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Callboy To Go

von Ina Linger (Autor:in) Cina Bard (Autor:in)
220 Seiten

Zusammenfassung

30 Jahre und Jungfrau? Wie traurig ist das denn? Mia versucht alles, um diesem Schicksal zu entgehen, und engagiert während ihres Traumurlaubs auf Teneriffa einen Callboy. Wenige Tage vor ihrem Geburtstag. Als letzte Lösung selbstverständlich. (Un)glücklicherweise ist ihr attraktives ‚Date‘ Chris nicht der, für den er sich zunächst ausgibt, und Mia hat bald mit ganz anderen Problemen als dem Verlust ihrer Unschuld zu kämpfen. Verfolgungsjagden, lebensbedrohliche Situationen und unerwartete Gefühle eingeschlossen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

Callboy

t o Go

 

 

 

 

Romantische Komödie

 

Ina Linger & Cina Bard

Prolog

 

 

 



 

Das Dumme an einer plötzlich einsetzenden Erkenntnis ist, dass sie einen manchmal in Situationen überfällt, die leicht außer Kontrolle geraten können. Situationen, die einen zu einer zumindest zeitlich begrenzten Handlungsunfähigkeit verdammen. Zum Beispiel solche, in denen man sich auf einem Mofa befindet, das man nicht selbst fährt. Man ist die ängstliche Person, die sich derart fest an den Fahrer klammert, dass dessen Rippen jeden Moment mit einem lauten Knacken brechen könnten; die Person, deren Leben innerhalb weniger Stunden von ‘vollkommen unter Kontrolle und durchgeplant’ auf ‘totales Chaos mit ungewissem Ende – baldiger Tod nicht auszuschließen’ umgekrempelt wird.

Man könnte meinen, das sei etwas übertrieben, doch solange man noch nicht selbst im Gebirge vor Gangstern auf der Flucht war – obwohl man unter Höhenangst leidet und Serpentinen etwas sind, das man nur aus Filmen kennt – sollte man sich mit einem vorschnellen Urteil lieber zurückhalten.

Manche Dinge dürfen einem nicht im echten Leben passieren. Niemals. Es sei denn, man hat Superkräfte und ist unsterblich – aber dann würde man sich wieder in einem Film befinden und nicht bei jeder scharfen Kurve kurz vor einem Herzinfarkt stehen. Und die Gedanken würden nicht ständig um dieselben Fragen kreisen: Wie zur Hölle bin ich hier reingeraten? Und wie – verdammt noch mal – komme ich hier unversehrt wieder heraus?

Fragen, deren Beantwortung umso schwerer wird, wenn die Person, auf die man sich verlassen und der man vertrauen muss, diejenige ist, die einen erst in den ganzen Schlamassel hineingeritten hat. Ein unverschämter, ausgefuchster Lügner und Betrüger, dessen Anwesenheit zu anfangs erwähnter Erkenntnis führt: Adiós schönes, geregeltes Leben – Bienvenidos Handschellen und Knast!

 

 

Gut geplant ist halb gewonnen





Deo? Check.

Make-Up perfekt? Check.

Dessous zueinander passend? Check.

Achseln und Beine seidenglatt? Check.

Champagner stilecht im Sektkühler? Check.

Kondome? Check.

Pfefferspray in Handtasche und Nachttisch? Check.

Rosenblätter auf dem Weg zum und im Bett selbst? Wer zum Henker war sie: Cinderella??

 

Ein in eine Riemchensandale mit hohem Absatz gekleideter Fuß tippte ungeduldig auf den gekachelten Balkonboden, wieder und wieder und stampfte schließlich entnervt auf, bevor er zum Stillstand kam. So viel zu der Idee sich vom Rauschen des Meeres, der warmen, dennoch frischen Seeluft und dem atemberaubenden Ausblick von ihrem wunderschönen Balkon beruhigen zu lassen. In der Theorie hatte sich das ganz toll angehört – die Praxis war wie immer ein Reinfall.

Mias Hand strich gedankenverloren über ihr Bein und hielt dann erschrocken inne. Waren da etwa doch Stoppeln??

Sie beugte sich entsetzt herunter, drehte ihr Bein so, dass es in den aus dem Wohnzimmer kommenden Lichtstrahl geriet, und rubbelte erneut über die verdächtig kratzige Stelle. Doch es waren nur ein paar Fusseln von gottweißwoher, die an ihrer Haut festgeklebt waren.

Guuut. Sie hatte ihre Beine vor zwei Tagen wachsen lassen, extra ein bisschen eher, damit sie nicht mit roten Flecken herumlief. Die, die sie nie bekam, wenn sie nichts vorhatte, aber sofort erschienen, wenn es einen Anlass gab, etwas mehr Haut zu zeigen. Zusammen mit ihren Freunden, den kleinen, hässlichen Pustelchen, waren sie daran schuld, dass sie meist doch lieber lange Hosen statt kurzer Röcke trug. Die machten sich auch bei der Arbeit besser, um die vornehmlich männlichen Kollegen davon zu überzeugen, dass sie kein Sexobjekt, sondern eine Respektsperson war, vor der man sich in Acht nehmen musste.

Wie es schien, blieb sie heute zwar von diesem Makel, nicht aber von der Unpünktlichkeit ihres Dates verschont. Mia seufzte ärgerlich – denn Wut war immer besser als Angst und Nervosität – und entschloss sich, aufzustehen und wieder hineinzugehen. Nachher sah er sie hier noch von der Straße aus, als könne sie es kaum erwarten, und auch wenn das der Wahrheit entsprach, musste sie ja nicht gleich so verzweifelt wirken.

Wie schon unzählige Male zuvor flog ihr Blick zur Wanduhr des hübschen, kleinen Studios. Wo zur Hölle blieb der Kerl?

Entnervt marschierte sie durch das Wohnzimmer zur Tür und riss diese auf. Etwas zu schwungvoll und wie es schien, war ihre angeblich schnell einziehende Handcreme auch noch nicht trocken, denn die Klinke glitt ihr aus der Hand und die Tür selbst krachte lautstark gegen die dahinterliegende Wand. Eine ältere Dame wich erschrocken zurück an die gegenüberliegende Flurseite und griff sich ans Herz.

„Kindchen!“, rief sie entrüstet und marschierte dann an der Hand ihres kopfschüttelnden Ehemannes weiter den Gang entlang zum Fahrstuhl, ohne auf Mias gemurmelte Entschuldigung zu reagieren. Wie um die beiden Alten aus der Reichweite des weiblichen Rowdies zu bringen, kam der Lift am anderen Ende des Ganges sofort und Mia biss die Zähne zusammen, als ihm ein junger, hochgewachsener Mann entstieg und mit einem Smartphone in der Hand auf sie zukam. War das etwa … konnte das … sahen die so gut aus?

‚Lächeln … Lächeln … du hast das geübt!‘, wies sie sich innerlich an und schon verzogen sich ihre Lippen zu dem strahlenden und gewinnenden Lächeln, das in den letzten zwei Tagen hauptsächlich ihr Spiegel zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte es an ein, zwei Kellnern ausprobiert und aufgrund der positiven Reaktionen für gut befunden.

Der dunkelhaarige Mann sah von seinem Handy auf und seine Züge erhellten sich deutlich, als er einen wohlwollenden Blick über ihren Körper gleiten ließ, vom kleinen Schwarzen bis hinunter zu ihren Absatzschuhen und wieder zurück, langsam höher, die Augen nur einen Tick zu lange auf ihr Dekolleté gerichtet, bevor es unhöflich wurde.

„Hi“, sagte er mit samtig weicher, tiefer Stimme, als er Mia erreicht hatte und blieb vor ihr stehen.

Dunkle Locken, grüne Augen, durchtrainierte Figur unter einem eng anliegenden, dunkelgrünen Seidenhemd, das seine Augenfarbe noch mehr zur Geltung brachte.

Mias Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust und wurde von zwei Instinkten nahezu auseinandergerissen: Flucht und Angriff. Wie immer, wenn sie sich von jemandem angezogen und damit auch eingeschüchtert fühlte, tendierte sie eher zu ersterem. Nur konnte sie sich nicht bewegen. Ihre Füße waren plötzlich bleischwer und mit dem Boden verwachsen.

„Mein Name ist Luis und mit wem habe ich das Vergnügen?“, sprach er weiter und streckte seine Hand aus.

Sie reicht ihm ihre ganz automatisch, auf die er einen zarten, angedeuteten Kuss hauchte. Sicherlich altmodisch und kitschig, aber es geschah so natürlich, dass es alles andere als unangenehm war. Wahnsinnig professionell!

Mia schluckte dennoch unwillkürlich und zwang sich, weiterzulächeln – stark hoffend, dass es nicht so verkrampft wirkte, wie sie sich plötzlich fühlte. Er war da. Er. War. Da. Heute Nacht würde es endlich geschehen. Schon bald würde sie nicht mehr die unerfahrene, kleine Mia sein, die sich Sexbeziehungen ausdenken musste, um keine mitleidigen Blicke auf sich zu ziehen, nein, sie –

„LUIS!!“

Mia zuckte zusammen und sah gleichzeitig mit dem Angesprochenen den Flur hinunter. Die aufgebrachte Stimme gehörte einer jungen Brünetten, die wütend auf sie zu gestapft kam und dem Dunkelhaarigen dann einen ihrer viel zu langen, rot lackierten Fingernägel in die Brust bohrte.

„Ist sie das? IST SIE DAS?!?! JA?!“, kreischte die Frau weiter und warf Mia einen drohenden Blick zu.

Diese schüttelte nur den Kopf, hob ruhig, aber abwehrend die Hände und zog sich dann in ihr Apartment zurück, den bedauernden Blick Luis’ mit einem Schulterzucken quittierend.

Luis. Sie hätte es wissen sollen. Traurig zu sehen, wie schnell auch sie alle Vorsicht und Vernunft über Bord warf, sobald sie einen hübschen Mann vor der Nase hatte. Allerdings war der Hauch von Erleichterung, den sie verspürte, noch viel ärgerlicher.

Das Paar stritt sich draußen noch eine Weile weiter. Worte wie ‚Betrüger‘, ‚Lügner‘ und ‚Kastration‘ waren zu hören, dann entfernten sich die Stimmen allmählich und irgendwo weiter den Flur hinab knallte schließlich eine Tür. Toll. Bei ihrem Glück sah sie die beiden morgen beim Frühstück und bekam von der Brünetten ein scharlachrotes ‚A‘ mit frisch gepresstem Traubensaft auf ihre Klamotten gemalt.

Sie seufzte leise. Jetzt hieß es weiter warten und Geduld war nicht gerade ihre Stärke, auch wenn viele Menschen, die sie nicht privat kannten, sie sicherlich als stoisch bezeichnen würden. Oder gemächlich, gleichmütig, kalt. Mia selbst bevorzugte den Ausdruck ‚ausdauernd‘. Nur weil sie nicht gleich herummaulte, wenn etwas nicht sofort klappte, bedeutete das noch lange nicht, dass ihre äußerliche Ruhe auch ihrer inneren Verfassung glich. Doch schnell aufzugeben entsprach nicht ihrem Wesen. Wenn sie ein Ziel vor Augen hatte, kämpfte sie so lange, bis sie es erreichte. Komme, was wolle. Ihre schwache, ängstliche Seite hatte keine Chance gegen Power-Mia, auch wenn sie sich gern ab und zu bemerkbar machte – in den unpassendsten Momenten. Wenn ein Beschluss stand, gab es nichts mehr daran zu rütteln.

Letzterer war einer der Gründe, aus denen sie heute hier war. Die Dreißig war der Point-of-No-Return. Das hatte sie vor fünf Jahren für sich beschlossen – bedauerlicherweise auch lautstark vor einer ihrer engeren Freundinnen, die mit demselben Problem geplagt gewesen war: dem Mangel an einem festen oder auch lockereren Freund, wie Mia es gern formulierte. In der Konsequenz hieß es: anhaltende Jungfräulichkeit. Sie weigerte sich allerdings, diesem Wort und dem damit einhergehenden Fakt eine negative Konnotation zu geben, denn an sich war das nichts, für das man sich schämen musste.

Mit dem ersten Mal war es eine seltsame Sache. Als Teenager sollte man vielen Eltern nach – speziell als Mädchen –  möglichst spät Sex haben; so zwischen siebzehn und zwanzig sollte es dann spätestens passiert sein und alles danach war gesellschaftlich gesehen seltsam und die Leute versuchten mehr denn je, einen in eine Schublade zu stecken, deren Aufschriften von ‚überängstlich‘ über ‚prüde‘ bis hin zu ‚verklemmt‘ reichten. Dann gab es noch die mit klareren Beschriftungen wie ‚asexuell‘ oder ‚lesbisch‘ – zu weiteren Kenntnissen der möglichen sexuellen Orientierungen reichte es oft nicht – nicht dass das ‚etwas Schlimmes wäre‘, das wäre ‚schon okay‘. Schön, dass das extra noch mal klargemacht wurde.

Mia hatte für solcherlei Bemerkungen meist nur eine hochgezogene Augenbraue übrig, die beständig höher wanderte, je mehr sich die angeblich ach so aufgeschlossenen ‚sexuellen Wesen‘ in ihrer Umgebung in Erklärungen und Bekundungen verstrickten. Leider merkte der Großteil der Menschen nie, wie unglaublich engstirnig und sexistisch er in seiner angeblichen Toleranz war.

Mia fuhr erschrocken aus ihren wenig erheiternden Gedanken, als neben ihr plötzlich ‚Los Toreadores‘ aus Bizets Oper Carmen ertönte, und schüttelte dann den Kopf über sich selbst. Sie hatte diese Musik extra gewählt, um sich selbst anzufeuern, nur war der Handyempfang auf Teneriffa sehr launisch und sie bisher noch nicht in das Vergnügen gekommen, den neuen Ton zu hören.

„Ja!“, meldete sie sich etwas abgehetzt, als sie das Handy umständlich aus ihrer Handtasche gekramt hatte, und war trotz der unterdrückten Rufnummer nicht überrascht, gleich darauf die Stimme ihrer allerbesten Freundin Judy zu vernehmen.

„Ist er schon da?“, fragte diese, ohne sie zu begrüßen.

„Nein“, knurrte Mia. „Es scheint, als – “

„Geh ins Badezimmer!“, kommandierte ihre Freundin, ohne ihr weiter zuzuhören. 

„Was?“ Mia stieß ein leises Lachen aus. „Wieso …“

„Tu es einfach!“, blieb Judy hartnäckig.

Mia verdrehte die Augen, etwas das ihre Freundin nicht ausstehen, aber glücklicherweise nicht sehen konnte, und tat dann, wie befohlen.

„Ist da ein Spiegel?“, fragte Judy als nächstes.

Selbstverständlich ist da ein Spiegel!“, erwiderte Mia belustigt. „Ich bin in einem Vier-Sterne-Hotel in Puerto de la Cruz und nicht in einer Lehmhütte am Amazonas. Hier gibt es richtige Toiletten, Duschen und sogar Spiegel!“

„Und was siehst du darin?“, machte Judy ungerührt weiter.

Mia betrachtete stirnrunzelnd ihr Spiegelbild. Rotes, zu einem kunstvollen Dutt hochgestecktes Haar, helle Haut, ein paar Sommersprossen, die ihre Nase schmückten, und große, blaue Augen, die von einem zarten Lidstrich noch betont wurden.

„Na, mich“, gab sie unwirsch zurück.

„Schick mal ein Foto.“

„Was?“

„Mach schon!“

Mia gab ein genervtes Stöhnen von sich, fügte sich dann aber Judys Wunsch.

„Wusst ich’s doch!“, kommentierte ihre Freundin nur Sekunden später.

„Was wusstest du?“

„Das kleine Schwarze steht dir hammermäßig! Du siehst mega-schlank aus und es betont trotzdem noch deine feminine Figur. Und wer hat es mit dir ausgesucht, na?“

„Hast du jetzt echt angerufen, um meine Garderobe für den Abend zu checken?!“ Mia konnte es kaum glauben. Musste sie auch nicht.

„Nein, eigentlich wollte ich versuchen, dir die ganze Sache doch noch auszureden – obwohl ich weiß, dass ich gegen deinen Sturschädel nicht ankomme“, erklärte Judy. „Aber da es gut möglich ist, dass wir uns im Verlauf des Gesprächs streiten und du dann wütend auflegst, dachte ich mir, dass ich deinen Look vorher überprüfe, weil mich meine Neugierde sonst umbringen würde.“

Sie musste tief Luft holen, weil sie ohne Punkt und Komma geredet hatte und fuhr dann fort: „Aber jetzt ist es Zeit für meine Motivationsrede – also die, die dich davon abhalten soll, diese riesengroße Dummheit zu begehen.“

„Judy …“, begann Mia, kam aber nicht weiter.

„Siehst du die junge, wunderschöne, hochintelligente Frau da vor dir im Spiegel? Sie ist nicht nur meine allerbeste Freundin, sondern auch noch einer der tollsten und liebsten Menschen, die ich kenne, und hat es mit Sicherheit nicht nötig, sich einen Mann fürs erste Mal zu kaufen!“

„Das weiß ich doch auch!“, gelang es Mia endlich, ihre Freundin zu unterbrechen. „Es geht doch nicht darum, ob es notwendig ist oder nicht – ich will es so!“

„Ist das jetzt wieder deine unterdrückte Abenteurerseite, die aus dir spricht oder belügst du dich selbst?“, hakte Judy verständnislos nach.

„Weder noch“, gab Mia zurück und war dabei nicht ganz ehrlich. Ein klein wenig war schon ihr Bedürfnis, endlich mal etwas Aufregendes zu erleben, mit Schuld an dieser Aktion und dem Setting, aber das war nicht alles. Und sie belog sich mit Sicherheit nicht selbst.

„Warum kannst du nicht noch warten?“, bearbeitete Judy sie weiter, nun in einem leicht jammernden Tonfall. „Der Richtige wartet bestimmt schon an der nächsten Ecke auf dich – und damit meine ich nicht deinen Zukünftigen, sondern Mr. Boombastic fürs erste Mal.“

„Das wage ich zu bezweifeln“, erwiderte Mia und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Die Zeit lief gnadenlos weiter und ihr ‚Date‘ hatte immer noch nicht an die Tür geklopft. „Du weißt doch, wie schnell ich an jedem, der Interesse zeigt, was auszusetzen habe. Und es ist ja nicht so, dass ich eine solch große Auswahl wie du habe. Für mich kommen nur Männer in Frage.“

Während ihrer Suche nach einem geeigneten Partner fürs erste und auch weitere Male hatte sie sich tatsächlich des Öfteren gefragt, ob sie vielleicht am falschen Ufer suchte und eigentlich auf Frauen oder wie Judy auf beide Geschlechter stand. Objektiv gesehen gab es schon Vertreterinnen ihres eigenen Geschlechtes, die sie attraktiv fand, doch selbst ein photogeshoppter Hochglanzbildkörper eines Mannes ließ ihr eher das Wasser im Mund zusammenlaufen als der entsprechende einer Frau. Zumal diese heutzutage zumeist extrem unterernährt und knabenhaft wirkten. Mia fühlte sich da eher noch der Cindy-Crawford-Generation verbunden.

„Tja, ich muss dir nicht schon wieder sagen, dass du zu wählerisch bist, oder?“, fragte Judy jetzt und Mia rollte ein weiteres Mal mit den Augen. „Ted aus der Firma ist zum Beispiel eine richtige Sahneschnitte und echt gut im …“

„Ich kann nicht mit jemandem schlafen, mit dem du schon im Bett warst, Judy“, seufzte Mia. „Das habe ich dir schon x-Mal gesagt! Ich würde mir vorkommen wie bei einem Wettkampf.“

„Er ist ja nicht der einzige attraktive Kerl in deiner Firma.“

Mia dachte kurz nach. „Doch.“

Auch Judy blieb kurz still. „Okay, du hast recht, die anderen sind alles typische Nerds“, gab sie ihr schließlich nach. „Was arbeitest du auch als Softwareentwicklerin?!“

„Judy …“

„Kein Wunder, dass du so nach Abenteuern geierst! Du sitzt zu viel am Computer!“

„Mein Entschluss …

„Aber in unserem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es ein paar echt heiße Kerle“, ließ sich Judy nicht aus dem Takt bringen.

„Ich war mit Pete und Artie aus“, erinnerte Mia ihre Freundin. „Und das war …“ Sie schüttelte sich beim Gedanken daran. „Es hat sich falsch angefühlt. Nicht gut genug, um den nächsten Schritt zu gehen. Und ich spreche hier noch nicht mal von einer Beziehung.“

„Du bist zu verkopft“, warf Judy ihr vor. „Du musst dich mal gehen lassen, den Verstand ausschalten!“

„Glaub mir, das habe ich vor!“, ließ Mia sie wissen.

Das meine ich damit nicht.“

„Ich aber! Und davon abgesehen bin ich kein extremer Kopfmensch. Ich bin nur strukturiert und sonst eher ein Bauchmensch. Das hast du selbst mal gesagt und mir vorgeworfen, ich würde, wenn ich mich gehen lasse, dann wiederum zu sehr nach meinem Gefühl handeln.“

„Machst du ja auch – gerade schon wieder!“

„Siehst du!“

„Das ist aber nicht gut!“

„Für mich schon“, widersprach Mia ihr. „Ich brauch das jetzt – für mich! Weil ich unsere Freunde und meine Familie weder weiter anlügen will noch Lust auf mitleidige Blicke und besorgte Nachfragen habe. Ich bin es einfach leid!“

„Aber so oft wird doch gar nicht über so etwas gesprochen“, wandte Judy ein und Mia prustete los.

„Bitte? Gibt es überhaupt ein anderes Thema, wenn wir ausgehen?“

Judy schwieg lieber. Sie wusste ganz genau, dass vor allem unter Freunden gern und viel über Liebesdinge getratscht wurde und wie unwohl sich Mia bei dem Thema Wer-tut-es-mit-wem immer fühlte. Wenn dann auch noch das Thema Wer-hat-wann-seine-Unschuld-verloren durch einen gemeinsam gesehenen Film oder ähnliches aufkam, lachte Mia brav mit über das stereotype Bild der verklemmten, seltsamen alten Jungfer (das irgendwer immer zur Belustigung aller herauskramte) und kam sich wie eine Verräterin vor. Ohne Frage waren das überzogene Darstellungen – das Problem war, dass auch die erzählten Geschichten aus dem realen Leben kaum anders waren und sie ihre eigene nur mit ihren engsten Freundinnen teilte.

Wie bei vielen anderen Frauen in ihrer Situation war es nämlich keinesfalls so, dass sie noch gar keine Erfahrungen mit Sex hatte – nur eben nicht unbedingt mit anderen Personen. Aber das zählte für die meisten Menschen nicht. Man wurde trotzdem für ahnungslos und prüde gehalten, ganz egal wie viele Orgasmen man schon erlebt und wie häufig man sich selbst in dieser Hinsicht glücklich gemacht hatte. Und die mitleidigen Blicke – die waren die allerschlimmsten. Als ob man nur ein halber Mensch wäre, wenn man sich nicht wenigstens alle paar Monate von einem Kerl die Seele aus dem Leib vögeln ließ.

„Ich fand die Geschichte von deinen regelmäßigen One-Night-Stands lustig“, merkte Judy etwas kleinlauter an und Mia gab ein missbilligendes Grunzen von sich.

„Auch dass mich Georgia später auf der Toilette als Schlampe bezeichnet hat und Bruce mir noch am selben Abend an den Arsch gegangen ist?“

„Hey, Georgia hat dafür mit ein paar ihrer Extensions gezahlt und Bruce ist nackt auf der Parkbank aufgewacht“, ließ Judy sie wissen und Mia konnte sie fast grinsen hören.

„Das mit Bruce wusste ich gar nicht“, gestand sie.

„Der war an dem Abend so besoffen – der hat nichts mehr mitbekommen“, erläuterte ihre Freundin feixend.

„Meine Heldin!“, schmunzelte Mia.

Judy lachte. „Immer zu Diensten. Deswegen auch der Anruf. Super-Judy will dich vor einem großen Fehler bewahren.“

„Es ist kein Fehler“, bestand Mia auf ihrer Einschätzung. „Entweder der Callboy und eine von mir kontrollierte und geplante Entjungferung oder ein Keuschheitsgelübde als Nonne. Erst dann habe ich meine Ruhe.“

„Weißt du, was ich glaube?“, fragte Judy und Mia flötete innerlich ‚Interessiert mich nicht!‘, während ihre Freundin fortfuhr: „Claire und eure dumme Frist sind an allem Schuld. Du warst schon immer so. Schwüre und Versprechen – damit konnte man dich schon als Kind festnageln. Und jetzt fällt dir das in den Rücken – weil sie kurz nach eurem Schwur mit dem Erstbesten in die Kiste gestiegen und auch noch an ihm hängengeblieben ist und du … weiterhin furchtbar anspruchsvoll geblieben bist. Vor dem Dreißigsten – wer setzt sich denn so eine Grenze? Dreißig –wie furchtbar! Was genau ist denn so schlimm daran? Bist du dadurch ein schlechterer Mensch als andere?“

 „Nein, natürlich nicht!“, gab Mia zu. „Ich bin nur irgendwie komisch in den Augen vieler anderer und einem ewigen Erklärungsmarathon unterworfen, wenn ich dazu stehe, beziehungsweise einem Minenfeld aus Ausreden, wenn ich es nicht tue.“

„Es ist trotzdem eine Schnapsidee“, ließ Judy verlauten und Mias eigene Zweifel wallten kurz wieder in ihr auf.

Sie wusste nicht mehr genau, was den entscheidenden Anstoß für die Umsetzung dieser ‚Schnapsidee‘ gegeben hatte. Wahrscheinlich war es ein irres Gemisch aus generell verrücktspielenden Hormonen, Frühlingsgefühlen, Abenteuerlust und PMS gewesen, das sie vor wenigen Wochen fieberhaft das Internet hatte durchforsten lassen, um den blöden Notfallplan vor dem dreißigsten Geburtstag in die Tat umzusetzen. Selbstverständlich mit allen ihr bekannten Sicherheitsvorkehrungen, damit möglichst niemand den Weg zu ihr zurückverfolgen konnte (ja, sie war manchmal ein bisschen paranoid). Zunächst hatte sie sogar extra auf öffentlichen Computern gesucht, dann war ihr klargeworden, dass sie das Ganze wohl weder würde bar bezahlen noch unter falschem Namen abschließen können und man so ohnehin nicht vollkommen anonym bleiben konnte.

„Von wem hast du überhaupt die Nummer des Escortservices?“, plapperte Judy in ihre Überlegungen hinein.

„Hab ich dir doch schon gesagt – von einer Geschäftspartnerin meines Vaters, den sie immer wieder gerne bucht, wenn sie auf den kanarischen Inseln Urlaub macht.“

Obwohl selbst nicht unbedingt schüchtern, hatte Mia bewundert, wie offen die Frau darüber gesprochen hatte.

„Offiziell ist es nur ein Begleitservice“, hatte Jessica gesagt, „aber es gibt gewisse Extraoptionen, die man dazu buchen kann und süße Specials. Sie sind sehr diskret und akkurat. Nicht billig, aber jeden Hunderter wert.“

Das zufriedene Lächeln und Strahlen in den Augen dieser Frau hatte Mia direkt neidisch werden lassen, doch damals war sie noch nicht bereit gewesen, ebenfalls diesen Schritt zu gehen.

„Und du bist sicher, dass das eine seriöse Agentur ist?“, fragte Judy weiter – auch nicht zum ersten Mal.

Sehr sicher“, beruhigte Mia sie – auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Die Agentur hatte in der Tat sehr seriös gewirkt, als sie damals, nach der Buchung ihrer Traumreise, per Email Kontakt mit dieser aufgenommen hatte – auch wenn der Name ‚Amors Hilfe‘ vielleicht einen anderen Eindruck machte und die ‚Firma‘ keine Internetseite nebst Fotos ihrer Angestellten besaß. Sie galt als Geheimtipp, deren Kontaktdaten nur an ausgewählte Menschen weitergegeben wurden – wie Jessica mit eindringlichem Blick bei der Herausgabe der Visitenkarte betont hatte.

Die Frau, mit der sie sich geschrieben und auch telefoniert hatte, war höflich und professionell gewesen und hatte es Mia leicht gemacht, die Sache eher nüchtern zu betrachten, eben wie ein ganz normales Geschäft. Aus diesem Grund war ihre Angst bezüglich der Durchführung ihres Vorhabens auch für einen längeren Zeitraum vollkommen verschwunden gewesen.

Das hatte sich geändert, als sie in ihrem Hotel angekommen war und noch einmal telefonisch Kontakt zu dem ‚Escortservice‘ aufgenommen hatte. Der Mann im Büro hatte einen weniger professionellen Eindruck gemacht als seine Kollegin und damit ihre Ängste und Zweifel wieder aufflammen lassen – insbesondere weil sich ihr Vorhaben ja im Raum des Sittenwidrigen bewegte. In Spanien war Prostitution zwar nicht überall verboten, aber in Hotels mit gutem Ruf definitiv nicht geduldet. Mia ließ sich jedoch generell nicht so leicht abschrecken, wenn sie sich erst einmal in eine Sache verbissen hatte – auch nicht durch sich selbst –  und hatte ihre negativen Gefühle erfolgreich verdrängt, um vollkommen souverän ihre Zimmernummer nebst einer ihr angenehmen Uhrzeit durchzugeben.

Nervös war sie erst wieder geworden, während sie sich für ihr Rendezvous fertig gemacht hatte – insbesondere als sie die Kondome in ihre Handtasche gesteckt hatte. Sie hatte sich die ganze Zeit über dagegen gewehrt, sich Gedanken darüber zu machen, wie ihr ‚Liebhaber‘ für die Nacht wohl aussah und welche Sorge musste ausgerechnet eine Viertelstunde vorher durch ihren Kopf schießen? Hoffentlich passen die überhaupt.

Schon waren sie da gewesen, Vorstellungen über überdimensional große und winzig kleine Penisse, krumme, zu dicke, zu dünne … Sie hatte sich innerlich geschüttelt und mehrfach gesagt, dass es darauf nun wirklich nicht ankam, was sie erfolgreich zu der nicht minder nervös machenden Überlegung geführt hatte, ob sie überhaupt mit einem Mann schlafen konnte, den sie nicht attraktiv fand. Oder gar abstoßend.

Sie hatte sich schließlich damit beruhigt, dass niemand sie dazu zwang, Sex mit ihm zu haben. Dann war zwar all ihr schönes Geld verloren, aber wen kümmerte das schon, wenn man sich ein Alptraumerlebnis ersparen konnte?

„Lass dir auf jeden Fall den Personalausweis von dem Typen zeigen“, erinnerte Judy sie daran, dass sie immer noch am anderen Ende der Leitung hing und Mia fragte sich, was sie zuvor erzählt hatte, denn ihr Gebrabbel war trotz Mias geistiger Abwesenheit noch an ihr Ohr gedrungen. „Oder besser noch – mach ein Foto davon und schicke es mir!“

„Heißt das, du versuchst nicht weiter, mir die Sache auszureden?“

„Dann müsste ich noch Stunden am Handy verbringen und wir beide wissen, dass uns die nachfolgende Rechnung in Ohnmacht fallen lassen würde. Also – Foto vom Personalausweis?“

„Gebongt.“

„Foto vom Lover?“

„Judy!“

„Wenigstens von seinem …“

„JUDY!“

Ihre Freundin lachte laut. „War nur ein Scherz. Kondome hast du aber?“

„Natürlich!“ Zur Sicherheit warf Mia rasch noch einmal einen Blick in ihre Handtasche, die sie gleich mit ins Bad genommen hatte. Da waren sie – immer noch an Ort und Stelle. Einige. Nicht dass sie glaubte, sie alle benutzen zu müssen … dürfen? Aber besser zu viele als zu wenige, oder?

„Okay, mehr fällt mir jetzt auch nicht ein“, gab Judy zu. „Ich drücke dir die Daumen, dass dein heißer spanischer Callboy …“

„Er ist nicht unbedingt Spanier“, unterbrach Mia sie und die Aufregung wallte erneut in ihr auf. „Die Agentur gehört einer Amerikanerin. Daher arbeiten dort auch einige US-Bürger. Aber auch Deutsche, Spanier, Franzosen …“

„Wunderbar“, wurde auch sie ungeduldig unterbrochen. „Also, ich wünsche dir, dass dein multikultureller Gigolo saumäßig gut aussieht und es dir richtig gut besorgt …“

„Judy …“

„… auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass du entspannt genug für ein supertolles erstes Mal bist.“

„Danke.“

„Nun, man muss bei allem Spaß doch realistisch bleiben und es ist ja nun nicht so …“

„Oh, verdammt! Ich bekomme gerade einen Anruf rein!“, log Mia schnell. „Tut mir leid – ich muss auflegen. Ich melde mich, wenn alles vorbei ist.“

„Aber …“ Mehr konnte Judy nicht hervorbringen und Mia seufzte erleichtert, als sie das Handy zurück in die Handtasche steckte.

Sie brauchte ihre beste Freundin nicht, um sich verrückt zu machen. Das schaffte sie auch allein. Als Realistin war sie sich durchaus bewusst, dass ihr erstes Mal mit Sicherheit nicht supertoll und romantisch werden würde – auch wenn ihr am Telefon genau das versprochen worden war. So hatte sie versucht, sich auf ‚ganz nett‘ einzustellen, um am Ende nicht zu enttäuscht zu sein, und damit ihre Aufregung erfolgreich auf ein Minimum reduziert. Es kam nur darauf an, das erste Mal hinter sich zu bringen, um danach offener und weniger kritisch auf Männer zugehen zu können; die sexuellen Abenteuer zu finden und zu genießen, von denen alle anderen immer so schwärmten. Ihr … ‚Date‘ sollte lediglich ihre Hemmschwelle für immer niederreißen – auf möglichst angenehme Art und Weise und das war doch nun wirklich kein extravaganter Wunsch.

‚Ansehnlich‘ war der aus ihrer Sicht ebenso bescheidene Anspruch für das Äußere ihres ‚Dates‘ gewesen (auch hier war ihr versichert worden, dass in der Agentur nur Beaus arbeiteten), ‚höflich‘ und ‚charmant‘ für sein Auftreten. Dass gerade die Pünktlichkeit zu einem Problem werden würde – damit hatte sie ja nicht rechnen können, sonst hätte das gleich ganz oben auf ihrer Liste gestanden.

Mia warf einen weiteren Blick auf ihre Armbanduhr. fünfzehn Minuten Verspätung. Das ging noch einigermaßen, aber wenn der Mann über das akademische Viertel hinausging, konnte er sich das Trinkgeld schon mal abschminken. Egal, wie gut er aussah und wieviel Mühe er sich dann bei seinem eigentlichen Job gab!

Planlos





Mit katzenhafter Geschmeidigkeit schlich der junge, äußerst gutaussehende Mann den mit einem dicken Teppich ausgelegten Flur entlang. Trotz seiner Eile war er vorsichtig und die Ruhe selbst – ein Profi durch und durch. Lautlos und elegant bewegte er sich auf eine der Türen am Ende des langen Ganges zu, schob eine Schlüsselkarte geräuschlos in den zugehörigen Schlitz und wartete auf das einzige Geräusch, das er nicht würde vermeiden können: das leise Piepen, das die Akzeptanz der Karte ankündigte und das Schloss öffnete.

Stattdessen ertönte ein lautes ‚Nöööööt‘ und Chris zuckte erschrocken zurück. Weder beim zweiten noch beim dritten Versuch öffnete sich die verdammte Tür und auch heftiges Ruckeln beschied ihm keinen Erfolg. Entnervt sah er sich um und dann wieder auf die goldene Nummer an der dunklen Holzfront. 613. Das war doch der richtige Raum.

Dummerweise befand sich auf der Karte selbst keine weitere Nummer, doch die brauchte ein Talent wie er ja auch nicht. 613. Ganz simpel. Der 6.1. war der Geburtstag seiner Tante Martha, die einzige seiner entfernteren Verwandten, die er richtig mochte. Und aller guten Dinge waren 3 … oder stand die für die Anzahl der Kinder in seiner Familie? War es überhaupt die 3 gewesen? Oder hatte Martha am 1.6. Geburtstag? Oder am 3.1.? 3.6.? 1.3.? Überhaupt an einem dieser Tage? Vielleicht war es auch das Jahr gewesen? `61? War sie echt schon so alt? 

Ruhig bleiben. Nichts davon war jetzt wichtig. Er musste sich an die Zimmernummer erinnern, die korrekte Eselsbrücke, die er sich gebaut hatte, die so unglaublich clever war … dass er sie glatt vergessen hatte. Lieblingsfilm? Frühstück? Superbowlgewinner? Nein, nein … er war ganz sicher, dass es Tante Marthas Geburtstag war. Oder? Vielleicht sollte er ihr kurz simsen? Klar, damit sie wieder sauer auf ihn war, falls er ihren Geburtstag doch schon wieder verpasst haben sollte.

Normalerweise hätte er eine Art Master Keycard gehabt, mit der er in jedes Hotelzimmer hereinkam, doch diesmal war das nicht der Fall. Miguel, sein Partner für den Job hier, war zu unfähig gewesen, ihm so etwas zu besorgen – oder er hatte es nicht gewollt, weil Chris damit sehr viel unabhängiger und im Notfall dazu in der Lage gewesen  wäre, auch ohne ein weiteres Treffen mit ihm aus dem Hotel zu kommen. Davon abgesehen hätte ihm diese Art Karte jetzt auch nichts genützt, weil er sich einfach nicht an die verdammte Raumnummer erinnern konnte und dass irgendein beliebiges Zimmer a) leer und b) Herrenkleidung in seiner Größe nebst dunkelhaariger Perücke vorrätig hatte, war auch etwas utopisch.

Er könnte einen der Zimmerservicekellner oder Pagen k.o. schlagen und sich dann dessen Kleidung anziehen. Genau. Eine dieser schlaksigen Gestalten, die er bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte und von deren Uniformen er vermutlich zwei brauchen würde, um auch nur annähernd genügend Stoff am Körper zu haben. Genaugenommen war es einer gewesen, der ihm bisher über den Weg gelaufen war. Ein Kellner. Und der war dünn gewesen. Nicht wie er selbst, mit seinen breiten Schultern und seiner beneidenswert muskulösen Figur … was? Nur weil er keinen Eightpack hatte, hieß das noch gar nichts. Die waren irgendwie eklig und schrien geradezu Angeber. Er war nichtsdestotrotz durchtrainiert und super fit.

Der kleine Sprint die drei Stockwerke hinauf hatte ihn keineswegs aus der Puste gebracht. Sein Keuchen war vielmehr der Gesamtsituation zuzuschreiben. Dem Stress, unter dem er stand. Was man halt so durchmachte, wenn man zu überleben versuchte. Dinge, wie massiv bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gestört zu werden (Wie konnte man als Zimmermädchen das Bitte-nicht-stören-Schild an der Tür übersehen?) und es somit an Professionalität mangeln lassen zu müssen (indem man aus Panik vor den herannahenden Security-Kräften auf den falschen Balkon – nämlich den mit der nackten Frau – sprang, die dann auch noch laut zu kreischen anfing); nach oben statt nach unten zu laufen – etwas, das ihn nicht erst seit ‚Scream‘ in jedem Teeniehorrorfilm wahnsinnig machte, ganz zu schweigen davon, wenn man selbst dazu gezwungen wurde, so wie gerade eben.

Aber was hieß schon ‚gezwungen‘? Es war eine geniale Idee gewesen – abgesehen davon, dass er ohnehin nach oben musste. Äußerst genial! Patentwürdig! Wieso? Weil keiner damit rechnete, dass er einen Umweg zum Ausgang nahm und eher zwei Stockwerke weiter hoch als vier nach unten rasen würde. Und nicht einmal den Fahrstuhl nahm … der nicht gekommen war, weil vermutlich wieder irgendwelche verwöhnten, überkandidelten, weiblichen Hotelgäste noch Stunden vor dem Spiegel verbrachten, während ihr Anhang schon mal unbedingt den Lift holen sollte, damit sie ja die Ersten am Buffet sein würden; um sich dann mit einem halben Salatblatt ohne Dressing einzudecken. Ja, das waren die wahren Probleme. Was verstand er schon davon, hier, allein, auf der Flucht, in Lebensgefahr?!

Und wieso wurde er überhaupt so bestraft? Er hatte doch nichts anders gemacht als sonst. Wie viele andere Menschen war auch er mit dem Klingeln des Weckers aufgestanden, hatte geduscht, gefrühstückt, sich angezogen und dann auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz gemacht, dort seinen Job zu aller Zufriedenheit erledigt (immerhin hatte er das Säckchen mit den Diamanten ja sicher in seiner Jackentasche verwahrt) und hätte nun allmählich seinen wohlverdienten Feierabend antreten sollen. Gut, so ganz zu aller Zufriedenheit war es ja, wie gesagt, nicht gewesen, denn er war fast erwischt worden, doch was zählte, war das Ergebnis, der Abschluss seines Projektes: die Übergabe und somit die Bezahlung.  

Hierzu musste er jedoch zunächst aus diesem Gebäude heraus. Und zwar nicht in Handschellen. Allein die Hintersitze der lokalen Polizeiwagen waren schon mehr als unbequem, ganz zu schweigen von ihren total überfüllten Gefängnissen. Noch viel weniger strebte er danach, von Lamperts Gorillas erwischt zu werden, denn dann verließ er das Hotel wohl eher in horizontaler Lage, umhüllt von einem schwarzen Plastiksack. Schlimmstenfalls. Bestenfalls auf der Liege eines Krankenwagens, angeschlossen an lebenserhaltende Geräte.

Ein lautes Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren, doch es war nichts zu sehen. Dem lauten Fluchen nach zu urteilen war einem der Zimmermädchen der Putzwagen umgekippt. Gern hätte er den Gentleman gespielt und Hilfe angeboten, doch er musste weiter.

*klick*

*nööööööt*

Auch die 631 öffnete sich nicht. Aus lauter Verzweiflung steckte er die Karte in den Schlitz an der gegenüberliegenden Tür, die sich genau im gleichen Moment öffnete.

Ein großer, bärtiger Mann um die Fünfzig starrte wütend auf ihn herab.

Chris schluckte, schaltete blitzschnell um und hickste dann. Das leichte Wanken in Richtung des Mannes, das diesen einen Schritt zurück machen und die Hände zur Abwehr heben ließ, war seiner Meinung nach eine Glanzleistung.

„Wwaas, isses au nichs Klohoo?“, lallte er und riss seine Augen auf, wie um den Mann vor sich besser zu erkennen. „Sssorry, Kumbl, gaab Freibiier anna –“

Ohne ein weiteres Wort wurde die Tür wieder zugeknallt und der ‚Betrunkene‘ sofort wieder ‚nüchtern‘.

Scheiße, Scheiße, SCHEIßE! Wo zum Henker war das verdammte Zimmer?!

„Chris, du Vollidiot!“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart hinein und wollte gerade genervt den Kopf gegen die Wand lehnen, als er von rechts her eine Tür aufgehen hörte, vermutlich die zum vorderen Treppenhaus, gefolgt von eiligem Fußgetrappel. Geistesgegenwärtig hechtete er  durch die Gott sei Dank offenstehende Tür des Putzraumes hinter sich und schloss sie dann leise. Seine Finger legten sich eisern um den Türknopf. Keine Sekunde zu früh; denn nur eine halbe Minute später wurde daran gerüttelt, dann entfernten sich die Schritte wieder und die Tür zum hinteren Treppenhaus fiel kurz darauf ins Schloss.

Auch wenn kein Wort gefallen war, Chris vermutete, dass man nach ihm suchte. Lampert hatte mit Sicherheit bereits das ganze Hotel aufgescheucht und nun hielt man nach jedem Ausschau, der nicht zum Personal gehörte und sich verdächtig verhielt. Mit ein und derselben Karte zu versuchen verschiedene Zimmertüren zu öffnen, gehörte auch aus seiner Sicht eindeutig dazu. Vielleicht war es besser, doch ohne Verkleidung weiterzulaufen, so zu tun, als würde man zu den Gästen gehören. Viel hatten Lamperts Gorillas ja nicht von ihm gesehen, als er über den Balkon entkommen war – so hoffte er zumindest – und konnten wahrscheinlich nur die Größe, Haarfarbe und Kleidung beim Hotelpersonal bekanntgeben.

Gut, er war mit seinen ein Meter achtundachtzig schon größer als die meisten, aber dunkelblondes, kurzes Haar hatten viele. Und er trug auch keine außergewöhnlichen Klamotten: Jeans, T-Shirt, braune Lederjacke, Sneaker (die waren immer so schön lautlos). Im Großen und Ganzen unauffällig. Absichtlich. Mit schwarzer Kleidung, Handschuhen und Strumpfmaske hätte er wohl kaum unbemerkt das Hotel betreten können. Zumindest nicht am helllichten Tag.

Verkleidung musste daher vielleicht gar nicht sein, um sich raus zu schleichen. Er ging, wie er gekommen war: als Gast durch den Hotelausgang, entspannt und locker. Vermutlich hatte Miguel ohnehin nur die billigste Ausbeute aus dem nächsten Karnevalsbedarfsladen besorgt oder gar selbst irgendeinen riesigen, Poirotähnlichen Schnauzer zusammengeklebt, der förmlich ‚Fake‘ schrie. Beim nächsten Mal musste er sich dringend nach einem fähigeren Partner umsehen, sonst litt noch sein guter Ruf und der war in seiner Branche das A und O. Niemand engagierte einen schlechten Dieb – wenn er diesen Terminus auch nicht besonders mochte. Er war viel mehr ein Einbrechkünstler, ein Mann für gewisse Arbeiten, für die andere zu ungeschickt oder sonst wie unfähig waren. Und er war gut. So gut, dass man in bestimmten Kreisen seine Nummer mit Ehrfurcht unter der Hand weiterreichte und er mittlerweile aus einer Vielzahl von Angeboten auswählen, manche Jobs sogar mit einem arroganten Lächeln ablehnen konnte. Ein schlechtes Gewissen hatte er bezüglich seiner Arbeit nicht.  Er erleichterte ja nun nicht gerade die Armen um ihren Besitz.

Zweifelsohne war das eine recht simple Einstellung zu den Dingen, aber mal ernsthaft: es gab so viele Leute, die andere vollkommen legal betrogen. Politiker zum Beispiel oder Banker. Nicht alle, aber einige. Im Gegensatz zu denen besaß er selbst ein Höchstmaß an moralisch richtigen Wertvorstellungen. Er war quasi ein moderner Robin Hood. Er nahm von den Reichen und gab den Armen. Dem Armen. Also sich selbst. Hm, wobei das langsam auch nicht mehr ganz stimmte. Dazu hatte er in den letzten Jahren zu gut verdient. Aber er hatte ja ohnehin schon überlegt, nach diesem Job aufzuhören, die Beine hochzulegen und sein Leben zu genießen. Mit einer halben Million Euro konnte man es sich eine ganze Weile gut gehen lassen und das Haus … vielleicht konnte das ja noch ein bisschen warten. Er musste nur raus aus diesem verfluchten Hotel, seinen Auftraggeber wie abgesprochen in La Orotava treffen, ihm die Ware übergeben und Bingo!

Chris lauschte an der Tür. Draußen war nichts mehr zu hören, aber er traute der Ruhe nicht und die Vorstellung, so wie er war, mit den Diamanten in der Tasche, durch die Lobby zu spazieren – nein, die wollte ihm doch nicht so richtig behagen, selbst wenn er bei seiner Flucht nicht sonderlich gut erkannt worden war.

Ein kurzer Rundumblick bestätigte, dass sich auch in der Putzkammer nichts befand, womit er sein Aussehen verändern konnte, wollte er nicht als Geist mit einem weißen Laken für Aufregung sorgen. Wäre dies ein Film gewesen, dann hätte er sicher zuuufällig ein perfekt passendes Outfit gefunden, doch so musste er sich, wie er war, wieder nach draußen wagen, ganz ohne spannende Hintergrundmusik und Zeitlupenbewegungen.

Glücklicherweise war von potentiellen Verfolgern tatsächlich nichts zu sehen. So setzte er seinen Weg fort und beschloss, es wenigstens noch ein paar Mal mit der Karte zu probieren – zur Sicherheit, falls man ihn doch deutlicher gesehen hatte, als er hoffte. Vielleicht hatte er beim nächsten Zimmer Glück, wenn nicht, würde er es entweder im dritten Stock versuchen oder hoffen, dass er doch durch einen der Seiteneingänge verschwinden konnte, noch bevor hier eine ganze Armada auf der Suche nach ihm anrückte.

 

Besser spät als nie





Mia war nie besonders gut darin gewesen, sich an vorgeschriebene Handlungsschritte zu halten – selbst wenn sie diese eigenhändig erstellt hatte. Sie besaß das großartige Talent, ganz genaue Pläne zu entwickeln, aber diese detailgenau auszuführen, daran haperte es stets. Auch wenn sie immer zum Ziel kam, das ‚Wie‘ machte ihr große Probleme. Ob nun durch Schusseligkeit, schicksalhafte Fügung oder den inneren Schweinehund, der sich dickköpfig durchsetzte – viel zu oft liefen die Dinge ganz und gar nicht so, wie sie diese bis ins kleinste Detail geplant hatte. Meist ärgerte sie das mehr als jeden anderen, tauchten diese Schwierigkeiten doch fast ausschließlich in ihrem Privatleben auf.

Nicht noch einmal vor die Tür zu gehen, um nach ihrem unzuverlässigen ‚Date‘ zu sehen, und stattdessen bei der Agentur anzurufen, war eigentlich eine gute Idee gewesen. Nur wollte ihr Bauch nicht so wie ihr Verstand (der ihr versicherte, dass sie auf keinen Fall einen übermäßig bedürftigen Eindruck bei der Bürokraft der ‚Amors Hilfe‘ machen würde) und zwang sie regelrecht dazu, die Tür zu öffnen und ungeduldig in den leeren Flur zu spähen.

Ups – so leer war er dann doch nicht. Das ältere Paar von gegenüber war zurück und machte sich gerade (schon wieder oder immer noch?) auf den Weg wohin auch immer und konnte es sich nicht verkneifen, sie kritisch zu mustern. Mia brachte zumindest ein knappes Nicken und Zucken der Mundwinkel zustande, dann wurde ihr Blick von einer Bewegung am Ende des Flures abgelenkt.

Mann. Anfang, Mitte dreißig. Dunkelblond. Leichter Drei-Tage-Bart. Groß. Gut gebaut. Attraktiv.

Mias Herz begann schneller zu schlagen, denn die Augen dieses ansehnlichen Exemplars des anderen Geschlechts glitten eindeutig suchend über die Nummern der Zimmertüren. Sie schluckte schwer.

‚Ganz ruhig bleiben. Nicht aufregen. Das kann durchaus schon wieder ein Irrtum sein‘, sprach sie sich innerlich zu. ‚Wahrscheinlich ist das nur ein Gast, der seine eigene Zimmernummer vergessen hat. So was kommt vor. Kein Grund durchzudrehen!‘

Ein Rumsen weiter hinten im Flur ließ sowohl sie als auch den Fremden heftig zusammenfahren. Eines der Dienstmädchen schob gerade einen Wagen mit Putzutensilien aus einem der Zimmer und sah dann zu Mia hinüber. ‚Kritisch‘ war noch das netteste Wort, das ihr in den Sinn kam, um den Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens treffend zu beschreiben.

Shit! Wenn sie Verdacht schöpfte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Concierge vor Mias Tür stand und sie der Sittenwidrigkeit bezichtigte, die sie dabei war, zu begehen. ‚Erneut blamieren‘ oder ‚Ärger mit der Sitte und noch schlimmere Blamage‘ waren die beiden unerfreulichen Optionen, die sie letztendlich dazu brachten, dem weiter auf sie zuhaltenden Fremden ein strahlendes Lächeln zu schenken.

„Schön, dass du endlich da bist!“, lachte sie in sein Gesicht, warf alle Selbstachtung über Bord und schloss den verblüfften jungen Mann herzlich in die Arme.

Himmel, fühlte der sich gut an! Fest und warm und er roch so gut (auch wenn er ein wenig verschwitzt war). Zumindest ein kleiner Trost, falls sich im nächsten Augenblick die nächste vor Wut fauchende Freundin auf sie warf. Doch es geschah nichts dergleichen. Der Fremde spannte sich lediglich an, bevor er die Umarmung erwiderte und ein leises, beinahe erleichtert klingendes Lachen von sich gab.

„Komm … komm doch gleich rein“, fuhr sie mit etwas zu hoher Stimme fort. Verdammt! Warum nur piepste sie immer so, wenn die Aufregung sie übermannte? „Wir haben uns so viel zu erzählen.“

„Ja, allerdings!“, stimmte er ihr zu, ließ sie ruckartig los und war innerhalb eines Wimpernschlags in ihrem Zimmer verschwunden.

Mia blinzelte überrascht, schenkte dem Dienstmädchen ein knappes Lächeln und begab sich dann selbst in ihr sorgfältig hergerichtetes ‚Liebesnest‘. Hatte sie das gerade ernsthaft gedacht?

Ihr neuer Bekannter sah sich interessiert in ihrem Zimmer um, als sie zu ihm heran trat, inspizierte vor allem die Türen und Fenster, bevor er sich ihr mit einem charmanten Lächeln zuwandte. Du liebe Güte, sah der gut aus! Genau die richtige Mischung aus markant und jungenhaft. Das Schicksal meinte es wohl sehr gut mit ihr und ihrem unsittlichen Vorhaben.

„Was wollen wir uns denn erzählen?“, fragte er sichtlich amüsiert und sofort schoss Mia das Blut in die Wangen.

Sie hatte sich über Vieles Gedanken gemacht – auch darum, wie sie sich möglichst locker mit ihrem gekauften Date unterhalten konnte, bevor es zur Sache ging – nur fielen ihr gerade keine der eingeübten Sätze zur Stimmungslockerung ein.

„Entschuldige – das war nur … ich wollte nicht, dass das Zimmermädchen was merkt“, stammelte sie stattdessen. Ihr Gesicht begann langsam zu glühen. „Ich denke nicht, dass … so was …“, sie wedelte unbestimmt mit ihrer Hand zwischen ihnen herum, „… gern in diesem Hotel gesehen wird. Ist ja nicht gerade eine Billigabsteige, in der solche Dinge vielleicht üblich sind.“

Die Brauen ihres Gegenübers bewegten sich aufeinander zu, seine Augen verengten sich und das Lächeln verlor an Intensität, während er sie so gründlich musterte, dass sie das Gefühl hatte, nackt vor ihm zu stehen. Mia glaubte schon, doch den falschen Mann vor sich zu haben, bis er schließlich die Lippe schürzte und zustimmend nickte.

„Ja, das glaube ich auch nicht“, erwiderte er und sah sich erneut, nun noch etwas sorgfältiger im Raum um. „Sieht alles eher spießig aus … weniger romantisch.“

Bei seinem letzten Wort fanden seine Augen zurück zu ihrem Gesicht. Durchdringend war wohl das passendste Wort, um die Intensität seines Blickes zu beschreiben.

Sie schluckte schwer und überlegte nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen, ob sie nicht doch lieber einen Rückzieher machte. Obwohl die Wortkombination ‚zu attraktiv‘ eigentlich nicht auf ihrer Liste der zulässigen Gründe für ein solches Handeln gestanden hatte. Jammerlappen-Mia versuchte eindeutig die Kontrolle an sich zu reißen.

„Ich find’s gar nicht so schlecht“, piepste sie. „Das Wohnzimmer ist vielleicht etwas schlicht, aber das Schlafzimmer hat schon einen gewissen, romantischen Touch.“

Ihr Finger streckte sich ganz von selbst in Richtung des genannten Raumes aus und sie zog ihn rasch wieder ein, obwohl ihr ‚Date‘ dies sofort als Aufforderung hinnahm, sich besagten ‚Spielplatz‘ mal anzusehen.

Mia schloss die Augen und atmete tief ein und wieder aus. ‚Du schaffst das‘, sprach sie sich zu. ‚Jetzt ist er da und alles, was du tun musst, ist dein Vorhaben konsequent durchzuziehen. Romantik wird ohnehin nicht aufkommen und darauf kommt es ja auch nicht an. Es schnell hinter sich zu bringen, ist vielleicht sogar die beste Idee. Wie lange kann das Ganze dauern? Maximal eine Stunde? Und er sieht richtig gut aus! Das sollte es doch erleichtern.‘

Ihre Lider hatten sich bei diesem Gedanken wieder geöffnet und ermöglichten es ihr, nun auch einen Blick auf seine Rückenpartie zu riskieren. Breit und muskulös, wie selbst die dünne Lederjacke großzügig preisgab. Knackiger Hintern. Ein weiteres Plus. Zu ihrem großen Glück suchte die Agentur ihre Mitarbeiter in der Tat sehr sorgsam aus.

„Wie … ähm … gehen wir denn jetzt vor?“, fragte Mia rasch und errötete, weil er sich ihr überraschend schnell zugewandt und sie für einen flüchtigen Moment statt seines Hinterns seinen Schritt betrachtet hatte.

Seine Brauen zogen sich ein weiteres Mal zusammen, als hätte sie von ihm verlangt, eine neue, hochkomplizierte mathematische Formel zu entwickeln. Die hellste Leuchte war er wohl nicht gerade. Wie hieß es gleich im Volksmund? Dumm f…

„Also, ich hätte Champagner kalt gestellt“, wurde sie genauer, bevor sie ihren Gedanken zu Ende bringen konnte, und wies zu dem Kühler auf dem Wohnzimmertisch.

Er verzog anerkennend den Mund. „Nicht schlecht.“

Sie gab ein kurzes, etwas verkrampftes Lachen von sich und bewegte sich auf den Tisch zu.

„Das nehme ich jetzt mal als Zustimmung“, kommentierte sie, ohne ihn anzusehen. „Alkohol macht ja bekanntlich etwas lockerer.“

Sie lachte erneut und schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf, während sie nach der Flasche griff, um mit zittrigen Fingern das Goldpapier des Korkens abzuwickeln. Ihr Gast bewegte sich auf sie zu und ihr Herz begann sofort wieder schneller zu schlagen – obwohl er wie ein Gentleman einen manierlichen Abstand zu ihr beibehielt. Dumm, sich darüber zu freuen! Ohne körperliche Nähe zuzulassen würde das Ganze mit Sicherheit nicht funktionieren.

„Ich bin übrigens Mia“, stellte sie sich mit einem flüchtigen Blick in sein Gesicht vor und die nasse Flasche rutschte ihr dabei fast aus den Händen. Nur fast, weil ihr ‚Date‘ rasch einen großen Schritt an sie heran machte und beherzt zugriff. Eine seiner Hände hatte die Flasche unten erfasst, die andere schloss sich jedoch um ihre Finger. Eine große, warme Hand, sehnig und braungebrannt.

Mia schluckte schwer und sah scheu zu dem attraktiven Mann auf, der sie ein gutes Stück überragte. Wie groß war er wohl? Über eins fünfundachtzig bestimmt. Ihre Schulter ruhte jetzt an seiner Brust und seine Körperwärme machte sie noch nervöser, als sie ohnehin schon war. Genauso wie das leichte Zucken seines Mundwinkels und das belustigte Funkeln seiner blauen Augen. Oder waren sie eher grün?

Mias Blick fiel auf seine Lippen, die von den rotblonden Stoppeln um Mund und Kinnpartie vorteilhaft betont wurden. Sinnliche Lippen. Nicht zu voll und nicht zu schmal.

„Chris.“

Mia blinzelte, hob den Blick und runzelte die Stirn.

Die Augen ihres Dates verengten sich und um sie herum bildeten sich einige Lachfältchen, während sich seine Lippen weiter verzogen und zwei Reihen strahlend weißer Zähne entblößten. Was für ein umwerfendes Lächeln! Hatte der Kerl das auch vor dem Spiegel trainiert?

„Hm?“, machte sie nur und musste sich dazu zwingen, ihm wieder in die Augen zu sehen.

„Mein Name“, grinste er. „Chris.“

Endlich gewann Mias Verstand wieder die Oberhand „Chris? Ich dachte, dein Name wäre Jake.“ Das fing ja gut an.

„Ach, Jake!“ Ihr Gegenüber winkte ab. „Der hat ein paar Termine verschusselt und kann bedauerlicherweise nicht. Aber er meinte, ich würde wahrscheinlich noch besser passen. Beneiden tue ich ihn nicht, schon gar nicht, weil er ja offensichtlich keine Ahnung hatte, was er verpasst.“

Sein heiseres Lachen und sein offensichtlich bewundernder Blick, mit dem er sie einmal mehr musterte, ließen ihre Knie weich werden und alles, was sie herausbrachte, war ein verlegenes ‚Oh‘.

Chris … Jake … wer wusste schon, ob das ihre realen Namen waren? Leute, die in derlei Berufen tätig waren, mussten sich ja irgendwie schützen. Oh je – hätte sie ihm besser auch einen falschen Namen nennen sollen?

Mia räusperte sich und befahl ihrer Stimme der Übervorsicht, ihre paranoide Klappe zu halten.

„Soll ich?“, fragte er mit hochgezogenen Brauen.

Sollte er was? Schon mit der ‚Arbeit‘ loslegen? Ihr wurde heiß und kalt zur selben Zeit – bis sie bemerkte, dass er an der Flasche zog. Sie ließ rasch los und machte einen großen Schritt aus seiner Reichweite. Irgendwie fühlte sie sich von der ganzen Situation überfordert und war sich gar nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich die Nerven hatte, die Sache durchzuziehen. Dennoch nickte sie und Chris öffnete die Flasche so geschickt, dass er sogar den Korken in der Hand behielt.

Die beiden bereitstehenden Gläser waren schnell gefüllt und er überreichte ihr eines davon, bevor er sie fragend ansah. „Auf?“

„… einen schönen Abend!“, stieß sie etwas kurzatmig aus. „Ganz gleich, was passiert … oder auch nicht passiert.“

Sie tippte ihr Glas klangvoll gegen das seinige, obwohl er bereits wieder die Stirn runzelte, und trank – oder besser gesagt, stürzte den gesamten Inhalt mit einem Mal runter.

Nicht passiert?“, wiederholte Chris irritiert.

„Ja, also … das wäre jetzt nicht soo schlimm“, log sie sich selbst und ihn an und zuckte die Schultern. Gleich mehrmals. Jammerlappen-Mia war auf dem Siegeszug.

„Nicht?“, fragte er mit relativ neutralem Gesichtsausdruck zurück.

„Nöö … also ich würde jetzt nicht das Geld zurückverlangen. Ist ja schon alles bezahlt.“

Die Augen ihres Gegenübers weiteten sich und Mia hob sofort beschwichtigend die Hände.

„Alles gut. Du hast nichts falsch gemacht und ich rede ja auch nur für den Fall der Fälle. Ich gehe davon aus, dass alles super läuft, aber das muss ja auch stimmen zwischen uns, sonst klappt das ja nicht, oder?“

Ihr Gesicht brannte mittlerweile und sie schrie sich innerlich zu, doch endlich die Klappe zu halten. Vergebens.

„Nicht dass ich deine Professionalität anzweifle. Das würde ich nie tun. Ich kenne dich ja auch gar nicht und du bist bestimmt gut in dem Job.“

Himmelherrgott! Erdboden tu dich auf!

„Und ich finde dich auch sehr attraktiv. Wenn, dann würde es nur an mir liegen, weil ich eigentlich eher ein romantischer Typ bin und so was noch nie gemacht habe. Sonst hätte ich ja auch nicht dieses kleine Problem. Klar.“

Sie kicherte und klang eher verzweifelt als belustigt.

„Klar“, stimmte Chris ihr zu, obwohl sein Gesichtsausdruck eher dafür sprach, dass er ihr immer noch nicht so ganz folgen konnte. „Du hast mich gemietet, um heute richtig Spaß zu haben.“

Es klang nicht wie eine Frage, doch sein eindringlicher Blick brachte sie dazu zu nicken.

Da war wieder dieses unwiderstehliche Lächeln, das ihren Puls beschleunigte und ihre Kehle trotz des Champagners ganz trocken werden ließ. Dafür brauchte man doch einen Waffenschein!

„Dann sollst du den auch haben“, verkündete dieser schrecklich anziehende Mensch mit solch weicher, warmer Stimme, dass sie erschauerte.

„Okay“, piepste sie und ließ sich ihr Glas aus der Hand nehmen, um es dann gut gefüllt wieder zurückzubekommen.

„Auf einen wundervollen, romantischen Abend!“, sagte Chris und zwinkerte ihr kurz zu, bevor er mit seinem Glas erneut klangvoll an das ihre stieß.

Mia holte tief Luft und leerte das ihrige etwas langsamer als zuvor.

Chris verzog anerkennend die Lippen, als auch er den Champagner genossen hatte. „Der ist echt gut“, lobte er ihre Wahl und füllte beide Gläser ein weiteres Mal.

Normalerweise hätte Mia längst protestiert – sie war kein großer Fan von Alkohol – aber sie brauchte sehr viel mehr Mut, wenn sie das Projekt ‚Professionelle Entjungferung‘ durchziehen wollte. Mut, den ihr der Champagner vielleicht geben konnte.

Sie zuckte heftig zusammen und verschluckte sich fast an dem teuren Getränk, als draußen vom Flur her laute Stimmen ertönten. Worum es ging, konnte sie nicht genau heraushören, aber es wurden ein paar Türen geknallt und Menschen liefen im Eilschritt an der ihrigen vorbei.

Auch Chris hatte innegehalten und sah beinahe alarmiert hinüber zur Tür – wohl aus demselben Grund wie sie, denn immerhin waren sie ja beide dabei, etwas zu tun, das in diesem Hotel verboten war. Sie suchte etwas verängstigt seinen Blick und er entspannte sich sogleich wieder, lächelte und nickte ihr wohlwollend zu.

„Alles gut?“, erkundigte er sich.

„Ja … ja natürlich“, bestätigte sie und strengte sich an, wieder zur Ruhe zu kommen, sich endlich zu entspannen. Immerhin tat der Alkohol jetzt seine Wirkung, ließ es in ihrem Inneren angenehm warm und ihre Glieder schwerer werden.

„Gut“, erwiderte er und sah sich dann kurz um. „Kann ich kurz mal das Bad benutzen? Ich würde mich gern ein bisschen frisch machen.“

Sie nickte rasch und wies auf die Badezimmertür. „Dort drüben“, wies sie ihn an und er setzte sich sofort in Bewegung, verschwand schon im nächsten Moment in besagtem Raum.

Mia stellte ihr Glas zurück auf den Tisch, schloss die Augen und seufzte schwermütig. Sie hatte sich so viele Gedanken darüber gemacht, was sie tat und wie sie sich verhielt, wenn der Callboy unsympathisch oder ekelhaft war. Nie hatte sie damit gerechnet, dass es zu einem Problem werden würde, wenn der Mann ihr gefiel, sie sich sogar von ihm angezogen fühlte. Und nun stand sie hier und war vor Schrecken wie erstarrt. Das musste aufhören. Sofort.

Sie straffte die Schultern. Wie bekam man sich selbst am besten wieder in den Griff? Indem man sich auf seine Planung zurückbesann und diese endlich mal konsequent umsetzte. Der Punkt ‚kleines Schwätzchen mit Champagner‘ war ja im Grunde schon abgehakt. Was kam dann? Rückzug aufs Schlafzimmer, Kondome bereithalten. Kondome. Wo waren die nochmal? In der Handtasche. Wo war die Handtasche? Oh je. Im Bad. Toll! Nun ja, vielleicht war es nicht die schlechteste Idee, dieses auch noch einmal vor der eigentlichen Tat aufzusuchen. Was konnte sie sonst noch tun?

Ihr Blick wanderte durch das Zimmer und blieb an der Tür kleben, an deren Klinke das ‚Bitte nicht stören‘-Schild hing. Das war doch mal eine gute Idee. Es war zwar bereits Nachmittag, aber wer wusste schon, ob nicht doch noch eines der Zimmermädchen verspätet bei ihr eintrudelte.

Mia lief kurzerhand auf das Schild zu, schnappte es sich und öffnete die Tür. Sie hätte beinahe laut aufgeschrien, weil sich eine dunkle Gestalt direkt vor ihr auftat, doch sie erkannte gerade noch rechtzeitig den Concierge des Hotels in dem künstlich lächelnden Herrn in der Tür.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, Señora“, brachte er in einem freundlichen Singsang heraus, „aber uns ist bekannt geworden, dass sich jemand unter unsere Gäste geschmuggelt hat, der unlautere Absichten hat. Ein fremder Mann, der hier nichts zu suchen hat und sich vielleicht als Hotelangestellter ausgibt.“

„Ein Fremder?“, wiederholte Mia mit unschuldigem Augenaufschlag und ihre Fingernägel bohrten sich vor Angst in ihre Handflächen. Wie zur Hölle hatten die Hotelangestellten schon jetzt von ihrem Besuch erfahren können? Hatte das Zimmermädchen ihr das kleine Schauspiel doch nicht abgenommen und sofort Alarm geschlagen?

„Wie soll er denn aussehen?“, erschien es ihr dennoch am Schlauesten zu fragen. Kooperative Leute machten sich selten selbst verdächtig.

„Zu unserem Bedauern wissen wir das nicht, aber Sie brauchen keine Angst zu haben“, beruhigte der Concierge sie sofort. „Der Mann ist nicht gefährlich – nur lassen Sie bitte keinen Fremden in ihr Zimmer, nur weil er sich als Angestellter dieses Hotels ausgibt.“

„Selbstverständlich nicht!“, erwiderte sie sofort mit Nachdruck. „Ich bin von Natur aus ein sehr vorsichtiger Mensch. Aber danke für die Warnung.“

„Und machen Sie bitte bei uns unten Meldung, wenn der Mann ihnen begegnet oder ihnen etwas Verdächtiges auffällt“, setzte der Concierge noch hinzu, als sie bereits dabei war, die Zimmertür wieder zu schließen – ohne das Schild von außen an die Tür zu hängen.

„Auf jeden Fall“, versprach sie und der Mann verabschiedete sich mit einem überfreundlichen „Buenos Noches!“, bevor das Schloss zuschnappte.

Mia lehnte sich von innen gegen die Tür und versuchte ihren Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen. Die ganze Sache begann viel zu früh aus dem Ruder zu laufen. Was sollte sie jetzt tun? Trotzdem weitermachen oder das Ganze abbrechen? Oder mit Chris irgendwo anders hingehen, eine billige Absteige oder so, um es dort tun? Dann hatte sie zumindest nicht all das Geld zum Fenster rausgeworfen. Aber kam es darauf noch an?

Selbstschutz





Verdammt! Warum nur konnten die Dinge nicht einmal nach Plan verlaufen?! Chris fuhr sich etwas fahrig mit einer Hand durch das kurze Haar und sah sich selbst im Spiegel über dem Waschbecken fest in die Augen.

„Du findest da einen Weg raus!“, machte er sich Mut, hielt die Stimme dabei gesenkt und die Badtür hinter sich im Auge. „Du bist schon aus schlimmeren Zwickmühlen herausgekommen, ohne Schaden zu nehmen. Du schaffst das auch dieses Mal!“

Er musste ja nicht der Grund für die Unruhe auf dem Flur sein. Vielleicht stritten sich nur ein paar Gäste und seine Verfolger hatten längst die Suche nach ihm aufgegeben, weil sie dachten, dass er ihnen entwischt war.

Nur leider hörte er fast in derselben Sekunde wie seine neue, hübsche Bekanntschaft die Tür ihres Hotelzimmers öffnete und nur wenig später einen Mann mit ihr sprechen. Es waren nicht viele Worte, die er verstand, aber sie genügten, um ihm den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Man suchte immer noch nach ihm und warnte nun auch noch die Gäste vor ihm. Der Plan, das niedliche rothaarige Ding so besoffen zu machen, dass es nicht bemerkte, wenn er nach einer kleinen Weile verschwand, ohne es ‚bedient‘ zu haben, fiel damit ins Wasser – zumindest der Teil mit dem unbemerkten Verschwinden, denn wenn jetzt das ganze Hotel nach ihm Ausschau hielt, war er erledigt.

Gut, niemand von seinen Verfolgern hatte bisher sein Gesicht gesehen, aber es gab gewiss eine ungefähre Beschreibung seiner Rückenansicht, also musste er sehr, sehr vorsichtig sein. Warten, bis sich alles beruhigt hatte, war eine Option, die ihm blieb, immerhin hatte er ja jetzt einen relativ sicheren Unterschlupf gefunden. Nur musste er dann seine Zeit mit – wie hieß sie gleich – Mia rumkriegen, ohne zur erwünschten Tat zur schreiten. Obwohl … ansehnlich und attraktiv war sie ja … Gerade deswegen hatte es ihn ja so schockiert, dass sie nicht, wie anfangs von ihm angenommen,  auf ein normales Blinddate gewartet hatte, sondern auf einen Callboy.

Nein. Er schüttelte über seinen eigenen üblen Gedanken den Kopf und versuchte sich wieder auf sein Problem zu konzentrieren. Davon abgesehen, dass er die junge Frau nicht auf diese Weise demütigen wollte – denn irgendwann würde sich mit Sicherheit herausstellen, dass er nicht ihr ‚Date‘ gewesen war – hatte er auch keine Zeit, ewig im Hotel zu bleiben. Sein Käufer wartete auf ihn und heiße Ware musste man schnellstens loswerden. Er musste innerhalb der nächsten Stunde auf dem Weg nach La Orotava sein. Und wenn der tatsächliche Callboy hier doch noch auftauchte, war ohnehin alles vorbei.

Das brachte ihn zu Option zwei. Das Hotel auf dem schnellsten Weg ungesehen zu verlassen. Gab es die überhaupt noch? Seine Verkleidung befand sich auf einem anderen Zimmer – das würde er Miguel noch von seinem Anteil abziehen – und es sah nicht so als, als hätte Mia Herrenbekleidung dabei. Warum auch, wenn man offensichtlich auf Sex mit einem Fremden eingestellt war? Wenn sie einen Freund oder Mann hatte, den sie hier betrügen wollte, teilte der sich unter Garantie nicht dieses Hotelzimmer mit ihr. Das verrieten ihm auch die ausschließlich für Frauen bestimmten Utensilien im Bad. Verkleidung fiel also definitiv aus, auch wenn ihm ein Hauch Makeup vielleicht gar nicht so schlecht … Nein, ohne Perücke et cetera wurde das nichts. Die meisten fanden eine kräftige, maskulin wirkende Frau ja seltsamerweise gleich schwer verdächtig. Was dann?

Chris strich sich mit Daumen und Zeigefinger über die stoppelige Kinnpartie und dachte angestrengt nach. Die Hotelangestellten suchten nach einer einzelnen, männlichen Person, einem Fremden, der nicht hierher gehörte – nicht nach einem verliebten Paar! Wenn er Mia irgendwie dazu bringen konnte, mit ihm das Hotel zu verlassen, war er gerettet. Immerhin schien sie sich ja aufgrund ihres Arrangements nicht so ganz wohl hier zu fühlen und sie hatte gesagt, dass sie eine Romantikerin war. Daraus ließ sich doch gewiss etwas basteln.

Oh ja! Da war er der geniale Einfall, der ihm gefehlt hatte. Chris hätte sich am liebsten selbst geknutscht. Aber er benötigte noch eine Absicherung. Eine gute. Sein Blick fiel auf die Handtasche, die auf dem marmornen Waschbeckenrand stand, und nur einen Atemzug später hatte er sie in der Hand, um sie zu durchsuchen.

Ein kleines Schminktäschchen, Bons – oh, Kondome! – ein Portemonnaie und in diesem … eine Visitenkarte von ‚Amors Hilfe‘. Endlich das Glück, das ihm bisher verwehrt gewesen war! Chris verkniff sich ein erfreutes Lachen und holte sein Handy aus der Innentasche seiner Lederjacke, um dort die angegebene Nummer anzuwählen. Während das Freizeichen ertönte, holte er rasch Mias Personalausweis aus dem Portemonnaie, dann tönte auch schon ein abgehetztes „Amors Hilfe – was kann ich für sie tun?“ in sein Ohr.

„Hey, sorry dass ich störe, aber ich brauch dringend deine Hilfe“, brachte er locker, aber dennoch leise genug heraus, dass Mia ihn nicht durch die Tür hören konnte – so hoffte er zumindest. „Ich bin hier bei Mia Dellert, du weißt, schon, der Auftrag im La Paloma Hotel …“

Er wartete ein paar Sekunden, dann kam ein gedehntes „Jaa“, das ihm verriet, dass es dem Mann am anderen Ende der Leitung definitiv an Kompetenz mangelte. Wunderbar. Damit konnte man doch arbeiten.

„Bist du Jake?“, folgte die zögerliche Nachfrage.

„Wer sonst?“, blaffte Chris ganz Herr seiner Rolle.

„Du, ich bin hier nur Aushilfe. Kein Grund gleich so angepisst zu sein!“

Das wurde ja immer besser!

„Was ist denn jetzt dein Problem? Hat sie nicht gezahlt?“

„Doch, schon längst überwiesen“, sagte Chris und senkte die Stimme noch weiter. „Wir müssen allerdings dringend aus dem Hotel raus, weil mich eine andere Kundin erkannt hat und vielleicht beim Concierge petzen wird. Du kennst ja diese Ziegen, die nie zufrieden sind – die können echt gemeingefährlich werden. Ich werde dieser Mia erklären, dass sie eine Sonderaktion gewonnen hat, weil sie unsere hundertste Kundin in diesem Jahr ist oder so, und ich mit ihr eine romantische Rundreise mit Einkehr in ein anderes Hotel mache. Dann kann ich den Job trotzdem erledigen. Falls sie bei dir anruft, musst du ihr die Geschichte bestätigen. Das ist sehr wichtig!“

„Aber ist das mit Estelle abgesprochen?“, fragte der Typ am anderen Ende der Leitung etwas misstrauisch.

„Nein, aber dafür ist jetzt keine Zeit. Ich bin hier echt in der Zwickmühle. Pass auf, wenn du mir hilfst und Estelle da raushältst, kriegst du einen Teil von meinem Trinkgeld. Ms. Dellert ist eine sehr gut zahlende Kundin und großzügig!“

Stille am andern Ende der Leitung. Jedoch nicht lange. „Bei fünfzig Prozent bin ich dabei.“

Chris seufzte leise. „Okay. Aber keine Patzer, ja?! Für meine Kundin heiß ich übrigens Chris – nicht dass du den falschen Namen nennst.“

„Alles klar“, bestätigte sein neuer Verbündeter. „Dann hoffe ich mal, dass sie willens ist, sich auf die Reise zu begeben.“

„Wird schon klappen. Hab da so meine Methoden zum Überzeugen.“

Der andere lachte heiser und dann war das Telefonat beendet. Chris steckte die Karte zurück in die Handtasche und hielt dann inne. Seine Augen hatten sich an dem Schminktäschchen festgebissen und ohne weiter darüber nachzudenken, nahm er es heraus und öffnete den Reißverschluss. Er brauchte ein Versteck für seine Beute, falls er wider Erwarten doch noch erkannt und geschnappt wurde. Den Unschuldigen konnte man nur überzeugend spielen, wenn man nicht mit dem Diebesgut erwischt wurde. Und was eignete sich zum Verstecken besser, als das Schminktäschchen einer Frau. Das würde sie mit Sicherheit überall hin mitnehmen und es ihm so möglich machen, seine Beute auch problemlos wieder zurückzubekommen.

Fingerfertig wie er war, hatte er im Nu ein kleines, unauffälliges Loch in den Saum des Innenfutters gefummelt und ließ dort die Diamanten aus dem kleinen Samtsäckchen, das bis eben im Ärmel seiner Jacke verblieben war, einen nach dem anderen hineinrutschen.

„Chris?“, ertönte Mias ungeduldige Stimme draußen vor der Tür und sein Herz machte einen kleinen Satz, beruhigte sich aber sofort wieder. „Was machst du denn so lange da drinnen? Nimmst du ein Bad?“

Das Schminktäschchen fand schnell in die Handtasche zurück und diese ihren Platz auf dem Waschbeckenrand. Ein wenig Wasser ins Gesicht gespritzt, die Jacke ausgezogen, Hemd und Hose gerichtet und schon konnte er die Tür öffnen.

Sein strahlendes Lächeln erzielte auch dieses Mal die erwünschte Wirkung: Mia hielt den Atem an und trat verunsichert einen Schritt zurück. Ihr Blick glitt dabei alles andere als unauffällig über seine Brust und die Oberarme. Sein Glück, dass er immer darauf Acht gab, fit zu bleiben, und dadurch einem hungrigen Frauenauge durchaus etwas zu bieten hatte. Insbesondere wenn er enge T-Shirts wie dieses trug. Niedlich, wie sie errötete. Wenn er nicht noch einen Job zu erledigen gehabt hätte, hätte er durchaus in Versuchung geführt werden können, aus dem Mogeldate ein richtiges zu machen – mit für sie beide befriedigendem Ausgang versteht sich.

„Ich hatte Kopfschmerzen und kenne ein paar Akupunkturgriffe, um das wieder in den Griff zu bekommen“, redete er sich heraus. Nicht so erfolgreich, wie er gehofft hatte, denn trotz ihres verhaltenen „Ach so“ blieben die Grübel-Falten auf ihrer Stirn bestehen.

„Außerdem hat mich meine Arbeitsstelle angerufen, um mir etwas sehr Erfreuliches mitzuteilen“, setzte er deswegen sofort hinzu und bewegte sich wieder weiter in das Wohnzimmer hinein, Mia damit vor sich her treibend. „Du bist unsere hundertste Kundin und hast somit unser Romance-Special gewonnen.“

„Romance-Special?“, wiederholte die hübsche Rothaarige zweifelnd. „Was genau soll das sein?“

„Eine kostenlose Tour zu den romantischsten Orten dieser Insel mit anschließender Einkehr in einem sehr viel schöneren und besseren Hotel als diesem“, erklärte er und strengte sich an, seine Stimme besonders weich und sexy klingen zu lassen. „Einem, mit dem unsere Agentur schon öfter zusammengearbeitet hat, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Und wann soll diese Tour stattfinden?“, hakte Mia weiterhin nicht ganz überzeugt nach. Immer diese Zweifler! Dabei war er doch ein grandioser Lügner.

„Na, jetzt gleich.“

„Was?!“ Sie blinzelte perplex. „Nein.“

„Doch.“

„Aber das … das war nicht der Plan“, stammelte sie etwas aufgelöst.

„Hattest du nicht vor, dir in diesem Urlaub die Insel anzusehen?“, hakte er gewitzt nach.

„Doch, aber …“

„Dann ändert sich doch nichts am Plan.“

„W-was?“

„Wir kombinieren nur zwei verschiedene Pläne miteinander“, erläuterte er mit liebenswürdiger Geduld.  „Beide bleiben dabei bestehen.“

Sie sagte nichts mehr, starrte ihn nur mit großen Augen und halb geöffnetem Mund an. Vielleicht war sie ein bisschen debil?

„Unser eigentliches Date wird sozusagen in das Special integriert“, formulierte er es etwas anders, in der Hoffnung, dass es so für sie verständlicher war.

Mia machte ein Gesicht, als hätte er ihr gerade erzählt, der Mond sei vom Himmel gefallen und direkt in ihrer Badewanne gelandet. „Das … das ist doch Blödsinn.“

Sie musterte ihn, nun auf eine sehr kritische, unangenehme Weise und ihre Augen verengten sich. „Wie heißt noch gleich die Agentur, bei der du arbeitest?“

Gut, sie war wohl doch etwas heller, als er gedacht hatte – und damit auch unbequemer.

„Amors Hilfe“, antwortete er bereitwillig, obwohl ihm bereits angst und bange wurde. Mit einem so baldigen Drahtseilakt hatte er nicht gerechnet und das machte es schwer, die Balance zu finden.

„Ich belüge dich nicht, Mia“, sagte er sanft. „Wir machen solche Aktionen ab und an. Estelle will den Laden bekannter machen und hofft, auf diese Weise neue Kunden zu gewinnen. Wir setzen auf Romantik, darauf, dass sich unsere Kunden wohl fühlen und von ihrer jeweiligen Begleitung für den Abend restlos zufrieden gestellt werden.“

„Ich hab noch nie davon gehört, dass man mit seinem Callboy eine Inselbesichtigung macht“, entgegnete Mia, doch er konnte ihr ansehen, dass ihr Zweifel an seiner Aufrichtigkeit bereits zu bröckeln begann.

„Eben“, stimmte er ihr zu. „Das ist eine Novität, die nur meine Agentur anbietet. Noch ist es nur ein Special, aber bald wird das zum alltäglichen Angebot gehören. Der Callboy to Go sozusagen.“

Mia stieß ein Prusten aus und ihre Anspannung schwand dahin. „Callboy to Go?“ Sie kicherte. „Das ist doch nicht dein Ernst!”

„Am Namen lässt sich noch was drehen, aber sonst halte ich es für eine ziemlich gute Idee“, hielt er dagegen.

Die junge Frau strich sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht, musterte ihn dieses Mal schon etwas weniger misstrauisch und nickte dann endlich.

„Klingt gut, aber du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mal kurz in der Agentur anrufe und abkläre, ob das alles seine Richtigkeit hat, oder?“

„Nein, kein Problem“, sagte er großmütig und drückte sich selbst die Daumen, als Mia im Bad verschwand, um ihre Handtasche zu holen.

Eine halbe Minute später kam sie mit dem Handy am Ohr wieder heraus und hatte auch bald schon die Bürokraft der Agentur am Hörer. Es war wunderbar, zu beobachten, wie ihre Mimik von ‚noch etwas argwöhnisch‘ zu ‚erstaunt‘ und dann zu ‚erfreut‘ wechselte und ihm damit verriet, dass die Aushilfskraft im Büro ihren Job sehr überzeugend rüberbrachte. So tat es Chris fast leid, dass er den guten Mann um sein wohl verdientes Geld betrog.

„Und?“, fragte er, nachdem Mia aufgelegt hatte. „Bist du dabei?“

Sie dachte nach – aus seiner Sicht viel zu lange – dann nickte sie erneut. „Darf ich vorher erfahren, in welchem Hotel wir am Ende landen werden?“

Er schüttelte den Kopf. „Der Überraschungseffekt spielt eine ganz große Rolle bei diesem Programm. Und im Zeitalter von Google und Co kann selbst ein simpler, wenig bekannter Name diesen erbarmungslos zerstören. Glaub mir, du bringst dich um ein ganz außergewöhnliches Erlebnis, wenn du zu viel weißt.“

„Wie lange wird das ganze dauern?“, quetschte sie ihn weiter aus.

‚Kürzer, als du denkst‘, dachte Chris und kam sich dabei schon ganz schlecht vor. Er trat dennoch dichter an sie heran, lächelte sanft und sah ihr tief in die Augen.

„Wir werden am späten Abend ins Hotel einkehren und dort eine Nacht verbringen, die du dein Leben lang nicht mehr vergessen wirst“, sagte er mit samtweicher Stimme, hob eine Hand an ihre Stirn und strich ihr nun selbst eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Vertrau mir. Ich gehöre zu den Besten.“

Sie erschauerte fühlbar unter der Berührung und er sah ihren Atem stocken, bevor sie sich wieder im Griff hatte. Wer war dem Charme eines Chris Wendleys schon gewachsen?

„Gut!“, sagte sie jetzt mit fester Stimme und straffte die Schultern. „Ich packe noch schnell ein paar Sachen ein und ziehe mir andere Schuhe an, dann können wir los.“

„Andere Schuhe sind nicht nötig“, versuchte er sie aufzuhalten, „wir gehen ja nicht Bergsteigen.“

Doch sie hörte nicht auf ihn, war im Nu aus den Riemchensandalen raus – damit beinahe noch einen halben Kopf kleiner als er – und im Schlafzimmer verschwunden.

„Ich habe keine Lust auf Blasen an den Füßen“, erklärte sie ihm, während er sie immer wieder an der offen stehenden Tür vorbeiflitzen sah, hastig ein paar Sachen zusammenpackend, „und die bekomme ich grundsätzlich, wenn ich länger mit Absatzschuhen unterwegs bin.“

War das gerade ein kleiner Rucksack gewesen, den sie in der Hand gehalten hatte? Mist! Sie musste doch ihre Handtasche mitnehmen! Die stand nun neben ihm auf dem Couchtisch.

„Ähm … na ja – das Hotel, in das wir nachher einkehren, ist schon ein feineres“, ließ er sie wissen, „und wir wollen dort auch was essen gehen. Also wäre Abendgarderobe schon angebracht.“

Sie hielt in der Tür inne und musterte ihn kurz. „Und wo ist deine?“

„Wird dorthin geliefert. Die Agentur kümmert sich um alles. Super all inclusive sozusagen.“

„Dann packe ich die Schuhe halt auch ein“, beschloss sie kurzerhand und setzte den Gedanken sofort in die Tat um. Es war erstaunlich, wie viele Dinge in den kleinen Rucksack passten, und Chris war ganz erleichtert, als darin schließlich auch noch Geldbörse, Handy – wenn er sich nicht täuschte, ein paar Kondome – und Schminktäschchen verschwanden. Die Handtasche blieb einsam auf dem Couchtisch zurück.

„Eine kleine Sache noch“, wandte sich Mia etwas verlegen an ihn, als sie wieder an seiner Seite war und sich eine leichte Strickjacke um die Hüften band. „Könnte ich mal deinen Personalausweis sehen?“

Ups! Das war nicht gut. Er hatte zwar auch einen gefälschten dabei, aber auf dem hieß er nicht Chris.

„Na, klar“, sagte er ganz souverän und kramte sein Portemonnaie aus der Jacke, obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, genau das zu tun. Wenn er nicht sofort auffliegen wollte, musste er ihr nachgeben. Seine Sorge wuchs noch weiter, als sie zeitgleich mit ihm ihr Handy hervorholte und eindeutig die Kamera anschaltete.

„Nur zur Sicherheit“, betonte sie und machte doch glatt ein Foto von dem Ausweis in seiner Hand. Er verstand sie ja, aber ihm bereitete ihre Vorsicht zusätzliche Probleme. Jetzt musste er nicht nur unbemerkt an ihr Schminktäschchen herankommen, sondern auch noch genauso wenig auffällig das Foto löschen – oder gleich das Handy mitgehen lassen. Verdammt!

„Können wir?“, fragte Chris schließlich, ohne seine Verärgerung und Ungeduld durchklingen zu lassen, und erst als Mia zustimmend nickte und auf die Tür zusteuerte, wagte er daran zu glauben, dass sein Plan mit ein wenig Fingerspitzengefühl doch noch gelingen konnte.

Nur wenige Minuten später traten sie vom Fahrstuhl in die Lobby. Eine überraschend volle Lobby. Wie Chris erfreut feststellte, war gerade eine ganze Busladung neuer Gäste angekommen, die sich an der Rezeption sammelte und die Angestellten wunderbar beschäftigte. Die Jacke lässig über dem rechten Arm tragend, legte Chris der überraschten Mia den Linken um die Schultern und zog sie an sich. Sie versteifte sich etwas, schob ihn jedoch nicht weg, sondern schlang nur mit einer kurzen Verzögerung ihrerseits einen Arm um seine Taille und ging auf Kuschelkontakt. Vermutlich wollte auch sie niemandem auffallen und die Tarnung ‚Verliebtes Pärchen‘ funktionierte einwandfrei.

Angst bekam Chris erst wieder, als er die beiden Gorillas von Lampert in der Nähe der Ausgangstür entdeckte. Einer von ihnen, der Blonde mit dem lächerlichen Pferdeschwänzchen, saß auf einer Couch links vom Eingang, der andere, kleiner und bulliger, stand rechts an dem Regal mit den Prospekten und Informationsblättern des Hotels. Beide taten so, als würden sie etwas lesen, doch ihre Augen wanderten immer wieder über die vielen Menschen in der Lobby, suchten nach dem Dieb, den keiner so richtig gesehen hatte.

Chris verdrängte seine Angst so gut es ging, beugte sich in dem Moment, als er mit Mia den Ausgang erreichte, zu ihr hinunter und drückte ihr einen innigen Kuss auf die Schläfe. Die Blicke der beiden Männer streiften ihn nur und er konnte es selbst kaum glauben, als er völlig unbehelligt ins Freie trat. Ein fröhliches Glucksen entkam seiner Kehle und er ignorierte Mias fragenden Blick, nahm sie an der Hand und zog sie mit sich mit, die steile Straße hinunter, die sie auf den Weg Richtung Stadtmitte brachte.

„Könntest du vielleicht wenigstens andeuten, wohin wir jetzt gehen?“, fragte seine Begleitung und zog ihre Hand vorsichtig aus dem sanften Griff seiner Finger.

Sie hatte wohl keine Lust mehr auf ihr kleines Rollenspiel. Auch gut. Jetzt, da er das Hotel hinter sich gelassen hatte, musste er ohnehin möglichst schnell einen Plan entwickeln, um wieder an seine Juwelen heranzukommen und das Mädchen loszuwerden. Ohne dass sie sofort die Polizei rief, denn die wollte er nicht auch noch am Hals haben. Schon gar nicht mit einer genauen Beschreibung seines Äußeren.

„Nur ungefähr“, setzte sie hinzu und sah ihn mit ihren großen, blauen Augen bittend an. Süß war sie ja.

Das Lächeln stahl sich von ganz allein auf seine Lippen und sein Blick senkte sich auf ihren Mund. Rosig und zart. Und diese niedliche Stupsnase darüber. Schade, dass er keine Zeit hatte, sich noch weiter mit ihr zu beschäftigen. Es war schon lange her, dass er sich auf eine kurze, hitzige Affäre mit einer Frau eingelassen hatte und das hier bot sich ja geradezu an. Insbesondere da Mia wohl kaum an etwas Ernstem interessiert war.

„Okay“, gab er ihr nach. „Wir fahren erst einmal nach La Orotava, aber mehr sage ich dazu nicht. Wenigstens der Rest sollte eine Überraschung bleiben.“

Sie hob in sichtbarer Freude die Brauen. „Oh – da wollte ich ohnehin demnächst hin“, gab sie zu und zum ersten Mal in den letzten Stunden verzogen sich ihre Lippen zu einem echten Lächeln, gaben ihrem Gesicht ein Leuchten, das ihn leise lachen ließ.

„Na, dann“, sagte er, winkelte seinen Arm an und bot ihn ihr an. Dieses Mal zögerte sie nicht, sondern fasste gleich beherzt zu und setzte mit ihm den Weg im Gleichschritt fort.

Chris schüttelte sich innerlich, weil es sich seltsam gut anfühlte, sie an seiner Seite zu haben, und ermahnte sich streng, keine Sympathien für den Rotschopf zu entwickeln. Alles, was jetzt zählte, war an den Rucksack, der augenblicklich noch viel zu fest auf ihren Schultern saß, und damit an seine Beute und ihr Handy heranzukommen. Vielleicht würde sie ihn ja auf der Fahrt nach La Orotava abnehmen, spätestens doch wenn sie Pause in einem Café machten. Dann holte er sich, was er brauchte, und verschwand klammheimlich und ohne größeres Aufsehen. Mia würde traurig und enttäuscht sein, aber das war nicht weiter wichtig. Es ging hier um sein eigenes Leben, um den Job, den er erledigen musste. Selbstschutz ging manchmal einfach vor.

 

Romantik pur





Wenn einer Sache nichts Romantisches abzugewinnen war, dann war das mit Sicherheit das Busfahren. Schwitzende, stinkende, vor sich hin schnatternde Menschen, wo man nur hinsah, und niemand schien den Begriff ‚persönlicher Raum‘ zu kennen, geschweige denn, das Einfühlungsvermögen zu besitzen, nicht in diesen einzudringen.

Chris hingegen schien gegenteiliger Meinung zu sein, denn er grinste die ganze Zeit debil vor sich hin und machte ihr schöne Augen, während die Jugendlichen hinter ihr einen Technosong nach dem anderen abspielten und einer davon ihr lebhaft mit seinem Kaugummi ins Ohr schmatzte.

Mia hatte erst geglaubt, dass ihr Begleiter einen Witz machte, als er mit ihr auf einen Bus zugehalten hatte. Sie hatte sogar noch gelacht, als sie zusammen eingestiegen waren, in der Annahme, er würde gleich wieder mit ihr aussteigen. Doch dann hatte er sie auf einen der Sitze gedrückt und sich neben ihr niedergelassen, ein fröhliches „Los geht’s!“ auf den Lippen. Seitdem war sie gar nicht mehr davon überzeugt, dass sich ihr ‚Gewinn‘ zu dem entwickeln würde, was sie gehofft hatte. Romantik sah anders aus.

Der Gedanke, die ganze Sache doch noch abzublasen, kam ihr erneut, als der Junge hinter ihr zum mindestens hundertsten Mal gegen ihren Sitz trat und auf ihr verärgertes „Geht’s noch?“ mit einem „Spießige, alte Schachtel“ auf Spanisch reagierte. Sie funkelte ihn wütend an, bevor sie sich vor Zorn schnaufend wieder umdrehte und kurz die Augen schloss.

„Hast du den verstanden?“, fragte Chris besorgt.

Sie atmete tief durch die Nase ein und sah ihn dann gekünstelt lächelnd an. „Sehe ich so aus?“, gab sie liebenswürdig zurück und er verzog das Gesicht.

„Ja, leider.“ Er warf einen Blick über die Schulter. „Würde es dich trösten, wenn ich einen von ihnen das Handy fressen lassen würde?“

„Das geht doch gar nicht“, brummte sie, nicht bereit, sich auf den scherzhaften Ton einzulassen.

„Solange man es nicht versucht, kann man nicht sicher sein“, grinste Chris dennoch und brachte sie damit doch glatt zum Lachen. Verdammt! Immerhin war es nur ein kurzer Ausrutscher, denn es gelang ihr recht schnell, einen genervten Ausdruck auf ihr Gesicht zurückzuholen.

„Hauptsache, wir sind bald da“, brummte sie und sah aus dem Fenster, versuchte, dem leichten Unbehagen, das sich bei rumpeligen Busfahrten wie dieser fast immer einstellte, keine Beachtung zu schenken.

„Nur noch ein paar Minuten“, tröstete Chris sie, ließ sie dann aber endlich in Ruhe.

Eigentlich war der Concierge schuld an ihrer Misere. Er hatte ihr solch furchtbare Angst gemacht, dass sie gar nicht anders hatte handeln können, als sich auf dieses dumme Romance-Special der Agentur einzulassen. Er und sein penetrantes Nachfragen nach dem Fremden … Sie hätte vielleicht doch lieber ein Zimmer in einer kleinen Pension mieten sollen, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Aber sie hatte ja nicht auf den Komfort eines Vier-Sterne-Hotels verzichten wollen – obwohl Judy sie gewarnt hatte.

„Das ist keine Billigabsteige, Mia“, hatte sie noch kurz vor ihrem Abflug gesagt. „Die Leute werden es nicht mögen, wenn man sich Prostituierte auf sein Zimmer holt.“

Mia hatte sich bei dem Wort geschüttelt und das Gesicht verzogen, doch ihre Freundin hatte gnadenlos weitergesprochen.

„Die werfen dich achtkantig und mit lautem Getöse raus und diese Blamage überlebst du nicht. Du bist doch viel zu sensibel! Nachher stecken sie dich sogar noch für ein paar Tage in den Knast – zur Abschreckung! Andere Länder, andere Sitten.“

Mia hatte dennoch an ihrem Plan festgehalten, schließlich war die All-inclusive-Reise schon gebucht gewesen, und sich nicht von den Argumenten Judys beeinflussen lassen, ihr lediglich versprochen ganz, ganz vorsichtig zu sein. Und jetzt war sie doch noch Opfer ihrer eigenen Befürchtungen geworden, hatte das Hotel zusammen mit Chris wider besseres Wissen verlassen und am Anfang sogar noch daran geglaubt, dass sie eine schöne Zeit mit ihm verbringen würde – trotz Planänderung. Schließlich hatte ja auch die Geschäftspartnerin ihres Vaters bereits von den süßen Specials geschwärmt, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. 

Die Hoffnung hatte sie zwar immer noch, aber sie war auf ein mickrig kleines Häufchen geschrumpft. Und deswegen begann sie darüber nachzudenken, wie sie Chris eventuell loswerden konnte, ohne ihn zu verletzen oder gar seinen Job zu gefährden. Er war ja nett, aber die stressige Busfahrt eine Zumutung und machte es ihr schwer, noch daran zu glauben, dass das Ganze für sie befriedigend ausgehen würde. Im wahrsten Sinne des Wortes. So gut er auch aussah – der Mann verstand nicht viel von Romantik und wenn er sich auch so im Bett anstellte, wurde ihr erstes Mal mit Sicherheit eine einzige Pleite. Warum nur musste ausgerechnet sie das Pech haben, den Ersatzmann zugeschoben zu bekommen? Wahrscheinlich hatte sie das Romance-Special gar nicht rechtmäßig gewonnen, sondern es war die Voraus-Entschuldigung der Agentur für den Aushilfs-Callboy.

Als der Bus endlich in den Busbahnhof einfuhr, konnte  Mia sich ein erleichtertes Aufatmen nicht verkneifen. Zu ihrer Verwunderung schien auch ihre Begleitung sofort bessere Laune zu bekommen und es kaum abwarten zu können, auszusteigen. Er erhob sich rasch, blockte wie ein Gentleman die anderen Gäste hinter ihnen mit seinem Körper und Mia konnte ohne weitere Schwierigkeiten ins Freie treten.

Die frische Luft und Bewegungsfreiheit verbesserten ihren Gemütszustand ungemein und so bedachte sie Chris sogar mit einem freundlichen Lächeln, als er neben sie trat. Jeder verdiente eine zweite Chance, oder?

„Geht’s dir gut?“, fragte er sanft und Mia nickte bestätigend.

„Sagst du mir, wo es hingeht, oder bin ich wieder nur gezwungen, dir zu folgen?“, erkundigte sie sich.

Er grinste sie breit an. „Ich reiche dir ganz galant den Arm und eskortiere dich zu einem wundervoll romantischen, dir aber gänzlich unbekannten Plätzchen“, erklärte er und bot ihr auch sogleich den Ellenbogen. „Ich würde sogar dein Gepäck tragen.“

Sie lachte, schüttelte den Kopf und hakte sich bei ihm unter. „Das kriege ich grad mal so selbst hin“, erwiderte sie. „Aber vielleicht komme ich später noch mal darauf zurück.“

„… wenn du Reiseandenken shoppen warst und der Rucksack eine halbe Tonne wiegt“, setzte er mit einem gequälten Gesichtsausdruck hinzu und brachte sie erneut zum Lachen. Vielleicht würde ihr gemeinsamer Tag ja doch noch ganz nett werden.

Die bunten Häuser mit ihren hübschen Holzbalkonen und traumhaften Grünanlagen, die fast in jedem Ort der Insel zu finden waren, hoben Mias Laune weiter, genauso wie das angenehme Wetter. Es mochten um die siebenundzwanzig Grad sein, doch der frische Wind von der Küste ließ die Wärme auf der Insel nie unangenehm werden und bald schon lief sie nicht mehr grimmig, sondern stetig lächelnd durch die belebten Straßen des wunderschönen Städtchens. Letzten Endes kam es doch nur darauf an, einen tollen Urlaub auf Teneriffa zu verbringen – der Sex war ohnehin als nette Nebensache, als kleines Abenteuer zwischendurch gedacht gewesen. Wenn es nicht dazu kam, war das nicht weiter schlimm. Hauptsache, sie konnte sich restlos entspannen und ihre Zeit hier genießen.

Chris war ungeachtet seines Berufs ein unterhaltsamer, teilweise unglaublich charmanter Kerl und Mia begann sich immer wohler in seiner Nähe zu fühlen. Er brachte sie viel zum Lachen, während sie gemeinsam die Stadt erkundeten, machte ihr Komplimente und achtete sorgfältig darauf, dass weder sie noch ihr Gepäck in größeren Menschenansammlungen verloren gingen. Ein echter Kavalier – auch wenn er ihr weiterhin verschwieg, was ihr eigentliches Ziel war. Das erreichten sie nach ungefähr einer Stunde gemütlichem Wanderns und der Anblick verschlug Mia die Sprache.

Es ging ein paar Treppenstufen hinab in eine wundervolle, relativ naturbelassene Parkanlage, bestehend aus einem Hain aus Drachen- und Olivenbäumen, Palmen aller Art und blühenden Büschen und Blumen. Von oben, an der Straße, hatte man einen wundervollen Blick auf die roten Schindeldächer der tiefer liegenden Stadtteile und unten tauchte man ein in ein grünes Paradies. Chris hatte nicht übertrieben – dies hier war einer der romantischsten Orte, den sie je betreten hatte. Zudem war er zurzeit nicht besonders gut besucht und Mias Herz schlug gleich ein paar Takte schneller, weil Chris sich so zielstrebig mit ihr in das dichte Grün hineinbewegte. Was er wohl vorhatte? Bisher war ihr ‚Date‘ ja recht jugendfrei verlaufen, aber vielleicht änderte sich das ja nun – und sie war sich gar nicht so sicher, ob sie das jetzt schon wollte.

Nach einer halben Minute blieb er stehen, raunte ihr ein sanftes „Bin gleich wieder da“ zu und verschwand. Mia setzte ihm verwirrt ein paar Schritte nach, hielt dann jedoch inne. Was immer Chris auch plante, es war nicht fair, ihm seine Überraschung zu verderben. Also setzte sie sich auf eine der marmornen Bänke in der Parkanlage und wartete. Und wartete. Und wartete.

Nach etwa zehn Minuten zog sie missgestimmt die Brauen zusammen und erhob sich wieder, nicht gewillt, erneut Verärgerung in sich aufkommen zu lassen. Hier war es viel zu schön, um negative Gefühle zuzulassen.

„Chris?“, rief sie in die Natur hinein.

Keine Antwort. Sie biss sich auf die Lippen und lief ein paar Schritte in die Richtung, in die er gegangen war. Irgendwo in der Ferne war eine Männerstimme zu vernehmen – wenn sie sich nicht täuschte sogar seine. Telefonierte er etwa?! Das war ja ganz toll! Und sie dummes Huhn hatte geglaubt, dass er etwas Nettes für sie vorbereitete! Wahrscheinlich hatte er geglaubt, dass der Anblick der Parkanlage genügte, um den Punkt Romantik fürs Erste abzuhaken. Idiot.

„Also, ich gehe jetzt wieder nach oben!“, rief sie und setzte ihr Vorhaben kopfschüttelnd sofort in die Tat um. Oben angelangt wartete sie wieder ein paar Minuten. Chris schien sie jedoch nicht ernst zu nehmen, denn auch diese Zeit verstrich, ohne dass er in Sichtweite trat.

Mia biss fest die Zähne aufeinander, schnaufte verärgert und lief dann los, die Straße hinauf, die sie zurück in die Stadtmitte führte. Vielleicht war es an der Zeit, dem Elend ein Ende zu setzten. Man hatte ihr einen absoluten Anfänger geschickt, der sich zwar Mühe gab, aber sich immer wieder Sachen erlaubte, die nicht tragbar waren. Wenn er sie wiederfand, würde sie ihm ordentlich die Meinung geigen, und wenn nicht – auch gut. Sie konnte sich auch ohne ihn amüsieren und sich später ihr Geld von der Agentur zurückholen, denn das hatte sich ihr Callboy to Go nun wirklich nicht verdient.

Mia lachte verärgert über diesen dämlichen Namen und ihre eigene Dummheit und versuchte sich stärker auf das zu konzentrieren, was sie sah, und nicht das, was sie nicht sah. Immerhin gab es ja jetzt niemanden mehr an ihrer Seite, der sie mit seinem sympathischen Lachen, seiner warmen Stimme und seinen gelegentlichen, gänsehauterregenden Berührungen ablenkte.

La Orotava war ein schönes Städtchen, bunt, ordentlich, mit wunderschönen alten Gebäuden und hübschen Parkanlagen. Die Gehwege waren schmal und die Straßen des Öfteren etwas steil, offenbarten einem aber dafür wundervolle Ausblicke hinunter zur Küste oder über die Dächer der Häuser. Einige von ihnen veranlassten Mia dazu, stehenzubleiben und Fotos zu machen, so hübsch waren sie anzusehen mit ihrem Stuck und den kleinen Balkonen, und als sie das Rathaus erreichte, das eher wie ein rosafarbener Palast aussah, hatte sie Chris schon fast vergessen.

Alles war so eindrucksvoll und wunderschön und bald schon wurde ihr Gesicht wieder von einem Lächeln erhellt, das sie erst verlor, als sie vor dem Casa de los Balcones jemanden ihren Namen rufen hörte. Für einen kurzen Moment überlegte sie, in dem kleinen Museum zu verschwinden und zu hoffen, Chris auf diese Weise loszuwerden, doch dann wandte sie sich doch noch um und wartete, bis er keuchend zu ihr aufgeschlossen hatte.

„Pff … ich … du … pff …“, brachte er zusammenhanglos heraus, hob kurz die Hand, beugte sich nach vorn und stützte sich auf seine Oberschenkel, um besser zu Atem zu kommen.

Ja, die Straße, die hier rauf führte, war schon recht steil und der Schweiß, der ihm über die Stirn rann, verschaffte ihr zumindest ein klein wenig Genugtuung.

Mia stemmte die Hände in die Hüften und hob auffordernd eine Augenbraue. „Ja? Ich höre.“

Er hob erneut die Hand, schluckte schwer und richtete sich dann wieder auf. „Du warst … auf einmal weg.“

„Auf einmal?!“, wiederholte sie empört. „Du hast mich ewig warten lassen! Bist du ernsthaft der Meinung, dass so ein … Romance-Special aussieht?? Ich platziere die Dame in einer Parkanlage und gehe mal für ’ne Stunde telefonieren? Was, hast du geglaubt, tue ich in der Zwischenzeit? Verzückt an jeder einzelnen Blüte schnuppern?“

Er warf einen Blick über die Schulter, als würde dort die Antwort auf ihre Fragen zu finden sein, und nickte schließlich einsichtig.

„Du hast recht – das war unmöglich“, gab er genickt zu. „Aber … meine Mutter ist gerade im Krankenhaus und ich wollte mich nur kurz erkundigen, wie es ihr geht. Du kennst ja Mütter – die finden nie ein Ende, wenn sie einen erstmal am Telefon haben.“

Mias Herz zog sich zusammen und sofort machte sich ihr schlechtes Gewissen bemerkbar.

„Deine Mutter ist im Krankenhaus?“, wiederholte sie erschrocken. O Gott! Das kam davon, wenn man zu schnell Schlüsse zog. Und auch noch die falschen! War sie schlimm krank? Ob er deshalb als Callboy arbeitete? Sie fühlte sich immer mieser.

Er nickte, bemühte sich aber darum, möglichst unbekümmert auszusehen. „Der Blinddarm. Es ist aber alles ganz gut verlaufen.“

„Warum hast du denn nichts gesagt?“, erwiderte sie und all ihre Wut war sofort verschwunden. „Für so was habe ich doch Verständnis. Wir müssen das hier auch nicht weiter fortsetzen, wenn du …“

„Nein, nein, alles gut“, wimmelte er ihren Vorschlag ab, bevor er ganz ausgesprochen war. „Sie ist schon wieder ganz fit und ich habe dir versprochen, dir einen schönen Tag zu bereiten, dann werde ich das auch tun.“

Sein Blick flog ein weiteres Mal die Straße hinunter, dann landete er auf dem Eingang des Museums. „Willst du da rein?“

Sie betrachtete mitfühlend sein Gesicht und brauchte ein paar Sekunden, um seine Frage mit einem Nicken zu beantworten. „Aber nur, wenn du nichts anderes für uns geplant hattest.“

„Eigentlich stand der Besuch dieses Haus auch auf meinem Plan“, erklärte er ihr sanft. „Nur halt nicht so schnell.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739377308
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Februar)
Schlagworte
Liebesroman Callboy Chicklit Sex Comedy Liebe Teneriffa Urlaub Komödie Romanze Humor

Autoren

  • Ina Linger (Autor:in)

  • Cina Bard (Autor:in)

Ina Linger und Cina Bard wurden in den Siebziger Jahren in Berlin geboren und hatten schon als Kinder eine immense Fantasie. Seit ihrer Jugendzeit schreiben die beiden Autorinnen zusammen Geschichten und haben bereits mehrere Werke im Genre 'Romantische Komödie' zusammen veröffentlicht.
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Titel: Callboy To Go