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Rentierfieber

von Emma Zecka (Autor:in)
145 Seiten

Zusammenfassung

»Du willst mir also sagen, dass all meine Rentiere in Wahrheit verzauberte Weihnachtsmänner sind?« Als das Christkind Besuch vom Weihnachtsmann bekommt, erschrickt es. Der sonst so fröhliche Mann sieht müde aus und zeigt erste Anzeichen einer drohenden Rentierverwandlung. Um dieses Schicksal zu verhindern und Weihnachten zu retten, schickt ihn das Christkind zu den Menschen, um einen Nachfolger zu finden. Doch was er wirklich bei den Menschen entdeckt, ist noch viel wichtiger.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

Impressum

 

© 2020 Emma Zecka

Anschrift: Emma Zecka

c/o Fakriro GbR / Impressumsservice

Bodenfeldstr. 9, 91438 Bad Windsheim

E-Mail: EmmaZecka@gmx.de

Umschlaggestaltung und Cover: die Grafikerin

Lektorat: Kathleen Weise

Korrektorat: Julia Magill

Buchsatz: Karl-Heinz Zimmer

mit SPBuchsatz 1.4 und Sigil 1.2

 

Herstellung und Verlag: tolino media GmbH & Co. KG, München

 

Dieses Buch ist auch als Hardcover, Softcover und Hörbuch erhältlich.

Die ISBN für das Hardcover lautet: 978-3-7519-7288-8

Die ISBN für das Softcover lautet: 978-3-7519-7210-9

Die ISBN für das Hörbuch lautet: 978-3-9864-6829-3

 

Alle Haupt- und Nebenfiguren sowie die Handlung sind

frei erfunden. Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten

mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht

beabsichtigt.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

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Seit vielen Jahren tummelt sich Emma Zecka im Internet und in der (Hör-)Buchblogger:innenwelt.

 

Sie schreibt und spricht auf ihrem Hörbuchblog Ge(h)Schichten und veröffentlicht auch mal die ein oder andere Kurzgeschichte.

 

Hinter dem offenen Pseudonym versteckt sich die Autorin Ayasha Mack. Sie lebt und arbeitet in der Nähe von Freiburg. Dieses Kinderbuch ist ihr erster Roman.

 

Emma Zecka ...

Im Web: https://ge-h-schichten.blogspot.com/

Bei Twitter: https://twitter.com/GHSchichten

Bei Facebook: https://www.facebook.com/emmazeckaautorin/

E-Mail: EmmaZecka@gmx.de

 

 

 

 

 

Emma Zecka

 

 

 

Rentierfieber

 
 
Dieses Abenteuer ist für alle,

 
die sich die Freude auf
 
Weihnachten erhalten haben
 
oder sie vielleicht auch
 
durch diese Geschichte
 
wiederfinden.

 

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Dezember: im Baumhaus des Christkindes

Das Christkind saß in seinem warmen Baumhaus und blickte aus dem Fenster auf den schneebedeckten Weg. Er ist spät dran, dachte es. Normalerweise kam der Weihnachtsmann pünktlich, wenn er wusste, dass es etwas zu essen gab.

Der Tisch war bereits gedeckt. Das Christkind hatte Brot gebacken und sich Butter und etwas Wurst aus den Vorräten von Christstollen stibitzt. Es grinste, als es daran dachte, dass die Heimat aller Weihnachtswesen nach einem Weihnachtsgebäck benannt war.

Wurst war dort eine Seltenheit. Die Elfen aßen lieber süß statt herzhaft. Der Weihnachtsmann freut sich bestimmt über etwas Abwechslung, dachte das Christkind.

In letzter Zeit hatte er oft über die Eintönigkeit des Essens im Dorflokal geklagt. Die Elfen wussten nicht, was er meinte. Sie liebten ihren Speiseplan und konnten nie genug von den Plätzchen, Apfelstrudeln, Dampfnudeln und den anderen Leckereien bekommen.

»He, lass den Korb herunter!«, rief der Weihnachtsmann plötzlich, der wie aus dem Nichts vor dem großen Baum aufgetaucht war, auf dem das Haus stand.

Wie macht er das nur immer?, fragte sich das Christkind. Es stand auf, schnappte sich das Glöckchen vom Tisch und klingelte.

Der Weihnachtsmann trat einen notwendigen Schritt zurück, denn ein großer Korb, der einen Erwachsenen transportieren konnte, schwebte herab. Eine Klappe öffnete sich in dem Korb, sodass der Weihnachtsmann eine kleine Rampe hinaufsteigen und sich hineinsetzen konnte.

Das Fortbewegungsmittel schwebte nach oben und hielt vor der Veranda des Baumhauses.

Als der Weihnachtsmann das Haus betrat, erschrak das Christkind und wurde blass.

Müde lächelte der Weihnachtsmann sein Gegenüber an.

Außerdem – das Christkind konnte den Blick kaum abwenden – war da etwas auf seiner Nase. Das Christkind hatte es schon bei einigen Weihnachtsmännern gesehen. Und es verhieß nichts Gutes.

»Was ist denn los?«, fragte der Weihnachtsmann besorgt.

Sonst ist er die Ruhe selbst. Mit ihm stimmt etwas nicht! Es schnippte einmal mit den Fingern und hielt dem Weihnachtsmann die Handfläche vors Gesicht. In der Handfläche kam ein kleiner Spiegel zum Vorschein.

Nun wurde auch der Weihnachtsmann blass. »Meine … Nase …« Er stockte und blickte sein Spiegelbild mit offenem Mund an.

Auf der Nasenspitze prangte ein großer roter Bollen. Wäre die Farbe nicht dunkelrot gewesen, hätte ihn das Christkind fast für einen ungewöhnlich großen Pickel gehalten. Aber das Christkind wusste es besser und ahnte, dass er nicht erst seit gestern auf der Nase des Weihnachtsmannes zu finden war.

Das ist nicht gut, dachte es ängstlich.

»Warum haben mir die Elfen nichts gesagt? Rubina und Freddy sehe ich beinahe jeden Tag. Und Rubina nimmt bei so was doch sonst kein Blatt vor den Mund.« Der Weihnachtsmann war irritiert, das merkte das Christkind deutlich.

Er weiß es nicht, erkannte es. »Weil sie ihn nicht sehen«, flüsterte das Christkind. Weil sie durch und durch voller Freude auf das Weihnachtsfest sind, fügte es in Gedanken hinzu und fragte sich im selben Moment, ob es gut war, alle Karten auf den Tisch zu legen. Ich will nicht wieder denselben Fehler machen wie bei seinen Vorgängern.

»Was soll denn das heißen? Er ist doch kaum zu übersehen. Ich komme mir vor wie ein Clown!«

Das Christkind runzelte die Stirn und fragte sich, was das nun schon wieder war. Ich bin zu wenig unter Menschen, stellte es fest.

»Es fängt mit einer roten Nase an. Und irgendwann sprießen dir immer mehr Haare«, murmelte es.

»Du willst mich veräppeln, oder?«, fragte der Weihnachtsmann und lächelte kläglich.

Das Christkind schüttelte den Kopf. »Du wirst dich langsam, aber sicher in ein Rentier verwandeln«, verkündete es mit ernster Miene.

Da konnte der Weihnachtsmann nicht an sich halten und prustete los. Das Prusten ging in ein lautes, herzhaftes Lachen über, das die Unruhe von gerade eben beinahe wegwischte. »Ein Rentier!«, brachte er nach einer Weile atemlos hervor. »Du willst mir also sagen, dass all meine Rentiere in Wahrheit verzauberte Weihnachtsmänner sind?« Er grinste immer noch breit.

»Nein, natürlich nicht!«, protestierte das Christkind und fügte in Gedanken hinzu: Wobei ich mir bei Rudolf und seiner roten Nase manchmal nicht so sicher bin …

Beide schwiegen.

Zum Glück fragt er mich nicht, warum er sich verwandelt. Erleichterung überkam das Christkind. Dann bleibe ich vorerst wohl doch bei der halben Wahrheit. Vermutlich ist es besser so.

»Es gibt nur einen Weg, der Verwandlung zu entkommen. Du musst Christstollen und die Elfen verlassen«, meinte das Christkind schließlich. Der Plan beginnt.

»Aber wer kümmert sich dann um die Bescherung? Das können die Elfen doch unmöglich allein übernehmen. Außerdem warten die Kinder auf mich!«, protestierte der Weihnachtsmann und kratzte sich an der roten Nasenspitze.

»Du weißt doch, dass du nicht für immer Weihnachtsmann sein kannst, oder?«, fragte das Christkind vorsichtig. Es hatte schon viele Weihnachtsmänner kommen und gehen sehen. Aber dieser hier war ihm der liebste. Und genau aus diesem Grund wollte ihm das Christkind helfen. Es musste eine Lösung geben!

Der Weihnachtsmann öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, doch es kam kein Wort heraus. Dem Christkind wurde mit einem Mal bewusst, dass sich sein Gegenüber wohl dunkel daran erinnerte, dass er nicht immer in Christstollen gelebt hatte. Was zwanzig Jahre ausmachen können …

Es stand auf und zog den Weihnachtsmann zu einer Wand, an der einige Postkarten und Bilder hingen. Manche zeigten verschneite Dörfer. Auf anderen Bildern waren Strände, Sonne und das Meer zu sehen. Und auf manchen – der Weihnachtsmann konnte es kaum glauben, das merkte ihm das Christkind an – waren Männer zu sehen, die ihm ziemlich ähnlich sahen. Auch sie hatten einen weißen, nicht mehr ganz so langen Vollbart. Ihr Strahlen reichte über das ganze, braun gebrannte Gesicht bis zu den Augen, die vor Freude leuchteten.

Genauso sieht der Weihnachtsmann kurz vor seinem Abflug aus, oder dann, wenn er zurückkehrt und wir uns gegenseitig von unseren weihnachtlichen Abenteuern erzählen, dachte das Christkind.

Doch die Männer trugen keinesfalls rote Mäntel und schwarze Stiefel. Mantel und Hose waren bei manchen Männern durch T-Shirts und Shorts ersetzt worden. Einige von ihnen trugen sogar nur eine Badehose. Ihre Füße waren entweder im Sand vergraben oder steckten in Schuhen, die Löcher hatten.

Kritisch musterte der Weihnachtsmann das Schuhwerk.

»Das nennt man Sandalen«, erklärte das Christkind. Es nahm die neueste Karte von der Wand, drehte sie um, holte tief Luft und begann laut zu lesen. Ein Mann schrieb, dass er gut in der neuen Heimat angekommen sei und die Wärme liebte. Den Rentierschlitten habe er gegen ein sogenanntes Surfbrett eingetauscht. Anstatt über den Himmel zu fliegen, reite er nun auf Wellen. Der Weihnachtsmann rümpfte die Nase. Erleichtert erkannte das Christkind, dass ihm diese Vorstellung nicht besonders gefiel. Es hielt ihm einen weiteren Briefumschlag hin. Als der Weihnachtsmann den Umschlag öffnete und umdrehte, rieselten ein paar Sandkörner auf den Boden. Entsetzt sprang er zurück, als wäre der Sand etwas Gefährliches.

»Es gibt Orte, an denen viele ehemalige Weihnachtsmänner leben. Santa Cruz zum Beispiel«, erklärte das Christkind behutsam und hoffte inständig, dass der Plan funktionieren würde. »Dort geht es ihnen gut. Und sie schreiben mir regelmäßig.«

»Ich will Christstollen nicht verlassen. Wie soll denn Weihnachten für mich ohne Schnee, die Elfen und vor allem ohne dich funktionieren?« Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Das Christkind tat so, als müsste es über eine Lösung nachdenken, dabei hatte es doch bereits einen Plan. Sehr lange war es still im Baumhaus. Bitte, dachte das Christkind, lass meine Rechnung aufgehen.

Dann begann es zu erzählen.

Kapitel 1

1. Dezember: in der Hütte des Weihnachtsmannes

Christstollen bestand aus zwei Stadtteilen. Das Christkind lebte im Stadtteil »Christ«, der ausschließlich über der Erde lag. Der Großteil von »Stollen« hingegen lag in einer Höhle unter der Erde.

Nur das Dorflokal »Zum hungrigen Elfen«, das Postamt, die Weide mit den Rentieren und deren Ställen lagen im überirdischen Teil von »Stollen«.

Die Hütte des Weihnachtsmannes stand zwischen den beiden Stadtteilen über der Erde. Nur wenige Elfen leisteten ihm hier Gesellschaft, denn die meisten von ihnen lebten in der Höhle, kamen aber täglich nach draußen, um im »Hungrigen Elfen« essen zu gehen, nach getaner Arbeit im Schnee zu spielen oder auf Rentieren zu reiten.

Der Weihnachtsmann saß im Wohnzimmer seiner Hütte, blickte nach draußen und wartete auf Freddy und Rubina. Die Sonne brachte den Schnee zum Leuchten. Ein Anblick, den der Weihnachtsmann eigentlich gern sah. Doch heute war ihm schwer ums Herz. Eigentlich schon eine Weile. Und ganz besonders nach seinem Besuch beim Christkind.

»Ja, es gibt keinen anderen Ausweg«, hatte es erklärt, und der Weihnachtsmann wusste, dass das Christkind recht behalten würde. Vielleicht ist ein kleiner Ausflug ja gar keine so schlechte Idee.

Dem Christkind hatte er nicht erzählen können, dass es ihm in letzter Zeit nicht gut ging. Schließlich mussten sie sich erst einmal um den roten, immer größer werdenden Bollen auf seiner Nase kümmern.

In wenigen Minuten würden seine beiden treuesten Mitarbeiter vorbeikommen. So wie jedes Jahr. Gemeinsam mussten sie die Bescherung organisieren. Ja, der Mythos besagte, dass sich der Weihnachtsmann am Tag der Bescherung einfach auf seinen Schlitten setzte und bis in die Morgenstunden unterwegs war und sich vom Wind treiben ließ.

Doch in Wahrheit war es ganz anders. Die ersten Vorbereitungen waren bereits getroffen worden.

Die Elfen hörten sich schon seit Mitte November heimlich bei den Menschenkindern um, damit ihre Wünsche ab Dezember schneller bearbeitet werden konnten und die Elfen nicht erst auf die Wunschzettel warten mussten.

Einige Kinder wussten schon genau, was sie wollten. Ihre Wünsche waren so stark, dass sie von den Elfen einfach notiert und an die Produktion weitergegeben werden konnten.

Diese Kinder waren meist voller Vorfreude auf Weihnachten, und das Leuchten in ihren Augen war an Weihnachten immer da. Selbst wenn sie sich etwas wünschten, das noch erfunden werden musste und die Elfen nur eine Alternative verschenken konnten.

Nur selten waren Kinder unzufrieden mit dem, was der Weihnachtsmann und die Elfen für sie aussuchten.

Aber vielleicht hatte das Glücksgefühl auch etwas mit der Elfenmagie zu tun, die die Elfen in kleinen Portionen in jedem Geschenk versteckten. Die Körper der Kinder konnten die Elfenmagie meist aufnehmen und verwerten. Bei den Erwachsenen hingegen konnte es oft ein paar Tage dauern, bis die Elfenmagie verdaut war.

Glückliche Kinder machten auch die Elfen fröhlich und gaben ihnen das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Und bis vor Kurzem hatte das auch beim Weihnachtsmann funktioniert.

Doch seit einer Weile war alles etwas anders. Er mochte Christstollen, das leckere Essen, die Elfen und deren gute Laune, die bei der jährlichen Bescherung ihren Höhepunkt fand. Meist ließ er sich davon anstecken. Doch in letzter Zeit wollte das nicht mehr so recht funktionieren.

Es berührte ihn nicht mehr, wenn ihm ein aufgeregter Elf von einer neuen weihnachtlichen Idee berichtete. Kleinlaut musste er sich eingestehen, dass es ihn an manchen Tagen sogar nervte, wenn die Elfen tagein, tagaus Weihnachtslieder vor sich hin summten oder – wenn sie genügend Milch getrunken hatten – sogar lautstark grölten.

Ihm war diese Freudlosigkeit so unangenehm, dass er sich nicht einmal dem Christkind anvertrauen wollte.

Zum Glück war es von dem roten Bollen auf meiner Nase abgelenkt, dachte der Weihnachtsmann dankbar.

Obwohl das Christkind nichts von seiner misslichen Lage wusste, hatte es einen Vorschlag gemacht, der ihn vielleicht auf andere Gedanken bringen konnte. Nun musste er nur noch Rubina und Freddy davon überzeugen.

Der Weihnachtsmann musterte den Seesack, der gepackt vor ihm auf dem Küchentisch lag. Darin befand sich alles, was er für seine Mission brauchte. Daneben standen eine Kanne Kakao, drei Tassen und ein Teller mit warmen Plätzchen.

Gemischte Gefühle durchströmten den Weihnachtsmann. Einerseits machte es ihn traurig, seinen Freunden seine Entscheidung mitzuteilen. Er ahnte, dass es nicht so leicht für sie werden würde, und er wollte sie ungern verletzen.

Andererseits weckte die Aussicht auf das Unbekannte Neugier in ihm. Ein kribbelndes Gefühl, das er schon sehr lange nicht mehr verspürt hatte. Es juckte. Aber kein unangenehmes Jucken. Sondern diese Art von Jucken, die einen kaum stillsitzen ließ und den Drang mit sich brachte, dem Abenteuer entgegenzugehen.

Da ertönte das Klingeln seiner Haustür.

Er drehte sich in Richtung des schmalen Flurs, nickte und wusste, dass es reichte. Die Tür schwang auf.

»Es ist so kalt draußen. Das ist unfassbar. Perfekte Bedingungen, wenn ihr mich fragt.« Freddy betrat den Raum als Erster. Er trug seine rote Weihnachtsmütze mit der weißen Bommel, eine weiße Jacke mit rotem Kragen und goldenen Knöpfen und eine rote Hose – die Uniform, die ihn als Mitarbeiter des Weihnachtsmannes auszeichnete.

Eigentlich waren alle Elfen in Christstollen mehr oder weniger Mitarbeiter des Weihnachtsmannes. Schließlich war jedes noch so kleine Puzzleteil wichtig, damit alles von der Planung bis zur Durchführung der Bescherung funktionierte. Dennoch trugen die Elfen, die im Planungs-, und Durchführungsteam des Weihnachtsmannes waren, besondere Kleidung. So wussten die Elfen, an wen sie sich wenden konnten, wenn sie Ideen für die Bescherung hatten.

»Dich hat aber keiner gefragt.« Rubina, launisch wie immer, betrat, in ihren dunkelblauen Mantel gehüllt, ebenfalls den Raum. Sie trug ihre Uniform nur selten.

Hinter den beiden flog die Tür zu. Ein Vorteil der magischen Türen war: Sie erkannten, wie viele Ankömmlinge davorstanden, und konnten auch zuordnen, wer erwartet wurde und wer unerwünscht war.

Als die Türen noch nicht ganz ausgetüftelt gewesen waren, war das ein oder andere Exemplar schon mal einem Elfen gegen den Kopf geschlagen.

Inzwischen stimmten die Türen ein nervtötendes Lied an, wenn ein Elf unbefugt ein Heim betreten wollte. Über der Schwelle leuchtete dann ein weißes, blinkendes Licht auf, das den Eindringling so lange beleuchtete, bis er von selbst aufgab und umkehrte.

»Schön, dass ihr da seid!«, begrüßte der Weihnachtsmann seine beiden Gäste.

Freddy und Rubina waren wie Speiseeis und Schokolade. Es war möglich, das eine ohne das andere zu haben, aber das war nur halb so gut.

Die Elfen maßen lediglich einen Meter und waren somit nicht einmal halb so groß wie der Weihnachtsmann.

Sie nahmen ihm gegenüber am Tisch Platz. Der Weihnachtsmann schenkte den beiden jeweils eine Tasse Kakao ein und schob einen Teller Kekse zwischen sie. Von Keksen konnten die Elfen nie genug bekommen. Pure Milch hingegen durften sie nur zum Feierabend und während der Bescherung in der Arbeitszeit trinken. Wenn sie betrunken waren, konnte das nämlich schlimme Folgen haben.

Der Kakao neutralisierte allerdings die Wirkung. Sie hätten Unmengen davon trinken müssen, um danach betrunken zu sein. Aber das ist eine andere Geschichte.

Freddy und Rubina nahmen einen Schluck aus ihren Tassen, schnappten sich die ersten Kekse und bissen so herzhaft ab, als hätte man sie vorher auf Diät gesetzt.

Der Weihnachtsmann beobachtete die beiden. Sie würden ihm fehlen. Aber er musste es tun. Und er wusste, dass die beiden ohne ihn zurechtkommen würden. Zumindest fürs Erste.

Misstrauisch blickte Rubina zwischen dem Seesack und dem Weihnachtsmann hin und her. »Was ist los?«, fragte sie.

»Es gibt etwas, das ich mit euch besprechen muss …«, begann er.

»Ja, die Tagesordnung ist ziemlich lang. Wie jedes Jahr. Aber bisher sind wir immer fertig geworden. Und meistens ist es gar nicht so viel, wie man denkt«, redete Freddy munter drauflos.

»Du alter Elf! Siehst du denn nicht, was hier vor uns liegt?«, fuhr Rubina ihren Freund an.

»Kakao, Kekse …« Freddy war die Ratlosigkeit deutlich anzumerken.

»Der Weihnachtsmann hat gepackt.« Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete sie auf den Seesack.

»Ach, das! Du kennst ihn doch. Er ist immer etwas … unordentlich. So kurz vor dem Finale. Vielleicht trennt er sich auch einfach nur von ein paar Habseligkeiten.« Freddy lachte.

»Hallo? Ich sitze euch gegenüber. Ihr müsst noch nicht so tun, als ob ich nicht da wäre«, ergriff der Weihnachtsmann wieder das Wort.

»Noch?« Rubinas Augen wurden groß.

»Du hast es erfasst. Ich werde euch verlassen.« Der Weihnachtsmann atmete erleichtert aus. Endlich waren die Worte heraus.

Rubinas Augen wurden noch größer, falls das überhaupt möglich war. Freddy ließ den angebissenen Keks fallen.

Der Weihnachtsmann ließ die eben ausgesprochenen Worte erst einmal wirken. Vielleicht hatte Rubina ja weitere Fragen parat. Du Idiot! Natürlich wird sie weitere Fragen stellen, schallt er sich.

»Das kannst du doch nicht machen!« Seltsamerweise hatte Freddy als Erster die Sprache wiedergefunden. Er griff nach dem Keks und biss ein weiteres Stück ab.

»Ich muss. Ihr wisst, ich werde nicht jünger. Und irgendwann muss ich auch einen Nachfolger für mich suchen.« Nun kam der Teil, den er mit dem Christkind besprochen hatte.

»Papperlapapp! Das kannst du auch in den Sommermonaten machen. Wenn wir nicht alle Hände voll zu tun haben. Ich verstehe ja, dass du dich vor der Arbeit drücken willst. Aber so leicht kommst du mir nicht davon.« Rubina stupste mit dem Zeigefinger gegen seinen runden Bauch und war ganz in ihrem Element.

»Im Sommer? Wenn alle nur von Urlaub, Strand und Wasser träumen? Wenn in dieser Zeit nur noch Eis in den hungrigen Mägen landet? Rubina, machen wir uns doch nichts vor. Wir brauchen einen Weihnachtsmann, der für diese Arbeit friert. Und den kann ich ganz bestimmt nicht im Sommer finden, wenn von Weihnachten weit und breit keine Spur zu sehen ist.« Der Weihnachtsmann hatte alles durchdacht. Sie muss mir einfach zustimmen.

»Aber vielleicht findest du ja genau dann den richtigen Mann. Jemanden, der das ganze Jahr über anderen eine Freude machen möchte. Der das Schenken nicht von einer Jahreszeit abhängig macht«, meinte Freddy kleinlaut.

Mist!, dachte der Weihnachtsmann. So weit hatte er nun wirklich nicht gedacht. Und das Christkind wohl auch nicht.

»Freddy, bist du wahnsinnig? Wir brauchen doch jemanden, der die Kälte gewohnt ist. Der so viel Wärme in sich trägt, dass ihm die kalten Temperaturen gar nichts ausmachen. Und wie soll der Weihnachtsmann so jemanden im Sommer finden? Wenn sich alle über eine Klimaanlage freuen, aber überhaupt nicht wissen, dass es hier viel extremer ist als in einem klimatisierten Raum!«

Der Weihnachtsmann unterdrückte ein Lächeln. Er hätte nicht gedacht, dass sich Rubina so schnell selbst widersprechen und ihm damit indirekt helfen würde. Dass es ihr inzwischen schon zur Gewohnheit geworden war, Freddy immer zu widersprechen, war diesmal ein Vorteil.

»Genau«, bestätigte der Weihnachtsmann Rubinas Einwand, war sich aber nicht sicher, worauf er sich mit diesem Wort wirklich bezog. Er kannte die beiden jedoch gut genug, um zu wissen, dass sie nicht weiter nachfragen würden.

»Wie hast du dir das Ganze vorgestellt?«, fragte Rubina.

Der Weihnachtsmann kramte in der Jackentasche und legte ihnen ein sich selbst auseinanderfaltendes Blatt Papier vor. Er tunkte einen Keks in den Kakao und hielt den tropfenden Keks über das Papier. Sofort wurde der Geheimplan mit den Anweisungen zur Bescherung sichtbar. Freddy und Rubina staunten nicht schlecht.

»Und du glaubst wirklich, dass wir das schaffen?«, fragte Freddy ängstlich.

»Und du glaubst wirklich, du bist rechtzeitig mit deinem Nachfolger zurück?« Rubinas Worte verrieten Misstrauen.

»Natürlich. Sonst hätte ich euch diesen Plan nicht aufgeschrieben. Ich bin rechtzeitig wieder da. Macht euch um mich keine Sorgen. Ihr müsst nur alles vorbereiten, damit die Bescherung wie gewohnt stattfinden kann.«

Für einen Moment war es still. Der Weihnachtsmann musterte seine Elfen genau. Freddy blickte unsicher drein, und Rubinas Miene war skeptisch. Er sah, wie sich ihre Lippen ganz leicht bewegten, und glaubte, ein gemurmeltes »Na dann frohe Weihnachten« zu vernehmen. Aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet, überlegte er.

»War ja klar. Hauptsache, wir haben die Arbeit«, grummelte die Elfe nach einer Weile lauter.

»Begleitet ihr mich noch zum Abflussrohr?«, fragte der Weihnachtsmann nach einer Weile des Schweigens.

Es wäre schön, seine beiden besten Freunde beim Abschied um sich zu haben.

Die beiden nickten, ohne zu zögern.

****

Das Abflussrohr war eine große Rutsche, die in der Mitte der beiden Stadtteile »Christ« und »Stollen« lag. Die Rutsche lag zwar am Höhleneingang von »Stollen«, führte aber nicht dort hinein, sondern überirdisch den Berg hinab. Niemand wusste, wo das Abflussrohr endete.

Man wusste nur eines: Das Abflussrohr führte weg von Christstollen, nach unten zu den Menschen. Irgendwann verlor man die Rutsche aus den Augen, so lang war das Rohr nun einmal. Daher hatte es auch seinen Namen. Kein Elf wusste, woher diese Rutsche kam und wer sie gebaut hatte. Denn irgendwer musste Christstollen verlassen haben, um das Ende des Abflussrohrs zu bestimmen.

Die Elfen mieden das Rohr. Sie glaubten, wer es einmal bestieg, würde vermutlich nie wieder zurückkommen. Und das, obwohl der Weihnachtsmann ihnen häufig das Gegenteil bewies.

Regelmäßig bestieg er die Rutsche, um das Christkind oder den Nikolaus zu besuchen. Beide wohnten am anderen Ende Christstollens. Am Rand des Stadtteils »Christ«. Nicht einmal die Elfen wussten, wie groß Christstollen wirklich war. Sie blieben meist nur in »Stollen«. Die einzigen Orte, die sie in »Christ« kannten, waren das Baumhaus des Christkindes und die Hütte des Nikolaus.

Das Abflussrohr bestand aus Blech und etwas Elfenmagie. Es passte sich dem Körperumfang desjenigen an, der es nutzen wollte, bot aber noch genug Freiraum, sodass man nicht unter Platzangst leiden musste.

Um sich in das Abflussrohr setzen zu können, musste der Weihnachtsmann erst eine massive Leiter nach oben steigen. Zehn Stufen würden ihn von Christstollen und dem Abflussrohr trennen. Freddy, Rubina und er standen vor der massiven Leiter.

»Und du bist dir sicher, dass du das wirklich tun möchtest?«, fragte Rubina.

Der Weihnachtsmann lächelte. Manchmal verhielt sie sich wirklich wie seine Mutter.

Er erinnerte sich kaum an eine Zeit vor Christstollen. Bisher hatte ihm das auch nicht viel ausgemacht. Schließlich ging es ihm in seiner Wahlheimat eigentlich gut.

Aber an eines konnte er sich sehr gut erinnern. Nämlich daran, dass es jemanden gab, der sich um ihn sorgte, der ihn liebte, egal, was er anstellte. Dieses Gefühl der Geborgenheit war tief in ihm verankert und gab ihm Sicherheit.

Er wusste, dass diese Geborgenheit wohl etwas mit seiner Mutter zu tun haben musste. Aber hätte ihn jemand nach so etwas Banalem wie dem Aussehen seiner Mutter gefragt, hätte er vermutlich lächelnd mit einer Gegenfrage geantwortet: »Ist das denn so wichtig?« Insgeheim aber war der Wunsch nach mehr Erinnerungen an eine Zeit außerhalb des magischen Gebiets gerade in den letzten Wochen immer lauter geworden.

»Natürlich. Ich will ja, dass die Kinder auch in den nächsten Jahren beschenkt werden.« Und ich brauche dringend eine Auszeit, fügte er in Gedanken hinzu.

»Wir werden dich vermissen.« Während er sprach, blickte Freddy auf den schneebedeckten Boden.

»Ich euch auch. Aber ich werde ja wiederkommen. Und zwar am dreiundzwanzigsten Dezember.« Hoffentlich! Er umarmte Rubina und flüsterte: »Sei nicht so streng mit ihm. Du hast jetzt die Verantwortung.« Er nahm die Mütze ab und setzte sie Rubina auf.

Innerhalb weniger Sekunden passte sich die Mütze ihrer Kopfform an, und der Weihnachtsmann musste sich eingestehen, dass sie Rubina gar nicht mal so schlecht stand. Das Rot leuchtete wunderschön zu Rubinas blauem Mantel.

»Ich bin mir sicher, du wirst es großartig machen.« Er ließ sie los, blickte ihr in die Augen und konnte sogar ein paar Tränen glitzern sehen. Etwas für Rubina sehr Ungewöhnliches. Dann breitete er die Arme aus und umschlang Freddys dünnen Körper. »Behalt deine Fantasie und lass dich von Rubina nicht zu sehr ärgern«, flüsterte er ihm ins Ohr.  Schließlich ließ er auch ihn los und erkannte in Freddys Augen das vorweihnachtliche Leuchten, das es brauchte, um ein wunderbares Weihnachtsfest zu planen. »Wir sehen uns«, verkündete er und wusste, dass es nicht gelogen war. Er wusste nur noch nicht, wann.

Dann stieg er die Stufen hinauf.

Oben angekommen, trennte ihn eine Holzplatte von dem großen Schlund des Abflussrohrs.

»Weihnachtsmann, geht es dir gut?«, rief Rubina besorgt.

»Alles in Ordnung. Macht euch keine Sorgen. Konzentriert euch auf das Weihnachtsfest«, rief er keuchend.

»Er klingt nicht gut«, hörte er Rubina sagen.

»Er macht zu wenig Sport«, antwortete Freddy selbstsicher.

Sie erwiderte wieder etwas, doch der Weihnachtsmann hörte nicht mehr richtig zu.

Er näherte sich dem Abflussrohr und nahm auf einer gepolsterten Matte Platz, die bereits im Rohr lag. Er holte tief Luft und hielt kurz inne, bevor er das tat, was getan werden musste.

Links und rechts neben der Matte waren zwei Griffe angebracht, die er nun, ohne zu zögern, fest nach unten drückte. Dieses Mal musste er bis zum Schluss im Abflussrohr bleiben, um zu den Menschen zu kommen.

Die Matte wackelte und begann zu zischen. Eine Sekunde später schoss sie nach unten.

Auf in eine neue, unbestimmte Zukunft, war sein letzter Gedanke in der alten Heimat.

Kapitel 2

4. Dezember: in einer Stadt, deren Namen nicht genannt werden wird. Vor einem großen Gebäude.

»He, Mann! Steh gefälligst auf. Du kannst hier nicht einfach so herumliegen! Schon mal auf die Uhr geschaut?«

Der Weihnachtsmann grummelte etwas in seinen Bart und fragte sich, seit wann die Elfen einen solch harschen Ton anschlugen.

»Hörst du mir überhaupt zu, oder muss ich erst die Polizei rufen?«

Polizei? Mit einem Schlag war der Weihnachtsmann hellwach. Er war nicht in Christstollen. Und es sprach auch kein Elf zu ihm. Er öffnete die Augen und hätte sie am liebsten sofort wieder geschlossen. Ein Mann, den der Weihnachtsmann beinahe für einen Riesen gehalten hätte, leuchtete ihm mit einer grellen Taschenlampe direkt ins Gesicht.

Der Weihnachtsmann rappelte sich auf und blickte sich um. Die Matte, auf der er gereist war, war verschwunden. Genau wie das Abflussrohr und der Wald, der Christstollen umgab.

Er drehte sich einmal um die eigene Achse und stellte fest, dass er vor einem großen gläsernen Gebäude gelandet war. Von Schnee war weit und breit keine Spur zu sehen. Aber kalt war es trotzdem.

»Wo bin ich?«, krächzte er. Der Weihnachtsmann riskierte einen Blick nach oben, aber er konnte nicht erkennen, wo das Gebäude endete. Das ist ja fast noch bedrohlicher als das Abflussrohr, dachte er. Der Himmel war dunkel, und der Weihnachtsmann fragte sich verwirrt, wie spät es eigentlich war. Nachts schliefen die Menschen bekanntlich.

Er drehte sich wieder zu dem Mann um, der ihn so unsanft geweckt hatte.

»Du hast wohl zu viel Glühwein gebechert, was?« Der Riese grinste.

Doch der Weihnachtsmann spürte, dass es kein freundliches Grinsen war.

»Du weißt es wirklich nicht«, stellte der Mann schließlich nach Sekunden des Schweigens trocken fest. »Das hier ist ›Glasmania‹, das größte Einkaufszentrum der Umgebung, falls du auch das vergessen haben solltest. In genau zwei Minuten lassen wir die Mitarbeiter rein, damit sie ihre Läden für die Kunden vorbereiten können.«

Kunden? Wer will denn schon so früh einkaufen?

»Und ich will nicht, dass du die Leute von der Arbeit abhältst, du Penner. Also, verschwinde!« Der Riese verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte nun nicht nur abweisend, sondern auch bedrohlich.

»Ich bin kein Penner, ich bin der Weihnachtsmann«, erklärte der Weihnachtsmann ruhig und kassierte einen verständnislosen Blick des Riesen. Er starrte zurück. Jetzt komm schon. Du musst dich doch an mich erinnern.

»Oh …« Ein Lachen, das fast freundlich wirkte, breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ach, deswegen trägst du diese bescheuerte Mütze.«

Der Weihnachtsmann stutzte und fasste sich automatisch an den Kopf. Tatsächlich! Da war seine Mütze.

Aber ich habe sie doch Rubina aufgesetzt, bevor ich gegangen bin. Der Weihnachtsmann war ratlos.

Er wollte sie abnehmen, doch es gelang ihm nicht. Je stärker er an der Mütze zog, desto mehr zwickten die Haare auf dem Kopf. Ihm schien, als ob seine Hand ein wenig kribbelte, als er die Mütze abnehmen wollte. Bestimmt nur die Aufregung, dachte er.

»Äh …«, stammelte der Weihnachtsmann. Irgendetwas stimmt nicht, wurde ihm bewusst.

»Äh«, äffte ihn der Riese nach. Dann fügte er hinzu: »Du glaubst das wirklich, oder?«

Der Weihnachtsmann musterte ihn verständnislos. Was war das für eine Frage?

»Na, du bist vielleicht ein lustiger Kauz. Pass lieber auf, wem du den Bären mit dem Weihnachtsmann aufbindest. Sonst glauben sie noch, dass du krank bist.«

Bären? Suchend blickte sich der Weihnachtsmann um. Vielleicht hatte er etwas übersehen. Aber da war weit und breit kein Bär zu sehen. Und er vermutete auch, dass er einen Bären nicht besonders weit tragen, geschweige denn an sich binden konnte.

»Vielen Dank«, meinte der Weihnachtsmann daher, weil er glaubte, dass ihm der Riese einen wichtigen Ratschlag mit auf den Weg geben wollte. »Ich gehe dann mal.«

»Wurde aber auch Zeit«, murmelte der Riese.

Der Weihnachtsmann musterte seine Umgebung etwas genauer und bemerkte erst jetzt, dass sich bereits einige Menschen vor dem gläsernen Gebäude versammelt hatten. Manche trugen verschiedene Uniformen, hielten glühende Stängel in der Hand und unterhielten sich teils lebhaft, teils leise miteinander. Rauch kam aus ihren Mündern, und der Weihnachtsmann fragte sich, welche Art von Magie das wohl war. Und ich dachte immer, Menschen können nicht zaubern.

Er schlenderte an den Grüppchen vorbei. Was sollte er nun tun? Wo sollte er mit der Suche nach einem Nachfolger beginnen? Worauf musste er achten? Und was würde geschehen, wenn er einen geeigneten Kandidaten fand? Das Christkind hatte ihm nicht erklärt, wie es dann weitergehen würde.

Konnte er einfach so nach Christstollen zurückkehren, oder würde er sich dort Stück für Stück in ein Rentier verwandeln? Wie viel Zeit blieb ihm dann noch, dem neuen Weihnachtsmann zu erklären, wie alles rund um die Bescherung geplant werden musste?

Obwohl die Vorstellung, als Rentier auf der Weide zu enden, bedrohlich war, musste er bei dem Gedanken immer noch etwas grinsen. Immerhin werde ich nicht zu einem Keks und laufe Gefahr, gegessen zu werden, dachte er.

Er atmete tief ein und dachte an die vergangenen Bescherungen, die er gemeinsam mit Freddy und Rubina organisiert hatte.

Er liebte es, einmal im Jahr mit dem Schlitten unterwegs zu sein. Er mochte seine Touren, die Rentiere und die Elfen, die ihn jedes Jahr begleiteten. Inzwischen waren sie eine eingeschworene Gemeinschaft geworden. Eine Gemeinschaft, die bald einen neuen Weihnachtsmann willkommen heißen musste. Würde das funktionieren?

Wenn er an die vergangenen Feste dachte, erinnerte er sich noch gut an die stetig anwachsende Aufregung und das größer werdende Glücksgefühl, wenn die Geschenke verteilt worden waren. Aber er konnte diese Emotionen nicht mehr spüren. Sie schienen in weite Ferne gerückt zu sein. Genau wie Christstollen.

Er vermisste die Begeisterung, die immer größer wurde, je näher das Fest rückte. Das Glücksgefühl im Magen, das nicht einmal durch Kekse und Kakao ersetzt werden konnte. Diese Euphorie kurz vor dem Abflug am Weihnachtstag. Dieses Kribbeln im Bauch, wenn der Schlitten an Fahrt aufnahm und in die Luft schwebte. Und das herzhafte Lachen, wenn ihn die Elfen mit Witzen und anderen lustigen Geschichten während der Fahrt unterhielten.

All das musste ein neuer Weihnachtsmann auch spüren. Denn nur dann war er der Richtige für diese Aufgabe. Doch wie konnte der Weihnachtsmann ihm das beibringen, wenn die Emotionen nur noch eine schwache Erinnerung waren?

Er seufzte. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, und sein Magen begann zu knurren. Es wird Zeit für ein Frühstück, dachte er und wollte den Seesack absetzen, der wie in der Nacht und am Morgen der Bescherung über seiner Schulter hängen sollte.

Doch da war kein Seesack. Seine Hand hing zwar an der Schulter, umfasste aber nur ein Stück seines Mantels. Er erstarrte.

Der Seesack …

Er blickte in ein Schaufenster, nahm die immer noch rote Nase gar nicht wahr und drehte sich zur Seite. Normalerweise saß das Ding so sicher auf seiner Schulter, dass er das Gewicht gar nicht mehr spürte. Aber jetzt war da kein Seesack.

Das kann nicht sein! Er hatte sein Gepäck verloren. Dabei war dort alles drin, was er bei den Menschen gebrauchen konnte. Genug Essen, etwas Elfenmagie für den Notfall, seine Arbeitskleidung, falls er sie benötigte, und Platz für jene Dinge, die während der Reise zu ihm kommen würden. Die Dinge, die erst dann auftauchten, wenn man sie wirklich brauchte, und für die man deswegen genug Platz einplanen musste.

Wie soll ich das nur alles schaffen, so ganz ohne Gepäck? Wie soll ich wieder zurück nach Hause finden, wenn ich nicht auf die Elfenmagie zurückgreifen kann?

»He, du da!«

Der Weihnachtsmann wurde blass. Nicht noch so ein Riese, dachte er ängstlich. Vorsichtig wandte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

»Ist alles in Ordnung mit dir?« Ein junger Mann mit einer roten Jacke und einer gelben Schildmütze, auf der ein rotes »M« stand, war neben ihm aufgetaucht und blickte ihn unsicher an.

»Na ja …« Der Weihnachtsmann wusste nicht so recht, wo er beginnen sollte.

»Hast du schon gefrühstückt?«

»Kannst du Gedanken lesen?«, fragte der Weihnachtsmann erstaunt.

»Nein, aber ich höre deinen Magen knurren. Komm mit, ich habe da vielleicht was für dich.« Der junge Mann nickte ihm aufmunternd zu und ging in Richtung des Einkaufszentrums, vor dem der Weihnachtsmann gestrandet war.

Kapitel 3

4. Dezember: eine halbe Stunde später im Café

Der Weihnachtsmann hatte auf einem Sofa in »Mully's Café« Platz genommen. Sein neuer Freund winkte lachend ab, als ihn der Weihnachtsmann mit »Herr Mully« ansprechen wollte.

»So heißt die Kette. Die gibt es auf der ganzen Welt. Ich bin Joe.« Er stellte einen Teller mit einem großen Stück Käsekuchen und einem Schokoladenmuffin vor dem Weihnachtsmann ab. »Dein Kakao kommt gleich«, fügte er hinzu und verschwand in Richtung der Theke.

Der Weihnachtsmann war erleichtert. Zumindest das Essen sieht schon mal so aus wie zu Hause. Hoffentlich schmeckt es auch so. Er holte den Muffin aus seinem Papierförmchen und biss hinein. Hmpf, dachte der Weihnachtsmann. Der Muffin schmeckte süß. Doch irgendetwas fehlte. Aber was?, fragte er sich.

Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis das Café offiziell öffnete. Nach und nach trudelten einige Mitarbeiter ein, würdigten den Weihnachtsmann aber keines Blickes. Wortlos verschwanden sie in den Räumen, die nur für die Mitarbeiter gedacht waren.

Als Joe wiederkam, hielt er nicht nur eine Tasse Kakao für den Weihnachtsmann in der einen, sondern auch eine Tasse Kaffee für sich selbst in der anderen Hand.

»Ich habe dich hier noch nie gesehen. Kommst du aus der Stadt?«, fragte er und nahm neben dem Weihnachtsmann auf dem Sofa Platz.

Um sich noch etwas Zeit mit seiner Antwort lassen zu können, biss der Weihnachtsmann schnell ein weiteres Stück von seinem Muffin ab. Im Gegensatz zu den Elfen war es ihm wichtig, zuerst zu kauen und dann zu sprechen. Die Elfen waren lebhaft, redeten und kauten gleichzeitig. Wenn eine gute Geschichte erzählt werden musste, war alles andere zweitrangig. Da vergaßen sie schon mal alles um sich herum.

Der Weihnachtsmann wusste nicht so recht, wie er Joes Frage beantworten sollte. Würde Joe ihm glauben, wenn er wüsste, wer wirklich neben ihm saß? Oder würde er genauso böse werden wie der Riese?

»Nein, nicht direkt. Ich komme … vom Land«, sagte er schließlich und entschied sich damit für eine Halbwahrheit. Christstollen lag immerhin weit abgelegen auf dem Land.

»Du bist auch ein Morgenmuffel, oder?« Joes Lächeln war aufrichtig und aufmerksam.

Solch ein Lächeln hatte der Weihnachtsmann bisher nur auf sehr wenigen Gesichtern gesehen. Und zwar vor sehr langer Zeit.

»Ich will dich ja nicht nerven«, Joe wirkte unsicher, »aber du kommst mir irgendwie bekannt vor.«

Er erkennt mich! Der Weihnachtsmann holte tief Luft. »Darf ich dir eine Geschichte erzählen, ohne dass du mich danach auslachst?«

Joe nickte, und der Weihnachtsmann erzählte. Von Christstollen. Den Elfen. Und davon, dass er jetzt einen Nachfolger brauchte. Nur das fehlende Glücksgefühl und das Problem mit der Nase ließ er weg. Das muss er nun wirklich nicht wissen, entschied er. Und wenn er den Bollen sehen würde, hätte er bestimmt schon etwas gesagt.

Als der Weihnachtsmann seine Geschichte beendet hatte, stand Joes Mund offen. Doch es kamen keine Worte heraus. Er schloss ihn wieder und schüttelte den Kopf.

»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte der Weihnachtsmann unsicher, er rechnete beinahe damit, gleich wieder gehen zu müssen. Was ist nur los mit mir? Sonst mache ich mir um so etwas doch auch keine Gedanken.

»Das glaubt sie mir nie!«, brachte Joe nach einer gefühlten Ewigkeit hervor.

Fragend zog der Weihnachtsmann eine Augenbraue hoch.

»Wenn ich das Tamara erzähle. Dass ich den Weihnachtsmann gefunden habe. Den echten. Sie wird ausflippen.« Joe sprach mehr zu sich selbst und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Er blickte zu Boden, als hätte er dort etwas sehr Interessantes gefunden. Als der Weihnachtsmann seinem Blick folgen wollte, sah Joe ihn wieder an und kicherte. »Du bist immer noch da. Ich habe das alles also nicht geträumt.«

»Warum solltest du?«, fragte der Weihnachtsmann verwirrt. Ich war in den letzten Jahren eindeutig zu wenig unter Menschen.

Seit ungefähr zwanzig Jahren lebte er in Christstollen. Dort gab es zwar noch den Nikolaus, aber der war nun mal ein Heiliger und somit kein Mensch. Wenn er und die Elfen dann zur Bescherung aufbrachen, trafen sie nur selten Menschen, mit denen sie sprechen konnten.

Wenn die Familien nachts besucht wurden, schliefen die Kinder meistens. Und vor den Kindern, die es sich frühmorgens, noch schlaftrunken, vor dem Weihnachtsbaum gemütlich machten, um den großen Moment nicht zu verpassen, mussten sie sich verstecken.

Er hätte nicht gedacht, dass so wenige Menschen daran glaubten, ihm jemals begegnet zu sein. Erst der Riese und jetzt Joe. Die Kinder glauben an mich. Sonst würden sie mir doch kaum jedes Jahr einen Brief schreiben, oder? Wieso haben mich die Erwachsenen offenbar vergessen?

»Okay, ich nehme an, du hast keine Ahnung, wie du deinen Nachfolger finden sollst.« Joe wechselte abrupt das Thema und stellte die leere Tasse auf dem Tisch vor ihnen ab.

Der Weihnachtsmann schüttelte den Kopf. Ich hätte mir einen Plan überlegen sollen. Bis zuletzt war er sich nicht einmal sicher gewesen, ob er sich wirklich traute, bis ans Ende des Abflussrohrs zu rutschen.

»Hier kommen so viele Menschen vorbei. Wie wäre es, wenn du mir bei der Arbeit hilfst und dabei die Leute im Auge behältst? Vielleicht ist ja der richtige Kandidat dabei, und du kannst eine engere Auswahl treffen«, überlegte Joe.

Die Idee war gar nicht mal so schlecht. Der Weihnachtsmann nickte.

»Gut, dann beginnen wir mit deinem Crashkurs.« Joe sprang auf und zog den Weihnachtsmann mit sich. Bald sollte die erste Kundschaft eintreffen. Und bis dahin gab es noch viel zu tun.

****

Es dauerte eine geschlagene halbe Stunde, bis Joe die passende Uniform für den Weihnachtsmann gefunden hatte. Entweder war eine Hose zu kurz oder ein T-Shirt zu klein.

»Für heute muss das irgendwie funktionieren«, murmelte Joe schließlich, als er die letzte verfügbare Uniform am Weihnachtsmann begutachtete.

Der Weihnachtsmann beschloss einfach, den ganzen Tag weder zu seufzen noch tief einzuatmen.

Joe musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Kannst du die Mütze nicht vielleicht abnehmen?«, fragte er kleinlaut und hielt ihm stattdessen eine Kappe mit dem »M« entgegen.

Der Weihnachtsmann schüttelte den Kopf. »Ich habe es versucht, aber es geht nicht.«

Joe überlegte kurz. »Okay, dann wird sie eben dein Eisbrecher. Wir haben Dezember, die Leute freuen sich sicher, wenn jemand diese Mütze noch vor dem Nikolaustag trägt.«

Der Weihnachtsmann nickte und dachte an seinen Freund, den Nikolaus. Im Dezember sahen sich die beiden kaum. Aber sobald sie sich gegen Ende des Jahres wieder begegnen würden, würde er ihm erzählen, dass die Menschen an ihn dachten.

Joes Blick verharrte nun auf dem Gesicht des Weihnachtsmannes. »Der muss eigentlich ab«, kommentierte er und zeigte auf dessen Vollbart. »Hygienevorschriften.« Joe rollte mit den Augen.

»Aber …« Der Weihnachtsmann wollte gerade zum Protest ansetzen, als Joe weiterredete.

»Ja, du hast recht. Dafür ist keine Zeit mehr. Das muss bis morgen warten. Wir stecken dich einfach nicht in die Küche. Dann sollte es keine Probleme geben«, entschied er.

Der Weihnachtsmann atmete erleichtert auf, bevor er dachte: Bis morgen? Pah! Ich trage immer einen Bart.

»Wie schnell kannst du dir Getränke und Essen merken?«, fragte Joe und drückte dem Weihnachtsmann im selben Moment eine Karte in die Hand.

Der Weihnachtsmann stutzte. Bevor Rubina ihre Stelle angetreten hatte, war die Planung der Bescherung sehr chaotisch abgelaufen. Aber es war immer alles gut gegangen. Er hatte sich viel merken müssen und hatte das auch gern getan. Doch Rubina hatte Struktur in die Bescherung und ihre Vorbereitung gebracht. Somit musste der Weihnachtsmann auch weniger denken.

Vielleicht wird es Zeit, mir mal andere Berufe anzuschauen. Wie kann ich denn wissen, ob ich das, was ich seit zwanzig Jahren tue, wirklich gern mache, wenn ich noch keine anderen Berufe ausprobiert habe?, überlegte er.

Er wusste, dass er früher irgendwo gearbeitet haben musste, bevor er nach Christstollen gekommen war. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.

Er schlug die Karte auf und begann zu lesen. Leise vor sich hin murmelnd.

****

»Einen Mully-Cheesecake mit einem Creamy-Kakao, bitte.«

Der Weihnachtsmann stand neben Joe.

Beide hatten einen Bildschirm mit sehr vielen Bildern vor sich. Die Liste der Getränke war lang. Es gab allein fünf verschiedene Kakaosorten. Ein Bild schöner als das andere.

Der Weihnachtsmann wusste beim besten Willen nicht, welcher von ihnen »creamy« war. Angestrengt starrte er auf den Bildschirm, auf dem nur die Bilder, aber keine Beschriftungen abgebildet waren. Komm schon, wo bist du?, fragte er sich. Doch die Bilder blieben stumm.

Er blickte hinter sich auf die Tafel. Hier waren nicht nur die Bilder abgebildet, sondern auch die Namen der Produkte vorhanden.

»Soll ich meine Bestellung noch mal wiederholen?«, fragte seine erste Kundin. Ihr Lächeln war nun nicht mehr ganz so freundlich.

»Ähm …«, begann der Weihnachtsmann, doch Joe kam ihm zu Hilfe.

»Er hat heute seinen ersten Tag.« Dann drückte er auf die Bilder, die zur Bestellung der Kundin passten, und der Weihnachtsmann blickte kurz in Richtung Küche und sah, wie Essen auf Tellern verteilt wurde und Getränke in Tassen geschenkt wurden. Es läuft alles nach Plan, erkannte er zufrieden und lächelte der Kundin freundlich zu, die ihm bereits das Geld entgegenstreckte.

Ehe er es sich versah, hielt er ein schmales Blatt Papier und ein paar Münzen in der Hand. Irritiert reichte er ihr das Blatt Papier zurück und kassierte einen genervten Blick.

»Das Ganze kostet genau so viel, wie ich Ihnen gerade gegeben habe. Ich denke, Ihr Chef ist nicht sehr begeistert, wenn Sie nur das Kleingeld annehmen.« Sie wandte sich ab und suchte sich einen Sitzplatz.

»Du musst das Essen dann zu ihr bringen«, raunte Joe dem Weihnachtsmann zu.

»Was mache ich damit?«, flüsterte dieser und hielt ihm das Geld entgegen.

Joe wählte mit der einen Hand Symbole auf dem Bildschirm aus und zog mit der anderen eine Schublade auf, die sich vor dem Weihnachtsmann befand. Darin gab es verschiedene Fächer mit Münzen. Nur in einem Fach lagen Scheine.

»Einsortieren«, erklärte Joe, und der Weihnachtsmann war froh, dass nur ein Wort genügte, um ihm die Frage zu beantworten.

Er legte das Geld an die richtige Stelle und ließ den Blick wieder durch den Raum schweifen.

Inzwischen hatten schon einige Gäste im Café Platz genommen. Der Weihnachtsmann musterte sie neugierig.

Die meisten Tische wurden von Frauen besetzt, die entweder auf ein Smartphone, ein Tablet oder auch einen Laptop starrten. Nur wenige Männer kamen in den Laden. Die meisten von ihnen nahmen sich etwas mit. Der Weihnachtsmann erkannte resigniert, dass viele so aussahen, als würden sie es nicht lange bei Eiseskälte auf einem Schlitten aushalten. Sie trugen meist Anzüge, hatten eine aufrechte Haltung und gingen so zügig, dass sich der Weihnachtsmann fragte, ob das überhaupt gemütlich war.

Die Elfen hüpften meist durch die Gegend. Und er selbst schlenderte häufig gemütlich durch Christstollen.

Die Brillenträger bereiteten ihm dabei die größten Sorgen. Was ist, wenn das Ding beim Anflug wegfliegt? Dann weiß er doch gar nicht mehr, wo er hinfliegen soll. Der Weihnachtsmann war besorgt.

Die meisten Anzugträger kamen ohne Gepäck. Nur wenige von ihnen hatten eine Aktentasche unter den Arm geklemmt. Sie sind also belastbar und können zumindest kleinere Dinge tragen, dachte der Weihnachtsmann anerkennend. Darauf konnte man aufbauen.

Doch die meisten Männer mieden seinen Blick, wenn sie ihre Bestellung aufgaben. Nicht gut!, schoss es ihm durch den Kopf. Wie sollen sie denn das mitbekommen, was um sie herum passiert, wenn sie meinem Blick ausweichen und stattdessen den Boden oder ein Smartphone mustern? Verzweifelt fragte er sich, ob sich alle Kinder zu solchen Erwachsenen entwickelten.

»Weihnachtsmann …«, flüsterte Joe.

Er zuckte zusammen.

Joe deutete auf den Bildschirm, auf dem in roten Buchstaben »Bestellung ist fertig« blinkte.

Der Weihnachtsmann sprintete los und hätte dabei beinahe eine andere Bedienung umgerannt, die gerade ein Tablett balancierte, auf dem einige Kakaotassen standen.

Ihr Blick sprühte Funken, als sie an ihm vorbeiging.

Der Weihnachtsmann schnappte sich seine Bestellung, wobei der Kakao bedrohlich schwappte, und suchte seine erste Kundin.

Sie saß in der hintersten Ecke des Cafés und hatte inzwischen ebenfalls einen Laptop vor sich aufgeklappt.

Der Weihnachtsmann näherte sich und stellte die Tasse mit dem Kakao neben dem Gerät ab. Dabei spritzten ein paar Tropfen auf den Laptop.

»Passen Sie doch auf«, zischte die Frau und nahm dem Weihnachtsmann den Teller ab, bevor er ihn ebenfalls an einer falschen Stelle platzieren konnte.

»Tschuldigung«, brummte er, doch die Frau starrte bereits wieder auf den Bildschirm. Also schlich er sich davon, um die nächsten Bestellungen aufzunehmen.

****

Schon nach einer Stunde keuchte der Weihnachtsmann. Dabei spannte sich sein T-Shirt bedrohlich. Er war so schnelles Arbeiten einfach nicht mehr gewohnt. In Christstollen ging es eben etwas gemütlicher zu. Schwere Gegenstände mussten nicht lange getragen werden, sondern schwebten meist vor ihnen her. Strecken mussten nicht gerannt werden, sondern man konnte gemütlich schlendern. Obwohl die Bescherung bis in die frühen Morgenstunden dauerte, war die Zeit noch nie knapp geworden. Vielleicht lag es auch an der magischen Zeitzone.

Hier war es anders. Je länger er brauchte, desto unfreundlicher wurden die Kunden. Je mehr Bestellungen er parallel bewältigen musste, desto häufiger verwechselte er die Produkte. Kakao war nicht immer Kakao und Kuchen nicht immer Kuchen. Alles hieß beinahe gleich und sah auf den Bildern auch noch ähnlich aus. Wie soll ich da den Überblick behalten?, dachte er irgendwann. Den Elfen wäre es egal gewesen, was ihnen serviert wurde. Hauptsache, es war süß und es schmeckte. Zähneknirschend erkannte der Weihnachtsmann, dass die Menschen offenbar wählerischer waren.

Je später es wurde, desto weniger Kunden kamen. Mittags war wohl nicht die passende Zeit für Kaffee und Kuchen. Wir sind eben nicht in Christstollen, bemerkte der Weihnachtsmann in Gedanken. Dort gab es im Winter häufig einen Apfelstrudel und Vanillesoße zum Mittag, und alle waren glücklich darüber.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752107296
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Adventszeit Christstollen Winter Abenteuer Vorlesebuch Weihnachtsbuch Adventskalender Humor Nikolaus Urban Fantasy

Autor

  • Emma Zecka (Autor:in)

Seit vielen Jahren tummelt sich Emma Zecka im Internet und in der (Hör-)Buchblogger:innenwelt. Sie schreibt und spricht auf ihrem Hörbuchblog Ge(h)Schichten und veröffentlicht auch mal die ein oder andere Kurzgeschichte. Hinter dem offenen Pseudonym versteckt sich die Autorin Ayasha Mack. Sie lebt und arbeitet in der Nähe von Freiburg. Dieses Kinderbuch ist ihr erster Roman.
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Titel: Rentierfieber