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Indian Summer

von Josephine E. Cunningham (Autor:in)
250 Seiten

Zusammenfassung

Ein Schicksalsschlag ereilt Josie Becker, als sie mit ihrem Mann ein neues Leben in Kanada aufbaut. Auch nach einem Jahr scheint das Leben nicht weitergehen zu können. Da trifft sie Will Cunningham, der ebenfalls sein Päckchen zu tragen hat. Und nicht nur seine Hunde Bergmann und Bubbles erobern ihr Herz.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

Kapitel 1

Nur in kitschigen Filmen und Liebesromanen stirbt der liebste Mensch bei Regen oder wird zumindest bei einem solchen Wetter beerdigt.

Aber in Wirklichkeit war es ein sonniger Tag im Frühling und die ersten Frühjahrsblüher zeigten sich in den ersten zarten Farben. Hier in Kanada kommt der Frühling spät. Vor allem da es ein kalter und langer Winter war.

Wir hatten Schnee bis fast unters Dach und waren froh über jedes bisschen Holz, das wir uns im Herbst nochmal haben liefern lassen. Zweimal Stromausfall für Tage und die wohnlichsten Zimmer waren unser Wohnzimmer und die Küche, die jeweils mit Holz gefeuert wurden.

 

Wir, mein Mann und ich, hatten uns unseren Traum erfüllt. Alles was verkäuflich war und keinen sentimentalen Wert für uns besaß, wurde in Deutschland zurückgelassen und für das Haus in Kanada eingesetzt. Zudem hatten wir eine kleine Eigentumswohnung gekauft und vermietet und Familienmitglieder mit der Betreuung beauftragt. Nur zur Sicherheit. Mein Mann Matthias war immer der Sicherheitsfanatiker, und die Entscheidung zum Umzug war das größte Sicherheitsrisiko, was er sich nur denken konnte.

Wir haben viele Jahre den Traum vom Haus in Kanada geträumt. Immer wieder hatten wir uns Grundstücke angesehen, immer wieder verglichen, aber schon zu Beginn unser Traumhaus gefunden.

Wir waren uns einig, dass es einen Zweck erfüllen musste. Endlich wollten wir Arbeit und Vergnügen verbinden und unsere kleine hinreißende Pension eröffnen.

 

Unser Traumhaus war ein Bed and Breakfast.

Wir hatten es bei unseren Recherchen entdeckt und entschieden, es gleich zu besichtigen. Die bisherigen Eigentümer waren uns sympathisch und wir ihnen, und das nicht nur, weil sie ebenfalls deutsche Auswanderer waren, die sich zur Ruhe setzen wollten.

Über dreißig Jahre haben sie das Art Gallery Bed and Breakfast geführt und mit Liebe aufgebaut. Das Hobby der ehemaligen Besitzer war Malerei und daher hatten sie dem Bed and Breakfast diesen Namen gegeben. Wir behielten es bei. Matti liebte es zu malen, aber im Besonderen wollte er meine Schwarzweißfotografien ausgestellt wissen und seiner Meinung nach war der Name weiterhin passend. Zuerst haben die Vorbesitzer das Haus liebevoll renoviert und danach einen festen Kundenstamm etabliert.

Nun wollten sie es verkaufen und trotz des Wunsches, das Geld und die finanzielle Sicherheit zurückzubekommen, wollten sie vor allem Menschen finden, die ihren Traum mit der gleichen Liebe verfolgten.

Offenbar haben wir gezeigt, dass es ebenfalls unser Traum war, dieses Leben zu führen.

Wir hatten uns neu verliebt, ineinander und in dieses Haus mit der Verheißung auf dieses neue Leben.

Aber an diesem Frühlingstag, mit warmen Sonnenstrahlen, mit blühenden Krokussen und Schneeglöckchen, sollte sich alles ändern.

Unsere Kinder studierten in Deutschland und wir lebten unser Leben hier in Kanada, auf dieser idyllischen Insel, die weltberühmt wurde mit einem Kinderbuch. Mit einem Buch, welches ja schon 1908 beschrieb, dass Träume wahr werden können, wenn man Mut und Vertrauen hat und harte Arbeit in die Erfüllung dieser Träume steckt.

Es gab für uns aber mehr als einen Neuanfang auf einer Insel, deren größte Bekanntheit durch ein Kinderbuch erlangt wurde. Hier ist Kanada gegründet worden. Hier sind Menschen aus unterschiedlichesten Herkunftsländer aufeinandergetroffen. Hier wird Wodka aus Kartoffeln gewonnen, der sich mit dem aus Polen messen kann und zu den besten Spirituosen weltweit gehört, wenn auch noch recht unbekannt.

Landwirtschaft und Fischerei prägen das Bild und den Speiseplan.

Kartoffelanbau mit den besten Kartoffeln – die man einfach am Straßenrand oder bei einheimischen Wochenmärkten kaufen kann. Die Menschen sind kreativ sowohl in der Art den Tourismus anzukurbeln als auch in der Küche.

Die Insel ist ein wohlbekannter Geheimtipp. Dank seiner traumhaft schönen Strände, mit ihren roten und weißen Sanden, und den vielen Freizeitmöglichkeiten, ist es dennoch recht entspannt.

Und genau hier haben wir unser Haus gefunden.

Wir waren jung, voller Vitalität und voller Ideen für unser Bed and Breakfast. Wir haben unsere Webseite ausgearbeitet. Nächtelang mit den Worten jongliert, Buchungspakete zusammengestellt. Es half, dass ich eine Ausbildung in der Hotellerie hatte, wenn ich schon lange nicht mehr darin arbeitete. Aber es war meine Leidenschaft. Mein Beruf. Nicht gesucht, aber gefunden. Matthias war eher der Sicherheitsmensch, der lieber, sich zwar anfangs nur ungern, in seinen Job als Accountant, neudeutsch für Buchhalter, hineinbegab, dann aber doch ebenso die Erfüllung insofern fand, dass er die Sicherheit fand, die seine Seele beruhigte.

Er war immer so lustig, spontan und lebendig. Wenn man sich einen Buchhalter vorstellt, wäre er die Version eines Buchhalters gewesen, die man sich am wenigsten vorstellen kann und doch so oft zutrifft. Ich persönlich habe fast nur lebenslustige Menschen kennengelernt.

Matthias war schon immer kreativ. In der Schule spielte er in einer Schulband: Gitarre, Klavier, Schlagzeug. Durch sein südländisches Aussehen - niemand konnte sagen, von wem er dieses geerbt hatte - lagen ihm die Mädels zu Füßen.

Er sah immer so cool aus. Wenn alle anderen lange Haare hatten, hatte er einen James Dean Schnitt. Wenn andere weite Jeans trugen, hatte er die Bootcut-Jeans an. Wenn er dann noch seine Lederjacke trug, war es um die meisten Mädels geschehen.

In einer Zeit wo Beverly Hills 90210 jede Woche die Jugend vor dem Fernseher versammelte war er unser wahr gewordener Traum von Luke Perry, an unserer Schule.

Mysteriös, verwegen, nett und sexy. Seine Schüchternheit versteckte er hinter seinem Auftreten, was ihn noch anziehender machte für die lokale Mädchenschar.

Alles an Matthias war aufkeimende Teenagerlust pur. Und statt die Schule abzubrechen und verwegen durch die Lande zu ziehen und mit der Schulband in einem alten Kleinbus über die Dörfer zu tingeln, schloss er die Schule gut ab, besorgte sich eine Ausbildung und wurde Buchhalter. Wenn ich ihn nicht schon besser gekannt hätte, dann wäre ich vermutlich geschockt gewesen.

Aber ich kannte ihn, durch endlose Gespräche. Weil sich unsere Eltern kannten. Weil wir, wenn wir zuhause bleiben durften, nur gemeinsam zuhause bleiben durften. Weil niemand merkte, dass sich zwischen uns längst was entwickelt hatte und weil unsere Eltern glaubten, dass wir a) ein Auge aufeinander haben würden und daher nichts Dummes machten, und b) weil sie tatsächlich glaubten, wir würden uns gegenseitig verpetzen.

Manchmal dachten wir, unsere Eltern konnten doch nie so blind oder so naiv sein und das nicht merken. Sie erwarteten, dass wir uns gegenseitig verraten würden. Ich nehme an, sie glaubten, da wir fast als Bruder und Schwester aufwuchsen, würden wir uns nicht für den jeweils anderen interessieren. Es war schon eine Sensation, als wir unsere Beziehung beim Geburtstag meines Vaters bekanntgaben. Zudem gratulierten wir gleich dem zukünftigen Opa.

Gut, mein Vater sprach monatelang kein Wort mehr mit uns, jedoch nur solange bis sein Enkelsohn auf der Welt war und noch dazu wie mein Opa hieß.

Wir waren so jung, so unglaublich jung, und doch haben wir es geschafft, alle Hindernisse zu überbrücken.

Auch unsere jeweiligen Auslandsaufenthalte konnten uns nicht entfremden, wir gehörten zusammen. Nie wollten wir uns im Wege stehen, nie Sachen und Erlebnisse nicht gönnen.

Und nachdem Willi geboren war, plätscherte unser Leben so dahin. Wir arbeiteten beide, ich irgendwann bei einer Firma für Innovation als Sachbearbeiterin und er als Buchhalter beim größten Arbeitgeber in der Region.

Alles lief gut. Wir heirateten mit einundzwanzig, mit fünfundzwanzig kam Charlotte auf die Welt und wir waren glücklich. Manchmal schien alles zu perfekt, zu langweilig. Vielleicht kam das Elternsein etwas früh, aber alles in allem waren wir glücklich. Und ehrlich gesagt war ich froh, um die vierzig zu sein, und meine Kinder waren aus dem Haus und ich jung genug, um auch nochmal alles auf den Kopf zu stellen.

Matthias schrieb immer noch Songs und trat mit seinen Jungs bei Festen, bei Kleinkunsttagen und in einigen Clubs auf. Am Wochenende war er nicht Matthias Becker der Buchhalter, sondern Matti der Gitarrentyp. Der immer noch die eine oder andere Frau mit einem seligen Lächeln im Gesicht auf der Tanzfläche zurückließ, wenn er wieder einen Song sang, den er eigens für mich geschrieben hatte. Und nur für mich sang, aber die Gute es auch für sich interpretierte. Manchmal kamen sie und wollten Fotos und Autogramme. Und ich konnte mich dann kaum eines Lächelns erwehren, mit welcher Coolness er es schaffte, allen Mädels im Raum das Gefühl zu geben, nur sie allein, wären die Eine.

Zuhause lagen seine Socken rum, alles war chaotisch. Ich gab es irgendwann auf, nachdem wir einige Jahre deswegen im Stress lagen. Ich bin oberflächlich unordentlich, aber wenn ich es wegräume, dann ist es auch an seinem festen Platz. Bei Matti nicht. Nach all den Jahren gab es immer noch Szenen in unserer Ehe, die für den Oscar für das beste Comedy-Duo herhalten konnten. Freunde und Familie konnten sich oft so ins Lachen stürzen, dass sie Muskelkater entwickelten.

Die Gitarren, fünf um genau zu sein, standen manchmal plötzlich ganz woanders, so dass man fast darüber stolperte. Er hatte mehr Schuhe als ich. Aussehen war ihm wahnsinnig wichtig und wie bereits beschrieben, er war kein Buchhalter, wie man ihn sich vorstellte. Irgendwann ließ er sich einen Oberlippenbart wie Magnum stehen, nur schmaler und nicht so buschig, und das zu einer Zeit, als das nicht wirklich als cool galt, doch was soll ich sagen? Bei ihm wirkte alles souverän. Jeder Trend, der in Sachen Musik, Kleidung und Frisuren aufkam, wurde beobachtet und genau unter die Lupe genommen. Er sah aus wie ein italienischer James Bond und nicht wie ein Buchhalter aus der Provinz. Und dieser James Bond konnte singen, sexy abrocken und jeder Frau geheime Träume entlocken. Doch das Beste war, es gab nur uns. Ihn, mich und unsere Kinder.

Nicht eine Minute musste ich mir sorgen machen, nicht eine Minute darüber grübeln. Er war pünktlich wie ein Uhrwerk aus der Firma zuhause am Abendbrottisch, half bei den Hausaufgaben und manchmal, ja sogar das, manchmal kochte er. Meistens mochte ich es nicht, aber die Kinder liebten es und ich war glücklich, weil er mir nicht alles überließ und sich trotz meiner Abwehr immer wieder mal zum Kochlöffel griff.

Im Sommer grillten wir in unserem Garten, luden die Bandjungs ein, es gab zu viel zu trinken, zu viel zu essen und manchmal fast eine Anzeige wegen Ruhestörung, weil wir bis um 2 Uhr morgens jammten und sangen.

Es war einfach zu gut, um wahr zu sein. Zumindest dachten das auch meine Freundinnen. Aber es gab auch Momente, wo er mich unheimlich zur Weißglut trieb, vor allem sein Geiz, aber auch das hatte letztendlich etwas Gutes. Nur so war ein Leben in Kanada finanzierbar.

Aber trotz all der Idylle fehlte uns etwas und wir fanden es in Kanada. Wir freuten uns auf unser neues Leben.

Wir haben unser Häuschen verkauft, nachdem wir im Urlaub in Kanada waren, und haben uns auf das Abenteuer eingelassen. Jung genug, um noch voll mitzumachen, aber alt genug, um Angst zu haben. Aber zu unserer Überraschung fanden wir kaum einen Stein auf unserem Weg. Wir gingen nur Schritte, die von oben gelenkt wurden. Fühlte es sich nicht richtig an, wurde der Schritt nicht gemacht. So einfach alles zurückzulassen und zu gehen, ist sehr beängstigend. Wir spürten bald, wie sehr wir unsere kleine Nische liebten und brauchten, um uns sicher zu fühlen. Aber es half nichts. Wir hatten Fernweh und ein Leben im Ausland fühlte sich richtig an. Egal, was noch passieren würde, wir würden es zusammen in Angriff nehmen.

 

Das Haus musste nur wenig erneuert werden. Die Vorbesitzer haben es sehr liebevoll in Schuss gehalten. Es war dennoch etwas spießig und altmodisch. Daher haben wir uns entschlossen, es von außen so zu belassen und zuerst das Innere einem Lifting zu unterziehen. Statt Blümchentapete mit großen Mustern gab es eher viktorianische Bescheidenheit, frische Farben und moderne Armaturen. Nicht zu viele Änderungen, um den Charme zu erhalten, die Stammgäste nicht zu verscheuchen, sondern moderner, frischer und doch gewohnt und gemütlich. Keine leichte Aufgabe unter den Voraussetzungen, dass die Stammgäste teilweise seit 30 Jahren immer wieder kamen und entsprechende Erwartungen an ihren Aufenthalt und ihre Zimmer knüpften. Aber wie hieß es so schön im ersten Gästebucheintrag: Mattis Charme, sein spitzbübisches Lächeln und sein jugendliches Auftreten gepaart mit Josies Souveränität und Gastgeberqualitäten halfen, die Moderne in unser Art Gallery Bed and Breakfast zu bringen. Welch ein Kompliment von den Stammgästen schlechthin. Trudi und James waren nicht nur Gäste, sondern längst Freunde unserer Vorgänger, daher ehrte und das Kompliment ganz besonders.

Alles wirkte harmonisch, wenn auch anstrengend und wir konnten nicht glücklicher sein. Unsere Kinder studierten oder waren fast fertig, standen auf eigenen Beinen und freuten sich mit uns über den Erfolg.

Und als wir im letzten Jahr das Haus und den Zaun in Angriff nahmen und zu streichen begannen, war alles so wunderschön. Willi kam uns mit Jasmin besuchen und gaben ihre Verlobung bekannt und wie wir zuvor gratulierten sie uns zum neuen Titel: Oma und Opa.

Vierundvierzig Jahre und wir wurden Großeltern. Manch einer in unserem Freundes- und Bekanntenkreis fing erst mit der Familienplanung an.

Nichtsdestotrotz freute sich der coole Mittvierziger darauf, der Opa zu sein, bei dem wahrscheinlich erst einmal die Frage kam, ob dies sein Kind sei und nicht, ob er der Großvater war. Unsere Kinder hatten erlebt, wie es mit jungen Eltern ist, hatten uns weinen und streiten sehen, wenn Matti wieder mit den Jungs um die Häuser zog und ich nicht mit zum Konzert konnte, weil Wilhelm und Charlotte Fieber hatten oder einfach, weil wir keinen Babysitter fanden.

Sie hatten aber auch gesehen, dass es bei uns keinen Stress gab wegen Übernachten bei Freunden, ausgehen oder weil das Konzert erst ab achtzehn war und wir die Kinder mit hineinschmuggelten. Wer kann von sich behaupten, dass die eigene Mutter einen schminkt und einen als kleine Schwester ausgibt.

Wir hatten unseren Spaß. Aber die Kinder waren auch reifer und erwachsener als manch Altersgenosse. Schwänzen war nicht drin. Nicht, dass wir es ihnen nicht gegönnt hätten, nein, dazu waren sie zu ehrgeizig und ehrlich.

Wir hatten zwei Kinder, die uns stolz machten, vor allem da wir immer wieder mit skeptischen Blicken beäugt wurden aufgrund unserer Jugend.

Nun zahlte es sich aus. Wir konnten all das tun, wozu man in jungen Jahren die Ideen und Energie hat, aber das Geld zu knapp ist. Bei uns hieß es nun nicht, wir wären zu alt und zu eingesessen. Und wir fühlten uns energiegeladen.

Natürlich waren wir nach außen hin nicht ganz so dynamisch, wie diejenigen, die jetzt noch kleine Kinder hatten, aber wir hatten bereits wieder unsere Freiheit und das verjüngte uns jeden Tag mehr.

 

Der Zaun sollte weiß sein. Ein weißer Holzzaun entlang der Straße, wie in jeden kitschigen Film, wie in jeder Phantasie von Nordamerika. Wir hatten das Haus in einem hellen Grau gestrichen, die Fensterläden weiß. Matti zog sich seine alte, ausrangierte Levis an und stand im weißen Unterhemd, unter dem die Brusthaare leicht hervorlugten, mit seinem Goldkettchen, der alten Münze, die er von seinem Vater bekam, die dieser in den Siebzigern selber gern trug, am Zaun und schaute auf das Kartoffelfeld nebenan. Danach beugte er sich nach unten und drehte das Radio voll auf. Er wusste, ich beobachtete ihn trotz Pauls Anwesenheit, und grinste in meine Richtung. Seine Haare hatte er pomadisiert und gekämmt und dadurch hielt es sogar im Wind, der so typisch für die Insel ist.

Zuvor hatte er mich in der Küche überrascht und in den Arm genommen.

»Dein Rockstar geht jetzt streichen.« Er hatte sich die Augen mit meinem Kajal angemalt. Matti hatte eines Tages rausgefunden, dass ich ihn so noch erotischer fand. Damals versuchte er, mich eifersüchtig zu machen, als seine Band bei einer Schulveranstaltung auftrat. Er hatte vor, unwiderstehlich zu sein. Der Abend, an dem ich erkannte, dass ich Gefühle für ihn hatte. Aber als Teenager traut man sich eben nicht immer gleich seine Empfindung zu zeigen. Steffi von der Parallelklasse versuchte, diesen Moment auszunutzen, doch er ließ sie abblitzen. Es dauerte weiterhin Jahre, bis wir es uns eingestanden. Bei jedem anderen Mann hätte es albern oder peinlich gewirkt. Nicht so bei Matti. Er war so, schon immer, es war seine Natur.

Er duftete nach dem Duschbad, das die Kinder ihm zu Weihnachten geschenkt hatten. Seine muskulösen Arme hielten mich fest, seine braunen Augen waren so dunkel und verhießen, dass wir um ein Haar das Streichen vertagen würden, um wieder ins Bett zu gehen. Es waren keine Anreisen geplant, wir hatten das Haus für uns. Sein Oberlippenbart hatte Konkurrenz in Form eines Dreitagebartes bekommen. Irgendwie sah er genau in dem Moment wie ein schlechter Pornodarsteller aus. Ich wusste es aber besser. Wir küssten uns, als gäbe es kein Morgen und er setzte mich auf die Arbeitsplatte. Ich spüre noch immer meine Hand auf seinen Oberarmen und die Muskeln, die sich anspannten.

»Ah, aber dafür scheinst du nicht so in Stimmung zu sein. Mir scheint, eine Aufgabe in der Küche liegt dir heute mehr«, neckte ich ihn.

»Mehr oder weniger ja«, er grinste mich mit seinem breiten Grinsen an, ganz nah vor mir. Er hielt mich immer noch fest umarmt und sah mir tief in die Augen.

Ich liebte seine braunen Augen, die mich an dunkle Schokolade erinnerten, und den kleinen Leberfleck am rechten Auge.

»Was hält dich ab?«, flüsterte ich, denn mir verschlug es nach all den Jahren immer noch die Sprache. Manchmal glaubte ich, nicht älter geworden zu sein. Er gab mir das Gefühl, immer jung und schön und begehrenswert zu sein.

»Eigentlich nur die Vorstellung, wie schön verschwitzt ich nachher bin. Deswegen muss ich nicht in das Fitnessstudio gehen. Und kann mir später eine viel, viel bessere Belohnung abholen. Besser als sich jetzt nur mit der Vorspeise zufriedenzugeben.«

Er strich mit seinem Zeigefinger von meinem Genick abwärts bis zum Hosenbund. Langsam streichelte er über meine Haut am Hosenbund entlang.

»Mit der Vorspeise, so so.«

Ich konnte mir ein Grinsen kaum verkneifen. Anderes kam mir in den Sinn. Ich wurde wieder von unseren entspannten Morgenmomenten eingeholt.

Diese Ereignisse schlichen sich in meine Gedanken und konnten sowohl als Erinnerungen, als auch Vorschau auf kommenden Freuden gedeutet werden.

»Na ja, vielleicht auch schon ein zweites Frühstück.« Sein Schnurrbart kitzelte an meinem Hals.

Für einen Moment waren wir wieder Anfang dreißig, doch ohne Kinder.

»Hmm, nicht dass du zu viel davon bekommst und übersättigt, faul und träge wirst.«

»Oh, wie könnte ich dem süßen Nektar widerstehen?« Seine Barthaare kitzelten jetzt an meinem Ohrläppchen und sein Atem strich über meine Haut.

»Na, wenn das so ist ...« Ich zog spielerisch an seinen Haaren, was ein Zucken in ihm auslöste, wobei ich nicht wusste, ob es die Lust oder schlicht die Panik war, seine dunkelbraunen Haare könnten nicht mehr perfekt sitzen.

Ich schaute auf seine Lippen und war wieder fasziniert, dass seine Oberlippe wie ein Herz geformt und schmal war und die untere Lippe so voll. Auch, wenn diese Lippenform allgemein nicht als sinnlich gilt, war sie für mich der Inbegriff von Sinnlichkeit. Ich sog seinen Geruch ein, spürte seine Wärme und seine Kraft, seine Lebenslust und seine Liebe. Wir waren jetzt fünfundzwanzig Jahre zusammen. Aber in diesem Moment dachte ich nur an unseren ersten Kuss, als er auch so nah vor mir stand. Mich mit demselben zärtlichen Blick ansah, als unsere Eltern wieder einmal zum Tanzen waren und wir zusammen einen Film schauen und uns über unsere Austauschjahre reden wollten. Da hatte es dann endgültig kein Zurück gegeben. Wir hatten uns bereits drei Jahre umschwärmt, wie Motten das Licht.

»Wenn was wie ist?« Es klang jetzt krächzend, ich erkannte seine Gedanken.

»Dann darf ich dich nicht dürsten lassen«, hauchte ich und zwinkerte ihm zu.

Vor fünfundzwanzig Jahren lief es genauso ab, wir hatten das gleiche gesagt und es hatte ihn schier wahnsinnig werden lassen. Dabei hatten wir uns nur einen kitschigen Historienfilm angesehen, weil Matti glaubte, dass ich den ungeheuer mögen würde. Ich mochte ihn nicht, aber ich gab es vor. Ich glaubte, er mochte den Film. Somit sprachen wir geschwollen und merkten nicht, wie sich die Energie zwischen uns auflud, wir strömten auf diesen Satz hin, der ihn endlich dazu brachte mich zu küssen.

Und so wie damals küsste er mich. Voller Leidenschaft und jungenhaften Charme, mittlerweile aber im Körper des Mannes, der wusste, was wir wollten und brauchten.

»Was so ein bisschen Frühling alles bewirken kann. Ich liebe dich« flüsterte ich, als wir kurz Luft holten. Er grinste mich an und wollte eben zum finalen Gegenschlag ausholen, als wir die Autotür hörten.

»Ich liebe dich mehr!«, hauchte er in mein Ohr.

Paul unser direkter Nachbar klopfte an die Fliegentür, aber er hatte bereits die Stimmung erfasst und räusperte sich verlegen.

»Hey Matti, what‘s up? Wann ist das Rockkonzert?«

Paul verwirrte es immer etwas, wenn er Matti wie einen Rockstar gestylt sah. Im Winter waren wir zu einem Empfang in die Stadthalle geladen worden. Niemand hatte Matthias erkannt, als er herausgeputzt in einem schwarzen italienischen Anzug, rasiert bis auf seinen getrimmten Schnurrbart, neben mir den Saal betrat. Als wäre es ein anderer Mann. Doch so kannte ich meinen Mann. Ein Chamäleon. Mein Matti.

»Ich tanze nachher für meine Herzensschöne und werde sie beim Zaunstreichen verrückt machen, mit meinem tollen Aussehen, mit meinem Talent die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu singen ...«, dabei zwinkerte er mir verheißungsvoll zu, »ein Privatkonzert also!«

»Ja, schon gut. Wollte nicht stören!« Paul hatte eine Stiege mit frischem Gartengemüse dabei. »Josie, möchtest du das Gemüse trotzdem, falls dein Mann nicht die zahlende Kundschaft vergrault?«

Wir nickten uns zur Begrüßung zu.

»Klar, er liebt Gemüse« Ich zog die Worte liebt und Gemüse besonders lang, was zweifellos missverstanden werden konnte. Und vielleicht sollte es auch so sein. Ich erhaschte den wissenden Blick, mit dem Matti mich von der Arbeitsplatte hob.

»Oh ja und wie. Und damit ich das Zeug nachher auch richtig verschlinge, werde ich jetzt streichen gehen. Halt Ausschau nach mir Baby. Ich tanze nur für dich!«

Ein letzter zärtlicher und doch fordernder Kuss, ganz als wäre Paul nicht im Raum und er ließ uns stehen.

Paul lachte nun genauso und schüttelte den Kopf.

»Ihr seid wie meine Teenager. Sicher ihr seid schon fünfundzwanzig Jahre zusammen?«

»Oh ja und Großeltern werden wir ebenfalls.« Ich sah das Gemüse durch. Paul hatte nur eine kleine Stiege gebracht, da er eigentlich wusste, dass wir für heute keine Gäste erwarteten. Die Kinder sollten erst später anreisen.

»Ich hoffe, Alice erwartet das jetzt nicht auch noch von mir!« Paul grinste etwas verlegen und war im Begriff sich zu verabschieden. »Ich fahre zu Frank, soll ich euch ein paar Steaks mitbringen? Ich kann den armen Mann doch nicht nur Gemüse essen lassen, egal wie gut es ist. Und kommen die Kinder nicht später noch? Ich fahre ja eh bei euch vorbei und ich schwöre feierlich, ich öffne nur die Fliegentür und werfe das Fleisch auf die Arbeitsplatte, ohne hinzusehen.« Er zwinkerte keck und bekam doch rote Ohren.

»Ja, gerne. Matti wird ohne jeden Zweifel mit Streichen beschäftigt sein. Keine Sorge, das kann dauern. Und vergiss nicht, tanzen muss er ja auch noch.« Ich lachte Paul ungezwungen an. Wir hatten unglaubliches Glück mit solchen Nachbarn.

Es war fast Liebe auf den ersten Blick zwischen unseren Familien. Und wir hatten immer frisches Gemüse und Eier für unsere Gäste.

Draußen hatte Matti das Verlängerungskabel bis zum Zaun gezogen. Er stand kurz und schaute auf das gegenüberliegende Feld. Er beugte sich hinab und drehte die Musik seiner die selbstgebastelte CD mit italienischen, deutschen, spanischen und amerikanischen Rocksongs laut auf. Er drehte sich zum Haus und grinste herüber. Der Wind wehte.

»Hat Matti eigentlich schon eine Band gefunden, mit der er spielen will?« Paul sah Matti bei den Vorbereitungen zu.

»Noch nicht. Bisher war er auch nicht aktiv auf der Suche. Wir wollten erst einmal das Haus fertig bekommen. Willi und Charlotte kommen später. Sie haben keinen früheren Flug bekommen.« Auch ich schaute zu meinem Mann und überlegte kurz, das Thema der Küche wieder aufzunehmen, wenn Paul mit den Steaks auf der Rückfahrt war.

»Hey Paul, hör auf, mit meiner Frau zu flirten! Wenn du länger bleibst, musst du Eintritt zahlen.« Frech strich sich Matti mit dem noch trockenen Pinsel über seinen Oberkörper, als wäre er der Hauptakteur einer Stripshow nur mit weit rockigeren Songs im Background.

Paul winkte ab und ging lachend und kopfschüttelnd zu seinem Pick Up.

Ich hob grüßend die Hand, während er aus der Einfahrt fuhr und beobachtete Matti noch einen Moment.

Für einen kurzen Augenblick war er sehr ernst. Konzentriert besah er sich seine Aufgabe, und begann mit dem ersten Pinselstrich. Doch schon das nächste Mal, als ich aus dem Küchenfenster sah, tanzte er vor sich hin und sang mit seiner wunderschönen Gesangsstimme, die immer etwas von Eros Ramazotti hatte, wenn er nur mitsang, und grinste zu mir hinüber. Er konnte das Telefonbuch vorlesen und es klang so sexy. Er spürte meine Blicke, er wusste, was ich dachte. Er fühlte, was ich fühlte. Das war immer so gewesen und so auch in dem Moment.

Ich lächelte zurück, auch wenn er mich nicht sah.

Für einen kurzen Augenblick drehte ich mich zum Kühlschrank, um ihn ein kühles Bier zu bringen. Da hörte ich den Krach. Nichts kann dieses Geräusch beschreiben, nichts die plötzliche Leere, die ich schon spürte, bevor ich ihrer hätte bewusst werden können.

Das Auto hatte ihn erwischt, den Zaun und unsere Pinie im Garten.

Matti hatte keine Chance.

 

Kapitel 2

»Wo willst du hin?« Jenny Canducci schrie fast, doch Will ging unbeirrt mit seinen Hunden Bergmann und Bubbles Richtung Park.

Nicht in der Öffentlichkeit, nicht hier, nicht heute und schon gar nicht jetzt.

Nichts hatte gepasst, der Tag fing bereits bescheiden an und so richtig wusste Will Cunningham nicht, was heute eigentlich los war.

Er hatte sich gefreut, endlich Zeit mit Jenny zu haben. Endlich den langersehnten Urlaub genießen zu können. Nach anstrengenden Drehtagen, nach Interviews, Verleihungen und immer wieder Textlernen. Endlich zuhause, im milden Klima Kaliforniens.

Sein Haus und sein Grundstück waren groß genug, um mit den Hunden und Jenny zuhause bleiben zu können, aber Jenny hatte sich diese romantische Reise in die Karibik gewünscht. Zu oft hatte er sie vertrösten müssen, zu oft war er weg von ihr und eine Fernbeziehung war so ziemlich das Schwerste, was er sich vorstellen konnte.

Die Karibikreise hatte er organisieren lassen. Er hatte sich umgehört, wo es den schönsten Strand gab und wo das Wasser azurblau war. Ihm hätte ein Wanderurlaub irgendwo in der Nähe gereicht, aber Jenny wollte so gern die Welt sehen. Was war schiefgelaufen? Bergmann und Bubbles spürten, dass etwas anders war. Sie drehten sich beide nochmal nach Jenny um, die immer noch wütend stampfte und fluchend die Arme in die Luft riss, aber sich dann abrupt abwendete und in die Gegenrichtung davon ging.

Will schritt unbeirrt weiter und beschleunigte sein Tempo. Die Hunde stiegen darauf ein. Bald liefen sie neben dem joggenden Will und genossen den Auslauf. Mit Jenny joggten sie nicht viel, nur wenn Will dabei war.

Als Will nach Stunden wieder an seinem Haus ankam, war die Tür nicht abgeschlossen, nur zugezogen. Die Schranktüren standen offen, die Kleidung lag kreuz und quer verteilt. Die Kosmetik von Jenny war ebenfalls nicht mehr im Haus verteilt, was das eigentlich einzige Indiz war, dass es kein Einbruch, sondern Jenny gegangen war.

Echt jetzt? Er konnte es kaum glauben, sie war weg. Einfach so. Ohne weitere Diskussion. Nicht, dass es noch etwas gebracht hätte, aber er hätte gern einen richtigen Schlussstrich ziehen wollen.

Er war fast noch in seiner Entscheidung gekippt. Mit dem entsprechenden Empfang zuhause, hätte er sich breitschlagen lassen, die Reise doch nach ihren Wünschen anzupassen. Alles auszudehnen und eine halbe Weltreise daraus zu machen.

Europa, Asien, Afrika und die Karibik.

Er hätte schon fast seine Eltern angerufen, damit diese sich für den Zeitraum um Bergmann und Bubbles kümmern sollten. Hundesitter mochte er nicht in seinem Haus.

Er hatte gezögert und nun ahnte er, dass er bereits wusste, dass Jenny Canducci und Will Cunningham nicht mehr zusammen waren. Es war aus. Fast 10 Jahre. Einfach so. Und ob es so unter dem Radar laufen würde, wie bisher, war nicht klar.

Er war Mitte dreißig, als er sie bei einem alten Freund aus Collegezeiten kennengelernt hatte. Sie war zehn Jahre jünger und so süß, so sportlich und schien so geerdet.

Er hatte eben die Rolle seines Lebens erhalten. Vermutlich würde er nie einen Oscar in die Tasche stecken, aber er würde spielen können. Serienhelden hatten den Vorteil einer relativ gesicherten Vollzeitanstellung und regelmäßigen Geldeingangs, währenddessen beim Film oder am Theater meist nur kurze Engagements zur Verfügung standen.

Mit jedem Jahr hatte sich seine Bezahlung verbessert. Mit jedem Jahr hatte er eine festere Fangemeinde erworben und das fast ohne die sozialen Medien. Jenny hatte immer gern darin vertreten sein wollen, aber das hatte er gleich klar gemacht, sollte ihre Beziehung durchsickern, wäre es seinerseits ohne Angabe von Gründen sofort aus.

Dieses Business machte ihm manchmal Angst. Er hatte gesehen, was es anrichten kann. Menschen, die in einem Jahrzehnt weit oben waren, haben zum Schluss nicht einmal mehr Statistenrollen bekommen. Seine Eltern, einfache Leute, die alles darangesetzt hatten, ihm ein besseres Leben zu ermöglichen, hatten ihn immer unterstützt. Er versuchte, geerdet zu bleiben. Am Boden der Tatsachen. Seine Eltern waren eine Mischung aus Hippie und Macher. Sehr naturbezogen und doch immer daran erfolgreich zu sein, in dem, was sie taten. Seine jüngere Schwester war ihm ein Halt, vor allem wenn es um sein Liebesleben ging. Sie hatte Jenny gemocht, wurde es aber nie müde zu erwähnen, dass sie nicht die Richtige sei. Vielleicht lag es am Altersunterschied, vielleicht aber auch an der Herkunft. Jenny Canducci war hier geboren und aufgewachsen und in 2. Generation von Zuwanderern, kam sie geradeso aus einem bodenständigen Haushalt. Doch sie hatte längst andere Wünsche und Träume. Vor allem der Wunsch nach Familie war Will zwar nicht fremd, aber er hatte sich früh gegen eigene Kinder entschieden. Um genau zu sein, seit er in dieses Business hineingerutscht war.

Seine Lehrerin an der Schule hatte seinen Eltern geraten, ein Vorsprechen für eine Fernsehserie wahrzunehmen. Sie kannte dort jemanden, der eine Rolle zu vergeben hatte. Der junge Will wurde als mittlerer Bruder gecastet. Er war der engelsgesichtige Liebling der Zuschauer.

Wenn die Serie auch nicht lange lief, nicht großes Ansehen genoss, war doch sein Gesicht immer wieder auf den Zeitschriften und in den Medien. Nachdem sie abgesetzt wurde, spielte er kleine Nebenrollen in großen Blockbustern. So sehr er sich auch etwas mehr wünschte, gab es meist nur ein anerkennendes Nicken, jedoch keine größere Rolle.

Dann kam der Tag im Dezember vor elf Jahren, als er von seinem Agenten nach New York geschickt wurde. Es wurde eine Rolle für einen jungen Arzt vergeben. Na toll, noch eine Arztserie, und er solle den Sohn spielen! Die Rolle war mindestens zehn Jahre jünger angelegt, als er eigentlich war. Es sollte sich um eine Arztfamilie drehen, die über die Jahrzehnte in New York gearbeitet hatte und sich auf mehreren Gebieten verdient gemacht hatte. Dreh- und Angelpunkt in der Serie war sein Vater, der Oberarzt, auf dessen Gedeih und Verderben er als Sohn schutzlos ausgeliefert war. Normalerweise wurden Arztserien in Kalifornien gedreht, aber hier sollte und musste es wohl in New York sein. Will hatte sich auf die Rolle nach einigem Zögern gefreut, aber die Tatsache, dass der Drehort in New York sein sollte, machte es nicht zum Traumjob.

Er hatte seinen Lebensmittelpunkt in Kalifornien, seine Familie und seine Schwester hatte soeben bekannt gegeben, dass sie heiraten würde. Alles, was er kannte und liebte, war in Kalifornien. Langsam fand er Gefallen an dem Gedanken, eine Zeit lang woanders zu leben, doch dann traf er Jenny. Sie war alles, was er suchte. Zumindest zum damaligen Zeitpunkt.

Jetzt zehn Jahre später hatten sich die Blickwinkel verschoben. Sie wollte Familie, er hatte seine Familie und das reichte ihm, er hatte Bergmann und Bubbles und seine Nichte und Neffe, seine Eltern. Einen Job, den er gern machte, und er fand darin eine zweite Familie.

Es verlangte ihn nicht danach, mit Jenny weiterzugehen und eine eigene Familie zu gründen. Er hatte Ideen und Wünsche, andere Vorstellungen und andere Prioritäten. Er wollte etwas bewegen, wollte die Welt retten. Seit fast einem Jahr gab es eine Bewegung, der er sich verschrieben hatte. Er hatte sein Haus umweltfreundlich renoviert, hatte Solarplatten anbringen lassen. Er versuchte, sich mit lokalen Produkten zu ernähren und so viele Fairtrade Produkte zu nutzen wie möglich. Er hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn er das Flugzeug statt der Bahn nahm, wobei er sich damit tröstete, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mit denen in Europa zu vergleichen waren. Er selbst war noch nicht dort gewesen, aber umwelttechnisch hatten die Europäer die Nase vorn, selbst seine Kollegen, die bereits drüben gereist waren, fanden meist nur lobende Worte.

Will entsetzte es, als er lernen musste, in L.A. nach einem starken Regen nicht ins Meer gehen zu können, weil die Strände und das Wasser kontaminiert waren. Er, der gern surfte, sich in der Natur aufhielt, um seine verschlissenen Batterien wieder aufzutanken, musste lernen, dass er Teil des Problems war. Er hatte klein angefangen, etwas zu ändern, und nun fühlte er, dass er auf dem richtigen Weg war. Aber er war auch ein US-Amerikaner. Benzin lag ihm im Blut, er liebte seine Motorräder und das Auto. Wobei er gern auf das Auto verzichtet hätte, doch Bergmann und Bubbles brauchten auch mal eine Mitfahrgelegenheit.

 

Er stand in seinem verwüsteten Zuhause. Sah sich um und suchte in seinen Gefühlen etwas von Schmerz, Verlust oder Trauer. Aber er fühlte sich leer. Die Gewissheit, dass dort, wo Gefühle sein sollten, nur Leere war, erschreckte ihn. Plötzlich glaubte er, keine Luft mehr zu bekommen. Die Hunde spürten es. Hastig versuchte er, Luft in seine Lungen zu saugen. Beide winselten vor ihm und wurden immer unruhiger.

Er musste raus. Erin, seine Schwester – sie konnte helfen. Er suchte sein Mobiltelefon und wählte Erins Nummer. Noch während es klingelte, wünschte er sich ins Haus seiner Eltern zurück, mit dem weißen Tastentelefon, das unheimlich schwer war, aber man konnte es gut mit sich tragen. Wieso vergingen die Jahre so schnell und wieso musste sich alles so rasant ändern? Jeder wollte heute Anteil haben am Leben der Anderen.

Jede kleinste Gefühlsregung wurde analysiert, unter dem Mikroskop seziert und ausgewertet und manchmal um ein Vielfaches maximiert oder minimiert, wie es eben gerade passte.

Er war müde und ausgelaugt, auch wenn er nichts grundsätzlich ändern wollte, er brauchte eine Auszeit.

Es klingelte immer noch und Erin schien nicht greifbar. Er hinterließ nur eine kurze Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Im zweiten Anlauf rief er seine Mutter an. Sie war Rentnerin, aber half immer ehrenamtlich in der örtlichen Bibliothek.

Seine Mutter Mary hatte, als Will ausgezogen war, um aufs College zu gehen, damit begonnen, einen Lesezirkel für Kinder von fünf bis fünfzehn zu gründen. Diese betreute sie regelmäßig. Darin hatte sie eine Erfüllung gefunden.

»Hi Will, was gibt es?« Seine Mutter schien immer sofort zu wissen, wenn etwas nicht stimmte.

»Hallo Mom. Nichts, ich wollte nur mal wieder Hallo sagen.« Gut, dass sie seinen leeren Blick nicht sehen konnte. Er versuchte seiner Stimme einen leichten, fröhlichen Klang zu geben. Wozu war er denn Schauspieler, wenn er das nicht vortäuschen konnte?

»Ja, klar. Du bist also nicht gerade sitzen gelassen worden?« Seine Mutter war wirklich unerbittlich. Woher wusste sie nun schon wieder, dass Jenny weg war?

»Was?« Er stutze.

»A, du rufst zuerst deine Schwester an, die übrigens neben mir am Tisch sitzt und wir Heidi eben davon überzeugen wollen, endlich Anne of Green Gables zu lesen ...« Wahrscheinlich schaute seine Mutter eben seine Nichte mit einem leicht vorwurfsvollen Blick an, der sagen sollte, du kommst eh nicht drumherum.

»B, Jenny rief mich an, um mir zu sagen, was ich alles an deiner Erziehung falsch gemacht habe. Ich erinnerte sie nach dieser Aussage daran, dass sie eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben habe und sie mir zwar alles sagen kann, aber vor der Presse besser still sein solle. Unser Anwalt ist einfach toll.« Will dachte nur, wie unglaublich seine Mutter war. Welche andere Mutter würde so ruhig bleiben und so kühl. Er wusste, dass sie unerbittlich sein konnte, wenn Menschen sie oder ihre Familie verletzen wollten. Ein weiterer Grund, warum er Fremden gern etwas mit Abstand begegnete. Sie hatten als Familie viel durchgemacht. Wunden, die noch immer heilten.

»Oh Gott, das hast du ihr nicht so gesagt!«

»Aber ja doch. Jenny ist ein liebes Mädchen, aber erwachsen ist sie nicht. Sie braucht Führung in ihrem Leben. Na ja, jetzt müssen wir das aber nicht mehr übernehmen.« Wills Mutter sah alles pragmatisch, aber er wusste, sie wünschte sich Enkelkinder von ihm. Der Wunsch war da, selbst, wenn sie es nicht ansprechen würde. Manchmal konnte sie auch zurückhaltend sein.

»Nun, was bleibt mir da noch zu sagen?« Eigentlich hatte er beabsichtigt, zu fragen, ob er ein paar Tage bei seinen Eltern bleiben könne. Diese Kälte und Leere, mit der er der Trennung gegenüberstand, erschrak ihn.

»Fährst du allein weg oder was hast du vor?« Will rollte seine Augen, als er sie das sagen hörte.

»Keine Ahnung. Ich muss erst einmal sehen, dass ich wieder Ordnung in das Chaos bekomme.« Nur keine Schwäche zeigen.

»Also Erin und ich haben eine ganz besondere Idee. Du wirst sie lieben.« Oh je. Will bekam Beklemmungen. Das verhieß nichts Gutes.

»Und das wäre jetzt was?« Seine grünen Augen wurden groß.

»Wir fahren alle zusammen in den Urlaub. Erin und ich wollen Heidi zeigen, wie toll die Welt von Anne of Green Gables ist. Und seit Jahren wollte ich dorthin fahren und es mir mit meinen eigenen Augen ansehen. Also fahren wir mal als große Familie gemeinsam in den Urlaub. Du schuldest uns noch ein bisschen Familienleben, William.«

Immer wenn seine Mutter ihn William nannte, war er in Schwierigkeiten. Das kannte er. Bevor Jenny in seinem Leben auftauchte, hatten sie öfter zusammen Urlaub gemacht. Damals war das Geld nicht so üppig. Es waren meist kurze Ausflüge oder Roadtrips zum Mount Rushmore oder die Nationalparks in Kalifornien. Wie oft hatten sie sich die Mammutbäume angesehen im Sequoia Nationalpark?

Mit Jenny stand ein solcher Ausflug nicht zur Debatte. Es war nicht so ihres. Daher hatte Will sich für fernere Ziele wie Mexiko entschieden. Da gab es Cocktails und Pools und Roomservice.

»Und wo liegt dieses dorthin?« Er hatte zwar noch nicht ganz nachgegeben, aber so schlecht klang ein solcher Ausflug nicht und er konnte die Kosten für alle übernehmen. Er hatte gut verdient und die Hunde konnten auch mit. Er könnte es als ein kleines Dankeschön an seine Familie verpacken.

»Oh Schatz, du wirst es lieben. An der Ostküste Kanadas. Da gibt es tatsächlich die Insel Prince Edward Island, genau wie im Buch, und wir haben schon ein nettes Bed and Breakfast gefunden. Erin hat vor zwanzig Minuten bereits mit der Besitzerin gesprochen. Wir haben das ganze Haus für uns, na ja du wohnst nicht im Haus. Leider ist es ein tierfreies Bed and Breakfast.« Dass seine Mutter so euphorisch war, freute Will sehr, aber ohne Bergmann und Bubbles wollte er da nicht hin und das sagte er seiner Mutter auch.

»Ach Will, das wissen wir ja. Deshalb hat Erin das Josie auch schon gesagt.«

»Wer ist Josie?« Will hatte das Gefühl irgendwo in den Ausführungen seiner Mutter abgehangen worden zu sein.

»Josie Becker, sie ist die Besitzerin. Eigentlich vermietet sie die kommenden Wochen nicht, wegen einer Familiengeschichte. Ihre Kinder und Enkel sind wohl zu Besuch. Aber sie meinte, wenn es uns nicht stört und du und die Hunde mit dem Cottage, gleich neben dem Haus vorliebnehmen könnten, dann macht sie die Ausnahme. Sie hat es eben als zusätzlichen Gästebereich umgebaut. Einen minimalen Wermutstropfen hat es doch, dass ihre eigene Familie da ist. Na ja, aber die meisten kleineren Unterkünfte sind noch geschlossen, da die Saison noch nicht begonnen hat, und du weißt ja, wie sehr dein Vater und ich konventionelle Hotels ablehnen. Man soll nicht die Reichen noch reicher machen. So ein kleines Unternehmen braucht unser Geld mehr.«

»Danke für deinen Monolog, Mom. Erin und du haben das bereits entschieden? Was sagen Eddie und Dad?«

Kurze Stille folgte am Telefon. Aha, sie hatten es weder seinem Vater noch seinem Schwager gesagt.

»Nun ja, so richtig wissen es die beiden noch nicht, aber sie werden schon mitkommen. Josie hat gesagt, dass wir die speziellen Early-Bird-Packages bekommen. Sie hat auch so viele Dinge aufgezählt, die man dort unternehmen kann. Will, du könntest sogar surfen!«

Will wusste sehr wohl, dass er bereits überstimmt war und nicht nur er, sondern auch sein Vater und Eddie.

»Ich will aber nicht dorthin. Das ist bestimmt superlangweilig!«, krähte Heidi und Will fühlte, wie diese Worte aus seiner Seele sprachen.

»Papperlapapp, du wirst sehen, es wird supertoll und Onkel Will freut sich auch schon, richtig Will? Ich stell mal eben auf Lautsprecher!«

Will zog seine rechte Augenbraue nach oben, wie er es immer tat, wenn er etwas sagen, aber dafür keinen Streit riskieren wollte.

»Klar Heidi. Endlich haben wir wieder mal richtig Zeit für uns. Bergmann und Bubbles kommen auch mit und wir werden eine tolle Zeit haben.«

»Siehst du. Onkel Will nimmt die Hunde mit nach New York und fährt dann mit dem Auto nach PEI, so wird die Insel genannt. Er freut sich so sehr.«

Will schüttelte willkürlich den Kopf. Niemand kam je gegen seine Mutter an. Jetzt wurde sogar schon entschieden, wie er zu dieser Insel kam. Er würde später erst einmal googeln müssen. Er hatte keine Ahnung, wo das war.

»Hey Erin, schickst du mir bitte noch die Kontaktdaten, damit ich weiß, wo ich hinfahren muss und wie ich da hinkomme?« Es hatte keinen Sinn, sich nicht in die Situation zu ergeben. Auch Bergmann und Bubbles lagen bereits zu seinen Füßen und schauten betroffen zu ihm hinauf.

»Aber nicht, dass du dort anrufst und uns wieder abmeldest!« Seine Schwester kam zum ersten Mal zu Wort.

»Was denkst du von mir? Heidi und ich haben jetzt ein Date, stimmts?« Heidi gab einen zustimmenden Laut von sich.

»Ok, ist bereits per E-Mail unterwegs an dich.«

»Oh Will, damit machst du deiner Mutter die größte Freude. Du bist so ein guter Junge.« Seine Mutter hatte offenbar einen Kloß im Hals, und das genoss er für einen Moment, denn so weit brachten es die Cunningham-Kinder nicht oft.

»Mom, ich freu mich, wenn du dich freust. Aber bitte haltet mir Ben noch etwas vom Hals, wenn er noch so aktiv ist. Ist er immer noch vier Jahre, Erin?«

»Nein Will, er ist bereits sechs und vielleicht könnt ihr ja zusammen Rad fahren. Es gibt dort wohl einen wunderbaren Rundweg.«

Nachdem Will noch weitere Möglichkeiten besprochen und er eine ziemliche Irritation bezüglich der Gastgeberin entwickelt hatte, anscheinend eine zweite Mary Cunningham, war er schlussendlich fast Feuer und Flamme für die Idee. Nach einer Stunde legte er auf. Seine Ohren waren rot, er fühlte sich müde aber befreit und er hatte ein Ziel.

Er bestellte sich eine Pizza, räumte auf und plante seine Route und kam zum Schluss, dass ein Roadtrip durchs Land mit Bergmann und Bubbles ein toller Einstieg in seinen Urlaub und in sein neues Leben als Single sein würde. Am Abend lag er mit Bergmann und Bubbles im Bett und schaute sich die Werbefilme der Insel an. Dort würde er ungestört sein und selbst, wenn jemand ihn erkennen würde, wäre es ruhig dort, also recht überschaubar. Das Bed and Breakfast war auch recht nett. Das Cottage konnte er auf den Fotos noch nicht erkennen, aber es schien überhaupt so, dass die Webseite seit einem Jahr vernachlässigt worden war. Davor gab es wöchentliche Berichte und Kochvideos. Ein schnauzbärtiger Rockstarverschnitt, hielt immer stolz und breit grinsend diverse Teller mit Frühstücksgerichten in die Kamera. Wahrscheinlich der Sohn dieser dubiosen Besitzerin. Will war es unheimlich, dass eine andere Frau seine Mutter innerhalb von zwanzig Minuten überzeugt hatte, Urlaub in ihrem Haus zu machen, ohne sich mindestens zwei andere Angebote einzuholen. Seine so solide Mutter hatte sich einwickeln lassen, dessen war er sich sicher und der Typ auf den Fotos sah nicht aus, als wäre er der geborene Bed and Breakfast-Besitzer.

Sowas hätte seine Mutter nun doch nicht so einfach gebucht. Wahrscheinlich hatte Erin diese Bilder seiner Mutter vorenthalten.

Am nächsten Morgen packte er und ging mit den beiden Hunden auf seinen ersten großen Roadtrip bis nach Kanada.

Kapitel 3

 

Der Unfall war ein Jahr her. Fast auf den Tag genau. Doch das Leben geht weiter. Es zog weiter, obgleich ich in meiner kleinen Blase der Erinnerungen gefangen war. Es wurde Sommer und Herbst und Winter.
Nach dem Winter im Vorjahr fühlte sich dieser kälter an und vor allem einsamer.

Ich bin eine glückliche Oma und der Junge wurde Matthias genannt. Lieb gedacht, doch der Schmerz, der sofort ins Herz schoss, war so stark, dass ich keine Luft mehr bekam.

Oft hörte ich mir die CDs an, die Matti mit seiner Band in Deutschland aufgenommen hatte, schaute mir unsere Familienvideos an, die wir über die Jahre mit den Kindern gefilmt hatten. Matti mit abgeschnitten Jeans und weißen T-Shirt im Garten, Gitarre spielend. Die Sprösslinge, die vor ihm saßen und aus vollem Hals mitsangen. Wie andere Kinder Kinderlieder singen und damit ihre Eltern manchmal in den Wahnsinn treiben, kannten unsere Kinder Rock- und Popsongs aus einem großen Teil der Welt.

Natürlich lernten sie auch Kinderlieder, aber vor allem kannten sie Songs, die sie im Radio, von Mattis Konzerten oder unseren CDs kannten. Ob Bruce Springsteen oder Eros Ramazotti, die waren ganz textsicher und fanden es toll, wenn Matti sie als Teil der Band behandelte. Zum Fasching forderten sie nicht oft, als Prinzessin oder Feuerwehrmann zu gehen, sondern als Musiker und Rockröhre.

In unserem Hause gab es immer Klänge, in allen Variationen. Unsre Eltern hatten uns mit dem Eurovision Song Contest – ESC – aufgezogen, uns die Liebe zur Musik in die Wiege gelegt und gelehrt, dass es nicht unbedingt darauf ankam, die Texte zu verstehen, sondern die Musik, die Melodie zu fühlen. Den Text zu verstehen war Bonus. So hielten wir es ebenfalls mit unseren Kindern. So war der Song Contest ein fester Bestandteil im Jahreskalender und wurde zelebriert.

Auf einem anderen Film sah ich mir die Einschulung von Wilhelm an, er und Matti hatten sich beide im Partnerlook gekleidet, mit weißen Hemd, Fliege und schwarzen Hosen. Charlotte hatte ausnahmsweise ein Kleid an, aber man merkte der jungen Dame bereits an, dass dies nicht für lang so bleiben würde.

Während ich in diesen Erinnerungen schwelgte, hatte ich immer den Eindruck, er ist noch bei mir. Eines Abends hatte ich das Gefühl, dass die Trauer etwas verblasste und wieder eine Freude über das Leben zurückkehrte. Matti hätte nicht gewollt, dass ich mich in eine Höhle zurückziehe und auf meinen Tod warte und die Jahre so verstreichen lasse. Er hatte das Leben in vollen Zügen genossen. Versuchte Angelegenheiten nicht auf die lange Bank zu schieben, im Hier und Jetzt zu leben, auf die Zukunft zu vertrauen, sich darauf zu freuen und nicht nur passiv abzuwarten, dass sich etwas ändert, sondern es aktiv anzugehen.

Ich konnte wieder in der Küche stehen und die Songs mitsingen. Das Lächeln kehrte zurück. Anfangs zaghaft, aber letztlich musste ich bei der Erinnerung wieder schmunzeln, wenn eine Stelle im Lied kam, bei der sich Matti gequält hatte, die richtigen Worten zu finden.

Manchmal kamen mir die Tränen, ich spürte seine Liebe bei den Songs, die er nur für mich geschrieben hatte. Besonders, wenn sie romantisch und melodisch mit einem Hauch von Melancholie waren. Er besang darin, dass unsere Liebe für immer bestehen würde, wenn er mit seiner samtigen Stimme davon sang, dass wir zusammen alt werden.

Es folgte der Tag, an dem ich wieder mitsingen konnte und spürte, wie er mit mir in der Küche oder im Zimmer war. Sah ihn vor mir, wenn er in seiner Pyjamahose und dem ausgewaschenen T-Shirt leise auf seiner Gitarre spielte und mich beobachtete, während er mir seine Liebeserklärungen darbot.

Einmal hatte ich einen Cateringauftrag und von einer alten Kassette schmetterte Mattis Version von Richi e poveris Sará perché ti amo, die er mit seiner Band den T-Shirts gespielt hatte. Das war noch in der Schule und die Version wurde damals mit einem alten Kassettenrecorder aufgenommen. Es war so schön geschrammelt, und wie sind wir damals auf der Schuldisko abgegangen. Ich bin nur herumgesprungen und habe mitgesungen – eher mitgebrüllt – bis meine Stimme heiser und ich komplett durchgeschwitzt war. Ich erinnerte mich an Mattis Blick, als er mich dabei beobachtete. Ich glaube, er hat diesen Moment so wenig vergessen wie ich. Ich fand, er war nie so sexy wie bei dem Auftritt. Was sicher an meinen durchgeknallten Teenagerhormonen lag. Immer, wenn ich diesen Song im Radio hörte, schaute ich ihn und er mich an. Es war Teil unserer Nabelschnur. Teil unseres Kokons, unserer kleinen Welt, wo niemand hindurchdrang. Bei jedem Geburtstag wurde dieses Lied mindestens einmal gespielt. Manchmal auch zweimal oder dreimal.

Da wir nur Tage getrennt Geburtstag hatten, wobei ich zehn Tage nach ihm auf die Welt kam, feierten wir fast immer zusammen. Unsere Mütter hatten sich im Krankenhaus kennengelernt. Sie lagen im gleichen Zimmer. Sie wurden zu besten Freundinnen. Und unsere Väter feierten gemeinsam die Geburt der Kinder in der kleinen Kneipe an der Straßenecke.

Durch Zufall wohnten beide Familien nur Häuser von einander entfernt. Altbau und mit Hinterhöfen, die wunderbar zum Spielen und Feiern einluden. Wir landeten im gleichen Laufgitter, spielten Familie mit Puppen und Autos. Bauten zusammen Sandburgen und kletterten auf die Birnen- und Kirschbäume. Hatten Bauchweh und Durchfall, weil wir halbreife Pflaumen aßen und dazu Tee aus Regenwasser und Minzblättern brauten. Matti hatte die Windpocken und ich keine vierundzwanzig Stunden später auch. Daher konnten wir wenigsten zusammen spielen und waren nicht isoliert, wie andere Kinder.

Nur in Kindertagesstätte waren wir getrennt. Matti hatte einen Platz im Kindergarten der Firma seines Vaters und ich kam in die Kita nahe der Klinik, in der meine Mutter arbeitete. Aber kaum waren wir zuhause, konnte man uns entweder in dem einen oder anderen Hinterhof finden, und erst, wenn es zum Abendbrot gerufen wurde, wurden wir getrennt.

Ich glaube, ich liebte ihn von jeher. Auf den Fotos himmelte ich ihn schon mit zwei Jahren an. Und er war immer bereit, Papa für meine Puppenkinder zu sein. Er half mir die Puppensachen zu waschen und aufzuhängen. Ich assistierte ihm das Auto, ein kleines Tretauto, richtig einzuparken. Aus alten Decken hatten wir ein Zelt, das in der ersten Frühlingssonne aufgebaut und erst in der Woche, an dem es mehr Herbstregen als Herbstsonne gab, abgebaut wurde.

Warum wir so lange brauchten, um zu verstehen, dass wir zusammen gehörten, weiß ich nicht. Jetzt blickte ich öfter zurück, aber in unserer Beziehung haben wir es nur einmal thematisiert, als wir uns fragten, wie viel wir vielleicht versäumt hatten, weil wir es uns so lange nicht eingestehen wollten. Aber wir kamen zum Ergebnis, dass es so hatte sein sollen. So und nicht anders.

Jeder Moment führte uns dorthin, wo wir waren. Zusammen und glücklich und mit einem Leben, dass uns passte und nicht drückte wie Schuhe, die nur toll aussehen, aber sonst nichts zu bieten haben. Unser Leben bot uns soweit alles.

 

Als ich so in meiner Küche arbeitete und das Radio laut aufgedreht hatte, stand Paul mitten im Raum. Er hatte die Stiege mit dem gewünschten Gemüse dabei. Zu meiner Überraschung lächelte er und nickte mit seinem Kopf im Takt.

Wie sollte ich da nicht lächeln? Ein wettergegerbter Farmer aus Nordamerika, der dem Klischee mit Latzhose, Flanellhemd und und verdreckten Stiefeln so entsprach, als wäre er aus einem Bilderbuch entsprungen. Sein Gesicht zeigte Belustigung. Seine blauen Augen leuchteten und er rockte mit mir. Ich sprang in der Küche umher, als wäre ich zwanzig und er tat so, als würde er den Song bereits sein ganzes Leben lang kennen. Er hüpfte zwar nicht, aber für sein Alter verblüffte er durch seine Energie.

»What a great song! Love it.« Paul tat so routiniert, als wäre er nie etwas anderes, als ein heimlicher Rocker gewesen.

Ich wusste allerdings aus zuverlässiger Quelle, dass er Countrymusik allem den Vortritt gab.

»Ja, ich auch.« Ich keuchte etwas, und reinigte meine Hände am Küchentuch.

»Schön, dass du wieder fröhlicher bist. Alice hat sich Sorgen gemacht, sie wollte dich in ihren Nähkurs holen.« Alice, Pauls Frau, hatte einen wöchentlichen Nähkreis und sie arbeiteten an vielen verschiedenen Projekten. Ich hatte mir fest vorgenommen, dass ich mich anschließen würde, wenn ich erst das Bed and Breakfast zum Laufen gebracht hatte. Zur Zeit arbeiteten sie an einem geheimen Projekt, dem Hochzeitsquilt für Wilhelm und Jasmin. Natürlich durfte nur ich davon wissen. Die beiden hatten ihre große Hochzeit nach Mattis Tod verschoben. Nur eine kleine Zeremonie im Standesamt und dann Matthias der Zweite war auf der Welt. Zum Glück riefen sie ihn Matze, was mir zwar nicht gefiel, aber die Kurzform half mir, den Namen annehmen zu können.

»Du kannst ihr ausrichten, ich werde mich am Nähkurs beteiligen, sobald ich wieder vollständig bin.« Ob ich mich je wieder vollständig fühlen würde, bezweifelte ich. »Aber bitte sag ihr einen lieben Gruß und möchtet ihr bald wieder zum Essen kommen? Ich vermisse es so, jemanden zu bekochen.« Den kurzen scharfen Schmerz in der Brust kannte ich, den Stich des Vermissens, ich fühlte ihn jeden einzelnen Tag und jede Nacht.

Paul zwinkerte mir zu. »Gern, du sagst wann und ich ziehe ein frisches Hemd an.«

»Na, das klingt doch nach einem Plan. Alice wird aus dem Häuschen sein.«

Nachdem wir das Gemüse verräumt hatten und über die neuesten Nachrichten, den neusten Tratsch und alles, was sonst so wichtig war, bei einem Kaffee aus meiner »schicken« Kaffeemaschine, wie Paul sie nannte, gesprochen hatten, kamen wir auf ein paar Themen, die ich einerseits gern umschifft hätte, andererseits aber froh war, wieder Normalität in die Situation zu bringen.

Im Winter hatte ich für die Stadt gearbeitet und konnte mit diversen Ideen und meinem Catering überzeugen. So hatte ich Zeit, um zu trauern und mich dennoch finanziell über Wasser zu halten. Da die Vorschläge so umfänglich waren, hatten wir uns mit dem Stadtrat darauf geeinigt, die Sommersaison auszusetzen, damit ich im Bed and Breakfast vorwärts kam.

»Also du willst wirklich wieder weitermachen?« Paul schnupperte an seinem Cappuccino, den er zwar nicht richtig aussprach, aber lieben gelernt hatte.

Etwas nervös rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. »Ja, ich denke, es ist wichtig. Mit dem Catering läuft es, aber das war ja nicht der eigentliche Plan und ich möchte wieder Leute um mich haben. Solange Matti da war, hätte ich es auch ohne Gäste ausgehalten, denn er war der Nabel meiner Welt. Ich brauche Menschen. Wir waren immer gesellig und genossen Freunde und Gäste.«

Paul nickte. »Klingt für mich plausibel. Ich denke, du bist ziemlich klug. Woher du das wohl hast, dabei bist du noch ein Küken.« Wieder zwinkerte er mich an.

»Ich denke, ich habe es vom weltbesten Nachbarn gelernt.« Zwinkerte ich zurück.

»Klingt einleuchtend. Ich bin zwar nur ein einfacher Kerl vom Land, aber du bist viel reifer, als du selbst denkst. Weißt du, meine Mutter sagte immer: Das geht vorbei. Und so ist es doch. Nichts ist für immer. Alles ist im Wandel.«

Da war er wieder, der Stich im Herzen.

»Aber du weißt auch nicht, was dieses Feuer gebracht hat. Als Farmer denke ich, vielleicht ist diese verbrannte Erde zu was gut und dünkt deinen Acker, wenn du verstehst, was ich meine.« Er hatte ganz rote Ohren bekommen.

Ich musste so lachen, und meine Hand kam auf seinem Unterarm zum Liegen. »Danke, ich weiß, was du meinst. Auch wenn dieser Vergleich schon etwas unglücklich gewählt war.«

»Na gut, zugegeben. Aber zweimal negativ ein positiv.« Er lachte. »Gut, ich fahre zu Alice zurück. Falls du was brauchst, wir sind für dich da. Weißt du Mädchen, Alice und ich haben dich ins Herz geschlossen.« Alice und er hatten viele Jahre versucht, Kinder zu bekommen. Sie hatten viele Schulden auf die Farm aufgenommen, um den Traum zu verwirklichen. Als sie sich endlich in Gottes Hände begeben hatten und sich sagten, dass es eben auch ohne Kinder geht, wurden sie zweimal schnell nach einander Eltern von insgesamt drei Kindern, mittlerweile Teenager. Und vielleicht wirkte Paul zwar äußerlich alt, aber war im Herzen und im Wesen jung. Alice ebenso. Ich hatte die beiden so sehr ins Herz geschlossen, dass ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte. Meine Eltern waren kurz nach Charlottes Geburt bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ein betrunkener junger Fahrer hatte ein Auto überholt, einen Baum in der Allee gestreift und war in die Gegenfahrbahn gekommen. Ich mochte das Autofahren, aber nun nach Mattis Tod, der nun auch wieder einem jungen, betrunkenen Mann zuzuschreiben war, haderte ich schon mit solchen Unfällen. Ich hatte unheimliche Angst, meine Kinder durch einen Unfall zu verlieren. Sie meldeten sich immer regelmäßig, wenn sie mit dem Auto unterwegs waren. Nach Mattis Tod jeden Abend. Wahrscheinlich sollte es mir zeigen, dass Unfälle Ausnahmen der Norm sind, aber für mich war es wie in dem alten Song, tausendundeine Nacht und dann hat´s zoom gemacht.

Allerdings wollte ich den Kindern das Leben nicht noch schwerer mit einer neurotischen Mutter machen. Es reichte eine, die mit dem toten Mann sprach.

Eine Zeitlang hatte ich mit dem Gedanken gespielt, doch alles hinter mir zu lassen und nach Deutschland zurückzukehren. Aber schlussendlich war es Matti, der mich zurückhielt. Hier konnte ich ihn bei mir haben.

Hier konnte ich die Urne bei mir haben. Im Winter, als sich niemand außer mir im Haus befand, hatte ich stundenlange Gespräche mit Matti in seiner Urne geführt. Vielleicht war ich durch die Schneestürme aber auch einem Koller ausgesetzt gewesen und nahe an einer psychischen Krankheit vorbeigeschlittert. Vielleicht war es nur der verzweifelte Versuch, nicht durchzudrehen. Wie es auch immer war, es hat mir geholfen.

Ich möchte mir auch nicht vorstellen, welchen Anblick ich abgegeben haben mochte, als ich im Wohnzimmer auf dem Sofa saß. Den Kaminofen hatte ich angefeuert, die Flammen durch die Scheibe beobachtet, während ein Schneesturm sondergleichen um das Haus pfiff und es komplett mit Schnee bedeckte. Ich saß da und schaute dem Flammenspiel zu, sprach mit Matti in seiner Urne, als sei er ein Geist in seiner Flasche. Es war sicher ebenso ein Teil Angst dabei, so allein im Haus zu sein und nicht beschützt zu sein, falls ein Irrer schon ausgebrochen war, auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.

Durch die Angst fühlte ich aber auch wieder Leben in mir. Wenn man lebensmüde ist, hat man doch keine Angst mehr, oder?

Bei diesem Schneesturm kamen Matti oder sein Geist und ich darin überein, das B&B wieder in Angriff zu nehmen. Als ich am nächsten Morgen von meinem Nachbarn Frank aus den Schneemassen herausgeholt wurde, war ich wieder zuversichtlicher.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

Will hatte ein paar wunderbare Tage unterwegs quer durch die USA. Mit jedem Kilometer, den er zwischen sich und Kalifornien legte, wuchs seine Stimmung.

Bergmann und Bubbles benahmen sich vorbildlich sowohl während der Fahrt als auch in den verschiedenen Unterkünften. Seine Mutter und auch Erin hatten entschieden, dass sich die Familie direkt auf PEI im Bed and Breakfast trifft. Nach seinen Recherchen lag dieses nicht weit von der Conferderation Bridge kurz vor Summerside. Eigentlich hatte er angenommen, seine Mutter würde ein Bed and Breakfast mit Blick auf das Meer buchen, aber dieses lag inmitten von Feldern. Zwar nicht weit vom St. Lorenz Strom, aber dennoch nicht so nah, wie er es sich gedacht hatte. Aber was sollte es. Die Hunde würden sich freuen, egal wo sie sich mit ihm aufhalten würden. Er hatte sich alles zurechtgelegt und entschieden, die letzte Nacht in Saint John, New Brunswick zu verbringen, ehe er weiterfuhr. Will lag auf dem Bett in seinem Hotel. Seine Mutter hätte es sicher nicht als richtig empfunden. Er schaute sich eben die Strecke für den nächsten Tag an, da er die Pausen gut planen wollte, damit Bergmann und Bubbles entspannt ankamen. Er wollte sicher keinen schlechten Eindruck hinterlassen, vor allem da seine Mutter nicht müde wurde, zu erwähnen, dass diese Josie sehr gern eine Ausnahme für die Hunde machte.

Das Telefon klingelte und Heidi war am Apparat.

»Hi Onkel Will. Dad hat das Auto geschrottet.« Heidi platze ganz aufgeregt heraus.

»Was? Was ist passiert? Geht es euch gut?« Will saß aufrecht im Bett.

»Ja, aber das Auto ist hin und Mom ist durch den Wind und weint und sagt immer nur: Gott sei Dank, Gott sei Dank!« Heidis Ton war eine Mischung aus Aufgeregtheit, wahrscheinlich wegen des Schocks, als auch eine Spur von Wichtigkeit. Schließlich hatten ihre Eltern ihr aufgetragen, Will anzurufen.

»Kann ich deine Mom bitte sprechen?« Will versuchte, seine Atmung zu beruhigen. »Ja, ich geb sie dir, aber sprechen kann sie nicht gut.« Heidi gab das Telefon weiter.

»Will? Oh Gott, oh Gott. Will…« Erins Stimme versagte und ging in einem unkontrollierten Schluchzen unter. »Geht’s dir gut? Ist euch was passiert?« Will wurde wieder angespannter.

»Ja, alles gut.« Erin rang um Fassung.

»Eddie ist super gefahren, aber so ein Blödmann hat ihn provoziert und uns dann geschnitten, so dass wir vom Highway abkamen und gehen einen Baum prallten. Eddi hatte versucht zu bremsen, aber es ging wohl nicht, zu rutschig. Will, ich hatte solche Angst.«

»Wo seid ihr? Kann ich etwas tun, kann ich euch holen?« Will ging unruhig im Zimmer auf und ab. Es machte ihn schier wahnsinnig, nichts tun zu können und so hilflos zu sein.

»Die Polizei ist schon unterwegs. Wir wollten durchfahren, wir sind zwischen Saint John und Moncton.«

»Ich fahre gleich los und sammle euch auf.« Während er sprach, warf er seine Kleidung in den Koffer und zog sich seine Jeans an. »Aber dein Auto ist voll mit Bergmann und Bubbles und deinen Sachen. Wir sind vollbepackt bis unters Dach!« Typisch Erin, erstmal wieder alles koordinieren, sobald der erste Schock weg ist.

»Ich kann aber einiges in mein Auto laden, die Kinder nehmen und schon ins Bed and Breakfast oder in ein Hotel in der Nähe fahren. Und dann schauen wir, wie schnell wir einen Ersatzwagen organisieren können.« Will war fertig gepackt und gekleidet und stand mit seinem Gepäck an der Tür. Er brauchte aber beide Hände für die Hunde und das Gepäck. Er wollte erst auflegen, bevor er das Zimmer zahlte und sich auf den Weg machte.

»Ja, das wäre eine Hilfe. Stimmt. Danke, großer Bruder!« Erin wirkte erleichtert.

»Ich fahre los. Falls ihr nicht mehr an der Unfallstelle seid, lasst mich wissen, wo ich euch finden kann.« Damit legte er auf und checkte aus.

Eine Stunde später fand er noch seine Familie am Unfallort vor. Die Polizei hatte noch alle Hände voll zu tun und ein Abschleppdienst war auch bereits da. Alle schienen soweit wohlauf, wenn auch etwas blass und erschrocken.

Als er hinter dem Wagen zum Stehen kam, wollten die Kinder vom Seitenstreifen direkt auf ihn zu rennen. Er rief ihnen zu, dort zu warten. Der Verkehr war nicht dicht, aber man wusste nie, was noch passieren konnte.

Seine Schwester fiel ihm als erstes in die Arme.

»Danke, Will. Ich kann es noch nicht fassen. Aber der Abschleppdienst nimmt Eddie mit und er besorgt uns einen Mietwagen. Seine Frau arbeitet für eine Vermietung, wie passend.« Erin rang sich ein Lächeln ab.

»Ok, die Hunde sind in den Boxen. Sie fanden das nicht witzig, aber haben mitgespielt. Wie viel habt ihr denn an Gepäck? Zumindest das Wichtigste.« Erin zeigte auf drei Reisetaschen, als Eddie mit den Kindern auf die beiden zukam. Und Will begrüßte.

»Hallo Will, danke fürs Herkommen. So ein Vollidiot wollte wohl besonders bescheuert sein.« Eddie schüttelte den Kopf und Will bewunderte ihn, dass er fast nicht geflucht hatte. Eddi war immer vorbildlich vor den Kindern. Na ja, fast immer.

»Onkel Will, sieh dir das Auto an!« Heidi schlang die Arme um seine Hüften und auch Ben kam ganz schüchtern auf ihn zu und fasste seine Hand an. Er wirkte besonders mitgenommen. Zusammen holten sie die Kindersitze aus dem Auto und luden sie bei Will ein, die Kinder kletterten sofort rein. Will fragte noch, ob Erin mit ihm fahren wollte, aber sie meinte, sie vertraue ihm, dass er mit den Kindern zurechtkam, war aber hin- und hergerissen. Eddie übernahm es schließlich und schickte sie mit Will mit. Eddie wollte alles andere im Mietwagen verstauen und nachkommen.

»Ich habe schon mit Josie Becker gesprochen. Wir können schon alle heute anreisen. Ich habe Mom und Dad nicht angerufen. Ich will nicht, dass sie sich sorgen.« Erin küsste Eddie und kletterte in Wills Auto. Die Hunde jaulten kurz auf.

»Pass auf dich auf, und wenn du nicht mehr fahren kannst, nimm bitte gleich die nächste Unterkunft. Nicht, dass dir noch was passiert!« Erin fiel es schwer, Eddie einfach zurückzulassen. »Ja, ich pass auf. Du aber auch, und Will, bitte kümmere dich gut um sie. Du weißt ja, wie schnell Erin aus der Fassung gerät. Sie braucht jetzt erstmal Ruhe!« Eddi winkte den Kindern und Will fuhr an.

Zwei Stunden später suchten sie in der Dunkelheit das Bed and Breakfast.

Alles schien nur eine dunkle Masse zu sein, als sie zwischen den schwarzen Schemen Lichter ausmachten, dann eine Farm. Das Navi sagte, sie wären am Ziel, aber das konnte doch nicht stimmen. An der Einfahrt stand ein Pick Up Truck. Ein älterer Mann stand neben dem Pick Up.

»Hallo. Guten Abend, wir suchen das Art Gallery Bed and Breakfast. Können Sie uns vielleicht weiterhelfen?«

Will sah sich um.

»Oh, Sie wollen zu Josie. Ja, da haben Sie es fast geschafft. Noch circa eine Viertelmeile die Straße runter. Ich hab mich schon gewundert, warum bei ihr heute Festbeleuchtung ist. Ist aber reichlich spät für den Check in. Aber bei so viel Licht gehe ich davon aus, dass sie noch wach ist und auf Sie wartet.«

Will war etwas überfordert mit diesem gesprächigen Mann.

»Ach, wenn Sie ja nun zu ihr fahren, kann ich Ihnen ein paar Sachen mitgeben? Ist zwar nicht so die feine Art, aber wir sind hier etwas entspannter als Ihr US-Amerikaner.« Der ältere Mann grinste mit einem frechen Grinsen, als wäre es eine Kunst gewesen herauszufinden, woher die Fremden kamen. Er langte in seinen Pick Up und übergab ein Päckchen, das Erin auf den Schoß nahm, denn im ganzen Auto gab es keinen anderen Platz dafür.

»Und sagen Sie ihr bitte, dass Frank, das bin ich, morgen früh mal nach den Rechten sieht. Danke, junger Mann. Sehr freundlich von Ihnen. Sie haben wirklich Glück. Hätte nicht gedacht, dass Josie diese Woche vermieten würde. Ihre Kinder kommen, wissen sie?«

Langsam ging Frank ihm auf die Nerven, aber Will lächelte dennoch freundlich.

»Nein, das wusste ich nicht. Haben Sie vielen Dank, Frank. Wir richten es aus.« Damit fuhr Will wieder auf die Straße und folgte der Wegbeschreibung. Tatsächlich fanden sie das Haus recht leicht, denn es war wirklich hell erleuchtet.

Sie fuhren auf den Parkplatz und stiegen aus. Will öffnete sofort die Heckklappe, um Bergmann und Bubbles aus den Boxen zu lassen. Die Kinder reckten sich verschlafen, doch bevor jemand etwas sagen konnte, ging die Haustür auf und eine Frau etwa in Wills Alter stand an der Tür.

»Sind Sie die Cunninghams?« Eingehüllt in eine dicke Strickjacke und in hochgekrempelten Jeans, kam sie auf die Gruppe zu.

»Mrs Cunningham? Herzlich willkommen. Mein Gott, die Kinder müssen ja völlig erschöpft sein.« Damit schüttelte sie Erins Hand und wandte sich an Heidi und Ben.

»Ja, wir sind sehr müde und hungrig.« Heidi war gleich nach vorne geprescht.

»Oh, dann bin ich ja froh, dass im Haus Sandwiches und Tee warten.« Josie drehte sich zu Erin und Will.

»Darf ich mich vorstellen? Josie Becker. Darf ich Ihnen beim Gepäck helfen?«

»Will Cunningham und das ist meine Schwester Erin Schumann. Heidi und Ben Schumann und das sind Bergmann und Bubbles.« Er wies auf die Hunde.

»Oh ja, die Hunde.« Josie beobachtete diese etwas misstrauisch. »Ganz schön groß.«

»Ja, ich hoffe, das ist kein Problem?« Will glaubte, sich gleich rechtfertigen zu müssen.

»Oh, nein. Ganz und gar nicht. Ich bin nur etwas respektvoll mit großen Hunden. Das Cottage zeige ich Ihnen gleich, die beiden brauchen auch sicher erstmal ein wenig Auslauf nach der Reise in den Boxen. Ich zeige eben Ihrer Schwester und den Kindern die Zimmer und dann komme ich zurück und bringe Sie zum Cottage. Dann können Sie essen.« Josie nahm zwei Reisetaschen, doch Will protestierte sofort.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Ma´am. Ich nehme die Taschen.« Will würde ja wohl noch die Taschen tragen können. Ihm war es zuwider, eine Frau das machen zu lassen. Auch wenn er positiv überrascht war, keine über Siebzigjährige zu sehen, die das Gepäck trug.

»Nun Sie, Sir, können zwei Taschen nehmen. Bitte sagen Sie nicht Ma´am zu mir, da fühle ich mich gleich doppelt so alt.« Ein kleiner Zwinker in ihrem rechten Auge ließ ihn lächeln.

»Gut, dann aber auch ohne Sir.«, lachte Will.

»Onkel Will, bist du fertig? Wir haben Hunger!« Heidi würde mal die Männer herumkommandieren.

Die Taschen wurden verstaut, die Zimmer gezeigt. Alles war sehr schön eingerichtet, wie Will fand.

Erin schaute nervös auf ihr Mobiltelefon.

»Eddie hat sich noch nicht gemeldet.« Will nahm sie in den Arm.

»Er ist sicher auch bald hier. Mach dir keine Sorgen. Wenn er eine andere Unterkunft gefunden hätte, dann hätte er sich schon gemeldet.«

»Ich hoffe, du hast Recht!« Sie schmiegte sich fest an ihren Bruder.

Als sie wieder im Erdgeschoss angelangt waren, fanden sie Josie im Esszimmer. Auf dem Tisch standen ein paar Platten mit belegten Broten und eine Kanne Tee stand auf einem Stövchen.

»Bitte, setzen Sie sich und stärken Sie sich! Tee?« Josie hielt die Kanne hoch.

»Wir wollen keinen Tee. Der schmeckt nicht!« Heidi sah Josie etwas skeptisch an.

»Tja, ich weiß nicht ob ich sonst etwas anderes habe außer Softdrinks.«

»Tee ist fein. Danke. Heidi, sei bitte nicht so unhöflich. Wir haben es versäumt, unterwegs zu halten, aber deswegen darf man nicht so frech werden. Einen Abend kannst du auch einen Tee trinken.« Erin sah ihre Tochter streng an. Heidi zog ein Schippchen und Ben setzte sich verdrossen an seinen Platz. Er sah Will nicht nur ähnlich, sondern hatte viele Eigenschaften seines Onkels. Dieser hätte auch nicht diskutiert und sich still in sein Schicksal ergeben. Zumindest in dem Alter.

»Soll ich Ihnen erst ihr Zimmer zeigen, Mr Cunningham?« Josie sah ihn erwartungsvoll an.

»Gern, Ma´am. Ich meine Mrs Becker.«

»Gern. Dürfen wir Sie kurz allein lassen? Wir sind gleich zurück und dann können Sie alle zusammen essen.

Ihr Mann kommt wohl auch noch?«

»Ja, nach dem Unfall musste er erst einen Mietwagen finden.« Erin wirkte noch immer sehr nervös.

»Ach, das kann natürlich etwas dauern. Stärken Sie sich erst einmal. Es ist bestimmt alles gut. So ein Unfall kann einen schon ganz schön erschrecken. Kenne ich aus Erfahrung.« Plötzlich traten Tränen in Josies Augen und sie versuchte diese versteckt wegzuwischen.

Die Hunde bellten vor dem Haus und kurz darauf hörte man Reifen auf dem Kies.

»Daddy!« Die Kinder ließen die Brote fallen und rannten raus.

»Es tut mir leid. Sie sind etwas aufgeregt.« Erin sah Josie entschuldigend an.

»Aber ich bitte Sie, für die Kinder war es genauso ein Schock und dann sind sie froh, wenn ihr Vater auch jetzt hier ist. Das zerrt sehr an den Nerven, egal, wie sehr Sie versuchen, es von ihnen fernzuhalten.« Josie strich Erin über den Rücken.

»Also, dann zeige ich Ihnen Ihr Cottage und dann wird das Abendessen sicher noch besser schmecken.« Josie ging durch den Raum, durch eine Hintertür in die Küche und von dort aus der Tür in den dunklen Garten. Will folgte ihr. Sobald er draußen war, pfiff er einmal und beide Hunde trotteten mit wedelnden Schwänzen auf ihn zu.

»Na, ihr habt euch wohl schon häuslich eingelebt?« Er tätschelte Bergmann, den Golden Retriever, und Bubbles der Beagle drängelte sich ebenfalls vor.

Josie ging zu Wills Auto.

»Brauchen Sie noch Hilfe mit dem Gepäck?«

»Nein, es ist schon alles gut.« Er zog die größere Reisetasche hervor. Er folgte seinen Hunden, die wiederum Josie folgten. Nun konnte er sich seine Gastgeberin mal in dem Zwielicht etwas genauer ansehen.
Zumindest war sie circa in seinem eigenen Alter, die Strickjacke und die Jeans sind ihm bereits aufgefallen, die Haare hatte sie lose hochgesteckt.

Ihm waren zuvor die traurigen, braunen Augen in Erinnerung geblieben. Komisch, wieso hatte er sie sich alt vorgestellt?

»Passen Sie bitte auf. Das Licht fehlt am hinteren Teil des Hauses. Mein Nachbar wollte morgen vorbeikommen und es richten. Heute konnte er es so kurzfristig nicht mehr schaffen.« Sie drehte sich im Gehen kurz zu ihm um. Die Augen hatten sogar hier, im fast dunklen Garten, einen unglaublich dunklen und traurigen Ausdruck.

»So, da wären wir.« Sie öffnete die Tür eines kleinen Gartenhauses. Überraschenderweise war der Innenbereich sehr großzügig und es roch alles neu. Links auf der gegenüberliegenden Seite der Tür stand ein großes Doppelbett, daneben war ein Einbauschrank sowie die Tür zum Bad, welches sich leicht ausmachen ließ, da die Tür offen stand. Neben der Tür zum Bad befand sich ein Sekretär, anschließend eine kleine Sitzgruppe aus Cocktailsesseln und einem kleinen Nierentischchen.

Für die Hunde standen neben der Eingangstür zwei Hundekissen zur Verfügung, auf denen sicher ein Elefantenbaby ausreichend Platz gefunden hätte.

Dazu standen noch je zwei Näpfe zur Verfügung, wobei zwei bereits mit Wasser gefüllt worden waren.

»Ich hoffe, es gefällt Ihnen! Der Kamin ist übrigens beheizbar.« Den Kamin hatte Will nicht wahrgenommen, aber der befand sich gegenüber vom Bett.

»Es ist wirklich schön. Danke für Ihre Mühe, Ma ... ähm, Mrs Becker.« Er stellte seine Tasche auf dem Bett ab. Eine wirklich sehr angenehme Überraschung.

»Gut, dann führe ich Sie zurück. Für heute Nacht gebe ich Ihnen die Taschenlampe mit. Und hier ist Ihr Schlüssel.«

»Ach übrigens, heißt der Nachbar, der das Licht reparieren wird, Frank?« Die Hunde hatten die Kissen in Beschlag genommen und das Wasser bereits halb ausgesoffen. Sie machten keine Anstalten, Will und Josie ins Haupthaus zu folgen.

»Ja. Woher wissen Sie das?« Erstaunt sah sie Will an und blieb kurz vor ihm stehen. Er konnte sie jetzt genauer sehen. Sie war noch circa fünfzehn Zentimeter kleiner als er, also um die einsfünfundsechzig. Sie wirkte schmal, nicht sehr schlank, mehr ausgemergelt, als hätte sie alles Elend der Welt gesehen.

»Er war so freundlich uns den Weg zu beschreiben. Es ist schon sehr dunkel hier.« Will sah ihr direkt in die braunen Augen.

»Ja. Am Anfang kommt es einem so vor. Aber man gewöhnt sich schnell daran und dann werden Sie feststellen wie hell die Sterne leuchten. Es ist etwas ganz Besonderes, wenn man nicht mehr von der Lichtverschmutzung umgeben ist. Wir haben sehr viel Glück hier.«

Eigentümlich erschien Will, dass er, während sie sprach, einen leichten Akzent heraushörte, aber nur bei bestimmten Worten. Als wäre sie aus England.

»Sie sind nicht von hier?« Seine Neugier hatte gesiegt.

»Nein, hört man es heute wieder mehr heraus? Ich komme aus Deutschland. Ich lebe jetzt fast drei Jahre hier.«

»Deutschland? Also, ich muss sagen, das hätte ich nicht gedacht. Es klang eher britisch. Was führt Sie her?«

Sie waren am Auto angelangt.

»Mein Mann und ich wollten unbedingt hier leben, seit wir das Haus gesehen hatten. Deswegen kauften wir es und tja, nun bin ich hier.« Wieder diese Trauer. Will entschied, nicht weiter nachzuforschen.

»Übrigens, Frank gab uns ein Paket für Sie mit.« Er ging um den Wagen herum und holte das Paket vom Beifahrersitz.

»Ach Frank! Dankeschön. Das wird unser Frühstück morgen, zumindest ein Teil davon.« Sie ging aufs Haus zu. »Ihr Schlüssel passt für den Haupteingang. Der Nebeneingang wird nachts verschlossen. Da kommen sich manchmal die unterschiedlichen Kulturen in die Quere. In Deutschland, zumindest wo ich herkomme, lässt man die Tür nicht offen stehen. Auch, wenn hier nichts zu befürchten ist.«

Sie standen auf der Veranda, die fast das ganze Haus umschloss.

Sie deutete ihm, ihr die Schlüssel zu geben und zeigte ihm, wie es alles funktionierte. Danach gingen sie gemeinsam ins Esszimmer. Die Platten waren reichlich geplündert und auch die Teekanne wirkte leer.

»Mrs Becker, der Tee hat super geschmeckt. Kann ich den Morgen früh wieder haben?« Ben hatte ganz rote Ohren bekommen und strahlte Josie an. Seine grünen Augen und sein mittelblondes Haar unterstrichen seine gefällige Art.

»Gern. Aber bitte nenn mich Josie.«

»Ja, ist gut. Ich bin Ben und das ist Heidi.«

»Schön euch kennenzulernen. Hat es dir auch geschmeckt, Heidi?«

»Ja, danke. Ich bin aber jetzt müde.« Sie hatte ihre Eltern im Griff. Beide standen sofort auf.

»Ja, ich denke, wir ziehen uns zurück, aber ich möchte mich bei Ihnen für alles bedanken. Das Abendessen, daran haben wir gar nicht gedacht. Mrs Becker, ich bin übrigens Edward Schumann.« Eddie schüttelte ihr mit dankbaren Blick die Hand.

»Aber bitte, das gilt für Sie alle, nennen Sie mich Josie. Und gern geschehen. Ich habe auch zwei Kinder und weiß noch sehr genau, wie es war mit ihnen zu reisen.

Jetzt reisen sie zwar meist allein, aber die Erinnerung ist wie gestern.« Sie lächelt das erste Mal wirklich, dachte Will.

»Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht. Wann möchten Sie denn morgen frühstücken?« Josie ließ den Blick über die Reste schweifen.

»Gegen neun Uhr wäre schön.« Erin folgte Josies Blick.

»Will, soll ich Ihnen noch ein paar mehr Brote herrichten?«

»Danke, aber das reicht wirklich. Ich bin nicht so hungrig.« Die Kinder zogen Will mit sich.

»Du musst gute Nacht sagen kommen.« Und er folgte den beiden.

»Gute Nacht, schlafen Sie gut und erholen Sie sich erst einmal von dem Schreck.« Josie verabschiedete sich von Erin und Eddie und richtete eine Platte mit den verbliebenen Broten. Sie ging in die Küche, um frisches Teewasser aufzukochen. Sie verräumte das Fleisch im Kühlschrank. Strich über die Arbeitsplatte, stellte das CD-Radio in der Küche an und verschwand kurz in ihrer eigenen Welt, während das Wasser kochte.

Den Song hatte Matti für sie geschrieben. Es handelte davon, wie schnell man die kleinen Dinge des Lebens aus den Augen verliert und das man sich darauf besinnen sollte, dies nicht zuzulassen.

Das Wasser kochte und sie goss frischen Tee auf.

 

Kapitel 5

Ich habe mich wirklich gefragt, ob ein Fluch auf mir lag, denn als meine Gäste angerufen und mir mitgeteilt hatten, dass sie Opfer eines Autounfalls waren, wurden meine Knie weich und ich fing an zu zittern.

Erin Schumann, hatte sich bald nach dem Unfall bei mir gemeldet und ich hörte noch, wie ihre Stimme zitterte, wie sie mit den Gefühlen rang und ich auf der anderen Seite der Leitung tat es ihr gleich.

»Ich bin froh, dass es Ihnen gut geht.« Meine Stimme hörte sich sogar in meinen Ohren kratzig an. »Wenn ich etwas für Sie tun kann, bitte sagen Sie es mir.«

»Oh, es wäre wunderbar, wenn wir heute bereits ankommen können.«

Ich war etwas irritiert. »Ja, ich dachte, das hatten Sie geplant und waren auf dem Weg hierher.«

»Ich meine, ja, das stimmt, aber ich habe meinen Bruder ebenfalls erreicht. Er wird die Kinder holen und direkt durchfahren zu Ihnen. Er hat aber die Hunde dabei. Wäre es möglich, dass er heute ebenfalls schon anreist?«

Oje, damit hatte ich noch nicht gerechnet, denn Frank wollte sich die Außenbeleuchtung erst am kommenden Tag ansehen.

»Ja, natürlich!« Hörte ich mich sagen, aber mein innerlicher MacGyver suchte schon nach Möglichkeiten, für eine Übergangslösung.

Die Hütte, oder das Cottage wie ich es liebevoll auf der Webseite nannte, war bezugsfertig.

Ich wollte keine Hunde im Haus. Matti und ich hatten mal einen Hund, als die Kinder noch klein waren. Strolch war so ein wunderbares Tier. Er war ein Familienmitglied. Doch als er starb, haben wir es beide nicht verwunden, daher war es klar, dass wir ein tierfreier Haushalt bleiben würden.

Nun hatte ich meine Prinzipien etwas erweitert und das Cottage, sollte für Gäste sein, die ihren Vierbeiner mitbringen wollten. Ich hatte genug Gästemeinungen auf verschieden Portalen gelesen, um zu wissen, dass ich damit auf jeden Fall Gäste anlocken kann. Ich wollte es nur sauberer halten, als viele der anderen B&B´s.

Als Matti und ich für die Recherche im Vorfeld mehrere andere Pensionen besucht haben, stellten wir fest, dass viele Zimmer schmuddelig und abgewohnt wirkten. Auch Tierhaare fanden wir häufig. Wir fanden es nicht so toll und daher sahen wir das Potential unseres Hauses.

Nun hatte ich das Cottage so eingerichtet, dass es gut und schnell zu säubern und zu desinfizieren war. Hatte mir eine separate Waschmaschine für die Kissen der Tiere angeschafft. Es gab bereits alles vor Ort, wie Näpfe und Kissen. Ich wusste, dass es auch eine entsprechende finanzielle Belastung sein konnte, doch was konnte ein Probelauf schaden?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752121254
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Liebesroman Kanada Lovestory Neubeginn Romantik Romance Liebe Indian Summer Herbst

Autor

  • Josephine E. Cunningham (Autor:in)

Josephine E. Cunningham lebt zur Zeit mit ihrer Familie in Deutschland und schreibt seit Jahren Liebesromane, Gedichte und Kinderbücher unter anderen Pseudonymen und privat für die Familie.
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Titel: Indian Summer