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Mit Radieschen wirft man nicht

Und andere Elefanten-Minutengeschichten

von Helen Hoffmann (Autor:in)
159 Seiten

Zusammenfassung

Radieschen gehören nicht zu Elefantin Rupas Leibspeise, besonders wenn die anderen Melone bekommen, reagiert sie ungehalten, weil sie mit scharfen Wasserbällen abgespeist wird. Dabei ist das alles nur zu ihrem Besten. Elefantin Hilde hingegen hegt den Traum Fußball-Torwart zu werden, um ihren Lieblingsverein zu unterstützen. Bis die es sich überlegt haben, ob sie die alte Kuh nehmen, ist sie eben als Fußballorakel aktiv und tippt verschiedene Spiele. Ob sie dabei immer erfolgreich ist? Natürlich kann sie sich nicht immer um sich selbst kümmern, denn ihre Gruppen-Genossen haben des öfteren Flausen im Kopf. So gräbt Astrid Löcher im Gehege, weil sie irgendwo vor langer Zeit etwas vergraben hat. Und Lieblingsfeindin Gisela wettet gerne und verliert immer. Wirklich immer? Und dann ist da noch Darjeeling, der Kronprinz oder einfach Stoßzahnpieker genannt, weil er mit diesen die anderen so gerne piekt. Seine Schwester und er sind die Nesthäkchen der Gruppe, aber alles erlauben dürfen sie sich deshalb noch lange nicht. Aber warum müssen die runzligen alten Besserwisser immer sagen, was man zu tun und zu lassen hat? Das alles und noch weitere kurzweilige Elefanten-Minutengeschichten sind in diesem ebook versammelt. Inklusive der bisher unveröffentlichten Geschichte "Was gibt es Schöneres als den Herbst"

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Widmung

Freßbeutel

Unvergessen

Elefantisch-Deutsch

Düngeplatz: Toilette

elektronische Platte: Smartphone

Pupsködel: Baby-Elefant

Schaufelauto: Bagger

Zweibeiner: Mensch

Zweibeiner-Pupsködel: Kleinkind

Essensgespräche

Immer gab es nur diese Stinkermöhren. Die mussten doch mal alle sein. Aber nein, jeden Tag wurde sie aufs Neue enttäuscht. Na ja, wenigstens waren noch ein paar Kohlrabistücke dazwischen. Die Apfelspalten schmeckten auch nicht besonders, nur nach Wasser. Was hatten Äpfel früher noch Geschmack gehabt, heute konnte man jede Sorte vergessen. Deshalb ließ sie die meistens liegen und fraß sie nur in höchster Not, aber so weit war das noch nicht. Wenn wenigstens mal ein paar Rosinen unters Futter gemischt würden oder es eine saftig süße Wassermelone geben würde. Nein, immer nur diese Stinkermöhren!

Lustlos warf Sieglinde die Stücke zur Seite, Hilde vor die Füße.

"Sei nicht so mäkelig beim Essen, Lindi. Kein Wunder, dass man deine Knochen sieht. Siehst aus wie ein Dünnmops."

"Lieber eine Bohnenstange, als so dick wie du."

"Was?", sagte Hilde entrüstet und rempelte Sieglinde an. "Ich bin nicht dick, bloß wohlgenährt. Merk dir das! Außerdem habe ich abgenommen."

"Zwei Gramm."

"Nee, zweihundert. Hatte mich schon gewundert, warum ich mich so schwächlich fühlte."

Sieglinde schnaubte. Die dicke Hilde passte schon auf, dass sie nicht verhungerte. Seltsamerweise bekam die immer, was sie wollte. Wie machte sie das nur? Grimassen ziehen wie Trine und ein trauriges Gesicht machen, konnte sie nicht, außerdem bekam die auch nicht immer was von den Besuchern. Hilde musste irgendeinen anderen Trick beherrschen. Nur welchen?

"Morgen soll's rote Bete geben, hab ich gehört", riss Hilde sie aus ihren Gedanken. "Da solltest du zuschlagen, ich überlass dir auch was von meiner Ration."

Das klang besser, als es war. Dieses joviale Verhalten kannte Sieglinde. Am Ende trat ihr der Dickmops drei kümmerliche Knollen ab, die nicht einmal ihren hohlen Zahn füllen würden.

Wie wurde sie Hilde nur los, bevor diese wieder davon anfing, dass es völlig egal sei, was sie zu fressen bekamen, Hauptsache man hielt sein Gewicht? Denn, so der Dickmops weiter, dünne Elefanten gewännen keine Schönheitswettbewerbe. Und die dicke Hilde sei natürlich der schönste Elefant weit und breit, wenn nicht sogar der ganzen Welt, weil sie wohlgenährt sei. An Selbstüberschätzung würde sie natürlich nicht leiden.

Unauffällig sah Sieglinde sich um und entdeckte Astrid, die wieder an eingebildeter Reizblase litt, wie es die Besucher nannten, dabei fürchtete sich die verrückte Nuss nur vor irgendetwas und wenn es ihr eigener Schatten war.

"Von deinen verrückten Untertanen hat Astrid wieder irgendetwas gesehen, das ihr Angst macht."

Widerwillig unterbrach Hilde ihren Festschmaus.

"Astrid, du verrückte Nuss, die Mäuse sind erst abends unterwegs. Wir haben Nachmittag, da schlafen die noch."

Die angesprochene Kuh zog beruhigt von dannen. Zufrieden nahm Hilde einen Rüssel voll Möhren und wollte Sieglinde etwas von Schönheitswettbewerben erzählen, als sie merkte, dass diese sich einfach fortgeschlichen hatte.

Gut, sollte Lindi weiter Möhren verschmähen, blieb mehr für sie übrig.


Wenn Elefanten baden gehen, nachts um halb drei

Langsam stieg Gisela ins warme Wasser des Badeteichs. Sie sei so pünktlich, dass man einen Wecker nach ihr stellen könnte, hatte einer ihrer Betreuer einmal gesagt. Das mochte stimmen, sie trug keine Armbanduhr mit sich herum, wusste aber immer ziemlich genau, wie spät es war. Jetzt war die Zeit ihres täglichen Bads. Nachts hatte sie ihre Ruhe, wurde nicht von Darjeeling gestört, weil dieser um diese Zeit immer schlief. Sollte er wider Erwarten doch einmal wach sein und sie ärgern, machte sie ihm schnell deutlich, dass er es zu lassen hatte. Das wirkte immer.

Draußen war ihr das Wasser meist zu kalt, nur ganz selten hatte es eine angenehme Badetemperatur. Hier drinnen war es immer gleich warm, weshalb sie lieber hier badete als draußen. Weil es hier wärmer war, trocknete es auch viel schneller auf ihrer Haut.

"Steigst du schon wieder in das stinkige Brackwasser?", hörte sie eine Stimme hinter sich.

Draußen baden hatte einen einzigen Vorteil, man wurde von Hilde und ihren ständigen Beleidigungen verschont. Dass die alte Kuh es immer noch nicht verwunden hatte, damals nicht Königin geworden zu sein. Seitdem musste sie sich irgendwelche Gemeinheiten anhören. Immer noch besser, als wenn sie einen Tritt in den Hintern bekam oder in den Graben geschubst wurde. Irgendwann war man aus dem Alter raus, wo einem das nichts mehr ausmachte.

Ihre Knochen zwackten jetzt öfters einmal, aber das war vergessen, wenn sie sich im warmen Wasser treiben ließ.

"Reicht es nicht, wenn deine Füße stinken? Muss der Rest von dir auch penetrant nach Misthaufen duften?"

Nicht hinhören. Einfach nicht hinhören und ignorieren. Irgendwann würde Hilde die Lust an ihren Beleidigungen vergehen, wenn man nicht darauf reagierte.

"Ein Glück, dass ich zu dir Abstand halten muss, sonst würde ich von deinem Gestank umfallen."

"Du bist bloß neidisch, weil du nur draußen baden kannst."

Mist! Jetzt hatte sie was gesagt.

"Hättest du wohl gern. Ich gehe draußen nur baden, wenn das Wasser gerade frisch eingelassen wurde."

Aha, jetzt wusste Gisela, wer den Badeteich draußen immer zum Düngeplatz umfunktionierte. Hätte sie sich denken können, dass Hilde ihr Revier markierte. Wahrscheinlich war das der Grund, warum sie draußen so selten badete und hatte nichts mit der Wassertemperatur zu tun.

Herrlich, wie angenehm das warme Wasser sie umschmeichelte. Da könnte sie ewig drin liegen und herumplanschen. So was sollte man den jüngeren Artgenossen überlassen, aber im warmen Nass fühlte sie sich wieder wie ein Pupsködel. Jauchzend tauchte sie unter, planschte ausgelassen und besprühte sich mit dem Wasser. Jetzt noch ein bisschen auf die Oberfläche hauen, dass es nur so spritzte. Besucher waren nicht in der Nähe, da konnte sie etwas ausgelassener sein als sonst.

Nachts um halb drei baden zu gehen hatte seine Vorteile. Wenn nur Hilde nicht stören würde, die neidisch auf sie war und deshalb kein gutes Haar an ihr ließ. Damit kam sie zurecht, schließlich kannte sie es seit Jahren nicht anders. Das ging bei ihrem einen Ohr rein und beim anderen gleich wieder raus oder sie tauchte mit dem Kopf im Wasser unter, dass nur noch ihr Rüssel rausguckte. Auch eine Möglichkeit, um diese Querulantin für ein paar Minuten loszuwerden.


Alt oder nicht alt?

Elefantin Hilde besah sich besorgt ihr Spiegelbild im Badeteich.

"Ich glaube, ich werde alt", murmelte sie gedankenverloren.

"Du bist alt", sagte Sieglinde, die wenige Meter neben ihr stand und Wasser in ihren Rüssel sog, um es sich anschließend ins Maul zu spritzen.

"Noch nie hat mir jemand mein wahres Alter angesehen. Bis vor kurzem bin ich sogar noch als junger Elefant bei den Besuchern durchgegangen."

Sieglinde musste an sich halten, um nicht loszuprusten. Seit wann ging die dicke Hilde als junger Elefant durch? Die Besucher mussten blind sein.

"Wahrscheinlich waren das die gleichen, die Trine als alte Oma und Oberchefin bezeichnet haben. Wir beide wissen, wo Trine steht - noch unter dir."

"Dafür kann sie sehr dominant sein."

"Doch nur, um ihrer Tochter, diesem verfressenen Dickerchen, klarzumachen, dass diese ihr das Futter zu überlassen hat."

"Die nimmt sich alles, was ihr angeboten wird. Kein Respekt vor dem Alter. Wenn wir nebeneinander stehen, bekommt sie viel mehr als ich. Immer mit der Begründung, sie sei noch so klein, jung und müsse noch wachsen", beschwerte sich Hilde und besah sich noch einmal genauer ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. Mindestens fünfzehn Jahre jünger sah sie aus. Weder war sie eine Bohnenstange wie Sieglinde, noch so runzlig wie Gisela, das alte Faltenmonster.

Wieso war sie unter den wildfremden Besuchern nicht mehr so beliebt wie früher? Das Dickerchen war ein Charmebolzen, aber das war sie ebenfalls. Hatte sie ihren Zenit überschritten?

Sieglinde und Gisela hatten kein Futter eingebüßt. Aber die standen auch nicht neben dem wohlgenährten Dickerchen, sondern neben Trine.

"Ja, ja", sagte Sieglinde. "Rupa muss noch wachsen - in die Breite."

"Sag mal, Lindi, glaubst du, dass ich das Schlammbad öfters aufsuchen sollte?"

"Deiner Figur würde es sicherlich nicht schaden."

"Ich dachte mehr an die verjüngende Wirkung des Schlamms."

"Probier's aus."

Sieglinde glaubte nicht, dass es helfen würde, aber das sollte Hilde selbst herausfinden. Wer neben einem jüngeren Elefanten wie dem wohlgenährten Dickerchen stand, zog immer den Kürzeren. Deshalb gesellte sich Lindi lieber zu Gisela und Trine als zu Rupa. Wenn sie doch einmal das Pech hatte neben dem Dickerchen zu stehen und die mehr abstaubte als sie, bekam diese eine Kopfnuss und wurde an den Ohren gezogen. Das reichte aus, um Rupa zu zeigen, wem die dargebotenen Leckereien gebührten - außer es handelte sich um Stinkermöhren. Das erzählte sie der dicken Hilde nicht, sonst würde die in ihrem Übereifer, Rupa Respekt lehren zu wollen, diese in den Graben schubsen. Hilde würde dann wieder so tun, als habe sie mit der ganzen Sachen nichts zu tun und das Dickerchen wäre bloß ungeschickt gewesen. Die brauchte nur einmal unschuldig gucken und schon war sie fein raus.

Nur würde sie dadurch mehr Futter bekommen? Der dicken Hilde würden ein paar Kilo weniger besser stehen. Nur wollte die nie auf ihren Rat hören.


Torwartträume

"Dank unserem wuchtigen Koloss halten wir die Null. Es gab bereits einige dramatische Szenen, doch Hilde hält ihr Tor sauber. Sollten wir dieses Spiel gewinnen, werden..."

Elefantin Hilde schreckte aus ihrem Tagtraum auf, als sie angerempelt wurde.

"Was fällt dir ein, Darjeeling?", fuhr sie den Jüngsten der Gruppe an. "Wenn du jemanden ärgern willst, halte dich an Ingrid. Nur lass mich in Frieden, du Stoßzahnpieker, sonst kannst du was erleben."

"Das sag ich Mama, wie gemein du zu mir bist. Es wird ihr nicht gefallen, wie du mich behandelst", sagte der kleine Elefantenbulle trotzig.

Die Jugend wird immer frecher, ging es Hilde durch den Kopf.

"Spiel dich bloß nicht auf, nur weil du der Kronprinz bist. Sonst sage ich Gisela bescheid und die schmeißt dich aus der Gruppe. Also troll dich! Noch bin ich gut gelaunt."

"Gemeines Biest!", hörte sie Darjeeling noch sagen, als er sich entfernte.

"Trine hat ihr Energiebündel nicht im Griff", sagte Sieglinde, die die Szene aus sicherem Abstand beobachtet hatte.

Mit Darjeeling hatte sie sich nie anfreunden können. Trine war ganz in Ordnung, aber ihr Nachwuchs war völlig verzogen. Selbst das wohlgenährte Dickerchen hatte keinen Respekt, sondern dachte nur an ihr eigenes leibliches Wohl.

"Ich muss mich wirklich mit Trine unterhalten. So geht das nicht weiter. Jeder von uns trägt bereits Blessuren, die wir Darjeeling zu verdanken haben", erwiderte Hilde und sah die kreisrunde Wunde auf Sieglindes Rüssel, für die der Stoßzahnpieker verantwortlich war.

"Weißt du, wovon ich träume", begann sie nach längerem Schweigen.

"Gisela in den Hintern zu treten", kam die prompte Antwort.

"Das schaff' ich eines Tages auch. Nein, ich habe einen viel größeren Wunsch: Ich will Torwart werden."

"Du weißt schon, dass es hier weder Elefantenpolo noch -fußball gibt. Du müsstest so einen Verein selbst gründen. Allerdings bezweifle ich stark, dass du die erforderliche Anzahl an Spielern zusammen bekommst. Ich mach schon mal nicht mit und auf Gisela brauchst du auch nicht zählen."

"Mit euch will ich nicht spielen. Ich will meinen Lieblingsverein unterstützen."

"Diese Gurkentruppe?", fragte Sieglinde überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet, obwohl man bei Hilde auf alles gefasst sein musste.

"Ganz genau, damit sie keine Gurkentruppe mehr sind. Denn ich werde das Tor sauber halten."

"Staubwedel und Putztuch werden wir sicherlich irgendwo für dich finden. Du kannst auch die Schubkarre schieben, wenn unsere Betreuer saubermachen. Die werden sich über deine Unterstützung sicherlich freuen. Hast du dich nicht für die Zeitung als Putzhilfe ablichten lassen, als du jung warst?"

"Menno, Lindi, nie nimmst du mich ernst", klagte die dicke Hilde.

"Wieso? Du willst putzen, auch wenn ich mir bei dir so etwas nicht vorstellen kann. Du lässt andere für dich arbeiten."

"Wenn ich beim Fußball vom sauber halten spreche, meine ich, dass ich keinen Ball reinlasse."

"Ach so, sag das doch." Sieglinde musterte ihre Artgenossin. "Bei deiner Figur passt das. Kannst gleich das Dickerchen für die Abwehr anlernen, dann kommt niemand mehr an euch beiden vorbei."

"Das mache ich allein. Nachher stellt sich Rupa auf den Ball und bekommt die rote Karte."

Hilde unterließ es wohlweislich darauf hinzuweisen, dass das wohlgenährte Dickerchen ihr die Schau stehlen könnte.

Nachdem die Elefantin einen dicken Ast entlaubt hatte, nahm Lindi ihr den Rest weg. So machte sie es auch immer bei Gisela. Wobei es die manchmal nicht rechtzeitig schaffte, alle Blätter abzureißen und in ihrem Maul verschwinden zu lassen. Bei der dicken Hilde traute sich Sieglinde das nicht, auch wenn die in der Randordnung unter ihr stand. Die Gefahr, im Graben zu landen, war ihr zu hoch.

"Wie willst du die Gurkentruppe von dir überzeugen?"

"Ich schicke ihnen ein Bewerbungsvideo. Ingrid holt sich eine der elektronischen Platten von unseren Betreuern. Den passenden Stift zum Benutzen hat mir Rupa bereits besorgt. Dann drehen wir einen Film, wo ich ganz viele Bälle halte. Betty hat das bereits mit mir geübt, damit es professionell aussieht. Als ehemalige Zirkustante weiß sie, wie man sich inszenieren muss, um gut auszusehen."

"Die glaubt immer noch der große Star zu sein. Ihre Allüren sind nicht auszuhalten."

"Deshalb brauchst du sie noch lange nicht zusammenzustauchen. Für Betty bin ich verantwortlich."

Anstelle einer Antwort brach Sieglinde sich ein Stück Holz von dem Ast ab. Es war aussichtslos Hilde zu erklären, dass man auch mal jemanden zurechtweisen musste, mit dem man eigentlich kaum etwas zu tun hatte Und der jemand anderem unterstand. Wenn Betty sich allerdings aufspielte, als sei sie diejenige, die aufgrund ihrer Zeit als Zirkuselefant mehr Rechte habe, musste man ihr zeigen, dass sie falsch lag.

Sieglinde entdeckte Trine, die mit grimmigem Gesicht auf sie und Hilde zukam.

"Wer von euch hat behauptet, ich hätte meinen Sohn nicht erzogen?"

Sieglinde und Hilde sahen Trine stumm an. Diese wurde unter den Blicken nervös.

"Na ja, vielleicht hat er ein wenig geflunkert und will nicht zugeben, dass Ingrid ihn mal wieder zurechtgestutzt hat oder es war Else. Eine von beiden ärgert er immer."

"Bei dem Früchtchen von Sohn musst du aufpassen", sagte Lindi.

"Du solltest ihm seine Grenzen aufzeigen."

"Er ist in einem schwierigen Alter", erwiderte Trine und hoffte, ihr würden nicht noch mehr Vorhaltungen gemacht werden. Die beiden alten Tanten sollten sich nicht so aufspielen.

"Hilde ist auch in einem schwierigen Alter. Sie will Torwart werden."

Hektisch drehte sich die dicke Hilde von einer Seite zur anderen, ob auch niemand das Gespräch mitbekommen hatte, der es nicht hören sollte.

"Jetzt erzähl' das nicht überall rum. Ich will nicht, dass unsere Betreuer davon erfahren, bevor ich das Bewerbungsvideo abgeschickt habe."

"Die werden das schon herausfinden, wenn denen nicht längst dein seltsames Verhalten aufgefallen ist. Bälle abwehren, so verhält sich kein normaler Elefant."

"Die achten nicht auf mich, solange ich mich von Gisela fernhalte. Ich würde sie zu gerne mal abschießen, aber dann verrate ich mich selbst, also beherrsche ich mich und lasse es sein. Auf mich kommt niemand. Das klappt schon."

"Falls Ingrid dir eine elektronische Platte besorgen kann. Ich glaube nicht daran."

"Pah, du gönnst mir meinen Erfolg nicht."

"Ich bin bloß realistisch. Die lassen dich nie raus."

"Früher habe ich mit unseren Betreuern immer Ausflüge außerhalb des Zoos gemacht."

"Damals warst du klein und hast aufs Wort gehört."

"Ich höre genauso gut wie früher, meine Ohren funktionieren."

"Trotzdem machst du immer, was du willst und tanzt ständig aus der Reihe."

"Na und?", erwiderte die dicke Hilde trotzig. "Ich bin schließlich ein Star, habe schon in der Zeitung gestanden und in Filmen mitgewirkt, bevor du überhaupt wusstest, was das eigentlich ist."

Sieglinde sah ihre Artgenossin stumm an und konnte sich gerade noch beherrschen, nicht loszulachen. Die dicke Hilde war dermaßen von sich überzeugt, dass sie tatsächlich davon ausging, dass sie der größte Star wäre, den dieser Zoo zu bieten hatte. Sie war noch schlimmer als Betty. Wenigstens konnte man letztere darauf aufmerksam machen, dass ihre große Zeit vorbei war, Hilde hingegen ließ sich nicht vom Gegenteil überzeugen. Da war es am besten, wenn man nicht darauf reagierte.

Wenn Hilde unbedingt Torwart werden wollte, sollte sie es versuchen. Wahrscheinlich würde jeder bei ihrem Lieblingsverein das Video für einen Scherz halten und nicht für eine ernsthafte Bewerbung. Falls Hilde Glück hatte, würde sie damit auf einer Internetplattform landen und einige Berühmtheit erlangen. Nur ihr Lieblingsverein würde weiterhin eine Gurkentruppe bleiben, weil er auf ihre Dienste verzichtete.


Stolperfallen

Hoch erhobenen Hauptes stolzierte Elefantin Hilde über die Anlage.

Endlich war sie wieder gewürdigt worden und bekam die Aufmerksamkeit, die sie verdient hatte. Ein Autohersteller warb mit ihr. Gestern waren die ersten Werbebilder herausgekommen. Lange genug hatte sie darauf warten müssen, doch es hatte sich gelohnt.

Vor einem halben Jahr war der Vertrag geschlossen worden. Na ja, nicht direkt mit ihr, sondern mit dem Zoo, in dem sie lebte. Angeblich könne sie keine Verträge abschließen, weil sie ein Elefant sei. Ob es deshalb nicht mit ihrer Bewerbung als Torwart geklappt hatte?

Hilde schritt über die Anlage, damit jeder Besucher von ihr ein Foto machen und später erzählen konnte, er habe das Gesicht der Autofirma XYZ leibhaftig gesehen.

Auf einmal schien sich der Boden unter der Elefantin aufzutun. Als sie nach unten blickte, stand sie mit ihren beiden Vorderfüßen in einem Loch. Höchst unelegant sah das aus. Hoffentlich fotografierte sie jetzt niemand. Sie war ein Star und keine Lachnummer.

Von der Seite vernahm sie ein Kichern. Ohne den dazugehörigen Elefanten zu sehen, wusste sie, wer es war.

"Darjeeling!", schrie sie erbost. "Hat dir deine Mutter kein Benehmen beigebracht? Man lacht nicht über das Missgeschick anderer. Vor allem nicht, wenn man dafür verantwortlich ist. Du sollst keine Löcher buddeln, so tiefe schon gar nicht. Ich sehe aus, als würde ich ihm Stehen Handstand machen wollen."

"Das mit dem Loch war Astrid."

"Willst du wieder die Schuld auf deine Schwester schieben?"

"Halbschwester, so viel Zeit muss sein."

"Werd' bloß nicht frech", herrschte Hilde den Jüngsten der Gruppe an. "Man steht für das gerade, was man angestellt hat."

"Das war wirklich Astrid", beteuerte Darjeeling seine Unschuld.

Zu seiner Überraschung glaubte die Elefantin dem Stoßzahnpieker.

"Diese verrückte Nuss", regte sie sich auf. "Immer hat man Ärger mit ihr. Wenigstens weiß sie, wo der Düngeplatz ist. Da gibt es noch Hoffnung, dass nicht alles verloren ist."

Mühsam quälte sich Hilde aus dem Loch. Da merkte sie, dass sie nicht mehr die Jüngste war. Dafür kam sie noch aus eigener Kraft heraus. Gisela, das alte Faltenmonster, hätte einen Kran benötigt. So was brachte auch Aufmerksamkeit, aber nicht die, die sie sich wünschte.

"Astrid!", schrie Hilde ungehalten und wartete darauf, dass die junge Elefantenkuh ihrem Ruf Folge leistete.

Als nichts geschah, rief sie noch einmal: "Komm sofort hierher, sonst trete ich dir in den Hintern."

Das ließ Astrid endlich kommen.

"Was willst du? Gerade habe ich dem Gierschlund klargemacht, dass ich vor ihr nicht zurückstehen werde. Jetzt muss ich mir das wieder mühsam erkämpfen, weil du mich gerufen hast", maulte die junge Elefantenkuh.

"Ich geb' dir gleich einen Tritt in den Hintern. Du bist wohl zu lange mit Darjeeling zusammen gewesen. Mir Widerworte zu geben, wo gibt es das denn? Was ich sage ist Gesetz."

"Gisela hat das letzte Wort", widersprach Astrid.

"Nur bei wirklich wichtigen Entscheidungen, die die gesamte Herde betreffen. Ansonsten gilt mein Wort und nur meines. Verstanden?"

"Schon klar", pflichtete Astrid ihr bei und hoffte, so schneller zu ihrem Platz zurückkehren zu können. Sie musste den Gierschlund noch zurechtstutzen.

"Merk's dir, sonst gibt es einen Tritt in den Hintern."

Darauf konnte die junge Elefantenkuh verzichten. Es reichte, wenn Darjeeling sie als Zielscheibe für seine Stoßzahnattacken benutzte.

"Warum hast du mich gerufen? Wollen unsere Betreuer ein paar Leckerlis verteilen? Eben habe ich bei einer hervorragenden Futterquelle gestanden, die Nelly und ich uns geteilt haben, als du mich weggeholt hast. Ich hätte ordentlich was abstauben können. Stattdessen störst du mich und der Gierschlund bekommt alles. Paula kriegt jetzt auch was ab. Das wäre alles meins gewesen", maulte die verrückte Nuss.

"Beseitige erst einmal deine Stolperfallen. Wenn du nach Wasser graben willst, mach das in Afrika. Hier haben wir einen Teich."

"Ich habe vor Jahren dort mal was vergraben. Wollte nachschauen, ob es noch da ist."

"Und?", wollte Hilde wissen.

"Was und?"

"Na, war noch da, was du verbuddelt hast?"

"Nö, alles weg", erwiderte Astrid enttäuscht.

"Wenn das deine Ködel waren, sind die längst verrottet. Die wirst du nie mehr wiederfinden."

"Daran rieche ich nur, um zu wissen, ob ich gesund bin. Die fasse ich bestimmt nicht an. Bin doch kein Pupsködel mehr."

"Hast du die richtige Stelle gefunden, an der du die Sachen vergraben hast? Ds Gehege ist groß und eine Stelle sieht wie die andere aus."

"Das war hier", sagt die junge Elefantin im Brustton der Überzeugung. Sie sah sich um und sagte dann kleinlaut: "Ich bin mir sicher, dass es hier war."

"Du hast es vergessen", stellte Hilde fest und wunderte sich darüber überhaupt nicht. Astrid vergaß gerne etwas, wenn es nichts mit der Nahrungsaufnahme zu tun hatte. "Was willst du jetzt tun?"

"Die ganze Anlage umgraben. Irgendwo wird das schon sein", sagte die junge Elefantin entschlossen und die dicke Hilde merkte, dass sie ihre Untergebene nicht vom Gegenteil würde überzeugen können, egal wie viele Fußtritte sie ihr verpassen würde.

"Na, dann buddel weiter deine Löcher, aber nicht zu tief und vor allem schüttest du die Löcher wieder zu, wenn du nicht fündig geworden bist. Wir wollen doch nicht, dass einer unserer Betreuer vermisst wird, weil du ein Loch bis nach Amerika gegraben hast."

Das interessierte Hilde zwar weniger, ob einer ihrer Betreuer in den Löchern verschwinden könnte, da es sich bei allen um keine Zwerge handelte, aber die Elefantin hatte keine Lust, noch einmal in einem Loch zu landen. Ein Werbestar wie sie durfte sich zu keiner Minute lächerlich machen, sonst würde man sie beim nächsten Mal nicht mehr nehmen.


Schlamm ist gut für die Haut...

Elefantin Hilde hatte ihre Gruppe um sich gescharrt.

"Nachher bleibt ihr alle schön im Hintergrund, wenn der Besuch kommt. Nicht, dass einer von euch auf die Idee kommt, sich wichtiger zu machen als er eigentlich ist. Hast du gehört, Astrid? Keine Fisimatenten, sonst gibt es einen Tritt in den Hintern."

"Was du immer hast", kam es von der verrückten Nuss, aber sie würde sich fügen.

Die anderen gaben einen zustimmenden Ton von sich. Zwar wussten sie nicht, warum sie unauffällig bleiben sollten, aber wenn ihre Anführerin es sagte, würde es einen guten Grund geben. Zufrieden schlackerte die dicke Hilde mit den Ohren.

"Und wenn die nicht an dir interessiert sind?", wollte Darjeeling, der Kronprinz, wissen.

"An mir führt kein Weg vorbei. Sag mal, Trine, wo ist deine Tochter? Es sollten alle kommen. Wieso hast du deine Nachkommen nicht im Griff? Immer hat man nur Ärger mit denen."

"Die hört schon lange nicht mehr auf mich. Selbst wenn ich ihr das Knie ins Gesicht trete, ist sie davon zwar nicht besonders angetan, aber klaut mir immer noch mein Futter."

"Du kannst dich einfach nicht durchsetzen. Ach, da kommt das Dickerchen." Hilde wandte sich Rupa zu, die langsam angetrottet kam. Irgendetwas an der der Art wie sie ging, gefiel der alten Elefantin gar nicht. "Na, wo hast du dich wieder rumgetrieben? Weißt du nicht, dass wir verabredet waren? Aber du hast nur das dargereichte Futter im Kopf. In deinem Alter bin ich nicht so verfressen gewesen und habe die älteren Genossen stets respektiert."

"Da bist du noch zu klein gewesen und konntest sie nicht in den Graben schubsen", erwiderte das wohlgenährte Dickerchen ungerührt.

"Werd nicht frech, junge Dame, sonst landest du gleich mit einem Tritt in den Hintern im Graben."

"Jetzt habe ich aber Angst", meinte Rupa und schüttelte sich.

"Rupa!", wurde sie von ihrer Mutter ermahnt. "Jetzt ist genug. Hilde wird mit Respekt behandelt, schließlich hat sie bereits gelebt, als du noch gar nicht auf der Welt warst."

"Na und? Der Liebling unserer Betreuer bleibe dennoch ich. Nachher will man mich ein paar Leuten vorstellen."

"Kommt gar nicht infrage. Übergewichtige Elefanten haben dort nichts zu suchen", protestierte Hilde empört.

"Sieh mal in den Teich, bevor du ausfallend wirst", konterte das Dickerchen und ging an der alten Elefantin vorbei, als hätte die ihr nichts gesagt.

"Das glaube ich nicht!", sagte die dicke Hilde perplex. "Sag mal, Trine, von wem haben deine Nachkommen dieses ungebührliche Verhalten gegenüber Ranghöheren? Denen wurde nicht oft genug in den Hintern getreten, als sie im Flegelalter waren."

"Ich habe ihnen immer gesagt, dass sie die Älteren respektieren müssen", behauptete Trine.

"Wieso muss Sieglinde dir andauernd sagen, wer von euch beiden die Ranghöhere ist?"

"Das stimmt nicht."

"Fang gar nicht erst zu leugnen an. Ich weiß, was ich gesehen habe. Das haben sie von dir!"

"Hättest sie miterziehen können, aber du schlägst dir lieber den Bauch voll."

"Werd' nur nicht frech", sagte Hilde und umfasste mit dem Rüssel Trines Kopf.

"Du hast natürlich wie immer recht", erwiderte die Rangniedrigere, war aber von ihren eigenen Worten nicht überzeugt.

Hilde ebenfalls nicht, denn sie entließ Trine nicht aus der Umklammerung.

"Ich kenne dich, Madame", erwiderte sie. "Deine Treuebekundungen sind nie mehr als heiße Luft. Ich werde dich im Auge behalten."

Mit diesen Worten entließ sie Trine, die sich sofort von der Ranghöheren entfernte. Mit Sieglinde konnte man wenigstens noch verhandeln, aber mit Hilde war das aussichtslos. Immer wollte sie recht behalten. Leider hatte sie das auch.

Finster starrte Hilde in die Gegend.

Sollte Rupa wirklich den Leuten vorgestellt werden. Nicht zu fassen! Früher hätte man sie genommen, aber seitdem es das wohlgenährte Dickerchen gab, war sie abgeschrieben.

Nein, das konnte sie nicht zulassen. Der einzige Star auf der Anlage war sie. Wenn ihr nur einfallen würde, womit sie Rupa außer Gefecht setzen könnte.

Sie hörte, wie sich jemand mit Schlamm bewarf. Hildes Gesicht erhellte sich. Natürlich, so könnte man es machen.

"Rupa!", rief sie und wartete ungeduldig auf Trines Tochter.

"Magst du es, wenn man dich beim Essen stört?", bekam sie vom wohlgenährten Dickerchen zu hören, als diese endlich bei ihr ankam.

"Dir schadet es nicht, wenn du ein wenig fastest. Wenn du weiter für irgendwelche Fotos posieren willst, solltest du in Zukunft darauf achten, dass du in die Höhe und nicht in die Breite wächst."

"Du willst mir nur ein schlechtes Gewissen machen", empörte sich Rupa.

"Wie könnte ich?", erwiderte Hilde unschuldig. Das Dickerchen machte sowieso, was sie wollte. Nur den Ratschlag, den sie ihr gleich geben würde, würde sie garantiert beherzigen. Sie kannte die Eitelkeit des wohlgenährten Dickerchens nur zu gut. Das würde sie ausnutzen.

"Wenn du nachher deinen großen Auftritt hast, solltest du vorher noch etwas für deine Haut tun."

"Wirklich?", fragte Rupa skeptisch.

"Ja, du willst doch gut aussehen. Damit du richtig glänzen kannst, musst du vorher ein schönes Schlammbad nehmen. Unsere Betreuer werden ganz aus dem Häuschen sein."

Allerdings weniger vor Freude, dachte die dicke Hilde und musste ein Lachen unterdrücken.

"Danke für den Ratschlag. Schön, dass du erkannt hast, wer nun der Star ist."

Die alte Elefantin wollte aufbrausen, dann erinnerte sie sich, wer am Ende für das Treffen genommen würde und schüttelte nur den Kopf.

Wortlos sah sie dem wohlgenährten Dickerchen hinterher, wie diese zum Schlammloch lief.

Wenn nachher der Termin war und man mit Entsetzen feststellen musste, dass Rupa vollständig eingeschlemmt war, würde sie wie zufällig bei ihren Betreuern entlanggehen, sodass diesen nichts übrigbleiben würde, als sie zu nehmen. So leicht kam man an ihr nicht vorbei. Das würde das Dickerchen heute auch lernen.

"Das ist gar nicht nett von dir gewesen", riss Sieglinde sie aus ihren Gedanken. "Rupa wird schwer enttäuscht sein, wenn sie erfährt, dass du sie reingelegt hast."

"Pah, das wohlgenährte Dickerchen soll sich nicht so haben. Wenn jemand für besondere Auftritte genommen wird, bin ich das. Ich habe eine große Erfahrung vorzuweisen. Mich braucht man nicht extra einarbeiten, denn ich weiß, wie es geht."

"Du stellst dich hin und man macht ein Foto. Das wird sogar Else hinkriegen."

"Mit hinstellen allein ist es nicht getan. Du musst Eindruck machen, den richtigen Blick auflegen. Das kann Rupa nicht. Die guckt immer nur, als könne sie kein Wässerchen trüben, obwohl sie es faustdick hinter den Ohren hat."

"Das kommt mir bekannt vor", meinte Sieglinde und dachte an ihre Gesprächspartnerin.

"Hat sie von Trine geerbt. So, und jetzt muss ich dringend ein Bad nehmen, damit ich getrocknet bin, wenn ich meinen großen Auftritt habe. Red also Gisela aus in der nächsten halben Stunde baden zu wollen. Ich verlass mich auf mich, Lindi."

"Tu, was du nicht lassen kannst."

Die dicke Hilde machte sowieso immer, was sie wollte, genauso wie Rupa. Hauptsache, Hilde zog ihre Vorteile daraus. Dem Dickerchen würde es nicht schaden, dass sie auf Hildes Geschwätz reingefallen war. Das nächste Mal würde sie klüger sein. Aber es stimmte, Rupa konnte nur diesen Blick, als könne sie kein Wässerchen trüben. Da hatte Hilde ausnahmsweise recht.


...für Auftritte hingegen weniger geeignet

Zufrieden kehrte Elefantin Hilde auf die Anlage zurück. Die Bilder konnten sich sehen lassen. Der Mann mit dem Apparat für festgefrorene Szenen war sichtlich begeistert von ihr gewesen. Auch seine Auftraggeber waren von ihr überzeugt. Ihre Betreuer hatten erleichtert gewirkt, nachdem Rupa ausgefallen war. Die wäre sowieso nicht genommen worden, weil sie zu jung war. Da hätte sie sich gar nicht die Mühe machen brauchen, das wohlgenährte Dickerchen reinzulegen. Aber das hatte sie nicht gewusst.

Mit wütendem Getröte näherte sich ihr Rupa. Der Schlamm auf der Haut des Dickerchens war inzwischen getrocknet und löste sich an einigen Stellen. Über ihr Gesicht, in Höhe ihrer Augen, ging ein heller Strich, dass es beinahe aussah, als hätte sie sich ein Stoffband umgebunden.

“Du hast mich reingelegt! Unsere Betreuer fanden es alles andere als toll, dass ich ein Schlammbad genommen habe. Und dann kommst du rein zufällig vorbei und sie nehmen dich. Hinterhältig bist du!”, sagte sie wütend und hätte der alten Kuh am liebsten einen Tritt in den Hintern verpasst.

Das war das letzte Mal, dass Rupa auf die dicke Hilde gehört hatte. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass die es nicht gut mit ihr meinte. Die alte Kuh reagierte immer beleidigt, wenn sie nicht für irgendwelche Fototermine ausgewählt wurde. Dabei war ihre große Zeit nun wirklich vorbei. Sie sollte es akzeptieren und den Jüngeren, also ihr, Platz machen. Nur dachte Hilde überhaupt nicht daran.

“Ich habe es nur gut gemeint. Wenn du dich nach deinem Schlammbad in die Sonne gestellt hättest, wäre das ganz schnell getrocknet. Oder du hättest danach ein schönes Bad genommen.”

“Pah, das sind Ausreden”, schnaubte Rupa. “Du wolltest mich aus dem Weg haben, aber das merke ich mir. Ich werde nie wieder auf dich hören.”

“Das tust du sowieso nicht.”

“Weil ich immer wieder von dir reingelegt werde, wenn ich tue, was du mir sagst.”

Das wohlgenährte Dickerchen schob mit dem Fuß etwas Sand zusammen, hob es mit dem Rüssel auf und bewarf damit Hilde.

“Benimm dich!”, mischte sich Sieglinde ein, die das Gespräch verfolgt hatte.

“Hilde hat mich reingelegt. Die hat das verdient.”

“Du musst lernen zu verlieren.”

“Ihr habt euch gegen mich verschworen. Das gilt nicht.”

Diese alten runzligen Besserwisser gönnten ihr gar nichts. Das war ungerecht. Sie mussten lernen, wann die jüngere Generation das Sagen hatte und es stillschweigend akzeptieren.

“Vielleicht interessiert es dich, aber du hättest dir vergebens Hoffnung gemacht. Man wollte keinen Elefanten, der noch grün hinter den Ohren ist und zuviel auf die Waage bringt.”

“Alles Ausreden! Du willst nur von deinem Verrat ablenken”, sagte Rupa und ging.

Das würde sie der dicken Hilde heimzahlen. So einen hinterhältigen Verrat vergaß sie nicht.

“Da ist jemand sehr wütend”, stellte Sieglinde fest.

“Das Dickerchen wird darüber hinwegkommen. Soll sie von den Besuchern etwas abstauben, dann geht es ihr wieder besser und alles ist vergessen.”

“Wenn du meinst”, sagte Sieglinde skeptisch. Wie sie Rupa kannte, würde die nachtragend sein. Dabei hätte sie sich denken können, dass Hilde nichts Gutes im Schilde führte, als sie ihr den Tipp mit dem Schlammbad gegeben hatte. Die Lektion hatte das Dickerchen nun gelernt.


(Un)Musikalische Sargnägel sind unerwünscht

Ein Trompeten erschallte über die Elefantenanlage. Kaum war es verklungen, wurde wieder trompetet.

"Was machst du denn, Lindi?", wollte Hilde wissen. "Hier laufen keine Mäuse rum und das Schaufelauto ist auch nicht unterwegs."

"Ich übe", sagte Sieglinde nur und fing wieder zu trompeten an.

"Hab ich was verpasst?", fragte die dicke Hilde misstrauisch. "Sollst du für irgendetwas Werbung machen?"

"Quatsch!" Immer ging es ihrer Artgenossin darum, dass sie niemand in ihrer Berühmtheit übertrumpfte. "Vorhin ist einer der Infozettel für die Musikabende zu uns rübergeweht. Weißt du, wer wieder direkt neben uns Musik machen soll? Die schreckliche Flöte!"

"Nein, Sargnagel-Franz ist wieder da?"

"Genau."

"Welcher Sargnagel?", wollte Nelly wissen, die gerade vorbeigeschlendert kam.

"Die schreckliche Flöte", sagte Sieglinde.

"Der kommt wieder? Ich dachte, ich hätte ihn verjagt. Wofür habe ich ihn ordentlich mit Sand beworfen, damit er verschwindet?"

"Sargnagel-Franz hat das scheinbar mit Zuneigung verwechselt. Der ist ja ein bisschen komisch."

"Wieso nennst du den immer Sargnagel?", fragte Paulas Tochter, auch Gierschlund-Goldauge genannt.

"Letztes Jahr sagte jemand, die schreckliche Flöte sei der Nagel zu seinem Sarg."

"Und Franz? Das ist ein deutscher Name und der hat einen ausländischen Akzent."

"Franz ist ein bayerischer Name", gab Hilde stolz ihr Wissen zur Schau. "Die Bayern tun so, als würden sie eigenständig sein und wir Ausland. Die nennen uns Preußen. Hochdeutsch können sie auch nicht richtig, ihr Dialekt kommt immer durch. Deshalb passt Franz perfekt zur schrecklichen Flöte."

Sieglinde und Nelly stimmten ihr zu, auch wenn sie schreckliche Flöte besser fanden.

Der Gruppe näherte sich Else, die direkt auf Nelly zuhielt.

"Hast du Hilde gepetzt, ich hätte Darjeeling am Schwanz gezogen?"

"Wenn er frech war, darfst du das", sagte Hilde.

"Ich hab gar nichts verpetzt. Die schreckliche Flöte will uns wieder quälen."

"Was?", sagte Nelly entsetzt. "Wegen dem hatte ich letztes Jahr einen Termin beim Arzt, wo ich doch immer froh bin, wenn ich in Ruhe gelassen werde. Ich will nicht, dass der wieder mit einer Pinzette in meinen Ohren herumstochert."

"Was stopfst du dir auch Gras in die Ohren", tadelte Sieglinde. "Ich hatte dich gewarnt, dass du das nicht wieder selbst herausbekommst, aber du wusstest es besser."

"Was hätte ich denn tun sollen? Die schreckliche Flöte mit seiner Musikgruppe war nicht zu ertragen. Mit dem Gras in den Ohren musste ich die gefühllose Musik nicht mehr hören. Das war eine Wohltat."

"Wir sollten uns alle Gras in die Ohren stopfen. Vielleicht erkennen unsere Betreuer, warum wir das machen und die schreckliche Flöte darf nicht mehr wiederkommen."

"Diese Verbindung zwischen Sargnagel-Franz und unseren verstopften Ohren ziehen die nie", meinte Hilde.

"Wir machen unser eigenes Konzert", sagte Sieglinde, die bereits fleißig geübt hatte.

"Und wie?", wollte Else wissen.

Sollten sie alle mit Hölzern gegen die Schutzverkleidung der Bäume schlagen, um Lärm zu erzeugen?

"Hast du immer noch Gras in den Ohren? Lindi trötet seit einer halben Stunde uns die Ohren zu."

"Ach, ich dachte, das Schaufelauto (Bagger) würde irgendwo sein."

"Hör bloß auf zu denken, Else. Das übernehmen andere für dich", sagte Nelly.

"Wir sprechen uns noch, Fräulein", brummelte Else und überlegte, wie sie es Paulas Tochter heimzahlen konnte, ohne dass ihre Betreuer es mitbekamen.

"Immer wenn Sargnagel-Franz mit seiner Gruppe zu spielen beginnt, werden wir ihn übertönen."

"Unkontrolliertes Tröten wird nichts bringen", meinte Else, die nicht so dumm war, wie Nelly sie gerne hinstellte. "Wir müssen was einstudieren."

"Der eine fängt an, dann der nächste und so fort", sagte Paulas Tochter.

"Zu langweilig und vorhersehbar. Wir brauchen eine elektronische Platte. Dort sind jede Menge Musikstücke gespeichert. Von denen suchen wir uns eines aus und studieren es ein", sagte Hilde.

"Darjeeling hat eins. Ich habe es selbst gesehen", meinte Else.

"Dieser Lump! Ich hab's gewusst und mir erzählt er das Blaue vom Himmel. Der wird mich kennenlernen."

Wütend wäre die dicke Hilde sofort zum Stoßzahnpieker gelaufen, um ihm die Meinung zu geigen, aber so würde sie nicht an das Gerät kommen. Sie würde sich bei ihm einschmeicheln müssen. Das konnte sie. Darjeeling würde sich wundern, wie freundlich und zuvorkommend sie gegenüber ihm sein konnte.

"Ich erzähle Gisela von unserem Plan."

"Tritt ihr in den Hintern, wenn sie nicht mitmachen will, Lindi. Sargnagel-Franz muss endgültig vertrieben werden."

Gegen Musik hatten sie nichts, aber wenn jemand ohne jegliches Gefühl und Herzblut spielte, war es so, als ob jemand spielte, der unmusikalisch war. Deshalb musste Sargnagel-Franz, die schreckliche Flöte, verschwinden.

Der würde sich wundern, wenn er in ihrer Nähe zu spielen anfing. Hoffentlich würde er nach der Aktion nie mehr wiederkommen.


Wenn der Name ein Waschmittel ist

Elefantin Hilde lag im Schlammbad und ließ es sich gut gehen. Niemand, der sie störte oder etwas von ihr wollte.

Herrlich, so müsste es immer sein, ging es ihr durch den Kopf.

Doch mit der Stille war es vorbei, als sie Rupa und Darjeeling streiten hörte. Hatte der Stoßzahnpieker seiner Schwester das Futter geklaut? Da verstand das wohlgenährte Dickerchen keinen Spaß und hatte keine Verwandten.

"Benehmt euch, sonst werfe ich mit Schlamm", drohte Hilde.

"Darjeeling will mir nicht glauben, dass unsere Betreuer die Namen für uns aussuchen", sagte Rupa.

"Das stimmt", bestätigte die alte Elefantin und hoffte, dass nun Ruhe einkehren würde. Weit gefehlt!

"In Hamburg dürfen die Besucher entscheiden, wie der Nachwuchs heißen soll", begehrte Darjeeling auf.

"Deshalb wird Brausepaul auch bald den Namen eines Waschmittels tragen."

"Wieso denn Waschmittel? Das ist doch Schleichwerbung."

"Da hat es schon Elefanten mit Müsliriegel- oder Eis-Namen gegeben. Aber die Besucher sehen dort nur die Bedeutung des Namens und werfen deshalb ihre Bohne bei Raj ein. Nur blöd, dass der Name anders ausgesprochen als geschrieben wird. Niemand sagt Radsch, was wie das Zerreißen von Stoff klingt, sondern Rei - und das ist ein Waschmittel."

"Zum Glück entscheiden bei uns nicht die Besucher", stellte Rupa zufrieden fest. Sie mochte ihren Namen.

"Eure Namen sind Vorschläge von Paten eurer Mutter gewesen, sonst hättet ihr Renate und Alfred geheißen."

"Ich wär' für Kai gewesen, wie bei Kai aus der Kiste."

"Hast du heimlich eine elektronische Platte geklaut und liest gespeicherte Bücher?", wollte Hilde wissen, die das Gerät für andere Zwecke benutzen wollte.

"Nö, habe ich mal gehört, als wir Fernsehen guckten", flunkerte Darjeeling, der keine Lust hatte seinen Fund abzugeben.

"Wieso nehmen die nicht Chang? Das hat auch nur eine Silbe."

"Weil das Chinesisch klingt und dort gibt es keine Elefanten. Natürlich wäre es möglich, dass Chang gewänne und wenn es so käme, könnten sie den Tennisspieler fragen, ob er Pate wird."

"Tennisspieler?", fragte Rupa verwundert. "Du interessierst dich doch nur für Fußball."

"Als ich noch jung war, also gestern, hatten wir einen Betreuer, der sich für Tennis interessierte, deshalb kenne ich mich dort auch aus."

"Tschang ist auch ein Freund von Tim und Struppi. Ihm hilft der Yeti nicht zu erfrieren", mischte sich Darjeeling ein, stolz, mit seinem Wissen prahlen zu können.

"Hast du heimlich Kinderkanal geguckt?", rügte ihn Hilde. "Junge Elefanten sollen nicht so viel Fernsehen und schon gar keine Zeichentrickserien."

"Das lief mit französischen Untertiteln. Wenn ich eines Tages umziehen muss, kann ich eine Fremdsprache."

"Sehr löblich, aber probier's mit Englisch. Nachher ziehst du nach Italien um, da nützen dir deine Französisch-Kenntnisse wenig."

"Was bleibt außer dem Waschmittel und dem Tennisspieler?", wollte Rupa wissen.

"Na, was wohl? Der imposanteste aller Namen, auch wenn er nur der ehemalige Name eines Landes ist, doch diesen Namen hat ein sehr bekannter und beliebter Elefant getragen. Siam kannst du im Pariser Naturkundemuseum bewundern. Da kannst du deine Französischkenntnisse zum Besten geben, Darjeeling."

"Nenn mich Ceylon. Der Name gefällt mir besser."

"Hast du zu lange in der Sonne gestanden? Für dich muss kein neuer Name gefunden werden, du hast einen, der zu dir passt."

"Ceylon klingt viel schöner."

"Darüber würde sich Waschmittel-Elefant Brausepaul auch freuen. Lieber wie eine Teesorte heißen als ein Reinigungsmittel."

"Dagegen müssen wir etwas tun", sagte Rupa bestimmt. "Wir müssen die Besucher zwingen, dass sie Siam wählen."

"Ach, und wie? Willst du unseren dortigen Genossen sagen, sie sollen Schilder hochhalten, wo Wählt Siam! draufsteht? Da denken die Besucher, sie sollen beeinflusst werden und dass deren Betreuer einen anderen Namensvorschlag wünschen."

"Ich weiß es!", sagte Darjeeling freudig und tanzte auf der Stelle. "Wir werfen ganz viele Bohnen in die Siam-Säule. Dann kommt der Name durch."

"Schöne Idee, könnte von mir sein. Weil sie nicht von mir ist, hat sie einen Haken. Wie willst du dort hinkommen und womit die Bohnen bezahlen?"

"Ich verkleide mich!"

"Als Außerirdischer zu Besuch auf der Erde? Du schaffst es nicht weiter als von hier bis zum Misthaufen."

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752126082
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Fußball Elefantenalltag Elefant Kurzgeschichte Tierpark Minutengeschichte Zoo Humor Kinderbuch Jugendbuch Vorlesebuch erstes Lesealter Erzählungen Kurzgeschichten

Autor

  • Helen Hoffmann (Autor:in)

Helen Hoffmann hat in ihrem Leben bereits die absurdesten Dinge erlebt. Nun hat sie begonnen, diese aufzuschreiben, damit auch andere daran teilhaben und sich amüsieren können. Seit 2016 erscheinen ihre Romane über die Erlebnisse einer Großstädterin. Daneben schreibt sie auch an Minutengeschichten, die selten länger als siebenhundert Wörter sind.
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Titel: Mit Radieschen wirft man nicht