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Die Stiftung

von Sannamari Schmidt (Autor:in)
82 Seiten

Zusammenfassung

„Die Stiftung“ von Sannamari Schmidt, ist ein E-Book, welches seit dem 13. März 2021 verfügbar ist. Die Paketbotin Sannamari übergibt bei ihrem ersten Auftrag für die Stiftung Leben, einem Mann in Thailand eine Guthabenkarte, die ihm bis zum Ende seines Lebens auskömmlich Geld zur Verfügung stellt. Die Sicherheit und Freiheit, die mit der Versorgung einhergehen, sind förderlich für ein gelingendes Leben. Dem Leser wird bewusst, dass er die Karten in der Hand hat, eine neue, menschenfreundliche Weltordnung zu beginnen. Tausende von Jahren der Vorbereitung und Entwicklung waren für diesen Schritt notwendig. Nun, im Jahre 2021 können sich die Menschen selbst befreien. Nimm und verschling es!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Klappentext

Die Paketbotin Sannamari übergibt bei ihrem ersten Auftrag für die Stiftung Leben, einem Mann in Thailand eine Guthabenkarte, die ihm bis zum Ende seines Lebens auskömmlich Geld zur Verfügung stellt. Die Sicherheit und Freiheit, die mit der Versorgung einhergehen, sind förderlich für ein gelingendes Leben. Dem Leser wird bewusst, dass er die Karten in der Hand hat, eine neue, menschenfreundliche Weltordnung zu beginnen. Tausende von Jahren der Vorbereitung und Entwicklung waren für diesen Schritt notwendig. Nun, im Jahre 2021 können sich die Menschen selbst befreien. 


Ein ausgearbeitetes und machbares Konzept. 


Ich finde, wenn wir einen guten Weg kennen, ist es unsere verdammte Pflicht ihn auch zu gehen!


Die Autobahn zum Glück.

Ein Weg des Lichtes. 


Ein wegweisendes Buch, hin zu einer glücklichen Zukunft, für alle hier auf der Welt.


Zieh es dir rein.



Vorwort








Dinge sind nur so lange unmöglich, 

bis sie es nicht mehr sind.


Das hat der Kapitän des Raumschiffs Enterprise im 24. Jahrhundert gesagt. Ich schätze, er hat Die Stiftung damit gemeint.


















Verlauf

       1

2021-02-01, Der erste Kontakt

2021-02-02, Aufbruch nach Thailand

2021-02-02-03, Flug nach Thailand

2021-02-03, Zustellung

2021-02-03, Übergabe

2021-02-04, Zurück in Deutschland

2021-02-04, Fahrt nach HH

2021-02-05-07, Wochenende

2021-02-08, Buchhaltung und Einladung

2021-02-09, Treffen mit Mike in HH

2021-02-10, Rundgang Zentrale

2021-02-11, Magenta

2021-02-12-14, Warten

2021-02-15, Verabredung zum Frühstück

2021-02-16, Frühstücksmeeting

2021-02-16 IT

2021-02-16, Wahrheit

2021-02-17, Recherche zu Hause

2021-02-18, Der Duft der Freiheit und Einheit

2021-02-18, Das Motto

2021-02-19, Gespräch mit Oma

2021-02-19, mein Büro

2021-02-20, 1Uhr47

2021-02-20, Schreiben

2021-02-21, Sonntag

2021-02-22, Rezept Schokokuchen

2021-02-23, vor dem Meeting

2021-02-23, Prüflabor

2021-03-07, Vorschau

Sanna, es tut mir Leid, aber ich kann dich ab Februar nicht mehr beschäftigen.“, sagte Charlotte zu mir.

Drei Monate hatte ich mir den Arsch aufgerissen und hunderte von Paketen zugestellt. In meinem Umkreis hatten mich alle vorgewarnt, dass der Job als Paketbote nicht nur mäßig bezahlt, sondern zudem auch noch stressig ist. Auf die ein und andere Weise hatten sie Recht behalten, doch ich mochte die Arbeit. Die Leute freuten sich, wenn sie ihre Lieferungen bekamen. In der Vorweihnachtszeit kriegte man ab und an Schokolade, selbst gebackene Kekse oder sogar mal einen Schein zugesteckt. Während des Tages war ich so im Flow mit fahren, aussteigen, um den Wagen rum, Tür auf, Paket scannen, zum Haus gehen, klingeln, warten, warten, abliefern, einsteigen und weiterfahren, dass ich erst merkte, wie fertig ich war, als ich abends zuhause ankam und mich hinsetzte. Mein lieber guter Mann hatte meist schon gekocht und versorgte seine Heldin der Arbeit mit liebevoller Aufmerksamkeit und leckerem Essen. Das Team bei der Post war super hilfsbereit und obwohl ich ja nur Entlaster war, behandelten mich alle wie eine von ihnen. Tja, und das war nun vorbei. Die Ansage von oben war, das ungebrochen hohe Paketaufkommen nun wieder nur mit dem Stammpersonal zu stemmen. Die Läden waren coronabedingt zu und die Leute bestellten online.

„Melde dich einfach, wenn es brennt.“, sagte ich zu Charlotte, meiner Teamleiterin. Doch ich wusste, dass da nicht mehr viel zu holen war.


„Und was willst du jetzt machen?“, fragte mich mein Mann, als ich ihm erzählte, dass ich ab nächster Woche wohl zu wenig verdienen werde. „Du weißt genau, dass wir von meinem Gehalt nicht alles zahlen können. Ich finde es absolut unfair von dir, mich mit der ganzen Verantwortung allein zu lassen und unser mühsam zurückgelegtes Geld einfach so aufzubrauchen!“, redete er sich in Rage.

„Gute Leute werden immer gebraucht!“, sagte ich hoffnungsfroh und ohne auf seine Angst einzugehen.

„Du mit deinen Sprüchen!“, entgegnete mein Mann. „Davon können wir unseren Kredit nicht abbezahlen! Und übrigens,“, fuhr er fort, „Sammies Lehrerin hat angerufen und erzählt, dass seine Noten in allen Hauptfächern stark zu wünschen übrig lassen. Wenn er so weitermacht, muss er die Klasse wiederholen. Sie empfiehlt sogar, ihn auf den Realschulzweig runterzustufen.“

„Und hat die Lehrerin gesagt, was wir machen können?“, fragte ich meinen Mann.

„Nein, sie sagte nur, dass seine Noten schlecht sind. Mehr nicht.“, antwortete er.

„Wie wollen die Lehrer in der heutigen Zeit beurteilen, was ein Kind kann, wenn sie ihm nichts beibringen? Seit knapp einem Jahr werden Arbeitsblätter verschickt und den Kindern wird gesagt, welche Seite im Buch sie zu lesen haben. Ist das guter Unterricht? Wenn sie es denn überhaupt schaffen, die Videokonferenz zu schalten! Wie oft war der Server abgestürzt!“, ereiferte ich mich. „Welche Note kann ich denn den Lehrern für ihre Leistung ausstellen?“ 

Keine Frage, dass Sammie nicht der strebsamste Schüler ist, wenn es um Grammatik geht, aber den unterirdischen Unterricht einfach auf die Leistung der Schüler zu projizieren und die Verantwortung von sich zu schieben, das regt mich auf. 

„Letztens habe ich eine Elternmail bekommen, wo darauf hingewiesen wird, doch bitte keine Kritik zu üben. Das wäre ja ungerecht, den Lehrern in diesen schweren Zeiten auch noch zu sagen, was alles schief läuft! Geht’s noch? Und dann ist das Einzige, was ihnen einfällt, die Kinder sitzen bleiben zu lassen? Ich habe das Gefühl, es geht nur um Noten, nicht um die Kinder.“, sagte ich zu meinem Mann.

„Ja, da magst du wohl Recht haben.“, entgegnete er mir.


Am Freitag schneite es das erste Mal seit drei Jahren. Ich liebe Schnee. Er verzaubert die Welt und meine Laune. Ich stapfte durch die verschneiten Einfahrten, und brachte das letzte Mal Pakete zu den Leuten. Erinnerungen an verschneite Winter und Schneestürme ließen den Tag wie im Fluge vergehen.


Es hatte über Nacht noch richtig viel Schnee gegeben. Wenn nicht jetzt, wann dann, dachte ich mir und frage alle aus dem Haus, ob wir nicht Schlitten fahren wollen. Die Jungs fühlen sich schon zu alt dafür und mein Mann sowieso. Ich nicht. Endlich konnte ich unseren Snowracer mal ganz allein fahren! Als Mama steckt man ja immer zurück und kümmert sich. 

Auf dem hiesigen Rodelberg war schon viel los, als ich gegen halb zehn ankam. Ja, ich weiß, es kommt ein bisschen komisch, wenn man als erwachsene Frau allein rodeln geht, aber…was soll’s. Es hat richtig Spaß gemacht.

Nachmittags nutzte ich noch die Gelegenheit und baue, ….na?

Nein, keinen Schneemann. Ich baute ein Schneelicht! Ein wadenhoher Kegel aus aufeinandergeschichteten Kreisen aus Schneebällen. Da kommen dann abends zwei Teelichter rein und es ist ein schöner Willkommensgruß für Gäste.


Was für eine verzauberte Winterlandschaft am Sonntagmorgen! Es war minus 14°C in der Nacht und die hohe Luftfeuchtigkeit hatte Eiskristalle wachsen lassen.

Kai und ich machten einen langen Sonntagsspaziergang in strahlendem Sonnenschein. Mein Mann musste andauernd warten, weil ich ein noch tolleres Motiv fotografieren wollte. Soo eine schöne Welt, die wir haben.




Montag, 1. Februar 2021, Der erste Kontakt

Montag Morgen. Die Kinder haben Zeugnisferien, mein Mann hat Homeoffice. Ich überlege gerade, wie ich den ersten Tag meines Nicht-mehr-Arbeitens gestalte, da ruft Charlotte an. Sie sagt: „Du Sanna, ich habe eine Anfrage von einer Firma bekommen, die Paketboten suchen. Willst du da mal anrufen?“

„Ja, warum nicht.“, sage ich spontan. „Ist das hier in der Nähe?“

„Keine Ahnung, die sagten nur, dass sie gute Leute brauchen. Da habe ich an dich gedacht.“, antwortet sie.

Ich fühle mich geschmeichelt und lasse mir die Nummer geben. Fünf Minuten später habe ich einen Mann am Telefon, der nicht lange um den heißen Brei herumredet.

„Frau Sannamari Schmidt? Ah, schön, dass Sie sich melden. Ihre Vorgesetzte meinte, dass Sie gute Arbeit leisten. Wir brauchen kurzfristig zuverlässige Boten für persönliche Lieferungen ins Ausland. Könnten Sie sich das vorstellen?“, fragt er.

„Wo soll es denn hingehen?“, frage ich nach.

„Die erste nach Thailand, die zweite nach Estland.“, berichtet er.

„Sprechen Sie zufällig Thai?“, fragt er.

„Nein, leider nicht.“, antworte ich.

„Aber ein wenig Englisch, das können Sie doch bestimmt oder?“, fragt er.

„Ja.“, antworte ich.

„Gut, das wird dann gehen.“, sagt er. 

Es klingt, als ob er eine Checkliste im Kopf abhakt.

„Kann man denn in Coronazeiten einfach so nach Thailand und nach Estland reisen?“, frage ich nach.

„Ja, das geht schon. Sie bekommen auch eine Impfung zu Ihrem Schutz. Die Lieferungen sollen bis Ende der Woche zugestellt werden. Sie bekommen tausend Euro, Arbeitskleidung und die Spesen übernehmen wir. Was sagen Sie?“, fragt er ganz direkt.

„Thailand ist ja nicht ganz so ohne, was Kriminalität betrifft. Ich bin zwar schon des öfteren allein gereist, aber ich habe auch schon schlechte Erfahrungen gemacht…“, gebe ich meine Bedenken preis.

„Ach, das habe ich gar nicht erwähnt, sie reisen mit einem Partner.“, ergänzt er sein Angebot.

„Darf ich noch fragen, was ich ausliefern soll?“, will ich wissen.

„Nein.“, antwortet er. „Das hat sie nicht zu interessieren. Nur so viel: Es ist keine zu verzollende Ware, nichts Illegales und es passt ins Handgepäck. Der Flug geht morgen um sieben von Hamburg. Sind Sie dabei? Haben Sie einen gültigen Reisepass?“

„Darf ich Sie in 15 Minuten noch mal anrufen?“, frage ich.

„Ja, machen Sie das.“, antwortet er und legt auf.

„O.k.,…?!?“, denke ich bei mir und atme tief durch, „will ich das?“

Tausend Euro für fünf Tage unterwegs sein. Damit könnte ich meinen Teil zum Familieneinkommen beitragen… Abenteuerlustig war ich schon immer und wenn es diese Woche sein soll… Immerhin ist Kai im Homeoffice und kann ein Auge auf die Jungs haben…

Ich krame meinen Reisepass raus und Ja, er ist gültig. Ich nehme das als Zeichen und bin schon drauf und dran, direkt zurückzurufen, als ich innehalte und zu Kai gehe, um das Angebot mit ihm zu besprechen. Zu oft habe ich einfach so über seinen Kopf hinweg entschieden. Den Fehler mache ich nicht nochmal. 

„Hej Kai! Kann ich dich kurz stören?“, frage ich meinen Mann, der über seiner Arbeit an seinem Schreibtisch sitzt.

Er schaut weiterhin auf seinen Bildschirm und fragt beiläufig: „Was gibt es?“

„Ich hatte gerade ein Telefonat und ich könnte diese Woche einen Lieferantenjob machen. Ich wäre von Dienstag bis Samstag unterwegs. Du bist ja diese Woche noch im Homeoffice, das würde ja ganz gut passen, oder?“, frage ich.

„Für wen arbeitest du dann?“, fragt er.

„Oh, das habe ich gar nicht gefragt!“, muss ich gestehen. „Der Kontakt kommt über die Post, also wird das schon ein seriöser Auftraggeber sein, denke ich.“, antworte ich.

„Und wohin lieferst du?“, fragt Kai weiter.

„Nach Thailand und Estland.“, antworte ich. Damit er jetzt nicht alles Häppchenweise abfragen muss, erzähle ich ihm von dem gesamten Telefonat und schließe mit dem Satz: „Also, ich hätte schon Lust auf den Job.“

„Du machst doch sowieso, was du willst.“, entgegnet er mir in einer Mischung aus seufzender Ergebenheit und -ein ganz klein wenig-, gutmütiger, lächelnder Bewunderung.

 „Also, es geht klar für dich?“, frage ich nach.

„Ja, wir kommen schon klar. Ist ja nicht das erste Mal, dass du mich mit den Jungs allein lässt.“

Ich nehme das Telefon und drücke auf Wahlwiederholung. Direkt nach dem ersten Klingeln meldet sich die energische Männerstimme von vorhin.

„Ja?“

„Guten Tag, hier ist Sannamari Schmidt. Ich rufe zurück wegen des Lieferjobs. Ich habe nachgeschaut, mein Reisepass ist gültig. Ich kann morgen früh am Flughafen sein. Nur über die Entlohnung möchte ich noch mit Ihnen reden. Ich koste 1.000 Euro pro Lieferung. Und ich möchte Vorkasse.“

Bei dem letzten Deal, den ich so locker flockig am Telefon gemacht habe, das war vor ziemlich genau einem Jahr, vor Corona, hatten wir 2.000 vereinbart und am Ende habe ich nur 900 bekommen. Ich habe daraus meine Lehre gezogen und verlange nun Vorkasse, wie beim ältesten Gewerbe der Welt. (Björn, wenn du das jetzt hier liest, überweise die restlichen 1.100 gern auf das Konto der Stiftung.)


Die Leitung bleibt einen Moment still.

„Gut. In Ordnung. Sie bekommen 1.000 Euro pro Lieferung.“, sagt der Mann am anderen Ende. „Ihre Begleitung hält sich im Moment ganz in der Nähe von Ihnen auf. Sie wird Sie morgen um 4 Uhr 30 von zu Hause abholen. Ich freue mich, Sie an Bord zu haben!“

„Ja, ich freue mich auch.“, antworte ich.

„Wir haben für unsere Mitarbeiter eine App entwickelt, über die wir alles steuern. Ich schicke Ihnen gleich den Link. Seien Sie so gut und tragen Ihre persönlichen Daten direkt ein, um die passende Arbeitskleidung für Sie zusammenzustellen und den Flug für Sie buchen zu können, ja?“, fragt der Mann.

„Ja, mache ich.“, bestätige ich seine Bitte.

„Ich bin übrigens Mike.“, sagt er und seine Stimme wechselt vom rein geschäftsmäßigen, kühlen Ton, zu einem nahbaren, freundlichen. „Wir bleiben in Kontakt. Meine Nummer finden Sie auch in der App. Haben Sie jetzt direkt noch Fragen?“, will er wissen.

„Nein. Im Moment nicht.“, sage ich.

„Gut, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg, Frau Schmidt!“

„Danke, Mike!“, antworte ich und der Anruf ist beendet.


Kurz darauf bekomme ich eine Textnachricht mit einem Link und einem Zugangscode. Ich lade die App auf mein Handy, logge mich ein und trage meine Daten ein. Name, Adresse, Reisepassnummer, und so weiter, und so weiter. Jetzt wollen die auch noch meinen Brust- und Taillenumfang wissen! Ich hole ein Maßband, ziehe mich aus und offenbare mich.

Als ich mit der Dateneingabe fertig bin, ist es gerade mal zehn Uhr. Vor zwei Stunden dachte ich noch, eine chillige Woche mit ein wenig Haushalt, Kindern und Mittagsspaziergängen im Schnee läge vor mir. Wie man sich täuschen kann…

 

Ich koche den zweiten Kaffee und schlendere mit der Kanne zum Arbeitsplatz meines Mannes. Er telefoniert gerade, also gieße ich ihm nur eine Tasse ein und lasse ihn in Ruhe. Von den Jungs hat sich noch keiner unten blicken lassen. Sollen sie Ihre Ferien genießen.


Morgen fahre ich also nach Thailand. Direkt nach meiner Ausbildung bin ich da gewesen. Wie lang ist das her? Hm, es war 1991. Wow, ganze 30 Jahre. Damals haben wir als Rucksacktouristen die Khaosan-Road bevölkert. Langsam kommen die Erinnerungen zurück. Oh, ja, damals war die Welt anders. Ich weiß noch, dass wir dort nachgemachte Levis Jeans gekauft haben und Kassetten mit Raubkopien von The Cure. 


Ein Ping meines Telefons reißt mich zurück in die Gegenwart. Ich habe eine Nachricht von der Mitarbeiter-App, mit dem Beleg der Zahlung „Thailand, 2.-4.2.2021, 1.000 Euro“.  

„Schön, wenn Sachen laufen.“, denke ich mir.




Dienstag, 2. Februar 2021, Aufbruch nach Thailand

Um vier Uhr dreißig am nächsten Morgen pingt mein Telefon wieder. 

„Ich stehe vor der Tür. Liebe Grüße, Chrissie“, lese ich auf dem Telefon.

Ich gehe zur Eingangstür und öffne sie. Vor mir steht eine kleine, quirlig aussehende Frau mit dunklen Locken, einer weißen Maske und funkelnden Augen.

„Hallo! Ich bin Chrissie!“, sagt sie. „Wollen wir Du sagen?“, fragt sie frei heraus.

„Hallo! Ich bin Sanna. Ja, lass uns gern duzen.“

Damit wäre das schon mal geklärt. 

„Komm doch herein!“, bitte ich sie.

„Danke, das mache ich gern!“, antwortet sie und kommt ein paar Schritte näher. 

Sie hat eine Tasche über der Schulter, die sie jetzt auf den Boden abstellt. 

„Soll ich die Schuhe ausziehen?“, fragt sie.

„Nein, nein, lasse sie nur an.“, antworte ich.

„Ein schönes Haus habt ihr.“, stellt Chrissie fest.

„Oh, ja, finde ich auch. Wir fühlen uns sehr wohl hier.“, entgegne ich.

„Ich habe deine Arbeitskleidung hier in der Tasche. Magst du sie anziehen?“, fragt meine neue Kollegin.

„Äh, ja, kann ich machen. Willst du einen Kaffee, während ich mich umziehe?“, frage ich sie.

„Ja, das wäre wundervoll. Wenn du hast, mit Milch, ohne Zucker.“, antwortet sie.

Ich deute Chrissie an, mir ins Wohnzimmer zu folgen und biete ihr das Sofa zum Sitzen an. Den Kaffee hatte ich schon vorbereitet. Es ist noch ganz still im Haus. Ich mache ein wenig Jazzmusik an, schenke ihr eine Tasse ein, nehme die Tasche und ziehe mich in meinem Arbeitszimmer um. Es ist ein hellblaues Blazerkleid, was mir wie angegossen passt. Dazu Strümpfe, Highheels und ein warmer, langer, taubenblauer Wollmantel. Superchic und angenehm bequem zu tragen. Ich mag mein Spiegelbild. Wie auf Wolken, gehe ich, lässig wie ein Model im Wohnzimmer vor ihr auf und ab, öffne den Mantel, halte ihn über der Schulter und präsentiere das Kleid.

„Na, da hat Lionel, unser Designer, ja mal wieder ganze Arbeit geleistet!“, ruft Chrissie aus. „Du siehst toll aus!“

„Danke! Ja, finde ich auch.“, sage ich begeistert. 

Chrissies Kaffeetasse ist leer und ich frage: „Wollen wir dann los?“

„Nja, noch nicht ganz. Ich soll dich noch impfen. Wir wollen doch nicht, dass du dich am Ende noch mit Corona ansteckst, oder?“

„O.k., klar, ja… Du machst das?“, frage ich.

„Ja, ich bin ausgebildete Krankenschwester. Du bist bei mir in den besten Händen. Wir machen auch noch einen Coronatest. Dann sind wir auf der sicheren Seite und haben keine Probleme am Flughafen.“, erklärt sie.

Sie holt ein kleines Täschchen mit Testkit und Impfset hervor und erledigt ihre Aufgabe.

„Gut, dann können wir los.“, sagt sie. „Du hast deinen Reisepass?“

„Ja.“, antworte ich und deute auf meine Handtasche.

„Na, dann…“, sagt sie und geht zur Haustür.

Ich mache noch die Musik aus, lösche das Licht im Wohnzimmer und stelle die Tasse in die Küche. In Gedanken verabschiede ich mich von meinen Söhnen und meinem Mann, die alle noch selig schlafen. Einen kurzen Augenblick halte ich inne, schaue ins Haus und ziehe dann die Tür ins Schloss.

„Willst du noch ein bisschen schlafen? Dann könntest du hinten sitzen und die Füße hochlegen.“, schlägt sie vor.

Ich schaue sie fragend an. Als wir beim Auto ankommen, öffnet sie die hintere Tür für mich und nun sehe ich, was sie meint. Der Beifahrersitz ist nach vorn gefahren und im Fond erkenne ich einen luxuriösen Platz mit so viel Komfort, wie man sich nur wünschen kann. Es gibt sogar Bildschirme an der Hinterseite der Vordersitze. Ich bin zwar alles andere als müde, aber das Angebot, hinten auf dem Chefplatz zu sitzen, nehme ich gern an. Ich klappe die Fußstütze hoch und Chrissie ermuntert mich, die Fernbedienung aus der Seitentür zu nehmen und mir die Hot-Stone-Relax-Massage zu gönnen. Zusammen mit der Sitz- und Flächenheizung, beruhigender Musik und einer angenehmen Beduftung komme ich mir vor, wie in einem Wellnesstempel. Wow, diese Autobauer wissen, was gut ist!

Wir gleiten durch die dunklen Straßen. Es ist noch nichts los und selbst den Elbtunnel passieren wir ohne Verzögerungen. Chrissie stellt den Wagen im Parkhaus ab und wir nehmen unsere kleinen Handgepäckkoffer aus dem Kofferraum. Meiner ist schwarz, ihrer beige, dann kommen wir nicht durcheinander. 

„Ich habe schon online für uns eingecheckt.“, berichtet mir Chrissie. „Du findest deinen Boardingpass in der Mitarbeiter-App.“

Wir gehen also direkt zur Sicherheitskontrolle, ich hole meinen Pass und mein Handy raus, rufe den Boardingpass auf, halte ihn vor den Scanner und die automatische Tür öffnet sich durch digitale Magie. 

Die Schlange ist kurz. Chrissie geht vor mir. Als wir zur Durchleuchtung dran sind hole ich mein kleines Necessaire mit dem Fläschchen Nagellackentferner und den anderen flüssigen Sachen, die Frauen lebensnotwendigerweise brauchen, aus meiner Handtasche und lege sie in einen Kasten. Dann ziehe ich meinen Mantel aus und lege ihn dazu. Und noch mein Handy. Fliegen kann ich. Den nächsten Kasten nutze ich für den Koffer. 

 Chrissie fordert mich auf, auch das Paket, was ich abliefern soll, aus der Vordertasche des Koffers herauszuholen. 

„Sonst sind nur Klamotten in dem Koffer, die können drin bleiben.“, erzählt sie mir.

„Ui“, kommt es mir in den Sinn, „Ich bin so eingelullt von dem reibungslosen Ablauf, dass ich einfach so einen gepackten Koffer übernehme! Ich weiß doch gar nicht, was da drin ist! Wieviele Geschichten von Kurieren hat man schon gehört, die in der Sicherheitskontrolle hängen bleiben, weil sie unwissentlich Drogen in ihrem Koffer haben! Nur weil Mike sagt, dass ich nichts Illegales ausliefern soll, heißt das ja nicht, dass das auch wahr ist! Ich bin schon so oft in meinem Leben blauäugig an Sachen rangegangen und ein paar mal damit richtig auf die Nase gefallen. Was habe ich mir nur dabei gedacht! Gar nichts! Ich habe nicht überprüft, was in dem Koffer ist! Bin ich eigentlich blöd? Oh, man, jetzt geht mir echt die Flatter.“

Chrissie ist durch und jetzt soll ich mich in den Körperscanner stellen. Füße auf die Markierungen, Arme hoch, und.. ein Warnsignal ertönt. Ein Sicherheitsmann fordert mich auf, in die Kabine zu gehen und meine Schuhe auszuziehen. Ich soll mich noch mal scannen lassen und jetzt gibt der Automat grünes Licht. Es lag an dem Metall in den Absätzen.

Doch jetzt haben die Gepäckchecker ein Problem mit meinem Koffer. Mein Puls beschleunigt sich. Habe ich jetzt mal wieder richtigen Bockmist gebaut und wildfremden Leuten Vertrauen geschenkt, die böse Sachen machen? Ich atme tief ein, laaaang aus, und öffne vor den Augen der Security den schwarzen Koffer. Vier verschiedenfarbige Beutel liegen in dem Reißverschlussfach des Koffers. Er öffnet jeden einzelnen. Nach einer gründlichen Begutachtung wünscht mir der nette uniformierte Mann eine gute Reise. Ich atme auf und packe alles wieder ein. Puh…

„Du bist ein bisschen blass um die Nase.“, meint Chrissie zu mir.

„Äh, ja, ich hatte eben ein mulmiges Gefühl. Nichts gegen dich, aber es war recht unvorsichtig von mir, einfach so einen Koffer zu übernehmen und damit durch die Security zu gehen.“, erkenne ich.

„Ja, das stimmt!“, sagt Chrissie lachend. 

Wir gehen ein paar Schritte.

„Wir haben noch eine viertel Stunde vor dem Boarding. Willst du noch etwas zu lesen kaufen?“, fragt sie.

„Nein, du?“

„Ach, ja, ich schau mal, was mich anlacht.“, antwortet Chrissie.

Wir gehen in den Buchladen und Chrissie sucht sich eine Zeitschrift aus. Ich überfliege das Angebot ohne wirkliches Interesse. Chrissie gesellt sich zu mir und sagt: „Sanna, da du ja jetzt für uns arbeitest, darf ich dir deine eigene Spesenkarte geben.“ 

Sie hält mir eine Kreditkarte hin. 

„Damit bezahlst du alles, was du brauchst, wenn du für uns unterwegs bist. Deine PIN ist 0007. Die PIN habe ich mir ausgedacht. Magst du sie?“, fragt sie mich erwartungsvoll.

„Ja!“, bestätige ich. „Ich mag die PIN! Jetzt komme ich mir vor, wie ein Geheimagent.“, lache ich verschwörerisch.

„Dann weihe die Karte ein und kauf mir diese Zeitschrift.“, fordert sie mich auf.

Ich bezahle ihre Zeitschrift mit meiner neuen Kreditkarte und bekomme gleich noch eine Einweisung.

„Jede Quittung die du kriegst, fotografierst du ab und lädst sie in deinen Spesenordner in der Mitarbeiter-App. Die App erledigt dann deine Abrechnung automatisch. Probier es einmal aus!“

Ich nehme den Kassenbon, mache ein Bild und da wo zum Hochladen von Bildern sonst nur Airdrop, Mail und die Sozialen Medien auftauchten, erscheint nun auch das Icon der Mitarbeiter-App und darunter steht Spesen. Ich bestätige mit einem Klick und die Ausgabe ist allem Anschein nach erfasst.

„Unser Buchungsprogramm erkennt, ob es eine Zeitschrift, ein Essen oder eine Rechnung für ein Mietauto ist und bucht es entsprechend.“, erklärt mir Chrissie. „Du brauchst dich um nichts weiter zu kümmern. Und den Bon kannst du wegwerfen. Das geht natürlich nur dann, wenn du auch ein Netz hast. Du siehst es an den zwei kleinen Häkchen, wie bei WhatsApp, ob das Bild zugestellt wurde.“

Sie zeigt mit dem Finger auf den Bildschirm.

 „Und ach, eine Sache noch: Wenn du jemanden zum Essen einlädst, müssen alle Namen und der Grund leserlich auf der Rechnung stehen. Das habe ich schon so oft vergessen… Mike ist da immer ein bisschen genervt… Ansonsten kann eigentlich wenig schiefgehen.“, meint sie unbeschwert.


Das Leben kann so einfach sein, denke ich bei mir. Ich schiebe meine Reisekostenabrechnungen gern vor mir her. Ich weiß zwar selbst, dass ich mir damit keinen Gefallen tue, aber, tja, wer, -außer geborenen Buchhaltern-, setzt sich schon gern an die Steuern. Da putze ich lieber das Bad oder lasse mich sonstwie ablenken. In meinem Universum gibt es immer etwas Wichtigeres zu tun, als Buchhaltung zu machen… 


Wir schlendern gemütlich zum Gate. Ich in meinem eleganten Kleid mit Wollmantel; Chrissie in engen, schwarzen Jeans, Sneakern und einer Steppjacke. Ich schätze sie auf Ende zwanzig. Wenn man uns so sieht, könnten wir Mutter und Tochter sein. Verrückterweise fühle ich mich in ihrer Gegenwart so, als ob ich die Tochter bin.


In Frankfurt haben wir einen Aufenthalt von drei Stunden. Wir suchen uns ein nettes Plätzchen in einem Café und unterhalten uns über Gott und die Welt. Genau genommen unterhalte ich Chrissie. Sie ist eine gute Zuhörerin und es macht mir Spaß, ihr über mein Leben zu erzählen. 

„Ich könnte mir stundenlang deine Geschichten anhören!“, sagt sie enthusiastisch. „Leider sitzen wir auf dem Flug nach Bangkok nicht nebeneinander. Ich habe einfach zu spät gebucht. Deswegen lass uns vor dem Abflug nach Thailand schon mal den Lieferjob besprechen, ja?“, fragt sie.

„Klar!“, sage ich. „Erzähl mir, was ich wissen und was ich genau machen soll!“

„Wir fahren zu den Koordinaten, die auf dem Paket stehen.“, beginnt sie.

Ich hole das Paket aus dem Vorderfach des Koffers und schaue es an. Es war mir bei der Sicherheitskontrolle gar nicht aufgefallen, dass da nur Koordinaten draufstanden, nichts weiter.

„Wenn wir dort sind, überreichen wir das Paket dem, der dort wohnt. Wir warten, bis er es in Besitz genommen hat und das war’s für uns. Dann können wir wieder zurückfliegen. Wir werden planmäßig um 7 Uhr 50 Ortszeit ankommen. Der Rückflug nach Frankfurt geht um 20 Uhr. Ich denke, die Zeit wird reichen. Die Koordinaten liegen direkt in Bangkok. Vielleicht geht es ja schnell und wir haben noch Zeit, um etwas zu unternehmen. Wir werden sehen…“

„Hört sich machbar an.“, entgegne ich. 

„Ja, wenn der Empfänger zuhause ist, kriegen wir das locker hin.“, meint Chrissie. 

„Arbeitet ihr mit einem bestimmten Navigations-System?“, frage ich sie.

„Nö, wir sind noch in der Testphase. Jeder nimmt das, mit dem er am besten klarkommt. Google Maps ist der Klassiker. Aber es gibt so viele. Such dir einfach eine App aus.“, sagt sie.

„Ich finde es interessant, dass ihr statt einer Adresse, Koordinaten angebt!“, bemerke ich.

„Ja. Nach langem Für und Wider haben sich die Koordinaten als das Universellste herausgestellt. Nicht in jedem Land gibt es so schöne Straßenschilder wie in Deutschland. Und dann muss man ja auch noch die Schrift lesen können!“, gibt sie zu Bedenken.

„Ich habe früher mit meinen Kindern Geocaching gemacht. Eine GPS-gestützte Schnitzeljagd sozusagen. Damals gab es noch keine Apps fürs Mobiltelefon. Wir hatten uns ein tragbares Navigationsgerät besorgt und sind damit auf Schatzsuche gegangen.“, erzähle ich. 

„Und jetzt machst du das Gleiche als Job!“, bemerkt Chrissie.

„Ja! Die letzten drei Monate, als ich in der Paketzustellung gearbeitet habe, kam mir auch manchmal der Gedanke.“, erinnere ich mich.

„Lionel, unser Designer, hat mir erzählt, dass er dir ein bequemes Outfit für den Langstreckenflug eingepackt hat. Es ist in dem roten Beutel, hat er gesagt. Wenn du magst, zieh dich gern um, bevor es weitergeht.“, schlägt Chrissie vor.

„Ihr denkt echt an alles, oder?“, sage ich.

„Man macht so seine Erfahrungen….“, entgegnet Chrissie.


Ich verstaue das Paket wieder in der Vordertasche, ziehe den Griff hoch und spaziere mit dem Koffer in Richtung der Waschräume. In dem besagten roten Beutel finde ich, neben einem zweiten Blazerkleid, ein schwarz-graues, mittellanges Kleid. Der obere, schwarze Teil des Kleides ist wie ein langärmliges Rundhalsshirt aus Baumwolle. Schräg daran angesetzt, graue Volants aus weich fallendem, knitterfreien Polyester bis zu den Waden. Dazu hat Lionel vorn geschlossene Pantoletten mit einem kleinen Pfennigabsatz kombiniert. Jede Pantolette ist mit einer Kuschelsocke umhüllt.  Ich schäle mich aus dem kurzen, enganliegenden Blazerkleid und schlüpfe in die Wohlfühlklamotte. Die Pantoletten geben dem Outfit etwas lässig-elegantes. Ich mag es nicht. Ich liebe es!

Der Waschraum ist großzügig dimensioniert und es sind kaum Fluggäste da. Ich verstaue das hellblaue Blazerkleid in den Beutel. Die Socken, die eben noch die Pantoletten ummantelt haben, nutze ich jetzt für die Heels. „Wirklich praktisch, diese Methode mit den Socken.“, denke ich bei mir. „Das schützt den Schuh und die Kleider!“

Ich schaue, was sonst noch in dem Koffer ist. In dem blauen Beutel entdecke ich ein Sportshirt, ein paar Sneaker, eine Tights, einen Badeanzug, Strümpfe, Unterwäsche, ein Nachthemd und ein Handtuch. In dem schwarzen Beutel ist allerlei Nützliches. Ein Schreibblock, ein Kuli, ein Bleistift, ein Radierer, ein Post-it-Block, ein Einmalrasierer, zwei Wattepads, eine FFP2-Maske, zwei OP-Masken, ein Vorhängeschloss, eine Zahnbürste, eine Mini-Zahnpasta, zwei Kondome, drei Wattestäbchen, zwei Tampons, ein Stück Shampoo-Seife, eine Schnur, eine zusammenfaltbare Einkaufstasche, eine Packung Taschentücher, ein Nähset, ein Würfel, ein Müsliriegel und ein Döschen Vaseline.

In dem weißen Beutel sind ein Handy-Ladekabel, ein Adapter für Steckdosen, ein Ladegerät mit USB-Anschluss für einen Zigarettenanzünder, ein Dreierstecker mit Verlängerungskabel, eine Taschenlampe und AirPods.

Obwohl ich nur mit Handgepäck reise, bin ich wahrscheinlich besser ausgerüstet als je zuvor.

Bild


Dienstag, 2. Februar 2021, Flug nach Thailand

Chrissie telefoniert, als ich zurückkomme. Den Griff ihres Koffers in der rechten Hand, das Telefon in der linken, steht sie am Fenster zum Rollfeld und hört aufmerksam hin. 

„Ja, klar, mache ich. Wird schon gutgehen. O.k. , bis bald! Ich dich auch! Ciao!“, spricht sie in das Telefon.

„Ach, Sanna, da bist du ja schon!“, ruft sie aus, als sie sich umdreht und mich entdeckt. „Ich habe gerade mit Mike gesprochen.“, erzählt sie. „Er sagt, wir sollen vorsichtig sein und immer ein Auge auf das Gepäck haben. Männer!“, sagt sie schmunzelnd. „Also ob wir das erste Mal reisen!“, ruft sie aus, hakt sich bei mir unter und lenkt in Richtung Gate. 

Bald beginnt das Boarding nach Bangkok. 


Unsere Plätze sind weit voneinander entfernt. Als wir einsteigen, verabschieden wir uns mit einem Kopfnicken bis zur Ankunft in Bangkok. Ich verstaue den Koffer in der Gepäckablage über meinem Sitz und lege den Mantel dazu. Das Flugzeug ist gut gefüllt. Ich habe einen Mittelplatz. Ich stelle mich meinen Sitznachbarn vor. Die wollen anscheinend einfach ihre Ruhe, was mir auch Recht ist. Ein unspektakulärer, langer Flug. Zum Essen nehme ich einen Rotwein und entschlummere irgendwann selig in die Traumwelt. Wir landen planmäßig am Mittwochmorgen um kurz vor acht in Bangkok. Chrissie wartet draußen auf mich, ein wenig abseits des Shuttlebusses, der uns ins Flughafengebäude bringen wird. 

Sie sagt: „Guten Morgen Sanna. Wie geht es dir?“

„Hej Chrissie! Guten Morgen! Oh, mir geht es gut! Ich konnte gut schlafen. Du auch?“, frage ich munter zurück.

„Nein.“, antwortet sie mit einer todernsten Stimme. „Ich habe kein Auge zugetan.“

Ich sehe sie verwundert an. Ihr Blick ist kalt und leblos. Ihr Gesicht aschfahl.

„Was ist passiert? Ist etwas mit deiner Familie?“, versuche ich herauszufinden.

„Nein. Unser Auftrag ist fast geplatzt und das Projekt stand kurz vor dem Scheitern.“, sagt sie.

„Warum?“, frage ich ahnungslos. „Was ist passiert?“

Ich habe immer noch keinen Schimmer, wovon sie spricht.

„Hol bitte das Paket hervor.“, fordert sie mich auf.

Ich öffne die Vordertasche und greife nach dem Paket. Ich ziehe es heraus und halte eine schnöde, leere Pappschachtel in der Hand. 

„Aber,…“, stammel ich.

„Ich hatte schon in Frankfurt das Gefühl, dass uns jemand beobachtet.“, sagt Chrissie. „Als es im Flugzeug ruhiger wurde und die meisten schliefen, habe ich beobachtet, wie der Mann, der vier Reihen vor dir saß, das Paket aus deinem Koffer durch die Pappschachtel ausgetauscht hat. Die Flugbegleiter waren mit dem Abräumen beschäftigt und haben nichts davon bemerkt. Ich bin zu einem Steward gegangen und habe ihm von dem Diebstahl erzählt. In dem Überwachungsvideo konnten sie ganz klar sehen, dass ich die Wahrheit sage. Um die anderen Fluggäste nicht zu beunruhigen, hat das Flugzeugpersonal bis zur Landung gewartet, bis sie den Mann zur Rede stellen. Er wird gerade abgeführt. Schau!“

Am anderen Ende des Flugzeuges wird ein Mann von der thailändischen Flughafenpolizei abgeführt.

„Wir beide sollen zur Zeugenaussage mit auf das Revier kommen.“, sagt Chrissie. 

„Jetzt gleich?“, frage ich.

„Ja.“, antwortet Chrissie knapp.

Während die anderen Fluggäste unbekümmert in den Shuttlebus einsteigen, schlagen wir die andere Richtung ein. Ein Beamter kommt uns entgegen, begrüßt uns kurz und fordert uns auf, ihm zu folgen.

Musste das jetzt passieren? War es meine Schuld? Hätte er das Paket auch stehlen können, wenn ich den Koffer abgeschlossen hätte? Wozu ist denn ein Schloss im Gepäck, wenn ich es nicht nutze? Wie hätte ich das verhindern können? Bin ich jetzt bei denen unten durch und werde nicht mehr für sie arbeiten können? Tausend Fragen gehen mir durch den Kopf, als wir zum Büro der Polizei fahren. Chrissie sitzt reglos neben mir. Ich frage mich, was sie gerade denkt.


Die Zeugenaussagen verlaufen zügig. Zum Schluss überreicht mir ein Polizist das Paket und meint, dass ich wohl aus meinen letzten Leben viel gutes Karma mitgebracht habe, dass die Sache so glimpflich für mich ausgegangen ist. 





Mittwoch, 3. Februar 2021, Zustellung

„Sanna?“, beginnt Chrissie.

„Ja, Chrissie?“, antworte ich fragend.


Ich könnte verstehen, wenn sie mir jetzt eine Litanei an Vorwürfen macht. Ich weiß zwar immer noch nicht, was in dem Paket drin ist, aber anscheinend ist es etwas, was auch andere unbedingt haben wollen. Und ich gehe so sorglos damit um. Als ob es nichts wäre. Lege es, wie auf einem Präsentierteller aus. Zum Mitnehmen. Wo bleibt meine Sorgfalt? Wo meine Umsicht? Nicht auszudenken, wenn Chrissie den Diebstahl nicht beobachtet hätte! Wenn ich gar allein unterwegs gewesen wäre! Kann man mir überhaupt so eine verantwortungsvolle Sache übertragen? Mir, die ich so durch die Welt tanze, mit meinem Lalala-Friede-Freude-Eierkuchen-Gemüt?


„Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir auf Diebe stoßen.“, beginnt sie. 

Ich spüre, dass sie versucht, sich gefasst und neutral auszudrücken.

„Denkst du, dass du für dich einen Weg findest, die Pakete sicher zu transportieren?“, fragt sie.


Sie gibt dir noch eine Chance! Sie schmeißt dich nicht hochkant raus. Jetzt, Sanna, jetzt zeig ihr, dass du aus Fehlern lernst!


„Chrissie, ich danke dir, dass du so gefasst reagierst.“, beginne ich. „Ich mache mir schreckliche Vorwürfe. Ich habe ja fast die Lunte gelegt, und es einem Dieb so leicht gemacht, wie man es nur machen kann. Ich muss gestehen, dass sich so eine Unbedachtheit und Unbesorgtheit durch mein ganzes Leben zieht. Ich bin ein durch und durch optimistischer Mensch. Ich bin schon immer ein Glückskind gewesen. Weil ich so ein freudiges Wesen habe, nimmt man mir wenig übel. Das, was heute nacht passiert ist, hätte ich vermeiden können, da bin ich mir sicher. Habe ich aber nicht und dafür möchte ich in aller Form um Entschuldigung bitten.“, führe ich aus und schaue sie offen an.

„O.K., Entschuldigung akzeptiert. Und weiter?“, fragt Chrissie.

„Ich möchte gern mit dir zusammen überlegen, wie ich die Sendungen am sichersten transportiere. Hilfst du mir dabei?“, frage ich.

„Na, dann fang mal an!“, ermuntert sie mich.

„Als erstes denke ich, ist es sinnvoll, die Sendung im Hauptfach und nicht im Vorderfach des Koffers zu transportieren und den Reisverschluss mit dem Schloss zu sichern.“, beginne ich meine Verbesserungsvorschläge zur Sicherheit.

„Hmm.“, stimmt sie mir zu.

„Beim nächsten Flug würde ich den Koffer nicht in die Gepäckablage legen, sondern vor mir unter den Sitz. Ich hätte dann zwar nicht so viel Beinfreiheit, dafür wäre die Sendung näher bei mir.“, führe ich weiter aus.

„Hmm. Keine schlechte Idee. Hast du noch mehr?“, meint Chrissie.

„Was hältst du von einer Kette, die ich an den Koffer und mein Handgelenk mache, damit man ihn mir auf der Straße nicht wegreißen kann?“, überlege ich.

„Ja, könnte man auch drüber nachdenken.“, meint Chrissie. 

Sie hält einen Moment inne, dann sagt sie: „In Ordnung, Sanna, ich höre, du hast den Warnruf verstanden. Lass uns jetzt auf die Lieferung heute konzentrieren, uns frisch machen und zu den Koordinaten fahren, ja? Ich nehme das Paket auf dem Weg dahin an mich und du übergibst es. Wollen wir es so machen?“

„Puh, ja, das hört sich super an.“, freue ich mich und mir fällt ein Stein vom Herzen.

„Wir müssen den Menschen finden, der genau bei den Koordinaten wohnt, bzw. dessen Bett dort ist, so will es die Stiftung.“, erklärt sie.


Gegen elf verlassen wir das Flughafengebäude. Wir haben uns frisch gemacht, umgezogen, ein wenig Bargeld aus dem ATM gezogen und sind nun auf dem Weg zum Taxistand. Wir zeigen dem Fahrer, wo wir hinwollen. Chrissie trägt das Paket nun an-der-Frau, unter einer Weste. Es trägt ein bisschen auf, da sie aber sehr schmal ist, sieht es schlichtweg nur so aus, als sei sie füllig um die Taille. Es macht ihr nichts aus, so weniger sexy auszusehen. 

Der Taxifahrer legt unsere beiden Koffer in den Kofferraum und ich freue mich, in das klimatisierte Auto einzusteigen. Es hat 33 °C Außentemperatur. Die Fahrt dauert vierzig Minuten und die Straßen werden immer enger und schmaler. Fahrräder, Mopeds, Tuctucs und Autos teilen sich die Fahrbahn. Als Fußgänger hat man hier schlechte Karten.

Der Fahrer stoppt und meint, wir wären am Ziel. Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass er Recht hat. Ich zahle und gebe ihm noch ein nettes Trinkgeld. Er fragt, ob er warten soll. Hier in der Gegend gäbe es nicht so viele Taxis. 

„Was meinst du, Chrissie? Soll er warten?“, frage ich meinen Partner.

„Warum nicht. Lass ihn eine halbe Stunde warten, wenn wir den Empfänger bis dahin nicht gefunden haben, kann er ja fahren.“, schlägt sie vor.

Ich gebe dem Fahrer noch ein, zwei Scheine von den zerfledderten Banknoten und sage ihm, dass er eine halbe Stunde warten soll. Er strahlt über das ganze Gesicht. Er fragt, ob er ein Foto von mir machen darf. Mit ihm zusammen. Er fordert Chrissie auf, das Foto mit seinem Handy zu machen, stellt sich neben mich und legt im letzten Moment die Hand auf meine Schulter. Als ob wir Vertraute wären. Eine Trophäe für seine Fotosammlung. Soll er…





Mittwoch, 3. Februar 2021, Übergabe

Jetzt kommt der spannende Augenblick. Chrissie und ich, wir beide schauen auf unsere Handys und bewegen uns zum Zielpunkt der vorgegebenen Koordinaten. Wir gehen beide auf das Haus vor uns zu. Eigentlich ist es eher eine Hütte. Langsam zeigt Google Maps eine Übereinstimmung. Ich vergrößere den Ausschnitt noch mal, gehe noch drei Schritte nach rechts, ein bisschen vor, und, weil ich nicht aufschaue, laufe ich gegen eine Wand. Und in Chrissies Hacken. 


„Dahinter sind die Koordinaten! Genau dahinter!“, rufe ich aus.

„Ja, das zeigt mein Telefon auch an!“, ruft Chrissie verzückt.

Wir schauen die Wand entlang und entdecken ein Fenster. Chrissie übernimmt die Initiative und klopft dreimal kurz an. Das Fenster geht auf und ein alter Mann schaut hinaus.

Ich frage ihn auf Englisch, ob er hier wohne. Er guckt mich verständnislos an.

„Nimm die Übersetzungsfunktion aus der Mitarbeiter-App!“, rät mir Chrissie.

Von einer Übersetzungsfunktion habe ich noch nichts mitgekriegt, doch ich schaue in die Mitarbeiter-App und werde schnell fündig. 

Ausgangssprache: Deutsch

Zielsprache: Thai

„Bitte drücken Sie die Raute-Taste und sprechen Sie nach dem Piep!“, wird angezeigt.

Ich drücke die Raute-Taste, warte kurz, es piept und ich sage:

„Guten Tag! Mein Name ist Sannamari Schmidt. Wohnen Sie hier?“

Kurz später ertönt die Übersetzung auf Thai aus meinem Handy.


Der alte Mann nickt und sagt etwas.

Ich bedeute dem Mann, dass ich mein Handy einstellen will.

Ich wechsle die Ausgangs- und Zielsprache, drücke die Rautetaste und warte auf den Piep. Es piept und ich fordere den alten Mann mit einer einladenden Handbewegung auf, zu sprechen.


Kurz später hören Chrissie und ich die deutsche Übersetzung:


„Ja, ich wohne hier.“


Ich frage: „Allein?

Und der Übersetzer lässt meine Frage auf Thai verlauten.

 Der alte Mann nickt und sagt etwas.

„Ja, allein.“, spricht die digitale Stimme aus meinem Telefon.


„Wir haben ein Paket für Sie.“, lasse ich übersetzen.


„Für mich?“, entgegnet der alte Mann.


„Ja, bitte, das ist für Sie.“, sage ich und es wird auf Thai übersetzt. 

Ich halte ihm das Paket hin und er nimmt es.


„Machen Sie es auf!“, lasse ich übersetzen.

Der alte Mann öffnet das Paket und nimmt einen Zettel heraus. Er liest laut vor. Das Übersetzungsprogramm lässt folgenden Wortlaut auf Deutsch erklingen:



Hallo! 

Herzlichen Glückwunsch! Sie haben gewonnen.


Sie erhalten mit der Guthabenkarte jeden Monat Geld.

Ihre PIN ist in dem Briefumschlag.


Bitte halten Sie JETZT das Mobiltelefon vor ihr Gesicht, um ihr Konto freizuschalten.


Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dem, was Sie sich für Ihr Leben aussuchen.


Ihre Stiftung LEBEN mit Sitz in Deutschland.


Der alte Mann legt den Zettel beiseite und nimmt einen Briefumschlag  aus dem Paket, auf den eine Guthabenkarte geklebt ist. Auch den legt er zur Seite. Als nächstes holt er das Handy hervor, was in dem Paket liegt. Es ist anscheinend nicht das erste Mal, dass er ein Handy in der Hand hat. Er schaltet es ein. Ein Ton erklingt und er schaut interessiert auf den Startbildschirm. Er streckt die Arme aus, hält das Handy quer, reißt die Augen auf, starrt es an und es erklingt ein warmer Glockenton. Es scheint geklappt zu haben.


„Was habe ich gewonnen? Das Handy?“, lässt der Übersetzer verlauten.


Jetzt schaltet Chrissie sich ein und lässt ihre Antwort übersetzen.

„Sie haben Geld gewonnen. Sie können es ab sofort jeden Monat mit der Guthabenkarte bei jedem Geldautomaten abholen.“


Der Mann schaut verdutzt.

„Wieviel?“


„Ungefähr 450 $ im Monat. Von jetzt an jeden Monat. Solange Sie leben.“


„Warum?“


„Weil es Gut und heilsam ist.“, antwortet Chrissie und lässt es übersetzen.

„Das Licht sei mit dir.“, sagt sie noch und das soll der Abschied sein.


Der Mann weiß nicht, was er sagen soll.

Für uns ist der Auftrag erledigt. Wir winken, er winkt zurück und wir gehen zum Taxi. Unser Fahrer ist wirklich noch da. Er sitzt auf der Motorhaube und lässt laute Musik aus dem Auto schallen. Ein breites Grinsen huscht über sein Gesicht, als wir näher kommen.


„Na, das hat doch super geklappt!“, freut sich Chrissie und hält die Hand hoch. 

Ich klatsche ab.

„Was hältst du davon, wenn wir erst mal nett zu Mittag essen?“, fragt Chrissie.

„Eine Menge!“, sage ich. „Ich schlage thailändisch vor, was meinst du?“

„Bin dabei.“, bestätigt Chrissie.

„Ich würde gern zur Khaosan-Road fahren. Schauen, wie es da jetzt aussieht.“, sage ich.

„Warst du schon mal in Thailand?“, fragt Chrissie.

„Ja, es ist 30 Jahre her. Da warst du noch gar nicht auf der Welt!“, sage ich.

„Hmm.“, antwortet sie gedankenverloren.


Unser Aufenthalt in Bangkok dauerte gerade mal einen halben Tag. Ich bin so voll von Erlebnissen und Eindrücken, dass mein Körper nach dem Abflug um 20 Uhr direkt in einen tiefen Schlaf sinkt. Chrissie war so euphorisch, dass unser erster gemeinsamer Lieferjob so gut geklappt hat, dass sie uns auf Business hochgestuft hat. Sie selbst hat ja die Nacht davor ohne Schlaf verbracht und all die Anspannung fällt in die bequemen Polster des vornehmen Interieurs.





Donnerstag, 4. Februar 2021, Zurück in Deutschland

Der Flieger landet sanft in Frankfurt. Der Frühstückskaffee in der Luft war erstaunlich aromatisch. Da wir ja nur Handgepäck haben, kommen wir schnell in den Transitbereich. Das ist auch gut so, da das Boarding für den Flug nach Tallinn schon begonnen hat. 

„Das geht hier aber Schlag auf Schlag!“, necke ich Chrissie, die sich ja um die Flugverbindung gekümmert hat.


„Warte mal.“, fordert mich Chrissie auf, ohne auf meine Neckerei einzugehen. „Ich soll mich dringend im Büro melden, sehe ich gerade.“ 

Sie hatte ihr Handy nach dem Flug wieder aktiviert und checkt die Nachrichten.


Sie stellt die Verbindung her und ich höre, wie sie „Na, toll… Ach… Hmm…“,  vor sich hinmurmelt.

Sie schaut zu mir auf und sagt: „Planänderung! Wir fliegen doch nicht nach Estland. Da war Mike ein bisschen zu voreilig.“

Ich blicke sie an und warte. Warte auf mehr Informationen.

„Mike ist in seinem grenzenlosen Optimismus davon ausgegangen, dass es für uns keine Quarantänepflicht nach der Einreise gibt. Wenn man aus Ländern kommt, die wenige Fallzahlen haben, braucht man nur ein negatives Testergebnis vorzuweisen und kann sich dann frei innerhalb Estlands bewegen. Deutschland gehört leider im Moment nicht dazu. Und Sonderregelungen für Geimpfte gibt es nicht. Tja, das war ein Satz mit x, das war nix.“, sagt sie ein wenig enttäuscht. 

Sie setzt sich auf eine nahegelegene Bank und ich geselle mich zu ihr.

„Mike schreibt noch, dass er versucht hat, einen Flug nach Hamburg für uns zu buchen, aber er hat es nicht hinbekommen. Er meint, dass wir vielleicht hier vor Ort noch eine Chance hätten…“, erzählt sie. „Sonst nehmen wir den Zug. Geht ja auch…“

„Ist von der Ökobilanz sogar viel besser!“, werfe ich ein.

„Ja, vielleicht.“, antwortet Chrissie teilnahmslos.

„Dieses blöde Coronavirus! Macht einem bei allem einen Strich durch die Rechnung!“, schimpft sie vor sich hin.


Wir sehen den Tatsachen ins Auge und handeln. Das ist das, was man tun kann. 

Wir fragen nach einer Flugverbindung nach Hamburg und erfahren, dass der nächste Flug in knapp drei Stunden geht.  Der nächste Zug schon in 30 Minuten. Also verlassen wir das Flughafengelände. Draußen angekommen schlägt uns der Winter entgegen und mir wird kalt in dem Reisekleid mit bloßen Beinen und Pantoletten. Auch wenn es nicht ganz so Ladylike aussieht, krame ich die schwarze Sporttight, die Kuschelsocken und die Sneaker aus meinem Koffer und ziehe alles an. Darüber noch den Wollmantel und die Welt ist wieder gut zu mir. Wir spazieren zum Bahnhof. Ich kümmere mich um die Tickets und Sitzplätze. Das hat gleich zwei Vorteile. Zum einen werde ich vertrauter mit der DeutscheBahnAPP, zum anderen entlaste ich Chrissie, die im Moment so wirkt, als hätte sie keine Verbindung zu ihrem E-lan.





Donnerstag, 4. Februar 2021, Fahrt nach HH

Wir haben vier Stunden Fahrt bis zum Hamburger Hauptbahnhof vor uns. Chrissie und ich haben gegenüberliegende Sitzplätze mit einem Tisch dazwischen. Wir verstauen das Gepäck und machen es uns bequem. Ich merke, dass mir die letzten beiden Nächte in den Knochen stecken. Eine Dusche könnte ich auch gut haben. Die Katzenwäschen auf dem Flugplatz reichen zwar, um nicht zu stinken, aber zwischen nicht stinken und sich in seiner Haut pudelwohl fühlen liegen für mich etliche Nuancen.


„Chrissie?“, beginne ich.

„Ja?“, fragt sie und schaut auf.

„Ich weiß immer noch nicht genau, für wen ich eigentlich gearbeitet habe.“, sage ich.

Sie schaut mich an.

„In dem Brief, den der Empfänger vorgelesen hat und den die Übersetzungsfunktion übersetzt hat, wurde die Stiftung Leben genannt.“, sage ich.

„Ah, da hast du gut aufgepasst!“, sagt sie und lächelt.

„Aus der Mitarbeiter-App kann ich nicht entnehmen, wer dahinter steht.“, erkläre ich. „Und im Netz habe ich auch nichts über die Stiftung Leben gefunden.“

„Hmm.“, lässt sie verlauten.

„Ihr fahrt in der Welt herum und verschenkt Guthabenkarten?“, frage ich.

„Ja.“, sagt sie.

„Warum?“, frage ich.

„Weil es Gut und heilsam ist.“, antwortet Chrissie.

Die Antwort hatte sie auch dem alten Mann gegeben.

„Wie finanziert ihr euch?“, will ich wissen.

„Von Geld, welches uns zufließt.“, erklärt sie knapp.

„Erzählst du mir noch mehr?“, frage ich sie.

„Nein.“, antwortet sie und schaut mich mit ihren leuchtenden, dunklen Augen an. 

Sie zieht mich mit ihren Augen in den Bann. Sie trifft mich direkt ins Herz. Es ist, als ob ich in ihr Herz sehen kann. Es ist schwierig zu beschreiben. Auf dieser Ebene habe ich das noch nie erlebt. Es ist eine reine, tiefe Verbindung zwischen uns. Mich durchströmt ein Gefühl von Wertschätzung und Freude. Von ihr zu mir und gleichzeitig von mir zu ihr. Mein Puls beschleunigt sich.

„Ich würde gern noch mal mit dir arbeiten.“, meint sie.

„Also, ich bin dabei! Sag einfach Bescheid.“, sage ich fröhlich und entspannt.

„Wir werden sehen, wie es kommt.“, sagt sie. „Den Koffer und die Klamotten kannst du auf jeden Fall behalten.“

„Oh, danke!“, sage ich. 


Ein paar Minuten lasse ich meine Gedanken schweifen, schaue aus dem Fenster. Die Landschaft strahlt weiß. Chrissie beschäftigt sich am Handy.


„Ach, Chrissie, da fällt mir ein, dass ich gar keine Quittung von dem Taxifahrer in Bangkok verlangt habe, die ich als Spesen abrechnen könnte. Ich hatte es bar bezahlt, weißt du noch?“, frage ich sie.

„Ja.“, sagt sie und schaut von ihrem Handy auf. „Das hast du wohl vergessen.“

Sie sagt das wertneutral. Ich kann nicht einschätzen, ob sie mich dafür innerlich rügt; ob sie mir dafür Abzüge in der B-Note erteilt; ob sie mir das locker verzeihen kann. Ich kann nichts aus ihren Emotionen lesen.

Ich hole mein Portemonnaie aus meiner Handtasche. Wenn wir schon beim Thema Geld sind, will ich klare Verhältnisse schaffen. 

„Das ist der Rest von dem thailändischen Bargeld.“, sage ich und halte es ihr hin.

Sie nimmt es und steckt es in ihre Hosentasche.

Ich entdecke die Quittung von dem Mittagessen, was wir nach dem Lieferjob hatten in meiner Börse. Die anderen Ausgaben hatte Chrissie über ihre Spesenkarte gezahlt.

„Wie heißt du mit Nachnamen?“, frage ich sie. „Dann kann ich das auf die Restaurantquittung schreiben…“

„Schreib einfach Chrissie, das reicht.“, sagt sie.

Ich schreibe also Chrissie, Sannamari Schmidt und Lieferung Thailand auf die Quittung, mache ein Bild davon und lade es in den Spesen-Bereich der Mitarbeiter-App. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich für andere Auftraggeber während meiner Selbständigkeit abrechnen musste… Das hier ist so luftig leicht wie Zuckerwatte.


Ich spiele mit dem Gedanken, Kai anzurufen und ihm zu erzählen, dass ich heute schon komme. Dann entschließe ich mich dagegen. Warum soll ich ihn bei der Arbeit stören? Ich werde zuhause sein, wenn er gerade Schluss hat. Vielleicht kaufe ich noch Kuchen beim Bäcker auf dem Nachhauseweg.


Chrissie und ich hatten drei aufregende Tage. Am Hamburger Hauptbahnhof trennen sich unsere Wege. Ich hatte diese Variante schon in Frankfurt geplant. Für Chrissie ein Ticket zum Flughafen, für mich mit dem Regionalzug zu mir nach Hause.


„Ich hätte dich auch gefahren.“, meint Chrissie.

„Nein, ist schon o.k.“, antworte ich.

„Na dann,…“, sagt Chrissie. „ wünsche ich dir eine gute Fahrt. Würde mich freuen, wenn du weiterhin für uns arbeitest.“

„An mir soll es nicht liegen! Ruf einfach an.“

„Ich werde ein gutes Wort für dich bei Mike einlegen.“, verspricht Chrissie.

„Danke!“, sage ich, winke zum Abschied und wechsle den Bahnsteig.

Mich interessiert, was Mike für ein Typ ist. Wie alt mag er sein? Sind die beiden ein Paar? 





Wochenende, 5.-7. Februar 2021

Das Wochenende gehört der Familie. Das halten wir schon seit Jahren so. Keine Gespräche über Job, Schule oder irgendwas, was nicht mit Spaß und Entspannung zu tun hat. Ganz privat. 





Montag, 8. Februar 2021, Buchhaltung und Einladung

Am Montagmorgen trägt Kai den Bildschirm der Firma, als er ins Büro aufbricht. Zwei Wochen Homeoffice, zwei Wochen Büro. Das machen sie nun schon seit Anfang der Pandemie so. Und da er nur einen privaten Bildschirm zuhause hat, aber für die Arbeit zwei braucht, nimmt er den Bildschirm aus dem Büro mit, wenn er Homeoffice hat. Und trägt ihn wieder zurück, wenn er Präsenzpflicht im Büro hat. Hin und her. Hin und her.

Nachts hat es geschneit. Im Morgenmagazin berichten sie über Schneechaos. Ein LKW ist umgefallen und versperrte die Autobahn für ein paar Stunden. Er hatte keine Winterreifen drauf und viele Leute mussten das mittragen. Manchmal kann man nur mit dem Kopf schütteln. 

30 cm Schnee und Deutschland liegt lahm. Jedenfalls wird es in den Medien so dargestellt. Was ist die Wahrheit? Sind wir so weit weg vom Schnee, dass uns 30 cm schon überfordern? 


Um den Lieferjob komplett abzuschließen, will ich die Quittung über die tausend Euro Gage schreiben. Erst schaue ich auf mein Konto, ob das Geld wirklich da ist und JA, da ist ein Geldeingang. Als Verwendungszweck lese ich:

„Energieausgleich. Liebe Grüße, Mike“

Einen kleinen Moment zögere ich. Da steht nichts von Zahlung oder Rechnung oder sonstwas steuertechnisches. So, als ob mir ein guter Onkel ein bisschen Geld zukommen lässt. Um unsere Zusammenarbeit aber ganz rein zu gestalten, schreibe ich eine buchhalterisch korrekte Quittung. Um das Finanzamt zu bescheißen bin ich nicht cool genug. Ich stell mir immer vor, dass ich eine Buchprüfung habe und dann will ich nicht in Erklärungsnot kommen, rot werden und herumstammeln. Ich bin die Letzte, der man eine Lüge abkauft, glaube ich.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752137187
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Aufwachen Freiheit Souveränität Selbstermächtigung

Autor

  • Sannamari Schmidt (Autor:in)

Ich bin 1969 geboren und habe die letzten Jahrzehnte der Umweltzerstörung, des Leistungsdrucks und der Gewinnmaximierung erlebt. Wenn Sie nur ein bisschen unzufrieden mit der Situation auf der Welt sind, lesen Sie dieses Büchlein! Es gibt einen einfachen, lichtvollen Weg. Lernen Sie ihn kennen!
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Titel: Die Stiftung