahren werden – muss ich mir deswegen heute bereits den passenden Sarg aussuchen?“, fragte Liam zurück und Nick war schon wieder gezwungen zu lachen, obwohl er es nicht wollte.

„Toller Vergleich!“, meinte er und hob ironisch den Daumen.

„Ich find, das trifft es recht gut“, grinste sein Freund und das war wahrscheinlich nicht gelogen.

Liam war einer der Männer, die der Gedanke an Ehe oder ähnliche Bindungen in Panik verfallen ließ und ihnen den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Mit ihm über solche Dinge zu reden, machte eigentlich keinen Sinn. Er hatte kein Verständnis für solcherlei Überlegungen. Also holte Nick lieber tief Luft und versuchte wieder mehr Ruhe in sein Innenleben zu bekommen, die Erinnerung an Patty wegzuschieben. Doch so leicht war das nicht. Er dachte zwar nicht mehr so oft an sie wie kurz nach ihrer so vernünftigen und doch schmerzhaften Trennung, aber sie ganz aus seinem Denken zu verbannen war noch nicht möglich – dazu war zu wenig Zeit vergangen. Wie machte sie das? Wie konnte sie so schnell, so kurz nach ihrer Trennung einen anderen lieben, ihn sogar heiraten wollen? Schließlich waren sie länger als ein Jahr zusammen gewesen.

„Ich vermisse sie“, kam es leise über seine Lippen und der unangenehme Druck auf seine Brust, der immer dann auftrat, wenn er sich seiner Gefühle bewusst wurde, war sofort wieder da.

„Ja, aber das wird irgendwann mal aufhören“, erwiderte Liam ruhig und Nick sah ihn zweifelnd an.

„Woher willst du das wissen?“, platzte es aus ihm heraus. „Deine längste Beziehung hat vier Monate gehalten und im Endeffekt warst du so froh über eure Trennung, dass du eine riesige Party geschmissen hast!“

Nick wusste, dass das nicht so ganz der Wahrheit entsprach und er mit dieser Bemerkung durchaus einen wunden Punkt bei Liam treffen konnte, doch glücklicherweise nickte der sofort zustimmend und lächelte selig.

„Das war ein richtiger Event! Aber das tut hier nichts zur Sache. Ich schöpfe ja bezüglich dieses Problems gar nicht aus meinem großen Erfahrungsschatz sondern aus deinem: Du hast Tara nach eurer Trennung auch schrecklich vermisst – aber nach einer gewissen Zeit war diese Phase vorbei und du konntest dein Leben als Single wieder richtig genießen. Bis Patty dir die Suppe versalzen hat ... Au!“

Den Knuff auf den Oberarm hatte er verdient – selbst, dass er dadurch fast von der Couch rutschte.

„Sei vorsichtig, Mann!“, beschwerte sich Liam sofort. „Mein Körper ist…“

„… dein Kapital“, beendete Nick seinen Satz. „Ja, ja, ich weiß.“

Liam richtete sich wieder auf und musterte Nick kurz mit diesem grüblerischen Blick, der nichts Gutes erahnen ließ.

„Nick, mein Freund, weißt du, was dein Problem ist?“, sagte er schließlich und Nick verdrehte sofort die Augen.

„Oh, bitte! Kommt jetzt wieder eine von diesen weltberühmten Liam-Chandler-Weisheiten?“, stöhnte er entnervt auf.

Doch der Schauspieler ließ sich davon nicht beirren. „Du nimmst die Liebe zu ernst.“

„Zu ernst?“, wiederholte Nick mit erhobenen Brauen.

„Ja. Denn Liebe ist eigentlich sehr simpel. Sie existiert nämlich nicht. Jedenfalls nicht in der Form, die wir uns immer wünschen.“

„So, so.“

„Das saug ich mir nicht aus den Fingern. Das ist ein wissenschaftlicher Fakt.“ Liam setzte einen sehr wichtigtuerischen Gesichtsausdruck auf, der Nick zum Grinsen brachte, auch wenn er sich eigentlich über die Worte seines besten Freundes ärgerte.

„Das Gefühl des Verliebtseins wird durch die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe wie Dopamin, Adrenalin und Endorphin hervorgerufen, die für Euphorie, Aufregung, rauschartige Glücksgefühle und tiefes Wohlbefinden sorgen“, fuhr Liam fort. „Damit wird sichergestellt, dass die beiden Partner, die sich in diesem Zustand befinden, so oft wie möglich Sex miteinander haben, was, ohne Verhütung, zur Zeugung eines Kindes führen würde.“

„Und damit ist der … ‚Job‘ dann erledigt?“, hakte Nick nach und gab sich keine Mühe, vor seinem Freund zu verbergen, für wie lächerlich er diese Theorie hielt.

„Nicht unbedingt“, gab Liam leichthin zurück. „Wenn die Partner genetisch gut zusammenpassen, wird die Natur es so einrichten, dass sie einander für längere Zeit ‚lieben‘ …“ Liam machte ein paar Gänsefüßchen in die Luft, um noch einmal nonverbal zu demonstrieren, was er von diesem Begriff hielt.

„… damit sie noch mehr starke Nachkommen in die Welt setzen“, schloss Nick schmunzelnd. „Ich verstehe.“

„Das heißt im Grunde genommen für dich, mein Lieber“, fuhr Liam enthusiastisch fort, „dass du dir die ganze Sache mit der Liebe ganz leicht machen kannst. Verlasse dich auf deine Instinkte. Wenn du dich zu einer Frau hingezogen fühlst, schlafe mit ihr. Wenn du danach das Gefühl hast, noch mehr Zeit mit ihr verbringen zu müssen, dann schlaf weiter mit ihr – bis das Gefühl wieder weg ist. Denn irgendwann wird es so sein. Die beste Waffe gegen diese trügerischen tiefer gehenden Gefühle ist Sex – glaube mir! Vögel die Liebe weg. Das geht wirklich. Dein Körper glaubt ab einem bestimmten Punkt, dass er die Frau ausreichend befruchtet hat, und du wirst staunen, wie schnell diese ganzen, angeblich tiefen Empfindungen für sie verschwunden sind.“

Dieses Mal konnte Nick nicht mehr lachen. Das, was Liam ihm da erzählte, war einfach nur traurig – vor allem, da sein Freund wahrhaftig daran zu glauben, sich mit aller Macht an diese Idee zu klammern schien, um ja nicht wieder Gefahr zu laufen, selbst verletzt zu werden. Und es gab noch etwas anderes, was die Komik an der Geschichte verschwinden ließ: Ganz tief in seinem Inneren fragte sich Nick, ob nicht doch ein Hauch von Wahrheit in dieser Theorie zu finden war. Er schämte sich fast dafür, aber er konnte nichts dagegen tun.

„Willst du mir damit sagen, dass meine Beziehung mit Patty deswegen in die Brüche gegangen ist, weil wir zu viel Sex hatten?“, fragte er mit zweifelnd erhobenen Brauen.

„Nein – wenn ich mich recht erinnere, hast du manchmal ganz schön gelitten, weil sie nicht so wild auf Sex war, wie ‚Mann‘ es sich eigentlich wünscht“, erwiderte Liam und Nick wich sofort seinem Blick aus.

Er hatte sich nicht bei Liam über seine Freundin beschwert, aber Liam und er kannten sich schon so lange, dass sie oft und sehr offen über solche Themen miteinander sprachen. Als sie noch jünger gewesen waren, hatten diese Gespräche etwas Prahlerisches an sich gehabt – vor allem, wenn es um neue Eroberungen gegangen war. Mittlerweile dienten sie tatsächlich zum Austausch von neuen Erfahrungen oder gar der Besprechung von Problemen und hatten eine deutlich ernstere Note gewonnen.

„Aber ich denke, auch zu wenig Sex ist schädlich für eine Beziehung“, fuhr Liam nachdenklich fort. „Dann schreit der Instinkt uns Männern nämlich zu, sich eine neue Frau zu suchen, weil mit der alten keine Nachkommen zu zeugen sind.“

„Oh Mann, Liam“, seufzte Nick und schüttelte den Kopf. Doch das hielt seinen Freund nicht davon ab, weiter fortzufahren.

„Ich denke, die schlauen Frauen wissen ganz genau, dass sie ihre Männer schneller verlieren, wenn sie zu viel oder auch zu wenig Sex mit ihnen haben“, setzte er hinzu. „Die tricksen uns aus, weil sie uns für die Brutpflege und Absicherung brauchen. Aber so treu, wie sie immer tun, sind sie auch nicht. Kommt nämlich ein besseres Männchen daher, können sie ganz schnell weg sein.“

Nun musste Nick doch wieder lachen. „Du strickst dir die Welt sehr einfach, Li.“

„Sie ist einfach!“, betonte Liam überdeutlich. „Liebe ist simpel, Nick. Wirklich! Und du solltest sie auch so nehmen.“

„Und was soll das jetzt für meine Situation heißen?“, fragte Nick, ohne die Antwort ernsthaft hören zu wollen.

„Dass du deinem Körper sagen musst, dass die Befruchtungsphase mit Patty abgeschlossen ist“, grinste Liam.

„Lass mich raten: das mache ich am besten, indem ich Sex mit einer anderen Frau habe!“

„Hey …“ Liam knuffte ihn mit einem breiten Grinsen in die Seite. „Du hast ja heute tatsächlich etwas gelernt. Und weißt du was? Wir werden das gleich in die Tat umsetzen!“

„Wie?“, grinste Nick. „Hast du in weiser Voraussicht gleich eines deiner Groupies mitgebracht?“

Liam schnitt ihm eine Grimasse, grinste dann aber zurück. „Nein. Du gehst jetzt duschen, stylst dich und dann gehen wir zusammen auf Hanks Party.“

„Oh, nein, nein, nein! Ich hab morgen das erste Treffen mit dieser schwierigen Autorin“, widersprach Nick ihm vehement. „Da kann ich mir keine wilde Nacht mit Alkohol und Sex leisten.“

„Das Treffen ist doch erst am Nachmittag!“, warf Liam sofort ein. Mist! Er hatte aufgepasst. „Bis dahin bist du mit ein paar Kaffees wieder Ruck-Zuck auf den Beinen!“

„Und wenn nicht?“

Liam legte den Kopf schräg und betrachtete ihn nachdenklich. „Pass auf – wenn du heute mit auf die Party kommst, komme ich morgen auch zu dem Treffen mit ‚Miss Eisberg‘ mit und setze all meinen Charme ein, um sie zum Schmelzen zu bringen. Dann hast du es in Zukunft ganz leicht, mit ihr zu arbeiten. Nur Liam rufen – und es läuft wie geschmiert!“

„Weil du ja auch nach einer durchzechten Nacht besser aus dem Bett kommst als ich“, erwiderte Nick. „Das funktioniert niemals.“

Liam runzelte die Stirn und bekam diesen sturen Blick, der nichts Gutes verhieß. Er musterte Nick ein weiteres Mal.

„Gut, dann machen wir es anders“, beschloss er. „Du nimmst heute Nacht meinen Part ein und ich den deinen.“

Auch Nicks Stirn legte sich nun in Falten. „Wie meinst du das?“

„Ich bleibe hier und ziehe mir einen Nicolas-Jordan-Ex-Freundin-Gedächtnistag rein – was heißt, mit Bier und Chips vor dem Fernseher zu sitzen und so früh ins Bett zu gehen, dass ich garantiert in den frühen Morgenstunden wieder wach bin, um dich rechtzeitig für das Treffen zu wecken. Und du gehst an meiner Stelle auf Hanks Party und lässt für mich die Sau raus. Und wenn ich ‚die Sau rauslassen‘ sage, dann meine ich das auch so. Klar?“

Das Angebot war verlockend. Endlich mal wieder Spaß haben und Patty für einen Abend vergessen, im Tausch dafür, dass Liam sogar am morgigen Tag mit zu dem Treffen kam… Eigentlich konnte Nick hier nur gewinnen. Und Meggie hatte gesagt, dass diese Lisa George ein großer Fan von Liam war. Seine Anwesenheit bei dem Gespräch konnte tatsächlich von großem Vorteil für sie alle sein – wenn Liam sich zu benehmen wusste. Die meisten Frauen schmolzen wie Butter in der Sonne, wenn sie Mr. Superstar persönlich kennen lernen durften. Dennoch zögerte Nick noch.

„Ich weiß nicht, Li, eigentlich bin ich zu alt für so ‘nen Scheiß“, wandte er ein. „Ich kann das nicht mehr!“

„Wie war das noch mal mit dem Willen und der nötigen Disziplin?“ Liam hob die Brauen und grinste von einem Ohr zum anderen. Er wusste ganz genau, dass er damit den richtigen Knopf drückte, um Nick endgültig zu überreden. Es war doch ein Kreuz mit diesem schrecklichen Ehrgeiz!

 

„Wie … wie genau, soll das denn jetzt alles vonstattengehen?“, wurde Nick von der Stimme der Frau, in deren Hand momentan seine ganze zukünftige Karriere lag, aus seinen Erinnerungen gerissen. Er versuchte sich rasch wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Es war bereits zwanzig nach drei und langsam wurde es recht unwahrscheinlich, dass Liam noch auftauchte.

Streng genommen war die Idee, ihn mit einzuladen, um Miss George besser um den Finger wickeln und weichkochen zu können, ja gar nicht so schlecht gewesen. Nur im Zusammenhang mit dem, was in der Nacht passiert war, und der Tatsache, dass Nick sich von seinem besten Freund bei ihrem Telefonat am Morgen bereits ein paar pikante Details aus der Nase hatte ziehen lassen, geriet diese Idee zu einer mittelschweren Katastrophe. Denn wenn Liam eines nicht konnte, dann war das seine Klappe über solche Dinge zu halten, geschweige denn es auszuhalten, dass er noch nicht alles über diesen One-Night-Stand wusste. Er würde versuchen, weitere Dinge in ihrem Gespräch zu erfahren, verpackt in Umschreibungen, die kein anderer, der nicht eingeweiht war, verstehen konnte. Nur hatte er nicht die blasse Ahnung, dass die – wie hatte er es ausgedrückt? Ah ja – ‚Sexgranate‘ – hier mit ihnen an diesem Tisch sitzen würde und somit zu dem erlesenen Kreis der Mitwissenden gehörte.

Genau aus diesem Grund war Nick zum ersten Mal seit Beginn ihrer langjährigen Freundschaft dankbar für Liams Unzuverlässigkeit. Er begann sich etwas zu entspannen, lehnte sich nun in seinem Stuhl zurück und schenkte der jungen Autorin seine volle Aufmerksamkeit.

„Hast du nicht schon mit Megan am Telefon über alles gesprochen?“, fragte er zurück.

Lisa runzelte die Stirn. „Megan?“

„Miss Eiry vom Management von TFP“, erklärte Nick rasch und Lisa setzte dieses ‚Ah!‘- Gesicht auf.

„Ich erinnere mich“, sagte sie und begann sich nun ebenfalls mehr zu entspannen. Ihre Gesichtsfarbe war nicht mehr ganz so kräftig und sie wagte es nun auch, sich in ihrem Stuhl zurückzulehnen „Ich habe sie angerufen, als ich in L.A. eingetroffen bin, um sie darüber zu informieren, dass ich doch früher angereist bin, als abgesprochen war. Sie hatte nicht viel Zeit und meinte, sie würde dir Bescheid sagen und unser Treffen vorverlegen. Du würdest mir dann alles Weitere noch genauer erklären.“

Na, wunderbar! Megan war eine Künstlerin darin, die unangenehmeren, anstrengenderen Dinge an andere weiterzugeben.

„Gut.“ Nick räusperte sich etwas unbeholfen. Es fiel auch ihm noch nicht leicht, in der Frau vor ihm die schwierige, kühle Autorin und zähe Geschäftspartnerin zu sehen, die man ihm geschildert hatte, und nicht die lebensfrohe, süße, warmherzige und unglaublich anziehende Frau, die ihm gestern Nacht eines der sinnlichsten, aufregendsten und zügellosesten sexuellen Erlebnisse in seinem ganzen Leben beschert hatte. Er war zwar ziemlich betrunken gewesen, aber nicht betrunken genug, um nicht mehr mitzubekommen, was er tat oder, wie in diesem Fall, jemand mit ihm tat.

Sie beugte sich zu ihm hinunter, während sie ihr Becken aufreizend vor und zurück, rauf und runter bewegte … Ihre Lippen pressten sich auf die seinen, erstickten sein tiefes Stöhnen und er packte ihre Hüften, drängte sie dazu, sich noch rascher zu bewegen …

Nick schloss kurz die Augen, schüttelte den Kopf.

„Ich …“

Zur Hölle, so funktionierte das mit ihnen garantiert nicht! Er musste das alles vergessen – ganz dringend! Er zwang sich dazu, die nun etwas verwirrt aussehende junge Autorin wieder anzusehen.

„Was genau hat man dir denn vor der Abreise über mich gesagt?“, wollte er wissen.

Sie dachte kurz nach, strich sich dabei eine Strähne ihres blonden Haares hinter das Ohr. Sie war sehr hübsch. Große, blaue Augen, die von langen Wimpern umrahmt wurden, eine niedliche Nase, volle rosige Lippen … sehr feminin. Und sie wirkte alles andere als kühl. Es war ja gerade ihre Natürlichkeit und Wärme gewesen, die ihn gestern Nacht so angezogen hatte – abgesehen von diesem kurvigen, super weiblichen Körper, der in diesem Nichts von Kleid gesteckt hatte. Er war sich sicher, dass er nicht der einzige Mann auf der Party gewesen war, dem seine Hose in ihrer Nähe schnell unangenehm eng geworden war.

„Na ja“, meinte sie jetzt und befreite ihn damit glücklicherweise ein weiteres Mal aus seinen so unpassenden Gedanken, „dass man dich mit ins Boot geholt hat, um die alten Drehbuchautoren beim Nachdreh des zweiten Films zu unterstützen, beziehungsweise abzulösen. Du sollst sehr gut sein. Sie haben mir von deinen anderen bisherigen Arbeiten berichtet und ich war beeindruckt.“

„Ja? Kanntest du die Filme?“

„Ein paar.“ Sie lächelte und er konnte tatsächlich so etwas wie Achtung für seine Arbeit in ihren Augen aufleuchten sehen. Das passierte ihm nicht sehr oft. „Und die Folge ‚Leere Welt‘ bei ‚Watchers‘ war eine meiner Lieblingsfolgen.“

„Ja?“ Wie einfallsreich! Er hatte es heute wirklich drauf mit der Gesprächsführung!

Lisas Wangen röteten sich etwas und sie berührte verlegen ihr Wasserglas, schob es ein wenig hin und her.

„Eigentlich habe ich mich nur dazu bereit erklärt, hierherzukommen und Timeless Films Production eine weitere Chance zu geben, weil sie dich als neuen Drehbuchautoren vorgeschlagen und versprochen haben, dieses Mal darauf zu achten, sich mehr an die Vorlage – also meinen Roman – zu halten.“

Nick wusste für einen Augenblick nicht, was er sagen sollte. Ihre Worte schmeichelten ihm und die hübsche Autorin wurde ihm immer sympathischer.

„Die Verträge hast du aber trotzdem noch nicht unterschrieben“, setzte er mit einem kleinen Schmunzeln hinzu, das Lisa sofort erwiderte.

„Selbstverständlich nicht“, bestätigte sie und das Funkeln in ihren Augen verriet ihm, dass mit dieser sonst so sympathischen jungen Frau in mancherlei Hinsicht tatsächlich nicht zu spaßen war. „Erst das Drehbuch – dann die Unterschrift. Und mit Jasper Taylor werde ich ganz bestimmt nicht mehr zusammenarbeiten – auch nicht bei der Nachbearbeitung von ‚Schattenmond‘.“

Sie schüttelte derart nachdrücklich ihren Kopf, dass Nick schon wieder zu schmunzeln anfing. Jasper, der alte Drehbuchautor, war ein arrogantes, selbstverliebtes Arschloch, der meinte, dass alles, was er verzapfte, pures Gold war. Er hatte so damit angeben, dass er die Drehbücher zu dieser Bestsellerreihe schreiben würde und dabei einen solchen Mist zusammengestümpert, dass selbst beim ersten Film mehrere andere Drehbuchautoren eingesetzt worden waren, um zu retten, was noch zu retten war. Herausgekommen war im Endeffekt ein Film, der teilweise von den Kritikern zerrissen, aber dank der treuen und sehr viel gnädigeren Fans der Reihe und des hohen Maßes an Actionsequenzen an den Kinokassen dennoch nicht gefloppt war. Er hatte zumindest die Kosten der Produktion wieder eingespielt und die Firma hatte sich bei dem zweiten Teil gleich sehr viel mehr Mühe gegeben. Leider war Jasper der Neffe eines der Produzenten und von daher nicht völlig aus dem Projekt entfernt worden – was die Autorin der Romanreihe beinahe rasend gemacht hatte.

Sie hatte den ersten Film gehasst und war mit Jasper telefonisch so aneinander geraten, dass die beiden seither kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten und Lisa George es abgelehnt hatte, ihre Romane – immerhin schrieb sie gerade am vierten Teil und sechs sollten es werden – weiterhin von TFP verfilmen zu lassen. Der erste von ihr unterschriebene Vertrag hatte nur die Verfilmung von Teil eins und zwei beinhaltet und so war die Firma arg ins Schwitzen geraten und hatte alles daran gesetzt, Miss George wieder gnädig zu stimmen und zu neuen Verhandlungen zu bewegen. Doch noch war nichts in trockenen Tüchern und die Anspannung, die auf allen Beteiligten lastete, immens hoch. Dasselbe galt für den Druck, den man Nick vor Lisas Eintreffen von allen Seiten gemacht hatte.

„Das lässt sich ganz bestimmt einrichten“, erwiderte Nick nun. „Aber ich kann dir nicht versprechen, dass er dir nicht begegnen wird.“

Lisa verzog das Gesicht und Nick lachte.

„Keine Angst – ich werde mich darum bemühen, dass eure Begegnungen nicht länger als ein paar Sekunden dauern werden“, versprach er rasch.

„Dann bist du also auch so etwas wie mein persönlicher Bodyguard?“ Sie hob fragend die Brauen – eine Mimik, die er in der letzten Nacht oft gesehen hatte.

„Bodyguard, Stadtführer, Vermittler, Kollege“, zählte er lächelnd auf und verkniff sich ein neckisches ‚Gelegenheitslover‘. Sie waren noch nicht soweit, um darüber Witze zu machen. Vielleicht in ein paar Tagen, wenn sie überwunden hatten, dass ihnen genau das passiert war, was einem bei einem ordentlich ablaufenden One-Night-Stand eigentlich nicht passieren durfte: Sich wiederzusehen und auch noch miteinander arbeiten zu müssen. Dabei hatten sie sich beide solche Mühe gegeben, gerade diesen Punkt besonders gut hinzubekommen. Sie, indem sie am Morgen nach dem Aufwachen das Hotelzimmer so schnell wie möglich verlassen hatte, und er, indem er sich schlafend gestellt und die Augen geschlossen gehalten hatte, solange sie im Zimmer gewesen war – die meist Zeit jedenfalls …

Viel Zeit, um weiter über ihren zukünftigen Umgang miteinander nachzudenken, blieb Nick jedoch nicht mehr. Es war Musik, die ihn kurz vorwarnte, dass sich die nächste Katastrophe doch noch entschieden hatte, einzutreffen. Das dumpfe, rhythmische Dröhnen eines Autoradios, das rasch näher kam. ‚TNT‘ von ACDC, wie Nick rasch erkannte, als er mit einem kurzen Blick aus dem Fenster zu seiner Linken Liams knallroten Maserati vor dem Garteneingang des Restaurants halten sah und nur ganz am Rande wahrnahm, wie Lisa ein amüsiertes „So vielseitig?“ auf seinen Kommentar zurückgab.

Ein paar der Passanten – gut, alle Passanten drehten sich um, um zu schauen, wer sich da um einen großen Auftritt bemühte. Es gab drei Gruppen: die, die hofften, dass es jemand Berühmtes war, damit sie ein paar Fotos schießen konnten, die, die fürchteten, dass es jemand Bekannteres als sie selbst sein könnte, und schließlich die, die eigentlich ihre Ruhe haben und nur sehen wollten, wer es war, der diese störte.

Und dann stieg Liam aus, selbstbewusst lächelnd und in einer lässigen Bewegung seine Sonnenbrille auf der Nase platzierend – ganz der Superstar, der sich seines Bekanntheitsgrades vollkommen bewusst war und es durchaus genoss, alle Blicke auf sich zu ziehen. Die ersten Blitzlichter derer, die eine Kamera parat hatten – und das waren hier in Hollywood viele – flackerten bereits auf, als er beinahe hoheitsvoll durch das kleine Tor des am Restaurant anliegenden Gärtchens schritt und folgten ihm auf seinem Weg hinüber zum Eingang des The Palm.

Neben Nick ertönte ein ungläubiges Keuchen. „Das … Ist das Liam Chandler?“

Er sah Lisa an, die auf einmal ganz blass geworden war und mit großen Augen jede Bewegung Liams dort draußen verfolgte. Es überraschte Nick etwas, denn er hatte nicht mit einer solch heftigen Reaktion ihrerseits gerechnet. Der hysterische Fan passte so gar nicht zu ihr und er musste sich anstrengen, nicht genervt die Augen zu verdrehen.

Leider geriet sein Tonfall, als er ihr antwortete, viel zu grummelig. „Ja, das ist Liam Chandler. Und ja, er wird jetzt hier hereinkommen.“

„Zu … zu uns?“

Nick hatte es nicht für möglich gehalten, aber Lisas Augen wurden tatsächlich noch größer. „An unseren Tisch?“

Er zog die Brauen zusammen, mit dieser gefährlichen Mischung aus Unbehagen und wachsender Verärgerung in seinem Inneren kämpfend. Was war nur mit ihm los?

 „Du weißt doch, dass er die männliche Hauptrolle im Film spielen wird, oder?“, hakte er nun schon etwas sanfter nach.

Sie schluckte sichtbar und nickte dann.

„Dann musst du doch auch damit gerechnet haben, ihm irgendwann mal zu begegnen“, fuhr Nick fort und sein eigener Herzschlag begann sich nun ebenfalls zu beschleunigen, weil Liam soeben die Tür geöffnet hatte und eintrat. Das alles konnte nicht gut gehen!

„Ja … ja, ich … gewiss.“ Lisas Brust hob und senkte sich unter dem tiefen Atemzug, den sie nahm. Dann straffte sie die Schultern, schien sich darum zu bemühen, ihre Fassung wiederzugewinnen. Eigentlich war das eine gute Idee – das mit der Fassung wiedergewinnen. Sein Gefühlsmix war wirklich seltsam. Aber warum mussten die Frauen auch immer so ausflippen, wenn einer ihrer Lieblingsschauspieler auftauchte?

„Ich bin nur etwas überrascht – das ist alles“, log Lisa ihm nun auch noch ins Gesicht und richtete rasch ihre Bluse. Wenn er sich nicht täuschte, warf sie sogar kurz noch einen Blick auf ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. So schnell wurde man von einer erfolgreichen Bestsellerautorin zu einem kleinen Mädchen.

‚Nicht den Kopf schütteln, Nick‘, mahnte er sich schnell, weil es genau das war, wonach ihm gerade war. ‚Sei nett zu ihr. Ärgere dich nicht. Es gibt gar keinen Grund dafür. Das ist doch genau die Reaktion, die sich alle von Liams Auftauchen erhofft hatten. Du solltest dich eher freuen.‘

Liam hatte ihn schnell entdeckt und kam nun auf sie zu, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Lisa dreht sich von ihm weg, sah Nick an und ihr Lächeln wirkte auf einmal schrecklich verkrampft.

„Warum kommt er her?“

„Weil er dich kennenlernen wollte“, erklärte er und musste zu seiner Verwunderung feststellen, dass Lisa sich darüber keineswegs zu freuen schien. Ihr Lächeln erstarb und sie wurde noch etwas blasser.

„Heute?“, krächzte sie und Nick spürte, dass sie sich mit dieser Idee genauso unwohl fühlte wie er selbst.

Sein nächstes Nicken geriet daher schon etwas zögerlicher.

„Liam ist Li, dein bester Freund, oder?“, hakte Lisa leise nach und Nick hielt inne.

Hatte er ihr gestern Nacht von Liam erzählt? Ganz dunkel glommen Erinnerungen an ihre Gespräche in ihm auf. Sie hatten viel geredet. Erstaunlich viel. Und auf einmal verstand Nick, woher Lisas Unbehagen rührte. Sie befürchtete, dass Liam und er sich bereits über gestern Nacht ausgetauscht hatten – zu Recht. Und wenn Liam jetzt auch nur eine Andeutung machte … Nick wurde schlecht.

„Haben wir heute nicht ein wundervolles Wetterchen?!“, ertönte Liams fröhliche Stimme und Nick sah ihn rasch an, versuchte ihm mit nur einem drängenden Blick klarzumachen, dass … ja, was eigentlich? Das, was er ihm sagen wollte, ließ sich nicht mit einem Blick ausdrücken!! Dennoch versuchte er es. Liam musste wenigstens begreifen, dass etwas nicht stimmte, dass er aufpassen musste. So viel Verstand musste er doch haben!

Tatsächlich runzelte sein Freund die Stirn, bevor er sich Lisa zuwandte, die Sonnenbrille abnahm und ihr mit einem charmanten Lächeln die Hand reichte. „Hi! Ich bin Liam und Sie müssen Miss Lisa George sein. Ich darf doch Lisa sagen, oder?“

„Ja, natürlich“, gab sie mit einer Piepsstimme zurück, die Nick erstaunt blinzeln ließ, und lachte albern.

„Nick hat dir doch gewiss schon gesagt, dass ich heute ebenfalls zu dem Gespräch kommen werde, oder?“, fragte Liam und ließ sich sogleich auf dem noch freien Stuhl an ihrem Tisch nieder.

„Das muss er wohl vergessen haben“, erwiderte Lisa und ihr Lächeln in Nicks Richtung war zu liebenswürdig, um ernst gemeint zu sein. Er konnte deutlich spüren, wie verärgert sie in Wahrheit darüber war, so unvorbereitet auf Liam zu treffen.

Dieser sah ihn an und der mitleidige Blick, den er dabei aufsetzte, ließ Nicks Puls sofort schneller werden und seinen Magen verkrampfen. Doch er konnte nicht mehr verhindern, dass Liam aussprach, was ihm auf der Zunge lag. „Wir müssen nachsichtig mit Nicolas sein“, sagte er. „Er sieht aus, als hätte er heute Nacht nicht besonders viel geschlafen.“

Lisas Augen wurden wieder größer und alles Blut wich aus ihren Wangen, nur um bei Liams nächsten Worten dann umso stärker wieder in ihr Gesicht zu schießen.

„Wenn ich ehrlich bin, siehst du eher aus, als wärst du in einen Hurrikan geraten, mein Lieber“, meinte Liam mit einem Lächeln, das nur allzu deutlich verriet, dass seine kleine Metapher eigentlich für etwas ganz und gar nicht Anständiges stand. „Wie war denn die Party gestern?“

Lisa senkte sofort den Blick, ließ ihr Haar über ihre langsam aber sicher glühend rot werdenden Wangen fallen.

 „Ganz toll“, gab Nick rasch zurück. „Aber ich denke, es würde Miss George nur langweilen, wenn ich jetzt darüber berichten würde.“

„Kommt ganz darauf an, ob sich auf der Party etwas Interessantes ereignet hat oder nicht“, grinste Liam und Nick konnte ihm ansehen, welchen Spaß sein Freund daran hatte, ihn damit zu ärgern. Wahrscheinlich war er nur aus diesem Grund hier aufgetaucht.

„Nicht wahr, Lisa?“, musste er nun auch noch hinzusetzen und die Autorin bemühte sich tapfer darum, ihn anzulächeln, während sie den Kopf schüttelte.

„Ich bin nicht so ein Partygänger“, erklärte sie mit dünner Stimme.

Liam hob die Brauen. „Nicht? Mal so richtig abtanzen, sich antüddeln, flirten, Spaß haben – auf welche Weise auch immer?“

Sie schüttelte weiterhin lächelnd den Kopf und sah dabei so unglücklich aus, dass Nick angst und bange wurde. Er musste etwas tun, bevor sie noch aus lauter Schamgefühl die Flucht ergriff.

 Er räusperte sich laut. „Du siehst hungrig aus, Li“, behauptete er. „Und Lisa und ich haben auch noch nichts bestellt. Vielleicht sollten wir das jetzt tun.“

„Also, ich hab gut gefrühstückt“, gab der Schauspieler mit einem Schulterzucken zurück und sah dann Lisa fragend an.

Die junge Autorin hatte sich so an ihrem Wasserglas festgekrallt, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Doch es gelang ihr immer noch, zu lächeln.

„Ich … ich habe auch keinen richtigen Hunger“, stammelte sie und schon grinste Liam wieder zu Nick hinüber.

„Aber tu dir keinen Zwang an, Nick“, meinte er und zwinkerte ihm kurz zu. „Du solltest dir ruhig eine ordentliche Portion zu futtern besorgen – möglichst mit viel Eiweiß, damit du wieder zu Kräften kommst, nach der anstrengenden Nacht.“

Nick konnte nichts dagegen tun. Sein Bein schoss reflexartig nach vorn und traf sein Ziel mit voller Wucht.

„Au!“ Liam wagte es doch tatsächlich, ihn mit einer Mischung aus Irritation und Empörung anzusehen, und rieb sich viel zu auffällig das Bein, sodass es Nick kaum wunderte, dass Lisa sich auf einmal erhob. Vorbei! Jetzt würde sie gehen und Nick verlor den besten Job, den er seit langem hatte an Land ziehen können.

„Ich muss mich mal kurz frisch machen gehen.“

Nick stutzte, blinzelte die junge Frau vor sich perplex an, die sich mit einem weiteren bemüht freundlichen Lächeln umwandte und dann tatsächlich nur eilig auf die Toilette zulief. Der Ausgang lag in einer anderen Richtung.

„Warum trittst du mich?!“, hörte er Liam neben sich fragen und Nicks Kopf flog so schnell zu ihm herum, dass sein Freund tatsächlich vor ihm zurückzuckte.

„Was ist in dich gefahren, Mann?!“, schnauzte Nick ihn an. „Willst du, dass die Produktion der Filme hier und heute eingestellt wird?!“

„Heey, komm mal wieder runter, Nicky“, gab Liam verständnislos zurück. „Ich necke dich doch nur ein bisschen. Und sie wird ja wohl kaum verstehen, auf was ich hier anspiele.“

„Oh, doch!“ Nick sah ihn vielsagend an, doch sein Gesprächspartner schien ihn immer noch nicht zu verstehen.

„Wie denn? Ich verschlüssle doch alles wie immer!“

Nick sagte nichts, verstärkte nur die Eindringlichkeit seines Blickes und die ersten Funken der Erkenntnis zeigten sich in den Augen seines besten Freundes.

„Nein.“

„Oh, doch!“

Nein!“ Liams Hand fuhr vor seinen Mund und seine Augen wurden ganz groß.

„Wehe, du lachst jetzt auch noch!“, knurrte Nick, weil da bereits dieses verräterische Funkeln in seinen Augen war. „Liam!“

Das erste Prusten ertönte, gedämpft durch die vorgehaltene Hand.

Nick beugte sich drohend zu ihm vor. „Das ist nicht zum Lachen!“

Selbstverständlich sah sein Freund das ganz anders und prustete nun erst recht los.

„Oh, doch“, grunzte er. „Das ist es!“

Er wagte es sogar, sich vor Lachen auf die Schenkel zu schlagen und rang nach Atem. „Mein Güte, Nick! Wie machst du das immer? Du steuerst von einem Schlamassel in den nächsten.“

Er wischte sich die nicht existenten Lachtränen aus den Augenwinkeln, während Nick innerlich vor Wut beinahe kochte.

Liam hatte gut lachen. Er war derzeit einer der begehrtesten und bekanntesten aufstrebenden Schauspieler in Hollywood und konnte sich diverse Ausrutscher leisten. Nick als weniger erfolgreicher Schriftsteller und Drehbuchautor war jedoch von guten Aufträgen abhängig.

„Okay“, meinte Liam jetzt und atmete einmal tief ein und wieder aus. „Es tut mir leid. Ich wusste das nicht. Ich meine, wie soll man auch auf so etwas kommen?“

Er hielt inne und Nick verdrehte die Augen, bevor Liam erneut in schallendes Gelächter ausbrach.

„Ich … ich hab’s gleich“, gluckste er und hatte nun schon Tränen in den Augen. „Gleich …“

Für einen kurzen Moment fragte sich Nick, ob er vielleicht auch die Örtlichkeiten aufsuchen sollte, um sich ‚frisch zu machen‘. Was er dann zuhause erledigen würde. Einfach ab durchs Toilettenfenster und die Kurve gekratzt, um dieser beinahe unerträglich peinlichen Situation zu entgehen. Liam würde die Rechnung schon begleichen. Er selbst wäre dann zwar seinen Job los, aber darüber brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Er würde sich über überhaupt nichts mehr Gedanken machen müssen, weil Meggie ihn aufspüren und töten würde. Nicht mit Waffen – zumindest nicht mit herkömmlichen. Sie würde ihn aus ihren stechend grünen Augen anstarren und er würde in einer Flammwolke zu Staub zerfallen. Wie ein Vampir in einer dieser Serien.

Vampir … Serie … Buchserie … Verfilmung … – okay, er war wieder da. Gerade rechtzeitig, denn da hinten kam Miss George schon wieder aus der Tür zu den Toiletten. Im Gegensatz zu den meisten Männern war er nicht darüber erstaunt, wie sie es in der kurzen Zeit geschafft hatte, wieder ganz entspannt und gerade erst dem Beautysalon entsprungen zu erscheinen. Die Kosmetikindustrie bot eine unglaubliche Menge an kleinen Helfern und sicher nahm ihr Kosmetiktäschchen die Hälfte ihrer eigentlichen Tasche ein.

Liam ging niemals ohne Makeup-Notfall-Köfferchen aus dem Haus. Es lagerte hinten im Kofferraum seines jeweiligen Wagens und war – Achtung! – mit einem eigenen kleinen Kühlaggregat versehen, weil seine teuren Cremchen und Stiftchen und Pästchen keine allzu große Hitze vertrugen. Ungewöhnlich war das nicht. Das hier war Hollywood und Liam mit seinen Methoden zur männlichen Schönheitspflege nachweislich keine Ausnahme. Selbst Nick hatte durch Liams fachkundige Unterstützung schon vor einiger Zeit festgestellt, dass auch ‚Mann‘ heutzutage nach einer durchzechten Nacht nicht gezwungen war, wie der Tod auf Latschen auszusehen. Er hatte zumindest einen Concealer im Handschuhfach, gleich neben einer Tube Feuchtigkeitscreme. Liam zog ihn gerne mit den unzulänglichen Lagermethoden auf.

„Eines Tages wird es entweder in die Luft fliegen oder dein Gesicht grün färben und zwar nicht aufgrund falscher Lagerung – aus Rache!“, hatte er mal behauptet. „Wenn es eine Schutzorganisation für Kosmetika gäbe, wärst Du ganz oben auf ihrer Abschussliste, mein Lieber.“

Sein Freund, der sich nun doch endlich wieder im Griff hatte, straffte die Schultern, setzte sich gerade hin und nickte Nick kurz zu. Doch das süffisante Lächeln, das er auf den Lippen trug, und die Art, wie er Lisa nun ungeniert von oben bis unten musterte, gefiel Nick überhaupt nicht.

„Liam – reiß dich zusammen!“, zischte er seinem Freund zu. „Wenn du so weiter machst, sind wir bald beide unseren Job los!“

Der Schauspieler hob beschwichtigend eine Hand. „Lass mich nur machen, Nicky. Ich hab meine Fans im Griff.“

„Sie ist aber nicht nur irgendein Fan!“, raunte Nick ihm angespannt zu. Nur noch wenige Meter, dann war sie wieder in Hörweite! „Wir brauchen sie! Sie soll sich mit uns wohlfühlen und nicht darüber nachdenken, wie sie auf dem schnellsten Weg zurück nach Deutschland kommt!“

„Ist ja gu-ut“, gab Liam zurück, ohne sein provokantes Grinsen abzustellen, und fixierte Lisa bereits wieder.

„Nein, nicht ‚ist ja gu-ut‘!“, knurrte Nick zurück. „Du nicht benehmen – wir tot! Du verstehen?“

Liam rang sich dazu durch, ihn noch einmal anzusehen und das anzügliche Grinsen wurde tatsächlich zu einem milden Lächeln, bevor er brav nickte. Dann setzte er das auf, was einem Pokerface gar nicht einmal unähnlich war – wenn man von dem auffällig-unauffälligen ‚Ich versteeehe‘-Zwinkern absah. Glücklicherweise hielt es nur solange an, bis er sich zu Lisa umwandte, die schon viel zu nah heran war.

Nick nahm noch einmal einen tiefen Atemzug und sammelte all sein Kräfte. Er würde diese brauchen, um alles wieder so ins Lot zu bringen, dass Miss George die Staaten nach diesem Gespräch nicht sofort wieder fluchtartig verließ.

 

 

 

 

 

 

3

 

 

 

„Ganz ruhig, Lisa – gaanz ruhig. Du kriegst das hin. Du kannst da wieder rausgehen, ohne dein Gesicht zu verlieren. Du hast nichts falsch gemacht und du brauchst dich auch für nichts zu schämen. Du bist eine moderne Frau und die dürfen ihr Leben genauso genießen wie Männer. One-Night-Stands sind heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Das zeigt nur, wie emanzipiert du bist. Und wenn ein Kerl Probleme damit hat oder sich lustig darüber macht, spricht das eindeutig dafür, dass du einen unterbelichteten Neandertaler vor dir hast, mit dem du dich eh nicht abgeben willst! Da stehst du doch drüber!“

Lisa schenkte ihrem eigenen Spiegelbild ein zuversichtliches Lächeln, doch dieses erstarb sogleich wieder bei dem Gedanken daran, wer dort draußen an dem Tisch auf sie wartete. Verzweiflung gewann die Oberhand in ihren Augen und sie ließ die Schultern wieder hängen, stützte sich schwer auf die Umrandung des Waschbeckens und stöhnte gequält auf.

‚Schlimmer kann es ja jetzt nicht mehr kommen.‘ Das hatte Lisa sich gesagt, als sie sich mit Nick zusammen am Tisch niedergelassen hatte, und diese Behauptung, so traurig sie auch war, hatte ihr Zuversicht gegeben – genauso wie Nicks äußerst taktvolles und professionelles Verhalten. Er hatte sich in der Tat so benommen, als ob die letzte Nacht nicht passiert war, und es ihr damit leicht gemacht, sich wieder zu entspannen und sich langsam an die wichtigen Themen heranzutasten, die sie gemeinsam zu bearbeiten hatten. Sie hatte sich in dem Gefühl bestätigt gesehen, endlich mal einen sympathischen und kompetenten Drehbuchschreiber vorgesetzt bekommen zu haben, mit dem sie sich trotz der Geschehnisse von gestern Nacht durchaus vorstellen konnte zusammenzuarbeiten.

Und dann war er erschienen. Er! Nicht irgendeine berühmte Person, die Nick zufällig kannte, sondern ausgerechnet der Schauspieler, den Lisa in ihrer Teenagerzeit nahezu vergöttert hatte und dessen Karriere sie voller Hingabe mitverfolgt hatte – bis sie zu alt dafür geworden war.

Nun gut, sie hatte nie völlig aufgehört, sich dafür zu interessieren, was er machte, war auch heute noch gut über seine neuesten Projekte und den Klatsch und Tratsch um ihn herum informiert und wurde meist hellhörig, wenn sein Name erwähnt wurde. Als richtigen Fan hätte sie sich jedoch nicht mehr bezeichnet – auch wenn es da diese leichten äußerlichen Parallelen von ihm zu einem der Helden ihrer Romanreihe gab, die ihrer Meinung nach eigentlich kaum jemandem auffallen durften. Außer vielleicht seinen fanatischsten Fans … und den Produzenten des Films. Sie war sich beinahe sicher, dass TFP die Rolle des Devon bewusst mit Liam Chandler besetzt hatte, nachdem Lisa bei einem international gesendeten Interview auf die Frage, wen sie sich persönlich in dieser Rolle vorstellen würde, gesagt hatte, dass Liam Chandler auf jeden Fall in die engere Auswahl kommen würde. Das war kurz nach der Weltpremiere dieses schrecklichen ersten Films und dem ersten heftigen Streit mit TFP gewesen. Sie hatte der Firma angekündigt, dass sie keinen weiteren Vertrag mehr mit ihnen abschließen würde. Daraufhin hatte TFP mit allen Mitteln versucht, sie wieder versöhnlich zu stimmen.

Wenn sie ehrlich war, war Liam immer Lisas Traumbesetzung für Devon gewesen, so wie auch schon andere Autorinnen vor ihr manchmal die Rollen der Helden in ihren Romanreihen bestimmten Schauspielern auf den Leib geschrieben hatten. Und selbstverständlich hatte sie sich wahnsinnig gefreut, als Megan Eiry sie angerufen und sie darüber informiert hatte, dass Liam die Rolle in ‚Schattenmond‘ angenommen hatte und diese wahrscheinlich auch noch in den weiteren Teilen der Verfilmung ihrer Romane spielen würde – wenn sie so wollte. ‚Gefreut‘ war eigentlich nicht ganz das richtige Wort für den Zustand, in dem sie sich nach dem Telefonat befunden hatte. Sie war völlig aus dem Häuschen gewesen, hatte sogar mit ihren engsten Freunden diese neue Entwicklung in einer Bar mit ein paar Drinks gefeiert – ohne Zweifel immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass TFP sie mit diesen Bemühungen um den Finger wickeln und nur dazu bewegen wollte, die neuen Verträge zu unterschreiben. Das war ihr auch jetzt noch klar.

Dass sie in naher Zukunft ihrem Lieblingsschauspieler gegenüberstehen würde, war ihr erst so richtig beim Flug nach L.A. bewusst geworden. Die Nachdrehs hatten gerade begonnen und sie sollte dem Drehbuchautorenteam mit Rat und Tat zur Seite stehen – natürlich würde sie so zwangsläufig Liam über den Weg laufen. Aus diesem Grund hatte sie ja auch mit Karen einstudiert, wie sie sich zu verhalten hatte, wenn dies geschah: Erwachsen, ruhig, freundlich und – wie schon gesagt – souverän. Sie waren sich beide so sicher gewesen, dass diese Begegnung erst am Set stattfinden würde und Lisa noch ein wenig Zeit hatte, sich darauf vorzubereiten. Und nun … nun geschah so etwas!

Liams plötzliches Auftauchen hatte Lisa völlig aus dem Lot gebracht. Da half es auch nichts, sich einzureden, dass er in ihrer Romanverfilmung mitspielte, sie auf diese Weise gewissermaßen seine Arbeitgeberin war. Ihn heute kennen zu lernen, kurz nachdem sie eine ganze Nacht lang hemmungslosen Sex mit seinem besten Freund gehabt hatte, und dabei herauszufinden, dass Liam Chandler – Liam Chandler!! – über diese peinliche Tatsache auch noch Bescheid wusste, kam einem Desaster gleich, das seinesgleichen erst suchen musste. Irgendeinem Freund von Nick zu begegnen, der über den One-Night-Stand informiert war, wäre schon schlimm genug gewesen. Aber nein, sie musste ja gleich in die Vollen treffen und nicht nur mit dem Mann schlafen, mit dem sie sechs Wochen lang zusammenarbeiten würde, sondern auch mit dem Mann, der Liam Chandlers bester Freund war. Somit war dieser weltbekannte Schauspieler der nächste in der Reihe der Personen, die wussten, was passiert war, und denen sie dennoch nicht ausweichen konnte. Grausamer ging es wohl kaum. Warum hasste Gott sie nur so?!

Lisa sah sich wieder im Spiegel an. Wie sie nur aussah! Diese knallroten Wangen, das etwas durcheinander geratene Haar… Vielleicht hätte sie sich lieber nur im übertragenen Sinne die Haar raufen sollen? Dann hätte die andere Frau, die bei ihrem Betreten der Toilette noch anwesend gewesen war, sich auch noch weiter in Ruhe die Hände waschen und nicht so fluchtartig diese Örtlichkeit verlassen müssen.

Lisa atmete tief durch die Nase ein, strich sich die losen Haarsträhnen aus dem Gesicht und holte entschlossen ihr Schminktäschchen aus ihrer Handtasche. Wäre doch gelacht, wenn sie sich nicht wenigstens äußerlich wieder so herrichten konnte, dass sie wie die entschlossene, toughe Geschäftsfrau aussah, die sie gern sein wollte. Und nebenbei gab ihr das Schminkprozedere genug Zeit und Ruhe, um ihre durcheinander geratene Gefühlswelt wieder zu sortieren. Vielleicht war heute alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte, aber das war kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken und alte Rückzugstaktiken wieder aufleben zu lassen, die sie sich eigentlich hatte abgewöhnen wollen. Damit gab sie den anderen viel zu viel Macht in die Hand und wurde am Ende doch nur wieder über den Tisch gezogen. Sie würde das nicht zulassen. Alles, was sie tun musste, war ihre Emotionen zurückzuschieben und über den Dingen zu stehen.

Sie hatte mit Nick geschlafen – na und? Sie waren beide erwachsen und würden schon damit umgehen können. Liam Chandlers erster Auftritt vor ihr hatte sie schockiert und furchtbar enttäuscht – und weiter? Hatte sie im Ernst geglaubt, dass er so war, wie er sich selbst gern vor der Presse gab, dass Ruhm und Erfolg spurlos an ihm vorübergegangen waren? Nein, im Grunde hatte sie sogar damit gerechnet, dass er arrogant und von sich selbst eingenommen war. Kein Grund, so bestürzt zu sein und sich so aus dem Takt bringen zu lassen. Mit ihm musste sie sich nicht unbedingt abgeben. Nur dieses eine Treffen, dann würde sie schon dafür sorgen, dass sie sich nicht mehr über den Weg liefen. Und wenn doch – auch Erwachsene konnten noch dazulernen und sie würde ihm schon wieder beibringen, wie man sich Fremden gegenüber zu benehmen hatte, ganz gleich, ob man ein Superstar war oder nicht. Sie würde allen zeigen, dass man mit ihr nicht umspringen konnte, wie man wollte, und sich von nichts und niemandem mehr verunsichern lassen – jawoll! Sie war kein Niemand mehr. Ihre Romane hatten sie weltweit bekannt gemacht und ihre Fan-Community wuchs von Tag zu Tag. Auch ihre Autogramme waren begehrt und sie war schon in einigen Fernsehshows aufgetreten, hatte Interviews gegeben.

Gut, bei ihren ersten öffentlichen Auftritten war sie vor Aufregung fast gestorben, hatte gestottert und viel zu viel gelacht – sogar über die schlechten Witze der Moderatoren. Aber das hatte sich schnell gebessert. Sie hatte sich weiterentwickelt, war an ihrer neuen Rolle gewachsen und mit den letzten schlechten Erfahrungen und der Unterstützung und dem Rat ihrer engsten Freunde – zumindest in der Öffentlichkeit – zu der Person geworden, die sie gern sein wollte: der durchsetzungsfähigen Powerfrau, der erfolgreichen Bestsellerautorin und harten Verhandlungspartnerin! Das hatte sich schnell herumgesprochen und das würden sie bald noch alle zu spüren bekommen!

Lisa gab ihren Wimpern noch einen letzten Schwung, packte dann ihr Schminkzeug wieder weg, schürzte die Lippen und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Das Haar saß wieder einigermaßen und ihr Make-up hatte den letzten Rest an Schamesröte aus ihrem Gesicht verbannt. Sie sah gut aus – richtig gut. So konnte sie den beiden Herren doch gleich sehr viel selbstbewusster wieder unter die Augen treten.

Sie straffte die Schultern, warf noch eine Pfefferminzpastille ein, ergriff entschlossen ihre Tasche und machte sich dann auf den Weg zurück zum Tisch. Selbstverständlich begann ihr Herz sofort wieder schneller zu schlagen, als sie die beiden Männer erblickte. Sie sprachen über etwas und Lisa wurde das Gefühl nicht los, dass es dabei um sie ging. Zumindest Nick warf ab und an einen verstohlenen Blick auf sie und ihre Selbstsicherheit litt darunter mehr als deutlich. Ihr anfangs so fester Schritt wurde merklich wackeliger, ihr Lächeln immer verkrampfter. Wenigstens gelang es ihr, dieses aufrechtzuerhalten, bis sie den Tisch erreicht hatte, und auf ihrem Weg dorthin keine weiteren Stühle umzureißen oder Personen zu skalpieren.

„Puh, warm hier“, verkündete sie lächelnd, als sie sich wieder setzte, und wedelte sich mit einer Hand vor dem Gesicht hin und her, weil dieses unter Liams durchdringendem Blick schon wieder merklich wärmer geworden war. Innerlich betete sie, dass ihr Make-up wirklich so gut war, wie ihr die Verkäuferin versprochen hatte, und man von außen nichts von ihrer Röte sehen konnte.

„Das ist bestimmt nur die Aufregung“, erwiderte Liam bemüht verständnisvoll und Lisa schüttelte sofort den Kopf.

„Wieso sollte ich aufgeregt sein?“, gab sie zurück und griff viel zu schwungvoll nach ihrem Glas Wasser. Ein Teil des Wassers schwappte über den Rand und ergoss sich über ihre Finger und die Tischdecke. Lisa fluchte innerlich und griff zur gleichen Zeit wie Nick nach der Serviette, die zu ihrer Linken lag, sodass sich auf einmal ihre Finger umeinander schlossen. Sie zuckten beide zurück, als hätten sie einen Schlag bekommen, nur um dann erneut verlegen nach der Serviette zu greifen und wieder zu kollidieren. Dieses Mal zog Lisa sich jedoch nicht zurück, sondern nahm ihm die Serviette verkrampft lächelnd weg, um endlich die Tischdecke fein säuberlich abzutupfen.

„Na ja, wegen des Films, der Arbeit an dem Drehbuch, der anstehenden Vertragsverhandlungen“, zählte Liam nun geduldig auf und Lisa konnte sein Schmunzeln schon hören, bevor sie ihn ansah. „Dem Treffen mit einem bekannten Schauspieler … Ganz davon abgesehen, dass du dich in einem fremden Land befindest und dich erstmal zurechtfinden musst.“

Lisa stieß ein leicht verärgertes Lachen aus.

„Ich komme doch nicht aus einem Dschungeldorf jenseits jeder anderen menschlichen Zivilisation, sondern aus Deutschland! Ich bin mit den Tücken einer modernen Großstadt sehr wohl vertraut – ganz davon abgesehen, dass ich nicht zum ersten Mal in L.A. bin!“

Liam blinzelte sie irritiert an. „Das war doch nicht böse gemeint.“

Sicherlich war es das nicht und sie reagierte aufgrund des Stresses enorm über, aber das würde sie vor diesem Mann ganz bestimmt nicht zugeben.

„Ich weiß“, sagte sie nun schon etwas sanfter. „Ich wollte ja auch nur klarstellen, dass es mir gut geht und sich niemand um mich Sorgen machen muss. Alles, was ich brauche, ist ein Plan davon, wie die nächsten sechs Wochen für mich aussehen sollen und welche Arbeit bis wann erledigt sein muss.“

„Na, dann…“ Liam sah Nick auffordernd an und der brauchte einen Moment, um sich auf die ihm gestellte Aufgabe zu konzentrieren.

„Ähm, ja“, stammelte er und schüttelte kurz den Kopf. Dann beugte er sich zu ihr vor und verschränkte die Finger ineinander. Auch eine gute Methode, um zu verhindern, dass diese sich erneut mit den ihren verhaken konnten.

„Soweit ich informiert bin, wurdest du hierher eingeladen, um uns einerseits beim Nachdreh von ‚Schattenmond‘ zu unterstützen und andererseits zusammen mit mir an der Neufassung des Drehbuchs für ‚Gefallener Engel‘ zu arbeiten“, erklärte Nick nun ganz richtig und Lisa blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. Er hatte nur weggelassen, dass sie es war, die am Ende darüber entschied, ob das Drehbuch genommen wurde oder nicht. Aber das tat gerade ja auch nichts zur Sache.

„Die Arbeiten zum Nachdreh haben laut Meggie derzeit absoluten Vorrang, weil die Rohfassung des Films in drei Wochen fertig sein muss und dann einem Testpublikum vorgeführt wird“, fuhr Nick fort. „Wir sollen zwar schon mit der Überarbeitung und Umgestaltung von ‚Gefallener Engel‘ anfangen, müssen uns aber jederzeit bereithalten, um Szenen von ‚Schattenmond‘ zu verändern und, wenn es brennt, auch direkt am Set zu arbeiten.“

Lisa nickte verstehend. „Und wann genau sollen wir mit der Arbeit anfangen?“

„Am besten schon morgen früh – wenn du bereit dazu bist.“

„Wieso sollte ich das nicht sein?“

„Na ja, vielleicht bist du noch zu müde und geschafft …“

Lisas Augen weiteten sich. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Wie konnte er so etwas vor Liam sagen?! Sie brauchte schnell eine coole, lockere Antwort.

„Na, so kräftezehrend war das alles ja nun auch wieder nicht“, gab sie mit einem lässigen Schulterzucken zurück und fühlte dennoch das Blut in ihre Wangen schießen.

„Ich meine, wegen des Fluges“, setzte Nick hinzu.

Scheiße! Trottelfalle! Riesengroße Trottelfalle!

„Eben … genau das mein ich ja auch.“ Ihr Lächeln geriet nun arg verkrampft und sie spürte ganz genau, wie sich Liam neben ihr immens anstrengte, nicht laut aufzulachen. So ein Arschloch! Sie räusperte sich. Weiter im Thema – schnell!

„Gut, dann fangen wir morgen mit der Arbeit an“, sagte sie und ihre Stimme klang glücklicherweise einigermaßen fest. „Machen wir’s dann bei dir oder bei mir im Hotel?“

Die Worte waren raus, bevor sie überhaupt im Ansatz deren Zweideutigkeit bemerkte, und Liam konnte nicht mehr an sich halten. Er stieß ein leises Prusten aus und presste sich dann rasch die Hand auf den Mund, um sein weiteres Lachen zu ersticken.

Lisa schloss kurz die Augen, zählte innerlich von fünf abwärts und sah dann Nick wieder an, der seinem so ‚charmanten‘ Freund einen beängstigend finsteren Blick zukommen ließ, bevor er sich ihr zuwandte.

„Ich denke, bei mir haben wir eher die nötige Ruhe, um möglichst effektiv zu arbeiten“, sagte er und griff nach seiner Jacke, die über der Rückenlehne seines Stuhls hing. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Lisa eine Visitenkarte mit seiner Adresse in der Hand hielt.

„Wenn du willst, kann ich dich auch morgen abholen und dir den Weg zeigen“, bot er an und sie runzelte die Stirn.

„Der Taxifahrer wird das doch sicher auch finden.“

„Ja, aber soweit ich informiert bin, wird TFP dir über die Zeit, die du hier bist, einen Firmenwagen zur Verfügung stellen“, erklärte Nick ihr. „Dann musst du nicht immer Geld für die Taxifahrten ausgeben.“

„O… okay“, gab Lisa zurück und steckte schließlich Nicks Visitenkarte ein. „Dann beginnt also morgen ganz offiziell unser erster gemeinsamer Arbeitstag?“

Da war es wieder, dieses süße halbseitige Lächeln, das dieses Mal leider nicht ganz ohne Wirkung auf sie blieb. Irgendwo in ihrer Bauchregion flatterte ein kleiner Schmetterling aufgeregt mit den Flügeln. Ein wirksames Insektenvernichtungsmittel – das war es, was sie jetzt ganz dringend brauchte!

„Sieht ganz so aus“, meinte Nick. „Ach, bevor ich es vergesse: Meggie, Cooper Summers – der Regisseur des Films – und noch ein paar andere wichtige Personen von TFP würden dich morgen Abend gern bei einem kleinen Abendessen persönlich kennen lernen. Ist das in Ordnung?“

Meine Güte, hatte der Kerl bewegliche Augenbrauen. Wer konnte diesem treuherzigen Hundeblick schon widerstehen?

„Na klar“, erwiderte sie nur. „Ich hab ja eh nichts anderes vor. Gibt es noch andere solcher Termine, über die ich Bescheid wissen sollte?“

„Ich weiß, dass Meggie noch ein paar kleinere Sachen geplant hat, mit denen sie dich überraschen will“, überlegte Nick. „Aber ich denke, der erste tatsächlich wichtige Termin wäre die Testvorführung des Films am 23. Juli – wenn du überhaupt dabei sein willst.“

„Auf jeden Fall!“, gab Lisa mit Nachdruck zurück. „Aber krieg ich den Film auch schon vorher zu sehen?“

Das war eine der Bedingungen gewesen, die sie in den Verhandlungsgesprächen gestellt hatte. Eine Bedingung, auf die sie viel Wert legte. Keine Testvorführung, ohne dass sie ihr ‚okay‘ für diesen Film gegeben hatte.

„Selbstverständlich“, war die beruhigende Antwort. „Wir haben das für übernächste Woche geplant. Bis dahin sollte der erste Rohschnitt fertig sein.“ Er warf auch Liam einen Blick zu und der nickte bestätigend.

„Was ist mit der Feier?“, fragte Liam und Nick schloss kurz die Augen, schüttelte über sich selbst den Kopf, bevor er Lisa wieder ansah.

„Das hätte ich beinahe vergessen. Vom 17. bis 18. August feiert TFP mit einem großen Fest fünfundzwanzigjähriges Jubiläum, bei dem es auch die ersten Pressevorführungen ihrer neuesten Kinofilme geben wird – darunter natürlich ‚Schattenmond‘. Und du sollst einer ihrer Ehrengäste sein!“

Ich?“, krächzte Lisa, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, und wies auf ihre Brust. Ihre Kehle war auf einmal wie zugeschnürt. „K… kommen da viele Leute?“

Nick musste schmunzeln und Liam stieß sogar ein leises Lachen aus. „Ich denke, man kann bei der Feier am Abend mit ungefähr 800 Gästen rechnen und viele davon werden Prominente sein.“

„Muss ich da eine Rede halten?“, fragte sie weiter mit dünner Stimme. Die Vorstellung war erschreckend. Ihr reichten schon die Lesungen zu ihren eigenen Romanen vor mehreren hundert Menschen, die sie meist schweißgebadet und mit weichen Knien wieder verließ.

„Nicht, wenn du nicht willst“, versuchte Nick sie sofort zu beruhigen. „Es kann sein, dass sie dich vorher fragen werden, ob du ein paar Worte zu der Zusammenarbeit mit ihnen und den Film sagen kannst – aber sie werden dich wohl kaum dazu zwingen können.“

„Okay …“

‚Um Gotteswillen! Jetzt zeig doch nicht so viel Schwäche!‘, schalt sie sich selbst. Sie versuchte den Gedanken an diese Veranstaltung ganz weit von sich weg zu schieben, um endlich diesen störenden Kloß in ihrem Hals wieder loszuwerden.

Bis zum 17. August war es noch lange hin und am 20. August ging schon ihr Flieger zurück nach Hause. Nach Hause … wie schön das klang … nach Heimat und Sicherheit … Wenn es allzu schlimm hier wurde und sie überhaupt keine Lust mehr auf diese Mega-Party hatte, konnte sie ja auch schon früher abreisen. Sie hatte noch niemandem Versprechungen gemacht, geschweige denn Verträge unterschrieben, die sie verpflichteten, zu solchen Veranstaltungen zu gehen.

„Darüber kann ich ja auch noch später nachdenken“, setzte sie hinzu. „Sechs Wochen sind eine lange Zeit und wir haben eine Menge zu tun.“

Nick bestätigte ihre Worte mit einem weiteren Nicken, während Liam nachdenklich die Stirn runzelte.

„Was haltet ihr denn davon, wenn ihr schon morgen früh einen kleinen Setbesuch macht“, schlug er schließlich vor und sah dabei vor allem sie an. „Du würdest eine exklusive Führung von mir kriegen. Als kleine Wiedergutmachung sozusagen, weil du mich heute nicht unbedingt von meiner besten Seite kennen gelernt hast.“

Lisa war verblüfft. Offenbar hatte Liam sich durch seinen Ruhm der normalen Welt noch nicht so sehr entfremdet, dass er nicht mehr bemerkte, wenn er sich unangemessen und schlecht benahm. Sie konnte in seinen braunen Augen erkennen, dass es ihm wahrhaftig leidtat und er sein Angebot völlig ernst meinte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie im Grunde nur einen ganz normalen Menschen vor sich hatte – den man eigentlich auch nicht anders behandeln sollte als jede andere Person auch.

Sie sah Nick fragend an. „Haben wir die Zeit dafür?“

Er zuckte die Schultern. „Ich denke schon. Und es wär nicht schlecht, wenn du das Set schon kennst, bevor der Stress losgeht.“

„Dann haben wir wohl morgen ein Doppeldate“, freute sich Liam und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Dann beugte er sich verschwörerisch zu ihr vor und hob in einer leicht provokant anmutenden Art und Weise die Brauen. „Ich verspreche dir, das wirst du nicht bereuen.“

Doch dieses Mal ließ sich Lisa nicht verunsichern. Stattdessen brachte auch sie ihr Gesicht gewagt nahe an das seine heran und lächelte aufreizend.

„Und wenn doch, weiß ich ja, bei wem ich eine weitere Wiedergutmachung einfordere“, gab sie mit seidenweicher Stimme zurück und spürte genau, wie überrascht Liam über ihre Reaktion war. „Ich hoffe, du hast dann noch mehr zu bieten als nur einen Setbesuch und einen bekannten Namen.“

Sie zog sich wieder zurück, Liam weiterhin anlächelnd, während er damit zu kämpfen hatte, dass ihm seine Gesichtszüge nicht vollkommen entgleisten. Mit solch einer Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet. Vielleicht sollte sie das in Zukunft bei ihm immer so machen. Angriff war schließlich die beste Verteidigung!

„Haben wir jetzt alles durch, was es für heute zu besprechen gab?“, wandte sie sich an Nick, der nicht zu wissen schien, ob er lachen oder sie wie sein Freund nur sprachlos anstarren sollte.

„Ja … ähm …“, kam es ihm etwas perplex über die Lippen. „Ich denke, für heute gibt es nicht mehr sehr viel zu klären.“

Sein Blick flog über die Speisekarten, die immer noch unberührt auf dem Tisch lagen. Dann richteten sich seine Augen wieder auf ihr Gesicht.

„Du willst nichts essen? Ich sollte dich eigentlich einladen.“

Sie hob abwinkend die Hand. „Alles, was ich jetzt brauche, ist ein weiches Bett und viel Ruhe. Ich muss mich dringend ausschlafen, wenn ich in den nächsten Tagen arbeitsfähig sein will.“

So offen über das alles zu reden, war gar nicht so schwer. Es brachte ihre Selbstsicherheit Stück für Stück zurück.

„Und du solltest das auch tun, Nick“, setzte sie nachdrücklich hinzu, ergriff ihre Tasche und erhob sich. „Dann können wir morgen voll durchstarten und den gestrigen Tag endlich hinter uns lassen.“

Sie schenkte ihm noch ein letztes aufmunterndes Lächeln, verabschiedete sich auch von Liam mit einem selbstbewussten „Wir sehen uns dann morgen“ und lief mit festem Schritt auf den Ausgang des Lokals zu. Sie war wieder da – Lisa George, die erfolgreiche, selbstbewusste Autorin, die wusste, was sie wollte, und sich mit all ihren Kräften für die Ziele einsetzen würde, die sie sich gesetzt hatte. Die Zukunft konnte kommen! Nach diesem schlechten Start, den sie am Ende doch noch souverän gemeistert hatte, würde sie sich von nichts und niemandem mehr so schnell umwerfen lassen!

 

 

 

 

 

 

4

 

 

 

Nick wusste genau, wo er war, doch dass er das tat, verringerte das unangenehme Gefühl in seinem Innern um keinen Deut. War er gerade noch im Begriff gewesen, sich in aller Heimlichkeit davonzustehlen, wurde er nun Zeuge, wie die Person, derentwegen die ganze Sache so peinlich war, das gleiche Vorhaben in die Tat umzusetzen begann. Okay ... er konnte auch noch ein bisschen liegen bleiben ... Allein die kurze Drehung seines Kopfes, um einen Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch zu werfen, hatte schon zu einem derart üblen Stechen in seinem Schädel geführt, dass ein paar weitere Minuten der Ruhe sicherlich nicht schaden konnten.

Die Vorhänge und die Tapete, auf die er nebenbei einen Blick hatte erhaschen können, kamen ihm bekannt vor – zumindest hatte er es also in eine Umgebung geschafft, die er kannte. Gut – so musste er sich nicht mit der Frage abmühen, wo er war, sondern konnte sich voll und ganz darauf konzentrieren, mit wem er hier war.

Fetzen von lauter Musik und Bilder von ausgelassen feiernden Menschen schwirrten durch seinen Kopf. Richtig, er war auf einer Party gewesen ... bei ... bei ... ach, wieso sich mit Namen aufhalten? Vermutlich konnte er sich nicht einmal an seinen eigenen erinnern, wieso dann an den der Person, bei der er gewesen war?

Er runzelte die Stirn ob solcher Aussagen, die doch so gar nicht nach ihm klangen. Hm, musste wohl der Restalkohol sein. Hahahaaa, Restalkohol war gut. In seinem Kopf fühlte es sich eher an, als wäre er noch hundertprozentig dabei. Hundertprozentig … Was für ein Wortspiel, das musste er sich unbedingt für sein nächstes Buch merken.

Gut, zurück zu seiner Bekanntschaft, die sich so übervorsichtig und mit ein wenig unauffälliger Mithilfe seinerseits (Er war aber auch wahrhaft gekonnt zur Seite gerollt!) aus ihrer verschlungenen Schlafposition gelöst hatte. Bekanntschaft. Wie seltsam distanziert dieses Wort klang. Immerhin hatten sie wesentlich mehr geteilt als die meisten Menschen, die sich gerade erst vor ein paar Stunden auf einer Party kennen gelernt hatten. Oooh ja. Es hatte Anblicke und Einblicke und Höhepunkte der verschiedensten und zahlreichsten Arten gegeben. Nun ja, so gesehen war das hier dann der Tiefpunkt.

Wie lange sie wohl brauchte? Hm. Ob es sicher war, einen Blick zu riskieren? Das letzte Mal hatte er einen auf ihren nackten Rücken erhascht, als sie kurz auf der Bettkante verharrt und das durchgemacht hatte, was ihm noch bevorstand. Besser gar nicht daran denken, was er alles konsumiert hatte und vor allen Dingen in welchen Mengen. Nick war bestimmt alles andere als ein Gewohnheitstrinker.

In jedem Fall hatte er sich nach dem letzten Blickkontakt mit ihren weiblichen Rundungen dazu entschlossen, seinen Kopf schleunigst in die andere Richtung zu drehen, die Augen wieder fest zu schließen und ganz tief und bewusst ruhig zu atmen, weil ein anderer Teil seines Körpers sich nur allzu gut an gewisse Berührungen erinnern wollte. Er war einer der Männern, deren Libido morgens sehr aktiv und er selbst daher leicht zu erregen war. Diese Gedanken, verbunden mit der Peinlichkeit der Situation an sich, zwangen ein verkrampftes Lächeln auf seine Züge, das er dringend unter Kontrolle bringen musste. Ein Unterfangen, das noch dadurch erschwert wurde, dass Sexy Blondie eine ungeplante Slapstickeinlage gab. Sein Kopf flog automatisch herum und in der nächsten Sekunde musste er mit aller Gewalt ein Würgen unterdrücken und sich auf die Zunge beißen, damit er nicht vor Kopfschmerzen aufstöhnte.

Das Gute an der Sache war, dass jegliche sexuelle Erregung sofort erstarb – bis zu der Sekunde, in der sie unfreiwillig den Blick auf ihr entblößtes Hinterteil freigab. HEILIGEMUTTERGOTTES!! Es grenzte schon an auszeichnungswürdige Heldenhaftigkeit, wie er sich mit komisch-verzweifelter Miene wieder abwandte.

‚Bitte, Gott, bitte lass sie nicht nach mir schauen und bitte, lass sie nicht in den unteren Bereich meiner von der Bettdecke bedeckten Anatomie schauen.‘ Oh meine Güte! Die wichtigen Stellen waren doch noch bedeckt oder??

In der Hoffnung, dass sein Kopf ihr genug abgewandt war und sie nicht plötzlich auf die Idee kam, sich über ihn zu beugen, um nachzusehen, ob er auch wirklich schlief, schielte Nick an sich herab und tat dann einen langen, tiefen, erleichterten Atemzug. Gefolgt von vielen weiteren, damit es nicht so auffiel. Verdammt, all der Sauerstoff machte ihn ganz wirr im Kopf. Irgendwo musste eins der Fenster offen sein, denn die Luft in diesem Raum war lange nicht so abgestanden, wie man es nach einer feucht-fröhlichen Nacht voll ... sexual-athletischer Übungen erwartet hätte.

Er konnte förmlich spüren, wie Sexy Blondies Blicke sich in seinen Körper bohrten. Klaaar, er hätte auch nicht ernsthaft angenommen, dass ein hörschadenfreier Mensch bei solchem Krach und Geruckel weiterschlief, doch heeey, er würde das Spiel bestimmt nicht unterbrechen. Wieder unterdrückte er ein aufkommendes Lachen. Himmel, wenn das hier ein Film wäre – sie würden den Comedypreis gewinnen. Auch den MTV-Movie-Award für ‚Best Dramatic Pause‘. Gut so, Nick, gut so. Er würde einfach weiter Filmpreise aufzählen …

Rascheln und eilige Schritte auf dem dünnen Flurteppich sagten ihm, dass jemand das Zimmer verlassen hatte. Er wartete noch ein paar Sekunden, dann öffnete er die Augen – gerade in dem Augenblick, in dem eben dieser Jemand für einen kurzen Moment verharrte. Nick biss die Zähne zusammen und kniff gleichzeitig beinahe panisch die Augen zu, dann biss er sich auf die Zunge, darauf hoffend, dass der leichte Schmerz ihn davor bewahrte, den Lachanfall diesmal durchbrechen zu lassen. Oh mein ... klebte da auf ihrem nur annähernd vom Laken bedeckten Hintern tatsächlich eine Kondomverpackung?

Seine linke Hand krampfte sich in die Bettdecke und er schickte Stoßgebete zum Himmel. Zwei weitere betont entspannte Atemzüge später hörte er endlich eine Tür klappern – ein an Schönheit viel zu unterschätztes Geräusch. Trotz der nun räumlichen Entfernung biss er in die Decke und dämpfte so das erleichterte Lachen und alberne Glucksen, das sich nun Bahn brach. Dann streckte er sich genüsslich, gähnte und rieb mit einer Hand über seinen Körper, weil es an verschiedenen Stellen zu jucken begonnen hatte. Ja, ihm war heiß geworden und selbst die dünnere Sommerdecke war viel zu warm gewesen. Er gähnte noch einmal, lauschte Richtung Tür und kratze sich dann an Brust, Bauch und eine Etage tiefer im Parterre … Was war denn das? Nicks Finger wanderten über sein bestes Stück, das sich so gar nicht anfühlte wie sonst ... uuuuh.

Mit spitzen Fingern zog er das ohnehin schon halb heruntergerutschte Kondom ab. Wieso hing es noch da? Na toll! Das Ende hatte sich sogar drum herumgewickelt… Sein armer Freund! Ob er arg gequetscht worden war? Wie lange war das Hütchentütchen denn drauf gewesen?

Um im Notfall schnell wieder ‚schlafend wie zuvor‘ dazuliegen, riskierte er nur einen kurzen Blick unter die Decke. Zumindest war nichts blau angelaufen, abgefallen oder taub. Er befühlte sein Gemächt dennoch behutsam, zog dann aber schleunigst die Hand zurück, als so ganz andere Gefühle als Besorgnis durch seinen Körper strömten, herangetragen durch noch allzu frische Erinnerungen ... zärtliche Finger, die aufreizend seinen Schaft entlangstrichen ... eine spielerische Zunge, die ihnen folgte, weiche Lippen, die ihn umschlossen, ihn in ihren feuchten, warmen Mund aufnahmen und ihn –

 

„HEIIIIIDIII, HEIIIIIIDIIIII–

UAAAAH! Nick schreckte aus seinem Tagtraum hoch und der heiße Kaffee in der Tasse, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, ergoss sich über seine Finger.

„Fuck!“, fluchte er, stellte die Tasse auf den Tisch, sprang auf, dabei den Kaffee mit schmerzverzerrtem Gesicht von der Hand schüttelnd, und rannte Richtung Eingangstür.

„DEINE WELT SIND – “, musste er noch in voller Lautstärke über sich ergehen lassen, dann riss er die Tür auch schon auf.

Dieser verdammte Liam!! Immer musste er sich an der Klingel zu schaffen machen! Nick hatte eine Mp3-Klingel gehabt, fast bevor sie offiziell auf den Markt gekommen war, und schon kurze Zeit später die Freundlichkeit des Geschenkes stark angezweifelt. Liam hatte verschiedene Klingeltöne einprogrammieren lassen. Hektische Schnellklingler hatten eine stark verlangsamte Version des ‚Imperial March‘ aus Star Wars, Einmaldrücker je nach Drücklänge wahlweise das Simpsons-Intro (was immer noch besser war als die amerikanische Nationalhymne) oder eben neuerdings ‚Heidi‘! Nick hatte zwar daran gedacht, die deutsche Nationalhymne wieder zu löschen, jedoch leider nicht dieses ohrenbetäubende Lied. Wie peinlich!! Wenn Lisa – für die es selbstverständlich gedacht war – das gehört hätte …

Memo an sich selbst: 1) Ton ändern. 2) Liam umbringen. 3) Alibi besorgen. Reihenfolge beliebig.

„Nicolas!“, ertönte eine tadelnde weibliche Stimme und im Türrahmen stand Megan‚ Meggie‘ Eiry. Man sah ihr ihre fünfzig Jahre kaum an. Mit ihrer eher drahtigen Figur, ihrem jugendlichen Kurzhaarschnitt und der körperbetonten, modernen Kleidung, die sie trug, sah sie sehr viel jünger aus, als sie war.

„Was soll ich denn zu so einem Klingelton sagen?!“, fuhr sie fort und schüttelte den Kopf, ein Lächeln auf den Lippen, das ihm sagte, dass sie ihre rügenden Worte nicht ernst meinte.

„Ich bin doch nicht sein Kindergärtner!“, begehrte Nick entrüstet auf.

Meggies Gesichtsausdruck wurde weicher, so wie das einer Mutter, die wieder eines neuen Streichs ihrer geliebten Lausebengel ansichtig wurde. Es brauchte nicht viel Fantasie, um zu wissen, wer dafür verantwortlich war.

„Ihr zwei … und da fragt man sich, wieso Scotch durch meine Adern fließt.“ Sie wedelte sich mit einem schwarzen Fächer Luft zu und stöhnte genervt auf. „Bittest du mich jetzt herein oder muss ich erst zu Staub zerfallen in dieser Hitze?“

Nick schmunzelte über die Anspielung auf alte Vampirklischees und trat zur Seite. „Im Wohnzimmer ist Eistee.“

„Du weißt, ich verkehre eher selten auf Long Island“, gab sie zu bedenken, während sie auf ihren High-Heels an ihm vorbei ins Wohnzimmer stöckelte.

„Wie oft habe ich dir stark alkoholische Getränke am Morgen angeboten?“, gab er zurück. Meggie hatte bereits vor einigen Jahren aufgehört, Scotch als Mahlzeit anzusehen und Nick wäre bestimmt der letzte, der sie wieder in Versuchung führen würde. Wenig trank sie allerdings immer noch nicht.

„Du bist so ernst heute, Nicolas“, seufzte sie und ließ sich auf seinem riesigen Sofa nieder, während er hinüber in den Küchenbereich ging, um ihr ein Glas für den versprochenen Eistee zu holen.

„Wo es doch gar keinen Anlass dazu gibt.“

Sie hatte sich auf der Couch gedreht, um ihn ansehen zu können, und stützte sich jetzt mit einem seltsamen Lächeln auf die weiche Rückenlehne des Polstermöbels.

Nick nahm ein Kühlpad für seine verbrühten Finger aus dem Eisfach, ergriff dann das Glas für Meggie und bewegte sich auf sie zu. „Ich bin nicht ernst, sondern nur …“ Irgendwie fehlte ihm das richtige Wort, um seine Stimmung auf den Punkt zu bringen.

„Angespannt?“, half sie ihm und nahm ihm das Glas ab.

Das passte. Doch das wollte er nicht vor ihr zugeben. „Eher konzentriert“, verbesserte er und setzte sich neben sie, das Kühlpad dabei auf seine schmerzenden Finger legend. Das tat gut!

„Es liegt eine Menge Arbeit an“, setzte er noch erklärend hinzu.

Seltsamerweise wurde Meggies Lächeln nun noch viel strahlender. „Die du unter den neuen Voraussetzungen bestimmt ganz wundervoll bewältigen wirst“, fügte sie an, woraufhin sich seine Brauen sofort misstrauisch aufeinander zu bewegten.

„Nicolas, mein Lieber“, seufzte Meggie nun glücklich und legte ihm eine wohlmanikürte Hand auf den Unterarm. „Wenn ich einen Sohn wie dich hätte, würde ich seine Enterbung sofort rückgängig machen! Vermutlich ist, wenn es einmal so weit ist, ohnehin nicht mehr viel davon übrig, weil mein Leibhaftiger alles für seine zahlreichen Therapien und Entzüge aus mir herausgesogen hat wie den Rauch aus einem seiner widerwärtigen Joints, Crackpfeifchen oder was auch immer gerade unter den Kids angesagt ist.“

Der ‚Leibhaftige‘ war Megans einziges leibliches Kind, ein junger Mann von mittlerweile 24 Jahren, der das Wort ‚Problem‘ zu seinem Lebensmotto gemacht hatte. Sie hatte noch ein paar weitere Kinder aus ihren sechs geschiedenen Ehen – leiden konnte sie davon kein einziges.

„Bevor du dich über den Grund meiner – selbst für mich – geradezu gruseligen Anwandlung von Mütterlichkeit wunderst, möchte ich dir sagen, dass ein kleines Vögelchen namens Liam mir ein wunderbares Liedchen gezwitschert hat.“ Meggie sah Nick nun direkt an und in ihren grünen Augen lag so etwas wie Stolz, während er selbst kaum glauben konnte, was er da hörte. Nun war es soweit – er würde Liam eigenhändig umbringen. Noch heute!

„Nicolas.“ Sie strahlte. „Diese Idee, sie gleich auf der Party anzubaggern … Ich muss sagen, so etwas nennt man doch einen engagierten und mitdenkenden Mitarbeiter! Dabei hast du dich bei unserem letzten Gespräch doch noch geziert wie ein kleines Mädchen, als ich dich darum gebeten habe, ein wenig mit ihr zu flirten.“

‚Ein wenig zu flirten‘ war eine dreiste Untertreibung. Nick konnte sich noch genau an Meggies Worte erinnern …

 

„Hör zu, Nick – du weißt, dass es TFP derzeit rein wirtschaftlich nicht gut geht. Die Gerüchte mehren sich, dass der Konzern sogar verkauft werden muss, wenn wir nicht endlich wieder ein paar Blockbuster landen. Und das hier, diese Filmreihe, kann ein Mega-Blockbuster werden, wenn wir dieses Mal alles richtig machen. Und das werden wir. Alles hängt davon ab, dass diese kleine, störrische Autorin endlich die Verträge unterschreibt. Und dafür muss sie nicht nur das Gefühl bekommen, dass wir alles tun werden, um ihre Wünsche für die kommenden Filme zu erfüllen, sondern sich auch so wohl bei uns fühlen, dass sie nicht bemerkt, wenn kleinere Dinge in Wahrheit nicht ganz so laufen, wie das Prinzesschen sich das wünscht. Sie mag deine Arbeit, Nicolas, und sie ist vernarrt in Liam. Das sind schon mal zwei Vorteile, die wir unbedingt nutzen sollten. Du musst dafür sorgen, dass sie dir absolut vertraut, dass sie dich richtig mag und es liebt, mit dir zusammenzuarbeiten und Zeit mit dir zu verbringen. Kümmere dich um sie, trag sie auf Händen, führ sie aus, flirte mit ihr, tu alles, was sie braucht, um glücklich zu sein und ihren Argwohn uns gegenüber zu verlieren.“ Ihr Blick wanderte seinen Körper hinab und wieder hinauf. „Wenn es nötig sein sollte, schlaf mit ihr – sie soll ja ganz hübsch sein und sie kann dir ganz bestimmt nicht widerstehen.“

 

Nick hatte bei diesen Worten empört nach Luft geschnappt und betont, dass er sich für nichts und niemandem prostituieren würde, und Meggie hatte nur gelacht. Jetzt lachte sie auch – vor Freude.

„Woher wusstest du kleines Genie denn, dass sie dort ist?“, fragte sie mit fröhlich funkelnden Augen. Und Nick musste erst einmal tief durchatmen, um seine Wut über Liam und Meggies Unterstellung in den Griff zu bekommen.

„Ich wusste es nicht, okay?!“, gab er gereizt zurück. „Und das hatte überhaupt nichts – rein gar nichts mit meiner Arbeit für TFP zu tun. Ich wusste nicht, dass sie Lisa George ist.“

Meggie stutzte und blinzelte ihn erstaunt an. „Willst du mir erzählen, dass ihr euch rein zufällig getroffen und miteinander geschlafen habt?“

Er könnte Liam vom Balkon schubsen – dann sah es wie ein Unfall aus. Oder in der Badewanne ertränken. Das konnte man bestimmt auch gut als Unfall tarnen.

„Können wir das Thema bitte wechseln, Meggie?“, bat er sie und schenkte ihr nun Eistee ein, um sie abzulenken. „Lisa und ich sind, im Gegensatz zu dir, der Meinung, dass diese Sache nicht sehr förderlich für unsere Zusammenarbeit ist und wir das Ganze lieber vergessen sollten, um in Zukunft überhaupt zusammenarbeiten zu können.“

„Oh!“, entfuhr es Meggie erstaunt und sie machte nicht gerade den Eindruck, als ob sie begriffen hatte, warum er ein Problem mit dem One-Night-Stand hatte. Ihre nächsten Worte bestätigten seine Vermutung. „Tut mir leid, ich wusste nicht, dass es so schlecht war. Aber die Deutschen sollen ja bekanntlich einen Stock im Hintern haben und sich erst ganz langsam warmlaufen. Vielleicht …“

„Es war nicht schlecht!“, unterbrach Nick sie unwirsch und konnte kaum glauben, dass er seine Chefin so tief in sein Privatleben blicken lassen musste. „Okay? Es fällt uns beiden im Moment bloß nicht so leicht, auf die richtige Art miteinander umzugehen – das ist alles.“

Meggie sah ihn nachdenklich an und nickte dann. „Wenn es gut war, mache ich mir keine Sorgen“, sagte sie und Nick schloss resigniert die Augen. „Und eine leichte Verwirrung bei ihr kann uns allen eigentlich nicht schaden. Du solltest dich allerdings möglichst schnell wieder fangen und dich auf unseren Plan zurückbesinnen.“

„W… welchen Plan?“, gab Nick entnervt zurück.

„Beeinflussen, bezirzen, überzeugen“, zählte Meggie streng auf. „Denk daran, dass du die Hosen in eurer Zusammenarbeit anhaben musst, ohne dass sie sich dessen bewusst wird. Und denk auch daran, dich mit Jasper zusammenzusetzen, um die mit Lisa überarbeiteten Szenen noch einmal zu überarbeiten, sodass wir am Ende auch unsere Version des Drehbuchs haben. Wir brauchen ein Hollywood-Drehbuch – kein europäisches!“

Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Eistee, während Nick erst einmal gar nichts dazu sagen konnte. Sie hatten schon vorher über diesen Plan gesprochen und er hatte ihm schon damals ein übles Gefühl beschert – auch wenn er ihm im Endeffekt zugestimmt hatte. Was tat man nicht alles, um seine Brötchen zu verdienen und die Karriere anzukurbeln? Doch nun, da er Lisa schon ein wenig kannte, wurde das mulmige Gefühl bezüglich dieses Plans richtig unangenehm.

Meggie stellte ihr Glas zurück auf den Couchtisch und musterte Nick kritisch. „Muss ich mir Sorgen um dich machen?“, fragte sie. Das, was aus ihrer Stimme rauszuhören war, war allerdings weniger Sorge als eine sanfte Drohung.

Nick riss sich zusammen und tauschte seinen grüblerischen Gesichtsausdruck mit einem freundlicheren, sehr viel optimistischeren aus. „Nein, Meg“, erwiderte er mit einem charmanten Lächeln. „Es wird schon alles nach Plan laufen.“

„Sehr gut!“, freute sie sich und erhob sich. „Ich muss jetzt zurück ins Studio. Liam sagte, dass er Lisa heute durch das Set führen will. Wie kommt sie dort hin?“

„Ich hol sie gleich ab“, erwiderte Nick und stand ebenfalls auf. Er mochte es nicht, wenn Megan auf ihn hinuntersah. Schon gar nicht nach diesem Gespräch. Es fühlte sich sehr viel besser an, auf sie, mit ihren 1,65 Metern, hinunterzusehen.

„Sehr schön“, sagte sie zufrieden und tätschelte nun auch noch seinen Arm. So schnell konnte man einen Größenunterschied von zwanzig Zentimetern wieder wettmachen.

„Wie schon gesagt – trag sie auf Händen! Dann wird alles gut“, betonte sie noch einmal, während sie schon wieder in Richtung Ausgang stöckelte. „Liam hat mir das auch schon versprochen. Und wenn er das kann, kannst du das schon lange!“

Nick zwang sich zu einem weiteren optimistischen Lächeln, das sofort erstarb, als Meggie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Liam würde gar nicht mehr lange genug leben, um seine Hände für irgendetwas zu benutzen!

 

 

 

 

 

 

5

 

 

 

„Aufstehen, alter Langschläfer!!“

Die laute, für einen frühen Morgen viel zu fröhliche Stimme ihrer Freundin Karen riss Lisa gewaltsam aus ihrem so schönen Traum. Sie war wieder ein Kind gewesen, hatte sich mit ihrem besten Freund nachts auf einem wundervollen Spielplatz vergnügt – mit Schaukeln, Auf-dem-Trampolin-herumspringen, Wippen und … Knutschen?

Sie blinzelte, jetzt nicht nur wegen des hellen Lichts der Sonne, das ihr ins Gesicht fiel, weil Karen die Vorhänge vor dem Fenster weit aufriss, sondern auch wegen ihres Traums. Wenn sie genauer darüber nachdachte, war sie in ihrem Traum gar kein Kind gewesen … und ihr Freund auch nicht.

„Na los! Raus aus den Federn!“

Es wurde unangenehm kühl, als Karen ihr mit einem Ruck die Bettdecke wegzog. Lisa schlang die Arme um ihre Körpermitte und zog die Beine an ihren Körper, etwas ungnädig „Noch zwei Minuten …“ grummelnd. Sie war so gar kein Frühaufsteher.

„Lisa, es ist bereits neun Uhr dreißig!“, mahnte Karen sie nun und das genügte, um sie sofort hochfahren zu lassen.

„Was?!“, stieß sie entsetzt aus und ihr Blick flog hinüber zu dem Wecker, der auf dem Nachtschränkchen neben ihrem Bett stand. Der zeigte allerdings eine ganz andere Uhrzeit. Acht Uhr in der Früh. Noch massig Zeit, um sich für ihren ersten offiziellen Arbeitstag und vor allem den sicherlich sehr aufregenden Setbesuch fertig zu machen.

Auf Karens Gesicht lag ein breites Grinsen, als Lisa sich ihr wieder zuwandte und ihr einen bemüht finsteren Blick zukommen ließ.

„Na ja, du hast gestern gesagt, dass ich dich um acht Uhr aus dem Bett jagen soll“, erklärte ihre Freundin ihr Handeln, „und mir die Erlaubnis erteilt, dafür alle Mittel zu benutzen, die mir angebracht erscheinen.“

Sie hatte Recht. Jetzt konnte Lisa sich auch wieder daran erinnern. Sie war gestern nach dem Treffen mit Liam und Nick nicht zurück ins Hotel gefahren, sondern zu Karen und hatte ihrer Freundin ihr viel zu volles Herz ausgeschüttet. Es hatte ihr gut getan, vor allem, da Karen ihr viele brauchbare Ratschläge gegeben und ihr versichert hatte, dass sie sich bei dem Treffen gut geschlagen und alles richtig gemacht hatte. Selbstverständlich hatte auch sie gelacht. Wer hätte das nicht getan? Dazu war diese ganze Geschichte zu absurd. Und Lisa konnte ihr deswegen auch nicht böse sein. Mittlerweile war es ja so, dass sie sogar selbst anfing zu schmunzeln, wenn sie daran dachte. Nur Karens stetiges Nachbohren bezüglich der Details des One-Night-Stands war etwas nervig, weil Lisa sich nicht daran erinnern wollte. Nicht solange sie noch mit Nick zusammenarbeiten musste! Und das musste ihre so schrecklich neugierige Freundin doch langsam einsehen.

„Was wäre denn der nächste Schritt beim Weckdienst gewesen?“, fragte Lisa, nachdem sie erst einmal herzhaft gegähnt hatte, und streckte sich, um auch ihren müden Gliedern Bescheid zu geben, dass es Zeit war, wieder zu arbeiten.

Karens Grinsen wurde noch breiter. „Im Waschbecken liegt schon ein mit Wasser getränkter Schwamm“, verkündete sie und Lisa glaubte ihr aufs Wort.

Das war auch der Grund, warum sie sich sofort erhob und, immer noch schlaftrunken, hinüber zu dem zum Gästezimmer gehörenden Bad taumelte. Dabei ließ sie Karen nicht aus den Augen.

„Du siehst fast enttäuscht aus“, stellte sie fest und Karen nickte sofort, während sie ihr folgte.

„Das hätte mir solch einen Spaß gemacht!“

Lisa hielt inne, nicht wegen Karens Worten, sondern weil ihre Freundin auf einmal so interessiert auf einen bestimmten Punkt an ihrem Rücken starrte. „Was ist?“

„Och, nichts“, gab Karen mit einem Schmunzeln zurück, doch ihre Mundwinkel zuckten so verräterisch.

Lisa runzelte misstrauisch die Stirn. „Du siehst aber nicht nach ‚nichts’ aus!“

Da war es, das Grinsen, auf das sie gewartet hatte. „Nur ein fetter Knutschfleck zwischen Nacken und Schulterblatt – nichts Weltbewegendes.“

Lisas Augen wurden ganz groß und sie stürmte ins Bad. Sie wandte dem Spiegel den Rücken zu und versuchte über ihre Schulter zu spähen. Karen hatte sie nicht nur aufgezogen. Da war tatsächlich ein nicht gerade kleines Mal ihrer sündigen Nacht auf ihrer hellen Haut zurückgeblieben. Sie würde diesen Nick umbringen!

Karen blieb schmunzelnd im Türrahmen stehen und musterte sie kurz. „Da hat dich wohl jemand markiert. Ich frag mich nur, in welcher Situation er das gemacht hat … oder besser in welcher Position.“

Oh, ja! Lisa konnte sich auf einmal sehr gut daran erinnern, wann und wie der Knutschfleck entstanden war. Sie konnte beinahe wieder seine Hände auf ihrem Körper fühlen, Hände, die sich in ihr Fleisch gruben, ihre Hüften festhielten, um …

Sie schüttelte ihren Kopf, schloss kurz die Augen.

‚Vergiss das ganz schnell wieder, Lisa! Sonst wird es auch heute wieder schwierig, dem Mann ohne knallrote Wangen unter die Augen zu treten.‘

„Du solltest heute auf jeden Fall keinen tiefen Rückenausschnitt tragen“, schlug Karen nun vor, als keine Antwort von Lisa gekommen war.

„Da sind wir uns wohl einig“, seufzte Lisa und wandte sich zu ihr um. „Aber wo wir gerade dabei sind – kannst du mir vielleicht noch einmal ein Kleid oder so borgen? Ich will nicht wieder mit denselben Sachen wie gestern auftauchen.“

„Ich leg dir was raus“, erwiderte Karen nur und trat zurück in das Schlafzimmer. „Nur ein kleiner Rat noch: Check mal, wie viele von diesen netten Liebesbissen du noch an deinem Körper hast. Vielleicht musst du dich dann heute eher in ‘ne Burka hüllen.“

„Ha, ha“, machte Lisa nur und schloss die Tür vor der Nase ihrer gackernden Freundin. Im nächsten Moment hatte sie jedoch schon ihr Nachthemd ausgezogen und stand wieder vor dem Spiegel, ihren Körper gründlichst betrachtend. Man wusste ja nie.

 

Ungefähr eine Stunde später trat Lisa, wundervoll nach Seife und einer zarten Note von Flower by Kenzo duftend und in eines von Karens schönen Sommerkleidern gehüllt, in den Wohn- und Küchenbereich des Lofts, das Karen bewohnte. Sie fühlte sich wie neugeboren und strotzte vor Energie und Tatendrang – vor allem, als ihr auch noch der Duft des leckeren Omeletts in die Nase stieg, das Karen gerade zubereitete. 

„Hmmmm – das riecht ja toll“, kam es ihr erfreut über die Lippen. Karen wandte sich mit der brutzelnden Pfanne zu dem liebevoll gedeckten Tisch um und ließ das Omelette auf den einzigen Teller gleiten, der dort stand.

„Na, dann setz dich und hau rein!“, forderte Karen sie auf.

Lisa kam ihrer Bitte zögerlich nach und runzelte die Stirn, als ihre Freundin die Pfanne wegstellte und sich auf den anderen Platz setzte, vor dem nur eine dampfende Tasse Kaffee stand.

„Isst du nichts?“, fragte sie erstaunt.

Karen deutete ein Kopfschütteln an. „Ich krieg morgens nichts runter. Außerdem esse ich nachher mit den Kollegen aus der Kanzlei zu Mittag.“

Lisa verkniff es sich lieber, sie zweifelnd anzusehen. Sie wollte nicht unhöflich sein, wo Karen sich so rührend um sie kümmerte, seit sie in L.A. war. Aber unterbewusst ärgerte sie sich schon darüber, dass ihre Freundin mal wieder ihren Figur-Tick auslebte und ihr damit nicht zum ersten Mal das Gefühl gab, die reinste Fressmaschine zu sein. Dabei war Lisa nicht etwa dick. Sie selbst hätte sich eher als normalgewichtig bis schlank bezeichnet. Sie war nicht sonderlich groß und besaß Kurven, auf die sie eigentlich recht stolz war. Doch wenn sie mit großen, schlanken Frauen, wie Karen unterwegs war, wurde sie oft zum kleinen Moppel degradiert – der sie definitiv nicht war! Und wenn diese dann wieder einmal nichts aß, während sie reinhaute wie ein Mähdrescher …

„Wann fährst du denn heute zur Arbeit?“, fragte Lisa und griff zu Gabel und Messer, um sich nun doch über das köstlich aussehende Omelette herzumachen.

„Wenn du weg bist“, meinte Karen und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.

Sie sah heute schon wieder aus wie ein Model aus einem Katalog für Geschäftsfrauen-Mode, mit ihrem dunklen hochgesteckten Haar, der eng sitzenden Bluse, die einen großzügigen Blick auf ihr Dekolleté freigab, und dem grauen, kurzen Rock.

„Ich habe Dave darum gebeten, mir ein paar Stunden am Vormittag für dich frei zu geben. Und da ich ohnehin schon so viele Überstunden habe …“

„Ah so“, meinte Lisa und wich schnell dem Blick ihrer Freundin aus, damit sie nicht bemerkte, dass sie sich nicht wirklich darüber freute.

Nick hatte erst vor ein paar Minuten angerufen, als sie noch dabei gewesen war sich umzuziehen (kein gutes Gefühl in Unterwäsche dazustehen, während seine tiefe, sehr angenehme Stimme in ihr Ohr drang) und sich die Adresse von Karens Wohnung durchgeben lassen. Und sie konnte sich nichts Unangenehmeres vorstellen, als draußen in sein Auto zu steigen, während Karen an der Fensterscheibe klebte und das „Prachtexemplar“ von Mann begutachtetet, das es ihrer Freundin „so richtig gut besorgt hatte“. Das waren zumindest gestern ihre Worte gewesen, nachdem sie gemeint hatte, dass sie Nick so gerne mal kennen lernen würde. So im Normalzustand und nicht „total blau, mit seiner Zunge in deinem Hals“.

Lisa konzentrierte sich noch stärker auf das Essen, weil sie genau bemerkte, dass Karen sie kritisch musterte. Ein Happen, zwei … Wie lange würde sie es wohl aushalten? Drei … vier …

„Okay, was genau ist los, Lisa?“ Das war dieser lauernde Ton, den Lisa gar nicht leiden konnte und der dafür sorgte, dass ihr Kopf noch tiefer in Richtung Teller sank. Gleich würde ihre Nase mitessen.

„Hat das was mit dem Telefonat gerade eben zu tun?“

Lisa sah sie nun doch an. „Was für eine Telefonat?“

„Ach, komm schon, ich hab doch dein Handy klingeln gehört!“

„Ach, das“, winkte Lisa ab und wich erneut Karens bohrendem Blick aus. „Das war nichts Wichtiges.“

Wieder verging etwas Zeit, in der ein paar weitere Happen des leckeren Essens in Lisas Mund verschwanden.

„Du wirst gleich abgeholt – hab ich Recht?“, fragte ihre Freundin spitzfindig und Lisa hob nun doch wieder den Kopf, nur um zu sehen, wie Karens Augen ganz groß wurden und sie den Mund vor Staunen öffnete.

„Ist es Liam Chandler?!“

„Nein – nein“, beruhigte Lisa sie sofort. „Es ist Nick. Nick holt mich hier ab.“

„Der One-Night-Stand?“

Lisa verzog gequält das Gesicht. „Kannst du ihn bitte nicht so nennen? Sag doch ‚der Drehbuchautor‘!“

Karen sah etwas unzufrieden mit dieser Bezeichnung aus. „Das klingt aber so nach …“ Sie runzelte angestrengt die Stirn, während sie nach den richtigen Worten suchte. „… nach Nerd mit Hornbrille und schlaffem Körper, der all das, was er selbst nicht sein kann, in die Figuren hineinschreibt, die er sich ausdenkt.“

„Nicht alle Autoren tragen eine Brille und sind völlig untrainiert, Karen“, gab Lisa grummelig zurück. Sie war schließlich auch Autorin und verbrachte viel Zeit an ihrem Computer. Das hieß aber nicht, dass sie keinen Sport trieb.

„Ja, aber kaum einer von denen sieht aus wie der Kerl!“, behauptete ihre Freundin. „Der ist, soweit ich mich erinnern kann, ein richtiger Mann, mit Dreitagebart, diesem Feuer in den Augen und … und Haaren auf der Brust!“

„Woher willst du das denn wissen?“, schmunzelte Lisa.

„Ich meine mich zu erinnern, dass sein Hemd auf der Party vorn nicht ganz zugeknöpft war. Außerdem – manchen Männern sieht man es gleich an, dass sie Haare auf der Brust und den richtigen Schwung im Becken haben.“ Karen grinste breit und wackelte mit den Augenbrauen, während Lisa mal wieder tief seufzte.

„Karen, du … du bist unmöglich!“

„Aber ich hab doch Recht, oder?“, hakte ihre Freundin immer noch breit grinsend nach.

Lisa ergriff ihre Kaffeetasse und wich ihrem Blick aus.

„Ja, er hat Haare auf der Brust“, antwortete sie schließlich doch noch, nachdem sie einen großen Schluck getrunken hatte, und nur weil sie genau wusste, dass Karen so lange bohren würde, bis sie ihr nachgab. Und schon waren die Bilder wieder da …

Braune Haut, die sich über harte Muskeln spannte und dennoch weich und glatt unter ihren Fingern war… ihren Fingern, die gierig über seine Brust glitten, hinunter zu einem straffen Bauch, der sich unter schweren Atemzügen rasch hob und senkte, ihren Lippen entgegenkam… Ihren Lippen, die ebenfalls immer tiefer wanderten, der Linie feiner Haare folgten, die in seiner nun mehr als eng sitzenden Jeans verschwand. Ihre Finger öffneten nacheinander die Knöpfe der Jeans und das Herz schlug ihr bis zum Hals … Normalerweise tat sie diese eine Sache nicht so gern, aber Nick – er war anders, drängte sie nicht dazu und es törnte sie wahnsinnig an, wie heftig er auf ihre Berührungen, ihre Küsse und Liebkosungen reagierte, wie wild sie ihn machen konnte. Es war ja nur ein One-Night-Stand. Sie konnte tun, wonach ihr war. Niemand würde später davon erfahren – zumindest niemand, den sie kannte.

„Ich meinte eher den Schwung des Beckens“, riss Karen sie aus ihren Erinnerungen und Lisa schoss sofort das Blut ins Gesicht.

„Oh, Karen!“, stöhnte sie gequält auf. „Ich kann jetzt nicht darüber reden. Nicht, wenn ich Nick gleich wieder sehe! Ich will das Ganze vergessen!“

Karen sah enttäuscht aus, doch sie riss sich ihr zuliebe zusammen. „Okay – wann genau holt Mr. Sexy-Drehbuchautor dich denn hier ab?“

Lisa sah kurz auf ihre Armbanduhr. „In ungefähr fünfzehn Minuten.“

„Gut, dann haben wir ja noch ein bisschen Zeit, um kurz noch mal durchzusprechen, wie du vor all den Haifischen da draußen aufzutreten hast.“

Lisa nickte sofort und pickte rasch die letzten Reste ihres Omeletts auf, bevor sie Karen, die jetzt wieder in die Rolle der professionellen Anwältin geschlüpft war, aufmerksam ansah.

„Also, wie gehst du mit Nick in Zukunft um?“

„Freundlich-distanziert, höflich, aber bestimmt und ich lass mich auf keinen Fall von ihm oder auch Liam Chandler einlullen.“

„Was ist, wenn du dem Regisseur und den Produzenten vorgestellt wirst?“

„Ich bewahre Ruhe und sage mir, dass sie etwas von mir wollen und nicht umgekehrt. Ich bin bereits erfolgreich und habe es nicht nötig, ihnen zu Kreuze zu kriechen.“

Karen nickte zufrieden. „Was ist, wenn sie dich um bestimmte Gefallen bitten, Versprechen von dir haben wollen?“

„Nicht ohne meine Anwältin!“

„Sehr gut“, lobte selbige sie und ihre braunen Augen funkelten fröhlich. „Wenn du mich fragst, kann heute eigentlich gar nichts mehr schiefgehen. Schon gar nicht so, wie du heute aussiehst.“

Sie lehnte sich mit der Kaffeetasse in ihrem Stuhl zurück und nippte wieder daran, Lisa mit diesem seltsamen Blick musternd, der sie ganz nervös machte.

„Mein Kleid steht dir unheimlich gut – weißt du das?“, sagte sie schließlich und Lisa sah etwas verwirrt an sich hinab.

„Und du hast dich auch recht sorgfältig geschminkt. Deine Augen wirken riesig.“

„Riesig?“, wiederholte Lisa besorgt.

„Auf eine sehr positive Art und Weise. Audrey-Hepburn-like – verstehst du?“

„D… danke.“ Lisas Mundwinkel zuckten zwar, doch ein richtiges Lächeln brachte sie nicht zustande. Ihr Blick war erneut auf ihre Uhr gefallen und ihre Nervosität wuchs nun mit jeder Sekunde, die verstrich. Nick konnte jede Sekunde unten an der Tür klingeln. Und vielleicht war er ja sogar einer von der überpünktlichen Sorte.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, du hast dich für jemand zurechtgemacht, dem du unbedingt gefallen willst“, fuhr Karen fort und Lisa sah sie entrüstet an.

„Hab ich nicht!“, platzte es viel zu empört aus ihr heraus und die Röte, die sofort in ihre Wangen wanderte, strafte ihre Worte Lügen.

„Ist doch nicht schlimm“, beruhigte Karen sie schmunzelnd. „Wie gesagt, den Kerl hätte ich auch nicht von der Bettkante geschubst und ich kann verstehen, dass du ihn gern weiterhin heiß machen willst. Ist doch schmeichelhaft, wenn er dich anstarrt, als würde er dich auf der Stelle mit Haut und Haaren verschlingen wollen. Glaub mir – ich selbst liebe das Gefühl auch.“

„Das … das bezwecke ich aber gar nicht!“

Mein Güte, das Stottern wurde langsam zu einer recht lästigen Angewohnheit!

„Ganz davon abgesehen – wenn der Sex so gut war, warum vögelst du nicht weiter mit ihm?“, fuhr Karen fort, als hätte Lisa soeben gar nichts gesagt. „Das könnte eure Zusammenarbeit sehr entkrampfen.“

Lisa brauchte einen Moment, um diese Bemerkung zu verarbeiten, ohne albern nach Luft zu schnappen.

„Ich dachte, ich soll distanziert sein!“, brachte sie schließlich einigermaßen beherrscht über die Lippen. „Hatten wir das nicht gerade noch einmal abgesprochen?“

„Ja, wenn du mit ihm arbeitest, aber in eurer Freizeit könnt ihr doch machen, was ihr wollt. Ihr müsst das halt streng voneinander trennen!“

„Man kann doch nicht mit jemanden Sex haben und dann bei der Arbeit so tun, als ob nichts gewesen wär!“

„Macht ihr das nicht längst?“

Lisa stieß einen gestressten Laut aus. „Ja, aber nur aus einer Notlage heraus. So etwas kann man doch nicht bewusst tun!“

„Wer sagt das? Gott?“ Karen musste über ihren eigenen Witz lachen und grinste dann Lisa breit an. „In meiner Kanzlei halten sich die wenigsten an solche sinnlosen Regeln. Und hast du mal Rachel zugehört, wie es bei ihr im Krankenhaus abgeht?“

„Das ist doch kein Argument!“

„Ach Lisa, Schatz.“ Ihre Freundin bekam diesen sanften, mitleidigen Blick und rutschte näher an sie heran, um einen Arm um sie zu legen.

„Es ist nur so, dass ich genau merke, wie nervös und verkrampft du bist. Und das tut mir leid. Da will ich dir nicht auch noch mit dem dazwischenfunken, was wir vorher abgesprochen haben. Du bist auch nur ein Mensch. Ich denke, dass es weder dir noch deinen Büchern oder unserem Vorhaben schaden wird, wenn du noch mal Sex mit diesem Nick hast. Soll heißen, wenn dir danach ist, tu es! Ich wär die Letzte, die dir deswegen ins Gewissen redet. Distanziert kannst du danach trotzdem noch sein. Das wird den Kerl sogar anmachen. Männer sind so.“

Lisa wollte erneut protestieren, doch sie kam nicht mehr dazu, weil genau in diesem Augenblick die Türklingel ertönte. Ihr Herz setzte für ein paar Sekunden aus und hämmerte dann los, als hätte es gleich ein paar Stunden verloren. Sie stand ruckartig auf und hätte wahrscheinlich Karen von ihrem Stuhl gerissen, hätte die sie nicht rechtzeitig losgelassen.

„Das ist er!“, stieß sie beinahe atemlos aus und sah sich hektisch nach ihrer Tasche um.

„Könnte aber auch der Postbote sein“, wandte Karen schmunzelnd ein und lief rasch hinüber zur Tür.

Lisa hatte nun endlich ihre Tasche gefunden und folgte der jungen Anwältin mit viel zu weichen Beinen.

„Ja“, meldete diese sich über die Sprechanlage.

„Ähm – hier ist Nick Jordan“, dröhnte ihnen die Stimme, die Lisa auch schon vorhin so aus dem Takt gebracht hatte, blechern durch den Lautsprecher entgegen. „Ich komme, um Lisa George abzuholen.“

„Okay, ich schicke sie runter“, erwiderte Karen und ließ den Knopf der Sprechanlage wieder los. Ihre Brauen wanderten in die Höhe, genauso wie ihre Mundwinkel. „Hast du gehört? Er ‚kommt‘ schon, wenn er dich abholt!“

„Ha-ha“, machte Lisa nur, bemüht nicht zu lachen, und öffnete die Tür. „Das ist nicht gerade sehr hilfreich, um cool und gelassen zu bleiben.“

Ihre Freundin verzog reuig das Gesicht. „Ich weiß, aber es hat sich so wundervoll angeboten.“

Lisa verdrehte schmunzelnd die Augen und wandte sich der Treppe zu.

„Du machst das schon, Süße!“, rief Karen ihr nach, als sie schon den ersten Treppenabsatz erreicht hatte. „Halt die Ohren steif!“

„Und du halt dich vom Fenster fern!“, rief Lisa zurück und meinte das todernst.

 

Natürlich musste sie mit Nick fast zusammenstoßen, als sie aus der Haustür eilte, weil er zu dicht davor wartete und sie ein viel zu hohes Tempo hatte. Er hob gerade rechtzeitig die Hände und packte sie an den Oberarmen, als sie vor Schrecken ins Stolpern geriet und ihm buchstäblich entgegenflog, und sorgte so dafür, dass sie zumindest auf den Beinen blieb. Verfluchte Hackenschuhe!

„Uppsala!“, musste er auch noch ihre Tollpatschigkeit kommentieren und stellte sie zurück auf ihre Füße, bevor er sie wieder losließ, auf ihrer Haut den warmen Druck seiner Hände zurücklassend. Ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen, während er sie flüchtig musterte.

Verdammt – sah der Kerl gut aus! So wunderschöne blaue Augen, deren intensive Farbe auch noch von der gebräunten Haut, dem dunklen Haar und dem marineblauen T-Shirt, das er heute trug, hervorgehoben wurde. Und hatte sie jemals zuvor in ihrem Leben einen Mann getroffen, der mit sinnlicheren Lippen beschenkt worden war? Sie schluckte schwer. Schon wieder diese beweglichen Augenbrauen, die seinem Gesicht nun einen fragenden Ausdruck verliehen.

„Krieg ich keins zurück?“

Sie blinzelte irritiert. „Was zurück?“

„Ein ‚guten Morgen‘?“

Herrje, hatte er schon etwas gesagt? Wie peinlich! Sie stieß ein albernes Lachen aus. „Ja, auf jeden Fall, ich war nur…“

‚… von deinen Augen gefangen?‘ Das konnte sie ja wohl schlecht sagen. Denken Lisa – erst denken, dann sprechen!

„… in Gedanken?“, half er ihr und sie strahlte ihn dankbar an.

„Ja, genau – in Gedanken. An das Buch und den Film und so.“

„Das ist gut“, merkte er lächelnd an. „Das zeigt eine gesunde Arbeitseinstellung – etwas, das wir alle derzeit ganz dringend nötig haben! Wollen wir?“ Er nickte in Richtung seines Wagens, einen Porsche Cabrio, Modell unbekannt – zumindest für Lisa.

„Schickes Auto“, erwiderte sie und lief los, auf den Wagen zu. Interesse für ihr Transportmittel zu heucheln war auf jeden Fall besser, als die ganze Zeit in diese auf sie so hypnotisch wirkenden Augen zu blicken. „Sieht teuer aus.“

Nick zuckte gleichgültig die Schultern und öffnete ihr dann galant die Tür. „Kann sein. Der gehört eigentlich Liam.“

„Oh.“ Sehr einfallsreich Lisa. Toll, wie du das heute wieder mit dem Small-Talk hinbekommst.

Sie sagte lieber nichts mehr und stieg stattdessen in den Wagen ein. Sie konnte jedoch nichts dagegen tun, dass ihre Augen sofort Nick folgten und viel zu interessiert über seine Gestalt wanderten, als er vorn um den Wagen herumlief. Karen hatte schon Recht. Auch Lisa hatte selten einen Mann gesehen, der bei einem vornehmlich sitzenden Job körperlich in einer solchen Topform war. Er war nicht übermäßig muskulös wie diese Bodybuilder-Typen, die sie oft widerwärtig fand, sondern einfach nur … athletisch. Wirklich athletisch. Wie er da so vor dem Auto stand und die Muskulatur seines durchtrainierten Oberkörpers sich durch das doch recht eng anliegende Shirt zeichnete, während er nach oben sah … Nach oben sah?!

„Ist das deine Freundin?“, kam nun auch schon die Frage, die sie nicht hören wollte.

Lisa drehte sich ruckartig auf ihrem Sitz herum und sah ebenfalls hinauf zu dem Stockwerk, in dem sich Karens Wohnung befand. Wie nicht anders zu erwarten, stand ihre Freundin dort, drückte sich fast die Nase am Fenster platt und wagte es nun auch noch, breit zu grinsen und zu winken.

Lisa sah rasch wieder Nick an, der gerade amüsiert zurückwinkte und dann in den Wagen stieg, Karen dabei nicht aus den Augen lassend.

„Ich kenn die nicht“, log Lisa. „Das ist bestimmt nur so eine arme, einsame Frau, die auf irgendeine Weise Anschluss sucht.“

Nick richtete seinen Blick nun doch auf sie und konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.

„Okay“, sagte er mit diesem wissenden Blick und Lisa machte sich lieber daran, sich anzuschnallen.

Sie mussten hier so schnell wie möglich weg, bevor Karen noch auf die Idee kam, das Fenster zu öffnen und etwas Peinliches zu ihnen hinunter zu rufen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Nick sich ebenfalls den Sicherheitsgurt anlegte, lehnte sich zurück und versuchte, sich wieder zu entspannen. Leider startete er nicht sofort den Motor, sondern sah sie wieder an.

„Ich finde das nicht schlimm“, sagte er und zwang sie dazu, sich ihm wieder zuzuwenden, dabei fragend die Brauen hebend.

„Was?“

Er druckste herum. „Na ja, dass sie darüber Bescheid weiß. Über … du weißt schon …“

‚Nicht rot werden, Lisa. Er nimmt das cool, also kannst du das auch.‘ Bloß, was sollte sie dazu schon sagen? Also lächelte sie ihn nur dümmlich an.

„Damit sind wir quitt, oder?“, setzte er hinzu und lachte kurz, doch es klang genauso verkrampft, wie sich ihr Lächeln anfühlte.

Sie nickte und ihre Mundwinkel begannen langsam zu schmerzen. „Ja … und wir könnten dann auch wieder damit anfangen, nicht mehr darüber zu reden“, gab sie zurück und sein Lächeln verschwand sofort, machte einem schuldbewussten Ausdruck auf seinem Gesicht Platz.

„Ja, selbstverständlich …“ Er wandte sich von ihr ab und startete schnell den Motor.

Lisa runzelte die Stirn. Waren seine Wangen tatsächlich etwas röter geworden – oder täuschte sie sich? Dann war sie wenigstens nicht die einzige, der diese Situation etwas unangenehm war. Warum hatte er auch dieses Thema wieder zwischen sie schieben müssen?!

Der Wagen fuhr an und Lisa konzentrierte sich lieber darauf, sich ihre Umgebung anzusehen. Richtig abgelenkt wurde sie dadurch jedoch nicht und die Stille, die sich nun zwischen Nick und sie gelegt hatte, war noch viel unerträglicher, als über den One-Night-Stand zu sprechen. Sie hasste es, sich mit jemandem anzuschweigen.

Nick schien es ähnlich zu gehen, denn er schaltete nun das Radio ein und drehte es auf eine für sie angenehme Lautstärke. Ein rockiges Stück. Sie mochte es. Es war frech, schwungvoll und mitreißend. Und sie kannte es. Über Musik ließ sich doch ganz gut unverfänglich reden und es war Zeit, die peinliche Pause zwischen ihnen aufzuheben. Leider kannte sie weder den Interpreten noch den Titel, was dieses Unterfangen ein wenig erschwerte. Allerdings gab es da dennoch ein Thema, dass sie anschneiden konnte.

„Weißt du, was ich witzig an dem Lied finde?“, begann sie ganz salopp. „Dass nie rauskommt, wen er da geküsst hat.“

Nicks Brauen wanderten aufeinander zu, formten ein großes Fragezeichen auf seinem Gesicht. „Wen er geküsst hat?“, wiederholte er etwas irritiert.

„Na – I was a teenager and I kissed …“, setzte sie zu einer Erklärung an, den vermeintlichen Songtext zitierend, hielt jedoch sofort inne, weil Nicks Lippen sich zu einem breiten Grinsen verzogen und seine hellen Augen amüsiert aufleuchteten.

Anarchist“, verbesserte er. „Das sind Against Me und er singt ‚I was a teenage-anarchist‘.“

Das tat er tatsächlich. Jetzt, wo Nick das sagte, konnte sie es auch ganz deutlich heraushören. Wie peinlich! Und sie wusste wieder nicht, was sie jetzt noch dazu sagen sollte. Dringend merken: Nicht versuchen eine peinliche Pause mit einer noch viel peinlicheren zu überbrücken!

„Du hast es nicht so mit der Richtigkeit von Songtexten, oder?“, grinste ihr Begleiter sie nach ein paar Sekunden der Stille zwischen ihnen an und sie runzelte die Stirn. Cool bleiben – locker bleiben.

„Wieso?“

„Na ja, anarchistI kissed und vorher SubstituteProstitute …“

‚Oh, Gott – frag nicht!‘, schrie eine kleine Stimme in ihrem Kopf auf, doch ihr Mundwerk war mal wieder schneller. „Was meinst du damit?“

Er hielt inne, schüttelte den Kopf, wirkte auf einmal sehr verlegen. „Ach, nichts …“

„Nick!“ Gut, ihre Stimme klang ein bisschen hysterisch, aber das ließ sich jetzt nicht ändern. „Ich will das wissen!“

 Er konzentrierte sich wieder auf den Straßenverkehr und presste die Lippen zusammen, sodass sie schon das Gefühl befiel, dass er ihrem Flehen nicht nachkommen würde, doch dann räusperte er sich.

„Also, da war dieser eine Song, den sie auf der Party gespielt haben …“

Er warf einen zögerlichen Blick auf sie. „I’ll be your substitu-ute …“ stimmte er kurz an.

Sie musste ihn wohl ziemlich verstört ansehen, denn Nick begann nun verunsichert herumzustammeln. „Dein kleiner Tanz auf dem Tisch? Du … erinnerst dich nicht?“

Doch – jetzt tat sie es. Die Erinnerung kam mit einer solchen Wucht, dass Lisa nach Luft schnappen musste: Sie auf einem Tisch, die die Arme und Hüften im Rhythmus der Musik schwingen ließ. Unter ihr laut mitsingende, lachende Männer. Nick in ihrer Mitte mit diesem glasigen, lüsternen Blick, den sie in der Nacht noch oft zu sehen bekommen hatte. Und was grölte sie lauter als jeder andere? „I’ll be your prostituuuute …“

„Jetzt schon!“, brachte Lisa schließlich nur noch im Jammerton heraus, barg ihr Gesicht in ihren Händen und sank mit einem verzweifelten Laut nach vorn, sodass ihre Stirn mit einem dumpfen Rumsen auf der Ablage des Autos aufsetzte. Sie schloss die Augen. Das war gegenwärtig die einzige Methode, das Gefühl zu bekommen, sich in einem Erdloch vergraben zu haben. Wow, sie und diese imaginären Erdlöcher lernten sich allmählich recht gut kennen.

„Das … ähm … weiß ja sonst keiner“, versuchte Nick sie etwas unbeholfen zu trösten. Er wusste ja nicht, dass es schon schlimm genug für sie war, dass er sich erinnerte. Vielleicht sollte sie demnächst besser ein Buch mit dem Titel ‚20 Stufen der Peinlichkeit und wie man sie überwindet, ohne Selbstmord zu begehen‘ schreiben.

„Können wir aufhören darüber zu reden?“, brachte Lisa gedämpft zwischen ihren Fingern hervor.

„Okay.“

Sie hörte, wie er rasch den Musiksender wechselte. Ein Country Song dudelte nun fröhlich vor sich hin.

„Ähm … ich sag dir dann Bescheid, wenn eine Bodenwelle kommt.“

„Hm-hm“, machte Lisa nur. Nur ein paar Sekunden noch – dann war sie bereit, sich dem nächsten Tag voller Blamagen zu stellen. Wenn das weiter so mit ihnen ging, konnte ihre Zusammenarbeit in den nächsten Wochen noch heiter werden!

 

 

 

 

 

 

6

 

 

 

Es tat langsam weh. Seit Nick durch das prunkvolle Eingangstor des riesigen Studiogeländes gefahren war, malträtierte Lisa seinen rechten Arm. Jedes Mal, wenn sie an einem Außenset vorbeifuhren, das ihr bekannt vorkam, knuffte sie ihn aufgeregt und zeigte auf das, was sie sah, wie ein Kind, das zum ersten Mal Disney-World besuchte. Gut – ‚knuffen‘ war vielleicht nicht das richtige Wort. Es war eher ein kurzer Schlag mit der flachen Hand auf seinen Oberarm, aber auf Dauer konnte auch das schmerzhaft werden.

Das Set von ‚Schattenmond‘, auf dem heute gedreht wurde, befand sich leider weiter hinten in dem grüneren Teil des Parks, bei den eigens für Dreharbeiten angelegten Seen und Wäldchen, was bedeutete, dass sie an vielen anderen mehr oder minder bekannten Sets vorbeifahren mussten. Sein Arm würde grün und blau sein, wenn sie endlich angekommen waren. Ein Positives hatte die ganze Sache jedoch: Lisa hatte ihren schlechten Start in den Tag vollkommen vergessen, hatte sich zurück in die lebhafte, fröhliche junge Frau verwandelt, die sie eigentlich war, und der Bann des unangenehmen Schweigens zwischen ihnen war endlich gebrochen.

„Oh mein Gott!“

Nick zuckte schon bei diesem Ausruf vorsorglich zurück, doch dieses Mal war Lisas Staunen so groß, dass sie sich lieber halbwegs aus dem Auto lehnte, anstatt ihn ein weiteres Mal schmerzhaft auf etwas aufmerksam zu machen, das er durch seine regelmäßige Arbeit als Skript-Doktor und seine enge Freundschaft mit Liam eigentlich schon sehr gut kannte.

„Das ist doch das Haus von Abigail Templeton aus ‚Schicksalsschwestern‘!“, stieß sie beinahe andächtig aus. „Ich hab diesen Film so geliebt!“

„Und das Haus aus ‚Der Totengräber“, entwischte es Nick mit einem kleinen Grinsen.

Lisas Kopf flog sofort zu ihm herum. Ihre Augen wurden ganz groß. „Nein!“

„Doch.“ Er nickte, um die Richtigkeit seiner Worte noch einmal zu betonen.

Sie sah wieder das Gebäude an und musste schließlich lachen. „Jetzt, wo du es sagst …“

„Heißt das, du hast den ‚Totengräber‘ gesehen?“, hakte Nick verblüfft nach.

„Auch wenn ich selbst eine Romanreihe geschrieben habe, die eher zum Fantasy Genre zu zählen ist, heißt das nicht, dass ich mich nicht auch für andere Genres interessiere“, erwiderte sie mit einem kleinen Lächeln. „Ich sehe zur Zerstreuung gern mal den einen oder anderen Horrorfilm.“

Er hob anerkennend die Brauen. Das hätte er ihr in der Tat nicht zugetraut.

„Hättest du nicht gedacht, bei dem schwülstigen Kram, den ich schreibe, oder?“, meinte sie, den Kopf stolz erhoben.

„Ich finde das, was du schreibst, nicht schwülstig“, gab er zurück, ohne dabei lügen zu müssen.

Dieses Mal wanderten ihre Brauen ein Stück nach oben. „Ehrlich? Oder sagst du das jetzt nur, damit wir in Zukunft gut zusammenarbeiten können?“

Nick stieß ein leicht verärgertes Lachen aus.

„Gut – ich nehme das jetzt mal nicht persönlich, weil du mich nicht richtig kennst und gewiss schon einigen Speichelleckern begegnet bist, seitdem deine Bücher auf den Bestsellerlisten weit oben stehen“, holte er etwas weiter aus. „Aber glaube mir: Ich bin keiner davon. Wenn mir deine Bücher nicht gefallen würden, hätte ich den Job nicht angenommen. Sie sind stilistisch sehr gut geschrieben und weisen eine Dichte in der Handlung auf, die man nur selten bei anderen Büchern finden kann. Sie sind spannend, witzig, intelligent und besitzen ein gewisses Suchtpotential – selbst für uns Männer. Und das heißt schon was. Du neigst manchmal dazu, etwas zu dramatisch und ab und an auch ein bisschen kitschig zu werden, aber das fällt nicht so ins Gewicht, wenn man das Gesamtwerk betrachtet, und kann leicht überblättert werden.“

Nick holte tief Luft. „Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Ja, ich mag deine Bücher und ich habe mich sehr darauf gefreut, an den Skripts zu arbeiten.“

Lisa sah ihn völlig überwältigt an, konnte für einen Augenblick nichts sagen. „Dann … dann hast du sie alle gelesen?“, kam es ihr schließlich nur sehr leise und hörbar beeindruckt über die Lippen.

Nick zog die Brauen zusammen. „Selbstredend. Wie soll ich sonst daran arbeiten können?“

„Jasper hat nur die beiden Bücher gelesen, an denen er auch gearbeitet hat“, erklärte sie ihr Erstaunen. „Als ich ihn darum bat, doch auch die anderen Teile zu lesen, um die Handlungen der Hauptpersonen besser zu verstehen, meinte er, er müsse sich so etwas Triviales nicht auch noch im Doppelpack antun.“

Ja, das klang ganz nach Jasper, diesem Möchtegernkünstler. Kein Wunder, dass Lisa sich so mit ihm überworfen hatte.

„Ich bin aber nicht Jasper“, erinnerte Nick sie nun schon sehr viel sanfter und seine Verärgerung über Lisas Zweifel an seiner Ehrlichkeit flaute sehr schnell wieder ab.

Ihr Mund verzog sich zu einem süßen Lächeln. „Du weißt gar nicht, wie froh ich darüber bin!“

Nick konnte nicht anders als ihr Lächeln zu erwidern. „Ich kann’s mir vorstellen. Und du wärst wahrscheinlich noch glücklicher darüber, wenn du Jasper so gut kennen würdest wie ich.“

Sie lachte auf diese natürliche, niedliche Art, die man hier bei den Frauen in Hollywood kaum noch finden konnte, und ein kleiner Schauer rann seinen Rücken hinunter. Sie hatte oft so gelacht … in der Nacht, als sie …

„Muss ja ein ganz toller Kerl sein“, grinste sie und ihre Augen hefteten sich auf das nächste Set, an dem sie vorbeifuhren – eines, das sie wohl nicht kannte, denn sie blieb dabei ganz ruhig und gelassen, hielt ihre Hände still in ihrem Schoß.

Aus irgendeinem Grund wanderte Nicks Blick hinüber zum Saum ihres Kleides, das ein Stück zu weit hochgerutscht war und somit recht viel von der hellen Haut ihrer Oberschenkel entblößte. Seidig weich … so fühlten sich diese an. Daran konnte er sich genau erinnern.

Er riss sich schnell von dem verführerischen Anblick los und konzentrierte sich gerade noch rechtzeitig auf die Straße, um in der nächsten Kurve vom Gas zu gehen. Dennoch wurde Lisa zur Seite geworfen und sah ihn erschrocken an.

„Yippie?“, kommentierte er seinen kleinen fahrerischen Ausrutscher mit fragend erhobenen Brauen und einem verlegenen Grinsen.

Lisa lachte erneut, wurde dann aber von dem abgelenkt, was nun direkt vor ihnen lag: Die Kulisse eines alten prunkvollen Herrenhauses, das zum Set von ‚Schattenmond‘ gehörte.

Dieses Mal brachte seine Begleitung keinen Ton heraus. Ihr Mund klappte in andächtigem Staunen auf und ihre Augen weiteten sich. Dass sich an die Vorderseite der Kulisse nur eine schlichte Halle anschloss, die für die Innenaufnahmen genutzt wurde, konnte sie aus ihrem Blickwinkel nicht sehen.

„Das ist … großartig!“, hauchte sie und bekam kaum mit, dass auf dem Set schon viel los war.

Menschen in und ohne Kostüme liefen hin und her, Sachen wurden durch die Gegend geschleppt, bereitgestellt oder sortiert und aus einer Richtung duftete es schon wunderbar nach dem Essen, das der Cateringservice für alle Mitwirkenden vorbereitete. Normalerweise begann ein Drehtag schon zwischen fünf und sechs Uhr in der Früh. Dass sie selbst nicht so früh da sein mussten, lag zum einen daran, dass Meggie Lisa nicht gleich am Anfang so viel Arbeit hatte aufhalsen wollen, und zum anderen, dass sie beide nur gebraucht wurden, wenn es Probleme mit den bereits im Vorfeld von der Autorin erstellten Verbesserungsvorschlägen für die Skripts der Szenen gab, die nachzudrehen waren.

Nick fuhr hinüber zu den anderen in der Nähe der Trailer geparkten Wagen, darunter auch Liams Maserati. Schon als er den Motor ausstellte, nahm er im Rückspiegel wahr, dass eine dunkel gekleidete Person aus einem der Seiteneingänge des Haupthauses auf sie zukam. Aus dem geschmeidigen, coolen Gang zu schließen, konnte das nur Liam sein. Nur dass er bei diesen bereits recht hohen Außentemperaturen einen langen, dunklen Mantel mit rotem Innenfutter trug, irritierte Nick etwas. Wahrscheinlich hatte er sich schon für die nächste Szene, die zu drehen war, umgezogen – oder kam gerade von einer bereits abgedrehten.

Auf Lisa, die gerade aus dem Wagen gestiegen war, machte sein Auftritt mit flatterndem Mantel auf jeden Fall Eindruck. Sie starrte ihn an, als wäre er nicht von dieser Welt, und sog seinen Anblick förmlich in sich auf. Nick war solch auffällige Musterungen einer andersgeschlechtlichen Person sonst nur von seinen männlichen Freunden gewohnt und bedachte seine Begleitung daher mit einem irritierten Stirnrunzeln – das die junge Autorin in ihrer Fixierung auf Liam gar nicht registrierte. Stattdessen kam ihr nur ein einziges eher gehauchtes als gesprochenes Wort über die Lippen: „Devon.“

Liam, der sie nun erreicht hatte, grinste noch breiter und erst in diesem Augenblick fiel Nick auf, dass er auch bereits geschminkt war. Die Haut seines Gesichts wirkte nahezu makellos glatt und rein, seine Augen waren hellblau anstatt braun und sein Haar eher bräunlich als blond. Zudem hatte man seine Wangen abgedunkelt, sodass sich seine Wangenknochen stärker abhoben, und auch die dunklen Schatten unter seinen Augen betonten diese noch mehr. Alles in allem sah er tatsächlich faszinierend anders und wie ein Geschöpf der Nacht aus, das selbst auf Nick nicht ohne Wirkung blieb. Was war das nur immer mit den Vampiren und ihrem natürlichen Sexappeal?!

„Ich sehe klasse aus, oder?“, wandte sich Liam ganz unverblümt an Lisa und drehte sich doch für sie tatsächlich einmal im Kreis. Eitler Gockel.

„Nancy von der Maske hat sich heute besonders viel Mühe gegeben, weil sie wusste, dass du kommst“, fuhr Liam fort, als er seine Modelrunde beendet hatte. „Sie ist ein großer Fan von dir und wird dich bestimmt nachher nach einer Widmung für ihr Buch fragen.“

Lisa blinzelte ein paar Mal, wohl um sich selbst aus ihrer Trance zu reißen, und dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

„Sie ist eine wahre Künstlerin!“, verkündete sie. „Und sie muss meine Bücher genauestens gelesen haben.“

Sie lachte beglückt und trat gleich noch dichter an Liam heran, um sein Gesicht genauer zu inspizieren. „Sie hat sogar an die Koteletten und das Muttermal gedacht! Unglaublich!“

Nick stimmte nonverbal zu. Also hing Lisas Faszination eher mit dem Erscheinen von ‚Devon‘ zusammen als mit dem Liams. Seltsamerweise hob diese Erkenntnis seine Laune ungemein und es fiel ihm gar nicht mehr so schwer, ebenfalls zu lächeln.

„Sie hat mir gesagt, ich soll dir ausrichten, dass, wenn du Lust darauf hast, sie dich gern auch einmal in einen Vampir verwandelt“, sagte Liam jetzt und konnte auch damit noch einmal so richtig bei Lisa punkten.

„Ehrlich?“, stieß sie mit einem kleinen Lachen aus und ihre Augen leuchteten vor Freude auf.

Der Schauspieler nickte. Dann sah er hinüber zur Halle. „Ich habe jetzt ungefähr eine Stunde Pause“, sagte er, als sein Blick wieder zurück zu Lisa gewandert war. „Und das Angebot mit der Setführung steht noch. Hast du Lust?“

„Und wie!“, erwiderte sie begeistert. „Wer hat schon die Chance, von Devon McLarren höchstpersönlich das Set gezeigt zu bekommen?“

Sie sah Nick an, wohl in der Hoffnung, dass er ihre Begeisterung teilte. Er lächelte schnell und hielt enthusiastisch seinen Daumen hoch, während Liams Grinsen nur noch breiter wurde. So richtig Lust, ebenfalls an der Führung teilzunehmen, verspürte er jedoch nicht, wusste er doch ganz genau, dass dies für seinen Freund der perfekte Anlass war, so richtig aufzudrehen und sich in den Vordergrund zu spielen. Es gab viele Seiten an ihm, die Nick sehr mochte – die des Showmenschen gehörte eindeutig nicht dazu.

So war Nick auch gar nicht weiter traurig, als jemand beim Betreten der großen Halle seinen Namen rief und Richie Sanders, der erste Regieassistent, auf ihn zugeeilt kam. Der gestresste Gesichtsausdruck des Mannes verriet Nick, dass es Probleme gab, und er riet Liam und Lisa, schon einmal ohne ihn weiterzugehen. Er würde dann wieder zu ihnen aufschließen.

Als Richie ihn erreicht hatte, musste der junge Mann erst ein paar Mal tief ein- und ausatmen, um überhaupt genug Luft zum Sprechen zu haben. Wahrscheinlich war er schon eine ganze Weile am hin- und herrennen, um das anstehende Problem zu lösen.

„Weißt du, wie ich es hasse, wenn sich erwachsene Männer plötzlich wie Kleinkinder verhalten?“, stieß er mit dieser Verzweiflung in den Augen aus, die Nick sagte, dass das Problem wirklich ernst sein musste.

„Was ist passiert?“, hakte Nick sofort nach.

Richie stieß ein tiefes Seufzen aus und verdrehte entnervt die Augen. „Jasper ist passiert, was sonst?! Mr. Ich-habe-einen-Oscar-gewonnen-und-deswegen-muss-mir-die-Welt-zu-Füßen-liegen hat mal wieder das ganze Team so richtig aufgemischt und sich dann verdrückt.“

„Was war denn Stein des Anstoßes?“, fragte Nick stirnrunzelnd.

Richie reichte ihm das Skript, das er schon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte.

„Wir müssen streng kürzen, weil der Film in seiner Rohfassung eine Überlänge hatte, die weder für das Studio noch für die zukünftigen Zuschauer tragbar ist, es aber gleichzeitig einige Szenen gibt, die noch einmal gedreht oder neu hinzugefügt werden sollen. Aber das ist ja nichts Neues für dich. Das Problem ist, dass eine der Szenen, die nachgedreht werden sollen, eine ist, die Miss George wieder hinzugefügt hat, nachdem Jasper sie aus dem Drehbuch rausgestrichen hatte. Er hat das ohnehin nur schwer verkraften können. Nun hat sich unser Team aber dafür entschieden, stattdessen eine andere Szene, auf die Jasper Wert legt, rauszuschneiden oder zumindest erheblich zu kürzen. Und das konnte der Herr nicht ertragen. Er hat stattdessen begonnen Miss Georges Szene, an der schon Cooper, Pete und Francis sehr viel Gefallen gefunden haben, rigoros zu verstümmeln … Du kannst dir sicherlich vorstellen, was daraufhin bei der Besprechung am Morgen los war. Unsere lieben Schauspieler haben gleich das Weite gesucht – bis auf Liam. Der musste Jasper noch so richtig hochbringen, indem er ihn darum bat, doch den Freund herzuholen, der damals auch schon das Drehbuch zu ‚Schicksalsschwestern‘ für ihn geschrieben hätte. Der würde das Ganze garantiert in den Griff bekommen.“

Nick entwischte ein leises Lachen. Mit ‚Schicksalsschwestern‘ hatte Jasper damals seinen ersten und einzigen Oscar gewonnen und nach den ganzen Flops, die Jasper in den letzten Jahren fabriziert hatte, verbreitete sich langsam das Gerücht, dass er dieses ausgezeichnete Drehbuch gar nicht selbst geschrieben, sondern irgendeinem armen Nobody für viel Geld abgekauft hatte. Vorstellbar war das und auf jeden Fall konnte man Jasper mit diesem Thema so richtig auf die Palme bringen.

„Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie wütend Jasper war“, seufzte Richie. „Er ist abgedampft, hat uns noch zugerufen, dass wir ja schon sehen würden, wie weit wir ohne ihn kämen. Die anderen waren völlig baff und nicht mehr richtig arbeitsfähig und wir haben erstmal eine Pause eingelegt. Cooper hat gesagt, ich soll dich und diese Autorin suchen gehen. Ihr würdet heute hier sein, um euch das Set anzusehen.“

Nick warf einen Blick auf das Skript in seiner Hand und überflog die erste Seite rasch. Es war tatsächlich eine Szene, die Nick für sehr wichtig hielt, von der er aber auch wusste, dass sie sich in dem Roman über eine Menge an Seiten erstreckte und so nicht zu verfilmen war.

Als er die von Lisa noch einmal überarbeitete Drehbuchfassung von Schattenmond vor ein paar Tagen zum ersten Mal in der Hand gehalten hatte, war er überrascht gewesen, wie geschickt sie gerade diese Szene gekürzt und zusammengefasst hatte, ohne ihr etwas an ihrer Dramatik zu nehmen. Dennoch war auch ihm sofort bewusst gewesen, dass sie immer noch zu lang war und sie sich diesbezüglich noch etwas einfallen lassen mussten.

„Die andere Szene, die eventuell rausgelassen werden soll, ist hinten angeheftet“, erklärte Richie und Nick blätterte sofort weiter, bis er besagten Szenenbeginn vor sich hatte. Wie nicht anders zu erwarten eine Actionsequenz. Der Angriff der ‚Garde‘ auf Devons Haus und ein verbaler Schlagabtausch zwischen Devon und Malcolm – leider ebenfalls eine Szene, auf die man auf keinen Fall gänzlich verzichten konnte. Das war allerdings eine verzwickte Situation!

„Warum sagt mir denn keiner, dass ihr schon da seid?!“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter Nick und als er von dem Skript aufsah, hatte Cooper ihn bereits erreicht.

Der junge Regisseur machte einen ebenso aufgewühlten Eindruck wie sein Assistent. Die braunen Locken standen ein wenig von seinem Kopf ab – ein sicheres Zeichen dafür, dass er sich heut schon ein paar Mal die Haare gerauft hatte – und ein dünner Schweißfilm brachte seine Stirn zum Glänzen.

„Ihr kommt gerade rechtzeitig um …“ Er stutzte, sah sich kurz um. „Wo ist sie?“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739327105
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Hollywood Romantic Comedy Chicklit Freundschaft Romantik One-Night-Stand Liebe Komödie Humor

Autoren

  • Ina Linger (Autor:in)

  • Cina Bard (Autor:in)

Ina Linger und Cina Bard sind beide in Berlin geboren und aufgewachsen. Sie schreiben schon seit ihrer Kindheit und seit ihrer Schulzeit auch schon an gemeinsamen Werken. Seit 2011 haben sie drei Romane gemeinsam veröffentlicht.
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Titel: Three Night Stand