Lade Inhalt...

Sehnsucht nach Insel & Mehr

Roman

von Anne Lux (Autor:in)
272 Seiten
Reihe: Liebes-Trilogie, Band 3

Zusammenfassung

+++ Fulminantes Finale der erfolgreichen Liebes-Trilogie +++ Der Traum vom eigenen Café, der zu platzen droht. Eine Beziehung, die nicht ideal läuft. Eine Stieftochter, die engagiert pubertiert, und eine Schwiegermutter, die spontan einzieht. Zwei Jahre nach dem turbulentesten Sommer ihres Lebens steht Stefanie erneut vor großen Herausforderungen! Um den Anstrengungen eine Weile zu entfliehen, entscheidet sie sich für einen Kurzurlaub in Island – die wunderschöne, raue Insel aus Feuer und Eis hat schließlich schon einmal zu einem Happy End für sie beigetragen. Doch dieses Mal kochen nicht nur die Emotionen hoch. Ein Vulkanausbruch sorgt für Chaos und hat Folgen, die Stefanie und alle anderen Reiseteilnehmer noch eine ganze Weile beschäftigten … Ein Roman über Liebe, Selbstzweifel und den Mut, für seine Ziele und Wünsche zu kämpfen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Ende Februar setzten sich von einem Tag auf den anderen wärmere Temperaturen durch. Allgemeine Frühjahrsmüdigkeit legte sich über München, über die Büros, Cafés, Kaufhäuser, Kindergärten, Schulen und Parks. Menschen bestiegen morgens gähnend die U-Bahn, stiegen gähnend die Stufen zur Oberfläche hinauf, begrüßten gähnend die ebenfalls gähnenden Kollegen, fuhren gähnend ihre Computer hoch, standen mittags gähnend in der Kantinenschlange und ein paar Stunden später gähnend in der überfüllten U-Bahn, den Nacken eines gähnenden Mitreisenden vor der Nase, einen Rucksack in den Rücken gepresst.

Stefanie Mertens jedoch spürte nichts von einer saisonbedingten Antriebslosigkeit. Im Gegenteil. Sie war ein Energie-Komet, der unablässig seine Bahnen zog. Ein grinsender Glückskeks auf zwei Beinen, der von morgens bis abends schwungvoll unterwegs war, ein Stern mit optimistischer Leuchtkraft, die ihren Mitmenschen zuweilen unheimlich vorkam. Ihr selbst übrigens ebenfalls. Dabei war ihr Zustand nur logisch und mit drei Wörtern zu beschreiben:

Sie. War. Glücklich.

Okay, nein. Sagen wir: mit vier Wörtern:

Sie. War. Ziemlich. Glücklich.

Ohne abschwächendes Füllwort traute sich Stefanie ihre momentane Gefühlslage nicht beschreiben. Aber sie fühlt sich gut. Ziemlich gut. Und da sie wusste, dass dieser Zustand auch schnell wieder beendet sein konnte (so wollten es die Gesetze, die das Leben schrieb), hatte sie beschlossen, ihn zu genießen.

»Du strahlst schon wieder stärker als ein Atomkraftwerk«, sagte Vanessa, ihre beste Freundin, und zog ihr T-Shirt über der Brust straff. »Ich dagegen sehe aus wie ein alternder Pornostar.«

»Ich finde deinen neuen Vorbau super«, sagte Stefanie und sah Kai, Vanessas Freund, aufmunternd an.

»Ich auch«, sagte er eifrig nickend und schien froh zu sein, dass er das einmal ganz offen sagen durfte, ohne als Busen-fixierter Lüstling abgestempelt zu werden.

Vanessas Baby sollte im Juni auf die Welt kommen. Dann wären zwei Sommer vergangen, seitdem sich Stefanies Leben grundsätzlich verändert hatte: Trennung von Peter, ihrem langjährigen Freund, der mittlerweile mit seiner Freundin Anna ein Kind bekommen hatte. Die Affäre mit Rolo, dann eine Phase, in der sie beim Beziehungsstatus die Option »Es ist kompliziert« gewählt hätte. Zehn Monate Auszeit in Australien, die Rückkehr nach München, das Gründen einer Wohngemeinschaft, die quasi illegal war, weil die Büroräume, in die sie mit ihren Freunden Lola und Gylfi zog, nur gewerblich genutzt werden durften. Die erfolglose Jobsuche, das rasant schwindende Geld, die unangenehme Aufgabe, mit über dreißig ihre Eltern um finanzielle Unterstützung zu bitten, die Schnapsidee, mit Lola und Gylfi ein Café zu gründen, eine wunderbare Reise nach Island. Der Auszug von Lola und Gylfi, die ihr eigenes kleines Liebesnest gefunden hatten.

Ach ja, Moment: Die Schnapsidee war dann doch keine gewesen. Denn sie hatten tatsächlich ein Café eröffnet. Beziehungsweise: Sie würden sehr bald, in wenigen Tagen, eines eröffnen. Rein äußerlich war alles fertig.

In dem Ladenbüro, in das an schönen Tagen Sonnenlicht durch Schaufenster und Glastür flutete, war wochenlang gemessen, eingerichtet, gestrichen und abgeschliffen worden. Gestern hatten sie noch alles blitzblank geputzt und jetzt warteten sie auf den offiziellen Beginn des Cafébetriebs.

Die zwei Räume, die Lola und Gylfi mehrere Monate »inoffiziell« bewohnt hatten, waren frisch geweißelt und nahezu leer. In Lolas ehemaligem Zimmer standen zwei Regale mit Dingen, die nach den Aufrufen in den Stadtteilzeitungen bei ihnen eingetrudelt waren und noch auf ihren Einsatz hofften: Tischdecken und -sets, Teller, Unterteller, Tassen, Kisten mit Besteck, Kerzen, Kerzenhalter, Zuckerdosen, Salz- und Pfefferstreuer, Stoffservietten, zwei Filterkaffeemaschinen, verschiedene Teppiche und Läufer. In zwei Ecken stapelten sich jeweils mehrere Stühle.

»Wir haben so viele Sachen, wir könnten das Café jeden Monat umdekorieren«, sagte Stefanie.

»Es wird alles gut laufen, da bin ich mir sicher«, entgegnete Vanessa.

Als sie sich zum Abschied umarmten und Stefanie den üppigen Busen ihrer Freundin kurz an ihrem spürte, wurde sie für einen Moment melancholisch. Es hatte sich nicht nur in ihrem eigenen Leben viel verändert. Vanessa wurde Mutter. Sie hatte ihre Ansichten zu allem, was mit Beziehung zu tun hatte, im vergangenen Jahr radikal geändert. Aus der überzeugten Single-Frau (oder vielleicht war das »überzeugt« auch immer nur überzeugend gespielt gewesen) war eine schwangere Verlobte geworden, die mit ihrem Freund zusammenwohnte und mit ihm auch für immer zusammenbleiben wollte. Stefanie freute sich für sie. Klar. Aber manchmal, da vermisste sie die Gespräche mit der alten Vanessa, die über ihre wilden One-Night-Stands und kurzen Affären berichtete. Sie waren für Stefanie wie ein Einblick in eine Welt gewesen, die ihr als Frau in einer Langzeitbeziehung faszinierend und fremd erschienen war. In die sie gerne mal hineinblinzelte, in der sie aber nicht sein wollte. Bis sie sich selbst darin befand. Sommer, vorletztes Jahr. Aber das war eine andere Geschichte.

Als sie vor dem Haus stand, atmete sie tief durch. Die Luft fühlte sich weich an, fast samtig, die Sonne schien, und der Himmel war eindeutig mehr blau denn grau. Er war kühl, aber die scharfe Kälte war verschwunden, die München noch bis vor Kurzem im Griff gehabt hatte. Auch wenn er es sicher noch schwer haben würde in den nächsten Wochen, der Frühling würde kommen. Und mit ihm die Aussicht auf einen Sommer, der grandioser sein würde als alle anderen davor. Denn die schönste Änderung, seit sie vor fast zwei Jahren ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, war die Sache mit Rolo. Obwohl es lange Zeit nicht so ausgesehen hatte. Sie waren zusammen und glücklich. Er liebte Stefanie über alles, das spürte sie, und Antonia, seine Tochter, hatte die neue Frau an der Seite ihres Vaters ebenfalls ins Herz geschlossen. Es war manchmal wie im Traum.

Und jetzt das Café. Es war verrückt und mutig und beides war angebracht, wenn man hin und wieder spüren wollte, dass man noch »lebendig« war, dass das »Blut noch in den Adern rauschte«. Das war dick aufgetragen, aber Gylfi hatte gelegentlich einen Hang zu Melodramatik. Gylfi und Lola. Ihre Partners in Crime, was das Café betraf, das süßeste Pärchen Münchens, das auf so verrückte Weise zusammengefunden hatte. Ihr alte Schulfreundin, die so viele Jahre aus ihrem Leben verschwunden war. Und Gylfi, der etwas durchgeknallte, liebenswerte isländische Surflehrer, den sie in Australien kennengelernt und der im letzten Sommer plötzlich vor ihr gestanden hatte. Wie lange das alles her schien. Wie oft alles schwierig gewesen war in den letzten zwei Jahren.

Aber jetzt war alles gut. Ziemlich gut.

Stefanie hüpfte fast die Treppen zur U-Bahn hinunter.

Ich bin gleich da, schrieb sie an Rolo, der eben gefragt hatte, wie der Besuch gewesen sei und wann sie denn endlich käme, er vermisse sie unendlich.

Stefanie lächelte. Sie hatten sich lediglich zwei Stunden nicht gesehen. Sie setzte sich schwungvoll auf einen freien Platz und strahlte so, dass der ältere Herr, der ihr gegenübersaß, unwillkürlich lächelte.

Als die Bahn die Haltestelle verließ und im Tunnel verschwand, verfinsterte sich draußen der Himmel. Die Sonne hatte ihr Bestes gegeben, aber jetzt verschwand sie hinter grauen Wolken, die sich unerbittlich aufgebaut hatten.

Kapitel 2

Gylfi Tryggvarson öffnete den Rollladen ein wenig. Sonnenstrahlen fielen schräg durch die Ritzen in den Raum. Es würde ein schöner Tag werden.

Gylfi schloss die Augen und dachte an Island, an die klare Frühjahrsluft dort, wenn die letzten Schneereste an den baumlosen Hängen schmolzen, an die Rückkehr der Papageientaucher und ihr charakteristisches Schnattern, wenn sie ihre Bruthöhlen in den Klippen bezogen. Je näher die Café-Eröffnung rückte, desto häufiger wanderten seine Gedanken in seine Heimat. Er wusste nicht genau, warum das so war. Ob es ein schlechtes Zeichen war, ein Hinweis darauf, dass er eigentlich woanders sein wollte. Fast acht Monate waren seit seiner Ankunft in München vergangen und er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal eine so lange Zeitspanne am selben Ort verbracht hatte.

Lola bewegte sich im Schlaf und seufzte. Er wandte sich um. Ein Sonnenstrahl fiel direkt auf ihren nackten Rücken, als wolle er Gylfi den Grund zeigen, warum er hier am Fenster einer Wohnung in der Münchner Au stand und bald in etwa zwei Kilometern Luftlinie das Café Reykjavík eröffnen würde. Er betrachtete, wie sich ihre Schultern leicht hoben und senkten, und war gerade im Begriff, hinzugehen und sie zu streicheln, als sein Handy klingelte.

Rasch nahm er es und ging auf den Flur. »Elli?«

Er hörte nur ein Knacken und Rascheln, dann ein heftiges Keuchen.

»Elli, alles in Ordnung bei dir?«

Es gab einen dumpfen Knall, dann wieder ein Knacken.

»Oh, Gylfi«, war dann zu hören.

»Elli, was ist los? Brauchst du Hilfe? Soll ich einen …?«

»Nein, nein.« Ihre Stimme war plötzlich so nah und laut, dass Gylfi das Telefon von sich weghielt. Elli kam mit ihrem neuen Handy offensichtlich noch nicht gut zurecht. »Mir geht es zwar den Umständen entsprechend schlecht, aber ich bin kein Fall für den Notarzt.«

»Was ist denn passiert? Was für Umstände?«

»Könnt ihr schnell vorbeikommen? Steffi habe ich auch schon Bescheid gesagt. Sie und Rolo sind unterwegs.«

Gylfi sah auf seine nackten Beine, die winterblass aus den Boxershorts ragten. »Wir kommen so schnell wie möglich, Elli.«

Ihre Kaffeetassen standen gefüllt, aber unberührt vor ihnen. Stefanie ließ das Papier sinken und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht. Das muss ein Irrtum sein. Ein verfrühter Aprilscherz!«

»Lass mal sehen«, sagte Rolo und nahm ihr das Schreiben ab. »Hmm. Sieht mir nicht nach Scherz aus. Eher ziemlich offiziell.« Er sah verstohlen auf die Uhr. Stefanie wusste, dass er wichtige Termine hatte, und war ihm dankbar, dass er dennoch mitgekommen war.

»Es ist offiziell.« Elli sah ihn streng über den Rand ihrer goldgerahmten Lesebrille an. »Daran gibt es keinen Zweifel.«

Stefanie ließ sich auf einen Stuhl sinken und sah sich um. Die maßgefertigte Holztheke, die dem anfänglichen Provisorium gefolgt war. Dahinter eine blau gestrichene Wand und drei weiße Regale mit Tellern, Tassen, Gläsern. Eine Spüle, die sie nach einigen Schwierigkeiten mit dem Wasseranschluss dort installieren konnten. Vier weiße Tische, die zwar nicht identisch waren, sich nach dem Abbeizen und Streichen aber sehr ähnelten. Neun Holzstühle, alle unterschiedlich in Form und Farbe, aber mit denselben blauen Kissen auf der Sitzfläche. Das wandfüllende Bild mit dem Blick über die Dächer von Reykjavík, aufgenommen von der Aussichtsplattform der Hallgrímskirkja, auf der sie letztes Jahr selbst gestanden war. Das Stäbchenparkett, das sie an einigen Stellen ausgebessert hatten. Ihr Blick wanderte zurück zur Theke. Auf ihr stand der »halbautomatische Profi-Kaffeevollautomat«, den Rolo ihr geschenkt hatte und den sie inzwischen auf den Namen Luigi getauft hatten. So hieß der Kellner in Rolos Lieblingscafé La Stanza, der die Maschine wiederum an Rolo weitervererbt hatte. Luigi sollte das Herzstück in ihrem Café Reykjavík werden. Er war blank geschrubbt und glänzte silbern. Doch Luigi würde ein düsteres Dasein führen, sobald kein Sonnenlicht mehr durch Fenster und Schaufenster drang.

»Herr Jansson weiß doch, dass wir bald eröffnen«, sagte Stefanie. »Wieso will er ausgerechnet jetzt das Haus einrüsten und renovieren?« Sie sah fragend in die Runde.

Rolo hatte sich neben sie gesetzt und ihre Hand genommen. Als ihre Augen auf ihn trafen, wich er ihrem Blick aus. Lola stand am Fenster und starrte hinaus. Gylfi stützte sich mit beiden Händen auf die Theke und schüttelte den Kopf. Elli nahm ihre Brille ab und fuhr sich verstohlen über die Augen.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Stefanie lauter.

Im Raum war es still. Als draußen eine Trambahn vorbeifuhr, schien Lola etwas zu sagen, aber es war nicht zu verstehen.

»Was meinst du, Lola?«, fragte Stefanie, aber irgendetwas an Lolas Haltung verriet ihr bereits, was kommen würde.

Lola wandte sich um. »Was wir machen? Nicht eröffnen, natürlich«, sagte sie. Sie ignorierte Gylfi, der hörbar schnaufte. »Wir brauchen doch kein Café eröffnen, wenn es zwei Wochen später verhängt ist und zur Dunkelkammer wird! Wer setzt sich denn zum Kaffeetrinken in einen finsteren Raum, vor allem, wenn das Wetter jetzt immer besser wird? Ein Stammgast vielleicht, klar, aber wir haben keine Stammgäste! Niemand kennt uns! Und außerdem: Wir haben hier«, sie machte eine ausladende Bewegung mit der Hand, »mehrheitlich mit Möbeln vom Sperrmüll eingerichtet. Klar – es sieht alles ganz putzig aus, aber es wird niemand allein deswegen kommen, um sich die innovative Inneneinrichtung anzusehen.« Sie hob den Zeigefinger, als Gylfi etwas erwidern wollte. »Nein, Moment. Auch draußen können die Menschen nicht sitzen, falls du das anmerken wolltest! Wer trinkt schon gern seinen Kaffee unter Bauplanen und lässt sich regelmäßig Staub in die Tasse rieseln?«

Sie wandte sich wieder um. Eine Weile sagte niemand etwas. Elli begann leise zu schluchzen und verließ den Raum.

Schließlich räusperte sich Gylfi. »Lola, sweetheart, wir müssen einfach mal mit Herrn Jansson reden. Vielleicht ist alles gar nicht so schlimm, wie wir denken, und …«

Lola drehte sich erneut um. »Gylfi, sei nicht naiv«, zischte sie. »Jansson ist ein Vermieter der üblen Sorte, ein ganz unangenehmer Zeitgenosse. Das wissen wir alle. Alles, was ihr mir von ihm erzählt habt, war grauenvoll. Wenn er das Haus einrüsten will, dann macht er das auch. Wieso sollte er dieses Schreiben aus Versehen verschickt haben? Da steht drin, dass eingerüstet wird und nicht, dass er gerade überlegt, es einzurüsten. Es wird passieren. Punktum.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich wieder zum Fenster.

»Ich werde ihn trotzdem heute Abend anrufen«, sagte Stefanie matt. Sie konnte nicht verstehen, dass Herr Jansson ihnen so einen Strich durch die Rechnung machte. Er hatte bei ihrem ersten und bis dato einzigem Treffen zu erkennen gegeben, dass er die Idee mit dem Café gut fand. Hatte er den Eröffnungstermin schlicht vergessen, weil sie danach monatelang nicht mehr mit ihm darüber gesprochen hatten? Oder weil er sich noch um viele andere »Objekte«, wie er es genannt hatte, in München kümmern musste und die Sache mit dem Café einfach untergegangen war?

Es stimmte, was Lola sagte, er war kein sympathischer Mensch. Aber ein Arschloch war er nicht.

»Dieser Jansson ist ein fürchterliches Arschloch!«

Stefanie drehte sich erschrocken um. Elli war zurück in den Raum gekommen. Vor drei Wochen hatten sie alle zusammen ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert, im Bräuhaus im Tal, und ihr zu diesem Anlass ein neues Handy geschenkt, weil ihr altes regelmäßig den Geist aufgab. Denn Elli Holzapfel musste erreichbar sein. Sie war rasch zentraler Bestandteil rund um das Vorhaben Café Reykjavík geworden. Seit zwei Jahrzehnten lebte sie in dem Haus, war etwa halb so lang Witwe und der ungewöhnlichen Wohngemeinschaft nicht von Anfang an, aber sehr rasch zugetan gewesen. Sie und ihre Freundinnen Adele und Bärbel bildeten das Team der »Back-Omis«, die das neue Café mit Kuchen, Torten, Muffins und anderem Gebäck versorgen sollten.

Jetzt stand sie vor ihnen, die runden Backen stark gerötet, die Lesebrille auf die äußerste Nasenspitze gerutscht, und sah sie aus funkelnden Augen an.

»Der Jansson ist ein Arschloch«, wiederholte sie und aus ihrem Mund, dem sonst nie ein hartes Wort entkam, hörte es sich so ungeheuerlich an, dass Stefanie sie verblüfft anstarrte.

»Wieso?«, fragte Gylfi schließlich.

»Ich glaube, er weiß, dass ihr hinter seinem Rücken hier gewohnt habt. Als Wohngemeinschaft in seinen gewerblich vermieteten Räumen. Ohne ihm etwas zu sagen. Diese Renovierungssache ist mit Sicherheit seine Rache dafür.«

»Ich glaube nicht, dass er es weiß«, sagte Stefanie. »Als er hier war, hatten wir doch ein geniales Ablenkmanöver, oder?« Sie sah von Lola und Gylfi und dann wieder zu Elli. »Oder?«

Elli wich ihrem Blick aus, nahm die Brille ab und wischte sich wieder hastig über die Augen.

»Was ist denn, Elli? Weiß du irgendwas, was wir nicht wissen?«

»Ich glaube, dass … Ich fürchte, ich habe … Ach herrje, aber ihr dürft mir nicht böse sein.«

Gylfi ging auf sie zu. »Wie könnten wir dir jemals böse sein, Elli? Nach allem, was du für uns …«

»Ich habe das mit der Wohngemeinschaft verraten.«

Auf halbem Weg blieb Gylfi stehen. »Wie bitte?«

»Ich habe der Frau Pax hier im Haus in einem an sich netten Gespräch mal davon erzählt, dass ihr keine Bürogemeinschaft seid und hier quasi wohnt. Und dass ich viel bei euch bin. Es ist mir so rausgerutscht. Sie hat zwar gelacht, aber grüßt mich seitdem nicht mal mehr. Sie muss es ihm gesagt haben.«

Wieder war es für einige Sekunden totenstill im Raum.

»Und das hat er monatelang für sich behalten, um uns dann umso gewaltiger vor den Karren zu fahren«, sagte Lola tonlos und ohne sich umzudrehen.

»Das muss er uns erst einmal beweisen, dass wir hier privat gewohnt haben!«, sagte Gylfi. »Ich wüsste nicht, woran er das noch erkennen will.«

»Äh …«, begann Stefanie.

»Mach dir keine Sorgen, Elli«, sagte Gylfi, »er kann uns nichts nachweisen.«

»Äh«, wiederholte Stefanie. »Gylfi, ich wohne hier noch.«

»Du bringst all deine privaten Dinge so schnell wie möglich zu Rolo und dann merkt im Handumdrehen niemand mehr, dass hier jemals Menschen gelebt haben.«

»Äh, das werde ich nicht, ich kann nicht einfach …«

Sie sah zu Rolo, der nur mit den Schultern zuckte.

»Leute!« Lola war herumgewirbelt. »Hört auf damit! Das mit dem Café hat sich erledigt. Es war alles für die Katz. Die ganze Zeit und das ganze Geld. Alles umsonst. Wir können die Sachen sofort wieder rausschaffen und …«

Ein Klopfen unterbrach sie. Alle zuckten erschrocken zusammen. Vor der Glastür standen zwei junge Frauen, die eine blond, die andere dunkelhaarig, und winkten. Gylfi ging rasch zur Scheibe, zögerte kurz und öffnete die Tür dann schwungvoll.

»Góðan daginn«, sagte er. »Willkommen im Café Reykjavík

»Habt ihr denn schon auf?«, fragte die Blonde. »Wir waren uns nicht ganz sicher.«

»Wir haben nicht ge…«, begann Lola, aber Gylfi unterbrach sie: »Wir haben quasi inoffiziell geöffnet«, sagte er, ignorierte den funkelnden Blick seiner Freundin und bat die zwei Frauen mit einer Armbewegung herein. »Noch haben wir nicht viel da, aber Kaffee kann ich euch schon anbieten. Bitteschön, setzt euch.«

Verlegen lächelnd traten die Frauen ein, nickten in die Runde und nahmen dann an dem Tisch in der Mitte des Raumes Platz, angestarrt von allen Anwesenden wie zwei Marsmännchen.

»Ähm«, sagte die Dunkelhaarige und schaute verstohlen zu Elli, die sich gerade kräftig schnäuzte. »Also, ich hätte gerne einen Cappuccino.« Sie stieß ihrer Freundin in die Seite. Diese beobachtete gebannt Lola, die jetzt wie ein gefangener Tiger auf und ab lief und leise vor sich hin murmelte.

»Äh, für mich auch.« Die Frau riss sich von dem Anblick los. »Was habt ihr denn für Kuchen?«

Als die ersten Gäste das Café Reykjavík wieder verlassen hatten, ließ sich Gylfi auf den Stuhl neben Stefanie sinken. Lola war bald nach dem Eintreffen der Frauen gegangen, ebenso Elli, die, so sagte sie, noch weitere Rezepte testen wollte. Rolo hatte sich auf den Weg ins Büro gemacht.

»Was meinst du?«, fragte Stefanie nach einer Weile.

Gylfi drehte die Kaffeetasse in seiner Hand. »Ich meine …«, fing er an. »Ich meine, dass man wegen einem Idioten wie Jansson nicht kampflos aufgeben sollte.«

Stefanie nickte. »Das finde ich auch. Er kann uns doch erst einmal nicht einfach auf die Straße setzen, oder?«

»Gut.« Gylfi stand auf. »Schön, dass wir das so schnell geklärt haben.«

»Redest du mit Lola und Elli?«

»Yupp. Und du mit Jansson.«

»Yes

»Und du ziehst so schnell wie möglich hier aus?«

»Jawoll.«

Als es draußen zu dämmern begann, zog Stefanie die Jalousie vor Tür und Schaufenster nach unten. Sie löschte das Licht, setzte sich wieder und horchte in sich hinein, ob da bereits Panik, Frust und Resignation im Anmarsch waren. Verwunderlich wäre es nicht. Das Scheitern des Cafés wäre eine Katastrophe. Sie hatte sich seit Wochen nicht mehr um einen Job gekümmert. Sie lebte von einer monatlichen »Apanage«, wie Rolo die regelmäßige Zahlung ihrer Eltern scherzhaft nannte, und sie hatte ihrem Vater, aber mehr noch ihrer Mutter hoch und heilig versprochen, dass sie die Unterstützung nur für ein paar Monate bräuchte. Bis das Café offen war. Dann würde sie sich mit Lola und Gylfi in Teilzeit darum kümmern und nebenbei etwas »Richtiges« arbeiten. Gylfi hatte seinen Teilzeit-Job im Surferladen Red Potato, Lola arbeitete fünfundzwanzig Stunden in einem Büro für Innenarchitektur.

Nur sie, Stefanie, hatte sich seit vergangenem Herbst ausschließlich um das Café gekümmert. Sie konnte nicht genau sagen, warum. Sie wollte sich einfach nicht wieder verheddern. In einem Strudel aus Stress und Überforderung und überzogenen Erwartungen wie vor zwei Jahren. Sie wollte mehr im Moment leben. Mehr Zeit haben. Blöd nur, dass das fast ausschließlich Lotto-Gewinnern und reichen Erben vorbehalten war.

Sie lauschte erneut.

Es war okay. Noch. Ihr Herz schlug ruhig und gleichmäßig, ihr Atem ging normal.

Rolo hatte mehrmals angeboten, ihr Geld zu leihen, aber das kam für sie nicht infrage, und nicht nur deshalb, weil Rolos Unternehmen gerade nicht gut lief. Vor einigen Jahren hatte er beschlossen, das ehemalige Textilunternehmen seines Vaters zu aktivieren, das in den Achtzigerjahren pleite gegangen war. Nach Schließung der Fabrik lagerten die Maschinen – die Strickmaschinen, Webstühle et cetera – viele Jahre bei einem anderen ehemaligen Textilhersteller in Ansbach, bis Rolo alles in kleinerem Rahmen wieder zum Leben erweckte. Wolf Pack hieß das Label, unter dem er moderne T-Shirts aus hochwertigem Material vertrieb, die auf den alten Webstühlen von damals hergestellt wurden. Es lief gut am Anfang, aber seit einigen Monaten waren die Absätze im Keller. Rolo war viel unterwegs und oft erschöpft. Stefanie hatte ihm manchmal vom Fortgang des Cafés berichtet, aber nicht oft. Wenn sie Zeit zu zweit hatten, dann sprachen sie über etwas anderes. Sie bereute auch schon, dass sie ihm von der Sache mit der Renovierung erzählt und ihn heute mitgenommen hatte, weil es ihn nur beunruhigte. Und weil er sie dann wieder freundlich, aber mit Nachdruck darauf hinweisen würde, sich auch noch einen »richtigen« Job zu suchen. Selbstständig zu sein sei eben schwer, würde er sagen. Nicht das Richtige für jeden. »Ich will einfach, dass du glücklich bist«, würde er sagen. »Dass du keine Sorgen hast.«

Stefanie seufzte und wartete ein paar Momente. Dann nahm sie ihr Handy und wählte die Nummer ihres Vermieters Holger Jansson.

Kapitel 3

»Schmeckt es euch nicht?«, fragte Rolo.

»Doch«, sagte Stefanie, stocherte aber weiter auf ihrem Teller herum.

»Schon«, murmelte Antonia. »Ich hab nur vorher schon was gegessen.«

»Alles klar«, sagte Rolo. »Und du, Steffi?«

»Ich hab mit Jansson telefoniert«, sagte sie hastig und bereute es im selben Augenblick. Sie hatte keine Lust, das Telefonat hier beim Abendessen auszuwälzen.

»Okay, verstehe. Sehr schlimm?«

Stefanie warf einen raschen Blick zu Antonia, bevor sie fortfuhr. »Wie zu erwarten«, sagte sie betont gleichmütig und zuckte mit den Schultern. »Er hatte von unserer WG erfahren, findet es nicht ganz in Ordnung, dass wir in den Büroräumen gewohnt haben, und so weiter und so weiter.«

»Und die Sache mit der Einrüstung?«

»Ja, die kommt. Er meinte, das habe er zeitlich wohl durcheinandergebracht mit der Eröffnung des Cafés.« Sie legte die Gabel zur Seite und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Tat ihm auch leid.«

Das war alles gelogen und sie wusste, dass Rolo sie durchschaute. Aber wenn sie den Wortlaut des Gesprächs wiedergeben würde, wäre es auch mit seinem Appetit vorbei. Und nicht nur heute.

»Wissen Sie, Frau Mertens«, hatte Herr Jansson gesagt und seine Stimme hatte geschnarrt wie bei einem Sprecher aus einem uralten Radio, »ich bin ganz sicher kein Unmensch. Ich lasse über alles mit mir reden. Ich verstehe viel und bin offen. Aber ich lass mich nicht für dumm verkaufen. Und das Schauspiel, das Sie bei meinem Besuch aufgeführt haben, war ein riesengroßes Kasperltheater mit dem einzigen Ziel, mich für dumm zu verkaufen. Da hört dann der Spaß auch bei mir auf. Das mit dem Café hätte ich niemals erlaubt, wenn ich damals gewusst hätte, dass Sie in den Räumen nicht nur arbeiten, sondern auch essen, schlafen und sonst etwas tun. Arbeiten vermutlich am allerwenigsten.«

Das war noch der angenehmere Teil des Monologs, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Minuten gedauert hatte. Stefanie hatte die Augen geschlossen und das Handy etwas von sich weggehalten. Erst als Jansson ihr süffisant »alles, alles erdenklich Gute für die Eröffnung« wünschte, im selben Atemzug von einer »Anzeige« sprach, die wegen des Missbrauchs der gewerblichen Räume bald ins Haus flattern würde, und dann drohte, das Mietverhältnis zu kündigen, hielt sie das Handy wieder an ihr Ohr. Mit ruhiger Stimme teilte sie ihm mit, dass sie nicht wisse, wovon er rede, dass die Räumlichkeiten von Anbeginn ausschließlich geschäftlich genutzt worden und die hinteren Räume auch immer noch Büroräume seien. Dass es sie befremde, dass er der Aussage einer Hausbewohnerin einfach glaube, ohne sie zu überprüfen, dass sie aber von nun an gerne alles ihrem Anwalt übergeben werde. Es gebe keinerlei Grundlage für seine Vorwürfe.

»Und vielen Dank für die Wünsche für das Café«, hatte sie zum Abschluss gesagt. »Es würde uns freuen, wenn Sie zur Eröffnung kämen.«

Rolo fegte ein paar Brotkrumen auf der Tischoberfläche mit der rechten Hand zusammen. »Klingt doch ganz human.«

»Ja, schon okay.« Stefanie rollte hastig Nudeln auf die Gabel. »Muss halt jetzt schnell ausziehen«, fügte sie mit vollem Mund hinzu. »Wird alles.«

Rolo sah zu seiner Tochter. Antonia zupfte an den Spitzen ihrer Haare, die ihr mittlerweile bis fast an die Taille reichten. Als sie den Blick ihres Vaters bemerkte, hielt sie inne und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Stefanie schluckte schnell herunter. »Ich kann sicher vorübergehend zu Lola und Gylfi. Sie sind meine Anwesenheit ja gewohnt.«

»Oder in ein cooles Hotel«, sagte Antonia und widmete sich wieder ihren Haarspitzen.

Rolo holte hörbar Luft. »Naja, da gibt es sicher Alternativen.«

Stefanies Gabel drehte sich in rasantem Tempo um die nächste Portion Nudeln. »Na klar.«

»Papa, ist es okay, wenn ich raufgehe?«, fragte Antonia, und Stefanie war erleichtert, als sie die Schritte der Vierzehnjährigen auf der Treppe in den ersten Stock hörte.

Natürlich hätte es Antonia nicht so gemeint, beteuerte Rolo. Sie sei ein Teenager und manchmal ploppten Worte so unvermutet aus ihrem Mund wie eine Kaugummiblase.

»Für sie ist die Vorstellung, wochenlang in einem Hotel zu wohnen, tatsächlich schlicht cool«, sagte er.

»Ich fände es auch nicht sooo schlecht«, murmelte Stefanie und lächelte schief. »Vor allem, wenn es mir jemand finanziert.«

Rolo nahm ihre Hand. »Süße. Wenn du willst, buche ich dich ein halbes Jahr im Bayerischen Hof ein.« Er küsste ihre Finger. »Aber ich hätte noch eine bessere Lösung: Du ziehst einfach zu mir.«

»Zu euch.«

»Zu uns, ja.«

»Ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass Antonia davon begeistert wäre.«

»Wegen der Bemerkung mit dem Hotel?«

Stefanie zuckte mit den Schultern. »Generell.«

»Sie hat überhaupt nichts dagegen, wenn du einziehst.«

»Und das weißt du, weil …?«

»Weil ich mit ihr darüber gesprochen habe.«

Stefanie sah ihn überrascht an. »Wirklich? Wann?«

»Immer mal wieder.«

»Und sie meinte, es sei okay.«

»Dass es okay sei, waren genau ihre Worte.«

»Also nur okay und nicht supertoll.«

»Stefanie, sie ist ein Teenager, wir beide sind ohnehin furchtbar peinlich, da ist ein Okay das Beste, was wir kriegen können.«

»Okay.«

»Viel wichtiger ist doch etwas ganz anderes.«

Stefanie wich seinem Blick aus, als er die Frage stellte: »Willst du überhaupt zu uns ziehen?«

Stefanie hielt eine Bürste in der linken Hand und drehte sie hin und her. Fasziniert und angeekelt zugleich betrachtete sie die dicken Büschel Haare, die zwischen den Borsten steckten. Waren das nur ihre? Oder auch die von Gylfi? Lola hatte eine eigene Bürste gehabt und sie immer vor ihrem isländischen Mitbewohner mit dem wuscheligen Kopfbewuchs versteckt. Mittlerweile teilten sie sich mit Sicherheit auch die Bürste. Stefanie sah sich um. Das war es. Nur noch Seife, Handtücher, Toilettenpapier, WC-Bürste, Saugglocke, Desinfektionsspray. Früher oder später würden sie noch einen Papiertuchspender an der Wand anbringen, dann würde nichts mehr an ein privates Badezimmer erinnern. Keine Bademäntel mehr an dem Haken an der Wand, keine bunten Plastikbecher mit Zahnbürsten mehr auf dem Spiegelbrett, keine Armada von Shampoo- und Duschgelflaschen auf dem Badewannenrand.

Stefanie trat in den Flur, an dessen Wänden Schwarzweißaufnahmen aus Island und Australien hingen, die im letzten Jahr entstanden waren. Auch hier war alles okay. Als Stefanie in die Küche gehen wollte, klingelte es zweimal. Sie hatte kaum einen Schritt Richtung Tür getan, als es heftig zu klopfen begann.

»Aufmachen!«, rief jemand laut. »Sofort.«

Gleich sagt er noch, dass hier die Polizei ist, dachte Stefanie, die Horst Janssons Stimme sofort erkannt hatte. Kurz war sie zusammengezuckt, dann hatte sie sich gefangen und beschlossen, ihm ruhig entgegenzutreten. Er hatte sich nicht angemeldet, natürlich, er wollte sie »auf frischer Tat ertappen«, aber sie war schneller gewesen.

»Ich komme«, rief sie. Schwungvoll öffnete sie die Tür, bemerkte im selben Moment die Bürste in ihrer linken Hand und versteckte sie rasch hinter dem Rücken. »Herr Jansson«, sagte sie dann. Mehr nicht. Gerade war ihr nicht nach einer Begrüßungsfloskel.

Ihr Vermieter stand dicht vor ihr und hatte die Faust, mit der geklopft hatte, noch in die Luft gereckt. Seine Gesichtsfarbe tendierte zu hummerfarben, was seiner Aufregung oder seinem monatelangen Aufenthalt in Malta geschuldet sein konnte. Auf der Insel verbrachte er traditionell die Wintermonate. Seine wenigen Haare schienen von der inneren Erregung angesteckt und standen wirr vom Kopf ab.

Hinter Jansson wartete ein Herr, der ihm auf den ersten Blick verblüffend ähnlich sah: groß, untersetzte Statur, schütteres Haar, kräftiger Bauch, Anzughose, langer dunkler Mantel. Dennoch unterschied sich der Mann in einer Sache deutlich von Jansson: Seine Augen wirkten freundlich, während die von Jansson jetzt in Klaus-Kinski-Manier an Stefanie vorbei in den Flur schielten.

»Frau Mertens, wir würden gerne kurz mit Ihnen sprechen, wenn es möglich ist«, sagte er. »Das hier ist Ludwig Wildmoser, mein Anwalt. Seit über dreißig Jahren.«

Stefanie nickte Herrn Wildmoser zu, der als Antwort lediglich kurz zwinkerte.

»Dürfen wir hereinkommen?«, fragte Horst Jansson und senkte langsam seine Faust, nachdem Stefanie diese pikiert gemustert hatte.

»Selbstverständlich«, sagte sie. »Wenn Sie nur bitte Ihre Schuhe gut abstreifen würden. Es ist alles frisch geputzt für die Eröffnung.«

Herr Jansson murmelte etwas Unverständliches und rieb seine Schuhe stakkatoartig über die Fußmatte, bevor er eintrat.

»Wollen wir uns in die Küche setzen?«, fragte Stefanie. »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Wasser? Kaffee? Vielleicht einen …«

»Frau Mertens, wir sind nicht zum gemütlichen Kaffeekränzchen gekommen, wie Sie sich sicher denken können. Ich möchte mit Ihnen über die vergangenen Monate sprechen. Könnten Sie uns zuallererst die Räumlichkeiten zeigen?«

Stefanie warf Herrn Wildmoser einen fragenden Blick zu.

»Das wäre sehr nett von Ihnen«, sagte er.

»Natürlich, kein Problem«, sagte sie. »Hier gleich ist das Bad, daneben die Küche. Schauen Sie ruhig hinein.«

Herr Jansson wartete kurz vor der Badezimmertür und öffnete sie dann so schnell, als wolle er darin einen Einbrecher überraschen.

»Willst du auch, Ludwig?«, fragte er, nachdem sein Kopf wieder erschienen war.

Herr Wildmoser winkte ab. »Nein, danke. Sehen wir uns doch gleich den Rest an, Horst.«

Jansson warf einen raschen Blick in die Küche. »Sie wissen schon, dass für eine Teilgastronomie bestimmte Richtlinien bezüglich der Belüftung bestehen. Haben Sie sich darum irgendwie gekümmert?«

»Das wissen wir natürlich«, sagte Stefanie. »In dieser Küche wird nach der Café-Eröffnung nicht mehr gekocht, gebacken und vorbereitet als in jeder deutschen Durchschnittsküche auch. Die allermeisten Kuchen werden in den Küchen unserer externen Bäckerinnen hergestellt und dann hierhergebracht. Wir haben ja auch nur ein Tagescafé mit begrenzten Öffnungszeiten und sehr kleinem Angebot. Soll ich Ihnen die Zulassungen …«

»Nein, lassen Sie mal«, sagte Jansson unwirsch. »Machen wir weiter.«

»Bitte einmal geradeaus durch«, sagte Stefanie und wies mit der Hand nach vorne.

Beide Männer hielten inne und starrten auf die haarige Bürste. Jansson wandte sich mit angewiderter Miene ab und stapfte weiter.

»Haben Sie sich noch ein bisschen zurechtgemacht vor dem hohen Besuch«, sagte Herr Wildmoser leise und zwinkerte erneut. »Kriegen wir schon hin«, fügte er noch eine Spur leiser hinzu.

Stefanie legte die Bürste rasch auf die Kommode im Flur und folgte den beiden in Lolas ehemaliges Zimmer.

»Hier ist quasi unser Lager«, erklärte sie. »Ersatzgeschirr, Ersatzmöbel. Wir haben ja durch einen Aufruf in verschiedenen Stadtteilzeitungen unglaublich viel …«

»Bitte weiter«, unterbrach Herr Jansson sie.

»Das hier soll das Büro werden, in dem wir alle administrativen Aufgaben erledigen, die das Café betreffen«, sagte Stefanie, als sie in ihrem früheren Zimmer standen, das inzwischen vollkommen leer war. »Und hier drüben«, sie ging wieder in den Flur und betrat Gylfis ehemaliges Zimmer, »ist unser jetziges Büro, in dem Frau Brückner und ich unserer selbstständigen Tätigkeit als Texterin beziehungsweise Innenarchitektin nachgehen.« Sie sagte es leichthin und hoffte, dass sie nicht rot geworden war. »Von dem Erfolg des Cafés hängt es ab, ob wir diesen Tätigkeiten weiterhin nachgehen oder das Café räumlich möglicherweise ausbauen. Das ist aber alles Zukunftsmusik«, fügte sie rasch hinzu, als Herr Jansson sich jetzt abrupt zu ihr umdrehte.

»Und in welchem Raum hier haben Sie geschlafen?«, fragte er scharf.

Stefanie tat, als überlege sie. »Geschlafen, hmm. Ich kann mich erinnern, dass ich ein-, zweimal extrem lange gearbeitet und dann auf dem Sofa geschlafen habe, das wir damals noch hatten. Und nicht nach Hause bin, weil es so spät war. Beziehungsweise so früh. Das Sofa stand«, sie wandte sich um und wies auf ihr ehemaliges Zimmer, »in diesem Raum.«

Ludwig Wildmoser räusperte sich. »Frau Mertens, Herr Jansson hatte mich darüber informiert, dass Sie die Gewerberäume in den letzten Monaten privat genutzt haben. Sie wissen, dass das strafbar ist.«

»Das weiß ich natürlich. Ich kann mir aber auch erklären, wie es zu dieser fälschlichen Annahme kam.«

»Da bin ich aber mal gespannt.« Horst Jansson verschränkte die Arme vor der Brust.

»Frau Brückner und ich waren letzten Sommer wirklich viel hier, sehr viel, auch am Wochenende. Wir haben uns beide selbstständig gemacht und es ist nicht einfach, in unseren Branchen Fuß zu fassen als Freiberufler. Noch dazu in München, wo die Konkurrenz so groß ist. Sie sind beide ja auch selbstständig, nicht wahr? Sie haben es längst geschafft, sind längst etabliert, davon sind wir ja noch weit entfernt und …«

Sie stoppte kurz, weil der amüsierte Blick von Ludwig Wildmoser sie irritierte.

»Und … Aber … Aber vielleicht erinnern Sie sich noch an früher, an Ihre Anfangszeit, als …«

»Ich erinnere mich vor allem glasklar an die Aussage von Frau Pax aus dem vierten Stock«, unterbrach Horst Jansson sie. »Sie berichtete mir von einem Gespräch mit Frau Holzapfel aus dem fünften Stock, in dem diese sagte, dass die jungen Leute, damit waren Sie und Frau Brückner gemeint, in dem Büro nicht nur arbeiteten, sondern auch, Zitat, lebten

Und nicht nur Lola und ich, sondern auch Gylfi, dachte Stefanie, den haben wir ja völlig inoffiziell hier reingelassen.

»Und genau auf dieses Missverständnis wollte ich eben zu sprechen kommen«, sagte sie. »Frau Holzapfel hat uns einmal, in der eben beschriebenen sehr intensiven Anfangsphase gefragt, woher wir stammen, wo wir in München wohnen, was wir so in unserer Freizeit gerne machen. Eben Smalltalk unter neuen Nachbarn. Darauf hat Frau Brückner gelacht und gesagt: ‚Freizeit, was ist das? Momentan gibt es nur Arbeit, wir wohnen quasi im Büro.‘ Den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr parat, aber so in etwa war der Satz. Später muss Frau Pax das komplett missverstanden haben, als Elli, also Frau Holzapfel ihr davon erzählt hat.«

Die Mundwinkel von Ludwig Wildmoser zuckten. »Und diese Frau Holzapfel – ist das eine von den Bäckerinnen, von denen Sie eben erzählt haben?«

»Ja, in der Tat. Sozusagen unsere Premium-Back-Omi!«

Wildmoser lachte. »Sehr schön.«

»Können wir bitte bei der Sache bleiben? Hier stimmt doch etwas nicht, das sind doch billige Lügen!«, schnaubte Herr Jansson.

»Horst, soweit ich das überblicke, lag und liegt hier keine Zweckentfremdung der Räume vor.«

»Weil wir zu spät dran sind! Wir hätten einfach vor ein paar Wochen kommen sollen, dann hätte die Sache hier anders ausgeschaut! Ich bin für dumm verkauft worden und wenn ich eines nicht mag, dann es ist es das. Ich bin wirklich kein Unmensch, wirklich nicht, man hätte mit mir über alles reden können, aber wenn ich verarscht werde, zumal über Monate, kenne ich kein Pardon.«

»Ich denke, wir besprechen das gleich in Ruhe bei mir in der Kanzlei, Horst.« Er wandte sich Stefanie zu. »Und Sie hören dann wieder von uns, Frau Mertens.«

Stefanie nickte. »In Ordnung. Ich bringe Sie noch zur Tür.«

»Können wir vorne durch das Café gehen?«, fragte Herr Wildmoser. »Ich würde es mir gerne noch ansehen.«

Jansson schnaubte wieder, sagte aber nichts.

»Natürlich«, sagte Stefanie. »Bitte hier entlang.« Sie öffnete die Tür zum Café und hielt kurz inne. Wie schön der Raum war. Lichtdurchflutet, mit hohen Decken, dem Kronleuchter (gespendet, Epoche: frühes Ikea), dem glänzenden Stäbchenparkett, den weißen runden Tischen mit den Vasen darauf, die bald mit Blumen befüllt würden. Die zwei gelben Ohrensessel im Eck mit kleinem Beistelltisch davor. Der Tresen mit der weiß gestrichenen Holzvertäfelung, darauf die kleine Frischetheke, in der bald die köstlichen Kuchen von Adele, Bärbel und Elli stehen würden. Und natürlich Luigi, der vielversprechend glänzte, neben ihm stapelweise frisch polierte Tassen verschiedener Größen.

Stefanie ging die zwei Stufen in das ehemalige Ladenbüro hinunter und strich im Vorbeigehen über die Lehne eines Stuhls, den sie abgebeizt und neu gestrichen hatten. Was immer in den nächsten Wochen passieren würde, allein mit der Ausstattung des Raums hatten sie etwas geschafft, worauf sie stolz sein konnten.

Sie wandte sich zu den beiden Männern um, die ihr langsam gefolgt waren.

Horst Jansson sah sich nur flüchtig um, ging dann rasch zur Glastür, legte seine Hand auf die Klinke und sah Herrn Wildmoser auffordernd an.

Dieser war stehen geblieben, drehte sich um die eigene Achse und sah dann Stefanie lächelnd an. »Gut gemacht. Gemütlich. Ein schöner heller Raum.«

»Ja, sehr hell«, sagte Stefanie. »Noch.«

»Das mit der Einrüstung des Hauses haben Sie sich selbst eingebrockt, Frau Mertens!«, fuhr Herr Jansson auf. Er hatte die Hand von der Klinke genommen und sein Zeigefinger stach wie in die Luft ein Specht auf Speed. »Sie haben keine Rücksicht darauf genommen, dass diese Räume ausschließlich gewerblich genutzt werden dürfen, warum sollte ich dann Rücksicht auf Ihre Cafépläne nehmen?«

»Vielleicht weil Sie kein Unmensch sind, wie Sie so gerne betonen«, sagte Stefanie kühl. »Aber so müssen Sie sich vermutlich bald neue Untermieter für die Räume suchen, weil ein völlig unbekanntes Café mit Verdunkelung keine Chance hat. Und nachdem so viele Gewerberäume leer stehen in München und es mehr Angebot als Nachfrage gibt, wird das sicher nicht leicht.« Sie winkte ab. »Ist Ihnen aber sowieso egal, Sie haben ja so viele Objekte und brauchen das Geld nicht und …«

Sie spürte, wie Ludwig Wildmoser seine Hand auf ihren Oberarm legte, und hielt inne.

»Frau Mertens, so kommen wir doch nicht weiter. Wie gesagt: Ich bespreche alles mit Herrn Jansson und dann …«

»Ich sag’s gerne noch einmal, auch wenn Sie es nicht hören wollen«, schnarrte Herr Jansson. »Ich bin kein Unmensch, aber wer mich für dumm verkauft, der …«

»Das wissen wir, Horst«, unterbrach ihn Ludwig Wildmoser sanft. Sein Blick fiel auf Luigi. »Wie wäre es denn, wenn wir hier alle zusammen eine Tasse Kaffee trinken? Ist das möglich? Horst?«

Herr Jansson hatte sich mit verschränkten Armen abgewandt und schüttelte leicht den Kopf.

»Frau Mertens?«

Stefanie zuckte mit den Schultern. »Dauert aber ein bisschen, bis die Maschine läuft.«

»Wir haben Zeit. Nicht wahr, Horst?«

Jansson schwieg.

»Komm, gib dir einen Ruck. Soweit ich das sehe, wirst du hier kein Stammgast werden. Also nütze die Chance und probiere zumindest einmal den Kaffee.« Er wandte sich zu Stefanie. »Horst ist ein ausgesprochener Kaffee-Kenner.«

Stefanie lächelte gequält. »Verstehe. Ich mache jetzt die Maschine einfach mal an. Wer dann eine Tasse will, ist herzlich willkommen.«

Eine Viertelstunde später war Stefanie allein im Raum. Sie hatten schweigend Kaffee getrunken, Herr Jansson im Stehen an der Tür, sie an die Theke gelehnt, Ludwig Wildmoser gemütlich im Ohrensessel sitzend und den Geschmack lobend. Immerhin hatte Jansson bei der flüchtigen Verabschiedung noch rasch hervorgepresst, dass er den »Fall« nicht weiter »juristisch verfolgen« werde. Er werde sie auch nicht »auf die Straße setzen«. Klar. Er wollte die Mieteinnahmen und Stefanie hatte vorher nicht gelogen: Gewerbliche Räume zu vermieten, war in München kein Selbstläufer. Jansson hatte schlicht keine Lust, sich um neue Mieter zu kümmern, noch dazu von Malta aus. Er brauchte das Geld nicht, aber er wollte es. Und wenn es von allein kam, warum nicht mitnehmen. (»Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen«, hatte ihre Oma stets gesagt.)

»Wir werden aber bald schließen müssen«, betonte Stefanie noch einmal und in der Hoffnung, Jansson werde das mit der Einrüstung überdenken. »Wenn Sie uns als Mieter behalten wollen, dann sehen Sie von rechtlichen Schritten wegen der angeblichen Zweckentfremdung ab und verhängen Sie das Haus bitte erst später, wenn das Café sich ein wenig etabliert hat. Sonst müssen Sie uns gar nicht auf die Straße setzen, da landen wir einfach dadurch, dass wir die Miete nicht mehr zahlen können.«

»Das ist jetzt leider zu spät und Ihr Problem, Frau Mertens«, hatte Herr Jansson gesagt und war ohne weiteres Wort gegangen.

»Dann werden wir ausziehen«, murmelte Stefanie. »Was will er denn jetzt eigentlich? Uns raushaben oder nicht?«

Herr Wildmoser seufzte. »Horst weiß selbst oft nicht, was er will. Und er kann nicht aus seiner Haut und zugeben, dass er falsch lag mit der Zweckentfremdung.«

Stefanie schwieg. Damit lag Jansson ja nicht falsch. Aber was machte das jetzt noch für einen Unterschied?

Sie beobachtete, wie die beiden Männer ihre Mäntel zuknöpften, und plötzlich sackte ihr Herz in die Kniekehlen. Sie sah den BMW Kombi am Bürgersteig, vollbepackt bis obenhin mit privaten Gegenständen, die bei der Fahrt am Vortag nicht mehr hineingepasst hatten. Auf der Rückbank stapelten sich Kleider, Decken und Bettzeug bis fast an die Decke, auf dem Beifahrersitz stand ein großer Wäschekorb mit lauter Krimskrams, von der Auflaufform bis zur Wärmflasche. Herr Jansson stand mit dem Rücken zu ihr und starrte auf den Wagen. Stefanie hielt den Atem an, als er sich zu Ludwig Wildmoser umdrehte. Sie trat ein wenig zur Seite, lehnte den Kopf an die Scheibe und lauschte. »So ein schöner Wagen! Aber wenn man so dämlich auf der Bordsteinkante parkt, macht man natürlich die Reifen kaputt.« Nach diesen Worten rauschte Herr Jansson ab. Herr Wildmoser blieb noch stehen, trat näher auf das Auto zu, beugte sich etwas nach vorn, wandte sich dann um und sah Stefanie an, bevor er Herrn Jansson folgte. Dieses Mal zwinkerte er nicht.

Stefanie war so aufgeregt, dass sie noch Minuten später mit klopfendem Herzen die Tassen abspülte. Dann zog sie noch einmal die Visitenkarte aus der Hosentasche, die Wildmoser ihr gegeben hatte. Seine Kanzlei befand sich am anderen Ende der Stadt und sie war froh darüber.

Sie nahm die haarige Bürste von der Kommode im Flur, packte sie in ihre Handtasche, verließ das Haus und sah sich noch einmal nach beiden Seiten um, bevor sie die Autotür öffnete.

Sie startete Rolos Wagen, fuhr schwungvoll aus der Parklücke und ihrem Leben in Nymphenburg mit Rolo und Antonia entgegen.

Den Brief, den sie am übernächsten Tag von den Kanzlei Ludwig Wildmoser erhielt, erwähnte sie gegenüber Lola, Gylfi und den Back-Omis mit keinem Wort. Sie verfrachtete ihn ungeöffnet unter einer der Kisten in ihrem Lager und tat dasselbe auch mit dem zweiten Schreiben, das drei Wochen später im Briefkasten lag.

Kapitel 4

Rolo von Wolf sah seiner Tochter nach, die Richtung Gartentor ging, in Jeansjacke und den schwarzen engen Jeans, die an den Knien aufgerissen waren. Ihr Pferdeschwanz wippte hin und her, ihre Schritte waren federnd. Mittlerweile ließ sie die Schultern nicht mehr nach vorne hängen, sondern ging und stand immer sehr aufrecht. Sie war im letzten Jahr über zehn Zentimeter gewachsen und hatte sich anfangs schwergetan mit der Tatsache, dass sie die meisten ihrer Mitschülerinnen (und Mitschüler) um Haupteslänge überragte. Mittlerweile war sie nicht nur in dieser Hinsicht selbstbewusster. Wäre Leonor noch am Leben, sie hätte eine Tochter, die ebenso groß war wie sie selbst.

Sein Blick wanderte zu dem Kirschbaum. Leonor und er hatten ihn zu Antonias Geburt gepflanzt. Fast fünfzehn Jahre war das her. Der Baum trug jeden Sommer Früchte und blühte jeden Frühling üppig. In ein paar Wochen würde das Schauspiel wieder beginnen.

Der siebte Frühling, in dem Leonor nicht bei ihnen war. Der siebte Frühling, in dem er ohne sie die Blüten bewunderte und den Duft einsog.

Er hörte, wie die Dusche im Bad stoppte.

Und der erste Frühling, in dem er mit Stefanie die Blüten bewundern und den Duft einsaugen konnte. Sein Leben war schön gewesen und dann viele Jahre traurig. Einsam. Dunkel. Es war so viel besser geworden in den vergangenen Monaten. Es würde ein gutes Jahr werden. Nicht immer einfach, denn Steffis Einzug würde einiges ändern und auf die Probe stellen. Aber die Einsamkeit würde nicht wiederkehren.

»Ist das Kind weg?«

Er drehte sich um. Sie stand in der Tür, die feuchten Haare verstrubbelt, um den Körper ein Handtuch gewickelt.

»Das Kind ist weg«, sagte er.

»Musst du gleich ins Büro?«

»Nicht sofort. Warum?«

»Darum«, sagte sie und ließ das Handtuch auf den Boden gleiten.

Als Rolo gegangen war, duschte Stefanie erneut, zog sich an und setzte sich mit einem frischen Kaffee und der Zeitung an den Küchentisch. In zwei Stunden war die letzte Team-Sitzung vor der Café-Eröffnung. Eigentlich gab es nichts Entscheidendes mehr zu besprechen, aber es war gut gegen die Aufregung, sich noch einmal zu sehen und zu versichern, das schon alles gut gehen würde am ersten Tag. Und am zweiten, am dritten, am vierten und am fünften. Für die Zeit danach sah es düster aus. Im wahrsten Sinne des Wortes.

»Wir gehen ins Guinness-Buch der Rekorde ein«, hatte Lola gesagt. »Kürzeste Lebensdauer eines Cafés aller Zeiten.«

Gylfi sah das ein wenig anders. »Bauplanen, Einrüstung, alles nicht so schlimm, wenn wir es schaffen, in fünf Tagen die Giesinger davon zu überzeugen, dass wir exzellenten Kaffee, exzellenten Kuchen und exzellenten Service bieten.«

Die Back-Omis Adele, Bärbel und Elli klammerten sich an seinen Optimismus. Sie hatten sich so darauf gefreut, in einem Café mitarbeiten zu können, in ihrem Alter noch einmal »gebraucht« zu werden, etwas mehr unter Menschen zu kommen und vielleicht später durch einen 450-Euro-Job ihre schmalen Renten aufbessern zu können.

Stefanie selbst verbat sich jeden Gedanken an die Zeit ab der Einrüstung. Sie wollte sich nicht damit beschäftigen und überlegen, was sie machen würde, wenn die Sache mit dem Café scheiterte. Sie hatte nie mit den anderen darüber gesprochen, dass sie auf Dauer mehr wollte als Kaffee und Kuchen verkaufen. Dass sie Pläne hatte, die sie vor der Rückkehr in einen »normalen« Beruf bewahren sollten. Sie wollte etwas Eigenes aufziehen, etwas, das Spaß machte und sinnvoll war. Nicht mehr in eine Werbeagentur, einen Verlag oder sonstwohin, wo sie nur ein kleines Rädchen im Getriebe war.

Stefanie seufzte und trank den Kaffee leer. Ihr Blick fiel auf das Foto am Kühlschrank. Antonia, die in die Kamera grinste und ihre große Zahnlücke präsentierte. Rolo, der das Victory-Zeichen hinter ihrem Kopf machte und die Zunge herausstreckte. Die beiden waren ein eingespieltes Team, emotional wie organisatorisch. Stefanie war schon vor ihrem Einzug an einigen Morgen mit aufgestanden, wenn Antonia zur Schule musste. Sich noch einmal gemütlich umzudrehen, während vor ihrer Tür zwei Menschen in den Tag starteten, brachte sie nicht fertig.

Nach dem Aufstehen war sie Zeugin eines vollautomatisierten Ablaufs geworden: Antonia, die verschlafen im Bad verschwand und erst nach einer halben Stunde wieder erschien, optisch deutlich weniger verschlafen, aber immer noch nicht gesprächig. Rolo, der in der Zwischenzeit Kaffee und Kakao gekocht, zwei Pausenbrote mit Käse belegt, den Tisch gedeckt und verschiedene Schachteln mit Frühstückscerealien um Antonias Teller drapiert hatte. Sie aßen fast schweigend, wobei Rolo die Zeitung las und hin und wieder etwas vortrug, von dem er meinte, dass seine Tochter interessieren würde, was ihm aber meistens nur ein langgezogenes »Papaaa« einbrachte.

»Ich dachte, ihr jungen Leute interessiert euch für Elyas M’Barek.«

»Der ist doch voll alt! Fast vierzig.«

»Ach so.«

Nach dem Frühstück verschwand Antonia noch einmal kurz im Bad. Dann ging sie auf den Flur, schnappte sich Rucksack und Jacke und wartete auf Rolo, der zu ihr kam. Er umarmte sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Stefanie hatte die Worte noch nie verstanden, nur den Klang von Rolos Stimme, die sanft und liebevoll war. Es war nicht nur nach dem Frühstück so, sondern fast immer, wenn Antonia das Haus verließ: Rolo nahm sie in den Arm, küsste sie und raunte ihr etwas ins Ohr. Danach lächelte Antonia, egal, wie launisch oder wortkarg sie vorher gewesen war, drückte Rolo ebenfalls einen Kuss auf die Wange und verschwand.

Stefanie hatte nie danach gefragt, was er ihr sagte. Es erschien ihr zu intim. Ein Ritual zwischen Vater und Tochter, das nur den beiden gehörte.

Doch nicht nur beim Frühstück fühlte sich Stefanie zuweilen wie ein Fremdkörper. Es erinnerte sie an ihre erste Wohngemeinschaft in München. Ihre zwei Mitbewohnerinnen hatten schon drei Jahre zusammengelebt, als Stefanie zu ihnen stieß. In den ersten Wochen war sie unsicher gewesen, wie sie sich verhalten sollte, hatte viel Zeit in ihrem Zimmer verbracht, vor allem, wenn die beiden Besuch empfingen. Wenn Stefanie die Wohnung für sich allein hatte, war sie immer froh gewesen. Würde es hier auch so sein? Würde sie sich immer wohler fühlen, wenn Antonia nicht da war?

»Fragen einer Stiefmutter«, hatte Vanessa ihre Überlegungen kommentiert.

»Ich bin nicht ihre Stiefmutter. Ich bin überhaupt nicht ihre Mutter. Ich möchte einfach eine Bezugsperson sein, eine ältere Freundin, der sie vertraut und die ihr mit Tat und Rat zur Seite steht.«

»Und die sie verrät, wenn sie sie beim heimlichen Rauchen hinter dem Haus erwischt.«

»Was hätte ich da machen sollen, ich saß auf der Toilette im Erdgeschoss, es hat zum Fenster hereingestunken, da habe ich halt nachgeschaut.«

»Und es Rolo nicht gesagt.«

»Nein, ich mische mich da nicht ein.«

»Aber er würde es sicher gerne wissen, wenn sie raucht.«

»Ich finde, dann muss er sie selbst erwischen. Ich verpetze sie nicht.«

»Aber du verheimlichst Rolo etwas.«

»Ich bin gar nicht sicher, ob sie es wirklich war. Ich habe ja nur kurz ums Eck geschaut.«

»Die Jugendlichen von heute sind ja auch alle ähnlich gestylt und kaum zu unterscheiden.«

»Genau.«

»Und rauchen gerne in fremden Gärten.«

»Yupp.«

»Verstehe.«

Immerhin waren die Osterferien nicht mehr allzu weit entfernt. Antonia würde zwei Wochen bei der Oma und den fünf Pferden verbringen und sie hätte Rolo für sich allein. Sie hatte nicht vor, mit ihm in dieser Zeit ausschließlich über Antonia zu sprechen, das nun wirklich nicht, aber ein paar Fragen hatte sie schon. Mochte das Mädchen sie wirklich? War es für sie wirklich okay, dass Stefanie hier wohnte? Sollte sie vielleicht einmal nur etwas mit Antonia unternehmen? Zum Shoppen gehen, ins Kino …

»Du machst das alles wunderbar«, würde Rolo wieder sagen. »Sie mag dich wirklich sehr, sehr gern. Aber natürlich braucht es Zeit, bis wir uns an die neue Situation gewöhnt haben. Es ist etwas anderes, zusammen zu wohnen, als sich zu dritt zum Pizzaessen zu treffen oder im Park zum Spazierengehen.«

Stefanie stand auf und stellte die Tasse in die Spüle. Rolo hatte recht. Es brauchte Zeit. Jetzt erst einmal das Café eröffnen. Das würdevoll über die Bühne bringen, wie immer es sich entwickeln mochte. Dann durchatmen. Wenn erst die Osterferien da waren, könnte sie alles mit Rolo in Ruhe besprechen, Antonia, Café und das ganze weitere Leben.

Der erste Anruf an diesem Tag kam von seiner Mutter. Rolo von Wolf sah ihre Nummer auf dem Display und für den Bruchteil einer Sekunde durchzuckte es ihn. Vor Jahren hatte sie ihn an einem Morgen angerufen und ihm den Tod seines Vaters mitgeteilt, danach hatten sie immer nur abends telefoniert. Frühestens mittags.

»Mama?«, sagte er und lauschte auf seinen Herzschlag, der wieder normal ging.

»Rolo, hallo. Störe ich dich gerade oder hast du einen Moment Zeit?«

»Ich habe Zeit.«

»Es geht um die Osterferien.«

Rolo lehnte sich zurück. »Toni freut sich schon darauf.«

Einen Moment war es ruhig in der Leitung. »Das glaube ich nicht«, sagte seine Mutter dann.

»Was meinst du?«

»Ich habe vorgestern mit ihr gechattet und sie meinte, sie würde lieber in München bleiben dieses Jahr, weil ihre beste Freundin auch da ist.«

»Ihr chattet?«

»Über WhatsApp, ja. Kennst du das?«

»Ja, Mama, ich kenne das.« Rolo beugte sich wieder nach vorne. Er hatte die Osterferien herbeigesehnt. Nicht weil Antonia dann weg war, aber weil er dann endlich einmal in Ruhe mit Stefanie über ihre Zukunft hätten reden können. Er hatte es noch nicht über sich gebracht, ihr zu sagen, dass die Sache mit dem Café mit der Einrüstung des Hauses zum Scheitern verurteilt war und sie sich schleunigst nach Alternativen umsehen sollte. Er war von vornherein kein Freund der Idee gewesen, aber mittlerweile erschien sie ihm absurd.

»Rolo, bist du noch dran?«

»Jaja, entschuldige. Okay, sie will nicht kommen. Was meinst du dazu?«

»Ich verstehe das. Sie ist jetzt in einem Alter, in dem Freundinnen einfach interessanter sind als die Omi.« Sie lachte. »Und Freunde sowieso.«

Rolo verbiss es sich, nachzufragen, ob sie etwas wusste von einem bestimmten »Freund«. »Du hättest also nichts dagegen, wenn sie hier bleibt?«, fragte er stattdessen.

»Gar nicht. Ich wollte nur …«

»Ja?«

»Ich wollte fragen, ob es möglich wäre … Also, ich weiß, dass es vielleicht ungünstig ist, jetzt, wo Stefanie eingezogen ist, aber …«

»Jetzt raus damit, Mama!«

»Ich wollte fragen, ob ich dafür euch besuchen könnte in den Osterferien.«

»Natürlich, jederzeit! Was hat das mit Steffi zu tun? Sie freut sich sicher, wenn du kommst.«

»Ich meinte die vollen zwei Wochen.«

»Oh.«

»Siehst du. Nein, es war eine blöde Idee, nein, Rolo.

»Nein, nein, nein! Du kannst gerne kommen. Ich war nur überrascht.«

»Ich würde einfach mal gerne länger Stadtluft schnuppern. Ich fühle mich hier manchmal … etwas von der Kultur abgeschieden, ja. Und wenn Toni jetzt nicht kommen will …«

»Natürlich, Mama! Du kommst! Wie machst du es mit den Pferden?«

»Die Baumanns kümmern sich. Auch um Haus und Garten.«

»Ist doch perfekt.«

»Aber Rolo, wirklich nur, wenn es für euch alle in Ordnung ist. Bitte sprich vorher noch einmal mit deinen Damen.«

»Das muss ich nicht. Ich bin der Hausherr.« Er lachte, aber es war ihm ein wenig unwohl bei seinen Worten. Natürlich müsste er Steffi und Toni eigentlich fragen. Aber da war etwas in der Stimme seiner Mutter, das ihn dazu gebracht hatte, die Entscheidung allein zu treffen. Sie hörte sich traurig und gedämpft an und auf eine Weise »alt«, wie es ihm vorher nie aufgefallen war.

»Sie freuen sich sicher riesig, Mama«, sagte er. »Und ich mich erst. Wir werden uns alle zusammen zwei richtig schöne Wochen machen!«

Kapitel 5

Am siebten Tag verdunkelten sich Raum und Stimmung. Stefanie lehnte an der Theke und schaute durch die Scheibe auf die Plane, die das Haus seit einigen Stunden verhängte. Sie war von einem schmutzigen Gelb und bewegte sich leicht, wenn der Frühlingswind sie berührte.

Ansonsten bewegte sich nichts mehr.

Der Eröffnungstag vor einer Woche erschien Stefanie wie ein ferner Traum. Ein bunter ferner Traum. Sie hatten Luftballons rund um das Schaufenster, die Eingangstür und überall im Raum befestigt, blaue, weiße, rote, die Farben der isländischen Flagge. Zu jeder verkauften Tasse Kaffee gab es ein Stück Kuchen umsonst, das war ihr Eröffnungsangebot, und dazu gab es Gylfi, der in regelmäßigen Abständen zur Gitarre griff und Lieder aus seiner Heimat sang. Schief, aber engagiert. Der Besucherstrom war bis zum Abend gut, nicht reißend, aber beständig. Und es kamen nicht nur Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Kollegen, sondern auch Fremde, Menschen aus dem Viertel, die von den Flyern, Plakaten und Anzeigen in den Stadteilzeitschriften, über Facebook und über die neue Website des Cafés von der Eröffnung erfahren hatten.

Die Besucher genossen den Kaffee, isländische Zimtschnecken (snúður), isländische Kokospralinen (kókoskúlur), isländischen Schokoladenkuchen (skúffukaka), isländische Quarktorte (skyr-Torte) und isländischen Mandelkuchen (möndlukaka). Sie aßen andächtig und lobten ausschweifend, versprachen, bald wiederzukommen, und wurden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr gesehen.

Am Tag nach der Eröffnung kamen nur noch sechs Gäste in sechs Stunden, danach schwankte die Zahl zwischen drei und fünf. Heute, am Tag sieben nach der Eröffnung, hatte bis kurz vor Schließung außer dem DHL-Boten keiner das Café Reykjavík betreten.

Stefanie wandte sich um, weil es in ihrem Rücken leise klimperte. Adele stand hinter der Theke und wischte zum gefühlt zwanzigsten Mal über Luigi, der in seinem arbeitslosen Dasein zumindest einwandfrei glänzen sollte. An ihrem Handgelenk klirrten mehrere goldene Armreifen.

Es war Adeles Premiere als Bedienung, und obwohl die anderen sie bereits vorgewarnt hatten, war sie doch enttäuscht über die ausbleibenden Gäste. In der ersten Stunde hatte sie sich in ihrer tiefen Reibeisenstimme darüber beschwert, dass die Menschen Qualität nicht mehr zu schätzen wüssten, dass sie ihre Backwaren lieber in einem Discounter kaufen würden anstatt in einem kleinen Café, wo es hochwertiges Selbstgemachtes gab. Auf Stefanies zaghaften Einwand, dass ihr Café von außen hin nun nicht besonders einladend wirkte, hatte sie nur geschnaubt. Später war sie in immer kürzeren Abständen nach draußen zum Rauchen gegangen, und Stefanie hatte jedes Mal befürchtet, sie käme nicht mehr wieder. Aber sie kam, immer stärker hustend, und polierte dann Luigi noch energischer. »Wie langsam Minuten vergehen, wenn man nichts zu tun hat«, murmelte sie.

Stefanie seufzte und warf einen Blick auf die Wanduhr. Noch eine Stunde. Dann würde der erste Tag ohne einen Cent Umsatz vorbei sein. Und das eine Woche nach der Eröffnung. Sie überlegte, Rolo anzurufen, damit die Zeit ein wenig schneller vorbeiging und weil sie das Bedürfnis hatte, mit jemandem zu sprechen. Sie entschied sich dagegen, weil der Streit von gestern Abend mehr nachwirkte, als sie sich anfangs eingestehen wollte. Es ärgerte sie nicht nur, dass die Osterferien nun komplett anders aussehen würden als geplant. Schlimmer fand Stefanie, dass Rolo alle Entscheidungen ohne sie getroffen und sie am Ende lediglich mit den Ergebnissen konfrontiert hatte: Antonia würde nicht wie in den Jahren davor die Ferien bei ihrer Großmutter verbringen, sondern zu Hause bleiben. Dafür würde Rolos Mutter sie zwei Wochen besuchen. Und natürlich würde man einiges zu viert unternehmen. Natürlich.

»Meine Mutter ist seit dem Tod meines Vaters oft einsam«, hatte Rolo gesagt. »Auch wenn sie das niemals zugeben würde. Sie hat neben ihrer Freundin Else und den Baumanns von nebenan kaum Kontakte und kommt nicht sehr häufig unter Leute.«

Was hätte sie darauf erwidern sollen?

Sie ließ ihren Blick über die leeren Tische und Stühle gleiten und schnaubte wie zuvor Adele. Apropos. Sie wandte sich um, weil kein Klimpern und kein Schrubben mehr hinter der Theke zu hören waren.

Als sie Adele sah, hielt sie erschrocken inne. Adele starrte gebannt an ihr vorbei, das Poliertuch in der unbewegten Hand. Die Armreifen waren verstummt.

»Hey, was ist?«, fragte Stefanie leise.

Als sie keine Antwort erhielt, drehte sie sich langsam wieder um. Ein älterer Herr hatte das Café betreten, mit schlohweißem, aber dichtem Haar. Er trug schwarze Jeans, die seine langen, schlanken Beine betonten, ein weißes Hemd und ein kariertes Jackett darüber. Unter seinen dichten Brauen, die noch mehr grau als weiß waren, wanderten zwei blaue Augen hastig hin und her. Vermutlich fürchtete er sich, weil zwei Frauen, eine junge und eine alte, ihn anstarrten wie zwei ausgehungerte Gottesanbeterinnen, die sich gleich auf ihn stürzen und ihn dann verspeisen würden.

»Hallo, kommen Sie ruhig näher«, sagte Stefanie schnell. »Wir haben geöffnet.«

Der Mann zwinkerte hastig, dann griff er in seine Umhängetasche und beförderte ein Buch heraus, das Stefanie sofort als München-Reiseführer erkannte.

Oh nein, dachte sie.

»Ich … ich wollte Sie nicht stören«, begann der Mann, »aber ich … ich wollte Sie fragen, wie ich von hier aus am schnellsten zum Deutschen Museum komme.«

Shit, dachte Stefanie. Sie hörte, wie Adeles Armreifen erneut heftig klapperten und das Poliertuch wieder energisch über Luigi glitt.

»Ähm«, sagte sie. »Wollen Sie zu Fuß gehen oder lieber fahren?«

»Am liebsten natürlich zu Fuß, wenn das nicht zu weit ist.«

»Es sind circa fünfundzwanzig Minuten Fußmarsch, aber wenn Sie …«

»Aber wenn Sie sich vorher mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen stärken, dann schaffen Sie das problemlos«, kam es von Adele. »Setzen Sie sich.«

Wie jeder, der Adeles Stimme zum ersten Mal hörte, war auch der Herr zusammengezuckt. Stefanie schloss kurz die Augen. Erst wurde der Arme von den zwei seltsamen Frauen niedergestarrt, dann sprach die eine auch noch wie ein übel gelaunter General nach einer durchzechten Nacht und befahl ihm, hier zu bleiben.

»Das … das ist sehr … das ist sehr nett«, stammelte er, »aber ich habe spät zu Mittag gegessen und noch gar keinen …«

»Dann brauchen Sie zumindest einen Espresso«, fuhr Adele unbeirrt fort. »Zur Verdauung. Jetzt nehmen Sie doch Platz!«

Der Mann ließ sich verdattert auf den Stuhl gleiten, der ihm am nächsten stand. Adele servierte ihm einen Espresso und ging dabei wie immer aufrecht, die Füße leicht nach außen gedreht, den Kopf kerzengerade, der Gang einer ehemaligen Ballerina. Ihre goldenen Armreifen klapperten wild durcheinander.

»Lassen Sie mich schauen, ob wir hinten im Kühlschrank noch Mandelkuchen haben«, sagte sie. »Sobald der Espresso Platz gemacht hat, müssen Sie den versuchen.«

Als sie den Raum verlassen hatte, hing der Duft ihres Parfüms noch schwer in der Luft.

»Imposant«, sagte der Mann. »Ist diese aparte Erscheinung die Chefin hier?«

Stefanie musste lachen. »Adele? Ja. Sie ist die Chefin. Hier und eigentlich überall, wo sie auftritt.«

»Adele …«, sagte der Mann abwesend. »Die Vornehme. Die Edle

In diesem Moment kam Adele zurück. Der Mann starrte auf sie, auf ihren strengen Dutt, der hoch am Hinterkopf saß, das edle blaue Seidentuch, das sie sich um den Hals geschlungen hatte, die langgliedrigen Finger mit den sorgfältig lackierten Nägeln. Auf dem Teller in ihrer Hand befand sich das einzige Stück Mandelkuchen, das vom Vortag übrig geblieben war und nicht mehr das frischeste war, wie Stefanie wusste. Adele schien ihren skeptischen Blick zu spüren, denn sie ging rasch hinter die Theke, stellte alles ab und schaufelte Sahne auf den Kuchen.

»Wenn der nicht reicht …«, sagte Adele und sah kurz auf. »… die Zimtschnecken sind ebenfalls köstlich.«

Stefanie musste lächeln. Adele schien fest entschlossen, heute mindestens zehn Euro Umsatz zu erwirtschaften.

»Ich werde es mir überlegen, Teuerste«, sagte der Mann und zwinkerte wieder heftig. »Wenn es mir gestattet ist, würde ich mich Ihnen nun selbst gerne vorstellen.« Er erhob sich, nestelte an seinem Hemdkragen herum, strich sich eine dichte weiße Haarsträhne aus der Stirn und reichte Adele die Hand. »Mein Name ist Adlersberg. Tassilo von Adlersberg.«

Von diesem Tag an hatten sie einen Stammgast. Noch dazu einen adeligen.

Nach seinem ersten Besuch im Café Reykjavík kam Tassilo von Adlersberg am nächsten Tag gleich wieder, traf dieses Mal auf Gylfi und Bärbel, die er ebenfalls galant umgarnte. Adlersberg stammte aus Hamburg, wo er »ein Geschäft« geführt habe, das er nun in München »weiterführen« wolle. Er wohnte seit zwei Monaten in Giesing, worüber sie sich wunderten, weil seine Kleidung und sein Auftreten eher eine Unterkunft in einem kostspieligeren Viertel vermuten ließen. Mehr erfuhren Adele und Stefanie allerdings nicht von ihm.

»Mir ist egal, was er macht«, meinte Stefanie. »Hauptsache, er kommt. Und zwar jeden Tag.«

Gylfi sah sie stirnrunzelnd an. »Sag mal, du glaubst doch nicht im Ernst, dass uns ein einziger …«

»Wir brauchen ihn für den Grundumsatz«, fuhr Stefanie unbeirrt fort.

Gylfi runzelte die Stirn und Lola lächelte gequält.

»Vielleicht hat dieser Adlersberg viele adelige Freunde, die er eines Tages mitbringt«, sagte Stefanie und wusste, wie dämlich das klang.

Tassilo von Adlersberg kam weiterhin allein. Aber er kam täglich und bot ihnen allen bald das Du an. Adele, die »Chefin«, wie er sie nannte, wenn er über sie sprach, blieb das bevorzugte Objekt seiner Begierde, aber auch Bärbel und Elli umgarnte er mit weichen Worten und intensiven Blicken. Als die Osterferien kurz bevorstanden, gehörte er wie die vier weißen Tische, die Ohrensessel und Luigi, die Kaffeemaschine, zum Inventar des Café Reykjavík.

Kapitel 6

Das Ticken nervte Gylfi. Er schaute auf den roten Wecker auf dem Kühlschrank und überlegte, ihn mit einem gezielten Wurf mit der Semmel auszuschalten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber dann bekäme er sicher Ärger mit Lola, die ihn erst gestern dort hingestellt hatte. Immer mehr Dinge aus der Wohnung, in der sie mit Andi bis zu ihrer Trennung gelebt hatte, fanden nach und nach einen Platz bei ihnen. Bücher, DVDs, CDs, gerahmte Bilder und Kissen füllten nun die Regale, Wände und Sofas. Lolas Vater hatte »ihren« Schaukelstuhl, einen Küchentisch und Stühle aus der alten Wohnung vorbeigebracht, alles Möbel, an denen Lola nach eigener Aussage hing und die ihr Andi bereitwillig überließ. Die Zeit hatte die Wogen zwischen den beiden geglättet. Die Zeit und die Paartherapie, die letztendlich keine mehr war. Eher eine Trennungstherapie. So etwas gab es auch, hatte er gelernt.

Sein Blick wanderte wieder zu dem Wecker, der engagiert weitertickte. Gylfi hob die Semmel, kniff ein Auge zusammen und überlegte, wie fest er werfen müsste.

»Was machst du da?«

Er ließ die Semmel zurück in den Korb plumpsen.

»Nichts.«

Lola schüttelte den Kopf. »Lass bloß den Glockenwecker von Oma Burgl in Ruhe.«

»Burgl?«

»Notburga.«

»Komische Namen habt ihr Deutschen.«

»Ist das so, Gylfi Ásgeir Tryggvarson?« Sie beugte sich vor und küsste seine Stirn. »So schade, dass du heute arbeiten musst.««

Gylfi ignorierte den ironischen Tonfall und nahm sich eine neue Semmel.

Lola ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Wenn du mich fragst, müsstest du heute nicht ins Café. Es kommt doch ohnehin niemand.«

»Das wissen wir nicht. Es ist Wochenende, das Wetter soll ab Mittag schlecht werden, warum sollte niemand Lust haben, gemütlich Kaffee trinken zu gehen?«

»Weil es im Café Reykjavík nicht gemütlich ist.«

»Wir müssen durchhalten. Und Samstag und Sonntag auf jeden Fall aufhaben. Präsent sein!«

Lola betrachtete prüfend die Semmeln. »Welche wolltest du jetzt als Wurfgeschoss nehmen?«

»Die hier. Die anderen sind unberührt.« Gylfi streckte seine Hand aus. »Und morgen machen wir was Schönes zusammen, okay?«

Lola schwieg. Sie nahm ein Messer, um ihre Semmel zu halbieren, legte es dann aber wieder ab.

»Gylfi …?«

»Hm?«

»Ich werde ab jetzt nur noch maximal einmal die Woche im Café sein können. Und das auch nur am Freitag. Bitte besprich das mit Steffi. Ihr müsstet die restliche Zeit zwischen euch beiden aufteilen.«

Eine Weile war nichts zu hören außer dem Wecker von Oma Burgl. Schließlich atmete Gylfi tief durch und zuckte mit den Schultern. »Na gut, dann eben nur einmal die Woche. Aber vielleicht kannst du ja zumindest hin und wieder am Samstag oder …«

»Ich werde nicht am Wochenende arbeiten«, sagte Lola rasch. »Ab nächster Woche gehe ich vier Tage die Woche ins Büro, da möchte ich einfach ein klassisches Wochenende haben.«

»Naja, Steffi und ich wollen vielleicht auch …«

»Steffi hat keinen richtigen Job wie wir beide, Gylfi. Sie muss sich nicht unbedingt am Wochenende erholen.«

»Wieso hast du nicht mit mir darüber gesprochen, dass du mehr im Büro sein willst?«

»Das haben wir doch erst am Mittwoch festgezurrt.«

»Festge…?«

»Fest ausgemacht.«

»Ach, erst am Mittwoch. Stimmt, ist ja erst drei Tage her. Und seit wann überlegst du mit deinen Kollegen, dass du mehr da sein solltest?«

Lola legte das Messer ab, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Gylfi, du weißt ganz genau, dass ich wieder mehr als Innenarchitektin arbeiten wollte.«

»Ja, aber erst nach einer Weile. Wenn das Café etabliert ist.«

»Oder nicht funktioniert ...«

Er hob abwehrend die Hände. »Bitte nicht wieder die Diskussion. Alles gut. Ich hab verstanden. Lola nur noch einmal die Woche. Freitags. Alles klar. Ist notiert.« Er kippte einen Löffel Zucker in seine Kaffeetasse und rührte geräuschvoll um.

»Gylfi«, sagte Lola sanfter und beugte sich nach vorne »Ich bin doch einfach nur realistisch. Und das solltest du auch sein. Wenn sie dir im Red Potato noch einmal anbieten, dass du mehr …«

»Vergiss es. Ich gebe das mit dem Café noch nicht auf.«

»Das musst du doch auch nicht. Aber du darfst auch nicht vergessen, dass wir ein bisschen mehr Geld ganz gut gebrauchen können. Miete, Essen, Handy, das Auto, Freizeit – du weißt es doch. Ich habe es ausgerechnet, wir brauchen eigentlich pro Monat …«

»Ich will es nicht wissen! Es geht doch gerade ganz okay.«

»Es wird nicht mehr ganz okay sein, wenn wir wirklich für eine Weile nach Australien gehen. Und das hast du mir versprochen.«

»Lola, ich habe nie …«

»Du wolltest mir deine zweite Heimat zeigen. So, wie du sie auch Steffi gezeigt hast.«

Ich habe ihr nicht meine zweite Heimat gezeigt damals, dachte Gylfi. Ich habe mit ihr Ausflüge in die Umgebung von Cairns gemacht. Und mich zieht es nicht nach Australien. Nicht mehr. Die Wellen waren mein Zuhause, als ich noch surfen konnte.

Das Ticken des Weckers schien lauter zu werden.

Und surfen kann ich nicht mehr, nachdem mich dein wild gewordener Nochehemann angegriffen und meine Achillesferse so verletzt hat, dass ich immer noch von Zeit zu Zeit Schmerzen habe.

Er schloss für einen Moment die Augen.

»Gylfi? Alles okay?«

Er sah sie an. Lola lächelte. Wie er es liebte, wenn sie ihn so anlächelte. Wenn sich die Grübchen in ihren Wangen vertieften und die blauen Augen sich verengten und verschmitzt aussahen.

»Gylfi, du musst jetzt erst einmal nichts verändern«, sagte sie rasch. »Wir machen einfach so weiter wie bisher. Nur dass ich mehr im Büro bin und ordentlich Knete verdiene. Ihr wuppt das mit dem Café. Alles wird gut.«

Er nickte schweigend und war froh, dass Lola sich nun endgültig ihrer Semmel widmete.

Der Kondensstreifen am Himmel verblasste langsam, doch kurz bevor er nicht mehr zu sehen war, kreuzte ihn ein weiteres Flugzeug und hinterließ einen neuen. Stefanie verfolgte den Flug der zweiten Maschine, bis sie hinter dem Fensterrahmen verschwunden war, dann löste sie vorsichtig Rolos Arm von ihrer Hüfte und stand auf.

Beim Händewaschen betrachte sie sich im Spiegel. Wenn sie genügend geschlafen hatte, gefiel sie sich am Morgen am besten. Ihre Haut war weich, ihre blauen Augen waren klarer als abends, sie fühlte sich ausgeruht und frisch. Schnell putzte sie sich die Zähne, dann zog sie Top und Unterhose aus und ging zurück in das Schlafzimmer, wo Rolo unverändert lag. Stefanie schlüpfte unter die Decke und schmiegte sich an seinen Rücken. Er brummte etwas Unverständliches und atmete dann ruhig weiter. Stefanie küsste seinen Nacken und wanderte mit der rechten Hand über seinen Arm Richtung Po.

»SteffinichmeineMudda…«

»Was sagst du?«

Rolo räusperte sich. »Meine Mutter kommt doch …«

»Aber erst in drei Stunden, oder?«

»Hmja.«

Sie küsste sein Schulterblatt, während ihre Hand in seine Boxershorts glitt. »Eben.«

Sie wusste und liebte, was gleich passieren würde. Sie würde ihn weiter küssen und berühren, sein Atem würde schwerer werden, seine Muskel würden sich an- und wieder entspannen, seine Hand würde nach hinten fassen, nach ihr, würde sie näher zu sich heranziehen. Irgendwann würde er stöhnen und sich mit einem Ruck umdrehen und sich auf sie schwingen, ihre Beine würden auseinandergleiten, ihre Lippen sich finden und dann …

Rolos Hand verharrte in der Luft. »Psst!«

»Da ist nichts«, murmelte Stefanie.

»Doch, da war ein Auto.«

»Ja. Auf der Straße fahren manchmal Autos.«

Er streckte den Zeigefinger nach oben. »Psst. Da ist noch etwas anderes.«

»Quatsch, da ist nichts. Antonia rüsselt mit Sicherheit komatös.«

Rolo richtete sich ruckartig auf. »Es ist etwas anderes.« Er schlug die Decke zu Seite, schwang die Beine aus dem Bett und schlich sich seitlich an das Fenster. Vorsichtig schob er den Vorhang zur Seite, spähte nach draußen und presste im selben Moment den Rücken an die Wand. »Mist!«

»Was ist denn?«

»Sie ist schon da. Mit einer ganzen Entourage!«

»Deine Mutter? Wieso das denn?«

»Das weiß ich doch nicht!«

Es klingelte an der Haustür.

»Das gibt’s doch nicht! Was will sie denn schon hier?« Er ging auf die Tür zu.

»Rolo?«

»Was denn?«

»Warte noch kurz.«

»Wieso denn?«

»Warte noch kurz.«

»Steffi, ich habe jetzt keine Zeit für …«

»Warte kurz. So willst du doch deine Mama nicht begrüßen, glaub mir.«

Es klingelte erneut, diesmal energischer.

Rolo sah sie irritiert an, dann fiel es ihm ein.

»Fuck!«, rief er und starrte auf die sichtbare Ausbeulung in seinen Boxershorts. »Fuck

»Das muss weg«, sagte Stefanie trocken.

»Steffi, es ist nicht hilfreich, wenn du dich nackt vor mir räkelst.«

Wortlos zog Stefanie die Decke über ihren Körper.

Rolo hüpfte von einem Bein auf das andere. »Komm, geh weg, geh weg, geh weg.«

»Du musst dich entspannen.«

»Entspannen. Unten wartet meine Mutter auf mich und ich habe eine Morgenlatte so lang wie ein Lineal.«

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Geh weg, geh weg.«

Es klopfte an der Tür. Rolo fuhr erschrocken zusammen.

»Papa?«, kam es von draußen.

»Ja, Schatz?«

»Es hat geläutet!«

»Ich weiß. Das ist Omi. Könntest du ihr vielleicht aufmachen?«

»Ne, ich seh total kacke aus«, sagte Antonia. »Ich wollte dir nur sagen, dass es geläutet hat.«

Es klingelte dreimal kurz hintereinander an der Haustür.

»Alles klar, Schatz. Danke.« Rolo drehte sich zu Stefanie um. »Oder könntest du vielleicht gehen?«, flüsterte er. »Du siehst doch gut aus.«

»Alles klar.« Stefanie schlug die Decke zurück. »Ich geh gleich mal eben so.«

»Neinneinnein«, zischte Rolo, »ich gehe schon. Und bitte pack dich wieder ein, sonst wird das hier nichts …« Er schloss die Augen und atmete tief durch. »Zehn, neun, acht, sieben …«

»Jetzt geht es.«

»Sechs, fünf, vier, drei, zwei …«

»Es geht, Rolo. Der Stress hat gewirkt.«

Als es erneut klingelte, wandte er sich entschlossen zur Tür, öffnete sie und verschwand. Als sie seine Schritte auf der Treppe hörte, ließ sich Stefanie lachend ins Kissen fallen.

Kapitel 7

»Ich habe gestern Abend noch geschrieben, dass ich früher komme«, sagte Anett von Wolf und reichte ihrem Sohn einen kleinen Koffer. »Per Whatsapp. Das hast du doch?«

»Ja, Mama, ich habe es. Aber ab Freitagabend bin ich gerne mal offline.«

»Ich treffe Else zum Brunch im Café Arzmiller, das hat sich spontan ergeben.«

»Aber du hättest doch auch auf dem Festnetz …«

»Soderla, wo sollen die guten Teile hin?«, unterbrach ihn ein mittelalter Mann, der in diesem Moment den Flur betrat. Er trug eine ausgebeulte Jeans, ein schwarzrot kariertes Flanellhemd und in jeder Hand einen weiteren Koffer.

»Einfach durchgehen und erst mal ins Wohnzimmer«, wies Anett von Wolf an und musterte ihren Sohn von oben bis unten. »Eben erst aufgestanden?« Sie schlüpfte aus ihrem karamellfarbenen Kaschmirmantel, bevor Rolo ihr zu Hilfe kommen konnte, und hängte ihn sorgfältig auf einen Kleiderbügel. »Auf dem Festnetz erreiche ich ja nie jemanden. Bist du sicher, dass ihr das überhaupt noch habt?« Sie warf einen kontrollierenden Blick in den Flurspiegel und fuhr sich durch den stufig geschnittenen Kurzhaarschnitt. »Wie findest du die Farbe?«

»Rot. Schön rot. Und ja, wir haben noch Festnetz.« Rolo stellte den Koffer ab. »Mama, wer oder was ist in dem anderen Taxi? Hast du Personal mitgebracht? Oder doch die Pferde?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739383477
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Mai)
Schlagworte
Liebesroman Inselroman Romantik Fernweh Happy End Liebe Reise Urlaub Insel Island

Autor

  • Anne Lux (Autor:in)

Anne Lux lebt und arbeitet in München. Neben ihrem Hauptjob im Kulturbereich schreibt sie regelmäßig Romane. Ihre Liebes-Trilogie und die zwei Cornwall-Bücher "Tausche Alltag gegen Insel" und "Tausche Alltag gegen Glück" standen wochenlang in den Bestseller-Listen.
Zurück

Titel: Sehnsucht nach Insel & Mehr