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Patchwork hoch - Die Serie

Sammelband 2

von Bianka Mertes (Autor:in)
372 Seiten

Zusammenfassung

Drei der beliebten Patchwork hoch Bücher in einer Serie vereint. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen. Erste Liebe, Verzweiflung und das Leben in einer Patchworkfamilie, da kommen viele Probleme auf unsere Protagonisten zu. Doch Probleme sind zum Lösen da und das versuchen die Mädels und Jungs in dieser Serie. Natürlich müssen sie dazu erst einmal ihre eigenen Gefühle in den Griff bekommen. Gefühle, vor denen sie das erste Mal in ihrem Leben stehen. Denn die Liebe schlägt manchmal wie ein Blitz ein und sich dagegen zu wehren fällt jedem schwer. In diesem Sammelband sind enthalten: Patchwork hoch Eins: Total verpeilt Patchwork hoch Fünf: Pure Verzweiflung Patchwork hoch Sieben: Chaos inklusive

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Bianka Mertes

Patchwork hoch – Die Serie

Sammelband 2

 

 

Prolog

Schon im Kindergarten war ich jemand, der nicht gut mit anderen klar kam. Doch ich dachte mir mit sechs Jahren, was soll es, in der Schule wird alles anders. Nur hatte mein noch sehr kleines verwirrtes Gehirn eins nicht bedacht. Alle, die mit mir in einer Gruppe waren, wurden auch mit mir eingeschult.

Und so begann mein Leben in der Schule, wie es schon im Kindergarten aufgehört hatte. Als Außenseiter.

 

Mein Name, Luisa. Ich bin ein Meter sechzig groß und mit meinen fast fünfzehn Jahren, na ja sagen wir, ziemlich gut gebaut. Oder wie andere es sagten, meine Problemzonen schienen sich irgendwie auf den ganzen Körper zu verteilen. Aber wie auch immer, in meiner Klasse, war und blieb ich der Mittelpunkt. Auch wenn das nicht gerade positiv gemeint war. Denn wie schon vorhergesehen, blieb ich auch dort nicht vor meinen lieben Mitschülern verschont.

»Verdammt gib her.« Wie eine Bekloppte lief ich meiner Tasche hinterher, die zwei Jungs aus meiner Klasse meinten, als Frisbee zu benutzen. Jedes Mal, wenn ich bei dem einen angekommen war, landete sie schon wieder bei dem anderen. Ich war schon völlig außer Puste, als es Gott sei Dank zum Unterricht läutete und sie die Tasche auf meinen Tisch warfen. Vielleicht sollte ich das nächste Mal einfach auf den Gong warten.

Okay, zu meiner Erklärung. Ich musste vor zwei Wochen die Klassenstufe wechseln, weil meine Eltern sich in den Kopf gesetzt hatten, dass ich das Schuljahr nicht packen würde. Ihre Meinung. Meine zählte nicht.

Zum guten Schluss wurde ich von der Neunten in die Achte zurückgesetzt. Mitten im Schuljahr, echt klasse. Wer das kennt, dem brauche ich wohl nicht zu erzählen, dass man am ersten Tag schon mit Bauchschmerzen in die Schule geht.

In meiner alten Klasse war ich ja bereits die größte Außenseiterin aller Zeiten und ich dachte, na ja, vielleicht hatte es auch etwas Gutes zu wechseln. Aber, Pustekuchen. Als hätte ich das Wort ›Außenseiter‹ auf meine Stirn tätowieren lassen, ging es dort direkt weiter. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ich meinen Mund nicht aufbekam. Oder, doch an den zwanzig Kilo zu viel, die ich auf den Rippen hatte? Ich denke es lag eher an beidem. Ansonsten war ich eigentlich sehr aufgeschlossen, hatte dunkle lange Haare, braune Augen und wie die anderen immer sagten, ein Gesicht wie ein Hefekuchen.

Toll, echt toll.

Wenn ich mir eins vorgenommen hatte, war es, dass ich die anderthalb Jahre noch durchzog, und mit einem guten Abschluss, diesen Sauhaufen verlassen würde. Also ließ ich mich normalerweise nicht auf solche Spielchen wie eben ein. Doch zu allem Überfluss waren in der Tasche nicht nur meine Hausaufgaben, die ich heute unbedingt abgeben musste, sondern auch noch eine Flasche O-Saft, die durch das hin- und herwerfen, geplatzt war.

Ernüchtert nahm ich das triefende Heft aus meiner Tasche, in dem die Aufgaben standen. Ich brauchte diese Note unbedingt. Sollte ich noch einmal mit einer schlechten nach Hause kommen, gäbe es wahrscheinlich die Hucke voll.

Ich versuchte, noch zu retten, was man konnte, trotz allem war die Tinte so sehr verlaufen, dass es eher einem Aquarell, als meinen Hausaufgaben glich. Meine Tischnachbarn sahen erst auf das Heft und dann auf mich und schüttelten nur die Köpfe. Okay, das war zu viel für heute. Tränen schossen in die Augen und als würde das nicht reichen, betrat auch schon unser Lehrer das Klassenzimmer. Er sah heute echt mies gelaunt aus. Toll, auch das noch.

Mein Magen drehte sich um hundertachtzig Grad und ein Knoten, so dick wie eine Apfelsine, schnürte mir die Kehle zu.

Ohne ein Wort und nur mit Handzeichen wies er mich darauf hin, dass ich meine Arbeit abgeben sollte. Prima Auftakt in den Tag. Von rechts hörte ich »Arme Socke« und von links »Erkläre es ihm«.

Zu allem Überfluss musste ich dazu sagen, dass ich trotz allem, was sie mir antaten, kein Kameradenschwein war. Natürlich taten die warnenden Blicke der zwei Typen das Übrige. Aber wahrscheinlich hätte ich auch so nichts gesagt, denn wie schon erwähnt, bekam ich kaum die Zähne auseinander. Schlimmer als mal wieder eine Auseinandersetzung mit meinen sehr strengen Eltern und einer Sechs für die Hausarbeit konnte es ja nicht werden.

Mit rasendem Herzen und feuchten Händen zwang ich mich unter den Blicken meiner Mitschüler zum Pult des Lehrers, der bereits die Hand nach meinen Aufgaben ausstreckte. Ich zitterte wie Espenlaub, als ich ihm das Heft überreichte. Zu allem Überfluss machten es mir meine doch so lieben Klassenkameraden auch nicht besonders leicht. Sie verfielen in schallendes Gelächter, nachdem der Lehrer erst mein Heft und dann mich fragend unter die Lupe nahm.

Ich hatte mich getäuscht, es konnte noch schlimmer werden. Selbst der Versuch, meinem Lehrer eine Erklärung zu liefern, ging voll daneben. Nein, ich durfte sogar beim netten Herrn Direktor, in seinem Büro, den schönen blauen Stuhl ausprobieren.

Knallrot, mit zitternden Beinen, ohne Worte, ohne vernünftige Erklärung und vor allem ohne Hausaufgaben. Aber wenigstens der Stuhl war bequem. Den Tag konnte ich auf jeden Fall als totalen Reinfall in meinem Tagebuch notieren. Hätte sich ein Loch vor mir im Erdboden aufgetan, ich wäre dankbar darin versunken.

Auch in den nächsten Tagen besserte sich kaum etwas. Der einzige Lichtblick, wenn ich das Klassenzimmer betrat, war dieser süße Kerl, der mir schon am ersten Tag aufgefallen war. Nicht dass er irgendein Interesse an mir kundgetan hätte, aber er hatte etwas an sich, dass mich in Träumereien verfallen ließ.

Da ich ganz hinten saß, hatte ich einen besonders guten Blick auf ihn. Da wurden sogar Hausaufgaben und Co zur reinen Nebensache. Natürlich nur, wenn er nicht auch zu denjenigen gehören würde, der nichts Besseres zu tun hatte, als sich ein Opfer zu suchen.

Also hieß es wieder einmal Zähne zusammenbeißen und durch. Das Problem war nur, dass mein Herz sich etwas anderes in den Kopf gesetzt hatte und jedes verdammte Mal, wenn ich ihn ansah, einen Luftsprung machte.

Wenigstens wurden meine Noten besser, auch wenn meine Sachen noch immer als Punchingball verwendet wurden.

Zu Hause lief das dann ungefähr so ab. Essen, Hausaufgaben, Haushalt helfen, Tracht Prügel, Essen und Bett. Freizeit hatte ich zwar auch aber eben alleine. Als Außenseiterin hatte man da nicht die große Auswahl, mit wem man um die Häuser zog. Sollte ich doch mal die Nase voll haben, Stöpsel ins Ohr, Musik auf volle Lautstärke und einfach in die Natur marschieren. Alles vergessen, und von besseren Zeiten träumen. Das half wenigstens für kurze Zeit alles zu unterdrücken, auch wenn mich die Gegenwart schneller wieder einholte, als mir lieb war.

Endlich war das achte Schuljahr vorbei und die Ferien fingen an. Andere fuhren in Urlaub, unternahmen etwas mit ihren Freunden oder Familien und ich, na ja, wieder die Stöpsel ins Ohr. Das wurde langsam aber sicher zu einem unausweichlichen Hobby.

Aber da gab es auch noch etwas anderes, wofür ich die Ferien nutzte. Ich hatte mich fest dazu entschlossen, ein paar Kilos purzeln zu lassen. Gut und schön, nur wie. Also hatte ich tagelang nichts gefuttert, auch wenn ich wusste, dass das ungesund war, aber ich musste zugeben, dass es mir nicht mal schwerfiel. Die ganze Zeit zu Hause zu verbringen, hatte mir wortwörtlich den Appetit verdorben. Und zu guter Letzt hatte es gewirkt. Nach und nach zeigte meine Waage immer weniger an. Bis zum neuen Schuljahr hatte ich bereits zehn Kilo weniger auf den Hüften. Von achtzig Kilo auf siebzig Kilogramm, fehlten nur noch zehn. Das war das, was ich mir fest vorgenommen hatte.

Auch wenn es dann so war, wie ich vermutet hatte, dass meine Mitschüler anscheinend blind dafür waren. Denn auch in dem neuen Schuljahr änderte sich nichts. Außenseiterin blieb eben Außenseiterin. Aber vielleicht hatte ich mich ja einfach nur getäuscht und es lag gar nicht an meinem Übergewicht? Wie auch immer, ich hatte keine Ahnung, warum sie ausgerechnet mich ausgesucht hatten.

Doch zu meiner Überraschung wurde ich jetzt im Sportunterricht nicht immer als letzte gewählt und zudem noch von dem süßen Kerl.

Ein Lichtblick, dachte ich. Haha, aber nicht in diesem Universum. Ich hatte etwas getan, was mir nie aufgefallen wäre, hätte ›mein Süßer‹ mich nicht darauf aufmerksam gemacht.

»Die ist doch total in mich verschossen. Die lacht immer dann, wenn ich es auch tue, und starrt mich die ganze Zeit nur dämlich an.« Okay. Der Schuss ging völlig nach hinten los. Meine Schmetterlinge verflogen und anstelle hatte sich mein Herz gerade in einen eiskalten aber riesigen Stein verwandelt. Mein Magen drehte sich unaufhörlich, wobei mein Mittagessen bereits an meinem Zäpfchen spielte.

Unfähig auch nur ein Wort zu sagen, ließ ich es zu, dass sie sich mal wieder aus einem anderen Grund über mich lustig machen konnten. Ich weiß, ich war halt eine Idiotin. Doch auch danach mochte ich ihn noch immer. Wieso? Weil mein Herz sich partout in den Kopf gesetzt hatte ›den oder keinen‹. Dabei war mein Kopf schon viel weiter als mein Herz.

Dann kam die Klassenfahrt, auf die ich nicht mitwollte. Langweilen konnte ich mich schließlich auch zu Hause. Doch meine Eltern bestanden darauf, unter Androhung von Prügel natürlich. Nette Eltern? Jupp, durch und durch. Wahrscheinlich wären sie noch froh, wenn mein Lehrer mich dort irgendwo im Wald vergessen hätte.

Gut, das würde ich wahrscheinlich auch noch irgendwie überleben. Einfach den anderen aus dem Weg gehen, dachte ich mir. Leider kam es natürlich anders. Mit meinen ›besten Freundinnen‹ in einem Zimmer konnte ja nichts mehr schiefgehen. Da fragte man sich nur noch, wer all meine Klamotten verschwinden lassen hatte?

Nachdem ich sie dann aus einem Mülleimer gefischt hatte, ging es schnurstracks zur Wanderung. Tolle Sache, wenn man den Weg kannte und nicht gerade als Außenseiter abgestempelt war. Sie hatten bestimmt eine tolle Zeit, als sie im Wohnheim angekommen waren und ich noch immer den Weg suchte.

Trotz Blasen an den Füßen kam ich schließlich dann doch irgendwann heil an. Juhu. Endlich etwas in den Magen. Und wieder Pustekuchen. Ich war zwar da, aber zu essen gab es nichts mehr. Die Küche hatte schon geschlossen, schließlich war es auch kurz vor Mitternacht. Egal, ich hatte ja eh vor abzunehmen.

War ich froh, als es hieß ›Abreise‹, das kann sich keiner vorstellen.

Noch ein halbes Jahr durchstehen und endlich nicht mehr als Außenseiterin gelten.

 

Da ich jedoch nicht jeden einzelnen miserablen Tag meiner Schulzeit vor euch ausbreiten möchte, denn sonst könntet ihr auch meine Tagebücher lesen, springe ich zur Zeugnisvergabe.

 

Ja, tatsächlich hatte ich es geschafft und meinen Abschluss in der Tasche. Jetzt gab es nur noch eins, dass ich hinter mich bringen musste. Die Abschlussfeier.

Man hatte recht, wenn man dachte, warum ist sie überhaupt dahingegangen, aber ich hatte einen verdammt guten Grund. Der wichtigste in meinem Leben.

Wahrscheinlich der letzte Moment, an dem ich ›meinem Süßen‹ begegnen würde. Auch wenn ich die eineinhalb Jahre nichts erreichen konnte, wollte ich wenigstens einen letzten Versuch starten. Nur gucken. Denn für mehr blieb mir auch keine Zeit. Zwei Stunden hatten meine Eltern mir erlaubt. Zwei Stunden, in denen man nicht mal Zeit zum Essen, geschweige denn für mehr gehabt hätte. Vor allem, wenn man diese zwei Stunden auch noch allein herumsaß.

Ich brauchte gar nicht hoffen, dass sie sich verspäten würden, denn pünktlich wie die Maurer standen sie dann auch da mit ihrem Auto und holten mich ab. Auch wenn sich unsere Blicke zum Abschied, den ich gerade noch so über meine Lippen brachte, trafen, war meine Zeit um. Auch jetzt hatte ich bei ›meinem Süßen‹ keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine Zeit, der ich nachtrauerte, obwohl ich mich eigentlich freuen sollte.

Ich hatte meinen Abschluss und einen Lehrvertrag sollte ich am nächsten Tag unterzeichnen. Ich wollte unbedingt im Gastrogewerbe lernen. Also hatte ich mich schon in dem letzten halben Jahr, in dem die anderen nur Unsinn im Kopf hatten, darum bemüht. Und es hatte geklappt. Günstig von der Arbeitszeit und nicht in der Nähe meines Zuhauses. Was natürlich am besten war, mich kannte dort keiner und vielleicht hatte ich ja auch mal Glück und würde nicht mehr als Außenseiterin angesehen. Meine Stirn hatte ich jedenfalls vorher kontrolliert.

 

Der nächste Tag. Stolz wie Oskar fuhr ich mit meinem Fahrrad zur Unterzeichnung des Vertrages. Natürlich war ich nervös und keiner konnte mir erzählen, dass er es nicht war. Noch ein kleines Gespräch bei einer Cola. Die Leute unheimlich nett. Netter, als ich es mir hätte wünschen können. Die Gaststätte genau nach meinen Vorstellungen eingerichtet. Also fackelte ich nicht lange, bevor mir noch jemand meine Stelle wegschnappen konnte. Zufrieden unterzeichnete ich den Vertrag, den nun noch meine Eltern zu Hause unterschreiben mussten, und ließ den Kugelschreiber fallen, als ›mein Süßer‹ Tim, als ihr Sohn vorgestellt wurde. Unter Schnappatmungen versuchte ich, mich wieder zu beruhigen, doch mein Herz raste so schnell, dass ich das Blut in meinen Ohren bereits rauschen hören konnte. Wann zum Teufel hatte der Himmel eigentlich einmal Gnade mit mir?

Moment mal, fiel es mir dann plötzlich wie Schuppen von den Augen. Ich hätte den jetzt erneut drei Jahre an der Backe? Drei Jahre, auf die ich mich auf einmal nicht mehr so freute. Auch wenn ich ihn angehimmelt und eigentlich bereits damit abgeschlossen hatte, schwante mir Schlimmes. Zu allem Überfluss sollte er das Geschäft einmal übernehmen und war natürlich ebenfalls Lehrling im elterlichen Betrieb.

Damit hatte es sich wohl erledigt, dass mich keiner kannte. Und unwillkürlich erschien der unsichtbare Schriftzug ›Außenseiterin‹ wieder auf meiner Stirn. Dreckig grinsend nahm er sich eine Cola und verschwand. Klasse. Ich freute mich schon auf meine drei Jahre Lehrzeit.

 

 

Kapitel 1 Schlimmer geht immer

Bis zum ersten Tag meiner Lehre hatte ich es wenigstens geschafft, die restlichen zehn Kilo zu verlieren. Cool, wenn man bedachte, dass es außer meinen Eltern wahrscheinlich nie jemandem auffallen würde. Wenn es meine Eltern denn interessieren würde.

Es war klasse, wenn man schon am ersten Arbeitstag mit Bauchschmerzen erschien, das sollte man unbedingt mal ausprobieren. Vor allem, wenn man kerngesund war.

Na super.

Nervös trat ich meiner neuen Chefin gegenüber, die mich freundlich in Empfang nahm.

»Deine Sachen kannst du hier im Umkleideraum lassen und wenn du dich umgezogen hast, komm bitte zur Theke, dann gebe ich dir eine kleine Einweisung«, sagte die nette Frau, die ab jetzt meine Lehrherrin war. Ich schätzte sie um die vierzig, was man ihr aber nicht direkt ansah. Sie war groß, blond, trug eine Brille und war wahnsinnig attraktiv. Also das komplette Gegenteil von mir. Neben ihr wirkte ich eher wie eine kleine nichtssagende Kreatur. Aber sie behandelte mich wenigstens nicht als Außenseiterin. Schon mal ein großer Pluspunkt.

Ich tat, was sie sagte, schloss meine Sachen in einen der Spinde, zog mir schnell die schwarze Hose und weiße Bluse an, und die hellblaue Vorbindeschürze mit dem Logo der Gaststätte, über und ging zur Theke, an der sie bereits auf mich wartete.

Nach und nach wies sie mich in die Getränke und meinen Aufgabenbereich ein. Okay verstehen, war noch nie mein Problem, also hatte ich in kürzester Zeit alles kapiert.

Dann war die Küche dran, wo bereits zwei Köche ihr Unwesen trieben. Es roch herrlich hier und ich musste aufpassen, nicht alleine vom Geruch wieder zehn Kilo zuzulegen. Dann waren die Toiletten und die Gästezimmer dran. Ich kannte alles bereits wie meine eigene Westentasche, dass ihr sichtlich imponierte.

»Zuerst teile ich dich für die Gästezimmer ein. Die sind, neben des Essen, das Aushängeschild unseres Betriebes. Aber ich denke, das wird für dich kein Problem sein. Wenn alles gut läuft, kannst du als Nächstes mit an den Thekenbereich und die Gäste bedienen.« Sie lächelte mich freundlich an.

»Vielen Dank, ich werde Sie sicherlich nicht enttäuschen.«

»Wenn ich den Eindruck von dir gehabt hätte, wärst du heute nicht hier«, gab sie wieder freundlich zurück.

Ich glaubte, zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich gerade Anerkennung bekommen. Ich war total aus dem Häuschen und musste aufpassen, nichts Dummes zu plappern. Jedenfalls war ich so happy wie in meinem ganzen Leben noch nicht.

»Meinen Sohn kennst du ja bereits.« Schon sank mein Pegel an der ausgelassenen Freude in den Keller.

Er betrat grinsend das Gästezimmer und lehnte sich gelassen gegen den Türrahmen. Meine Stimmung veränderte sich nicht unbedingt, weil er es war, sondern, weil ich dieses Grinsen bereits zu gut kannte. Ich nickte ihm nur zu, denn mehr hätte ich eh nicht rausbekommen. Zudem wollte ich ihm keinen Grund für dumme Kommentare geben.

»Wer hätte gedacht, dass wir uns so wiedersehen«, meinte er schließlich und grinste noch breiter, als seine Mutter weg war und mich den Zimmern überließ. Ich wusste nicht genau warum, aber irgendwie legte sein freches Grinsen plötzlich bei mir einen Schalter um, der jahrelang eingerostet zu sein schien. Es kamen tatsächlich Worte aus meinem Mund. Und die waren nicht einmal nett gemeint.

»Ja, wer hätte das wohl gedacht«, gab ich nur schnippisch zurück und funkelte ihn böse an.

»Wow, was war das denn gerade? Du kannst ja sprechen.« Sein dreckiges breites Grinsen brachte mich zur Weißglut. Das hatte ich mir lange genug gefallen lassen. Und so nahm ich endlich einmal allen Mut zusammen.

»Ich kann auch noch ganz andere Sachen, wenn du mich weiter so dumm anmachst.« Es platzte einfach so aus mir hinaus. Wahrscheinlich hatte sich über die Jahre genug Frust aufgebaut, der jetzt unbedingt an die Oberfläche wollte. Nur leider konnte man meine Worte auch zweideutig verstehen, was mir erst viel zu spät auffiel. Und er nahm natürlich die zweite Variante. Knallrot sah ich zu, wie er an mich herantrat und seinen Mund an mein Ohr führte.

»Na ja, jetzt habe ich leider keine Zeit, aber das können wir gerne später ausprobieren.«

Zuerst war ich total verdattert und schloss nur noch die Augen in meiner Panik. Doch das änderte sich schnell, als er wieder einen Schritt von mir wegtat.

Okay, genug für heute, mein Körper war bereits mit Gänsehaut übersät und ich hatte absolut keine Lust mehr auf diese dämlichen Spielchen, aus der Vergangenheit.

»Ja, sicher träum weiter«, gab ich nervös zurück und schubste ich ihn von mir weg. Er lachte nur kurz auf und wedelte mit der Hand.

»Bis später dann.« Ich konnte nur ungläubig mit dem Kopf schütteln und musste mich einen kurzen Moment auf das Bett setzen, was ich eigentlich für den nächsten Gast fertigmachen sollte. Mein Herz raste wie wild, wobei meine Beine gerade wie reinster Pudding waren.

Wieso zum Teufel bekam ich auf einmal den Mund auf? Wenn ich das schon in der Schule gemacht hätte, wäre mir vielleicht einiges erspart geblieben. Aber nein, der Schalter musste ja ausgerechnet jetzt erst betätigt werden. So ein Mist.

Ich schaffte die Zimmer in der vorhergegebenen Zeit und meine Chefin war sichtlich beeindruckt, nachdem sie jedes einzelne kontrolliert hatte. Also wenigstens dazu taugte ich etwas. Nun hieß es, weiter sauber machen. Erst die Toiletten und dann den Bereich des Gastraumes. Für die Küche waren die Kochlehrlinge zuständig.

Die Toiletten hatte ich schnell hinter mich gebracht und war auch im Gastraum ziemlich fix unterwegs, als ich das Gefühl bekam, mich würde jemand beobachten. Ich sah zur Theke herüber und da saß kein geringerer als Tim und schluckte gerade in großen Zügen eine Cola herunter.

»Buh«, machte er, als sich unsere Blicke trafen. Na klar, meine Knie schlotterten vor Angst. Phhh, eingebildeter Affe. Unbeachtet putzte ich weiter den Boden, bis er plötzlich neben mir auftauchte.

»Also jetzt gerade hätte ich Zeit. Wenn du weißt, was ich meine.« Wieder dieses freche Grinsen im Gesicht.

Genervt drehte ich mich zu ihm um und zeigte ihm, eine Hand in die Hüften gelegt, den ausgestreckten Mittelfinger.

»Genau das meine ich.« Er nahm meinen Finger und wackelte damit hin und her. Okay, es reichte. Ich merkte, dass ich ein wenig rot anlief und darauf hatte ich absolut keinen Bock. Gehässig lächelnd drehte ich mich um, griff nach dem Wassereimer und goss ihn über ihn in aller Seelenruhe aus. Jetzt musste ich zwar noch einmal wischen, aber das war es mir wert. Stinksauer schlug er mir den Eimer aus der Hand, sagte noch ein paar ›nette‹ Worte und dackelte schließlich triefnass ab. So gut hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Auch wenn ich bereits eine Ahnung hatte, dass er das nicht auf sich sitzenlassen würde. Doch in dem Moment war mir das so was von egal. Dieses Gefühl der Übermacht war einfach herrlich. Jetzt wusste ich zumindest, wie die anderen sich immer gefühlt hatten.

»Bist du vielleicht bekloppt.« Was? Wer redete denn da? Ich blickte auf meine linke Schulter und glaubte zu spinnen. Da saß ein Teufelchen und feilte sich gerade genüsslich seine Nägel. Wie von Sinnen versuchte ich, es von meiner Schulter zu wischen, doch es lachte mich nur aus.

»Vergiss es, so leicht bekommst du mich nicht mehr los.« Ich musste echt Hallus haben, denn so was passierte doch normalerweise immer nur in Filmen, oder?

»Also gut, du Schlaumeier. Und wieso bin ich jetzt bekloppt?«

»Du hättest mit ihm in die Kiste hüpfen sollen. Wer weiß, ob du so eine Gelegenheit noch einmal bekommst.« Okay, anscheinend drehte ich gerade durch. Ich redete mit einem kleinen durchtriebenen Teufel, den ich mir eindeutig nur einbildete.

»Lass sie in Ruhe. Genau das hätte sie eben nicht machen sollen.« Erschrocken blickte ich auf meine rechte Schulter und bereute es im nächsten Augenblick schon wieder. Da hatte es sich ein Engelchen bequem gemacht und zeigte mit erhobenem Zeigefinger auf den Teufel.

Oh Gott, anscheinend musste ich mir den Kopf gestoßen haben und hatte es nicht einmal bemerkt.

Komplett daneben blendete ich die zwei Kreaturen aus, versuchte mich, während ihrer Debatte, auf meine Arbeit zu konzentrieren und das Wasser wieder zu beseitigen.

Nur ahnte ich nicht, dass mein Chef alles aus der Küche mitangesehen hatte. Hochrot wollte ich zu ihm, mich entschuldigen und irgendeine Verteidigung hervorzaubern. Schließlich kippte wahrscheinlich nicht alle Tage jemand einen Eimer Wasser über seinen Sohn. Doch zu meiner Überraschung stand er im Kücheneingang und klatschte auch noch Beifall. Hä? Ich kapierte überhaupt nichts mehr.

»Endlich mal einer, der ihm die Leviten liest«, gab er lachend von sich.

Ich lachte ebenfalls kurz, aber ungläubig, und dachte schon darüber nach, wer mir half, wenn Tim zum Gegenschlag ansetzte. Wenn ich eins gelernt hatte, dann, dass er sich das sicherlich nicht gefallen ließ.

Okay, anscheinend ließ er an diesem Tag wohl doch noch einmal Gnade vor Recht ergehen, denn nichts passierte. Und auch diese zwei Figuren auf meinen Schultern hatten sich Gott sei Dank verzogen. Also zog ich mich nach getaner Arbeit wieder um und dackelte zu meinem Fahrrad. Ich freute mich schon, nach Hause zu kommen und todmüde in mein Bett fallen zu können. Bis ich dann auf meinem Drahtesel saß und die platten Reifen bemerkte. Alles klar, dass Wort ›Gnade‹ kam wohl nicht in seinem Wortschatz vor. Prima, endlich konnte ich heute mal meine Füße betätigen.

 

Sehr gut. Mit eineinhalb Stunden Verspätung und einer Standpauke meiner Eltern fiel ich endlich hundemüde ins Bett. Nach gefühlten fünf Minuten klingelte der Wecker. Oh Gott, zurück in die Arena.

Also anziehen, noch schnell Luft in meine Reifen pumpen und dann nix wie ab. Das Frühstück zu Hause hatte ich total vergessen und fuhr mit knurrendem Magen zu meiner Arbeitstelle.

Als Nächstes wieder ein breites Grinsen, auf dass ich lieber verzichtet hätte und der Kommentar ließ auch nicht lange auf sich warten.

»Guten Morgen. Gestern gut heimgekommen?« Ich atmete genervt aus und sah ihn verschlafen an.

»Ja klar, warum auch nicht.«

Ich dachte schon, Schachmatt. Blödsinn, er konnte es einfach nicht lassen.

»Ich dachte schon, du läufst dir die Schuhe durch«, meinte er und grinste breiter als breit. Mein Schalter reagierte.

»Wenn du mir jetzt weiter auf den Keks gehst, lernst du heute richtig schwimmen.« Ehrlich gesagt hatte ich mit einer anderen Reaktion gerechnet. Aber es kam mal wieder anders.

»Ich hätte nichts dagegen, wenn du mit mir nackt Baden gehst.« Stöhnend ließ ich den Kopf hängen und atmete einmal tief durch, um mich zu beruhigen. Dieser Kerl hatte wirklich für jeden Topf einen passenden Deckel. Sogleich schossen mir Bilder in den Kopf, die ich lieber angeekelt wieder weg schüttelte.

»Okay, und wer will dein Elend sehen?«, konterte ich noch selbstbewusst.

»Ich kann mich an Zeiten erinnern, da wäre es dir sogar recht gewesen.« Mir stockte der Atem und ich hatte gerade das Gefühl, in einem falschen Film zu sein.

Mit provozierendem Blick kam er näher an mich heran und das ging mir langsam echt auf den Kittel. Auch wenn er nicht unrecht hatte. Aber das Elend wollte ich mir trotz allem ersparen.

»Weißt du was? Wenn du erwachsen bist, können wir noch einmal darüber reden.« Ich ließ ihn einfach mit entsetztem Blick stehen, schloss mein Fahrrad ab, in der Hoffnung diesen Abend nicht laufen zu müssen, und begab mich in den Umkleidebereich. Unaufgefordert ging ich nach dem Umziehen in die Gästezimmer und machte mich an meine Arbeit. Aber wenn man denkt, es könnte nicht schlimmer kommen… na ja, es konnte.

Ich war gerade dabei, im zweiten Zimmer das Bett zu machen, als ich plötzlich von hinten geschubst wurde und der Länge nach auf der Matratze landete. Nur mit Mühe konnte ich mich noch herumdrehen, um zu gucken, wer der Übeltäter war, auch wenn ich bereits eine Ahnung hatte, wer es sein könnte. So schnell wie derjenige auf mir lag, konnte ich gar nicht reagieren, zudem hatte ich mich in meiner Annahme gründlich getäuscht. Mit großen Augen blickte ich in ein männliches Gesicht um die fünfzig. Er stank fürchterlich aus dem Mund und wollte mir andauernd mit seiner ekelhaften Zunge durch mein Gesicht lecken. Bah, igitt, wie ekelhaft. Er war verdammt schwer, total besoffen und ich hatte keine Kraft, ihn von mir wegzuschieben. Also nahm ich das einzige Werkzeug, das ich zur Verfügung hatte. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib und hoffte, dass mich jemand hörte.

»Jetzt stell dich doch nicht so an, meine kleine Knuspermaus«, gab er von sich und sabberte herum.

»Ich stell mich an, wann ich es will und ich bin keine Knuspermaus«, versuchte ich, ihm klarzumachen und ihn erneut von mir zu drücken. Seine Zunge kam gefährlich nah.

»Okay, dann eben mein Schneckchen?«, lallte er herum.

»Bah, ist ja ekelhaft, runter von mir.«

»Och, komm schon, wie wäre es denn mit …«, überlegte er krampfhaft, und hielt meine Arme fest, mit denen ich nach ihm schlug.

»Runter«, schrie ich noch lauter, wobei ich immer mehr in Panik geriet. Ich hatte solche Angst, dass ich kaum noch anständig Atmen konnte.

»Ach, ich weiß, meine kleine Wildkatze.« Er leckte mir über die linke Wange, doch bevor er weitermachen konnte, wurde er auf einmal mit voller Wucht von mir runtergerissen.

Erleichtert sah ich auf, konnte aber niemanden erkennen, denn der dickliche Mann verdeckte denjenigen mit seinem Körper.

»Sie ist vielleicht eine kleine Wildkatze, aber mit Sicherheit nicht deine.« Den Kinnhaken, den er verpasst bekam, konnte ich sogar hören. Angewidert wusch ich mir seinen Sabber aus dem Gesicht und nahm die Hand, die mir gereicht wurde. Erst jetzt realisierte ich, wer mir da zur Rettung kam. Total verdattert sah ich in seine braunen Augen, die mich merkwürdig musterten.

»Ist alles in Ordnung mit dir?« Erst seine verärgerte Stimme brachte mich in die Realität zurück.

»Ja«, bekam ich merkwürdig kleinlaut heraus. Der Kampfgeist, den ich eben noch hatte, war wohl irgendwie gerade auf Reisen. Doch viel Zeit zum Überlegen hatte ich nicht. Schon kamen auch seine Eltern in den Raum und sahen sich die Misere an, die er angerichtet hatte und auf mich. Ich kam mir gerade wie ein Ausstellungsstück in einem Geschäft vor.

»Er hat sie angegriffen und wollte sich gerade über sie hermachen. Also guckt nicht so verärgert drein.« Er versuchte, sich zu verteidigen, als hätte er irgendwas Falsches gemacht. Nur verstand ich nicht, warum ausgerechnet er mir geholfen hatte.

»Oh man, geht es dir gut?« Seine Mutter sah mich so entgeistert an, während sie sich zu mir setzte, dass ich leicht lächeln musste.

»Ja mir geht es gut.«

»Ich ruf die Polizei. Der Kerl gehört hinter Gitter«, rief ihr Mann, der schon sein Handy gezückt hatte.

»Ich glaube, das war Aufregung genug für einen Tag. Ich denke, wir sollten dich nach Hause schicken.« Das besorgte Gesicht von seiner Mutter ließ mir keine Ruhe. Ich war okay. Mir war nichts geschehen, auch wenn ich diesen fürchterlichen Atem wahrscheinlich noch in hundert Jahren riechen würde. Trotzdem zitterte mein Körper noch immer wie Espenlaub.

»Nein, geht schon. Ich mach weiter.« Verständnislose Blicke von Tim und seiner Mutter. Okay, verständlich? Wenn die wüssten, was mich zu Hause erwarten würde, wenn ich zu früh kam. Da blieb ich lieber bis zum Schluss.

»Gut, aber wenn irgendetwas sein sollte, bestehe ich darauf, dass du nach Hause gehst, verstanden? Und du weichst ihr heute nicht mehr von der Seite«, wandte sie sich an ihren Sohn.

Tim stand da mit offenem Mund, wollte was erwidern, aber die Worte blieben ihm, beim erhobenen Zeigefinger und festem Blick seiner Mutter, im Hals stecken. Nur ein böser Blick in meine Richtung als Antwort. Toll, als hätte ich darum gebeten. Aber ich wusste, dass ich mich wenigstens noch bei ihm bedanken musste.

»Danke«, bekam ich schließlich heraus, nachdem seine Mutter das Zimmer verließ und die Polizei herein begleitete.

»Das habe ich nicht für dich getan, also bilde dir nichts ein. Ich wollte nur nicht, dass der arme Kerl Albträume wegen dir bekommt.« Er verschränkte mit zusammengekniffenen Augen die Arme vor der Brust.

Ich musste in mich hineinlachen. Wieso konnte er es nicht zugeben? Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Kerl. Aber ich spielte sein Spielchen mit.

»Okay, dachte ich mir schon.«

»Dann ist es ja gut.« Noch ein böser Blick und er verließ das Zimmer. Dummer Kerl. Auch wenn ich froh war, dass er mir geholfen hatte, war und blieb er ein Blödmann.

Nach kurzer Befragung durch die Polizei durfte ich dann endlich zurück an meine Arbeit, doch bei jedem Bett, das ich machte, zitterten meine Hände und ich hatte das Gefühl, als wenn gleich wieder einer auf mich springen würde.

»So gut wie du tust, geht es dir wohl doch nicht«, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir und schrak zusammen. Bis ich realisierte, wer mit mir redete, stand Tim bereits neben mir und musterte mich argwöhnisch. Okay, ihm schien nicht entgangen zu sein, dass ich mich noch immer unwohl fühlte.

Er riss mir die Bettwäsche aus der Hand und zog mich aus dem Raum.

»Hey, was soll das? Ich habe doch schon gesagt, dass es mir gut geht und außerdem muss ich meine Arbeit noch fertig machen«, protestierte ich und versuchte, mich aus seinem Griff zu lösen. Wenn er verflucht noch mal nicht so stark wäre.

»Bist du nicht ganz dicht im Oberstübchen? Deine Hände zittern wie Espenlaub und du schreckst bei jedem Geräusch zusammen. Also sag mir nicht, dass du in Ordnung bist.« Er blieb ruckartig stehen und sah mich böse an. Oder besorgt? Nein böse, eindeutig böse.

»Grrr«, knurrte ich laut, »lass mich endlich los.« Mit der freien Hand versuchte ich, seine zu lösen, was allerdings absolute Zeitverschwendung war.

»Nein«, brüllte er mich an.

Mein Gesicht verzog sich zu einem »Du Arschloch«-Gesicht und ich versuchte erneut, mich mit aller Kraft loszureißen. Und ich musste zugeben, dass ich echt nicht geglaubt hätte, meine Hand wenigstens ein paar Millimeter zu bewegen, aber es klappte. Tim lachte kurz auf, verdrehte die Augen, machte einen Ruck mit seiner Hand und ich landete total verdattert an seiner Brust. Wow, im ersten Moment blieb mir der Atem weg, eine wirklich nette Brust. Ich fing mich aber ziemlich schnell, zwar zu schnell für meinen Geschmack, aber ich fing mich und versuchte erneut, ihn wegzuschieben. Haha, netter Versuch, doch je mehr ich mich wehrte, umso näher zog er mich an sich heran. Okay, schließlich gab ich auf. Widerstand zwecklos.

»Du bist echt doof. Ich an deiner Stelle wäre ja freiwillig an seiner Brust hängen geblieben.« Oh man. Wieder hatte ich den Teufel persönlich auf meiner linken Schulter sitzen. Doch diesmal lutschte er genüsslich an einem Lolli, anstatt sich einer Maniküre zu unterziehen.

»Jetzt lass sie endlich in Ruhe, du gemeines Ding. Nicht jeder ist so ein Lustmolch wie du«, mischte sich jetzt auch noch der Engel ein.

Okay, es reichte, ich hatte die Nase gestrichen voll, sollten die beiden sich doch einen anderen Platz für ihre Plauderei aussuchen und nicht meine Schultern.

Ich spürte, wie Tim mich noch näher an sich drückte, wobei mein Herz einen gewaltigen Satz machte, bevor es zu rasen begann. War ja klar, dem gefiel es, so dicht an ihm zu kleben. Aber ich hörte auch noch einen Herzschlag und da ich mir ziemlich sicher war, nicht schwanger zu sein, blieb nur Tims. Und wenn ich mich nicht verhörte, schlug es ebenfalls etwas schneller als normal. Ne Blödsinn, das konnte nicht sein, lachte ich in mich hinein.

»Ich bringe dich nach Hause. Das mit dir hat heute keinen Zweck«, murmelte er und schob mich so schnell von sich, als hätte er gerade einen riesigen Fehler gemacht. Okay ich war vielleicht nicht die Traumfrau schlechthin, aber trotzdem musste er es ja nicht so deutlich demonstrieren, oder? Aber ich wusste auch, dass er recht hatte. Ich war nicht ich selbst. Wahrscheinlich würde ich heute mehr falsch, als richtig machen, also gab ich mich geschlagen.

»Okay«, bekam ich wenigstens noch kleinlaut heraus, bevor er mich zum Umkleideraum zog.

»Zieh dich um, ich sage meinen Eltern nur kurz Bescheid.« Schon war er verschwunden. Selbst jetzt zitterten meine Finger noch. Und gerade als ich versuchte, meine Jacke zuzuknöpfen, tauchte er wieder auf. Mit einem Helm in der Hand. Hatte er jetzt auch noch Angst, dass ich mir den Kopf stoßen könnte?

Ich fingerte noch immer nervös an meiner Jacke herum, doch die Knöpfe wollten einfach nicht in ihr Loch. Tim schüttelte genervt den Kopf, kam zu mir und übernahm diesen Part. Ich ließ es geschehen, auch wenn ich nicht genau wusste warum.

»Fertig«, meinte er schließlich, nachdem er den letzten zugeknöpft hatte, und sah mich ziemlich merkwürdig dabei an. Ich wusste, dass ich mir ziemlich gern Sachen einbildete, aber dieser Blick hatte etwas, etwas ›Liebevolles‹? Ich drehte wahrscheinlich gerade am Rad. Niemals. Thhh.

»Komm«, befahl er schon fast und ich trottete hinter ihm her. Vor einem Roller blieben wir stehen und er reichte mir den Helm. Hä? Ich auf diesem Ding? Mit ihm? Niemals, ich war doch nicht lebensmüde. Ich schüttelte energisch den Kopf und drückte ihm den Helm in die Hand.

»Stell dich nicht so an, ich weiß, wie man fährt.« Okay, mochte ja sein, aber ich war keine normale Person.

»Ich bin eine kostbare Fracht und ich setze mich bestimmt nicht zu dir auf dieses Ding. Außerdem brauche ich morgen mein Fahrrad.«

Was nicht mal gelogen war. Er lachte, und zwar mich nicht ›an‹.

»Welche kostbare Fracht? Hast du einen Goldschatz in deiner Tasche?« Okay, das war unterhalb der Gürtellinie. Ich kam auch allein nach Hause. Sauer drehte ich mich um, ließ den Helm, den er ja nicht an sich nehmen wollte, auf den Boden fallen und ging zu meinem Rad.

»Hey, bist du noch ganz dicht?« Wahrscheinlich regte er sich gerade wegen seines Helms so auf, aber das ging mir am Hintern vorbei.

Wie eine Bekloppte fingerte ich mit zitternden Händen an dem Schloss herum. Wenn ich nicht so zittern würde, hätte ich es schon zehnmal aufgehabt. Schließlich gelang es mir, aber irgendjemand wagte es, das Schloss wieder einrasten zu lassen. Grrr. Stocksauer drehte ich mich um und stampfte wütend auf dem Boden auf. Schließlich war ich froh, es gerade geschafft zu haben.

»Was fällt dir eigentlich ein?«

»Das könnte ich wohl eher dich fragen«, konterte er und begutachtete den blöden Helm von allen Seiten. Ich verschränkte sauer die Arme vor der Brust und lachte kurz verständnislos auf.

»Das Ding scheint dir eh wichtiger zu sein, als ich. Also lass mich jetzt endlich in Ruhe.« Der böse Blick, den er mir entgegenbrachte, ging mir unter die Haut. Ich wusste zwar nicht, ob wegen des Helms oder meiner Aussage, aber er hatte Wirkung auf mich.

»Los komm jetzt und keine Widerrede. Ich musste es meinen Eltern versprechen und da werde ich mich wohl kaum widersetzen.« Aha, daher wehte also der Wind. Und ich hatte schon Hoffnung, er würde sich vielleicht mal Sorgen um jemanden machen. Oh man, wie konnte man nur so dämlich sein.

»Ich habe es meinen Eltern versprochen. Die hauen mich sonst«, äffte ich ihn nach und wendete mich beleidigt ab.

»Hey, verarsch mich nicht.« Er zog mich am Arm zu sich ran und sah mich sauer an. Ich verzog meine Miene zu einem »Selbst Schuld« und dachte mir den Rest. Ich glaube, das gefiel ihm nicht so ganz.

»Okay, wenn du es nicht anders haben willst.« Mit einem Ruck hob er mich einfach hoch, trug mich zu seinem Roller, setzte mich drauf und stülpte den Helm über meinen Kopf. Ich hatte nicht mal Zeit zum Protest. Dann setzte er sich vor mich und ohne weitere Warnung, startete er dieses Ding und fuhr los. Durch den plötzlichen Ruck wäre ich beinahe nach hinten runtergefallen. Aus Angst hielt ich mich an seiner Jacke fest und er hatte nichts Besseres zu tun, als meine Hände zu nehmen und sie sich um seinen Bauch zu legen. Geschockt blickte ich auf seinen Rücken.

»Halt dich richtig fest, sonst verliere ich vielleicht doch noch meine kostbare Fracht«, schrie er gegen den Wind und lachte laut los.

Arschloch. Doch weil ich nicht unbedingt sterben wollte, tat ich es, auch wenn ich über den Fahrtwind hinweg noch mein eigenes Herz pochen hören konnte.

Selbst wenn ich es nicht gern zugab, musste ich sagen, dass er ein guter Fahrer war. Auf jeden Fall kamen wir heil bei mir zu Hause an. Moment mal, woher wusste der überhaupt, wo ich wohne?

Schließlich hielt er die Maschine, stellte sie aus und stieg ab. Dann nahm er mir den Helm vom Kopf und sah mich herausfordernd an.

»Na, lebst ja noch.« Er lachte. Haha, sehr witzig. Ich verdrehte die Augen und stieg von diesem Ding und überlegte schon, wie ich morgen zur Arbeit kommen sollte.

»Ich hole dich morgen früh ab, dann kannst du abends wieder mit deinem Rad fahren«, kam er mir meiner Frage zuvor.

Er zwinkerte mir zu und wollte gerade seinen Helm wieder anziehen, als meine doch so lieben Eltern aus dem Haus gestürmt kamen. Oh Gott, bitte hab Erbarmen. Nicht vor ihm. Bitte.

Doch mein Stoßgebet wurde wie immer nicht erhört. Sie machten mich so richtig schön rund und das vor Tim. Natürlich durfte auch eine Ohrfeige nicht fehlen, die mein Vater mir gern und oft verpasste. Und ein paar nette Wörter, die ich hier nicht wiederholen möchte, waren auch noch dabei. Danke lieber Gott, dass du nie da warst, wenn ich dich brauchte.

Tim stand nur da und versuchte, noch immer zu verstehen, was gerade geschehen war, da zogen mich meine Eltern schon ins Haus. Ach, hätte ich fast vergessen, natürlich durfte er mich am nächsten Tag nicht abholen, schließlich wollte meine Mutter keine Schlampe großziehen.

Ich wusste nicht, wie lange er da noch sprachlos gestanden hatte, doch als ich endlich in mein Zimmer durfte, von wo ich auf den Hof gucken konnte, war er weg.

Mir liefen die Tränen und mein Herz war schwer wie Stein. Ich konnte ziemlich viel aushalten, musste ich ja bis jetzt auch, aber das alles vor ihm zu machen, war ziemlich überflüssig. Und mit einem Mal hatte ich Angst, am nächsten Tag zur Arbeit zu gehen. Ich würde abermals zum Gespött und zur allseits bekannten Außenseiterin mutieren. Mein Leben war ein Haufen Schrott. Ich hätte zu gern gewusst, was er in diesem Moment gedacht hatte. Er kam ja nicht mal dazu, zu erklären, warum er mich heimgebracht hatte. Und ich übrigens auch nicht, das war in dieser Familie Nebensache. Aber vielleicht war es auch ganz gut so, sonst hätten sie mich nicht mal meine Ausbildung beenden lassen. Schlimmer geht eben immer.

 

 

Kapitel 2 Wohl oder übel

Nachdem ich die Nacht gut überstanden hatte und mein Vater es nicht für nötig hielt, mich zur Arbeit zu fahren, musste ich wohl oder übel laufen. Also hieß es noch früher aus den Federn als sonst.

Meine Wange tat noch immer weh und war über Nacht angeschwollen, aber überschminken ging auch nicht. Absolutes Schminkverbot. Klasse. Ich war jetzt fast siebzehn und kannte Kosmetika nur aus der Werbung und aus dem Laden.

Ich hatte von meiner Tante einmal einen kleinen Probelippenstift geschenkt bekommen. Eine schöne Farbe übrigens, leicht Rosé. Oh Gott, war das ein Theater. Eine Woche durfte ich keine Musik hören, war auch das einzige, dass sie mir nehmen konnten. Aber die Ohrfeige hatte auch gesessen.

Ich glaube, ich war mittlerweile so abgehärtet, was das betraf, ich spürte die nicht mal mehr. Nur gestern war es eine komplett andere Situation. Zum ersten Mal hatte es jemand mitbekommen. Und dann noch jemand, den ich eigentlich sehr gern hatte. Okay, kein Grund zum Heulen, er konnte mich ja eh nicht leiden.

Ich war gerade eine halbe Stunde unterwegs, da fing es, wie aus Kübeln, an zu regnen. Natürlich hatte ich keinen Schirm, dumme Frage. Und noch fast eine Stunde Fußmarsch vor mir. Also wenn ich nicht klitschnass ankommen wollte, musste ich wohl oder übel einen Platz finden, an dem ich mich unterstellen konnte.

Da kam mir die Bushaltestelle ganz recht. Nix wie rein ins Trockene bis der Bus kam, durch eine Pfütze fuhr und alle Versuche, nicht nass zu werden, mit einem KLATSCH vergebens waren. Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf. Wieso musste so was auch immer mir passieren?

Frustriert ließ ich mich auf der Bank nieder und hoffte wenigstens, dass der Regen bald nachlassen würde, auch wenn es momentan nicht danach aussah. Es wurde allmählich kalt durch die nassen Klamotten. Ich zitterte schon, also zog ich meine Beine an und legte müde meinen Kopf auf die Knie. Am liebsten wäre ich so geblieben. Nichts sehen und nicht gesehen werden. Doch das Glück wurde mir leider nicht zu teil. Wieso auch? War ja schließlich ich.

»Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?« Moment mal, die Stimme kannte ich doch und die gehörte einer Person, der ich heute am wenigsten begegnen wollte. Trotzdem hob ich langsam meinen Kopf. Lachend sah er mich an und streckte mir den Helm entgegen. Ich schluckte. Er hatte doch gestern live miterlebt, was geschah, wenn ich mit ihm erwischt werden würde, also warum?

»Komm schon, ich beiße nicht.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, konterte ich ein wenig unsicher. Er lachte laut los und wurde im nächsten Moment ernst, als er einen Blick auf meine Wange warf.

»Kommt die kostbare Fracht jetzt, oder will sie lieber hier versauern?« Wieso sagte er nichts zu der geschwollenen Wange? Hatte er etwa Angst, mich blamieren zu können? Ich lachte innerlich. Feigling, sprich es doch einfach aus. Nicht nur in der Schule eine Außenseiterin.

»Habe ich eine Wahl?« Tränen traten mir in die Augen. Verdammt, wieso ausgerechnet jetzt?

»Man hat immer eine Wahl.« Er stieg ab, kam zu mir, hob leicht mein Gesicht an und begutachtete meine geschwollene Wange.

»Und welche Farbe hat sie jetzt?«, meinte ich bitter.

Irgendwie tat es weh, dass er so nett zu mir war. Der alte Tim war mir gerade eindeutig lieber.

»Machen die das öfter?« Er sah mich jetzt so ernst und mitleidsvoll an, ich hielt es einfach nicht mehr aus. Es war mir megapeinlich und mein Herz schmerzte. Also sah ich keinen anderen Ausweg und stellte auf stur.

»Ich weiß nicht, wovon du redest. Also ich geh schon mal vor, wir treffen uns dann da. Bis später.« Mitleid war das Letzte, was ich jetzt brauchte. Und schon gar nicht von ihm.

»Jetzt hilft er dir mal und du bist auch nicht zufrieden?« Ich verdrehte nur die Augen, als das Teufelchen mich kopfschüttelnd ansah.

»Sie hat doch wohl schon genug durchgemacht, warum machst du ihr jetzt noch Vorwürfe?« Der Engel sah ihn wütend an und er hatte nichts Besseres zu tun, als ihm die Zunge herauszustrecken.

Na ja, wenigstens da hatte das Teufelchen ausnahmsweise einmal einen Punkt. Tim versuchte, mir zu helfen, aber wahrscheinlich war ich gerade innerlich so kaputt, dass ich es nicht zu schätzen wusste.

»Hey, ist okay, schließlich geht es mich auch nichts an«, meinte Tim schließlich, zog mich zurück und schob mich zum Roller.

»Stimmt. Es geht dich nichts an. Mein Leben geht keinen etwas an.« Ich setzte mich aber schließlich auf den Roller, denn sogar die Lust am Laufen war mir vergangen. Und nass käme ich so oder so da an. Da war es egal wie.

Er sagte nichts mehr, stieg auf und fuhr los.

Schließlich kamen wir auch beide klitschnass vor der Gaststätte zum Stehen. Ich zitterte bereits am ganzen Leib. Es war wirklich saukalt.

»Geh schon rein und zieh dir was Trockenes an.« Ich musste innerlich lachen. Der Typ war echt der Hammer.

»Ja klar, ich habe auch meinen ganzen Kleiderschrank hier bei euch geparkt.« Ich legte den Kopf schief und sah ihn fragend an.

»Warte, ich komme schon.« Tim schob seine Maschine ins Trockene und kam dann zu mir, nahm mal wieder meine Hand und zog mich mit sich. Die warme Luft, die mir innen entgegenschlug, tat wahnsinnig gut. Aber wohin brachte er mich eigentlich? Wir gingen eine Treppe im privaten Bereich hoch und blieben vor einer Zimmertür stehen.

»Das ist mein Zimmer und hat noch kein Mädchen zu Gesicht bekommen, also benimm dich«, meinte er grinsend, wartete aber keine Antwort ab und zog mich einfach mit rein.

»Setz dich«, bot er mir seinen Schreibtischstuhl an.

Okay, aber so nass wie ich war, blieb ich lieber stehen. Er hatte ein schönes Zimmer. Das erste Jungenzimmer in meinem Leben, das ich sehen durfte. Oh Gott, wenn das jetzt meine Eltern wüssten.

Plötzlich kam ein Handtuch angeflogen und ich fing es erschrocken auf. Verdattert sah ich ihn an.

»Trockne dich erst mal ab, sonst wirst du noch krank an deinem dritten Arbeitstag.« Doch das war gar nicht der Grund, warum ich so verdattert dreinschaute. Er stand vor mir, ein Handtuch um den Hals geschlungen, und zwar nur das Handtuch. Sein T-Shirt hatte sich wohl in Luft aufgelöst. Mein Herz machte einen gewaltigen Luftsprung. Verräter. Und trotzdem kam ich mir bescheuert vor, ihn so anzustarren, und meinem Gesicht verlieh es die Farbe Rot, passend zu meiner Wange. Klasse. Schnell drehte ich mich weg, um wenigstens noch ein bisschen Würde zu wahren, auch wenn davon schon lange nichts mehr übrig war. Ich hörte, wie er kurz auflachte.

»So schüchtern? Oder gefällt dir vielleicht nicht, was du gerade gesehen hast?« Die Stimme so nah hinter mir, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte. Mein Gehirn setzte fast komplett aus, aber mein Herz und meine Gänsehaut waren absolute Verräter, mit denen ich noch ein ernstes Wörtchen reden musste.

»Ich … ich habe nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt.« Moment mal, was plapperte mein Mund denn da gerade? Noch ein Verräter. Auch ohne, dass ich ihn sehen konnte, wusste ich, dass Tim grinste. Oh man.

»Und warum drehst du dich dann rum?« Sein Ernst? Wirklich?

»Weil es sich nicht gehört!?« Ich wusste nicht mal, ob ich eine Antwort gab oder eine Frage stellen wollte. Er machte mich so was von nervös, ich hantierte sogar schon mit meinen Fingern rum.

»Sagt wer?« Doch in dem Moment, in dem ich antworten wollte, drehte er mich zu sich herum und sein Blick … Oh Gott, ich glaubte, sterben zu müssen. Wenn ich nicht so verdammt nervös gewesen wäre, hätte ich vielleicht auch einen Ton heraus bekommen. Und dann strich der mir auch noch eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Jetzt war Ende. Jetzt bekam ich mein Zittern gar nicht mehr unter Kontrolle. Mein Herz machte, was es wollte und meine Beine gehörten mir schon lange nicht mehr.

Er nahm das Handtuch, das er mir zugeworfen hatte und legte es über meine nassen Haare. »Du erkältest dich wirklich noch«, gab er ernst von sich und rubbelte langsam.

Sein Blick. Ich hatte das Gefühl, als würde meiner an seinem festkleben. Wieso fiel es mir gerade so schwer, zu atmen, und was bewegte sich da in meinem Bauch? Schmetterlinge? Panik? Auf jeden Fall ein Gefühl, dass ich nicht unter Kontrolle halten konnte.

»Ich … ich kann das alleine.« Wieso stotterte ich eigentlich?

»Sicher?«, meinte er und grinste leicht.

»Wieso stellst du mir eigentlich immer eine Frage?« Ich hibbelte nervös hin und her.

»Weil du gerade so süß aussiehst, man könnte den Eindruck bekommen, als wäre ich der erste Kerl, mit dem du allein bist«, konterte er und schmunzelte.

Okay, das Stichwort. Mein Stichwort, um mich total in eine Tomate zu verwandeln. Verlegen fingerten meine Finger an dem Handtuch und meine Augen schauten auf den Boden. Peinliche Situation? Ja und wie. Man könnte auch sagen, er hatte den Nagel aber so was und mit voller Wucht auf den Kopf getroffen. Und in dem Moment war mir klar, dass ich nichts mehr sagen musste.

»Ist das dein Ernst?« Auch wenn ich ihn nicht ansah, wusste ich durch die Art der Frage, dass er mich entsetzt anguckte. Und auf einmal stellte sich mein Schalter wieder auf Abwehr.

»Jetzt tu nicht so, als wüsstest du nicht, dass ihr mich in der Schule nicht mal mit dem Arsch angeguckt habt. Im Gegenteil, ihr habt mich bloßgestellt, wo es nur ging. Und du …« Ich lachte kurz gehässig auf. »Du warst ja wohl auch nicht besser. Nein, du hattest nicht Besseres zu tun, als meine Schwärmerei für dich ins Lächerliche zu ziehen. Okay, vielleicht bin ich keine Traumfrau, aber auch ich habe Gefühle. Ich könnte mich heute noch Ohrfeigen, wenn ich daran denke, dass ich mich in dich verknallt hatte.« Ich war so in Rage, dass ich nicht mal merkte, was mein Mund alles von sich gab. Bis er grinsend vor mir stand. Um Himmels willen, hatte ich das etwa gerade alles laut gesagt?

»Also hatte ich damals doch recht«, meinte er schließlich und grinste noch breiter.

Ich versuchte, Luft zu bekommen. Irgendwer hielt mir die Kehle zu. Aber leugnen brachte wohl auch nichts mehr.

»Und wenn schon«, kam es mir kleinlaut über die Lippen. Und mein Blick war wieder auf dem schönen Laminatboden gefesselt.

Er lachte nur kurz. Toll. Ich hatte mich gerade voll zum Deppen gemacht.

»Und wie ist es jetzt?« Er hob langsam mein Gesicht an und sah mich komisch an.

»Was … was soll jetzt sein?« Tim zog einen Mundwinkel zu einem schelmischen Grinsen hoch. Oh, bitte tu das nicht, das macht mich noch nervöser.

»Bist du noch immer in mich verknallt?«

Und wieso flüsterte der jetzt. Menno. Jetzt hatte ich absolut nichts mehr unter Kontrolle.

»Warum sollte ich?«, konterte ich und reckte trotzig mein Kinn, was ihn nur noch mehr grinsen ließ.

»Okay, dann hast du ja nichts zu befürchten.« Hä, wie?

»Was nicht zu befürchten?«

Er sah mich nachdenklich aus verengten Augen an, ließ mich los und meinte schließlich: »Das sage ich dir später einmal.«

Ich verstand gar nichts mehr. Er ging zum Schrank und warf mir ein paar Klamotten entgegen und wies mit dem Kopf auf eine Tür.

»Geh dich umziehen. Wenn du Fieber bekommst, hängen sie mir das noch an.«

Er zwinkerte. Okay, auch wenn ich normalerweise nicht blöd war, verstand ich absolut nichts mehr. Ich war total überfordert und mein Gehirn resignierte. Zudem ließen Engelchen und Teufelchen einmal keinen blöden Kommentar ab. Wow. Also ging ich mich lieber umziehen, als mir meinen Kopf noch weiter zu zerbrechen.

Als ich zurückkam, hielt er die Tür zu seinem Zimmer auf und überließ mir den Vortritt.

»Aber hiergegen sollten wir was machen, bevor sich noch die Gäste erschrecken.« Er strich mir so sanft über meine Wange, dass ich erschrak und mein Herz trotzdem einen Sprung machte. Mistding.

 

»Wie ist das denn passiert?«, wollte seine Mutter wissen, nachdem er sie gebeten hatte, es mit Make-up etwas zu vertuschen. Ich konnte doch nicht sagen, dass mein Vater das war.

»Das war meine Schuld.« Der würde doch jetzt wohl nicht…

»Ich habe ihr den Helm entgegengeworfen, und wie es aussieht falsch gezielt.« Erleichtert atmete ich aus. Bis eben hatte er noch lässig im Türrahmen gestanden, doch nach diesen Worten war er plötzlich verschwunden. Er hatte mir tatsächlich gerade geholfen. Vielleicht war er doch nicht so schlecht, wie er sich immer gab.

»So fertig.« Meine Chefin legte den Pinsel zur Seite.

»Und was sagst du, sieht man doch kaum noch«, meinte sie stolz und begutachtete ihr Werk.

Ja, äußerlich sah man wirklich nichts mehr, doch innerlich war ich noch genauso hässlich wie vorher. Meine Wunden und Narben würden nie verschwinden.

Ich hatte keine andere Wahl, als jeden Abend wieder in die Höhle des Löwen zu spazieren. Ich war gerade siebzehn und hatte meine Lehre angefangen. Es lagen noch drei Jahre vor mir, an denen ich wohl jeden Tag für etwas bestraft wurde, worum ich nie gebeten hatte.

Geboren worden zu sein.

Drei Jahre und dann wäre ich vielleicht endlich frei. Ich wäre in der Lage, mein eigenes Geld zu verdienen, mir eine eigene Wohnung zu suchen und ordentlich an meinem Selbstbewusstsein zu feilen. Vielleicht würde ich einen netten Mann kennenlernen und mir könnte keiner mehr etwas vorschreiben.

Doch bis dahin würde ich mich anstrengen, ein besserer Mensch zu werden. Jemand, zu dem man aufsehen konnte. Jemand, den auch Tim gernhaben könnte.

Drei verdammt lange Jahre, in denen ich wohl oder übel jeden Tag in mein Gefängnis zurückkehren müsste.

 

 

Kapitel 3 Doof bleibt Doof

Drei Tage lang wurde mein Gesicht von meiner Chefin mit dem Pinsel bearbeitet, bis fast nichts mehr von dem Schlagabtausch meiner Eltern zu sehen war. Auch wenn sie keine Wunder vollbringen konnte, sah ich wenigstens wieder passabel aus. Okay, ein Schönheitschirurg wäre auch zu teuer gewesen.

Die Arbeit machte mir Spaß, das nach Hausegehen weniger. Blieb nur noch dieser komische Vogel von Tim, der mich mit seinen ›netten‹ Aktionen immer wieder auf die Palme brachte. So auch heute wieder.

Die Zimmer waren gemacht, die Toiletten und der Gastraum sauber. Dachte ich zumindest.

»Ups«, hörte ich schon das Unheil auf mich zurollen.

Ups? Jetzt mal im Ernst, wie hätte ich darauf reagieren sollen, wenn sich nach einer Stunde vom Schrubben schon Blasen an meinen Händen bildeten und ich dann mitbekomme, wie so ein Depp nichts Besseres zu tun hatte, als ein Fass anzuschlagen. Mit dem Ergebnis, dass Bier in alle Himmelsrichtungen spritzte und sogar vor den schön dekorierten Fenstern keinen Halt machte, geschweige denn vor mir. Eingelegtes Hühnchen, grrr. Geil, oder? Ich hätte ihn am liebsten in seine Einzelteile zerlegt. Vor allem das freche Grinsen, dass er dabei aufgelegt hatte. Ey, echt mal, ging gar nicht. Mein Schalter von zufrieden auf ›Sturm‹. Sein Grinsen noch breiter. Okay, Schalter schoss auf ›Krawall‹.

»Sag mal, gehts noch? Ich war gerade fertig.« Mein böser Blick sollte ihm eigentlich Warnung genug sein, doch irgendwie sah er ihn wohl als regelrechte Einladung an. Auf jeden Fall holte er den Schrubber und drückte ihn mir in die Hand.

»Ich glaube, du hast da noch einige Stellen vergessen.«

Der hatte echt den Knall nicht gehört. Was zum Teufel hatte ich in meinem Leben verbrochen, dass der Kerl meinte, er könnte mit mir anstellen, was er wollte? Vor allem, wie schnell konnte der sein Wesen ändern?

Also gut, da ich sowieso gerade auf hundertachtzig war, dachte ich, eine Tracht Prügel könnte nicht schaden, holte mit dem Schrubber aus, zielte und mein Chef kam um die Ecke. Na klasse, der hatte mir gerade den ganzen Tag versaut. Tims breites Grinsen wurde noch breiter und ich glaubte, auf seiner Schulter gerade mein Teufelchen sitzen zu sehen.

»Was ist denn hier passiert?«, wollte mein Chef natürlich wissen.

»Das Fass ist geplatzt und sie weigert sich, mir zu helfen.«

Und diesmal grinste nicht nur er, sondern auch das Teufelchen. Verdammt, dieser Mistkerl.

Mein Chef guckte fragend von einem zum anderen und ich dachte gerade noch, okay das war es, heute werden Überstunden geschoben, doch zu meinem Erstaunen, Pustekuchen.

»Du hast es verbockt, also machst du auch sauber.« Er nahm mir den Schrubber ab und drückte ihn Tim in die Hand.

Haha, der Himmel kannte also doch so was wie Erbarmen.

»Aber …«, wetterte Tim.

Sein Blick sagte mir »na warte, dich kriege ich auch noch anders dran«. Meiner »dann versuch es doch«. Ich wusste nicht, dass man sogar mit Blicken einen Schlagabtausch führen konnte.

»Ich brauche sie heute in der Küche. Unser Küchenlehrling ist krank und du weißt, dass ich dann allein in der Küche bin. Also wenn ich gleich wiederkomme, ist hier sauber, verstanden?« Knurrend machte Tim sich an die Arbeit und ich kann gar nicht sagen, wie gut das tat, hihi. Ein echtes Hochgefühl. Bis ich meinem Chef in die Küche folgte.

Okay, ich dachte, mich trifft gerade ein Vorschlaghammer, nachdem ich hinter ihm die Küche betrat. Ich hatte mich schon auf ein wenig Unordnung eingestellt, doch was da wirklich auf mich wartete, übertraf meine schlimmsten Vorstellungen. Hatten die hier eine Party gefeiert? Aufräumen komplette Fehlanzeige. Das Geschirr stapelte sich bis unter die Decke, der Boden sah aus, als hätten sie eine Schlacht geschlagen und der ganze Müll wurde einfach liegengelassen. Nur schien es auch Tote gegeben zu haben, denn überall auf dem Boden lag Blut verteilt. Mein Lustpegel stürzte auf unterdurchschnittlich.

»Unser Lehrling hat sich gestern Abend in die Hand geschnitten und hat geblutet wie ein Schwein, aber da ich mit ihm noch die halbe Nacht im Krankenhaus verbracht habe, kam ich hier zu nichts.«

Okay, erklärte wenigstens das Blut.

»Es wäre also nett von dir, wenn du hier ein wenig Ordnung schaffen könntest, ich muss das Essen gleich vorbereiten. Zu allem Überfluss habe ich jetzt noch einen wichtigen Termin mit einem Kunden. Ich weiß echt nicht, wo mir gerade der Kopf steht. Eigentlich sollte Tim mir gestern die Arbeit abnehmen, aber der hatte wohl eine Verabredung und war plötzlich verschwunden.« Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

Und das war wohl eine dezente Aufforderung, mir den Schrubber erneut zu schnappen. Meine Schultern hingen soweit durch, dass sie schon fast die Füße erreichten.

Na ganz klasse. Tim machte sich aus dem Staub und ich konnte sehen, wie ich das Chaos wieder richtete.

»Haha«, hörte ich vom Gastraum her das höhnische Lachen von Tim. Genervt rollte ich mit den Augen.

Okay, der Tag war eindeutig gelaufen. Putzen, spülen und ein nervender Kerl. Eindeutig zu viel und eine Seite im Tagebuch, die man besser leer ließ. Auch wenn ich mir sicher sein konnte, dass seine kleine Rache noch nicht gestillt war.

Aber anscheinend hatte ich mich getäuscht. Nichts ahnend, wie schnell die Zeit verging, wurde der Feierabend, ohne weitere Vorkommnisse, eingeläutet. Sehr zur Freude meines Egos. Gerade auf dem Weg zum Umziehen kam mein Chef mir in die Quere.

»Ich danke dir, dass du dich bereit erklärt hast, mir beim Aufräumen noch zu helfen. Es ist schwierig, wenn man allein in der Küche steht und zu nichts anderem kommt, außer zum Kochen. Ich weiß das wirklich zu schätzen, obwohl du eigentlich schon Feierabend hast und normalerweise keine Überstunden machen darfst. Ich muss jetzt noch zum Steuerberater, also schaffe ich das leider nicht mehr. Dafür darfst du dann an einem anderen Tag früher gehen, versprochen«, meinte er und strahlte über das ganze Gesicht.

Hä? Was? Wer? Wieso? Bitte wann …? Ein Lichtblick erhellte mich. Okay, man konnte eine Rache auch ausüben, ohne sich die Finger selbst dreckig zu machen. Ich war nicht nur doof, sondern auch noch dämlich.

Also wieder zurück aufs Schlachtfeld. In der Küche klappte mir der Unterkiefer herunter. Wie war es bitte möglich, in einer kurzen Zeit aus einem blitzblanken Raum ein Desaster zu machen?

»Ich bin im Moment alleine.« Mein Chef kratzte sich verlegen am Hinterkopf, als er meine fragende Gestalt erblickte. Alles klar, dann mal los. Ich würde das irgendwie bis morgen früh in den Griff bekommen. Ja klar, in meinen Träumen.

»Damit es nicht zu spät für dich wird, hilft dir noch jemand.«

Wahnsinn, echt zuvorkommend von meinem Chef. Ich freute mich. Nein ich freute mich absolut und so was von gar nicht. Tim stand plötzlich vor mir und sah mich herausfordernd an. Stresspegel auf äußerst genervt.

»Er soll mir helfen?«, fragte ich, blickte meinen Chef erstaunt an und hoffte, dass er Erbarmen mit mir hatte. Trügerische Vorstellung, als hätte schon einmal einer Erbarmen gehabt, vor allem mit mir.

»Na, umso schneller seid ihr fertig.« Und das meinte der auch noch vollkommen ernst. Ja klar, wenn der wüsste. Und schon verzog er sich.

Ich stand allein mit diesem Typen in der Küche und hoffte, dass er wenigstens jetzt mal mit anpackte, da sah ich, wie der sich etwas zu Essen machte und sich gemütlich an eine Theke stellte und das Essen rein schaufelte. Okay, jetzt schlug es dreizehn. Hintern rein, Brust raus und auf in den Kampf. Wenn der selbst beim Essen nicht so verführerisch aussehen würde. Oh man, ich hatte den totalen Schaden. Der könnte was erleben. Und dann lächelte der mich auch noch richtig liebevoll an. Jetzt wusste ich nicht mal mehr, was ich eigentlich tun wollte. Grrr, ich bekam noch einen zuviel. Der wickelte mich mit seinen Gesten um den kleinen Finger und ich bekam es nicht einmal mit. Also machte ich mich allein ans Werk. Ich weiß, ich war ein kleines bisschen Plemplem. Aber so hatte eben jeder seine kleinen Schwächen. Obwohl das bei mir schon eine riesige war, die langsam auszuarten schien. Na ja, irgendwann, nachdem ich schon fast fertig war, stand er auf, und hob ein Stückchen Papier auf, dass ich wohl in der Hektik übersehen hatte, warf es in den Müll und wischte sich symbolisch den Schweiß von der Stirn.

»Puh, endlich geschafft.« Meine Kinnlade berührte fast den Boden, mein Wutpegel erhöhte sich ins Unermessliche und meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ab und zu, reichte es mir auch. Ich holte aus, bereitete mich vor, ihm einen Kinnhaken zu setzen und …

Was machte der denn jetzt? Kam auf mich zu, blieb kurz vor mir stehen und streckte die Hand nach mir aus, meine Faust ganz außen vorgelassen. Strich mir sanft über das Gesicht, einmal, zweimal. Mein Bauch verkrampfte sich, mein Herz raste, meine Beine zitterten. Oh Gott, bitte lass ihn nicht aufhören. Mein Kopf verweigerte seinen kompletten Dienst. Mein Schalter stellte auf ›Genuss‹ um.

»Du hast da etwas Dreck im Gesicht. Vielleicht solltest du das nächste Mal lieber einen Lappen und nicht dein Gesicht zum Saubermachen nehmen.«

Mein Gehirn registrierte überhaupt nicht, was er gerade von mir wollte und ich schloss schon erwartungsvoll die Augen. Bis er mich schließlich mit einem Fingerschnippen auf meine Stirn und lautem Gelächter in die Wirklichkeit zurückholte.

»Was hast du gerade gedacht, was ich machen würde?«

Lachte der mich etwa gerade aus? Zu meiner Verteidigung, es dauerte eine Weile, bis ich in dem hier und jetzt angekommen war.

»Was? Ich weiß nicht, was du meinst.«, versuchte ich hochrot, abzulenken. Man, dieser Kerl war aber auch gut.

»Rede dir das einfach weiter ein«, gab er schelmisch grinsend von sich.

Doch anstatt das er mich einfach in Ruhe in meiner Verlegenheit zergehen ließ, kam er wieder auf mich zu. Ich wich natürlich zurück, denn selbst ich war nicht so blöd, zwei Mal darauf hereinzufallen. Aber irgendwann stand ich mit dem Rücken an einer Arbeitsplatte und Ende. Okay, das war wahrscheinlich so ein Zeitpunkt, um in Panik auszubrechen. Seine Hände postierten sich wie selbstverständlich rechts und links neben mir. Flucht ausgeschlossen.

»So so, du weißt also nicht, wovon ich rede?«

Er grinste schelmisch und kam mit seinem Gesicht näher an meins heran. Sein Grinsen wich einem unwiderstehlichen Lächeln und mein Körper reagierte prompt mit einem »Hallo Süßer, ich dachte schon, du würdest mich noch ewig waren lassen«. Blöder Körper, du machst gefälligst, was ich will. Ja klar, ich träumte weiter, grins.

Kurz vor meinem Gesicht streifte er mit seiner Zunge leicht seine Lippen. Irgendwie war das hoch erotisch. Mein Herz rutschte wortwörtlich in die Hose und meine Gefühlswelt war außer Rand und Band. Fehlte nur noch, dass mir der Sabber aus den Mundwinkeln tropfte. Und mein Gehirn hatte nicht besseres zu tun, als meinen Augen zu sagen, dass sie sich erwartungsvoll schließen sollten. Gesagt getan. Ich wartete. Und wartete. Und wartete. Und hörte plötzlich, wie er losprustete. Okay, das war so ein Zeitpunkt, in dem man sich lieber in einem Erdloch verkriechen sollte.

Himmel, Arsch und Zwirn. Ich lief so rot an, dass mein Gesicht schon einer überreifen Tomate glich.

»Weißt du vielleicht jetzt, wovon ich rede?«, meinte er und hielt sich mittlerweile den Bauch vor Lachen.

Meine Stirn, nein schlug nicht Falten, sondern formte unwillkürlich wieder dieses blöde Wort aus der Schulzeit ›Außenseiterin‹, wobei es sich langsam in das Wort ›Looser‹ verwandelte. Ja, vielleicht hatte ich es auch verdient. Ich war halt eine liebestolle Zicke, die nichts mehr auf die Reihe bekam. Und trotzdem war ich stocksauer und total verletzt. Auch verständlich denke ich.

»Klar, weiß ich das. Du redest von dir. Einem Vollidioten, der sonst nichts auf die Reihe bekommt.« Ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

»Nein, ich rede von einem Vollidioten, auf den du total abfährst.« Womit er absolut nicht unrecht hatte. Hätte ich diese Gefühle abstellen können, wäre es wahrscheinlich schon seit unserer ersten Begegnung besser gewesen. Doch leider machte mein Körper immer das, was er wollte.

»Weißt du was, träum weiter.« Ich würde nie klein bei geben, auch wenn er recht hatte. Doch so offensichtlich müsste ich es ja nun auch nicht machen. Moment mal, hatte ich das nicht bereits? Oh man, doof bleibt doof.

»Endlich kapierst du mal, wovon ich die ganze Zeit schon rede.« Und das Teufelchen hielt sich lachend die Hand vor dem Mund.

Ja ja, Schlaumeier. Egal, jetzt konnte ich es nicht mehr ändern und ignorierte das fiese Ding auf meiner Schulter einfach.

Zudem plagte mich noch eine ganz andere Sache. Es war bereits sehr spät und ich brauchte gar nicht so lange darüber nachzudenken, ich wusste einfach bereits jetzt, dass ich später wieder Prügel beziehen würde. Warum ich überhaupt nach Hause ging? Gute Frage, jede Brücke wäre entschieden besser gewesen. Aber trotz allem war und blieb das mein Zuhause, bis ich endlich meine Lehre abgeschlossen und mich eigenständig aus diesem Gefängnis befreien könnte. Und dank meines Biestes im Schafspelz würde ich heute auch keiner Prügel entgehen.

Tim schien meine Gedanken erraten zu haben und lachte nur kurz auf, bevor er meinte: »Komm, ich bring dich nach Hause, es ist schon spät«, sich rumdrehte und aus dem Raum spazierte.

Okay, eindeutig ein Moment, um in Panik auszubrechen. Allein die Tatsache, dass es bereits spät war, reichte meinen Eltern als Zündstoff, doch wenn sie mich noch einmal mit ihm erwischen würden … Oh Gott, ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was die dann machen würden. Also ich hinter ihm her, um zu fragen, was das solle, denn er hatte ja mitbekommen, wie sie reagierten.

»Okay, was soll das, willst du, dass jetzt meine Eltern für dich die Arbeit erledigen und ich mir einen Platz auf dem Friedhof suchen kann?«

Okay, das war wahrscheinlich etwas übertrieben, aber kam dem schon recht nahe.

»Ich lasse dich vorher absteigen, damit sie es nicht mitbekommen. Also mach nicht gleich aus einer Mücke einen Elefanten.«

Wow, so weit dachte er also doch schon. Okay, wenn ich nicht wollte, dass ich sofort wieder umkehren konnte, weil ich wieder zur Arbeit musste, wäre diese Alternative für mich wesentlich günstiger.

»Okay«, bekam ich nur heraus und schon warf er mir den Helm zu.

»Denk dran, dich festzuhalten.«

Kaum saß ich auf diesem Ding, fuhr er auch schon los und ich wurde den Eindruck nicht los, dass er mich unter allen Umständen gern einmal von diesem Ding fliegen sehen wollte. Grrr, grober Kerl.

Eine Straße vorher hielt er an und verabschiedete sich ziemlich trocken von mir. Warum, keine Ahnung, aber ich war froh. Ich sah ihm noch nach bis er verschwunden war und lief dann nach Hause, wo meine Eltern schon ›freudestrahlend‹ auf mich warteten.

 

 

 

Kapitel 4 Spiel auf Zeit

Ich kam gerade nach Luft lechzend an und musste zu allem Überfluss entgeistert feststellen, dass meine Chefin bereits bei der Arbeit war.

»Guten Morgen«, begrüßte ich meine Chefin freundlich, die vor dem Lokal die Blumen goss. Wirklich schöne Blumen. Veilchen. Genau wie mein Auge eins hatte. Langsam musste sogar meiner Chefin ein Licht aufgehen, oder nicht?

»Was ist denn jetzt schon wieder passiert?«, fragte sie und musterte mein blaues Auge, das zudem auch noch reichlich geschwollen war.

Zu meiner Verteidigung hatte ich mir schon die passenden Worte zurechtgelegt »bin mit dem Fahrrad gestürzt« nur leider waren diese hinfällig, da sie ja quasi gerade neben dem Rad stand. Blöd gelaufen. Also auf die Schnelle etwas anderes finden. Wäre mir da nicht gerade ausnahmsweise einmal ein ›Engel‹ erschienen.

»Wha, wie siehst du denn aus. Also hast du den Kampf gegen den Schrubber gestern, doch eindeutig verloren«, meinte Tim und kam gut gelaunt auf mich zu. Kampf? Schrubber? Manchmal stand ich echt etwas auf dem Schlauch.

»Also du musst schon ein bisschen aufpassen«, gab meine Chefin von sich und begutachtete mein Auge noch immer.

Aber ich war noch in Gedanken mit dem Schrubber beschäftigt. Erst nachdem er mich böse anfunkelte, ging bei mir der ganze Kronleuchter an. Okay, Veilchen gleich vom Schrubber. Gecheckt. Langsam, aber immerhin.

»Ja, tut mir leid, das wird nicht wieder vorkommen.«

Okay, man konnte sich die Wahrheit ja auch biegen, wie man wollte, aber im Endeffekt, glaubte ich selbst nicht dran.

»Will ich auch hoffen, denn so langsam geht mir die Schminke aus.«

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen zog sie mich an Tim vorbei in unseren schönen gemeinsamen Raum. Mein zweites Zuhause, in dem ich mehr Zeit verbrachte, als bei mir. Doch diesmal hatte selbst sie ihre Schwierigkeiten. Aber egal, Schönheit kam ja bekanntlich, von innen, grins. Auf jeden Fall musste Tim an diesem doch so herrlichen Morgen, meine Arbeit übernehmen. Wie mir das leidtat. Innerlich rieb ich mir die Hände, äußerlich biss ich bei jeder Berührung mit dem Pinsel die Zähne zusammen. Verdammt, die hatten echt ganze Arbeit geleistet.

»Okay, besser bekomme ich es diesmal nicht hin«, versuchte sie noch, mit einem letzten Pinselstrich, etwas zu retten.

Klar, wäre ich Mona Lisa, hätte das vielleicht auch funktioniert, aber so, hoffnungslos. Ein hässliches Entlein verwandelte sich im wahren Leben, nicht in einen Schwan. Auf jeden Fall galt das bei mir.

»Okay, damit so was heute nicht noch einmal vorkommt, bleibst du bei mir im Gasthof und bedienst die Gäste. Da ist das Risiko kleiner, dir noch eine Verletzung einzuheimsen.«

Wenn die wüsste, dachte ich bei mir, aber bedankte mich herzlich für ihre harte Arbeit in meinem Gesicht.

Aber ich wusste, dass ich nicht in der Lage sein würde, ihr ewig etwas vorzuspielen. Eines Tages käme sie wahrscheinlich auch selbst drauf.

Auf jeden Fall machte mir das Bedienen der Gäste einen riesigen Spaß und ich könnte mich, ehrlich gesagt, daran gewöhnen. Wenn zu viel los war, sprang Tim mal mit ein, aber er ließ mich meine Arbeit in Ruhe machen. Kein Piesacken, keine gehässigen Bemerkungen und nichts, was mich hätte in Verlegenheit bringen können. Wow, hatte er sich etwa vorgenommen, lieb zu werden? Ne, nie im Leben würde der über seinen Schatten springen. Aber da seine Mutter mit im Raum war, tat er wohl auf lieb Kind. Egal, Hauptsache ich hatte meine Ruhe.

Doch diese Ruhe hielt leider nicht allzulange an. Diesmal ging es allerdings nicht von ihm, sondern von einem angetrunkenen Gast aus. Ich glaube, mein Leben würde wohl nie langweilig werden.

Gerade als ich bei ihm die Getränkebestellung aufnehmen wollte, grapschte er mir an meinen wohlgeformten Hintern. Ich weiß, dass es nicht stimmte, aber wohlgeformt hörte sich einfach gut an. Okay, dachte ich, lass den armen Mann, der hatte wahrscheinlich sonst kein Vergnügen. Einmal ist keinmal. Doch hinter der Theke stand schon jemand, der, wenn ich mich nicht verguckt habe, rot anlief, und zwar vor Wut, fehlte nur noch der Dampf aus seinen Ohren. Sein Problem.

Ich holte von meiner Chefin, die nichts dazu sagte, das bestellte Getränk und ging zurück zum Tisch. Das gleiche Prozedere, seine Hand auf meinem Arsch. Der Blick in seinen Augen »das gefällt dir doch«. Nein, tat es nicht und noch jemandem gefiel es nicht. Ich hörte bereits das Pfeifen, wie bei einem kochenden Kessel, der Dampf abließ. Jedenfalls schlug ich seine Hand weg, aber weil ich es nicht wollte. Mein Blick sagte eindeutig »noch einmal und ich breche sie dir«. War ihm wohl schnurzpiep egal. Sie landete wieder auf meinem Allerwertesten. Tim wurde von seiner Mutter zurückgehalten, so viel konnte ich aus den Augenwinkeln gerade noch erkennen. Aber eins ließ mir keine Ruhe. Warum störte ihn das überhaupt? Ach ja, er war wohl der Einzige, der mit mir zanken und provozieren durfte. Hatte ich doch glatt verdrängt.

Wie auch immer, mir reichte es. Ich nahm seine Hand, mit der anderen freien Hand sein Glas und goss es genüsslich über seinen Kopf.

»Möchte der Herr vielleicht noch ein Handtuch zu seinem Drink?«, wollte ich dann spöttisch wissen. Lachen von den Nachbartischen, meine Chefin mit offenem Mund habe ich auch noch nie zu Gesicht bekommen und ein zufriedener Tim. Okay, alles in allem eine gute Mischung, dachte ich mir, bis …

»Du kleines Miststück, sei doch ehrlich, da stehst du doch drauf.«

Wieso dachten eigentlich alle Männer, ich sei Freiwild?

Ich hatte bis dahin auch noch nie einen Mann vor Wut sabbern sehen, wenn ich ehrlich war. Der Typ stand vor mir, große durchgeknallte Augen, sabbernd, stinkend und dann hatte ich plötzlich nicht nur eine Hand auf dem Hintern kleben, sondern auch noch an meiner Brust. Der Rest ging ganz schnell, ohne, dass mein armes überfordertes Gehirn es registrierte. Tim sprang über die Theke, seine Mutter stand noch immer wie geistesabwesend da, die herumstehen Gäste stocksteif und ich wusste nicht mal, was ich da noch machen sollte, so perplex war ich. Plötzlich sah ich eine Faust an meinem Gesicht vorbeischießen, sie landete auf dem Gesicht des Gastes und der Typ ging mit blutender Nase zu Boden. So langsam fing sich auch meine Chefin und schnappte sich das Telefon, um den Notdienst zu verständigen. Die Gäste atmeten auf und setzten sich, als wäre nichts gewesen. Und erst jetzt bemerkte ich, dass Tim neben mir stand und diesen Kerl missmutig mit seinen Augen fixierte. Schließlich zog er mich weg und guckte mich böse an. Ich hatte Tränen der Angst in meinen Augen. Der richtige Zeitpunkt, um die Flucht zu ergreifen. Ich rannte raus auf den Hof, um zu verstehen, was gerade geschehen war, aber jemand ließ mir dazu keine Gelegenheit.

»Sag mal, hast du sie noch alle, was lässt du dich von so einem Widerling betatschen?«

Sein Blick, unbezahlbar, gerade so, als würde er sich Sorgen machen. Na klar, ich träumte auch von einer Million Euro. Bekam ich die? Nope. Aber mein kleiner Schalter im Nacken, meinte, sich gerade auf ›Krawall‹ einzurichten.

»Okay, erstens habe ich versucht, ihn davon abzuhalten und zweitens, wie kommst ausgerechnet du darauf, der selbst der größte Widerling aller Zeiten ist, mir Vorwürfe zu machen?«

Boa, das machte mich dermaßen sauer, am liebsten hätte ich ihm die Augen ausgekratzt.

»Vergleiche mich bloß nicht mit diesem Kerl, da ist ja wohl ein riesiger Unterschied.«

Gut, hätte ich jetzt auf seinen Blick gehört, hätte ich wohl besser den Mund gehalten, aber kam gar nicht in die Tüte.

»Stimmt, der Unterschied liegt da drin, dass du das schon seit der Schulzeit machst.«

Brummte ich gerade? Wow, ich wusste gar nicht, dass ich das konnte. Im nächsten Moment dachte ich jedoch, dass ich mir am besten schon einmal einen Sarg bestelle, denn seine Augen hatten ein merkwürdiges Funkeln angenommen.

»Du glaubst also wirklich, dass ich nicht besser als dieser Typ bin? Okay, lassen wir es drauf ankommen.«

Und wie meinte der das jetzt wieder? Oh mein Gott, ich hoffte, ich hatte gerade keinen Blödsinn verzapft.

»Was meinst du damit? Ich glaube, es gibt keine Seite von dir, die ich noch nicht kenne.«

Sein schmunzelnder Blick jedoch sagte mir, dass ich absolut falsch lag. Mannoman was hatte ich mir jetzt bloß wieder eingebrockt?

»Mal sehen, wer dir das nächste Mal helfen wird, wenn du wieder mit neuen Blessuren ankommst.«

Okay, war das gerade eine Warnung, die ich ernstnehmen sollte? Ich glaubte kaum, denn dann dürfte er heute den Rest meines Körpers nicht sehen. Da war mein Auge das kleinste Übel.

Diesmal waren meine Eltern nämlich ›gnädig‹. Sie benutzten keinen Gürtel. Nein, sie dachten wohl, etwas kreativer sein zu wollen, und nahmen stattdessen ein Nudelholz. Kein Unterschied? Doch, denn ein Gürtel gab wenigstens noch etwas nach.

»Ich brauche weder deine, noch von irgend einem anderem Hilfe. Merk dir das. Tue einfach das, was du sonst auch tust, hasse mich.«

Es sprudelte einfach aus meinem Mund, obwohl mein Kopf ihn warnte. Das dieses blöde Teil auch nie hören konnte. Aber jetzt war es zu spät, die Worte waren nun einmal raus.

»Gut, wie du meinst.«

Moment mal, hatte ich da gerade eben etwas Verletztes in seinem Blick gesehen? Wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein, denn warum sollte ein Kerl, der mich jetzt seit Jahren auf die Schippe nahm, sich etwas aus meinen Worten machen? Niemals. Okay, ich hatte wahrscheinlich gerade Hallus.

Aber so gleichgültig wie er tat, schien es ihm nicht zu sein und um ehrlich zu sein, bereute ich meine Worte auch schon.

»Hey, hör zu, ich bin dir wirklich dankbar für alles, aber ich muss endlich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.«

Ich versuchte, ihm eine Erklärung zu geben, die ich nie in meinem Leben schaffen würde, wenn mir keiner half. Wie blind war ich eigentlich? Blind und doof rannte ich durch die Welt, in der Hoffnung, dass sich irgendwann alles von selbst regeln würde. Blödsinn. Das würde es nie und nimmer.

»Dann verdammt noch mal, ändere es einfach.« Die Hände, die sich um meine Arme gelegt hatten, verstärkten den Schmerz, den ich sowieso schon durch die Striemen und blauen Flecken hatte. Ich hörte, wie mein Mund aufstöhnte, obwohl ich ihm befahl, die Klappe zu halten. Na toll, noch ein Grund für ihn, sich lustig zu machen. Sein fragender Blick jedoch ging mir durch Mark und Bein.

»Verdammt, wieso hast du nichts gesagt?«

Böse und verachtend zugleich schlug mir eine Welle der Wut entgegen, die ich nie für möglich gehalten hatte. Jedenfalls nicht von ihm. Und ich war froh, dass meine Eltern nicht gerade in der Nähe waren. Wieso machte es ihm überhaupt etwas aus? Er sollte mich hassen, damit konnte ich jedenfalls viel besser umgehen, als mit seinem sorgenvollen Blick. Der Stich, der mir durch mein Herz fuhr, machte mich schwindelig. Ich war es einfach nicht gewohnt, dass man sich um mich Sorgen machte.

»Und was hättest du dann getan? Mich ausgelacht?«, meinte ich schließlich und sah verwirrt zu Boden.

»Komm mit, verdammt.«

Knurrend zog er mich hinter sich her, bis wir in seinem Zimmer standen. Wie unwohl einem da werden kann, wusste ich bis dahin auch noch nicht. Mein Herz hämmerte gerade in meinem Hals und mein Bauch machte Versprechungen, die er nie halten würde. Okay, gut jetzt, werdet alle mal wieder normal verdammt.

»Zieh das aus«, meinte Tim schließlich und zeigte auf mein T-Shirt.

Okay, vielleicht sollte ich jetzt doch langsam in Panik ausbrechen, als in Vorfreude zu verweilen?. Tür war frei, check. Fenster stand offen, check. Zimmer lag im zweiten Stock, mies, Fenster also wieder streichen. Mein Mund war frei, check. Schreien also möglich. Panik sah man in meinem Gesicht, check. Beschissener ging es nicht.

»Boa, jetzt mach schon, ich werde wohl kaum hier und jetzt über dich herfallen.«

Gut, eigentlich war das ein Grund, sich zu freuen, aber ich war trotzdem beleidigt. Menno, werde normal, schrie ich in mich hinein. So langsam fing ich mich wieder und war froh, dass ich unter dem Shirt noch ein Trägertop trug. Also runter mit dem Fetzen. Sein Blick, voller Entsetzen, aber er sagte nichts.

»Setz dich, ich bin gleich wieder da.«

Ich hörte auf seine Worte und nahm auf dem Bett, das eindeutig seinen Geruch trug, Platz. Ich genoss die Zeit allein mit seinem Bett, seinem Geruch und alles andere von ihm. Doch plötzlich wurde mir etwas bewusst. Vielleicht sollte ich meinen nicht gerade erotischen Körper von hier entfernen. Schließlich wollte ich ihm ja keine Albträume bescheren. Es reichte ja schon, dass er mein Gesicht jeden Tag aufs neue ertragen musste. Also stand ich auf und wollte gerade durch die Tür, als sie wieder geöffnet wurde. Entsetzen in meinen Augen. Er stand vor mir, mit Salbe, Handtuch und was weiß ich mit was noch. Okay, abhauen war nicht mehr möglich, check.

»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich jetzt gehen lasse, oder?«

Okay, das konnte man jetzt auch zweideutig verstehen und ich war so frei.

»Jetzt hier und gleich?«

Ein Lachen aus seiner Kehle, vielleicht hatte ich es verdient.

»Echt? So wie du aussiehst?«

Okay, das war jetzt eindeutig unterhalb der Gürtellinie, aber er hatte recht. Wobei ich selbst wusste, dass ich keine Schönheit war, aber die Bestätigung auch noch von jemandem zu bekommen, den man im Grunde heimlich anhimmelte, autsch. Er atmete genervt aus.

»Deine Blessuren meine ich.«

Wie kam der jetzt darauf, dass ich was anderes meinte? Ach, vielleicht lag das an meinem enttäuschten Gesichtsausdruck? Und wieder voll ins Schwarze getroffen. Menno, der las mich wie ein offenes Buch. Da musste ich unbedingt dran arbeiten.

»Also setz dich hin und halt ruhig. Die Salbe hier wirkt wirklich Wunder.«

Juhu, eine Schönheitskur und auch noch umsonst. Also fing er an, meine Arme damit zu bestreichen. Hä, was machte der da?

»Ähm, gehört die nicht ins Gesicht?«

Er dachte jetzt sicher, dass ich Quatsch machte, aber nein, es war mir vollkommen Ernst. Ich wusste, dass ich gerade nicht nur auf einem Schlauch stand, aber ich hatte das mit dem ›wahre Wunder vollbringen‹ echt ernst genommen. Zu meiner Verteidigung musste ich sagen, dass ich in seiner Nähe und vor allem unter seinen Berührungen des Denkens unfähig war, lach. Da stand ich auch schon mal auf einem ganzen Löschzug. Aber ich denke, so würde es wohl jedem gehen.

Erst als er lauthals loslachte, verstand ich auch endlich, was er meinte. Mein Kopf, rot wie seine Bettwäsche. Obwohl ich nicht wusste, warum ein Kerl rote Bettwäsche haben musste.

»Okay, so große Wunder kann sie jetzt auch nicht vollbringen.«

Autsch. Gut, ich wusste es. Mein Schalter stellt sich auf ›Stur‹.

»Hey, war doch nur Spaß. Nimm nicht immer alles so ernst.«

Ich sah ihn prüfend an.

»Du findest mich also nicht hässlich?«, fragte ich plötzlich erstaunt.

Hoffnung in meinem Herzen, das gleich schneller schlug. Er begutachtete mein Gesicht etwas genauer, wofür er ›natürlich‹ näher herankommen musste. Herzattacke, Schweißausbruch und Fledermäuse in meinem Bauch waren das Ergebnis. Der war so nah dran, dass ich dachte ›vielleicht zählt der gerade meine Pickel‹. Noch ein kleines Stück und der krabbelte in mich rein, oh Gott.

»Nope.«

Er grinste. Wie und dafür musste ich jetzt quasi unter das Mikroskop? Okay, vielleicht hatte er auch gerade nach meiner ›inneren‹ Schönheit gesucht? Doch nur das eine Wort, machte mich glücklich und ich ließ es ohne Widerworte zu, dass er meine Arme weiter versorgte. Ich genoss die Stille, seine Berührungen und dass ich sein Gesicht mal von nahem sehen konnte. Ein leichtes Kribbeln fuhr durch meinen Körper und es wurde merkwürdig heiß in der unteren Gegend. Doch leider musste er den schönen Augenblick zerstören, weil er quatschen musste.

»Ich glaube, es wird endlich Zeit, wenigstens meiner Mutter die Wahrheit zu sagen. Langsam gehen mir nämlich auch die Ausreden aus.«

Als ich sein Gesicht bei diesen Worten sah, blieb mir die Spucke weg. Mannoman, ich hätte nie gedacht, noch eine andere Seite von ihm zu sehen. Sorgenvoll. Er machte sich um mich Sorgen? Eher wahrscheinlich darum, dass ihm nichts mehr einfiel und wenn ich ehrlich war, hatte ich auch keine Ahnung, wie lange ich das noch durchhalten konnte. Trotzdem schämte ich mich zu sehr.

»Nein, besser nicht.«

Zum Dank erntete ich einen bösen Blick.

»Aber …«, setzte er an.

»Nichts aber, ich habe nein gesagt.«

Ich entzog ihm meine Arme und zog mein T-Shirt wieder an. Ich wusste natürlich, dass er in einer gewissen Weise recht hatte, aber ich schämte mich zu sehr, und das würde er an meiner Stelle auch tun.

»Du tust gerade so, als hättest du das verdient.« Wow, coole Schlussfolgerung. Aber vielleicht hatte ich das ja auch. Wer wusste das schon. Reichte die Tatsache, dass ich geboren wurde aus? Mein Ausdruck zeigte ihm wohl, dass ich ihm zustimmte. Und ich lernte noch eine Seite an ihm kennen.

»Bist du eigentlich noch ganz dicht? Das hat keiner verdient und du schon mal gar nicht«, schrie er und schüttelte mich leicht an den Armen und ich spürte wieder das Ergebnis vom Vorabend.

Erschrocken ließ er los. Warum war er heute so nett zu mir? Ich konnte meine Tränen nicht mehr lange zurückhalten. Der Widerling Tim war mir gerade echt lieber, aber den Gefallen tat er mir nicht.

»Es tut mir leid, ich wollte nicht so grob sein«, entschuldigte er sich bei mir, doch es lag gar nicht an ihm. Es lag an mir und meiner Dummheit.

»Schon gut. Aber ich werde es noch nicht preisgeben. Noch nicht und du bist bitte auch still, versprich es mir.«

Ich konnte nicht wirklich sagen, was er in dem Moment dachte oder fühlte, aber er stimmte ohne Widerworte zu. Auch wenn ich ihm nicht wirklich glauben konnte, beruhigte es mich fürs Erste.

Doch ich spielte ein Spiel auf Zeit, dass ich früher oder später verlieren würde. Dann käme die Wahrheit ans Licht und alle Lügen auf den Tisch. Aber bis dahin, würde ich versuchen, weiterhin alles zu verbergen.

Irgendwann würde auch ich einen Rettungsring erreichen, der mich ans sichere Ufer brachte.

 

 

 

Kapitel 5 Wahrheit oder Pflicht

Eine Woche verging. Nichts passierte, außer ab und zu eine Ohrfeige und ich freute mich irgendwie auf das Wochenende, auch wenn das hieß, die ganzen Tage mit meinen Eltern zu verbringen. Wahrscheinlich würde ich mich eher in mein Zimmer zurückziehen, oder mit meiner Musik einen sehr langen Spaziergang unternehmen.

Heute war Freitag, ich hatte gerade angefangen und war bereits im zweiten Zimmer, als meine Chefin hinter mir auftauchte.

»Guten Morgen, Luisa, du bist ja schon richtig bei der Arbeit«, meinte sie und sah sich im Zimmer um.

»Ja und heute ist auch nicht so besonders viel«, antwortete ich, aber vielleicht hätte ich mir das besser sparen sollen? Denn ihr fröhlicher Gesichtsausdruck verhieß wohl nicht, dass es dabeibleiben würde.

»Prima, wenn du fertig bist, kannst du mir heute an der Theke helfen. Wir haben morgen ein kleines Event mit Tanz und da wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, uns zu helfen. Natürlich weiß ich, dass du frei hast, aber ich würde dir das dann extra bezahlen.«

Mein Kopf war schon dabei, sich auszumalen, wie es wäre, nur einen ganzen Tag anstatt zwei zu Hause verbringen zu müssen. Cool.

»Okay, ich bin dabei.«

Mein Gesicht strahlte und im nächsten Moment dachte ich, was wohl meine Eltern dazu sagen würden. Okay egal, ich wollte und ich würde. Hoffentlich.

Also machte ich die Zimmer fertig, und rannte runter zum Thekenbereich, hätte mich nicht jemand unsanft zu Fall gebracht, wäre ich auch heil angekommen.

»Hey«, sagte ich und suchte nach dem Übeltäter, der direkt vor mir stand.

»Das kommt davon, wenn man rennt«, brummte Tim mich an, reichte mir aber dann doch schließlich die Hand.

»Ja ja, ich habe keine Zeit. Deine Mutter wartet auf mich«, meinte ich und versuchte, mich an ihm vorbeizumogeln, doch er hatte nichts Besseres zu tun, als mir immer wieder den Weg zu versperren. Boa, es reichte langsam.

»Geh mir aus dem Weg.«

Verdammt, der bewegte sich keinen Millimeter und grinste wieder nur mal doof in der Gegend rum. Mein Schalter legte sich automatisch auf ›Sturm‹ um.

»Entweder du gehst mir jetzt aus dem Weg oder …?«, warnte ich, funkelte ihn böse an und hoffte, dass es wirkte. Thhh, aber nicht bei ihm.

»Oder was?«

Diese provokante Art, die er an den Tag legte, brachte mich endgültig zur Weißglut. Und dann war auch noch sein Gesicht so nah an meinem, dass ich jede Pore sehen konnte. Auf jeden Fall hatte er keine Pickel. Verdammt, was dachte ich da überhaupt? Meine Arme verschränkten sich demonstrativ vor der Brust, meine Augen schauten sauer drein und mein Puls schlug mir bis zum Hals. Vor Wut? Ja klar, als ob.

»Oder du bekommst gleich einen Tritt, den du nie wieder vergisst«, knurrte ich.

»Den will ich sehen.«

Er lachte lauthals los. Ich merkte schon, wie ich rot anlief, und diesmal vor Wut. In meinem rechten Knie zuckte es unaufhörlich und es schoss plötzlich ohne Vorwarnung nach oben.

»Leider daneben«, gab er schlagfertig von sich und grinste breit, während er mein Bein noch immer festhielt und mich humpelnd gegen die Wand schob.

Okay, ich dachte, das ist so ein Moment, wo man in Panik ausbrechen sollte. Und wie seine Augen mich ansahen. Oh Gott bitte, ich bekäme diesen Blick nie wieder aus meinem Gedächtnis gestrichen.

»Okay, ich lass dich unter einer Bedingung gehen.« Seit wann war er derjenige, der hier die Bedingungen stellte? Schon immer.

»Was willst du?« Meine beleidigte Schnute, schien ihn nicht wirklich zu beeindrucken und er lachte. Und was machte er jetzt? Nein, bitte nicht schon wieder. Langsam kam er an mein Ohr und ich konnte mich noch genau an die verräterische Gänsehaut vom letzten Mal erinnern, da sie schon wieder auftauchte, als er sprach. Verdammt, dagegen musste ich unbedingt etwas tun.

»Wir spielen ein kleines Spiel.«

»Ein … ein Spiel?« Und das Stottern ging schon wieder los.

»Ja, ein Spiel.«

Er grinste.

»Und was soll das für ein Spiel sein?« Wenn er glaubte, dass ich mich darauf einließ, hatte er wahrscheinlich … recht. Mein Kampfgeist hatte sich bei seinem Ohrgeflüster komplett verabschiedet.

»Wahrheit oder Pflicht. Ich denke, das wirst selbst du kennen«, meinte er schließlich und grinste wieder auf seine provokante Art.

Grrr, ich hasste ihn. Nein, nicht wirklich. Doch tat ich. Man konnte sich ja viel einreden, wenn der Tag lang war.

Mir schossen auf jeden Fall einige Sachen durch den Kopf. Wahrheit oder Pflicht, das konnte immerhin alles sein. Oh Hammer, bitte lass mich normal denken können.

»Und was willst du genau?«, tastete ich mich langsam voran. Schließlich stand hier mein Kopf auf dem Spiel.

»Das sage ich dir zur gegebenen Zeit. Aber du darfst dir jetzt schon eine Kategorie aussuchen.«

Okay, zu viel des Guten. Ich hatte absolutes Kopfkino. Ich konnte nicht fassen, welches Durcheinander sich gerade in meinem befand. Ich überlegte fieberhaft und wog die Kategorien gegeneinander ab.

Wahrheit: Wollte ich wirklich so viel aus meinem Leben preisgeben? Anderseits kannte er ja schon einen Teil, den ich lieber für mich behalten hätte.

Pflicht: Mhh. Dieses Wort ließ bei mir alle Alarmglocken schrillen. Und mein Kopfkino ging schon wieder von vorne los.

»Also?«, wartete er ungeduldig auf meine Antwort.

Man, jetzt hetz mich doch nicht so. Schließlich waren beide nicht ganz einfach. Aber ich hatte auch fast verdrängt, dass gerade meine Chefin unten auf mich wartete.

»Ich zähle bis drei, dann hast du dich entschieden, sonst entscheide ich für dich. Eins.« Na ganz klasse. Mein Kopf fuhr Karussell, meine Finger waren wieder mit irgendwelchem Mist beschäftigt und ich stand gern unter Druck.

»Zwei.« Und sein Grinsen haue ich ihm irgendwann aus dem Gesicht.

»Und …«

»Okay, okay, ich nehme Pflicht.« Mein Mund war heute mal wieder sehr voreilig und mein Kopf viel zu langsam. Doch bevor ich es selbst richtig registrierte, waren die Worte schon raus. Sein Grinsen wurde breiter. Halleluja, worauf hatte ich mich da gerade eingelassen?

»Also dann darfst du jetzt gehen.«

Hä? Wie jetzt. Einfach so? Ich war zwar froh, dass das Kribbeln in meinem Bauch nachließ, aber dafür explodierte gleich mein Kopf. Dann ließ der mich doch tatsächlich einfach stehen und ging.

In den nächsten Stunden Konzentration Fehlanzeige. Meine Chefin sehr bemüht, mich in alles einzuweisen, und ich hatte ein Brett vor dem Kopf. Klasse. Ich versuchte, endlich meine Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, was mir auch soweit gelang. So langsam kapierte ich auch, was meine geduldige Chefin überhaupt von mir wollte. Super, dachte ich noch so bei mir, da tauchte Tim schon wieder vor meiner Nase auf. Klasse und jetzt noch einmal alles von vorne.

Bis zum Abend hatte ich endlich alles kapiert und freute mich auf meinen wohl verdienten Feierabend. Doch ich hatte noch ein ganz anderes Problem vor mir, was ich durch Tim, den ganzen Tag vergessen hatte.

»Wie zum Teufel bringe ich das meinen Eltern bei?«

»Da denkst du jetzt erst dran?« Wenn man vom Teufel sprach.

»Wäre vielleicht fördernd, wenn du mir keine Vorwürfe machst, sondern eine Lösung lieferst?«

»Vergiss es.«

»Klasse und von so was soll ich mir etwas sagen lassen?«

»Von dem besser nicht, der hat den ganzen Tag nichts Besseres zu tun, als sich über dich lustig zu machen.« Mein Engelchen meinte es wahrscheinlich gerade gut, aber ich kam mir langsam wie der letzte Depp vor, weil ich hier mit denen diskutierte. Nur gut, dass meine Chefin von alledem nichts mitbekam. Nachdem die beiden endlich verschwunden waren, konzentrierte ich mich wieder auf das Wesentliche. Nämlich meine Arbeit.

»Ich denke, du bist bestens auf morgen vorbereitet«, meinte meine Chefin und ich merkte mal wieder, dass sie nicht auf den Kopf gefallen war.

Wie auch, wahrscheinlich hätte selbst ein Blinder meine fatale Lage in meinem Gesicht ablesen können.

»Hast du keine Lust auf morgen?« Ihr fragender Blick sorgte dafür, dass sich meine Bauch- und Gesichtsmuskeln zusammenzogen.

»Doch natürlich, ich freue mich sogar sehr. Es ist nur …«, versuchte ich, ohne meine familiäre Situation komplett erklären zu müssen, einen Ausweg zu finden.

»Ihre Eltern sind streng und werden ihr das nie erlauben. Vielleicht solltest du bei ihnen schon im Vorfeld anrufen«, hörte ich zusammenzuckend die Stimme von Tim, der lässig im Türrahmen zur Küche stand und mich begutachtete.

Klasse, sonst wohl gerade nix zu tun oder wie?

»Ich bekomme das schon irgendwie hin.« Ich funkelte ihn böse an und meiner Chefin lächelte ich freundlich ins Gesicht. Na gut, ich versuchte es zumindest. Doch das verwandtschaftliche Verhältnis konnten die zwei wirklich nicht abstreiten. Ihr Blick genauso fragend und nachdenklich wie seiner. Klasse, jetzt hatte ich auch noch zwei von der Sorte an der Backe. Auf jeden Fall schnappte sie sich das Telefon und ich nach Luft. Kurze Zeit später hatte sie anscheinend meine Mutter an der Strippe und erklärte ihr, dass ich für morgen unverzichtbar sei. Eigentlich ein Kompliment, aber anderseits hatte ich doch eher den Verdacht, dass sie nur übertrieb, um meine Mutter rum zu bekommen. Dann legte sie auf.

»Und?« Ich sah sie fragend und nervös an.

»Alles klar, kein Problem«, meinte sie, lachte und ließ mich allein zurück.

Moment mal, wieso hatte meine Mutter ohne Widerrede das Okay gegeben? Irgendwas war doch da im Busch. Nachdenklich polierte ich das letzte Glas, bis mir auffiel, dass Tim nicht mehr im Türrahmen stand, sondern direkt neben mir. Hätte er das Glas nicht aufgefangen, das mir vor lauter Schreck aus der Hand gerutscht war, hätte ich jetzt noch einmal kehren können.

»Ich will dich mal was fragen. Wieso kannst du bei mir so ein Biest sein und zu Hause bekommst du die Zähne nicht auseinander? Warum lässt du dir das gefallen?« Gute Frage, keine Antwort. Ich wusste es wirklich nicht. Aber das Thema hatten wir ja eigentlich auch schon abgehakt. Vielleicht hatte ich mich über die Jahre schon so sehr daran gewöhnt, dass ich nie darüber nachgedacht hatte, mich zu wehren. Oder es war einfach nur die Angst. Angst, dass sie mich rauswerfen könnten. Schließlich wäre ich nie in der Lage gewesen, mich selbst zu versorgen, und das wussten die auch ganz genau. Also spielte ich das Spiel lieber mit. Aber was ging ihn das überhaupt an?

»Boah, echt jetzt?«, meinte der Teufel, der sich auf meine Schulter gleiten ließ. Ich wurde allmählich sauer.

»Ja, echt jetzt. Es ist doch meine Sache«, flüsterte ich ihm zu.

»Gut, ich halte mich besser zurück, sonst platzt mir der Kragen.«

»Thhh, tu, was du nicht lassen kannst.«

Ich wollte Tim gerade eine Antwort entgegenschmettern, doch er war schon wie vom Erdboden verschluckt.

Eindeutig genug für heute. Ich hatte die Nase voll. Nach einer Verabschiedung von meiner Chefin schwang ich mich auf meinen Drahtesel, aber wie immer vorher meine Reifen im Blick. Nichts. Er hatte sich ausnahmsweise einmal benommen.

Ich hätte mir den Weg nach Hause aber trotzdem am besten erspart. Wie ich schon vermutet hatte, war etwas ganz Gewaltiges im Busch.

Nach mehreren Vorwürfen meiner Eltern, warum die Chefin sie angerufen hatte, und einer Tracht Prügel, die sich sehen lassen konnte, durfte ich dann endlich in mein Bett. Heulen war nicht, sonst hätte ich wahrscheinlich noch einmal Prügel bezogen. Nur Mist, dass mein Vater ausgerechnet wieder einmal mein Gesicht treffen musste. Ich spürte jetzt schon, wie der Streifen von seinem Gürtel anschwoll. Ja, wieder einmal musste der Gürtel herhalten, denn an mir machte man sich schließlich nicht die Finger dreckig.

Froh war ich erst, als der Wecker klingelte und ich verduften konnte. Und noch mehr froh war ich darüber, dass meine Eltern noch schliefen.

Mein Spiegelbild zeigte es mir dann eindeutig. Okay, ich sollte mir schon wieder einmal eine gute Erklärung einfallen lassen. Das Schlimme war der Thekendienst. Theke bedeutete viele Leute gleich Präsentierteller. Wahnsinn, das hatte ich mir ja schon immer gewünscht. Wenn es einen Sarkasmus-Wettbewerb geben würde, hätte ich wahrscheinlich ohne große Anstrengung den ersten Platz gemacht.

Nur gut, dass ich mit meinem Gefährt noch einige Zeit brauchte, bis ich da war, so hatte ich wenigstens Zeit, mir eine Ausrede einfallen zu lassen. Meine Katze hatte heute Nacht mit mir gekämpft. Genial, oder? Nicht wirklich, aber etwas anderes fiel mir einfach nicht ein.

Nach langer Begutachtung meiner Wange, durch meine beiden Chefs und meiner dürftigen Erklärung, schleppte mich meine Chefin in einen Raum, den ich jetzt schon nur zu gut kannte. Prompt zog sie das Schminktäschchen aus einer kleinen weißen Kommode heraus. Wenn das so weiterging, würde das wahrscheinlich zu einer Art Ritual mutieren.

»Okay, lass mal sehen.« Sie fingerte eine geschlagene halbe Stunde an meiner Wange herum und sah mich eine Zeit lang danach wundernd an. Hoffentlich, lieber Gott, kam sie gerade nicht auf den richtigen Trichter. Ich wollte nicht, dass jemand mein bis jetzt gut gehütetes Geheimnis kannte. Es reichte, dass Tim es bereits wusste.

»Hast du eigentlich ein Kleid mitgebracht?«

Was? Wie jetzt? Kleid? Wieso Kleid? Ich besaß nicht einmal eins. Mein Schalter stellte sich schon auf ›Panik‹ ein.

»Da haben wir doch gestern drüber gesprochen, oder?«, überlegte sie kurz und ich dachte schon, na Klasse, wieder nichts mitbekommen.

»Ups, das habe ich wohl vergessen zu erwähnen. Heute stehen wir alle in einem Kleid hinter und vor der Theke.«

Ups? Hallo? Okay, damit verwandelte mich der Tag heute wohl gerade wieder in eine Außenseiterin. Kam bestimmt gut, wenn alle in einem Kleid rumspazierten und nur ich in einer Hose. Absolute Spitzenklasse. Ich wurde zusehends nervöser.

»Mhh, ich habe da eine Idee«, meldete sich meine Chefin zu Wort.

Hoffentlich eine Gute, dachte ich bei mir.

Sie schob mich vor sich her zu ihrem Kleiderschrank.

»Du müsstest dieselbe Größe wie ich haben, also werden wir schon das Passende finden.«

Klar, nur standen wir hier vor ihrem Schrank und nicht vor einem Altkleidercontainer.

»Okay«, gab ich dann doch lieber kleinlaut von mir und spielte wieder einmal nervös mit meinen Fingern.

Das war mittlerweile eine blöde Angewohnheit, die ich Tim zu verdanken hatte.

Sie durchsuchte das Klamottenwirrwarr nach etwas Passendem und zog schließlich lächelnd einen Traum heraus. Genau, einen Traum, aber nicht meiner. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Kleid besessen und das hier war kein Kleid, sondern einfach nur himmlisch. Das würde mir eh nicht stehen. Oder vielleicht doch? Darf ich es anprobieren, bitte, flehte ich innerlich. Zu meiner Verwunderung hielt sie es mir auch noch hin. Hihi.

»Hier, ich denke, das ist genau das Richtige«, meinte sie und grinste verschmitzt, »da hinten kannst du dich umziehen und dann machen wir dich heute mal so richtig hübsch.« Sie zwinkerte mir zu.

Okay, wo hatte sie den Schönheitschirurgen aufgetrieben? Hoffentlich zog sie den nicht von meinem Gehalt ab.

Ich stand vor dem Spiegel und war baff. Das Kleid passte wirklich wie angegossen und wenn ich auch ein bisschen stolz sein durfte, sah es nicht einmal schlecht an mir aus. Wenn man mir eine Tüte über den Kopf zog, konnte ich mich vielleicht unter die Leute wagen.

Doch zum Nachdenken gab sie mir gar keine Zeit, zog mich zu dem Schminktisch zurück und drückte mich in den Stuhl. Schon hatte sie wieder ihr magisches Täschchen in der Hand.

Na gut, ich ließ alles über mich ergehen, auch wenn sie den Spiegel mit einem Tuch zugehängt hatte, weil ich zu neugierig wurde. Ist doch auch normal, oder? Die Zeit verging recht langsam, auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, als säße ich jetzt schon seit einigen Stunden hier. War ja auch kein Wunder bei meiner ›Schönheit‹ brauchte man etwas länger.

»Fertig«, meinte sie strahlend, betrachtete stolz ihr Werk und lachte dabei.

Okay, hoffentlich machte sie sich nicht gerade lustig über mich. Sie zog das Tuch vom Spiegel und wies mich an, mein Gegenüber zu begutachten. Geschockt sah ich rein und suchte noch immer mein Spiegelbild, als sie fragte: »Und? Wie gefällt es dir?«

Moment mal, war die Person im Spiegel wirklich ich? Wow. Wahnsinn. So hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die Schminke passte perfekt zu meinen Teint, die Augen hatte sie schön betont und auf meinen Lippen lag ein verführerisches Rosa.

»Das … das ist echt … Hammer.«

Meine Stimme wollte irgendwie nicht. Mein Kopf realisierte nur ganz langsam, was meine Augen sahen. Wenn ich immer so aussehen würde, gäbe es wahrscheinlich keinen Grund als Außenseiter dazustehen.

»Schön, dass es dir gefällt. Nur später müssen wir noch einmal über deine Wange gehen, ich denke, das wird nicht den ganzen Abend halten.« Sie lächelte mir zu. Ich freute mich unheimlich und stellte mir vor, wie es wohl wäre, sie als Mutter zu haben. Oh Gott, meine Mutter. Wenn die mich so sehen würde, dann wäre die nächste Tracht Prügel vorprogrammiert. Ich musste das unbedingt loswerden, bevor ich nach Hause fuhr. Aber bis dahin wollte ich es einfach nur genießen. Aber vor allem war ich auf Tims Gesicht gespannt.

 

Die Musik lief schon und ein paar Gäste hatten sich auch bereits versammelt. Ich stand gerade hinter der Theke und machte eine Bestellung fertig, die meine Chefin mir gebracht hatte. Alles lief reibungslos.

Je später der Abend wurde, umso mehr Gäste trafen ein und bald war das Lokal wegen Überfüllung dem Schließen nahe. Auch jetzt hatte ich noch alles gut im Griff.

»Wer hat dich denn aus dem Ei gepellt?« Tim stand so plötzlich hinter mir, dass ich ein Glas mit Cola fallen ließ.

»Deine Mutter, wieso?«, wollte ich schnippisch wissen, während ich die Scherben aufhob, und ihn böse ansah.

Sollte er doch endlich sagen, dass ich hässlich bin. Mir doch egal. Aber eigentlich auch nicht. Nicht heute. Bitte.

»Nur so.« Er grinste mir breit ins Gesicht. Okay, eindeutig hässlich genug.

»Dann kannst du mich ja jetzt weiterarbeiten lassen.« Ich schob ihn zur Seite und merkte, wie mir überflüssigerweise die Tränen in die Augen traten. Als hätte ich nicht schon im Vorfeld gewusst, was er von mir hielt. Astrein.

»Tja, würde ich ja gerne, aber du stehst mir im Weg. Ich soll dir helfen, also beweg deinen hübschen Hintern und nimm die Bestellungen entgegen. Ich mache die Getränke«, meinte er plötzlich und schob mich zur Seite.

Es dauerte eine Weile, bis ich kapierte, was er von mir wollte, denn mein Gehirn knabberte gerade noch an zwei Worten herum. Hatte der gerade echt ›hübscher Hintern‹ gesagt? Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie er breit grinsend die Bestellungen fertigmachte.

Mal ganz im Ernst, sollte ich das jetzt als Kompliment betrachten? Ich wusste wieder einmal nicht, wo ich bei ihm dran war. Hbscher Hintern? War das jetzt ernst gemeint oder nicht? Mir lag es auf der Zunge, zu fragen, aber irgendwie kam meine Schüchternheit bei seinen Worten wieder durch. Daran würde ich wahrscheinlich noch die ganze Nacht zu knabbern haben.

Es war so viel los, dass ich Gott sei Dank nicht zum Nachdenken kam. Und zu allem Überfluss, betraten auch noch zwei weitere Gäste den Gastraum, die ich nur zu gut kannte. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich umzukleiden.

Oh weia, ich war geschminkt, trug ein Kleid und stand mit Tim hinter der Theke. Mein Todesurteil. Warum waren die überhaupt hier, schließlich gab es ja nichts umsonst?

Tim war meinem erstarrten Blick gefolgt, und noch bevor ich überhaupt reagieren konnte, nahm er meine Hand und zog mich hinter sich. Wie eine Salzsäule stand ich da und konnte mich nicht rühren. Nur gut, dass er knapp einen Kopf größer war als ich.

»Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?«, fragte seine Mutter verwundert. Ich zitterte so sehr, dass meine Zähne schon aufeinander klapperten.

»Ihre Eltern«, meinte Tim und wies mit dem Kinn auf die zwei, »wenn die sie hier so sehen, bestellst du besser schon einmal den Totengräber.«

Sie folgte seinem Blick und sah sich die zwei suchenden Gäste an, die nicht gerade den Eindruck vermittelten, als würden sie nach einem freien Platz oder Schaben Ausschau halten.

»Okay, ich denke, ihr verschwindet besser von der Bildfläche.« Meine Eltern sahen echt nicht gerade so aus, als wollten sie gemütlich den Abend hier verbringen.

»Geht klar.« Schon hatte er meine Hand gefasst und zog mich mit in den privaten Bereich, die Treppe hoch und schob mich schließlich in sein Zimmer.

»Was … was machst du denn? Ich will doch keinen Ärger mit deiner Mutter.« Das ging alles so verdammt schnell, dass ich nicht einmal mitbekam, dass sie uns das OK zum Verschwinden gegeben hatte.

»Willst du lieber wieder da runter?« Sein böser Blick ging mir unter die Haut. Und wie.

»N…ein, nicht unbedingt«, druckste ich rum und spielte wieder mal nervös mit meinen Fingern.

»Dachte ich mir.«

»Aber sie werden mich suchen und einen Aufstand machen. Ich kenne meine Eltern besser als du, die lassen das nicht mit sich machen. Ich muss mir dieses Zeug abwaschen, in meine Klamotten springen und einfach nur zeigen, dass ich hier bin. Dann nehmen sie vielleicht nicht den ganzen Laden auseinander.«

Ich schnappte mir bereits ein Taschentuch und fing an, meine Wangen von dem Make-up zu befreien. Widerspenstiges Zeug. Langsam aber sicher färbte sich das weiße Tuch braun, aber meine Hand wurde mitten in der Arbeit festgehalten. Ich sah seinen mürrischen Blick. Okay, meine Wange hatte ich total vergessen, er wusste ja noch nichts davon. Er hockte sich vor mich hin und sah mich ernst an, nachdem er mich auf sein Bett gedrückt hatte.

»Ist das, wegen des Anrufs meiner Mutter passiert?« Antworten Fehlanzeige. Rot werden klappte ausgezeichnet.

»Okay, es reicht. Das ist wohl das Bescheuertste, was ich je gesehen habe.« Er sprang auf und wollte wutentbrannt zur Tür stürmen, was ich natürlich unter keinen Umständen zulassen konnte. Meine Hand krampfte sich an seinem Pullover Ärmel fest und ich zog ihn so ruckartig zurück, dass er auf mir im Bett landete. Okay, das war nicht gerade der gewünschte Effekt. Peinlicher ging es nicht und ich hoffte, er missverstand es nicht. Und ich verstand auch absolut nicht, warum er sich meinetwegen so aufregte.

»Lass gut sein. Du machst es nur noch schlimmer.« Sein Blick könnte gerade töten. Mein Herz raste wie ein Tornado durch meine Brust. Schließlich lag er noch immer auf mir. Und mein Kopf verstand seine Reaktion am allerwenigsten. Der gab sonst immer seinen Senf dazu, doch jetzt, wenn ich ihn einmal wirklich brauchte, Totenstille. Ich hasste ihn.

Plötzlich schien ihm klar zu werden, in welche Situation ich uns gebracht hatte. Oh man, ich war so was von behämmert. Aber anstatt panisch aufzuspringen, blieb der auch noch seelenruhig liegen. Echt jetzt?

»Wie war doch gleich deine Antwort bei unserem kleinen Spiel?« Ich dachte nicht, dass ich antworten musste. Sein Blick und das schelmische Grinsen sagten alles. Zudem hatte ich das längst vergessen.

»Okay, könntest du von mir runtergehen, bitte.« Keine Reaktion, nur ein noch breiteres Grinsen auf seinem Gesicht. Bitte Gott, lass sich ein Loch auftun, in dem ich verschwinden konnte.

»Warum? Ist doch gerade gemütlich.« Okay, so wollte ich das zwar nicht, aber er ließ mir keine andere Wahl. Ich hatte es im Guten versucht. Wie wild trommele ich auf seine Brust ein und er? Er lachte sich kaputt? Na, eine echt tolle Wirkung.

»Hey, da richtet ja ein Wattebausch mehr an als du.« Ein breites Lachen und mein Bauch, der sich krampfhaft zusammenzog. Astrein, tolle Kombi.

»Geh runter, verdammt.« Wieder erntete ich ein herzhaftes Lachen. Meine Antwort: Panik. Er war so nah über mir und meinem Gesicht. Ich roch ihn sogar. Ein toller Duft. Nein, verdammt. Ich wehrte mich wieder. Wusste der überhaupt, wie schwer er war? Was war jetzt los? Plötzlich setzte der ein ernstes Gesicht auf und stützte sich auf seine Unterarme. Ich hielt das nicht mehr aus.

»Wann willst du endlich was dagegen unternehmen?« Sein Daumen strich mir leicht über die pochende Strieme an der Wange. Mannoman, mein Körper reagierte prompt mit einem wahnsinnigen Kribbeln. Warum verriet mich immer wieder jeder Zentimeter meines Körpers?

»Wenn ich in der Lage bin, für mich selbst zu sorgen.« Ich hielt seinen Blick nicht mehr aus. Verlegen sah ich mir lieber die schöne weiße Wand an.

»Zieh doch einfach hier bei uns ein.« Er strahlte über seinen Lichtblick. Ich fragte mich, ob er noch ganz dicht war. Hammer. Wie kam man auf eine so bekloppte Idee?

»Na klar doch.« Mein höhnisches Lachen schien ihm nicht zu imponieren.

»Hey das ist mein vollkommener Ernst.« Endlich rollte er sich von mir runter. Gefühlte einhundert Kilo leichter.

»Du spinnst doch. Wie stellst du dir das vor?«

»Pack deine Sachen und komm her. Wie denn sonst?« Sein Ernst? Okay, ich war im falschen Film. So langsam legte sich mein Schalter wieder auf ›Kratzbürstig‹ um. Ich setzte mich ruckartig auf.

»Du hast wohl den Knall nicht gehört.« Ein breites Grinsen seinerseits. Ein böses Funkeln meinerseits. Okay, wenigstens versuchte ich es.

»Wie kann man so blöd sein, und das ausschlagen?« Das kleine Biest von Teufelchen tauchte immer dann auf, wenn ich ihn nicht gebrauchen konnte.

»Ach jetzt meldest du dich plötzlich wieder und wo warst du, als ich dich gebraucht habe?«

»Urlaub.«

»Okay, es reicht, halte endlich deinen Rand.«

»Phhh, ich sag nichts mehr, auch wenn du bettelst.«

»Das ist auch besser so, aus deinem Mund kommt sowieso nichts Vernünftiges«, meinte der Engel, der wie ein Geist erschien.

Und schon wieder hatte ich die zwei Gestalten an der Backe, die sich einen redlichen Schlagabtausch lieferten.

Ich räusperte mich und konzentrierte mich auf Tim.

»Mal ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie du dir das vorstellst. Soll ich vielleicht mit gepackten Koffern vor deine Eltern treten und sagen ›Hier bin ich, wo ist mein Zimmer?‹«

»Wieso? Ich finde die Idee genial. Du kommst aus dem Irrenhaus raus und bist sofort auf der Arbeit, wenn man dich braucht. Mit meinen Eltern kann ich reden.« Der hatte doch echt einen Vollschaden, oder?

»Wag es dich. Das ist mein Leben und du hast dich nicht da einzumischen.« Ich war furchtbar wütend. Auf einer Scala von 1-10 mindestens 2. Oh man, war der süß. Doch allein die Vorstellung, das meinen Eltern beibringen zu müssen, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren.

»Und das erinnert mich wieder an unser kleines Spiel.« Ein gemeines Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich ahnte Schlimmes.

»Pflicht, oder?«

»Ich warne dich.« Ich hoffte, mein erhobener Zeigefinger und mein warnender Blick zeigten Wirkung.

»Na ja, eigentlich wollte ich deine Antwort für etwas anderes nutzen«, meinte er und grinste schelmisch.

Ich glaubte, ich wollte gar nicht wissen wofür. Mein Problem, Neugier.

»Wofür?« Warum kam der jetzt so nah an mich ran? Sah der vielleicht schlecht? Mein Herz machte einen Luftsprung. War ja klar, dass dem das Mal wieder gefiel. Ich sprang aus dem Bett. Meine Beine ergriffen nach hinten die Flucht. Die Wand zu nah und leider im Weg. Hände links und rechts neben meinem Körper. Okay, Flucht zwecklos.

»Kann ich dir zeigen.« Wollte ich nicht so genau wissen. Doch wollte ich. Verdammt, warum stand ich hier vor der Wand in seinem Zimmer?

»Brauchst du nicht, danke.«

»Sicher?« Er grinste schelmisch.

»Ja sicher, bin ich sicher.« Woher sollte ich das wissen, verdammt.

»Also entweder das eine oder das andere. Such es dir selbst aus.«

Moment mal, stellte der mir wirklich gerade ein Ultimatum? Lebensmüde oder was? Ich fiel vom Glauben ab.

»Aber sonst geht es noch?« Wutpegel steigend.

»Entweder, oder. Also?« Meine Eltern? Niemals. Das andere, keine Ahnung was er meinte, also ein dickes Fragezeichen. Zudem traute ich ihm dabei kein bisschen über den Weg. Ungeduldig wartete er auf eine Antwort. Ich steckte so tief in der Zwickmühle, dass ich das in meinem Kopf auswürfeln musste.

Also von 1-3 meine Eltern. Von 4-6 was auch immer. Der Würfel fiel und eine … 5. Okay, ich wusste zwar nicht, ob ich total ins Fettnäpfchen trat, aber meine Entscheidung stand. Nein … tat sie nicht wirklich. Loch tu dich bitte auf. Grrr. Ich kniff meine Augen fest zusammen.

»Meine Eltern auf keinen Fall«, sprudelte es raus. Langsam öffnete ich wenigstens ein Auge und sah sein freches Grinsen. Also doch Fettnäpfchen. Na klasse. Hilfe!

»Okay, aber denk dran, es war deine Entscheidung.« Sein Gesicht näherte sich unaufhaltsam meinem und mein verräterisches Herz, hatte nichts Besseres zu tun, als sich für einen momentlang zu verabschieden. Auf nichts war mehr Verlass. Seinen Atem konnte ich bereits in meinem Gesicht spüren und schon verabschiedeten sich meine Beine ebenfalls. Ich kam mir langsam vor, als hätte ich Lepra.

Doch sein warmer Atem jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken … einfach Wahnsinn. Wenn meine Fingernägel lang genug gewesen wären, wären sie wahrscheinlich auf der anderen Seite der Wand wieder herausgekommen. Okay, eindeutig zu viel. Besser die Augen wieder zu. Mein Herz raste wie bekloppt und Teufelchen und Engelchen hielten auch endlich die Klappe. Mein Kopf versuchte noch, krampfhaft die Gedanken zu ordnen. Und dann spürte ich, wie sich meine Lippen eigenmächtig spitzten, als würden sie hoffnungsvoll auf etwas warten.

Und dann … nix. Außer ein Lachen.

Ich riss die Augen wieder auf und dachte, wie bescheuert konnte man eigentlich sein. Hochrot im Gesicht sah ich ihm beim Lachen zu. Peinlich? Gar kein Ausdruck. Behämmert traf es eher. Ich hatte das dumpfe Gefühl, als würde sich gerade wieder jeder verdammte einzelne Buchstabe auf meiner Stirn erneut einbrennen. Wutpegel: ›höchst empfindlich.‹

»Ja klasse. Hattest du jetzt deinen Spaß? Ich bin so ein Idiot. Ich dachte echt, du hättest dich seit der Schulzeit geändert. Aber ich bin ja selbst schuld«, wetterte ich und schubste ihn wütend vor mir her und meine Augen füllen sich mit der salzigen Brühe, aber nicht mit Lachen. »Weißt du was? Da hole ich mir ja lieber noch eine Tracht Prügel von meinen Eltern ab, da weiß ich wenigstens wo ich dran bin.«

Er fiel, durch mein unaufhörliches Schubsen auf sein Bett, hielt mich an den Armen fest und zog mich unglücklicherweise mit sich. Dieses Mal lag ich auf ihm, was die Situation auch nicht viel besser machte. Ich schlug weiter total verpeilt auf ihn ein, bis er anscheinend die Nase voll hatte und meine Hände festhielt und mich aus zusammengekniffenen Augen fragend ansah. Machte der jetzt auf Unschuldslamm oder was?

»War das jetzt dein Ernst?« Kurz hielt ich inne, mich zu befreien, doch das hielt nicht lange an. Ich wollte einfach nur weg.

»Ja, das war mein vollkommener Ernst. Lass mich endlich los.«

»Nein.« Er hielt vorsichtshalber meine Handgelenke noch fester. Nein? Wie jetzt, nein? Boa, ging er mir auf den Keks. Okay, ich hatte auch noch andere Sachen auf Lager.

»Lass mich los«, schrie ich, so laut ich konnte.

»Bist du verrückt? Unten ist das ganze Haus voll mit Gästen.« Mein Blick herausfordernd.

»Mir doch egal, dann lass mich los.«

»Nein heißt nein«, meinte er noch einmal mit Nachdruck.

Mein Mund klappte auf. Nicht wahr, oder? Okay dann eben auf ein Neues.

»Hil…« Zuerst dachte ich, er hielte mir mit der Hand den Mund zu, bis ich realisierte, dass er noch beide Handgelenke festhielt. Ich riss meine Augen auf. Oh Gott, machte er gerade etwa das, was ich dachte?

Ich konnte seine Lippen ganz deutlich auf meinem spüren, und meinem Körper schien dieses Gefühl zu gefallen. Doch ich wollte das nicht. Krampfhaft versuchte ich, mich zu befreien, und als ich endlich das Gefühl hatte, es zu schaffen, ließ er meine Handgelenke los, schob eine Hand in meinen Nacken und zog mein Gesicht wieder näher an seins. Ich hatte keine Chance mehr, mich von diesem Gefühl loszureißen. Und ich wollte es auch nicht mehr. Zum ersten Mal bekam ich das, was ich schon so lange wollte. Er war so zärtlich, dass ich glaubte, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Mein ganzer Körper wurde nur so mit Gefühlen überschüttet, dass ich sie nicht in Kategorien einordnen konnte. Langsam erwiderte ich ihn und verdammt, es gefiel mir. Auch als seine Zunge sich durch meine geöffneten Lippen schob und zuerst zaghaft mit meiner spielte. Wow, ich konnte nicht mehr denken. Meine Bauchmuskeln verkrampften sich, mein Herz raste und mein Unterleib wurde ziemlich warm, warum auch immer. Doch plötzlich schob er mich ein Stück von sich und sah mich atemlos an. Sprechen konnte ich momentan nicht, mein Kopf war gerade mit etwas vollkommen anderem beschäftigt, als meinem Sprachzentrum Befehle zu erteilen. Mein Körper war jedenfalls schwer enttäuscht und wollte eindeutig mehr.

»Das nächste Mal nimmst du besser Wahrheit.« Er bekam noch immer kaum Luft und seine Brust hob und senkte sich schnell. Genau wie bei mir. Er setzte sich hin und ich saß jetzt auf seinen Beinen. Meine Hände spürten ganz deutlich sein pochendes Herz in seiner Brust. Und ich konnte noch immer nicht richtig fassen, was gerade passiert war. Mein Puls beruhigte sich keinen einzigen Schlag und meine Lippen bebten, als würde er sie noch immer berühren.

Langsam hob er seine Hand und streichelte mir sanft über die Strieme. Ich zuckte leicht zusammen und er hielt mit fragendem Blick inne. Ein leichtes Lächeln huschte über mein Gesicht, um ihm zu zeigen, dass es schon okay war. Dann änderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck. Er vergrub seine Hände in meine Haare, richtete seinen Oberkörper auf, zog mich zu sich und legte ganz zart seine Lippen auf meine. Einmal, zweimal, um sie beim dritten Mal komplett in Besitz zu nehmen. Wow, ob ich diese Gefühle wohl je wieder aus meinem Kopf bekommen würde? Gerade als er das Spiel mit seiner Zunge wieder begann, klopfte es an der Tür. Erschrocken fuhren wir auseinander, als hätten wir gerade etwas vollkommen Verbotenes getan. Im gewissen Sinne hatten wir das ja auch. Na ja, auf jeden Fall ich. Ich wusste nicht, was meine Eltern mit mir anstellen würden, wenn sie das mitbekommen hätten. Wieder klopfte es. Tim legte genervt die Stirn gegen meinen Oberkörper, entschloss sich aber schließlich dafür, mich von sich zu schieben und die Tür zu öffnen.

»Habe ich mir doch gedacht, dass ihr hier seid.« Seine Mutter stand außer Atem vor der Tür, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich gebracht.

»Was ist passiert?« Instinktiv wusste ich, dass es mit meinen Eltern zu tun hatte.

»Ich musste die Polizei rufen, deine Eltern sind vollkommen durchgedreht, weil sie dich nirgends finden konnten. Ihr Vater ist sogar auf deinen Vater losgegangen und du kennst ihn ja, wenn er sauer wird.« Okay, das war es wohl mit meiner Lehrstelle, dachte ich traurig. Aber ich musste mich wenigstens für meine Eltern noch entschuldigen. Etwas anderes konnte ich nicht mehr tun.

»Es tut mir wahnsinnig leid, wirklich. Ich wusste nicht, dass die auftauchen würden.« Tränen, immer dann, wenn ich sie nicht gebrauchen konnte.

»Ich glaube, ich gehe jetzt besser. Sie können natürlich den Schaden, den sie angerichtet haben, von meinem Lohn einbehalten.« Mit gesenktem Blick ging ich auf die Tür zu. Tim hielt mich jedoch stöhnend am Arm fest, als ich an ihm vorbei wollte.

»Verdammt noch mal, das ist doch nicht deine Schuld«, raunte er und sah mich böse an.

»Natürlich ist es nicht ihre Schuld, wie kommst du denn auf so was?« Seine Mutter legte mir fragend eine Hand auf den Arm. Ich war so verdattert und meine Tränen liefen wie kleine Bäche über meine Wangen.

»Okay, komm her«, meinte Tim schließlich und zog mich an sich heran und hob mein Gesicht an. »Das waren ihre Eltern, weil du sie gestern angerufen hast.«

Er wies mit der Hand auf meine Strieme auf der Wange und seine Mutter zog scharf die Luft ein. Okay, jetzt war es raus und ich würde mich komplett zum Gespött machen.

»Warum hast du denn nie etwas gesagt?« Ihr mitfühlender Blick tat in meiner Brust weh.

»Weil sie Angst hatte. Sie wollte nicht, dass ihre Familienverhältnisse nach außen dringen.«

»Und jetzt sag nicht, dass du das wusstest und nichts unternommen hast? Schäm dich«, warf sie Tim an den Kopf und verpasste ihm eine gegen seinen Arm.

»Bitte, er hat nichts falsch gemacht. Es war meine Entscheidung.« Ich versuchte, noch zu retten, was zu retten war. Ich wollte nicht, dass er wegen mir Ärger bekam.

»Ich habe ihr sogar angeboten, hier bei uns zu wohnen, aber sie hat ja abgelehnt.« Ein böser Blick traf mich.

»Gut, gehen wir erst einmal nach unten. Die Gäste sind weg und dein Vater wird sich sicher auch noch mit ihr unterhalten wollen.« Tim hielt mich noch immer am Arm und ging als erster los, doch ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich hatte Angst. Richtig Angst. Ich zitterte richtig.

»Deine Eltern sind nicht mehr hier und mein Vater wird dir mit Sicherheit keine Vorwürfe machen«, versuchte er, auf mich einzureden.

Doch meine Beine entschieden sich eindeutig zur Gegenwehr.

Ich schüttelte nur verwirrt meinen Kopf und versuchte, seine Hand von meinem Arm zu lösen. Ich konnte einfach nicht da runter. Ich musste mich zwar immer verteidigen oder ließ alles über mich ergehen, aber das Wort Angst, gab es bei mir eigentlich nicht. Er sah mich prüfend an, zog mich schließlich in seine Arme und drückte mein Gesicht an seinen Brustkorb. Seine Mutter stand da und hielt sich sichtlich gerührt die Hand auf den Mund. So kannte sie ihren Sohn wohl auch noch nicht.

»Es ist alles okay. Dir passiert hier nichts und außerdem bin ich auch noch hier. Okay?«, meinte er und lächelte mich zärtlich an, »Komm.«

Ich wusste nicht warum, aber sein beruhigender Tonfall und seinem zärtlichen Blick konnte ich diesen Wunsch einfach nicht abschlagen. Er nahm meine Hand und ich folgte ihm wie ein scheues Reh. Seine Mutter hinter uns her.

Ich hatte jedenfalls eins aus der ganzen Sache gelernt. Egal, ob ich nun Wahrheit statt Pflicht gewählt hätte, wahrscheinlich wäre der heutige Tag gleich ausgefallen. Er hatte mich dazu gebracht, mich allmählich zu öffnen, sodass ich die Möglichkeit bekam, ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben ohne ständige Prügel und Beeinflussung. Ein neues Leben ohne Schriftzug auf meiner Stirn. Na ja, vielleicht nicht ganz, denn ich denke er hatte sich nur von ›Außenseiterin oder Looser‹ in ›total verknallt‹ geändert, aber damit konnte ich leben, wenn es Tim auch konnte. Mein Zimmer in diesem Haus, stand auf jeden Fall für mich bereit.

 

 

Kapitel 6 Ein Schritt nach dem anderen

Unter den Augen der Polizei wurde mir dann die Möglichkeit gegeben, meine Sachen zu packen und dieses, doch allzu ›geliebte« Haus‹ zu verlassen. Mein neues Zimmer im Gästehaus war bereits bezugsfertig und das Gespräch mit meinem Chef lief auch zu meiner Zufriedenheit. Wahnsinn, endlich lief es auch einmal gut für mich.

Meine Eltern hatten schon eine Androhung bekommen, dass sie sich vor einem Gericht für die jahrelange Misshandlung meinerseits veranworten müssten. Okay, sollte mir das jetzt echt leidtun? Wie bescheuert konnte man eigentlich sein? Sie bekamen das, was sie auch verdienten.

Nur ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich von einem Irrenhaus in die Höhle des Löwen ziehen würde. Na ja, wahrscheinlich machte ich mir zu viele Gedanken, aber wenn ich an Tim dachte, meinte ich, waren die auch berechtigt.

Wie auch immer, einer der netten Polizeibeamten betätigte sich sogar als Umzugshelfer und alles ging ziemlich friedlich vonstatten. Wenn man mal von den Drohungen meiner Eltern gegen mich absah. Aber damit konnte ich momentan gut leben. Schließlich hatte ich gerade zwei Beschützer in Uniform neben mir, die sich alles fleißig notierten. Selbst Schuld, wenn man nicht die Klappe halten konnte. Auf jeden Fall machte sich das nicht gut in einem Führungszeugnis.

Meine Chefin wartete schon ungeduldig auf meine Ankunft und hatte ihren Mann und Tim dazu verdonnert, meine Sachen ins Zimmer zu bringen. Ein Bild für die Götter. Besonders Tims Ausdruck, als er meinen Sack mit der Unterwäsche nach oben tragen musste. Ich dachte schon, er würde die Nase hineinstecken, doch Gott sei Dank, oder vielleicht auch leider, war sein Vater hinter ihm. Sonst wüsste er wahrscheinlich jetzt meine Körbchengröße. Obwohl, viel zu erraten gab es da nicht, grins. Kleiner als klein, denke ich. Aber vielleicht gab es in dieser Welt auch noch kleinere. Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.

Bis zum Abend hatte ich alles gut verstaut und fiel todmüde auf das gemütliche Bett. Langsam schlummerte ich vor mich hin, bis es an der Tür klopfte und ich meine warme Kuschelhöhle wieder verlassen musste. Menno.

Und wer erwartete mich? Na? Na? Na?

Richtig, Tim. Toll, ich wollte schlafen und nicht … oh man, knutschen.

Ein Überfall der ganz besonderen Art, daran musste ich mich wohl noch gewöhnen. Also doch in die Löwenhöhle getappt.

»Du siehst müde aus«, stellte er fest, nachdem er mich nach einem Zungenspiel, das verboten werden sollte, freigab.

»Bin ich auch«, protestierte ich.

»Wirklich?« Er grinste breit. Kein Wunder, meinen Herzschlag konnte man wahrscheinlich noch im Gastraum hören.

»Ja, wirklich«, äffte ich ihn nach und tat beleidigt. Meistens klappte das ja auch.

Wohlbemerkt meistens, er wahr wohl eher die Ausnahme.

Auf jeden Fall stand ich komischerweise auf einmal an meinem Bett, das noch immer auf mich wartete.

»Okay, wenn das so ist, schlafen wir eine Runde«, meinte er und schon lag ich mit ihm zusammen drin.

Alles klar, das war jetzt eindeutig zweideutig. Obwohl ich bereits wusste, dass er lieber die zweite Variante nehmen würde.

»Aber ich will jetzt wirklich schlafen, ich muss morgen arbeiten«, gab ich zurück und gähnte, um ihn zu überzeugen.

»Da sagen die aber was ganz anderes.«

Er zwinkerte mir gut gelaunt zu. Moment mal, packte der mir gerade an meine Minititten?

Meine Warzen wollten mehr und reckten sich. Olala, die wollten so was von mehr. Es reichte jetzt, sonst bekamen die eine Woche Stubenarrest. Doch meine Warnung war denen schnurzpiepegal. Die hatten irgendwie ihren eigenen Kopf. Das ging zu weit. Ich drückte seine Hand weg.

»Lass das.« Ich versuchte, ihn böse anzugucken, und hoffte, dass er aufhörte. Wohl bemerkt, ich versuchte es, denn mein Körper war offensichtlich komplett anderer Meinung und reagierte ziemlich sauer. Egal, was ich machte, er drückte sich an ihn. Zum Geier, was sollte das, wo kämen wir denn hin, wenn jeder machen könnte, was er wollte.

»Echt, soll ich wirklich aufhören, dich alleine lassen und mich in mein Bett verziehen?« Schmollmund und Hundeblick, echt jetzt? Hey, was machst du da? Mein ganzer Körper drängte sich an ihn und mein Kopf fragte mich, ob ich noch ganz dicht bin, ihn jetzt gehen zu lassen.

Verdammt, halt die Klappe, blöder Kopf, ich bestimme hier.

Grrr, selbst gegen meinen eigenen Kopf kam ich nicht an. Und dann machte auch noch mein Mund schön bei dem ganzen Komplott mit.

»Nein, sollst du nicht.« Seit wann hörte eigentlich keiner mehr auf mich? Na toll, da konnte ich auch direkt aufgeben.

Und sein Kuss zeigte mir dann, dass mein Körper sich absolut richtig entschieden hatte.

Erst ganz sanft, dann fordernder, bis seine Zunge wieder dieses irre Spiel mit meiner trieb. Ich glaubte, gleich in Ohnmacht zu fallen, doch dann verabschiedete sich sein Mund von meinem und wanderte über meinem Hals bis hin zu meinem Ohr. Er schien mein Ohrläppchen mit Lebensmittel zu verwechseln. Auf jeden Fall biss er genüsslich hinein, um dann mit seiner Zunge meine Ohrmuschel zu säubern. Oh Gott, ich hatte noch nie so viel Gänsehaut an meinem Körper gesehen. Vor allem hatte ich das Gefühl, als loderte gerade ein Lagerfeuer in meinem Unterleib. Zu viel Gefühl. Viel zu viel. Eindeutig zu viel. Völlig außer Atem saß ich plötzlich kerzengerade im Bett. Pochendes Herz, roter Kopf, zitternde Hände und jedes einzelne Körperteil auf Verrat aus.

Ein wissender Blick und das Schmunzeln eines ausgewachsenen Löwen, den ich in mein Zimmer gelassen hatte. Oh weia, ich wusste es. Meine Gefühle fuhren gerade Achterbahn und wenn ich ehrlich war, wollte ich eigentlich mehr. Viel mehr. Langsam drehte ich mich zu ihm und wollte ihm gerade einen Kuss geben und ihm heimzahlen, was er mit mir angestellt hatte, da bekam ich einen Schmatzer auf die Stirn. Er grinste.

»Schlaf gut, bis morgen«, meinte er knapp, erhob sich, zwinkerte mir zu und verließ doch tatsächlich mein Zimmer.

Was? Wieso, schrie jede Faser meines Körpers. Das schlimmste jedoch war, wer löschte jetzt das Lagerfeuer? Ich wünschte ihm ja wirklich nichts Schlimmes an den Hals, aber ich hoffte nur, dass es ihm genauso ging wie mir gerade, sonst drehte ich durch. Ich brachte diesen Kerl noch irgendwann um. Grrr.

 

Der nächste Morgen, mein Bett total zerwühlt, im Spiegel sah ich einen Zombie und zu allem Überfluss musste ich in einer halben Stunde arbeiten.

Toll, meine Eltern hatten ja schon immer ganze Arbeit geleistet, aber gab es nicht auch ein Gesetz gegen seelische Grausamkeit? Wenn ich den heute in die Finger bekäme.

Ich ging ins Bad, wusch mich gründlich und versuchte, wenigstens etwas Frische in mein Gesicht zu bekommen. Fehlanzeige. Ich hätte es auch ganz einfach lassen können. Ganz ehrlich, wieso musste ich so aussehen? Schließlich zog ich mich an und schleppte mich die Treppe nach unten, wo ich bereits Tims Stimme aus dem Gastraum vernahm. Nichts wie hin, bevor er sich verkrümelte, schließlich hatte ich ja noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. In der Tür blieb ich jedoch ungläubig wie angewurzelt und mit weit offenem Mund stehen. Ich sah wahrscheinlich gerade wie ein Fisch aus, der nach Luft schnappte. Auf meiner Stirn erschien ein neuer Stempel ›Versager‹.

Da stand der mit einer Frau, wusste nicht wohin mit seinen Händen und knutschte die von oben bis unten ab. Da ich ja nicht eifersüchtig war, stampfte ich auf die zwei zu und blieb mit den Händen in den Hüften vor ihnen stehen. Nix. Die bemerkten mich nicht einmal. Okay, langsam wurde ich sauer. Auf der Theke eine Kanne mit Wasser für die Blumen. Ich nahm sie und goss fein säuberlich die zwei Blümchen vor mir. Endlich eine Reaktion. Die Frau keifte mich an und ich grinste ihr frech ins Gesicht. Tim sprachlos, was selten vorkam.

»Sag mal, hast du sie noch alle?«, schrie die Tussi mich an. Tim noch immer sprachlos.

Ich stand vor ihr, grinste und dachte mir besser meinen Teil. Nachdem ich mich zu Tim drehte, trat ich ihm gegen das Schienbein und verließ den Raum in Richtung Küche, wo mein Chef schon wartete. Plötzlich war Tim gar nicht mehr so sprachlos und heulte rum.

»Was hat den denn gebissen?«, meinte mein Chef und sah mich fragend an.

»Keine Ahnung«, tat ich unschuldig und die Genugtuung gab mir neuen Schwung für den Tag.

Aber der Typ sollte mir heute besser nicht mehr über den Weg laufen. Ich war so verletzt, wie noch nie in meinem ganzen Leben zuvor. All die Prügel und Sticheleien hatte ich immer gut weggesteckt. Doch gerade jetzt fühlte ich mich schlimmer als nach jeder Tortur meiner Eltern.

 

Abends hatte ich dann Dienst an der Theke und mit wem? Ja, genau der, dem ich den neuen Stempel verdankte. Ich würdigte ihn keines Blickes und ging meiner Arbeit gewissenhaft nach. Plötzlich tauchte er hinter mir auf und flüsterte in mein Ohr »Eifersüchtig?«

Der hatte sie doch echt nicht mehr alle. Am liebsten hätte ich mich zu ihm gedreht und ihm erneut gegen das Schienbein getreten, doch meine Arbeit hielt mich leider davon ab. Wenn der mir heute noch einmal in die Quere käme, garantierte ich für nichts.

Meine Chefin rief mich in die Küche und erteilte mir einen neuen Auftrag. Ich sollte noch ein Zimmer für einen neuen Gast vorbereiten. Endlich konnte ich ihm ohne Mühe aus dem Weg gehen. Dachte ich zumindest.

Ich war gerade in dem Zimmer angekommen, dass ich auf Hochglanz polieren sollte, da trottete er hinter mir her.

»Was willst du?«, fauchte ich ihn ungehalten an, doch er grinste nur kurz in meine Richtung und drängelte sich dann an mir vorbei in das Zimmer. »Hey, was machst du hier?«

»Ich soll noch ein zusätzliches Bett aufbauen, aber keine Sorge, ich will es nicht mit dir ausprobieren.«

Wenn ich mir nicht ziemlich sicher gewesen wäre, dass er die Wahrheit sprach, wäre gerade meine Hand in seinem Gesicht gelandet. Aber ich musste meine Arbeit machen, denn genau dafür war ich hier und nicht, um mich über diesen Kerl aufzuregen.

Innerhalb einer halben Stunde hatte ich das Zimmer fertig. Tim hatte es dann auch endlich geschafft, das Bett aufzubauen, und ich musste es nur noch beziehen. Fein säuberlich legte ich mir die Bettwäsche zurecht, doch noch bevor ich sie aufziehen konnte, landete ich zusammen mit Tim auf dem provisorischen Bett.

»Lass mich los.« Ich schrie, auch wenn ich wusste, dass es nichts bringen würde. Mein Körper jubelte sowieso schon wieder und hörte kein Stück auf meinen Protest.

»Erst wenn du zugibst, dass du eifersüchtig bist.« Er grinste mich breit an und ich hatte nicht Unlust, ihm geradewegs in seine Weichteile zu treten. Verdammt, wieso musste ich etwas sagen, was er sowieso schon wusste?

»In deinen Träumen.« Ich tat so, als wäre ich gerade selbst total überzeugt von dem, was ich sagte. Doch sein lachender Mund zeigte mir eindeutig, dass ich es wieder einmal verpatzt hatte.

»Und ob du eifersüchtig bist.« Ich setzte einen warnenden Blick auf und wartete drauf, dass dieser bei ihm Wirkung zeigte. Klar, warten konnte man ja auf alles und lange, doch irgendwann wurde selbst mir klar, dass ich mal wieder total daneben lag. Mein Herz raste vor Wut. Klar doch, als ob. Es raste gerade aus einem ganz anderen Grund und der lag auf mir drauf.

»Bin ich nicht.« Ich hatte gerade das Gefühl, dass sich mein Kopf mit meinem Herzen unterhielt. Bis jetzt hatte ich das auch nicht erlebt. Doch ganz ehrlich, hätten die zwei es zustande gebracht, war ich mir gerade ziemlich sicher, dass die auch noch abgeklatscht hätten. So langsam drehte nicht nur mein Verstand, sondern auch mein ganzer Körper durch.

»Oh doch. Und ich wette, du hättest mich am liebsten gekillt.« Woher kannte der mich plötzlich bitte so gut? Und nein, ich ließ mich jetzt nicht auf dieses Spiel ein. Doch tat ich unter Garantie. Nein, ich wollte aber nicht.

Doch mein verräterischer Körper hatte kein Interesse daran, das Spiel nicht weiter zu führen. Oh man, Verräter wurden normalerweise hart bestraft.

»Na und? Es ist dir ja anscheinend egal, oder?«, konterte ich. Bitte sag nein. Bitte, bitte, bitte. Sein Gesichtsausdruck brachte mein Herz endgültig zum Aussetzen. Ich hasste ihn dafür. Nein, tat ich nicht, aber dass musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden.

»Wahrheit oder Pflicht?«

»Was?« Wie? Wieso kam der jetzt auf so was? Was wollte der jetzt schon wieder? Mein Schalter stellte sich schneller um als normalerweise und ich hatte wirklich nichts mehr unter Kontrolle. Wie jetzt? Schalter auf ›Herausforderung‹? Ich glaubte zu spinnen.

Ich versuchte, mich zu beruhigen, aber auch das gelang mir nicht mehr. Was sagte ich denn jetzt? Das letzte Mal ging ja schon in die komplett falsche Richtung. Verdammt.

»Eins.« Fing der jetzt schon wieder damit an? Nein, bitte, hab doch einmal Erbarmen.

»Zwei.« Okay, denk nach, denk einfach nach. Pflicht ging in die Hose, obwohl, so richtig ja auch nicht. Verdammt, auch wenn es dir gefallen hatte, war es nicht richtig. Er nahm mich eindeutig auf die Schippe. Wahrheit. Das könnte auch peinlich werden. Er öffnete den Mund, um die letzte Zahl zu nennen. Nein, ich fühlte mich gar nicht unter Druck gesetzt.

»Wahrheit«, schrie ich in Panik heraus und mein Kopf bestrafte mich mit einem schmerzhaften Stich.

»Ganz sicher?« Dieses Grinsen, da war es wieder und machte mich auf der Stelle noch nervöser.

»Ja, sicher. Frag schon, damit wir das hinter uns bringen können.« Wollte ich es wirklich wissen?

Oh Gott, warum hast du mich in dieses Haus gelotst? Dieser Kerl war die reinste Folter, da waren die Schläge meiner Eltern noch harmlos gegen. Hatte der mich nur da raus geholt, um mich auf diese Weise fertigzumachen?

»Ich frage dich noch einmal, bist du dir wirklich sicher?« Wieder dieser Hundeblick, der meinen ganzen Körper lahmlegte. Und ich hasste ihn doch, da konnte mein Herz auch sagen, was es wollte. Und warum mischte sich jetzt auch noch mein Unterleib ein. Nein, ich hasste euch alle. Verräterisches Volk. An den Pranger mit euch. Grrr.

»Ja, bin ich. Machst du jetzt mal etwas schneller? Ich habe noch zu tun.« Ich hoffte, das wirkte jetzt und er rückte endlich mit der Sprache heraus. Lange konnte ich meinen Körper nicht mehr davon abhalten, dass er sich an ihn ran machte.

»Der sieht aber heute auch zum Anbeißen aus.« Diesmal schwebte der kleine Teufel über seinem Kopf.

»Nein, tut er nicht, verdammt.«

»Bist du so blind, oder willst du es nicht sehen?«

»Nein, bin ich nicht und ich weiß genau, was ich sehe.«

Ich warf ihm einen giftigen Blick zu, worauf er beleidigt abdampfte.

Doch er hatte recht, ich sah einen heißen Typen, der gerade auf mir lag. Prompt hatte ich das Gefühl, als ginge auf meinem Kopf eine Warnleuchte an.

»Okay«, meinte Tim zuversichtlich.

Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und mein gehasster Körper jubelte. Toll. Ganz toll.

»Was jetzt?«, fragte ich schroff. Langsam wurde ich ungeduldig.

»Also gut, liebst du mich?« Ich glaubte, in diesem Moment wurde ich noch weißer als die Bettwäsche unter mir. Weder mein Kopf, noch mein Herz, noch der restliche Körper hatte mit dieser Frage gerechnet. Endlich waren einmal alle still. Endlich? Genau das war der Zeitpunkt, an dem sie mal etwas sagen sollten und die waren sprachlos.

Ich lag nur da, bekam weder ein Wort heraus, noch konnte ich meine entglittenen Gesichtszüge wieder in die richtige Position bringen. Ich gebe es zu. Ich war absolut überfordert. Wer wäre das in einer solchen Situation nicht? Oh mein Gott. Was antwortete ein liebestolles Mädchen auf so was?

»Was?« Mein Mund war sogar nur in der Lage, eine Gegenfrage zu stellen. Menno. Wenn man seine Sinne mal wirklich brauchte, kam aber auch nichts Vernünftiges dabei rum. Und jetzt lächelte der auch noch verführerisch. Oh Gott, ich hasste ihn doch.

»Liebst du mich? So schwer kann das ja nicht sein, oder?« Wenn der wüsste. Jetzt war es wohl eindeutig Zeit dafür den Schalter auf ›Panik‹ zu stellen. Wie konnte der so etwas so trocken fragen? Ich fiel noch vom Glauben ab. Mein Körper prickelte und wurde merkwürdig warm. Wenn ich ihm jetzt antworte, machte er sich dann wieder lustig über mich?

Okay, vielleicht sollte ich das auch auswürfeln, hatte schon einmal funktioniert. Nur gab es diesmal drei Optionen. Eins bis zwei, ich sagte es ihm. Drei bis vier, ich behielt es für mich und fünf bis sechs ich log. Also kleiner Würfel - roll. Und, und, und. Nicht dein Ernst jetzt, oder? Wieso ausgerechnet jetzt die eins? Sonst bekam ich auch keine, wenn ich die brauchte.

Okay, also gut. Da musste ich jetzt durch. Noch einmal tief Luft holen und …

»Ja.« Was? Wer hatte jetzt meinem Mund erlaubt zu antworten. Schalter auf ›Höchste Panik‹.

Tim lachte leise und ich lag entmutigt unter ihm. Traurigkeit machte sich in meinem ganzen Körper breit. Doch was war das auf einmal, ein liebevoller Blick? Ne, oder? Ich musste mich eindeutig irren, niemals.

»Übrigens war das eben meine Exfreundin, mit der ich in diesem Moment Schluss gemacht habe. Nur wollte sie mich anscheinend noch einmal vom Gegenteil überzeugen, aber dank dir, ist das redlich in die Hose gegangen.«

»Wie bitte?« Dann war das alles umsonst? Ich hatte mich umsonst aufgeregt? Wie konnte man nur so blöd sein?

Ich zweifelte langsam an meinem Verstand. Ein nicht wirklich schönes Gefühl. Und meiner machte sowieso, was er wollte. Außerdem hatte ich es eindeutig meinem Verstand zu verdanken, dass ich mich auf dieses blöde Wahrheit oder Pflicht Spiel eingelassen hatte. Verdammter Mist. Trotz allem stellte sich doch die Frage, warum er mit so einer heißen Schnitte Schluss machte? Und das war sie, ein heißer Feger, wie er im Buche stand. Dagegen war ich nicht einmal ein Mauerblümchen, lach.

»Also hatte ich doch recht. Du bist immer noch in mich verschossen.« Er grinste wieder breit. Ich hasste diesen Part an ihm.

»Nein, das ist mir nur so rausgeplatzt.« Und wenn jetzt wieder der Teufel auftauchte, würde ich ihn gegen die Wand schmettern. Doch Totenstille, wow.

»Na klar und ich bin der Osterhase.« Er lachte. Mhhh, netter Vergleich, aber nicht ganz.

»Echt? Ich hätte jetzt eher an einen Mistkäfer gedacht.«

»Wirklich? Ich könnte dich vom Gegenteil überzeugen.« Was? Wie jetzt? Kam gar nicht in die Tüte.

»Ach und wie willst du das anstellen? Mich mit deinen Öhrchen kitzeln.« Diesmal musste ich sogar schelmisch lachen und das kam ganz selten vor. Kam das überhaupt einmal vor? Nein, ich glaube nicht.

»Ich wüsste da etwas viel Besseres.« Sein Gesicht kam näher an meins heran und mein Schalter stellte sich gerade von selbst auf ›Schmusekurs‹ ein. Sag mal, spannen jetzt alle rum? Jetzt war wohl kaum der richtige Moment zum …

Oh doch, es war genau der richtige Moment zum Knutschen. Und wie der knutschte. Ich spürte es in jeder Zelle meines Körpers, die sich wahnsinnig auf dieses Erlebnis freuten. Oh Gott wenn der so weiter machte, bekäme ich jeden Moment einen Herzinfarkt. Aber zumindest hielten endlich mein Kopf und der Rest von meinem Körper die Klappe und ließen es mich in vollen Zügen genießen. Meine Augen schlossen sich ganz von selbst.

»Weißt du jetzt, was ich meine?« Keine Ahnung wer da geredet hatte, aber er störte gerade ganz gewaltig. Meine Lippen suchten noch gespitzt seinen Mund und realisierten erst, dass es schon vorbei war, nachdem er leise lachte. Ich riss erschrocken die Augen auf und sah ihn beleidigt an.

»Ich hasse dich«, stellte ich energisch fest. Ob der mir das abkaufte? Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, wohl eher nicht.

»Lügen kannst du jedenfalls nicht.«

»Warum tust du das eigentlich. Ich meine deine Freundin ist …«

»War. Sie war meine Freundin. Und glaube mir, auch wenn sie hübsch ist, gibt es da jemanden, der sich einen sicheren Platz in meinem Herzen ergattert hat. Auch wenn ich es erst jetzt verstehe.« Er lachte wieder und augenblicklich, legte sich mein Schalter wieder auf ›Eifersüchtig‹ um.

Wie sollte ich darauf reagieren? Sollte ich vielleicht bei seinen Worten gelassen bleiben? Ich meine, der knutschte hier seelenruhig mit mir herum, dabei dachte er an eine andere? Oh bitte, wie weit musste ich eigentlich noch sinken, um zu kapieren, dass der Typ unerreichbar für mich blieb. War ich vielleicht bescheuert. Und nicht nur das, ich war zudem total naiv. Meine Mutter hatte mich bestimmt einmal zu viel vom Wickeltisch fallen lassen. Seit der Schulzeit hatte sich nichts geändert und wahrscheinlich würde es das in Zukunft auch nicht. Wenn ich mich selbst danach fragen würde, hätte ich den Stempel ›Looser des Jahres‹ eindeutig auf meiner Stirn verdient.

»Okay«, brachte ich nur kleinlaut und traurig heraus.

Doch irgendwas in seinem Blick sagte mir, dass ich gerade vollkommen daneben lag.

»Kann es sein, dass du gerade denkst, ich spreche über ein anderes Mädchen?« Ha, ertappt. War doch auch so, oder etwa nicht? Er lachte lauthals los und ich starrte ihn nur an. Mehr konnte ich nicht, ich konnte nicht einmal denken.

»Klar«, meinte mein Mund wie von selbst und er? Er sah mich an, als hätte ich gerade den Verstand verloren. Okay, vielleicht war es jetzt doch an der Zeit, dass der kleine Quälgeist von Teufel wieder erschien.

»Wie jetzt darf ich wieder ran? Vergiss es.«

Wie von selbst ploppte er vor mir auf.

»Komm schon, sonst kannst du dich doch auch nicht zurückhalten.«

»Okay, das eine Mal und wehe du verbietest mir noch einmal den Mund. Der meint dich, du Idiotin.«

Moment, schrie mich gerade ein Teufelchen an?

Und was meinte der mit, der meint mich? Moment, der meinte mich? Eindeutig Zeit auf ›Panik‹ umzuschwenken.

»Du … du … du meinst … mich?«

Und warum stotterte ich jetzt wie bescheuert vor mich hin? Grrr.

»Thhh, du hast echt gedacht, ich rede von einer anderen? Du bist manchmal echt daneben, weißt du das.« Oh ja, das wusste ich nur zu gut. Wer rechnet auch damit, dass ausgerechnet ich eines Tages Aschenputtel spielen würde. Wohl keiner.

»Na ja.« Mehr bekam ich nicht mehr über die Lippen, sogar mein Verstand hatte sich gerade von mir verabschiedet und schlief den Schlaf der Gerechten. Tim lachte kurz auf.

»Ich liebe dich, du Trottel. Kapierst du es jetzt? Und ich denke, das ist nicht erst seit jetzt so. Wahrscheinlich war das schon in der Schule so.«

»Warte. Irgendwie stehe ich gerade auf dem Schlauch.« Das war untertrieben, es war wieder einmal ein ganzer Löschzug.

»Aber du hast mich genau wie die anderen fertiggemacht. Mich beschimpft, meine Sachen ruiniert und vieles andere und du willst mir jetzt weismachen, dass das so eine Art Liebesbeweis war?« Ich kratzte mich am Kopf, in der Hoffnung, dass der das verstand, aber Fehlanzeige. Also entweder hatte ich falsche Liebesvorstellungen oder hier lief gerade etwas vollkommen aus dem Ruder.

»Tja, scheint ganz so.«

»Tja? Dein Ernst jetzt? Und ich laufe wie ein liebestoller Hund durch die Gegend und mache mir Vorwürfe, ein Idiot zu sein? Na ja, ich meine, ich habe Jahre meines Lebens verschwendet, indem ich dich angehimmelt habe und du meine Liebe verspottet hast«, schoss es wütend aus mir heraus.

Kein Wunder, oder? Oh man, war ich vielleicht ein Versager.

»Ich wusste es doch selbst nicht und wärst du nicht hier aufgetaucht, hätte ich es auch nie herausgefunden. Aber das ist doch jetzt auch nicht mehr wichtig, oder? Ich liebe dich, du liebst mich. Warum belassen wir es nicht dabei und starten einen Versuch, uns näher zu kommen?« Wenn der jetzt nicht aufhörte, mich anzusehen, als wollte er hier und jetzt über mich herfallen, wusste ich nicht, was ich tat. Ich war wütend. Und jetzt setzte der auch wieder diesen Hundeblick ein. Verdammter Mist. Der wusste genau, wie er mich um den Finger wickeln konnte. Menno.

»Richtig, langsam.« Ich schob ihn von mir und sprang nervös auf. Tim hatte mal wieder nichts Besseres zu tun, als sein Grinsen aufzusetzen.

»Okay, langsam.« Er zog mich in seine Arme, und ich kam nicht drumherum, ihm einen Kuss auf den Mund zu drücken. Ein kleines verschmitztes Lächeln seinerseits und es war um mich geschehen. Darauf folgte ein Kuss, der meinen ganzen Unterleib in Flammen aufgehen ließ und danach schrie, mit ihm hier und jetzt …

Nix da, heute jedenfalls nicht. Ich stellte mich zum ersten Mal in meinem Leben gegen meinen eigenen Körper. Ein tolles Gefühl, auch wenn er anderer Meinung war. Trotzdem, ich fühlte mich eindeutig noch nicht bereit dazu. Nicht jetzt. Und dabei blieb es. Auch wenn der Teufel meinte, höhnisch zu lachen. Diesmal bestimmte ich und wir würden schön langsam einen Schritt nach dem anderen nehmen.

 

 

Kapitel 7 Gerechte Strafe

Ich hätte nie gedacht, dass es so ein scheiß Gefühl ist, mich zu verteidigen und trotzdem das Gefühl zu haben, als hätte ich etwas falsch gemacht.

Auch wenn ich wusste, dass meine Eltern es wahrscheinlich nicht anders verdient hatten, dieses Gefühl machte sich in mir breit, nachdem ich den Gerichtssaal betreten hatte. Und ich stand gar nicht drauf, dass es auch noch eine öffentliche Sitzung war. Klasse. Juhu, endlich bekam es die ganze Welt mit. Warum hatte ich vorher nicht eigentlich daran gedacht, einen Aushang ans Schwarze Brett zu pappen? Menno. Konnte es noch schlimmer werden? Oh ja, es konnte tatsächlich.

Kaum hatte ich den wunderschönen Saal betreten, sprangen mir förmlich die netten Blicke meiner Eltern entgegen. Sie sagten mir eindeutig, nein, nicht wie lieb sie mich hätten, sondern, pack aus und du bist tot. Zudem platzte der Zuschauerbereich fast auseinander. Wow, war ich beliebt. Grrr.

Tim hatte es sich nicht nehmen lassen, mich zu begleiten, was ich natürlich nicht so übel fand. Trotzdem hätte ich ihm das lieber, oder eher mir erspart. Schließlich würden jetzt viele Sachen ans Tageslicht kommen. Ach und da sind auch noch Reporter, oh, ist das aber schön. Hallo.

Mein Herz rutschte mir in die Hose, mein Gehirn schaltete sich komplett aus und der kleine Schalter in meinem Genick auf ›verschwinde besser‹. Hätte mein Körper bloß Mal auf den Schalter reagiert.

Ich sah noch, wie mein ach so lieber Papi aufstand und dachte, in dem Moment »Hallo, hat man den vergessen festzuketten?« Da stampfte der doch auf mich zu. Und wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deutete, hieß das jetzt nicht so viel wie, ›schenk mir eine Umarmung, meine geliebte Tochter‹. Na ganz toll. Und wieso übersprang mein Schalter jetzt einige Stufen und stellte sofort auf ›Flucht‹?

»Wag dich, auszusagen, und ich mache dich noch hier fertig.« Okay, vielleicht war jetzt doch einmal der Zeitpunkt gekommen, mich einige Schritte zu entfernen. Doch wie schon so oft, hatte mein gesamter Körper mir die Kontrolle entzogen. Nein, nicht jetzt. Renn, was das Zeug hält. Ich bibberte am ganzen Körper. Aber nö, warum auch. Meine Beine entschlossen sich, standhaft zu bleiben. Hatte denen mal jemand beigebracht, dass das jetzt der absolut falsche Zeitpunkt war? Total falscher Zeitpunkt.

»Ich werde aussagen und da könnt ihr euch auf den Kopf stellen.« Was? Weshalb machte mein Mund jetzt auch noch bei diesem Komplott mit? Oh nein, bitte rettet mich jemand.

»Wollen wir doch mal sehen.« Seine Faust schnellte nach vorne. Oha, jetzt fingen meine Beine an zu zittern oder wie? Ein wenig zu spät. Alles, was ich tun konnte, war die Augen zu schließen, auf mein hämmerndes Herz zu hören und auf die Faust zu warten, die mein Gesicht verschönern würde.

Doch es passierte irgendwie nichts. Nanu, hatte ich mich jetzt ganz umsonst schon auf eine Schönheits-OP eingestellt? Und dabei würde die diesmal sogar bezahlt.

Ich hörte, wie jemand stöhnte, und riss die Augen auf. Meine Kinnlade klappte bis auf die Knie herunter. Nanu, sonst war der Typ doch so treffsicher.

Ich hätte nie gedacht, dass mir einmal jemand aus heiterem Himmel hilft. Bis dahin hatte ich auch nicht den blassesten Schimmer, wie geil sich das anfühlt. Jedenfalls hämmerte gerade mein Herz so laut wie eine Buschtrommel.

Tim stand leicht angesäuert, was natürlich untertrieben war, vor ihm und starrte diesen Kerl an. Ich bekam echt das Gefühl, als befänden die zwei sich gerade mitten in einem »Nicht blinzeln, bitte« Wettbewerb. Wow, die zwei waren echt klasse darin. Keiner war bereit, den Sieg abzugeben.

»Noch einmal lasse ich das nicht zu.«

Tim wischte sich gerade das Blut seiner tropfenden Nase aus dem Gesicht. Echt männlich, aber so was von überflüssig. Ich war es gewohnt, geschlagen zu werden, also warum musste er sein hübsches Gesicht für mich hinhalten? Und warum zum Teufel hatte er mir gerade meine Schönheits-OP vermiest? Menno.

»Du …«,setzte mein Vater wohl gerade zu einer netten Drohung an.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752117332
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Young Adult Bad Boy erste Liebe starke Mädchen Liebesroman Liebe

Autor

  • Bianka Mertes (Autor:in)

Bianka Mertes wurde im Jahr 1968, in Unkel am Rhein, geboren. Sie ist verheiratet und stolze Mutter von vier Kindern. Das Schreiben war Anfangs mehr als Hobby gedacht, doch nach und nach entdeckte sie die Liebe daran. Ihr erstes Buch, „Jonathan das Fuchskind“, schrieb sie für Ihren Erstgeborenen, als der zwei Jahre alt war. Mit der Zeit schrieb sie weitere Kurzgeschichten für Kinder, Romane und schließlich zum guten Schluss ihr neusten Werke „Die Patchwork hoch“ Reihe und „Sprouts“