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Mord auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigsburg

oder der verlorene Sohn

von Susanne Sterzenbach (Autor:in)
69 Seiten

Zusammenfassung

Dieser „Klassik-Krimi“ verwandelt Schillers Theaterstück "Die Räuber" in einen modernen Krimi.Tatort ist Ludwigsburg, Schiller- und Mörike-Stadt. Hier ermitteln Hauptkommissar Castor, geschlagen mit einer Schreib- und Leseschwäche, und Oberkommissarin Luchs, die für Romane und Theater schwärmt. Ausgerechnet auf dem berühmten Barock-Weihnachtsmarkt von Ludwigsburg wird die Gräfin zu Trauttberg ermordet aufgefunden. Der Täter ist ihr Verlobter. Er bekennt sich per Video-Botschaft zu seiner Tat, aber ist nicht zu fassen. Seit vielen Jahren ist Jakob Venn verschollen. Früher trat er als moderner Robin Hood in Leipzig auf. Castor und Luchs müssen sich tief in die Geographie aktueller Konflikte in der Welt einarbeiten, bis sie Jakobs Spur finden. Und ohne seinen Vater, den Weingutsbesitzer Daniel Venn und seinen habgierigen Bruder Roman, hätten sie es nie geschafft.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1. „Oh, sie ist ein unglückliches Mädchen...“

Hauptkommissar Castor sah missbilligend auf die tote Frau, die vor ihm im Schnee lag. Seine Missbilligung hatte viele Gründe: Die Frau war viel zu jung zum Sterben. Ende zwanzig schätzte er. Aber da würde die Gerichtsmedizin Klarheit schaffen. Einen Ausweis hatten sie bisher nicht gefunden. Die Frau war viel zu schön, um schon wieder zu Staub zu werden. Eine altmodische Schönheit mit einem blassen ovalen Gesicht wie sie die alten Meister malten. Vermeer, Leonardo, Botticelli.

Die Frau war in gewisser Weise zu passend für den Tod gekleidet. Paradox, denn fürs Totenhemd gibt es keine Kleidervorschrift : Um gedeckte Kleidung wird gebeten. Er holt dich im Abendkleid, in der Badehose oder splitterfasernackt. Und trotzdem hatte Castor das Gefühl, dass das Kleid unschicklich sei zu diesem endgültigen Anlass. Castor hielt viel von seiner emotionalen Kompetenz. Dem Riecher, wie andere es nannten. Dieses Kleid war aus dunkelrotem Samt mit tiefem Ausschnitt, enger Korsage und einem langen schwingenden Rock. Die Ärmel waren länger als die Arme, teilten sich am Handgelenk in zwei Streifen und schlängelten sich über den weißen Schnee. Schneeweißchen und Rosenrot. Ein Burgfräulein. Sie trug ein Kleid wie ein Burgfräulein. Und das schickte sich nicht in einer Zeit, wo weibliche Tote in der Mehrzahl nabelfreie Tops trugen. Es wirkte zu feierlich.

Auch die Umgebung passte Kommissar Castor überhaupt nicht: Mitten auf dem Weihnachtsmarkt von Ludwigsburg war das Burgfräulein erstochen worden. Mord auf einem der schönsten Weihnachtsmärkte der Republik. Mitten in einer Barock-Kulisse, die täglich Dutzende von Bussen aus aller Welt anlockte. Das bedeutete Presse, Fernsehen, Sensations-Touristen und Kommunal-Politiker, die aus Angst um das Image der Stadt nervös werden würden.

Der Tatort war weiträumig abgesperrt. Aber was nutzte das schon. Die Besucher des Weihnachtsmarktes drängten sich neugierig an die rot-weißen Bänder. Drei Marktstände lagen innerhalb der Absperrung. Ihre Inhaber würden bald ungeduldig werden, weil sie keine Geschäfte mehr machten.

In Sichtweite des abgesperrten Karrees drehte sich das altmodische Kinderkarussell mit Pferdchen und Elefanten. Aber die lieben Kleinen hatten nur Augen für die Polizei. Sehr weihnachtlich, dachte Castor.

Und dann war da noch die Tatwaffe, die seine tiefe Missbilligung hervorrief: Ein Schwert. Ein Schwert wie aus einem Ritter-Film. Und kein einziger Finger-Abdruck. So viel hatte ihm die Spurensicherung schon verraten.

„Und dann und wann ein weißer Elefant“, hörte er eine Stimme hinter sich. „Auch das noch. Was soll das heißen?“ fuhr er seine Kollegin an. Paula Luchs lächelte. „Entschuldigung, das kam mir wegen dem Karussell in den Sinn. Rilke.“

Castor seufzte. Sein Hobby war bildende Kunst, Bilder. Nicht Buchstaben oder Bücher. Er war ein Kind mit Schreib-Lese-Schwäche gewesen. Er hasste dicke Bücher, die ihn daran erinnerten. Deswegen hatte er die Bilder gewählt. Oberkommissarin Luchs war da ganz das Gegenteil. Auch deswegen waren sie ein gutes Team. Ein kunstsinniger Staatsanwalt, Hobby: griechische Klasssik, hatte sie mal Castor und Pollux getauft. Und das war hängen geblieben.

„Komischer Aufzug für eine junge Frau, findest Du nicht?“, fragte Castor seine Kollegin. „Nicht unbedingt. Die Frau machte Werbung für ihr Geschäft.“ Pollux hielt ihm eine Visitenkarte unter die Nase. Amelie Gabriele Sophia Désirée zu Trauttberg, Schneideratelier für Historische Kostüme. „Ach, du liebe Zeit. Auch noch adelig. Siehst Du schon die ersten Paparazzi?“

Pollux grinste. „Ja. Unser Freund Merlin Meyer friert sich schon seit einer halben Stunde die Zehen in seinen Tanzschuhen ab.“ Sie deutete auf einen kleinen, dünnen Mann mit schütterem Haar, der hinter der Absperrung nervös von einem Fuß auf den anderen trat und ein großes Tele-Objektiv vor der Brust trug. Er winkte Castor und Pollux aufgeregt zu.

„Der wittert das Foto seines Lebens. Endlich raus aus der Ludwigsburger Kreiszeitung, in die großen gelben Blätter.“ Castor konnte das nicht so lässig hinnehmen wie Pollux. „Das wird ja wohl noch Zeit haben“, knurrte er. Nach den ersten Angaben des Arztes war Amelie zu Trauttberg gegen sieben Uhr morgens ermordet worden. Es war noch dunkel gewesen. Die Müllabfuhr war schon durchgefahren. Gegen acht Uhr hatte sie der Inhaber des Standes gegenüber gefunden. „Was machen die alle so früh hier, frage ich mich? Der Markt öffnet doch erst um 10.00 Uhr.“ „Ihr Standnachbar traf sich mit Amelie manchmal zum Frühstück. Vorher haben sie die Ware für den neuen Tag vorbereitet. Amelie ging häufig noch einkaufen und brachte die Sachen dann in ein Altersheim. Das wissen alle Verkäufer in den Nachbarständen. Sie war Mitglied in einem Hilfsverein der mittellose Senioren im Seniorenheim „Hahnhof“ versorgt. Eine Familientradition, wie man hört. Schon ihre Mutter soll da sehr engagiert gewesen sein.

Amelie zu Trauttbergs Stand wirkte nach wie vor verschlossen. Die Läden zugeklappt. Erst als die Spurensicherung mit den Fußabdrücken im Schnee fertig war, konnte Castor sich dem Holzhäuschen nähern. Das Schloss an den Läden war offen, die Flügel ließen sich leicht aufklappen. Auf dem schrägen Verkaufstisch lagen ordentlich gestapelt bunte Pullover und Samtwesten. Schwarze, grüne und braune Hüte mit breiten Krempen, an denen Pfauenfedern steckten, Ellenlange Samthandschuhe in Rot, Blau und Grün. Auf einer Garderoben-Stange im Inneren des Standes hingen Kleider. Burgfräulein-Kleider, tiefrot, dunkelgrün, königsblau.

„Würdest Du Dir so was zu Weihnachten wünschen?“, fragte Castor. „Ich nicht, aber denk dran, dass hier in Ludwigsburg einige Frauen bei den historischen Spektakeln im Barock-Schloss auftreten. Die brauchen so was. Und andere haben einfach Spaß daran, im historischen Kostüm zum Silvesterball zu erscheinen. Für Amelie war das ein schöner Nebenverdienst. Als freiberufliche Kostümschneiderin verdient man nicht viel am Theater. Gut verdient hat sie beim Film, aber in letzter Zeit hatte sie Probleme, ein Engagement zu bekommen. Anscheinend ist sie von einigen Produzenten gemobbt worden.“

Castor hatte einen Handschuh übergezogen. Er war aus weichem, hellbraunen Leder mit langen, weiten Stulpen und passte wie angegossen. Eine Männergröße. „Und woher weißt Du das alles?“

„Ich habe mich mit dem Standnachbarn unterhalten. Der Herr mit dem Öko-Wein gegenüber. Er heißt Peter Salisch.“

Nachdenklich betrachtete Castor den Handschuh. Möglicherweise hatte der Mörder sich solche Handschuhe vom Stand genommen, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Möglicherweise war das aber auch gar nicht nötig gewesen, denn bei den Temperaturen trugen sowieso die meisten Menschen Handschuhe. Und wieso sollte ein Mann die Tat begangen haben?

Wegen dem Schwert, beantwortete Castor sich selbst die Frage. Dieses Schwert war schwer, fast zu schwer für eine Frau. Und man musste damit umgehen können, um genau ins Herz zu treffen. Mit einem Fleischmesser war das sehr viel leichter.

Der Sarg mit Amelie zu Trauttbergs Leichnam wurde abtransportiert. Merlin Meyer knipste und knipste. Die Menge der Fotografen war beachtlich angewachsen. Auch der SWR war mit einem Kamera-Team eingetroffen. Mord auf dem Weihnachtsmarkt – was für eine Schlagzeile.

Castor und Pollux gingen zum Nachbarstand. Peter Salisch saß kreidebleich auf einem Hocker hinter seinem Verkaufstisch. Er hatte die Hände um einen Becher mit dampfendem Tee gepresst, um sie zu wärmen. „Haben Sie keine Handschuhe?“, fragte Castor. Salisch sah ihn erschrocken an. „Noch mal guten Morgen“, sagte Pollux freundlich, „wir haben uns ja schon kennen gelernt. Das ist mein Kollege, Hauptkommissar Castor.“ Peter Salisch nickte und presste seine Hände noch fester um den Becher. „Entschuldigung“, murmelte Castor, „guten Morgen.“ Salisch nickte wieder. Er hatte keine große Lust zu sprechen. Wieder und wieder fragte er sich, warum er ausgerechnet heute erst um neun Uhr gekommen war. Und warum ausgerechnet er die tote Amelie finden musste.

Aber sie würden ja doch keine Rücksicht auf seinen Gemütszustand nehmen. Ohne gefragt zu werden, begann er schleppend zu erzählen.“ Ich kam kurz vor neun zum Stand. Ich hatte Brezeln gekauft und wollte Amelie auf eine Tasse Tee einladen. Mit Honig, selbstgemachtem Honig.“ Er deutete auf die Gläser, die neben den Weinflaschen standen. Und da bin ich über sie gestolpert. Er starrte den Kommissar an, Tränen standen in seinen blauen Augen.

„Sie kannten Frau zu Trauttberg gut?“, fragte Castor leise. „Wir kennen uns von Kind auf. Aber in den letzten Jahren haben wir uns vor allem auf dem Weihnachtsmarkt getroffen. Wissen Sie, man kann hier vier Wochen lang nebeneinander leben und kein Wort miteinander wechseln. Man kann aber auch gute Gespräche führen und über Gott und die Welt reden.“ Er trank einen Schluck Tee. „Außerdem haben wir gemeinsame Verwandte und Bekannte.“ Pollux notierte diesen Satz.

Castor war der Mann sympathisch. Das tat zwar nichts zur Sache, aber der Kommissar schloss Gefühle nie aus den Ermittlungen aus. Auch seine eigenen nicht. Was oft genug zu Krisen führte, wenn Pollux nicht richtig aufpasste.

„Sie haben Glück, dass es frisch geschneit hat. Ihre Fußabdrücke beweisen eindeutig, dass Sie erst gegen neun Uhr gekommen sind. Dass Sie allerdings vorher schon mal da gewesen sind, sagen wir gegen sieben Uhr, ist nicht eindeutig von der Hand zu weisen.“ Salisch nickte traurig. „Sicher. Allerdings habe ich um sieben Uhr dreißig Wein ausgeliefert, in der Schlossstraße in Stuttgart, und bin dann auf der Rückfahrt auf der B27 in den Stau geraten.“

Das klang alles sehr plausibel. Der Stau zwischen Ludwigsburg und Stuttgart war an diesem Morgen wegen des Schneefalls noch länger gewesen als an einem normalen Werktag. Der Anruf war schnell erledigt. Pollux ließ sich von Salischs Kunden die Lieferung bestätigen.

Beruhigt erlaubte sich Hauptkommissar Castor, den Weinhändler weiter sympathisch zu finden.

„Worüber grübeln Sie nach?“ Peter Salisch schien völlig in den Anblick seines Tees versunken zu sein. „Haben Sie irgendeine Ahnung, was passiert sein könnte?“

Salisch sah hoch und sagte überraschend klar und gefasst: Ich denke, es hat heute morgen wieder Streit gegeben, er hat das Schwert vom Stand genommen und hat zugestochen. Das ist alles.“

„Moment, Moment. Nicht alles auf einmal. Wer hat Streit angefangen. Und wo war das Schwert?“

„Das Schwert diente zur Dekoration und als Gewicht, um die leichte Ware gegen Wind zu sichern. Ein Schwert gehört schließlich zu historischen Ritter-Kostümen, oder?“

„Gut, das wäre geklärt. Und der Mann?“

„Der gehört irgendwie auch dazu. Zu Amelie. Er kam oft mehrmals am Tag vorbei um Streit anzufangen.“

„Worum ging es dabei?“, fragte Pollux

„Immer um dasselbe. Amelie solle nun endlich einsehen, dass sein Bruder sie habe sitzen lassen. Dass er überhaupt nicht die Absicht habe, sie ins Ausland nachzuholen. Dass sie aufhören solle, sich die Augen auszuheulen. Er sei schließlich da, um sie zu trösten. Dass er bald das Erbe antreten werde. Dass er sie reich und glücklich machen werde. Der ganze Schmonzes eben. Aber sie ließ ihn jedes Mal abblitzen. Einmal drohte sie mit der Polizei. Er verschwand, kam aber am Nachmittag mit zwei dicken Body-Guards zurück. Wissen Sie, solche Jungs mit Goldkettchen am Handgelenk und zu dicken Bäuchen in zu engen Lederjacken. Ich bin sofort rüber gegangen, das Handy startbereit. Ich hatte schon den Notruf eingetippt. Aber Amelie hat den Typen irgendwas gezeigt, ein Stück Papier, glaube ich. Und darauf hin sind sie abgezogen. Nicht sehr gut gelaunt übrigens. Am Bratwurststand haben sie sich ein paar Bier rein gekippt und sind dann Weihnachtslieder grölend abgezogen.“

„Sie würden den Mann also bestimmt wieder erkennen?“, fragte Castor. Peter Salisch schien überrascht. „Wieso wieder erkennen? Ich kenne ihn. Ich bin mit ihm in die Schule gegangen. Er heißt Roman Venn.

2. „Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen Körper...“

Auf dem Kommissariat wartete eine Überraschung auf sie. Eine Video-Kassette. Auf der Video-Kassette war ein großer Mann zu sehen, mit schulterlangen braunen Locken und sehr blauen Augen. Er trug einen breitkrempigen schwarzen Hut mit Pfauenfeder, ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln ohne Kragen, eine Lederweste, enge schwarze Hosen, die in Reitstiefeln steckten und hellbraune Handschuhe mit breiten Stulpen. Castor und Pollux waren im ersten Moment sprachlos. Den ganzen Morgen hatten sie von historischen Kostümen gehört und gesprochen, sie gesehen und angefasst. Castor hatte sogar das gleiche Modell von Handschuh anprobiert. Aber das alles am lebenden Modell zu sehen, in Aktion sozusagen, schien den ganzen Fall in eine Bühnenfarce zu verwandeln.

Der Mann schien eine Rede zu halten oder eine Erklärung abzugeben. Pollux drehte den Ton lauter.

Was sie dann hörten, konnten sie einfach nicht glauben.

Castor riss die Tür des Vorführraums auf: „Holt mir sofort den Salisch vom Weihnachtsmarkt. Sofort!“

Da das Kommissariat nur zweihundert Meter entfernt lag, erschien der verschreckte Peter Salisch schon zehn Minuten später im Büro.

„Ist er das?“, fragte Castor nur und ließ das Video wieder los laufen. Ohne Ton.

Salisch schüttelte den Kopf. „Das ist sein Bruder. Jakob.“

Paula Luchs spulte das Band auf Anfang und drehte den Ton auf.

Jakob Venn tippte zum Gruße mit zwei Fingern der rechten Hand nachlässig an die Krempe des Hutes. Ernst sah er in die Kamera. Die blauen Augen waren nicht klar. Eine tiefe Müdigkeit lag in Jakobs Blick, aber er sprach kraftvoll, energisch. Einer der zu befehlen gewohnt ist, dachte Pollux.

„Meine Damen und Herren, bemühen sie sich nicht weiter. Ich bin der Mörder von Amelie zu Trauttberg. Ich habe sie heute morgen erstochen, die Tatwaffe haben Sie ja gefunden. Meine Fingerabdrücke brauchen Sie nicht, Sie haben mein Geständnis.“

Er hielt beide Hände in den Handschuhen vor die Kamera. „Ich trug diese Handschuhe. Es war mir lieber. Denn mit Fingerabdrücken würden Sie vielleicht weitere Vergleiche anstellen, und sie da finden, wo ich es nicht möchte.“ Er zögerte kurz. „Noch nicht möchte.

Falls Sie auf die Idee kommen, dies könnte ein Geständnis sein um jemand anderen zu schützen: Nein, das ist es nicht. Ganz unten im Umschlag finden sie einen roten Knopf von Amelies Kleid und eine Haarlocke, die ich in ihr Blut getaucht habe. Lassen Sie sie untersuchen. Alles ist authentisch. Als ich den Markt verließ, schlug es von der Marktkirche Viertel nach sieben.“

„Aber warum“, murmelte Peter Salisch und schüttelte den Kopf. „Warum nur? Sie hat ihn doch immer geliebt.“

Pollux zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm. Jakobs Erklärung ließ nicht auf sich warten.

„Sie fragen nach dem Motiv. Ich habe einen Grund gesucht, ihr weh zu tun. Ich habe alles versucht, damit sie mir endlich einen Grund liefert, sie aus meinem Leben zu entfernen. Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass ich in keiner Weise dem Bild des Mannes entsprach, den sie liebte: Edel, hilfreich und gut. Hilfreich vielleicht, aber um den Preis des Unglücks vieler anderer. Da ich zu feige bin, mich selbst zu zerstören, musste ich sie vernichten. In ihren Augen sah ich den, der ich hätte sein sollen.

Geplant hatte ich den Mord nicht. Dafür wäre ich nicht mit falschen Papieren wieder in dieses Land eingereist. Ganz im Gegenteil, ich hatte vor Amelie mit mir zu nehmen und endlich zu heiraten. Über zehn Jahre hat sie auf mich gewartet. Ihre Treue grenzt schon fast an Dummheit, muss man sagen. Sie hätte wissen müssen, dass ich mich verändert habe. Sie hätte sich schon längst verändern müssen. Blockiert war sie, oder beschränkt. Wie sie es nennen wollen. Ich wollte, dass sie mein Leben akzeptiert. Nichts hinein geheimnist. Dass sie den wahren Jakob nimmt, nicht das Bild von ihm. Sie konnte es nicht.

Selbst als ich ihr einen Brief in ihren Stand schmuggeln ließ, in dem ich mein Leben beschrieb, blieb sie unerschütterlich. Sie nahm es als Lebenszeichen, das ihre Liebe nährte. Völlig unmöglich. Sie begriff es nicht.

Der einzige, der wirklich verstanden hat, was mit mir los ist, ist mein Bruder Roman. Roman ist zwar ein Arschloch, aber wirklich intelligent. Schade, dass unser Vater ihn nie hat etwas gelten lassen. Auch Vater hat sich von mir blenden lassen. Von dem lieblichen Knaben im lockigen Haar. Dem unschuldigen Blauauge, das schon als Student Schulden anhäufte, weil es das Zocken nicht lassen konnte. Vater verschloss die Augen vor der Wahrheit und zahlte.“ Jakob Venn hielt einen winzigen Moment lang inne, vielleicht war es nur ein Wimpernschlag lang, und trotzdem spürte jeder im Raum, dass da etwas war, was diesen Zyniker im Innersten berührte.

„Aber das ist eine andere Geschichte“, fuhr Jakob fort. „Und nun bringen wir es zu Ende. Ich werde dahin zurückkehren, wo ich hingehöre. Geben Sie sich keine Mühe nach einem Mann in diesen Kleidern zu fahnden. Die trage ich nur zu diesem Anlass. Ich bin kein Romantiker. Und kein Don Quijote, der seine Erfüllung in Träumereien aus der Ritterzeit findet. Zu dem hätte Amelie besser gepasst.

Vor der toten Amelie ziehe ich meinen Hut, denn schließlich und endlich ist sie neben meinem Vater der einzige Mensch, der mich geliebt hat. Blind geliebt. Ich ziehe die Sehenden vor.“

Sprach’s, zog schwungvoll den Hut vom Kopf und verdeckte damit das Objektiv. Die Kamera schaltete ab. In diesen paar Sekunden hörte man im Hintergrund ein Gemurmel. Dann war es still.

Hauptkommissar Castor und Oberkommissarin Paula Luchs sahen Peter Salisch erwartungsvoll an. „Und?“, fragte Castor. „Was sagen Sie dazu?“

Salisch sah ziemlich erschüttert aus. Er stützte den Kopf in beide Hände. „Das Leben als Katastrophe. Dieser Mann ist eine einzige Katastrophe, und er weiß es. Schlimmer, er lebt das ganz bewusst. Kompromisslos. So stelle ich mir die Hölle vor.“

„Moment mal, könnten Sie sich ein bisschen konkreter ausdrücken? Wir haben einen Mord, ein Geständnis, aber keinen Mörder. Das sieht unsere Rechtsordnung nicht vor. Wir brauchen konkrete Hinweise, wo Jakob Venn sich aufhält. Psychologisieren können wir immer noch, wenn wir ihn haben.“ Pollux empfand das gefilmte Geständnis als unerträglich anmaßend. Venn beging ein Kapitalverbrechen, gestand es und entschied als seine eigener oberster Gerichtsherr, dass er sich keiner Behörde zu stellen brauchte. Paula war Polizistin geworden, weil alle Menschen vor dem Gesetz gleich sein sollten, nicht weil einzelne sich für den lieben Gott hielten und meinten, sie könnten auf die kleine Polizistin verzichten.

Castor hob beschwichtigend beide Hände. „Geduld, Geduld. Ich finde die Analysen von Herrn Salisch sehr interessant. Seit wann haben Sie Jakob Venn denn nicht mehr gesehen?“

Salisch überlegte. „Das ist lange her. Ich glaube, das letzte Mal habe ich ihn im Fernsehen gesehen. Bei den ersten Demonstrationen nach der Wende gegen den Sozialabbau. Jakob ist gleich nach dem Fall der Mauer umgezogen. Die neuen Bundesländer mit all ihren Problemen waren ein Paradies für ihn. Er war der Anführer einer Studentengruppe, die sich die „Jakobiner“ nannten und in Leipzig eine Neuauflage der Französischen Revolution planten.“

Castor und Pollux sahen sich überrascht an. Dann könnte er aktenkundig sein. Pollux gab die Suche nach Venn, Jakob bereits in den Computer ein.

„Sie haben ihn bestimmt da drin“, meinte Salisch. „Die Gruppe hat damals den Oberbürgermeister entführt, wie ein Paket verschnürt und an einen Laternenpfahl gehängt, weil die Behörde einer alleinerziehenden Mutter die Sozialwohnung gekündigt hatte.“

Castor nickte. Oh, hängt ihn auf, oh hängt ihn auf. Das typische Bild aus der Französischen Revolution, als man Adelige und Bourgeois am Laternenpfahl henkte. Er hatte das Bild aus den Zeitungen und dem Fernsehen wieder vor Augen. Kollegen hatten den OB schnell wieder abgeschnitten, es war ihm außer ein paar kleinen Blessuren und den Kratzern auf der Seele und im Image nichts passiert. Die Mehrheit all derer, die nicht zum reichen Drittel der Gesellschaft gehörten, waren begeistert. Da nahm sich jemand ihrer Sorgen an, rächte sich in ihrem Namen. Allerdings wurde die Bewegung schnell immer aggressiver. Gerichtsvollzieher wurden bedroht. Händlern wurde Schutzgeld abgepresst – immer im Namen der guten Sache. Das Geld bekamen Menschen, die es dringend brauchten.

Jakob Venn war zum Robin Hood der Plattenbauten geworden. Die waren zum Teil längst abgerissen, aber ihr Name stand für eine Stimmung, für die menschliche und soziale Umwelt vieler Menschen in den neuen Bundesländern.

Die politische Linke reagierte sehr gespalten. Sie versuchten den Kopf der „Jakobiner“ in ihre Organisationen einzubinden, um sich nicht überholen zu lassen. Er verweigerte sich. Darauf versuchten sie, ihn auszuschalten. Anzeige häufte sich auf Anzeige.

„Hausfriedensbruch. Telefonterror. Beleidigung“, zitierte Polllux aus dem Polizeicomputer. „Aber er ist immer mit Geldstrafen davon gekommen.“

„Es gab ja den lieben Papa“, murmelte Salisch.

„Und –“, Castor konnte den Triumph in Paulas Stimme deutlich hören. Offensichtlich hatte sie etwas gefunden, das ihn zu einem normalen Straftäter wie alle anderen machte und ihn von seinem selbstgebauten Sockel herunter holte- „er steht zur Fahndung aus. Internationaler Haftbefehl.“

„Ach, du lieber Himmel!“ seufzte Castor. Sie würden sich rechtfertigen müssen, warum ein gesuchter mutmaßlicher Verbrecher vor ihrer Nase über den Weihnachtsmarkt spazierte und eine Frau umbrachte.

„Na, nach dem Foto in der Kartei hätte ihn sowieso keiner erkannt“, sagte Pollux tröstend. Sie drehte den Bildschirm in den Raum, so dass alle das Bild sehen konnten. Ein Foto von einem blonden Mann mit stoppelkurzen Haaren und blitzblauen Augen. „Da muss er Mitte zwanzig gewesen sein“, sagte Salisch. „Etwa in dem Alter, kurz vor seinem Umzug, begann er diese Stoppeln zu tragen. Um seinen Vater zu ärgern, der Jakobs goldene Locken so liebte. Sie erinnerten ihn an seine Frau.“

„Warum haben Sie ihn eigentlich gleich wieder erkannt?“ Salisch spürte den Argwohn in Castors Frage, aber er ließ sich nicht verunsichern. „Weil ich täglich sehe, wie sein Bruder und sein Vater altern. Die Familienähnlichkeit wird häufig im Alter noch ausgeprägter.“

Castor sah ihn erstaunt an. „Überzeugend. Das merk ich mir, wenn Sie erlauben. Wir sollten uns häufiger Verwandte ansehen, wenn wir jemanden suchen!“

„Darf ich raten, warum er zur Fahndung ausgeschrieben ist?“ Salisch sah Paula an, die in diesem Büro die Herrin der Daten zu sein schien. Sie nickte gnädig. Selbst in ihren Augen hatte der Öko-Weinhändler inzwischen gewonnen. Man konnte doch sehr praktisch mit ihm arbeiten. „Wegen der Brandstiftung in Leipzig, im Büro eines Immobilienhändlers?“

„Genau“, bestätigte Paula, „der Brand konnte nicht unter Kontrolle gebracht werden. Er griff auf das Nachbarhaus über. Ein Kind starb an Rauchvergiftung. Zwei Frauen sprangen vor Angst aus dem Fenster. Eine starb später im Krankenhaus, die andere sitzt im Rollstuhl.“

„Der Rächer der Entrechteten wird zum Mörder. Die alte Frage, ob und wann der Zweck die Mittel heiligt.“ Hauptkommissar Castor sah nachdenklich von seiner Kollegin zu seinem Zeugen. „Wir sollten über dieses Muster nachdenken. Darüber, welche Spuren einer hinterlässt, der so denkt und handelt. Darüber, wo und wann er damit Erfolg haben kann. Und an diesem Ort werden wir Jakob Venn finden.“

3. „Ich fühle eine Armee in meiner Faust...“

Jakob Venn sah durch das kleine Fenster der Boing 737 auf die schneebedeckten Gipfel des Gotthard-Massivs hinunter. Ein leichtes Ziehen am Rande des Herzens nahm er zwar wahr, verdrängte es aber sofort wieder. Es hatte nichts mit seiner Gesundheit zu tun, es war ein Gefühl, das er nicht zulassen mochte. Das Gefühl von Heimweh und verlorener Geborgenheit. Dort unten in einem kleinen Bergdorf, nicht weit vom Vierwaldstätter See, hatte er mal einen Freund gehabt. Einen sehr guten Freund. Aber seit sich Jakob mit Leib und Leben der sozialen Gerechtigkeit verschrieben hatte, hatte er keine Lust mehr, darüber mit denen zu reden, die ihm am nächsten standen. Er hielt sich fern. Auch sein bester Freund hätte ihm Fragen gestellt, hätte Rechenschaft gefordert, hätte ihm wahrscheinlich erzählt, dass das Leben mehr sei, als die Erfüllung eines politischen Traums. Und so weiter, und so weiter. Eben all das, was die ewigen Kompromissler so sagen, um ihre Inkonsequenz zu beschönigen. Jakob Venn war konsequent und würde es bleiben, und wenn er daran zu Grunde gehen würde. Das Leben genießen, das mussten andere für ihn tun. Sein Freund da unten zum Beispiel.

Jakob stellte die Rückenlehne des Sitzes schräg und schloss die Augen. So hatte er das Gefühl, seine Länge von einsneunzig ein wenig ausstrecken zu können. Er flog schon lange nicht mehr in der ersten Klasse, da kannten ihn zu viele. Botschafter, Geschäftsleute, Minister des Landes, dem Jakob diente, kamen gerne mit ihm ins Gespräch. Sie hielten ihn für wichtig. Das war er in gewisser Weise auch. Und auf jeden Fall sah er so aus: Eleganter grauer Dreiteiler, hellblaues Hemd, dunkelblaue Krawatte. Die blond-grau melierten Haare auf wenige Millimeter geschnitten. Und am Hinterkopf sein persönliches Kennzeichen: Ein weißer Haarwirbel. Er war erst in den letzten Jahren aufgetaucht, lange nach dem er Deutschland verlassen hatte. Dort wussten sie nichts davon. In Algerien war das anders. Wer ihn kannte, konnte ihn schon von Weitem an dem weißen Fleck identifizieren. Allerdings nur, wenn Jakob es zuließ. Das hieß, wenn er in seiner natürlichen Identität unterwegs war. Ohne Verkleidung. Und das traf nur auf wenige Orte zu. Seinen Namen hatte er nicht geändert. Sein Vorleben kannte niemand in Algerien. Fast niemand. Ein Rechtshilfeabkommen gab es nicht. Und was er in Leipzig getan hatte, würde hier auf Bewunderung stoßen. Er hatte das Land seit zwölf Jahren nicht verlassen. Nur für diese Reise nach Deutschland hatte er sich falsche Papiere besorgt. Das war bei seinen Verbindungen kein Problem.

Monsieur Jakob Venn besaß im bürgerlichen Leben eine Kette von Foto-Labors in Algerien. Alle in bester Lage. Zwei allein in den Stadtteilen Hydra und El Mouradia. Hier wohnten Politiker- und Diplomatenfamilien. Der Präsidenten-Palast, das staatliche Fernsehen, die französische Schule für die Kinder reicher Leute lagen nah beieinander. Es war von großem Vorteil die Urlaubs-Fotos der Herrschaften zu entwickeln und zu studieren. Nicht jeder verbrachte seine Ferien in Europa mit dem angetrauten Partner. Nicht jeder, der vorgab, ein guter Moslem zu sein, lebte so enthaltsam wie er es von anderen verlangte. Wein und Whiskey machten auf manchen Fotos die Runde. Jakob Venn war kein Erpresser. Das hatte er gar nicht nötig. Er ließ sich seine Diskretion bezahlen, aber nicht mit Geld. Er verlangte Dienstleistungen. Beziehungen, die er selten für sich selbst nutzte. Er zwang einen Importeur von Milchpulver ein Waisenhaus kostenlos zu beliefern.

Nur Jakob konnte es schaffen, für verstoßene Frauen, die mit ihren Kinder auf der Straße lebten, ein Haus zu finden und es finanzieren zu lassen. Oder für vergewaltigte Mädchen wohlhabende Ehemänner zu organisieren.

Da in der islamischen Welt der Spender nicht genannt werden darf, da seine Gabe sonst vor Allah nicht mehr viel Wert ist, vollzogen sich auch die Wohltaten in aller Diskretion. Die Sache war so eingespielt, dass Venn nur noch selten persönlich auftauchte. Eine Notiz seines Büros genügte, ein Anruf, eine Mail, eine SMS. Mancher war dem Deutschen sogar dankbar, dass er ihm die Gelegenheit bot, sein moralisches Konto wieder aufzufüllen. Ein guter Christ, sagten viele seiner Kunden. Aber das war Jakob Venn nicht. Er war gegen alteingesessene Ordnungen, gegen Hierarchien jeder Art, staatliche, familiäre, kirchliche. Er war gegen das Muster von Oben und Unten, von Arm und Reich. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das wäre sein Schlachtruf gewesen, wenn man sich nicht heute damit lächerlich machen würde. Ein Hanswurst, der solches auch nur denkt.

Zu sehr waren soziale Ideale in den Verruf der Phantasterei geraten.

Außer bei denen, die Jakob Venn unter einem ganz anderen Namen kannten. Die ihn als Söldner angeworben hatten und schnell zu ihrem Kommandanten machten. Die seine wahre Identität mit ihrem Leben schützten. In seinem zweiten Leben war er ein Phantom, das an vielen Orten auftauchte und genau so schnell wieder verschwand. Er war Moussa Abou Moussa, dessen Gesicht noch nie jemand gesehen hatte, wenn man der Presse glauben durfte.

„Wie die Tageszeitung Al Sabah meldet, sind gestern in der Nähe der Grenzstation von El Oued vier Toyota-Geländewagen gestohlen worden. Die Fahrzeuge gehören der nationalen Ölgesellschaft. Die Wachen wurden mit Kalaschnikovs bedroht. Das ist bereits der siebte Überfall dieser Art in diesem Jahr. Von den Wagen und den Tätern fehlt jede Spur. Aus Sicherheitskreisen heißt es, die Diebstahl-Serie trage die Handschrift von Moussa Abou Moussa und seiner Bande. Moussa Abou Moussa wurde in der Sahara-Stadt Tamanrasset geboren, als Sohn eines Offiziers. Er selbst absolvierte den Wehrdienst und ließ sich anschließend zum Fallschirmspringer ausbilden. AMB besuchte Kurse an Militärakademien in Frankreich und den USA. Vor zehn Jahren desertierte er aus der Armee. Durch Raub und Entführungen soll er mittlerweile zum Millionär geworden sein. Sein Hauptquartier hat er nach Mali verlegt, wo die Familie seiner Frau lebt und wo er seinen Reichtum ungestört genießen kann. Moussa Abou Moussa kann offensichtlich mit seinen Männern die Grenzen überqueren wie es ihm gefällt. Niemand hält ihn auf und niemand sieht ihn. Es existiert kein einziges Foto von ihm. Niemand, der bestohlen wurde, hat ihn je persönlich gesehen. Sicherheits-Experten gehen davon aus, dass MAM für die Rechnung der Islamischen Brigaden arbeitet. Oder selbst Emir dieser Brigade ist.“

4. „Verzeihung sei seine Strafe...“

Hauptkommissar Castor und Oberkommissarin Pollux warteten in der Halle des Seniorenheims „Zum Hahnhof“ auf den Heimleiter. Die Dame an der Rezeption hatte sich auch angesichts der gezückten Dienstausweise standhaft geweigert, sie mit Herrn Venn senior bekannt zu machen.

Der Leiter des Heims, Siegfried Morgenthaler, bat sie in sein Büro. „Sie kommen wegen Daniel Venn?“

„Es geht um seine Nichte. Er ist der nächste lebende Verwandte der ermordeten Amelie zu Trauttberg. Wir haben niemand sonst ausfindig machen können und wir müssten ein paar Dinge in die Wege leiten.“

„Ich weiß nicht, ob ich ihm diesen Schock auch noch zumuten kann“, sagte Morgenthaler nachdenklich.

Castor und Pollux sahen ihn erstaunt an. „Was ist denn sonst noch passiert?“.

„Es passiert ständig was. Es vergeht kein Tag, an dem sein Sohn ihm nicht irgendwelche Hiobsbotschaften überbringt. All meine Versuche, seine Besuche zu unterbinden haben nichts genützt. Der alte Venn besteht darauf, alles zu erfahren. Die ganze Wahrheit, den vollen Becher, wie er sich ausdrückt. Aber er regt sich so auf, dass er keine Luft mehr bekommt. Zwei Herzattacken hat er schon überlebt. Und er wird immer schwächer. Viele Anfälle hält er nicht mehr aus. Aber was soll’s – er weiß bestimmt längst, dass die Trauttberg tot ist. Auf so eine Nachricht hat sein sauberer Herr Sohn sicher nicht verzichtet.“

„Was erzählt er ihm denn so?“

„Schauermärchen, wenn Sie mich fragen. Früher, da hat das wohl gestimmt, dass der andere, der Lieblingssohn vom Alten groß auf die Pauke gehauen hat. Schulden, Frauen. Er gab den Revoluzzer. Wollte den Robin Hood spielen im sozialen Dschungel. Aber seit Jahren ist Ruhe im Karton. Als er noch zu Hause auf dem Gut lebte, hat Daniel Venn in den letzten Jahren mehr darunter gelitten, dass er nichts von Jakob hörte. Gar nichts. Er war wie vom Erdboden verschluckt.“

„Und jetzt ist er wieder aufgetaucht?“ Castor hielt es inzwischen für möglich, dass Jakob Venn eine Art Phantom war. Allgegenwärtig, aber unsichtbar.

Siegfried Morgenthaler hielt den beiden Beamten eine schwere Glastür auf, die in einen Nebenflügel des „Hahnhofes“ führte. Er sah den Hauptkommissar nachdenklich an. „Nein, das kann man eigentlich nicht sagen. Jedenfalls habe ich ihn nicht gesehen.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739424064
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juli)
Schlagworte
Theater Baden-Württemberg Krimi Regional

Autor

  • Susanne Sterzenbach (Autor:in)

Die Autorin lebt seit vielen Jahren in Ludwigsburg, hat bisher vor allem Kinder-und Jugendromane veröffentlicht und ist im Hauptberuf Fernsehjournalistin.
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Titel: Mord auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigsburg