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Shadac

von Tanja Rast (Autor:in)
450 Seiten
Reihe: Schmachten & Schlachten, Band 9

Zusammenfassung

Epische High Fantasy mit Helden, Schlachten, Magie und einer Romanze, die sich wie ein rotes Seidenband durch die Geschichte zieht und weder drohende Niederlagen noch selbst den Tod fürchtet.

Kardinal Shadac führt im Auftrag seines Königs ein Doppelleben. Auf der einen Seite sorgt Hochwürden für das Seelenheil im Königreich, auf der anderen ist er der finale Diplomat, der notfalls drohenden Krieg mittels eines Mords im Keim erstickt. Bis er ausgerechnet einen alten Magier unter die Erde bringen soll, in dessen Gewalt sich die vergnügungssüchtige Asmyn befindet.
Prompt hat Shadac zwei Probleme auf einmal: Die geballte Magie des Alten sucht ihn als neuen Herrn aus, und Asmyn denkt nicht im Traum daran, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, sondern heftet sich vergnügt und besserwisserisch an die Fersen des geplagten Kardinals. Und das ist erst der Anfang …
Die Romane können unabhängig voneinander und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.

Unerfreulicher Auftakt

 

Niemals hätte Asmyn gedacht, dass es so langweilig sein könnte, eine verheiratete Frau zu sein. Ihre Phantasie hatte ihr die Szenerie stets mit Bällen, viel Romantik und einem Ehemann ausgemalt, der ihr zu Füßen lag, sie mit Geschmeide und Geschenken überhäufte und sie vor allem hemmungslos anschmachtete.

Nun, das war gewesen, bevor sie sich entschlossen hatte, den Antrag von Cosmon anzunehmen. Gegen den Willen ihrer Mutter, die ihr jeden Abend in den Ohren gelegen hatte, diesen Schritt um der Götterzwillinge willen nicht zu tun. Doch Asmyn hatte den Kopf hochgetragen, einen wunderschönen Ring geschenkt bekommen und war nach der Zeremonie zu einem Dasein vollkommen unromantischer Langeweile verdammt worden.

Das Lustigste, was bislang geschehen war – und auch das Interessanteste, was Asmyn aus der Lethargie der Eintönigkeit gerissen hatte -, war jener Tag gewesen, an dem Cosmon, der senile Narr, vergessen hatte, seine Hose anzuziehen. Wenigstens trug er sie nicht als Kopfschmuck, das hätte Asmyn ihm nämlich auch allzu leicht zugetraut. Doch als er auf kalkweißen Stelzen, die mit einem blauschimmernden Netz von dicken Adern überzogen waren, in das Frühstückszimmer trat, musste Asmyn sich ganz fest auf die Zungenspitze beißen, um nicht lachend vom Stuhl zu fallen.

Die Diener verzogen ebenfalls keine Miene, was Asmyn darin bestärkte, dass die das schon lange gewohnt waren. Von allen grässlichen Ehemännern hatte sie den vollkommen Abscheulichsten erwischt. Und denjenigen, der die besten Methoden erfand, seine junge Frau sich mit jedem Tag mehr zu entfremden. Genau, das konnte auf gar keinen Fall Asmyns Schuld sein.

Ein Diener verdarb den Bruch in der Monotonie, indem er dicht an seinen Herrn trat und diesem etwas ins Ohr flüsterte, bevor Cosmon noch ganz die Frühstückstafel erreicht hatte. Die Feuerröte, die dem Alten nach etlichen Augenblicken und vielen geraunten Worten seitens des Lakaien ins Gesicht stieg, entschädigte Asmyn ein klein wenig. Nicht genug, aber immerhin.

Sie stützte den Ellenbogen auf die Tischplatte und das Kinn in die Faust, als der alte Mann hastig aus dem Raum stakste. Jedes Argument ihrer Mutter hatte Cosmon schon am ersten Tag bestätigt. Doch obwohl Asmyn romantische Ideen über eine normale Ehe hegte, hatte sie von Anfang an gewusst, dass sie nichts dergleichen bei Cosmon finden und erleben würde. Keine riesigen Rosensträuße, keine Tanzveranstaltungen und ganz bestimmt kein Feuer der Leidenschaft. Cosmon reichte es, hin und wieder Asmyns Wange zu tätscheln und töricht zu grinsen. Mit nur noch wenigen verbliebenen Zähnen, die – ihrem Anblick nach zu urteilen – sich bald an die Verfolgung ihrer verlorenen Geschwister machen würden.

Doch Cosmon besaß etwas, was kein anderer Freier um Asmyns Hand hatte bieten können. Cosmon war Magier, angeblich sehr mächtig und ungemein belesen. Zumindest Letzteres konnte stimmen, wenn er denn nur einen Bruchteil seiner gewaltigen Bibliothek studiert hatte. Asmyn lächelte. Nun, ganz genau genommen hatte sie nicht Cosmon geheiratet, sondern seine Sammlung an alten, kostbaren Büchern, auf die sie als Frau sonst niemals die Hände hätte legen können. Doch mit einem Tattergreis von Ehemann, der sie immer nur dümmlich anlächelte und nichts von dem mitbekam, was Asmyn über Tag – und auch in der Nacht – so tat, stand ihr die Welt des Wissens offen. Verbotene Bücher. Verboten zumindest für eine Frau. Denn Magie, so dachte nicht nur Cosmon, gehörte nur in die erfahrenen Hände eines Mannes. Selbst senil und mit aderblauen Beinen hielt Cosmon sich immer noch für überlegen, sein Gehirn für brauchbarer als das einer Frau.

Asmyn lächelte immer noch, während sie in ihrem Tee rührte und sich fragte, wie lange der alte Kerl wohl brauchte, um in seine Hose zu finden. Mit der Hilfe mindestens eines Dieners. Und wie lange Cosmon noch benötigte, um das Zeitliche zu segnen. Nach allem, was Asmyn bislang an Hinweisen gesammelt und Gerüchten gehört hatte, suchte die magische Gabe dann einen neuen Wirt. Möglicherweise. Andere Texte sprachen von scheuen Gaben, deren Vertrauen der neue Inhaber erst gewinnen musste. Asmyn behauptete, sehr geduldig sein zu können. Außerdem war sie ja keine Wildfremde für Cosmons Gabe. Doch wäre alles einfacher, wenn Asmyn sicher wüsste, was im Todesfall eines Magieträgers wirklich geschehen würde. Die Bücher widersprachen sich zum Teil, als hätten ihre Autoren nicht mehr Ahnung besessen als die suchende Asmyn. Eines aber wusste sie sicher: Sie hatte nicht vor, einen anderen Mann in der Nähe zu dulden, wenn Cosmon sein Dasein aushauchte. Gesetzt den Fall, dass die Gabe wirklich auf die Suche ging, würde sie nur einen einzigen Menschen in der Nähe finden: Asmyn von Katalas.

Doch bis es so weit war, gab es die Bücher. Seitenweise knisterndes Pergament in lederner Hülle. Fein ziselierte Verschlüsse, geprägte Verzierungen und Titelei auf den Buchrücken. Winzige Buchstaben in roter und schwarzer Tinte, schnurgerade Zeilen und schwungvoll ausgeführte Anfangsbuchstaben auf jedem Seitenbeginn. Und Wissen, von dem Asmyn das Gefühl hatte, das es direkt aus dem dicken Folianten in sie hereinströmte, sie begreifen ließ, was es mit der Magie auf sich hatte.

Cosmon besaß Feuermagie. Eine relativ häufige Gabe. Es gab Seltenere, und so gerne Asmyn sich auch im Besitz des Feuers wüsste, lechzte sie doch nach mehr, nach anderem, das ungewöhnlicher war.

Mit allem Anschein von Geduld und ehefraulicher Tugend und sich der Gegenwart zweier Diener nur zu bewusst trank sie ihren Tee und wartete auf die Rückkehr ihres Gatten. Spätestens, wenn Cosmon sich wieder in seinem Arbeitszimmer verschanzte, konnte Asmyn zu dem Buch zurückkehren, das sie in der Kommode unter ihren Socken versteckt hatte. Zuerst hatte sie erwogen, den dicken Band unter Unterwäsche zu verbergen, doch das war ihr zu riskant erschienen, obwohl Cosmon keinerlei fleischliche Gelüste mehr zu hegen schien. Die Götterbrüder mochten wissen, wie der Kerl sich vielleicht doch irgendwie zu erregen versuchte. Socken waren sicherer.

Lesen, Lernen, wichtige Passagen in ein eigenes kleines Buch kopieren. Asmyn begriff mit jedem Tag mehr von den Wundern der Magiegabe. Was sie durchaus mit einer gewissen Bitterkeit füllte, dass all dies voller Selbstverständlichkeit alleine den Männern vorbehalten blieb. Doch nicht mehr lange, denn es gab mehr Frauen wie Asmyn. Sie lächelte ihr Rosinenbrötchen versonnen an, das klein und einsam auf dem Teller lag. Asmyn wollte nicht dumm und fügsam wie ihre Mutter werden. Auf gar keinen Fall.

 

Ein Klopfen, beharrlich doch leise erreichte Shadacs schlummerndes Hirn und brachte ihn dazu, müde den Kopf zu heben. Weiße Laken raschelten, und neben Shadac stöhnte jemand tief und kehlig. Er versuchte, einen Überblick zu erhalten, gab es jedoch rasch auf, denn erneut erklang das Pochen an der dicken Holztür. Außerdem hatte er keine Ahnung, wer die dunkelhaarige Schöne an seiner Seite war. Er schob behutsam einen wohlgeformten Unterschenkel von seinem, drehte sich halb und betrachtete mit einigem Erstaunen die zweite Frau, die platt auf dem Bauch lag und leise in das Kopfkissen schnarchte.

Das Bett unter scharlachroter Himmelbespannung aus Samt war gewiss breit genug. Trotzdem runzelte Shadac in Verwunderung über sich selbst die Stirn, als er neben der Dunkelhaarigen die Konturen eines dritten Frauenkörpers unter den Decken ausmachte. Kurzerhand wählte er die kürzeste Route über das Fußende des Betts, kam leichtfüßig auf dem hochglanzpolierten Holzboden auf und nahm sich nicht die Zeit, nach Kleidung, seiner Robe oder auch nur einer Hose zu suchen, denn der Weg zur Tür war gepflastert mit hastig abgeworfenem Stoff. Das meiste weiblichen Ursprungs.

Noch einmal das Klopfen, das so drängend klang und trotzdem von der Diskretion des Mannes vor der Tür sprach. Shadac kannte nur einen Menschen, der solcherart um Aufmerksamkeit bitten konnte. Er riss die Pforte auf und fand sich erwartungsgemäß Auge in Auge mit Desin. Und nur mit diesem, was gut war. Der Flur stand schon in klares Morgenlicht getaucht, während das hinter Shadac liegende Schlafzimmer von vielen Vorhängen in Dämmerlicht gehalten wurde.

»Wie spät ist es?«, fragte Shadac.

»Die neunte Stunde ist angebrochen, Leutnant.«

»Ich bin mir beinahe sicher, dass ich darum bat, heute ausschlafen zu dürfen. Die gestrige Feierlichkeit fordert ihren Tribut. Was ist los, Desin?«

Eine cremefarbene Rolle aus dickem Papier, darauf in leuchtendem Goldschimmer das Siegel des Königshauses streckte Desin als Erklärung vor.

Shadac entriss dem Diener das Schreiben, und Desin tauchte an ihm vorbei ins Schlafzimmer, während Shadac das Siegel aufbrach und das schwere Papier entrollte. Er entzifferte mit halb zusammengekniffenen Augen die übertrieben schwungvolle Handschrift, die sich mit zu vielen Schnörkeln in Wichtigtuerei erging. Dann spürte er Stoff auf den Schultern, als Desin zumindest den Versuch unternahm, Shadacs Blöße im Eingang zu einem zugigen Flur ein wenig zu bedecken und seinen Herrn irgendwie in eine Robe zu hüllen, ohne ihn beim Lesen zu stören.

»Audienz beim Kanzler«, sagte Shadac knapp.

»Ich lasse die Garde antreten.«

»Noch nicht. Ich will ein Bad und frische Kleidung. Solange mir der Geruch einer offenbar ziemlich wilden Nacht anhaftet, trete ich bestimmt nicht vor den Bruder unseres Königs.«

»Das verstehe ich, Leutnant.«

Shadac rollte das Schreiben wieder fest auf, zerrte nun seinerseits die Robe über die Arme und zog den dicken Stoff vorne zusammen. »Du wirst die Damen aus meinen Gemächern geleiten, während ich weg bin.«

»Natürlich, Leutnant.«

»Desin?«

»Entschuldigung. Kardinal.«

Shadac legte dem kleineren Mann die Hand auf die Schulter – behutsam, denn Desins Glanztage lagen weit in der Vergangenheit. »Wenn jemand mich Leutnant nennen darf, bist du es, Desin. Aber nur, wenn wir alleine sind.«

»Ich weiß. Lange und dumme Angewohnheit, Shadac. Aber ich hüte meine Zunge.«

Shadac nickte zufrieden und machte sich auf den Weg zum Badezimmer. Einer der schönsten Räume im Turmbau neben dem Tempel der Zwillingsgötter. Das Schlafgemach mochte luxuriös und wundervoll sein, doch selbst das breite Bett konnte Shadac nicht so sehr reizen wie ein heißes Bad, nachdem aus zischenden und knarrenden Wasserleitungen zuerst nur Dampf austrat, bevor sehr heißes Wasser sich in die Wanne ergoss, die bunten Fensterscheiben umgehend beschlagen ließ und erst nach Zugabe von viel kaltem Wasser aus dem zweiten Rohrsystem ein Bad möglich war. Luxus, den Shadac jahrelang entbehrt hatte, an den er sich in kürzester Zeit gewöhnt hatte, den er niemals wieder missen wollte.

Auch wenn das Schreiben des Kanzlers sehr wohl genau das bedeuten konnte. Etwas zog sich kalt in Shadacs Magengrube zusammen, während er die Robe ein weiteres Mal von sich warf und sie achtlos auf den Boden fallen ließ. Der Geruch nach Schweiß und schwerem Parfumöl haftete auf der Haut, überlagerte beinahe selbst den allgegenwärtigen Geruch der Räucherharze, die zum Wohlbehagen der Götter überall auf der Insel verbrannt wurden.

Shadac öffnete den Wasserhahn, wartete auf die erste Dampfwolke, der nur einen Wimpernschlag später die heiße Flut folgte und das ganze Zimmer in einen weißen Nebel hüllte, der einfach nur sauber und frisch duftete. Tief atmete Shadac ein, versuchte, das eisige Gefühl in seinen Eingeweiden durch den heißen Dampf zu vertreiben, und öffnete auch den zweiten Hahn, aus dem klares, kaltes Wasser sprudelte. Mit geschlossenen Augen wartete Shadac neben der Wanne, lauschte auf die Geräusche des rauschenden Nasses, die sich langsam veränderten, je höher der Pegel stieg. Langsam streckte Shadac die Hand aus, tauchte sie in die Fluten und glitt in das Bad, während immer noch Nachschub aus den beiden Hähnen floss. Wohlige Wärme umgab ihn, lockerte seine Muskeln und löste den kalten Knoten ein wenig. Nicht vollkommen. Denn niemals riefen Kanzler oder König nach dem obersten Diener der Götter, wenn sie nicht eine schwierige oder gar widerwärtige Aufgabe auf silbernem Tablett zu reichen gedachten.

Alles hatte seinen Preis, dachte Shadac bitter. Und er selbst konnte sich nur als käuflich bezeichnen. Der Geschmack von Galle wollte aufsteigen, und Shadac riss die Augen auf und setzte sich hastig auf. Ein tiefer Atemzug vertrieb die Schwäche, und obwohl erneut Kälte tief im Magen nistete, ging es nun besser. Seife, um den Geruch der Frauen zu vertreiben. Frische Kleidung. Ein Marsch über die Königsbrücke, um die Stadthälfte zu erreichen, in dem der Palast lag. Keine Sänfte, keine Kutsche, erst recht kein Reittier. Nicht für den Kardinal von der Götterinsel.

Er wusch sich gründlich und tauchte schließlich im warmen Wasser unter, um den letzten Schaum abzuspülen. Solange er die Luft anhalten konnte, blieb Shadac unter Wasser, spürte die Reinheit, die der Widerwärtigkeit der königlichen Pläne weichen musste. Er setzte sich auf, schnappte nach Luft und wischte Wasser aus Gesicht und Haaren. So fühlte er sich einigermaßen gewappnet. Käuflich wie eine Dirne in den schmutzigen Straßen entlang der Hafenanlagen. Nun, es gab Schlimmeres, und Shadac hatte es erlebt und vor allem überlebt. Was man von vielen anderen aus seiner Truppe nicht sagen konnte.

Er stieg aus der Wanne und entdeckte wie gewohnt auf der Truhe neben der Tür viel roten Stoff. Desin war offenkundig lautlos wie immer eingetreten und hatte für frische Wäsche gesorgt. Dass ein alter, hinkender Soldat so leise sein konnte, verblüffte Shadac immer wieder. Aber angenehm, so wie Desins Gegenwart auf der Götterinsel ihm wohl tat.

Er trocknete sich ab und versuchte, klare Erinnerungen an die Feierlichkeiten des Vorabends aus Gedankenfetzen an warme Haut und überwältigenden Parfumduft zu schälen. Drei Frauen in seinem Bett, und er hatte keine Ahnung, wie er mit ihnen dort gelandet sein konnte.

Ein Thronjubiläum, meinte er, sich erinnern zu können. Eine Feier, die im Palast begann und vor Mitternacht in den Tempel umzog, um noch vor dem Tageswechsel den Segen der Götter zu erbitten und dann gnadenlos die Vorratskammern der Götterinsel zu plündern. Shadac hasste solche Festlichkeiten. Zu sehr erinnerten sie ihn an die Siegesfeiern, obwohl es bei denen doch wirklich nichts zu bejubeln gab. Hunderte, Tausende tot, und die Überlebenden feierten keinen Sieg, sondern das eigene Entkommen aus dem Feuerschein des Krieges, suchten Vergessen in Wein, Bier und Völlerei, um sich nicht länger an die starren Augen ihrer getöteten Kameraden erinnern zu müssen.

Doch Shadac entsann sich der leichenstarren Gesichter. Nicht nur die der Gefallenen, sondern vor allem jener, die zwischen zwei Heeren zermalmt worden waren. Landbevölkerung, Priester, Frauen, Kinder. Und er wusste, dass eine Frau sich glücklich schätzen konnte, wenn sie durch das Schwert fiel, statt als Truppenhure einige Zeit mitgeschleift zu werden.

Er schluckte hart, warf das Handtuch von sich und beeilte sich, in die kostbaren Kleider zu kommen, die Desin ihm hingelegt hatte. Silberstickerei auf roter Seide. Eine Audienz beim Kanzler schrie danach, dass der Kardinal in aller verfügbaren Pracht erschien, und niemand wusste das besser als Desin. Wie ein Kindermädchen spielte er sich auf, doch hielt er sich stets still im Hintergrund und war einfach zur Stelle, falls Shadac seine Unterstützung benötigte.

Seide und Leinen raschelten leise, schmiegten sich an Shadacs vom Bad erhitzte Haut, brachten Kühle und Frische mit sich, errichteten einen Schutzwall zwischen dem Kardinal und den Erinnerungen eines Leutnants.

Rot wie frisch vergossenes Blut, doch selbst das störte Shadac nicht mehr. Er schnürte die Stiefel zu, den Fuß auf die Truhe gestützt, strich über Hemd und Hose und warf sich dann die lange, vorne von Kragen bis Saum geknöpfte Robe über die Schultern.

Als hätte er nur auf das Geräusch von flatterndem Stoff gewartet, trat Desin lautlos ein, stellte ein Tablett mit einem Becher auf die Truhe, öffnete Fenster, um die warmen Dunstschwaden zu vertreiben, und kniete dann vor Shadac nieder, um am unteren Saum beginnend winzige, allzu zahlreiche Perlmuttknöpfe zu schließen.

Shadac wartete geduldig, bis Desins knorrige Finger die Reihe beendet hatten und behutsam den pelzverbrämten Kragen der Robe richteten. Dann streckte er dem Diener die Handgelenke hin, wo ebenfalls noch jeweils zehn kleine Knöpfe darauf warteten, den eng anliegenden Unterärmel fest zu schließen, während Seide zügellos in langen Ärmelüberwürfen zu Boden floss.

»Was ist gestern auf dieser Feierlichkeit geschehen?«, fragte Shadac leise.

Desin blickte fragend von den kleinen Knöpfen auf.

Tief atmete Shadac durch. »Ich lande nicht allzu oft mit drei Frauen in meinem Bett, ohne die geringste Erinnerung auch nur an ihre Namen zu haben, Desin. Und ich trinke keinesfalls so viel, dass ein Rausch als Begründung für meine Erinnerungslücke herhalten kann.« Außerdem fühlte er sich keineswegs wie nach einer durchzechten Nacht. Keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit außer der nistenden Kälte in seinem Magen, und wo die herkam, ahnte Shadac ja schon.

»Es war ein ziemlich wildes Fest.«

»Trotzdem!«

»Du hast die Kinder fortgeschickt, bevor es zu hoch hergehen konnte.«

»Wenigstens das.«

»Aber du erschienst mir ein wenig benommen, als du mit den Damen abzogst.«

Shadac starrte Desin fassungslos an und schüttelte schließlich schwach den Kopf.

Der Diener konzentrierte sich wieder vollkommen auf die kleinen Knöpfe und fuhr leise fort: »Vorher hatte der Kanzler dich beiseite genommen. Erinnerst du dich daran?«

»Nein, auch nicht. Doch … ein wenig. Kann es sein, dass er das heutige Schreiben angekündigt hat?«

Desin hob zwei Ledermanschetten von der Truhe. Breit genug, Shadacs Unterarme komfortabel zu umschließen, jedes Lederband mit einer Scheide besetzt, aus der beinahe zierlich das Heft eines schmalen Dolchs herausragte. Fragend sah Desin seinen Herrn an.

Shadac schüttelte den Kopf. »Die brauche ich im Palast nicht. Außerdem steht draußen meine Garde. Beantworte meine Frage, Desin, bitte.«

»Ich befand mich nicht in Hörweite. Seine Leibwache gestattete es nicht.«

Fest presste Shadac die Lippen zusammen. Es stellte schon eine gewisse Beleidigung dar, dass der Kanzler seine Wächter mit auf die Götterinsel gebracht hatte. Wenn es irgendwo sicher war, dann im Tempel und den angrenzenden Hallen. Nicht umsonst ragten die Bauwerke auf einer Insel mitten im Strom auf, erreichbar nur durch die Königsbrücke zur Alten Stadt und Bauernbrücke zur zweiten Stadthälfte. So verbanden sie die rechts und links des breiten Flusses wuchernde Stadt mit ihrem Herzstück und den ältesten Bauten, der Keimzelle der Hauptstadt. Die Götterinsel besaß eigene Wächter, und Shadac hielt diese handverlesenen Männer für erheblich zuverlässiger als alles, was der Palast aufbieten konnte.

»Aber nun gehst du zu ihm, Leutnant, und findest mehr heraus, nicht wahr?« Desin hatte die Knöpfe besiegt und schüttelte liebevoll den Umhang aus, der über der Robe mit drei Schulterstücken, einer Kapuze, noch mehr Pelz und einer fast drei Ellen langen Schleppe aufwarten sollte.

Shadac hielt still, während Desin ihm das voluminöse Kleidungsstück anlegte, liebevoll die Falten der Schulterstücke zurechtrückte und die beiden großen Spangen schloss, die den Umhang mit der Robe verbanden und alles an ihrem Platz hielten.

»Es regnet. Ich habe Baldachinträger gerufen. Die Garde steht bereit, Leutnant.«

Shadac nickte, zog die Kapuze über den Kopf und schüttelte die flatternden Ärmel aus. Er atmete tief durch, ließ sich von Desin die Türen aufhalten und schritt durch den Turm, Treppenstufen hinab auf den Platz zu Füßen des Tempels, wo Garde, Baldachin und zwei Dutzend Tempelkinder mit Räuchergefäßen an langen Ketten ihn schon erwarteten.

Würzig und süß umwogte Rauch Shadac. Kein Vergleich zu dem rußigen Qualm auf Schlachtfeldern oder von brennenden Häusern. Ein Gruß an die Götter, die über die Insel, die Stadt und das Reich wachten. Wenn man derlei Dinge glaubte.

Shadac tat das schon seit fast genau sechs Jahren nicht mehr.

 

Donner ließ das kleine Herrenhaus erzittern, bis Staub aus den Deckenbalken rieselte und Glas in Schränken nicht nur zart aneinander klirrte, sondern zu Scherben zerbrach.

Ein Mann schrie auf dem Flur vor Asmyns Gemach, dann stampften schwere Stiefel über die Steinplatten des Ganges.

Asmyn blickte sich unruhig um, ballte die Hände zu Fäusten und rannte zur Kommode, um Socken beiseitezuschaffen, um die darunter getarnten Bücher – zwei aus Cosmons Sammlung sowie ihr eigenes – hervor zu zerren. Sie konnte nicht klar denken, keinen einzigen vernünftigen Satz im Geist finden, doch alles in ihr trieb sie zur Eile an. Sie erstarrte beinahe, als draußen noch ein Schrei erklang, dem ein ominöses, dumpfes Geräusch vorangegangen war. Als wäre … Nein, das war unmöglich!

Und doch stopfte Asmyn alle drei Bücher in eine große Umhängetasche, füllte die Hohlräume mit Socken auf, obwohl sie am ganzen Körper zitterte. Sie hatte davon gehört, sagte sie sich in einer sinnlosen Litanei auf, ohne zu begreifen, wovon sie gehört hatte.

Die Tür zum Flur flog auf, krachte mit einem harten Knall gegen die Wand. Niemand hatte angeklopft.

Asmyn sprang auf die Füße, verbarg die Tasche hinter sich, den Riemen fest umklammert, die Finger schweißnass. Doch es war nicht Cosmon, der vor ihr stand und ihren Zugriff auf seine Bibliothek bemerkt hatte. Kein Rudel von anderen, fremden Magiern, die die junge Frau ihres Kollegen durchschaut hatten, bevor der senile Greis auch nur den Schimmer einer Ahnung entwickeln konnte.

Vor Asmyn standen drei Bewaffnete in dunklen Rüstungen, als hätten sie den Stahl mit Asche und Ruß geschwärzt. Einer von ihnen hielt ein blutiges Schwert in der Hand. Von der Klinge fiel langsam – und Asmyn hatte in ihrer Panik nur dafür Augen – ein dunkelroter Tropfen auf den Teppich und zerplatzte dort wie eine reife Frucht.

Hexenjäger!

Ein Gedanke, der wie ein blutbeschmierter Rabe von einem Stück Aas aufstob, Dreck aus dem klebrigen Gefieder spritzte bei dem Versuch, Höhe zu gewinnen.

Asmyn wich keuchend einen Schritt zurück, stolperte über die Tasche, rang um ihr Gleichgewicht und verlor schmählich gegen Bücher, lange Röcke und die Schwerkraft. Die Männer sprangen vorwärts, und Asmyn schrie vor Angst auf, hoffte wider jegliche Vernunft auf Cosmon, der wie ein Geist der Rache hinter den drei Hexenjägern im Türrahmen erscheinen und diese mittels Feuerlohen erledigen würde. Doch Cosmon würde sich schaudernd von seiner jungen Frau abwenden, wenn er ahnte, zu welchem Zweck er geheiratet worden war. Was Asmyn schon alles an geheimem Wissen gestohlen und zu ihren Schwestern geschafft hatte.

»Halt die Klappe, Kleine. Dir geschieht nichts, wenn der alte Trottel brav ist.«

Der Schrei blieb Asmyn in der Kehle stecken. Zwinkernd blickte sie in das von einem Helmvisier halb verborgene Gesicht, das nur aus Stahl und Bart zu bestehen schien. Starke Hände packten ihre Oberarme und zerrten an ihr, stellten sie auf die Füße. Den Riemen der Tasche ließ Asmyn nicht los, trotz Verwirrung und Angst hämmerte der Gedanke unablässig in ihr, dass sie ihren Schatz zu schützen hatte – komme, was da wolle!

Die Tasche polterte hinter Asmyn über den Boden, das Geräusch durch den Teppich nur leicht gemindert, als zwei der fremden Bewaffneten sie in die Mitte nahmen und mit sich zerrten. Asmyns Füße berührten kaum den Boden. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Langsam sickerten die Worte des Soldaten in ihren Verstand, der sich wie eine Ratte in einem engen Loch in Panik im Kreis drehte und in alles biss, was er zu packen bekommen konnte.

Ihr sollte nichts geschehen. Und Cosmon war ein alter Trottel.

Zwei Sätze, die ganz und gar nicht zu Hexenjägern passten. Zumindest nicht zu jenen Gestalten des Grauens, als die Asmyns Phantasie sie sich ausgemalt hatte.

Sie wagte eine Frage, die so leise über ihre Lippen kam, dass Asmyn sich beinahe schämte, überhaupt den Mund geöffnet zu haben. »Was geschieht nun mit mir?«

Der Mann lächelte, was ihm eine ungemein raubtierhafte Ausstrahlung verlieh. Sein Blick heftete sich bei der Antwort fest auf Asmyns vor Aufregung und Angst wild wogenden Ausschnitt. »Hängt von dir ab, Kleines. Und vom Trottel natürlich. Für das Erste bist du Gast meines Herrn.« Er wandte den Kopf. »Was schleppst du da?«

»Meins«, brachte sie atemlos hervor und erwog, die Luft anzuhalten, damit ihre Oberweite zur Ruhe kam und nicht länger so hungrige Blicke auf sich zog. Mit einem Mal fühlte Asmyn sich noch viel kleiner und jünger, als sie es ohnehin schon war. Gänsehaut überzog mit winzigen, eisgefüllten Pickeln ihre Beine und kroch ihr über die Bauchdecke, wo die Kälte mit spinnwebzarten Fingern um sich und höher tastete.

Auf dem Flur lag ein Toter. Einer der Diener. Lang ausgestreckt und in einer Blutlache, die sich in den Fugen zwischen den Steinquadern munter verzweigte und nach der anderen Wand hangelte.

Asmyn stieß einen leisen Schrei aus und leistete nun zum ersten Mal Gegenwehr.

»Verdammt!«

Der Trageriemen der Tasche wurde ihr vom dritten Mann entrissen. Ein Fingernagel knickte dabei um und jagte heißen Schmerz durch Finger, Hand und bis hoch zum Ellenbogen. Tränen traten in Asmyns Augen, und sie zwinkerte heftig, um dieses beschämende Zeugnis der Schwäche außer Sicht zu schaffen. Leider bewirkte sie damit nur, dass eine Wasserperle über ihre Wange rann und deutlich Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte. Die Nase schwoll natürlich auch prompt zu und bereitete sich solcherart auf einen Weinkrampf vor.

Die Männer hoben Asmyn höher, als wollten sie sie allen Ernstes über das sich verzweigende Blut hinüber und am Erschlagenen vorbei tragen.

Röcke und vor allem viele Unterröcke raschelten, als Asmyn Schwung holte und die Spitze ihres hochhackigen Schuhs gegen ein gegnerisches Knie hämmerte. Der Mann knickte im misshandelten Gelenk ein und stöhnte. Sein Griff lockerte sich, und bevor sie halb zu Boden stürzen konnte, keilte Asmyn wie eine zickige Kuh aus und schlug einen Absatz gegen das Bein des anderen Soldaten. Leider bewies dieser, aus festerem Holz geschnitzt zu sein, denn er beutelte Asmyn grob und packte ihren Oberarm dabei so fest, dass ihre Fingerspitzen kalt wurden dank des unmenschlichen Drucks.

»Halt still und sei nicht dumm, Weib!«

Asmyn befand, dass Weib gegenüber Kleines und einem lüsternen Blick in ihren Ausschnitt eine Verbesserung darstellte. Außerdem hatte man ihr die Taschenriemen entrissen, der Griff des Leidenden mit dem Knie hatte sich ausreichend gelockert, und so unternahm sie den trotzigen Versuch, den zweiten Häscher zu ohrfeigen.

Leider verfügte der Kerl über gute Reflexe und gewaltige Muskelkraft. Seine freie Hand fing mühelos den nahenden Schlag ab, und die andere grub sich so fest in Asmyns Oberarm, dass der Knochen ebenso leise stöhnte wie seine Besitzerin. Schwarze Flecken tanzten vor Asmyns Augen wegen der Pein, und hätte der Soldat sie nicht so furchtbar festgehalten, wäre sie wohl tatsächlich zu Boden gesunken. Von wo aus sie ihm gegen das Schienbein hätte treten können, falls ihre Röcke ihr das gestattet und die drohende Ohnmacht sich noch ein wenig Zeit gelassen hätte, Asmyn in einen dunklen Abgrund zu ziehen.

Leider tat die Besinnungslosigkeit Asmyn keinerlei Gefallen, und so spürte sie, wie alle Muskeln schlaff wurden und sie tatsächlich schwer im Griff des Bewaffneten zusammensank. Bevor sie ganz in Schwärze fallen konnte, fühlte sie noch, wie Blut sich in die weißen Spitzensäume ihrer Röcke sog. Übelkeit versuchte, sich breitzumachen, wurde von der Ohnmacht aber ebenso besiegt wie Asmyns heroisch aufgeflackerter Kampfgeist.

 

Vorweg eilte eine Gruppe kleinerer Kinder, die emsig mit Reisigbesen dafür sorgten, dass kein feiner Lederschuh der folgenden Prozession durch Unrat beschmutzt wurde.

Es regnete nicht mehr, aber der bleigraue Herbsthimmel ließ feinen Niesel auf die Stadt herabgehen. Trotzdem säumten etliche Bürger die Straße, die die Prozession nahm. Shadac hatte fröstelnd die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und konnte aus diesem Schatten heraus seine Umgebung genau im Auge behalten. Kinder in Rot und Creme gekleidet, die die Räuchergefäße schwenkten, die kleineren vorne mit ihren Besen, die hochgewachsenen Gestalten der Garde, die vier Baldachinträger. Und hinter den Reihen von Rot und Creme die Kaufleute, Handwerker und übrigen Stadtbewohner, die sich in den Regenschutz der vorragenden Häuserfronten gestellt hatten – auch um Platz für den kardinalen Zug zu machen. Gesichter, in denen etwas leuchtete, was vielleicht über Verehrung des obersten Götterdieners hinausging. Was möglicherweise Zuneigung war.

Er wusste es nicht. So wie diese einfachen Leute und auch die übrigen Prozessionsmitglieder nicht ahnten, was ihr Kardinal mitunter zu tun gezwungen war, wenn er sich auf diplomatische Mission oder gar auf einen geheimen Auftrag im Auftrag des Palastes begab. Sie sollten es nie erfahren, denn Shadac ahnte, dass das hoffnungsvolle Glänzen in ihren Blicken stumpf werden würde. Er schloss die Augen, folgte der Wegstrecke für einen Herzschlag, zwei, drei, mit allen anderen Sinnen, wollte die Bürger der Stadt ausschließen und wusste doch, er konnte es nicht.

So hatten sie ihn und seinesgleichen angestarrt, wenn sie unter königlichem Banner in eine Schlacht gezogen waren, um die Heimat vor Eindringlingen zu verteidigen. Hoffnung und Glaube, die Fundamente, auf denen alles aufbaute. Der Segen der Zwillingsgötter, deren Insel und vor allem Tempel im Herzen der Stadt lagen, durch die beiden Arme des Stroms von der normalen Welt getrennt. Der Tempel war das Heim der Zwillinge, wie es hieß, von ihnen selbst erbaut und in schwindelerregende Höhen getrieben, mit der Kuppel gekrönt. Eine Heimstatt auf der Welt der Menschen, ein Versprechen, dass Kaladien und Tenenoch über ihre Gläubigen wachten. Der Kardinal ihr Mittler und Stellvertreter.

Der Gedanke schmeckte nach Asche. Noch als Soldat hatte Shadac verzweifelt geglaubt, gehofft, obwohl jeder Verlust, jeder Kampf ihn mehr belehrt hatte, dass es keine gnädigen Götter gab. Schon gar nicht welche, die über die Menschen wachten. Doch jener Tag am Tempel der beiden Felszinnen hatte allen Rest Glauben zerstört. Hoffnung hatte Shadac schon lange nicht mehr verspürt. Umso mehr kam es ihm wie Hohn vor, dass ausgerechnet er nun in scharlachroter Seide, sauber, satt und mit allem weltlichen Zierrat geputzt unter dem Baldachin dahin schritt und Glaube und Hoffnung in jedem Gesicht lesen musste.

Der Stellvertreter der Zwillinge. Der Mittler zu Kaladiens Ohr, der Bote für Tenenoch, die seinen Worten lauschten und helfend eingriffen. Einer jungen Mutter in Wehen zur Hilfe eilend. Einem alten Kaufmann zur Seite stehend, wenn Räuber in seinen Laden eindrangen. Weisheit in die Köpfe von König, Kronrat und Kanzler pflanzend. Den Kardinal schützend und behütend, weil nur seine Stimme stets klar zu ihnen drang, weil er ihren Tempel erhielt und die Gottesdienste verrichtete.

Es sei denn, er befand sich gerade in einem zugigen Zelt, um diplomatischen Verhandlungen das kleine Bisschen mehr Nachdruck zu verleihen, wie anscheinend nur er das vermochte, weswegen der König ihn zum Herrn der Götterinsel berufen hatte.

Saubere Kleidung, genug heißes Wasser, um gegen den Gestank der Vergangenheit ankämpfen zu können, warme Mahlzeiten, ein geregelter Tagesablauf und … Sicherheit, Geborgenheit. Im Austausch gegen Shadacs Fähigkeiten als finaler Diplomat und Friedensschützer. Wenigstens das Letzte stimmte, auch wenn Shadac schon seit Langem fand, dass sein Kampf um Frieden ihn zur Hure des Palastes machte. Eigentlich sollten Kaladien und Tenenoch sich redlich Mühe geben, den beschmutzten Kardinal aus ihrem Heiligtum zu vertreiben. Oft war Shadac nachts schweißgebadet aus Albträumen erwacht, in denen die Zwillinge genau das getan hatten. Tenenoch schmetterte einen Blitzschlag zur Erde, kaum dass Shadac vor den Hochaltar im inneren Allerheiligsten trat. Unter seinen Füßen in rotem Leder öffnete sich der Boden, von Kaladien in höchster Wut über den Frevel in einen Abgrund aufgerissen.

Doch vier Jahre war Shadac nun schon Kardinal, und die verzweifelte Leere im Tempel flüsterte ihm Abscheuliches zu: Kaladien und Tenenoch gab es nicht. Vielleicht hatte es sie nie gegeben. Möglicherweise hatten sie sich von der Stadt und der Götterinsel auch nur abgewandt. Doch im Hochaltar herrschten Stille und Leere – keine Göttlichkeit.

Der Palast kam in Sicht, und Shadac atmete auf. Wohin auch immer der Kanzler ihn dieses Mal entsenden würde, es sorgte für Frieden, dafür, dass Kinder aufwachsen konnten, ohne dass der Vater ihnen entrissen wurde.

Shadacs Blick flatterte zur Seite, verborgen im Schatten der Kapuze. Doch mochte auch niemand erkennen, wohin er blickte, so sah er doch, was am Straßenrand kauerte. Klein, durchnässt und zitternd. Die Augen riesig vor Hunger.

Der Zug kam zu einem plötzlichen Halt, als sein Mittelpunkt zur Seite trat, auf die beiden kleinen Kinder zu, deren dunkle Augen sich noch weiteten, als in leise raschelnder Seide ausgerechnet der Kardinal auf sie zuhielt. Doch die Kinder rannten nicht erschreckt davon, sondern drängten sich dichter aneinander.

Aus einer Tasche des Umhangs zog Shadac zwei blutrote, dicke Wollzöpfe. Klein genug, um in einer Kinderhand geborgen werden zu können. Wertlos, um keinen Erwachsenen dazu zu verleiten, die Kinder um den roten Faden zu erleichtern. Langsam beugte Shadac sich vor, reichte jedem Kind einen der Zöpfe und sagte leise und betont ruhig – zu Freundlichkeit fehlte ihm schlichtweg die Kraft, zumal die Eiseskälte in seine Eingeweide zurückgekehrt war: »Ihr geht zum Tempel. Man wird euch dort einlassen. Es gibt eine warme Mahlzeit, ein sauberes Bett. Morgen sehen wir weiter. Geht.« Er richtete sich wieder auf, fühlte die volle Gewalt des ehrfürchtigen Starrens, sah das Lächeln im schmalen Gesicht des Mädchens und kam sich töricht wie immer vor. Er besaß keine Weisheit, und das Wenige, das er Gutes tun konnte, wog für ihn immer noch nicht den Schlachtenlärm auf. Aber er nickte den Kindern zu, die ihre bunte Wolle mit kleinen Fäusten umklammerten, kehrte zurück unter den schützenden Baldachin, und der Zug setzte sich erneut in Richtung des Palastes in Bewegung.

Dort wartete der Kanzler, Bruder des Königs, mit einer Aufgabe, die er vielleicht schon am Vorabend angedeutet hatte. Noch immer besaß Shadac nur sehr flüchtige Erinnerungen an die Feierlichkeit. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wie er mit den drei Frauen im Bett gelandet war. Was sie gemeinsam getan oder auch nicht getan hatten. Nur der klebrig süße Duft nach Frauenschweiß und Parfumöl, der Shadacs Haut angehaftet hatte, stand klar in seinem Gedächtnis. Doch das war am Morgen nach dem Fest gewesen – vor gut anderthalb Stunden.

Grau und gewaltig ragte die Schutzmauer des Palastes vor den Kindern mit den Besen auf. Das Torkastell beinahe so hoch wie dasjenige, das Zugang zur Götterinsel gewährte – oder auch nicht. Zumindest die beiden Kinder würden sofort eingelassen werden, auch ohne rote Wollfäden würde kein Wächter der Insel es wagen, ein hungriges, schmutziges Kind abzuweisen.

Das Kastelltor vor Shadacs Tross schwang langsam auf. Wachen säumten die Wände des dunklen, tunnelartigen Zugangs und verneigten sich leicht, als der kardinale Zug an ihnen vorbeizog.

Glaubten diese Soldaten noch an die Zwillingsgötter? So wie Shadac das getan hatte, als er dem Heer beigetreten war? Gleichgültig. Wichtigeres als die Frömmigkeit der Wachposten lag vor Shadac, und das kalte Ziehen in seiner Magengrube verstärkte sich erneut vor lauter Widerwillen.

Auf dem Palasthof ließ er seine Begleitung zurück und stieg leichtfüßig die breite Treppe hinauf, deren Stufen flach waren, um Prozessionen ein würdevolles Überwinden dieses Höhenunterschieds zu ermöglichen. Die königliche Familie auf dem Weg zur Götterinsel zum Beispiel.

Shadac sammelte sich, während er das große Portal durchschritt, das sich verneigende Wächter und Lakaien für ihn öffneten. Der Duft Abertausender Blüten empfing ihn. Der Palast verfügte über Gewächshäuser, die selbst im Spätherbst noch für Blumenschmuck in extravaganten Mengen sorgten. Der hervorgerufene Eindruck zeugte von Reichtum und nicht sonderlich viel Geschmack, fand Shadac, der die schlichte Schönheit des Tempels erheblich ansprechender fand.

Er wandte sich nach links, wo Dutzende von Lakaien und Pagen Spalier standen, wie um ihm den Weg zu weisen, den er schon so oft gegangen war. Doch der kurze Augenblick, den die angewiderte Inaugenscheinnahme der überladenen Blumenpracht gedauert hatte, hatte Shadac geholfen, die Eiseskälte in seinem Magen zu verdrängen und sich zu sammeln. Nun konnte er langsam und würdevoll – ganz seinem hohen Amt und vor allem dem Ansehen eines Kardinals gerecht – den breiten Weg entlang schreiten. Hinter ihm flüsterte die Seide der langen Schleppe auf den glasierten Fliesen. Sie fegte den Weg wahrscheinlich ebenso gründlich, wie die Kinder mit den Besen das getan hätten. Wie gut, dass die Waschfrauen auf der Götterinsel ihr Handwerk verstanden und schon mit mehr Dreck als von einem königlichen Flur fertig geworden waren.

Eine Tür mit Perlmutteinlagen schwang lautlos vor Shadac auf und gewährte ihm Zutritt in das Arbeitszimmer des Kanzlers. Alles darin war vertraut, überladen und viel zu dunkel. Im Tempel hatte Shadac gelernt, das Licht zu lieben, das durch bunte Glasfenster auf den weißen Marmor fiel und die Legenden der Zwillingsgötter auf den Stein malte wie auf eine kostbar illuminierte Buchseite. Ein Bilderreigen, durch den der Betrachter wandeln konnte, wodurch er Teil der Legenden werden durfte. Grün, Rot, Blau, Gelb auf der Haut wie die Liebkosung einer behutsamen Hand.

Doch hier im Arbeitszimmer des Kanzlers fiel das Licht gefiltert durch Seidenvorhänge auf den dicken Teppich, die überfüllten Bücherregale und den großen Schreibtisch aus schwarzem Holz. Matt und tot erhellte es den Raum nicht ausreichend, sodass Kerzenlicht zur Hilfe kommen musste.

Hinter dem Tisch ragte hoch eine mit Schnitzereien verzierte und stellenweise sogar durchbrochene Stuhllehne auf, die dem Kanzler als Stütze diente. Angesichts Shadacs Ankunft in seinem Arbeitszimmer riss der Mann den Kopf hoch. Einen Herzschlag lang weiteten seine Augen sich, doch dann sank er zurück gegen die Lehne, während er den Einzug des Kardinals mit glitzernden Augen verfolgte und wartete, bis Shadac vor dem Schreibtisch stand und die Tür hinter ihm ins Schloss gezogen wurde. Lautlos.

»Danke, dass du meiner Einladung so rasch Folge leisten konntest, Kardinal«, eröffnete der Kanzler das Gespräch.

Shadac nickte höflich, aber knapp und suchte in Boldars rosigem, rundem Gesicht nach Spuren der ausschweifenden Feierlichkeit vom Vorabend. Doch der Kanzler wirkte frisch wie immer, gesund und fröhlich wie ein Ferkel in der Suhle. Eine Ähnlichkeit, die über das Joviale hinausging und vor allem von den kleinen Augen betont wurde.

»Du und ich, Kardinal, geben stets unser Möglichstes, den Frieden und die Sicherheit dieses Reichs zu garantieren. Bedauerlich, dass meine Einladung so dicht auf die Feier zum Thronjubiläum folgen muss – aber nicht zu ändern. Um es kurz zu machen, denn Zeit ist kostbar und drängt in diesem Fall ganz besonders: Am Rande der Stadt Aniz befindet sich ein großes Anwesen. Eine kleine Burg mit Wassergraben und durchaus festungsartigem Charakter. Ich habe dir Material zusammengestellt mit allen Hinweisen, die ich über den Gebäudekomplex sammeln konnte. Das wird deine Aufgabe erleichtern, Kardinal. Der Inhaber des Anwesens bedroht den Frieden und benötigt dringend deine besonderen Fähigkeiten.«

Shadac hob nur eine Augenbraue. Die Kälte war zurückgekehrt und tastete federleicht mit frostigen Klauen um sich, um mehr Halt in seinen Eingeweiden zu finden und sich langsam nach oben zu ziehen, um ihn ganz auszufüllen und sein Herz zu erreichen.

»Ich soll mit diesem Mann über Frieden verhandeln? Wodurch gefährdet er unser Reich?«, fragte er bemüht höflich nach.

Boldar blickte von den Papieren vor sich auf und lächelte.

Kein Schweinchen, ein Kriegshund, der etliche Pfund zu viel mit sich herumschleppte.

»Du sollst ihn umbringen, Kardinal. So dezent und unauffällig, wie nur du das vermagst.«

»Ich bin der oberste Diener von Kaladien und Tenenoch, Kanzler. Meine zusätzliche Aufgabe, die ich gewiss in den letzten Jahren zur besonderen Zufriedenheit des Königs ausgeführt habe, besteht in diplomatischen Verhandlungen. Ich bin kein Mörder.«

»Du hast oft genug mit dem Dolch nachgeholfen, wenn deine Silberzunge auf ein taubes Ohr fiel, Kardinal. Dieses Mal, mein Lieber, wirst du gar nicht erst Worte verschwenden müssen, weil der Kerl dir nämlich nicht zuhören würde. Du musst schnell sein, bevor er versteht, wer du bist und warum du zu ihm gekommen bist. Dir wird etwas einfallen. Hier sind die Papiere.«

»Kanzler, du missverstehst. Ich wiederhole es gerne noch einmal: Ich bin kein Mörder, den du beliebig im Reich herumschicken kannst, um Leute aus dem Weg zu schaffen, die dich stören. Ich bin sicher, dass du genügend Männer in deinen Diensten stehen hast, auf die die Bezeichnung zutrifft. Ich bin Kardinal und Diplomat. Nicht mehr.«

Die Schweinsaugen verengten sich, wurden zu kleinen, glitzernden Punkten im üppigen Gesicht. »Du bist Kardinal, weil der König dich dazu gemacht hat. Shadac, ich weiß, dass du große Renovierungen am Tempel vornehmen lässt, dass du Waisenkinder und Straßengören aufnimmst, sie auffütterst und ihnen ein Dach über den Kopf gibst. Sehr niedliche Anwandlung bei einem Mann deiner Vorgeschichte. Das Rot steht dir, und ich wette, du fühlst dich wohl in deiner sauberen Kleidung, weit weg von Schlachtfeldern, verrottenden Kadavern und viel Eingeweiden und Morast. Aber das kann sich ändern. Du bist Kardinal von königlichen Gnaden. So überraschend, wie du in das Amt gehoben wurdest, kannst du auch wieder daraus entfernt werden. Die Götter interessiert es nicht, wer Räucherharz für sie verbrennt und Stunden auf Knien vor dem Altar verbringt. Du bist nützlich für das Reich, für den König, für mich. Weil du ein Mörder bist, den wir dort einsetzen, wo es uns gefällt. Dafür darfst du Seide, Perlmutt und Pelz tragen und deine Gören um dich sammeln. Eine kleine Belohnung für einen treuen Diener, der Befehle befolgt und seine Arbeit gut macht.«

Übelkeit folgte der Kälte, kroch über taube Eingeweide, die vor Überanstrengung zitterten. Doch Shadac stand nach wie vor aufrecht, gab sich Mühe, sich sein Entsetzen nicht ansehen zu lassen. Hatte er sich vorher schon wie eine Hure gefühlt, jetzt bekam er ganz offenbar einen Zuhälter zu seinem Geschäft dazu. Aber er rang um Haltung und Fassung und war sich sicher, dass Boldar ihm das zumindest nicht ansehen konnte, nicht erkannte, wie hart er Shadac getroffen hatte.

»Ich kann auch vom Amt des Kardinals zurücktreten, wenn mein König das wünscht. Doch das werde ich nur mit ihm besprechen.«

Boldar stand auf, eine hastige Bewegung, die wie das Auftauchen eines Stücks Speck aus der Salzlake wirkte. »Du willst zurücktreten, Shadac? Oh, du weißt, was ich dann mit dir mache, nicht wahr? Du kommst wieder ins Heer. Oder ich mache dich zum Hauptmann der Hexenjäger. Fähig dazu bist du. Mal sehen, wer das länger durchsteht: Die erste Hexe, die du auf eine Folterbank strecken musst – oder du. Mach dir nichts vor. Du bist Kardinal mit allen Konsequenzen, weil du der beste Mann dafür bist. Weil du vor deiner Ernennung schon zwei Jahre lang diese Arbeit im Schatten deines Vorgängers erledigt hast. Du bist Kardinal, weil wir es so wollen.«

»Wir?«, fragte Shadac und spürte ohnmächtige Wut wie Wasserdämpfe über sich rieseln.

»Der König und ich. Oder denkst du, dieses Gespräch würde ohne die Billigung und Kenntnis meines Bruders verlaufen? Ich bin froh, dass ich es mit dir führe, denn der Geduldsfaden des Königs ist kürzer als meiner. Ihm wäre erheblich schneller der Kragen geplatzt, und wahrscheinlich würdest du jetzt schon im Kerker liegen und auf deine Hinrichtung warten, wenn er dir gegenübersäße. Mach dir nichts vor, du gehörst uns, weil du – wie wir – nur das Beste für dieses Reich willst. Frieden, Shadac, Sicherheit. Keine Berge von toten Soldaten, keine ausgeweideten Frauen, keine erschlagenen Kinder.«

Das Bild kehrte mit dumpfer Wucht zurück, wie eine Sturmwoge brandete es gegen Shadac, der fast alle Kraft aufwenden musste, um nicht unterzugehen.

»Wir arbeiten zusammen, Shadac. Du bleibst Kardinal und kümmerst dich um die Schwachen dieser Stadt. Wir arbeiten Hand in Hand. Wenn deine Hand blutig wird, wird es meine auch, weil wir zusammen die Last des Wissens tragen, was im Hintergrund getan werden muss, um den Frieden zu garantieren. Sei nicht dumm oder störrisch, Shadac. Dafür gibt es zu viel Arbeit.« Er packte die Papiere so fest, dass sie zerknitterten, und hielt sie Shadac hin.

Ein tiefer Atemzug, das Eingeständnis der totalen Niederlage, doch die Hand zitterte nicht, mit der Shadac nach den Papieren des Kanzlers griff.

2.

Ein scheußlicher Burggraben

 

Asmyn erwachte auf einem gesteppten Sofa unter zwei Wolldecken und bemerkte sofort beim ersten bewussten Atemzug, dass jemand ihr Mieder aufgeschnürt oder gar aufgeschnitten hatte.

Behutsam zwinkerte sie und spähte dann unter langen Wimpern umher. Ein gemütlich eingerichtetes Zimmer, das keinen Vergleich mit einem Raum des Herrenhauses zu scheuen brauchte. Auf einer Fenstertruhe erblickte Asmyn die Tasche, die sie mit den drei Büchern gefüllt hatte.

Bücher. Die Bewaffneten. Der erschlagene Diener im Flur.

Mit einem Ruck saß Asmyn senkrecht und rang keuchend nach Atem. Dies war nicht ihr Zimmer! Ihr Herzschlag raste, und ihr Mund fühlte sich mit einem Mal an, als hätte jemand sich viel Mühe gegeben, jeden Tropfen Speichel mit einem Lappen aufzuwischen. Und dabei viele Fusseln hinterlassen, die Asmyn nun beim erschrockenen Einatmen in ihre Lungen sog.

Alleine der deutliche Schmerz in ihrem Oberarm beruhigte sie auf gewisse Weise, auch wenn die Lage als Opfer einer Verschleppung ganz gewiss nicht beruhigend sein konnte. Doch die wirren, auf sie einstürmenden Bilder entsprachen der Wahrheit, denn Asmyns weiches Fleisch schmerzte von der starken Hand ihres Entführers, dessen Finger sich – dem wunden Gefühl in den Muskeln nach zu urteilen – wirklich bis zum Knochen in den Arm gebohrt haben mussten.

Hastig befreite Asmyn sich aus den Decken, sprang zu Boden und wäre beinahe erneut in sich zusammengesunken. Doch da das Mieder tatsächlich nicht länger straff verschnürt war, reichten zwei, drei tiefe Atemzüge, um das beängstigende Kreiseln im Kopf zu klären.

Bestandsaufnahme. Und Ruhe, ermahnte Asmyn sich selbst und vor allem ihren rasenden Herzschlag.

Auf sehr weichen Beinen kam sie zur Fenstertruhe und öffnete die Tasche. Die Bücher lagen noch darin. Asmyn atmete tief auf und schlang sich die Trageriemen über den Kopf, sodass das Gewicht der Folianten schwer gegen ihre Hüfte und auf eine Schulter drückte. Gut, das war der allererste Schritt gewesen. Da ihre Entführer sich nicht in Sicht befanden, würde niemand ihr erklären, was überhaupt los war. Immerhin: Hexenjäger waren dies eindeutig nicht. Denn dann wäre Asmyn auf nassem Stroh in einer stinkenden Zelle oder sogar gleich auf der Folterbank erwacht.

Immer das Gute an der Lage sehen. Sie straffte sich und marschierte geradewegs zur Zimmertür, lauschte an dem dunklen Holz und drückte wagemutig die Klinke nieder. Das ging noch mühelos, doch das Portal rührte sich nicht. Abgeschlossen!

Angestrengt kämpfte Asmyn das Zittern nieder, das sie nun erneut befallen wollte. Natürlich war sie eingesperrt. Wer machte sich schon die Mühe, eine Frau zu verschleppen, wenn sie ihm danach umgehend und mühelos wieder abhandenkommen konnte?

Zumindest erschien Asmyn der vermutete Gedankengang des Entführers vernünftig. Sie blickte sich im Zimmer um und erkannte eine verglaste Tür, die auf eine Terrasse zu führen schien. Energisch wandte Asmyn sich um und eilte zu diesem zweiten Ausgang. Der Ausblick zeigte ihr wogende, dunkle Wälder und eine kleine, mit Stein gepflasterte Fläche, die von einer halbhohen Balustrade eingefasst war.

Die Türklinke erwies sich als leichtgängig, und dann schwang die Tür auch schon auf. Ermutigt von diesem ersten Erfolg lächelte Asmyn. Vielleicht war ihr Entführer ja doch nicht so vernünftig. Sie eilte hinaus und wurde von herbstlicher Kühle und dem Duft nach Bäumen empfangen. Doch unter diesem frischen Aroma lauerte ein dunklerer Geruch nach Aas und Schlamm. Asmyn rümpfte ihr Näschen und hielt sich eine Hand schützend vor das Gesicht, während sie zur Umfassung eilte und dann fassungslos in die Tiefe blickte.

Denn dies war keine Terrasse, sondern ein Balkon in wirklich luftiger Höhe. Graue Mauern wuchsen aus einem schlammigen Pfuhl empor bis zu Asmyns kleinem Ausguck.

Dumpf braunes Wasser, auf dem Entengrütze in schmierigen Flecken schwamm, reichte von der Basis der Mauer bis zu einem Ufersaum, der auf etliche Ellen baumfrei dalag und nur von kniehohem, dornigem Gestrüpp bewachsen stand. Eine gut durchdachte Verteidigungslinie, erkannte Asmyn mit geringer Begeisterung. Solches kannte sie von ihrem eigenen Heim, in dem sie kurz vor der Heirat mit Cosmon nur noch mit ihrer Mutter und einer Handvoll Bediensteter gelebt hatte. Doch die Wehr in Katalas konnte Asmyn nur als niedlich bezeichnen im Vergleich zu diesem Gebäude und seiner Umgebung. Wo, bei den Göttern, war sie nur gelandet? Selbst Cosmons Herrenhaus erschien ihr winzig im Vergleich mit dieser Festung. Denn eine solche war es. Kein großes Haus mit verspielten Gärten, sondern eine Burg mitten in einem dunklen Wald, dessen hoch aufragende Baumkronen das kärgliche Licht des nahenden Abends genussvoll zu verspeisen schienen.

Asmyn wirbelte herum und betrachtete die aufragende Fassade bis hoch zur mit Wasserspeiern verzierten Dachtraufe. Ihr Kerker lag also nicht ganz unter dem Dach. Mindestens drei Stockwerke höher erhob sich das Gebäude noch, bis die Schornsteine in den bleigrauen Himmel stachen.

»Ach du Schreck«, murmelte Asmyn und lehnte sich gegen die Balustrade. Wie von hier fortkommen? Denn bleiben wollte sie auf gar keinen Fall. Wer einfach unbewaffnete Diener umbrachte und eine junge Frau verschleppte, konnte nichts Gutes im Schilde führen. Und wenn er sein Opfer dreimal heimelig unterbrachte und die Bücher nicht stahl, die immer noch beruhigend an Asmyns Hüfte drückten. Immerhin hatte der mysteriöse Entführer die Miederschnüre gelockert. Ihm hatte also daran gelegen, dass sein ohnmächtiges Opfer nicht unnötig litt. Aber trotzdem!

Ganz kurz zog sie in Erwägung, ob die Entführung vielleicht von einem abgewiesenen Freier inszeniert worden sein könnte. Doch den Gedanken verwarf Asmyn rasch. Dann hätte ihr keiner der Männer auf die Brust geglotzt, ihr Freier wäre zur Stelle gewesen. Sie wäre nicht als Weib bezeichnet und keinesfalls grob angepackt worden. Ein Freier wäre gewiss sehr heldenhaft erschienen. Mit einer Sänfte und Blumen. Sehr wahrscheinlich auch mit Pralinen oder Schmuck. Genau. Und niemand hätte auf die Notwendigkeit von Kooperation von Cosmons Seite hingewiesen.

Nein, Asmyn musste sich als Geisel sehen. Als Druckmittel gegen Cosmon. Gegen einen senilen Alten, der seine Hose vergaß und nicht mehr viele Zähne im Schädel hatte. Der schon nach einem einzigen Feuerball zu Tode erschöpft war und drei Tage im Bett liegen musste, wo seine Diener ihn windelten, wuschen und mit Haferbrei fütterten. Bei Kaladien und Tenenoch, was sollte das alles bedeuten?

Noch einmal sah sie sich auf dem Balkon um und entdeckte eine weitere kleine Tür. Sehr unscheinbar, als wollte die Pforte sich verstecken. Mit neuem Mut und frischer Entschlusskraft stürmte Asmyn darauf zu und riss die Tür auf. Nun, das erklärte einen Teil des dumpfen Geruchs. Wenn nicht vollkommen. Ein Abort, der seine Ladung durch einen gemauerten Schacht in den Burggraben entließ. Hastig schloss Asmyn die Tür wieder.

Es gab keinen Ausgang aus diesem Gemach. Also musste sie einen alternativen Weg finden. Sie reckte tapfer das Kinn vor und ballte die Hände zu Fäusten.

Der Entführer würde sich noch umsehen. Ha! Der dachte, er hätte ein dummes, verwöhntes Mädchen verschleppt. Aus gutem Hause und von Cosmon liebevoll umsorgt. Das gute Haus stimmte gerade noch, denn als einziges Kind der Familie von Katalas hatte Asmyn eine erstaunlich umfangreiche Erziehung genossen und war in allen Fragen des Benimms ausreichend gedrillt worden. Gewohnt, dass man sie bediente und ihre Wünsche umgehend erfüllte. Das zumindest hatte auch Cosmons Haushalt geleistet. Doch an Asmyn war mehr als nur eine Tochter aus angesehener Familie, Erziehung und Niedlichkeit, jawohl! Auch wenn Niedlichkeit und Schönheit ihr schon immer alle Türen geöffnet hatten. Die hier in der schaurigen Entführerburg nicht. Egal, Asmyn würde andere Wege finden.

Sie stampfte zornbebend zur Brüstung, stützte die Hände auf nebelfeuchten Stein und beugte sich vor, um den Burggraben genauer in Augenschein zu nehmen. Das, was sie in Ermangelung eines besseren Wortes Wasser nennen musste, lag braun und eklig still. Ihr fiel ein besseres Wort ein: Jauche! Aber gleichgültig, sie würde hindurch schwimmen können. Vielleicht war die Brühe da unten sogar so ekelhaft, dass sie eine Kruste ausgebildet hatte, über die Asmyn einfach spazieren könnte.

Gut, sie machte gerade den zweiten vor dem ersten Schritt. Denn wie sollte sie dort hinabkommen? Asmyn spähte zurück in ihr Gemach – ihren Kerker! Die Vorhänge konnte sie notfalls in Streifen reißen und zu einem Seil zusammenknoten. Wenngleich ihr das keineswegs sicher vorkam. Knoten konnten sich lösen, und wie stabil der Stoff war, konnte sie nicht ermessen. Ein Absturz nach wenigen Ellen wäre unrühmlich und vielleicht auch schmerzhaft, denn am Mauerfuß würde der Graben flacher sein. Und falls sich eine Kruste auf dem ekeligen Wasser gebildet hatte, wäre es ein Jammer, sie solcherart zu durchbrechen.

Asmyn legte den Kopf schief, betrachtete das Mauerwerk gründlich und lächelte dann. Säulenartige Verzierungen bedeckten den Stein dicht an dicht und erweckten entfernt den Eindruck eines Waldes, Baumstamm neben Baumstamm. Dünne Efeuranken krochen zwischen diesen Säulen empor, klammerten sich tief ins Mauerwerk und bildeten das Laub des Steinforsts nach.

Das sah schon vielversprechender aus. Allerdings nicht in voller Bekleidung, denn die rauschenden Röcke waren mehr als hinderlich, die hochhackigen Schuhe ganz und gar unpraktisch. In der Tasche fand sich bestimmt noch genügend Platz, um Teile des Kleides darin zu transportieren. Asmyn musste ja nur ein paar der als Polster verwandten Socken loswerden. Und selbst zwei Paare tragen, die ihre Zehen beim Klettern schützen würden.

Erneut beugte sie sich über die Brüstung, um entlang der efeubewachsenen Mauer nach unten zu spähen. Dabei stieß Asmyn ein loses Steinchen an, das hinab ins schlammige Wasser fiel.

Tatsächlich hatte sich eine halbwegs feste Kruste aus Abwasserbestandteilen und Entengrütze auf der Brühe gebildet, stellte Asmyn fest, bevor sie mit einem nur mühsam unterdrückten Schrei rückwärts, fort von der Balustrade sprang, die Hände an den nun nahezu hüpfenden Busen drückte, heimtückisch stolperte und auf ihre Kehrseite fiel, wobei die Röcke protestierend knisterten.

Nur dank gewaltiger Selbstbeherrschung unterdrückte Asmyn ein Wimmern reinsten Entsetzens, starrte mit geweiteten Augen zur Balustrade, ob das, was sich im Wasser geregt hatte, bis hierhin reichen konnte …

Kaum hatte das Kieselchen nämlich die Schlammkruste durchschlagen, war das Wasser zum Leben erwacht. Asmyn wusste, dass sie die kommenden Monate davon träumen würde. Tentakel hatten sich erhoben und die stinkende oberste Schicht in eindeutig suchenden, wild um sich schlagenden Bewegungen zu schaumigem Brei gehauen.

Noch immer erklangen von unterhalb des Balkons nasse Geräusche. Wasser spritzte gegen das Mauerwerk der Festung, sogar gegen die Unterseite des Balkons, und einige Tropfen glitzerten kotbraun in der Luft oberhalb der Brüstung, bevor sie zurück in das tentakelkochende Wasser stürzten.

Es dauerte, bis unter Asmyn wieder Ruhe einkehrte. Und erst dann konnte sie wieder aufstehen, immer noch am ganzen Körper zitternd. Die Vorstellung, dass sie sich frohgemut an den Abstieg gemacht hätte, um nicht ganz so fröhlich durch den Jauchegraben zu schwimmen … Brechreiz kitzelte in ihrer Kehle, und Asmyn schaffte es gerade noch bis zur Balustrade, an die sie sich festklammerte, bevor sie die Kreaturen im Graben füttern musste. Sofort brodelte die Jauche erneut mit scheußlichen Fangarmen, Saugnäpfen und eindeutig mehr als einer Abscheulichkeit, die ihr Dasein im Abwasser der Festung fristeten und wohl nur den einen oder anderen versuchten Eindringling als Leckerbissen bekamen.

Oder mich. Wenn Cosmon nicht tut, was man von ihm verlangt. Dann lande ich in der Jauche mit den Tentakeln …

Sie erbrach noch einmal und sank dann hinter der nun als Spritzschutz fungierenden Balustrade in sich und vielen Röcken zusammen, zitterte, schluchzte leise vor Angst und umklammerte die Tragegurte der Tasche, als könnten die Bücher Schutz vor Fangarmen bieten.

Der einzige klare Gedanke, der nach einiger Zeit schüchtern aus tobendem Chaos von Angst auftauchte und sanft Asmyns Aufmerksamkeit einforderte, lautete: Flucht.

Sie konnte und durfte sich nicht darauf verlassen, dass dunkle, große Augen, ein schüchternes oder strahlendes Lächeln und flatternde Wimpern ihr weiterhalfen. Cosmon konnte sie um den kleinen Finger wickeln, wenn sie ihn nur niedlich genug ansah und sich Mühe gab, das freche Grübchen auf die Wange zu zaubern. Doch jemand, der Soldaten ausschickte, Diener erschlagen und eine Frau entführen ließ, würde auf solche Kniffe nicht hereinfallen. Jeder Versuch wäre Verschwendung von Zeit und Kraft. Über beides verfügte Asmyn nicht unbegrenzt, und gerade Zeit zerrann ihr zwischen den Fingern.

Sie wischte sich die Wange am Ärmel trocken, zog die Nase hoch und rappelte sich entschlossen auf.

Der Weg nach unten mochte durch viele Saugnäpfe versperrt sein, aber die Kreaturen konnten den Balkon nicht erreichen. Also gab es nur noch einen Ausweg. Und der führte aufwärts.

Immer noch riskant, obwohl Asmyn sich sicher war, den Aufstieg bewältigen zu können. Ihre Freier hatten alle nur ein schönes Mädchen in ihr gesehen, ohne zu ahnen, was Asmyn alles vermochte, schon erlebt und versucht hatte. Ohne Geschwister und auch ohne Vater aufgewachsen hatte sie stets Grenzen ausgelotet. Die der mütterlichen Geduld und Strenge und natürlich auch ihre eigenen. Während sie die Fassade und die Fensterreihe ein Stockwerk höher kritisch musterte und dabei eine Faust in die Hüfte stemmte, kämpfte Asmyn mit einem Lachen, das sich unbedingt über der tristen Festung in die Luft schwingen wollte. Sie hatte aus der Wäscherei Knabenkleidung entwendet, sich darin verkleidet und Hosen und Hemd für sehr viel praktischer als ungezählte Unterröcke erachtet. In den Wäldern war sie herumgestromert, hatte Äpfel und Kirschen in einem Obsthain gestohlen, nachdem sie die Bäume hinaufgeklettert war. Die Fassade wirkte erheblich schwieriger zu bewältigen, und doch schreckte Asmyn das nicht ab. Jedoch nicht in dieser Kleidung!

Sie sah sich um, ob irgendjemand ihr zusehen könnte, erkannte die Albernheit dieses Gedankens und schälte sich aus dem schweren Brokatkleid, entledigte sich etlicher Unterröcke, des Mieders und der unpraktischen Schuhe, bevor sie sich auf den Boden neben die Tasche setzte und zwei Paar dicke Socken über die bloßen Füße streifte. Versuchsweise wackelte sie mit den Zehen und fand, dass diese noch ausreichend Bewegungsfreiheit und Gefühl für den Aufstieg haben sollten.

Mühsam stopfte Asmyn so viel ihrer Bekleidung wie möglich in die Büchertasche und betrachtete das in alle Richtung beulende Gepäckstück kritisch. Das Kleid passte natürlich nicht mit hinein, also wickelte und knotete Asmyn den teuren Stoff um die Tasche. Ebenso gut hätte sie die Röcke anbehalten können, wenn sie ernstlich gedachte, mit dieser unhandlichen und auch ziemlich schweren Tasche nach oben zu klettern. Asmyn runzelte die Stirn, sprang auf – das ging so viel leichter ohne Mieder und etliche Bahnen Tüll und Spitze – und rannte wieder in ihr Kerkerzimmer.

Behände kletterte sie auf die Truhe und entledigte das Fenster seiner schmückenden Vorhänge. Staubig und mit leicht speckigem Griff, aber ein stabiler Stoff, dem zwar Asmyn sich nicht anvertrauen würde, der aber ein gutes Seil abgeben würde, um die Tasche daran hinter sich in das nächste Stockwerk schweben zu lassen. Und selbst die schlimmste Möglichkeit, falls das geknotete Tau riss, bedeutete nur den Verlust der Bücher und Kleider. Das wäre zwar ein Ärgernis, aber keine Katastrophe. Asmyn nickte, um sich diesen Punkt deutlich einzuprägen. Besser, die Tentakel wunderten sich über Bücher und Spitzenröcke, als dass sie sich um Asmyn schlingen konnten.

Noch einmal ließ sie den Blick durch das Zimmer fliegen und eilte dann zum Kamin. Ein Schüreisen fehlte leider vollkommen, doch eine unermesslich hässliche Zinnfigur eines tanzenden Knaben stand auf dem Sims. Mit ein wenig Quetschen und gutem Zureden passte die Statue zwischen Asmyns Brüste, sodass nur der Kopf mit einem leicht verzückten Gesichtsausdruck hervorragte. Da der Bengel aber vorher schon so dumm geblickt hatte, störte Asmyn sich nicht daran.

Mit dieser Figur konnte sie ein Stockwerk weiter oben eine Fensterscheibe einschlagen, um sich solcherart Zutritt zu dem dahinterliegenden Raum zu verschaffen. Dessen Tür hoffentlich nicht verriegelt war, sonst stand ihr noch mehr Klettern bevor.

Sie raffte ihr Seil an sich, knotete es sorgfältig an den Trageriemen der Tasche fest, zog die Tür zum Balkon zu und atmete tief durch, bevor sie sich das aus Vorhangresten erstellte Tau um einen Fußknöchel band und mutig an die Balustrade trat.

Der Tentakelgraben lag still und stinkend da. Ein Blick zum Himmel über wogenden Baumwipfeln. Viel Zeit blieb Asmyn nicht mehr, um den letzten Rest Tageslicht auszunutzen. Nur rasch ein Stockwerk hinaufklettern, ein Fenster einschlagen und sich in dem Zimmer dahinter verbergen. Es konnte gelingen. Nein, es musste!

Vorsichtig kletterte Asmyn auf die Balustrade, knetete ihre Finger, während sie sich leicht ausbalancierte und im feuchten Wind fröstelte. Ihr Weg zur Freiheit rankte sich seitlich des Balkons nach oben. Sehr unschön, weil ein Sturz dann keinen harten Aufprall auf dem Balkon, sondern ein schlammiges Platschen im Tentakelgraben zur Folge hätte. Asmyn biss sich auf die Unterlippe. Sie würde nicht fallen, so einfach war das!

Gar nicht weit, und die Fassade der Festung schien eine Einladung an alle, die schon einmal auf einen Baum geklettert waren. Ein letztes, tiefes Durchatmen, dann suchte Asmyn sorgfältig festen Halt für ihren rechten Fuß und zog sich nach oben. Sie fand leicht hervorstehende Teile der Mauer, die sie gut packen konnte, und arbeitete sich ganz langsam aufwärts. Nicht nach unten sehen, auf keinen Fall nach oben blicken, wie weit es noch war. Es war so weit, wie es eben war!

Der Arm, den der Soldat so fest gepackt hatte, dass eine eindrucksvolle Sammlung von Blutergüssen noch die nächsten Tage Andenken an den Überfall boten, fing schon nach kurzer Zeit an zu schmerzen. Deutliches Signal, dass das gewünschte Fenster nicht zu weit fort sein durfte. Asmyn biss die Zähne zusammen und kletterte weiter.

Sie begann zu schwitzen, obwohl eine frische Brise sie immer wieder kühlend streichelte, die dünne Unterkleidung mühelos durchdrang und den letzten verbliebenen Spitzenrock einmal bis zu Asmyns Ohren hinauf bauschte. Möglicherweise in knielangen Unterhosen gesehen zu werden – waren sie noch so hübsch mit Spitze besetzt – oder jemandem freien Blick auf ihre nackten Waden zu gewähren, trieb Asmyn Feuerröte in Ohren und Wangen. Selbst der kleine Zinntänzer erwärmte sich.

Mit einem Mal ertasteten ihre Finger ein Sims. Asmyn atmete keuchend auf und hob den Kopf. Ein breites Sims unterhalb eines Fensters. Schon geschafft! Und Finger und Zehen taten gar nicht weh. Fast nicht zumindest.

Sie zog sich behutsam höher und spähte über den unteren Teil des Fensterrahmens in ein Zimmer, das nur aus weißen Laken zu bestehen schien. Schutzhüllen in einem unbenutzten Lager für unerwünschte Möbelstücke. Perfekt! Es sei denn, eine Haushälterin hatte die Tür abgeschlossen. Aber nichts hielt Asmyn auf! Dann kletterte sie eben zum nächsten Fenster.

Sie arbeitete sich so weit vor, dass sie sich auf das Sims ziehen und mit einem Knie darauf abstützen konnte, die Finger der rechten Hand fest um den Fensterrahmen gekrallt. Nun galt es, die Zinnfigur aus ihrem warmen Nest zurückzuerobern und trotz feuchter Herbstbrise und ewig hochwolkendem Unterrocks Zugang zum Zimmer zu erhalten.

Die Finger waren eiskalt und feucht vom Nebeldunst, und beinahe wäre die Figur Asmyn entglitten. Das hätte die Tentakelwesen wieder in Aufruhr versetzt. Doch sie schaffte es, den tanzenden Knaben hervorzuziehen und mit ein wenig Schwung die Glasscheibe in Höhe des Fenstergriffs zu zerschlagen. Sie stellte die Statue neben sich ab und griff vorsichtig durch das Loch, das von spitzen Glaszacken gerahmt wurde. Jetzt perlte Schweiß auf Asmyns Stirn, lief warm und klebrig in ihre Brauen und versuchte, ein Auge zu erreichen. Ungeduldig zwinkerte sie den Tropfen fort, reckte sich ein klein wenig und bekam endlich den Fenstergriff zu packen.

Schrill quietschte das dumme Ding, als Asmyn es drehte, dann bewegte sich der Fensterflügel – nach innen, glücklicherweise -, und Asmyn schlängelte sich über das Sims und kopfüber in das kalte Zimmer.

Einen Moment blieb sie schnaufend liegen. Weniger vor Anstrengung, wie sie sich sagte, sondern vielmehr vor Anspannung und Aufregung. Der um ihren Knöchel geknotete Vorhangstoff straffte sich nun auch leicht. Es war an der Zeit, Tasche und Wäsche nachzuholen.

Asmyn befreite sich von dem Knotenseil, stand auf und sah nach unten, dann nach links und rechts. Sie traute dem Frieden nicht recht. Gut, vielleicht hatte der Anblick einer leichtbekleideten Kletterin einen Alarm verhindert, weil der Wächter nur hatte glotzen können, doch eine schwebende Reisetasche würde das Interesse des Mannes nicht so gut fesseln können. Egal, sie brauchte ihre Tasche und konnte außerdem niemanden entdecken.

Behutsam zog sie an ihrem behelfsmäßigen Seil, und die Tasche begann ihre Reise aufwärts. Offenbar war irgendetwas aber nicht sicher verstaut gewesen, denn ein Sockenpaar stürzte in den Graben, kaum dass die Tasche sich von der Brüstung gelöst hatte und frei schwebte.

Mit einem Geräusch, als würde ein Stück halbweiches Schmalz auf einen Fliesenboden aufschlagen, verschwand das Sockenknäuel im mit Entengrütze betupften Schlammwasser. Asmyn unterdrückte einen erschrockenen Ausruf und zog am Vorhangseil, so schnell es nur ging.

Ein Tentakel schoss aus dem Pfuhl, winkte wie triumphierend mit einem moderbesetzten Klumpen, der wohl vor wenigen Augenblicken ein Sockenpaar gewesen war. Weitere Saugarme tauchten aus dem Schlamm auf, rangen mit dem Ersten und streckten sich dann mit allen Anzeichen von Gier nach der Tasche, die Asmyn nur allzu langsam nach oben ziehen konnte, obwohl sie sich schwitzend und keuchend abmühte.

Ein besonders großer, fleischiger Tentakel schraubte sich in die Luft, schmutzig rosa Saugnäpfe pulsierten wie im Takt mit einem Herzschlag, als das ekelhafte Ding Anstalten machte, sich die Tasche zu schnappen und den Vorhang aus Asmyns Händen zu reißen. Asmyn schuftete keuchend, denn dieses Vieh schien größer als die übrigen zu sein, die nicht bis zum Balkon hatten hochreichen können.

Doch zwei andere Greifarme umschlangen das dicke Monstrum, saugten sich an ihm fest und zerrten es unter Wasser, das Blasen warf und heftig hin und her wogte, als die Kreaturen miteinander rangen.

Asmyn warf sich vor, beugte sich weit aus dem Fenster und bekam die Trageriemen zu fassen. Zitternd knallte sie das Fenster zu, kaum dass ihre Habseligkeiten neben ihr auf dem scherbenbesäten nackten Boden standen, lehnte sich gegen den Fensterrahmen und atmete keuchend mehrmals tief ein und aus.

Lautlos formten ihre Lippen ein Dankesgebet an Kaladien und Tenenoch, während das Zittern ganz allmählich nachließ.

Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie den Fenstergriff loslassen und stattdessen ihre Tasche packen konnte. Noch einen Augenblick stand Asmyn still da, dann setzte sie vorsichtig Fuß vor Fuß, lauschte dem dumpfen Geräusch ihrer Schritte und umrundete die Scherben. Sie hielt auf die Tür zu, die auf einen Gang führen musste. Irgendwie würde Asmyn es schaffen, sich bis zum Erdgeschoss und dann zu einem Ausgang durchzuschlagen. Nein, lieber durchzuschummeln. Niemand durfte sie sehen oder hören. Sie kam hier heraus, und Cosmon konnte ihr im Mondenschein begegnen. Wäre seine Feuergabe nicht, die Asmyn so gerne besitzen würde. Seine Bibliothek, von der sie erst einen Bruchteil gesehen hatte.

Aber er hatte sie nicht schützen können! Bestimmt lag er immer noch sabbernd im Bettchen, weil er einen winzigen Flammenball zur Verteidigung seines Heims beschworen hatte. Er war einfach zu alt, und der Preis für die Nutzung der Magie zu hoch. Nur junge Männer – nein, Menschen, korrigierte sie sich im Geiste – sollten Magie besitzen dürfen. Sie selbst zum Beispiel! Sie war blutjung und könnte viel mehr bewirken als nur ein kümmerliches Glutbällchen, das gerade ausreichte, feindliche Augenbrauen zu versengen, bevor Cosmon erschöpft zu Boden sank. Asmyn hätte das Pack geröstet!

So stand sie in Unterwäsche und dicken Socken, schwer beladen mit einer Reisetasche vor einer düsteren Tür und fürchtete sich, sie zu öffnen. Oder zumindest dazu den Versuch zu unternehmen, denn vielleicht fand sie auch diese Pforte verriegelt vor.

Asmyn musste die schweißfeuchte Hand an ihrem Spitzenrock trockenwischen, dann legte sie die Finger entschlossen auf die Klinke und drückte diese hinab, atmete noch einmal durch und zog behutsam. Lautlos schwang die Tür auf. Nur einen Spaltbreit, der für einen ersten, vorsichtigen Blick in den Flur ausreichte. Dann zog Asmyn die Pforte weiter auf und spähte genauer. Ein leerer Flur, Steinquader am Boden, unverputztes Mauerwerk und eine schöne gewölbte Decke. Fackelhalter alle paar Schritte in die Mauern eingelassen, aber leer. Ganz so, als würde dieser Gang nicht oft benutzt. Umso besser!

Im Geiste musste sie sich anfeuern, bis sie wagte, die Schwelle zu überschreiten. Albern und dumm, doch Asmyn konnte nichts dafür. Der Aufstieg war schwierig genug gewesen, der entsetzliche Augenblick, da der Tentakel nach ihrer Tasche gegriffen hatte … Alles war zu viel und verbrauchte Reserven, von denen Asmyn nicht einmal geahnt hatte, dass sie über sie verfügte.

Wenigstens konnte sie sich auf den dicken Socken lautlos bewegen. Einen Augenblick lang zögerte Asmyn noch. Sollte sie sich vielleicht etwas anziehen? Aber andererseits konnte sie sich in der wirklich leichten Bekleidung viel besser bewegen. Und vielleicht … vielleicht verwirrte ihr Anblick einen möglichen Wachposten lange genug, dass sie notfalls flüchten und sich verstecken konnte? Oder spornte sie so einen Kerl durch unzüchtige Gewandung zur Verfolgung nicht eher an? Aber wenn seine Hose sich beulte, war er doch bestimmt behindert beim Laufen, oder?

Sie wusste es einfach nicht, aber dann machte sie sich energisch klar, dass Trödeln und Zaudern sie nicht aus der Festung tragen würden. Das schaffte sie nur durch Entschlossenheit. Wieder schob sie das Kinn vor und hoffte, dass nun ein ordentlich kriegerisches Funkeln in ihren Augen lag. Sie war kein kleines Mädchen. Sie war kein kleines Mädchen. Das musste sie sich nur oft genug vorsagen. Kein kleines Mädchen. Genau! Bis es wie von alleine immer wieder durch ihren Verstand geisterte und sie anspornte. Kein kleines Mädchen!

Rasch und doch lautlos machte Asmyn sich auf den Weg. Sie kannte die Festung nicht, und deswegen machte es keinen Unterschied, ob sie lange nachdachte, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Irgendwo würde eine Treppe sein, und sie würde sie finden. Wie Mühlsteine drehte es sich in ihrem Kopf: kein kleines Mädchen!

 

Shadac erreichte die Festung nahe der Kleinstadt Aniz kurz nach der Dämmerung. Seine speckige Lederrüstung befand sich auf den ersten Blick in einem derartig schlechten Zustand, dass jeder Söldner sich geschämt hätte. Doch wie auch die Ausrüstung auf dem kleinen Packtier stellte die Panzerung eine neuerliche Meisterleistung der Handwerker auf der Götterinsel dar. Leicht, unscheinbar und ihren Träger alleine durch ihr abgenutztes Äußeres schützend. Dementsprechend friedlich war Shadacs Marsch hierher verlaufen. Niemand legte sich gerne mit einem an, der auf den ersten Blick viel zu groß, bis an die Zähne bewaffnet und ganz eindeutig eine käufliche Klinge war.

Zufrieden stellte Shadac sein lastentragendes Rind in sicherer Entfernung der Festung und auch der Straße ab, sodass es sich an Buschwerk und Gras schadlos halten konnte. Er lud den Packsattel ab und ging noch einmal wie bei der Abreise von der Götterinsel seine Ausrüstung durch. Die Dunkelheit stellte seinen größten Schutz dar, und damit er sich im Mondlicht nicht verriet, färbte er das allzu auffällige Blondhaar, seinen Bart, Hände und Gesicht mit Ruß. Dann erst marschierte er los, die Burg von außen zu besichtigen und seine Beobachtungen mit den Unterlagen zu vergleichen, die Kanzler Boldar ihm ausgehändigt und deren Inhalte Shadac inzwischen auswendig gelernt hatte.

Doch alleine der Gedanke an das fette, rosa Schwein ließ Hitze in Shadacs Magengrube auflodern. Besser als die Kälte, die ihn erfüllt hatte, bevor er gewusst hatte, was der Kanzler ihm auftragen und an Drohungen ausstoßen würde. Shadac biss die Zähne zusammen, zählte in Gedanken bis zehn, atmete tief durch und ging weiter. Wirre Gedanken und Wut, das hatten ihn die Schlachtfelder und die sogenannten diplomatischen Missionen gelehrt, waren schlechte Begleiter, wenn Gefahr drohte und einzig Besonnenheit und Ruhe Ratgeber sein durften.

Er erreichte den Waldsaum, blickte über dumpf glänzendes Wasser zur Festung und schätzte die Entfernung ab. Dann bückte er sich nach einem halb verrotteten Astbruchstück und schleuderte dieses auf die Wasseroberfläche. Nur um sicherzugehen, dass Boldar sich keinen Scherz erlaubt hatte. Er hatte nicht.

Wütendes Toben der saugnapfbewehrten Greifarme. Selbst nur bei Mondlicht erkannte Shadac, dass die Tentakel zu unterschiedlichen Lebewesen gehören mussten. Altersunterschiede, meinte er, konnten diese Abweichungen in Form und Farbe erklären. Wie auch immer, diese Wesen erschienen ihm grotesk und abstoßend. Dermaßen widerlich, dass er sich fest vornahm, ihnen den leckeren Happen vorzuenthalten, für den sie ihn wahrscheinlich halten würden. Die Vorstellung, von diesen schleimigen, kotstinkenden Fangarmen umschlungen, erdrückt und in das ekelhafte Abwasser gezogen zu werden, konnte es mit einigen wirklichen Erinnerungen an Abscheulichkeit aufnehmen.

Den Weg über den geschotterten Damm zum Haupttor der Festung erachtete Shadac als ebenso unmöglich wie ein Durchschwimmen des Abwassergrabens. Zu Lande und zu Wasser ausgeschlossen blieb nur noch die Variante durch die Luft. Er legte den Kopf in den Nacken und musterte die Wehranlagen kritisch.

Fast eine halbe Stunde stand Shadac bewegungslos da und wartete, ob ein Wächter sich zeigen würde. Doch offenbar hielt der Burgherr sich hinter den Tentakeln für ausreichend gesichert, denn auf den Zinnen rührte sich nichts.

Shadac nickte und ging zurück zum Packtier, neben dem sich die Ausrüstung befand. Kurz klopfte er den muskulösen Hals des Tieres, das ruhig weitergraste. Dann traf Shadac seine Vorbereitungen, die ihren Anfang nach dem Studium der Unterlagen bereits in seiner Wohnung im Turm in Gestalt genauer Anweisungen an die Handwerker der Götterinsel genommen hatten. Eine monströse Armbrust, zu gewaltig in ihren Dimensionen, zu kraftzehrend beim Spannen, um als Fernwaffe tauglich zu sein, würde einen Haken über die Breite des Abwassergrabens bis zu den Zinnen tragen. Sobald der Anker dort sicheren Halt gefunden hatte, konnte Shadac sich daran machen, die tentakelverseuchte Wasserwüste zu überqueren.

Ein letztes Mal prüfte er im Dunkeln nur mittels seines Tastsinns und seiner genauen Kenntnis der Armbrust die Ausrüstung, schlang sich das stabile Seil samt Anker über eine Schulter und stemmte die Armbrust auf die andere. Nun galt es. Stumm und in der geheimen Welt seiner Gedanken Boldar verfluchend legte Shadac den Weg zum Burggraben zurück, verharrte vor dem Dornenbuschgürtel und bereitete die Armbrust für ihren Einsatz vor. Mittels einer Kurbel zog er die Sehne zurück, arretierte sie und legte den als Geschoss dienenden Anker in die wuchtige Waffe. Der große Vorteil der Armbrust lag in der geballten Kraft, die diese nach dem Spannen speicherte, sodass ein genaues Zielen möglich wurde. Außerdem trug diese in Holz und Stahl lauernde Kraft auch ein schwereres Geschoss über eine große Entfernung. Ausreichend auf jeden Fall, um den Anker über die Zinnen zu bringen.

Shadac hob die Waffe erneut, presste ihren Kolben gegen seine Schulter und nahm sich Zeit, die passende Lücke zwischen zwei Zinnen anzupeilen. Ging der Schuss fehl, würden die ekelhaften Geschöpfe im Graben sich um Seil und Anker balgen, was durchaus den Verlust der Ausrüstung bedeuten konnte. Shadac hatte nicht vor, es dazu kommen zu lassen.

Langsam atmete er aus und betätigte im gleichen Augenblick den Auslöser der Armbrust, folgte mit dem Blick dem Flug des Ankers und senkte die Waffe erst, als das Geschoss genau durch die anvisierte Lücke flog und außer Sicht geriet. Shadac gestattete sich ein lautloses Aufatmen, bevor er die Armbrust ablegte und nach dem Seil griff, behutsam daran zog, bis er Widerstand spürte. Der Anker hatte sich zwischen den Zinnen verhakt. Mit einem Ruck, in den er sein gesamtes Gewicht und viel Schwung legte, riss Shadac an dem Seil, ob der Haken seine Lage verändern oder gar abgleiten und abstürzen würde. Aber der Stahl hielt.

Nun galt es, weitere Höhe zu gewinnen, denn die Kreaturen im Graben konnten sich etliche Ellen hoch aus dem Wasser erheben. Falls Shadac so dumm gewesen wäre, sein Seilende in Bodennähe zu verankern, wäre er Futter für die Ungeheuer. Stattdessen kletterte er auf einen Baum, der wuchtig genug wirkte, um in seiner Krone einen sicheren Befestigungspunkt für das Seil zu bieten.

Langsame Arbeit, im Dunklen belastbare Äste und einen sicheren Weg hinauf zu finden. Möglichst wenig Bewegung und noch weniger Geräusch zu verursachen, welche von der Festung aus wahrgenommen werden könnten.

Endlich erreichte Shadac eine gewaltige Astgabelung, die sich in einer Höhe mit der Zinnenwehr befand. Er spannte das Seil und befestigte es sicher am Baum, hakte eine kunstvoll geschmiedete Öse in seinen Gürtel, eine zweite um das nun straff gespannte Seil und verband die beiden Metallringe mit einem kurzen Tau. Falls ihn die Kräfte auf dem Weg von Baum zu Wehr verlassen sollten, im Falle eines Abgleitens sicherte er sich mit dieser einfachen Vorrichtung vor einem Sturz in hungrige Mäuler.

Noch ein letztes, tiefes Durchatmen, während Shadacs Hände über alle Waffen glitten, die er beim Übersetzen mit sich nehmen konnte. Kein Schwert, das durch seine Größe nur hinderlich sein würde. Eine kleine Axt, mehrere Dolche. Das war alles und befand sich an seinem Platz. Kein Grund mehr, irgendetwas hinauszuzögern. Er hakte ein Bein über das Seil, lehnte sich in der Sicherheitsleine zurück und schwang auch das andere Bein über das Tau, packte mit beiden Händen die straffe Leine und hangelte langsam und konzentriert das Seil entlang.

Selbst im Mondlicht konnte die schmutziggraue Rüstung ihn beinahe unsichtbar machen. Ruhige Bewegungen, gleichmäßiges Atmen. Das Seil schnitt ein, drückte Rillen in Shadacs Hände, doch kam er gut voran. Einmal nur drehte er den Kopf zur Seite, verlagerte sein Gewicht leicht und sah hinab auf die still daliegende Oberfläche des breiten Grabens. So friedlich – und tödlich. Selbst ein Übersetzen mit einem winzigen Boot wäre ein fataler Fehler gewesen. Zumindest vor dieser perfiden Falle hatten Boldars Unterlagen Shadac bewahrt. Bald würde sich herausstellen, ob alle Einzelheiten von Festung und deren Verteidigung so korrekt ausgearbeitet worden waren. Shadac verabscheute Überraschungen von Herzen.

Er erreichte die Wehrmauer, befreite sich von der Sicherung und zog sich rasch auf den breiten Gang hinter den Zinnen. Dort massierte er seine schmerzenden Hände und verschaffte sich geduckt und schattensuchend gegen die Wehr gedrückt einen Überblick über die gewaltige Burg. Sie reichte von der Größe her natürlich nicht an den Tempel und dessen Nebenbauten heran, und auch ihr Erhaltungszustand konnte nicht mit diesem wetteifern. Reizend von Boldar, von einer kleinen Festung zu sprechen. Diesen Hang zur Untertreibung nutzte der Kanzler offenbar gerne, um Gefahren kleinzureden.

Die Spione hatten vom Inneren der Festung nur eine grobe Übersicht liefern können. Den Graben hatten sie nicht überwunden. Doch Shadac glich zwischen den Plänen in seinem Gedächtnis und den tatsächlich auszumachenden Gebäuden ab und nickte zufrieden. Gute Arbeit, gute Beobachtungen.

Er konnte die große Halle erkennen, in der ein Hausherr Zusammenkünfte abhielt, seine Untergebenen speiste und Besuch empfing. Daneben Wirtschaftsgebäude, Stallungen, Werkstätten. Hübsch mit einem ausreichenden Abstand zur Halle, die das Herz der Anlage darstellte.

Eine wuchtige Umfassungsmauer, an die direkt angrenzend Lagerhallen und Wohnquartiere gebaut worden waren. Shadac entsann sich, bei seiner Umrundung der Festung auf der gegenüberliegenden Seite sogar Balkone an der Außenseite der Mauer gesehen zu haben. Normalerweise der Gipfel der Dummheit, stellte hier der widerlich bevölkerte Graben tatsächlich ausreichenden Schutz dar.

Doch das Hauptaugenmerk richtete Shadac nach dieser kurzen Bestandsaufnahme auf den gewaltigen Turm, der die gesamte Anlage dominierte. Zwergenhaft schienen im Vergleich zu ihm die Wachtürme und das Torkastell. Ein in der Dunkelheit unlesbares Banner flatterte auf der Spitze des Kolosses, aus schießschartenartigen, schmalen Fenstern fiel Licht wie Sternenglanz. Hart und grell.

Der Turm wuchs regelrecht aus dem gepflasterten Hof und ragte drohend auf wie die Zeit selbst. Shadac vermutete, dass dieses Bauwerk deutlich älter als der Rest der Burg war. Für sich genommen stellte der Turm eine Festung dar und hatte einst wohl wirklich alleine gestanden, während sich nun die übrigen Gebäude an ihn schmiegten und sich um ihn versammelten.

Etwas regte sich auf dem Burghof. Wächter. Weit weg, im Augenblick irrelevant. Denn Shadac hatte ein Ziel vor Augen, und er setzte sich zügig, wachsam und lautlos in Bewegung.

 

Asmyn war bereit zuzugeben, dass es sich bei ihr keinesfalls um die aufmerksamste Beobachterin handelte, wenn sie sich nicht für ein Thema interessierte. Doch dass ihre Umgebung sich gerade sehr wandelte, entging ihr nicht. Prompt machte sie sich ein wenig kleiner, packte den Trageriemen fester, fröstelte und sagte sich den Spruch mit dem kleinen Mädchen noch ein paar Mal auf. Sie war ja keins!

Die gemauerten Wände endeten schlagartig. An die Stelle von gebrannten Ziegeln, die selbst unverputzt recht nett und ordentlich ausgesehen hatten, traten unförmige Steinquader in schier unglaublicher Größe. Grob behauen und auf eine gewisse Weise uralt wirkend. Als wäre Asmyn aus der Burg in die rohe Welt der Götter getreten, wo Kaladien und Tenenoch gegen die anderen, unheilvollen Götter stritten und ihnen die Erde der Menschen entrissen, bevor die Dunklen diese zerstören konnten.

Zögerlich trat Asmyn durch einen Torbogen, blickte sich mit deutlicher Beklemmung in der Brust in einer unbeleuchteten, kalten Halle um und wäre am liebsten zurück in das mit Schutzhüllen geschmückte Zimmer gerannt. Aber da machte sie Lichtschimmer von einer Fackel oder Laterne aus. Nur drei gerade Linien und ein Bogen. Die Umrisse einer Tür unter halbrund gemauertem Sturz.

Auf sehr kalten Füßen trotz der dicken Socken schlich Asmyn auf diese Tür zu. Sie würde zuerst einmal lauschen. Licht konnte auf eine Wachstube hinweisen, und um nichts in der Welt wollte sie einem ganzen Pack Kerle in die Arme rennen. Vor allem nicht in der derzeitigen, mangelhaften Bekleidung. Denn Asmyn war sich gar nicht sicher, ob ausgebeulte Hosen die Wächter wirklich bei der Verfolgung des flüchtigen Wilds behindern würden. Sicherheit ging vor. Nur ein dummes, kleines Mädchen würde die Tür aufreißen und dann erst überprüfen, wer sich hinter ihr befand.

Sie drückte also das Ohr an das sägeraue Holz, steckte den Finger in das andere und lauschte, während der flackernde Lichtschein unter der Tür hindurch warm auf ihre Füße fiel. Zuerst hörte Asmyn gar nichts, dann eine Stimme, die sie nach Luft schnappen ließ. Unverkennbar! Cosmon! Damit hatte sie nicht gerechnet.

Er offenbar auch nicht, wie sein wehleidiger Tonfall und seine Wortwahl erkennen ließen. Anfangs vernahm Asmyn nur einzelne Worte, dazwischen viel Keuchen und Schnaufen. Kein Wunder, denn dem Klang nach zu urteilen, befand sich hinter dieser Tür ein Treppenturm, und Cosmon mühte sich wohl gerade mit vielen Pausen für Luftschnappen und Beschwerden die Stufen herauf.

Endlich konnte Asmyn mehr als nur verstreute Bruchstücke der atemlosen Litanei entziffern.

»Ich werde mich beim König höchstpersönlich beschweren! Das kannst du deinem Herrn sagen! Ohne Provokation! Es ist eine Schande und ein Verbrechen! Wo ist das Mädchen? Ich will sie sehen, bevor ich mit deinem Herrn spreche. Mir so einen Brief zukommen zu lassen! Frech genug, dass er meine Diener töten ließ. Aber das Mädchen gehört mir.«

Nie zuvor hätte Asmyn sich träumen lassen, dass Cosmon sich so um sie kümmern würde. Er war der unwahrscheinlichste Held, aber trotz seiner senilen Geistesabwesenheit schien er wirklich um ihr Wohlergehen besorgt. Damit hatte Asmyn nicht gerechnet, und mit einem Mal fühlte sie sich sehr schlecht und von Gewissensbissen angekaut. Wie eine Anklage drückte das Gewicht der Bücher auf Schulter und gegen Hüfte.

»Ihre Mutter wird die Mitgift zurückverlangen, wenn die Kleine nicht zur Wintersonnenfeier mopsfidel bei mir zu Hause sitzt. Ersetzt dein Herr mir das Geld? Wohl kaum!«

Diese Worte verpassten dem emsigen Nagen der Gewissensbisse an Asmyns Seele einen deutlichen Dämpfer. Die Rattenzähne verharrten, als Zorneshitze in Asmyn aufstieg. Die Mitgift! Daran dachte der Kerl jetzt?

»Alter Mann, hör auf zu jammern. Dem Mädchen geht es gut, und mein Herr wird dir einen wichtigen Vorschlag unterbreiten.«

Asmyn spitzte die Ohren. Das war keiner der Bewaffneten, die sie verschleppt hatten.

»Er hätte mich einfach zu Hause besuchen können«, pöbelte Cosmon herum.

Jetzt rollte Asmyn mit den Augen. Vom Piedestal des hehren Retters war Cosmon wieder da angekommen, wo er sich seit der Hochzeit herumtrieb. Nervtötend und ein echter Jammerlappen. Sie wartete angespannt, bis Schritte und Litanei sich weiter nach oben entfernten. Ob es hier einen zweiten Treppenturm gab? Bestimmt, oder? Sonst musste sie hinter Cosmon und dessen Begleiter hinterher. Oder sie nutzte die Gunst der Stunde und suchte einen Ausweg aus der Festung. Doch vielleicht würde dies an Cosmons Seite oder zumindest in seinem Kielwasser einfacher sein.

Gedankenverloren verharrte Asmyn, dann gab sie sich einen Ruck, öffnete die Tür und schlich auf leisen Sockfüßen hinter Gatten und dessen Begleiter hinterher. Ja, sie war zu neugierig, und bestimmt würde ihr das irgendwann einmal zum Verhängnis werden. Aber was mochte der Herr dieser Festung von einem Greis wie Cosmon wollen? Immerhin konnte Asmyn es als Beleidigung auffassen, dass der ganze Aufwand des Überfalls nicht ihrer reizenden Person gegolten hatte, sondern dass sie nur Mittel zum Zweck war, um Cosmon in die Burg zu schaffen. Was, bitte sehr, besaß der alte Kerl, was Asmyn nicht viel mehr … Der Atem stockte ihr. Seine Magie. Das war das einzig Wertvolle an Cosmon, der Grund, warum Asmyn ihn geheiratet hatte. Nun wallte die Hitze des Zorns wirklich in ihr auf. Wenn irgendjemand Anspruch auf diese Feuergabe besaß, dann war sie es, die beim Frühstück Cosmon als Gegenüber erdulden musste, wie er sein Brot so lange im Tee einweichte, bis er es geräuschvoll schlürfen konnte.

So nicht! Asmyn würde keinesfalls gestatten, dass ihr da jemand zuvorkam und den Preis wegschnappte, für den sie so trübselige Langeweile und widerliches Schlürfen und Schmatzen ertragen hatte. Und schweißfeuchtes Tätscheln ihrer Wange! Auf gar keinen Fall!

Sie huschte lautlos die Treppe empor, lernte schnell, die Fackeln als Abstandsmesser zu nutzen und bei jedem blakenden Licht kurz innezuhalten, damit sie nicht Cosmon und dessen Führer über den Haufen rannte. Der alte Mann war furchtbar langsam, und seine Stimme erging sich immer noch in einer Tirade, die an Jammer nicht zu überbieten war. Aber er sollte ruhig weiterwinseln, dann wusste Asmyn immer genau, wo er sich befand.

Über ihr öffnete sich mit dumpfen Knarren eine Tür, und Asmyn beschleunigte ein wenig, um nicht den Anschluss zu verlieren oder vor verschlossener Pforte zu stehen.

Die Sorge, erkannte Asmyn erleichtert, als sie die letzte Wendelung herumkam, hätte sie nicht haben müssen. Das zweiflügelige Portal stand weit und einladend offen. Dahinter Kerzenglanz und eine tiefe Stimme, die ein wenig wie Donnergrollen mit Honig klang. Behutsam huschte Asmyn näher und spähte um den Türflügel.

3.

Heimatlose Magie

 

Ein gewaltiger Saal breitete sich vor ihr aus, ein Halbrund wie eine Bühne, der Form des Turmes geschuldet. Bücherregale säumten die Wände und reichten hoch bis zur Decke, die sich mindestens zwei Stockwerke höher befand und einen gewaltigen Kronleuchter an dicken Ketten hielt, der den Mittelpunkt des Saales dramatisch beleuchtete. Der Rest des Raums lag in dämmriger Dunkelheit. Vorhänge vor den hohen Fenstern sperrten das Mondlicht aus, und Sitzmöbel, Schränke, mit bestickten Tüchern behängte Tische vermehrten die Schatten außerhalb des strahlenden Kerzenlichts.

Einen Herzschlag lang lauschte Asmyn, ob ihr Verstand schlaue Vorschläge machen wollte, bevor sie eilig zur Seite huschte und sich unter die schützende Dunkelheit eines Tisches flüchtete.

Da Cosmon immer noch greinte und seinem Gastgeber gar keine Gelegenheit gab, die in weinerlichem Tonfall angeforderte Erklärung für sein Verhalten abzuliefern, kam Asmyn bestimmt ungehört und ungesehen in ihr Versteck. Sie zog die Tasche dicht neben sich und spähte durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Tischtüchern zu dem Fremden, der ihre Entführung befohlen hatte. Und irgendetwas von Cosmon forderte. Höchstwahrscheinlich die Feuergabe.

Der Diener verließ den Saal und schloss die Tür hinter sich. Cosmon störte sich nicht daran, sondern baute sich vor dem größeren Mann in dunklen Gewändern auf und drohte ihm mit erhobenem, stockdürren Zeigefinger. »Du hättest mich in meinem Haus besuchen und mir deine Bitte vortragen können. Stattdessen hast du Mörder geschickt, die mir das Kostbarste …«

»Halt die Klappe, alter Narr!«

Zu Asmyns ehrlicher Überraschung verstummte ihr Gatte tatsächlich. Nicht vollkommen. Er schnaufte mehrfach, dann entrang sich ihm ein zorniges Quietschen, das ein wenig wie ein mühsam unterdrücktes Niesen klang. Er taumelte rückwärts, die Hände zum Gesicht erhoben, drehte sich dreimal um seine eigene Achse, und Asmyn starrte atemlos.

Bei der ersten Drehung hoffte sie noch, sich getäuscht zu haben. Bei der Zweiten schlug sie sich selbst die Hand vor den Mund, bei der Letzten hatte sie mit Brechreiz zu kämpfen.

Cosmons Mund war zugewachsen. Einfach so!

Er quietschte immer noch durch die Nase, brach in die Knie, und jetzt erkannte Asmyn, dass das, was sie für einen Teppich gehalten hatte, bunte Kreidemarkierungen auf dem Fußboden waren. Nicht aufgemalt, sondern aus losem, glitzerndem Staub gefertigt. Und Cosmon war genau im Zentrum dieses Bildes zusammengebrochen.

Jetzt trat der andere Mann, der Dunkle, vor, schlug die Kapuze seines Mantels zurück und offenbarte ein markantes Gesicht unter einer eindrucksvoll schimmernden Glatze, die er ganz offenbar mit einem gepflegten, in Zöpfen geflochtenen Bart kompensierte. Buschige Augenbrauen warfen Schatten über die Augen, die Asmyn nur als Ahnung eines tückischen Glitzerns wahrnahm. Nun blitzten auch die Zähne in all dem kunstvoll frisierten Schwarz des Barts auf, als der Mann sprach. Immer noch mit einer Stimme, die wie das Rollen des Donners über den heideduftenden Hügeln klang.

»Du wirst ersticken, wenn du dich weiter wehrst. Alter Schwachkopf. Du bist zu alt! Mehr als einen heißen Furz kannst du nicht mehr bewerkstelligen. Schon vor Jahren, wenn nicht Jahrzehnten hättest du einen Schüler aufnehmen und ihm deine Magie übergeben sollen. Sie ist an dich vergeudet.«

Asmyn zitterte in der sicheren Deckung des Tischtuchs. Zwei kleine Stimmen zankten in ihrer Brust um das Vorrecht, Urheber dieses Bebens zu sein. Die eine gehörte eindeutig der schieren Angst vor dem bärtigen Glatzkopf. Die andere brodelnder Wut über eingeweichtes Brot, schwitzige Hände und den bevorstehenden Diebstahl des gerechten Lohns für all das. Die Feuermagie gehörte ihr!

Cosmon versuchte, noch einmal durch die Nase zu quietschen. Was auch immer er damit ausdrücken wollte, blieb für immer verborgen, denn mit einem Mal schlug eine Lohe aus seinem Körper, der sich unter dieser wie ein Wurm am Haken wand. Das Quietschen wurde schriller, bis es mit einem Mal abbrach und der Wurm ganz still lag.

Die Lohe aber sammelte sich zu einem pulsierenden Ball, der für einen Herzschlag still in der Luft stand, bevor er mit einem Stoß gegen die Brust des Dunklen sprang und verschwand.

Der Mann lächelte und ließ kleine Funken von seinen Fingerspitzen sprühen, genoss offensichtlich die Feuergabe und lachte leise – ein tiefer, voller Ton.

Asmyn knirschte mit den Zähnen und bezähmte ihre Wut knapp, die sie dazu bringen wollte, dem Dieb etwas sehr Hartes an den Kopf zu werfen. Wie hatte der Kerl das vollbracht? Eine Magiegabe war sonst scheu und musste mühsam angelockt werden, stand in den Büchern, doch sie war direkt von Cosmon in den Körper des Fremden übergegangen. Statt zu Asmyn zu flüchten, die sie doch zumindest ein bisschen kannte.

»Und jetzt sollte ich mich deines kleinen Frauchens annehmen, nicht wahr? Du bist wirklich tot, sehr interessant. Aber ich sagte dir ja, dass du zu alt bist, die Magie weiter bändigen zu können. Sie hat dich ausgebrannt, du gieriger Dummkopf.«

Asmyn zitterte vor Abscheu. Oder Wut. Oder Angst. Sie war sich wirklich nicht sicher. Was meinte der Kerl mit kümmern? Wollte er über sie herfallen, um auch das Letzte in Besitz zu nehmen, das Cosmon gehört hatte? Wobei Asmyn natürlich nicht der Meinung war, dass sie als des Alten Besitz angesehen werden durfte. Oder wollte der Dieb sie jetzt an seine scheußlichen Tentakel verfüttern? Viel Spaß bei beidem, denn er durfte das ganz alleine machen, da er Asmyn nicht finden würde. Wer war jetzt der Dummkopf?

Aber es kribbelte ihr immer noch in den Fingern, den Dieb niederzuknüppeln. Vielleicht kam Cosmons Gabe ja zu ihr, wenn sie nur lieb fragte? Ihr schwirrte der Kopf, und dann vernahm sie ein ganz leises Knarren wie von Bodendielen, die sich unter einem verstohlenen Tritt rührten.

Der Dieb, Entführer und Widerling hatte das kaum hörbare Geräusch offenbar nicht vernommen. Wie ein Kind spielte er noch immer mit den Funken, die seine Hand umtanzten, Muster im wilden Reigen bildeten, wie ein Vogelschwarm aufstoben und gehorsam zu den Fingerspitzen zurückkehrten, die sie lockten.

Doch für Asmyn stand es außer Frage, sich diesen Laut nicht eingebildet zu haben. Lautlos, da sie ja den raschelnden Brokat nicht trug, ließ sie sich vornüber sinken, stützte die Hände auf den Fußboden und spähte unter der Tischdecke hinweg durch den Saal. Es war nur ein kleiner Spalt Sicht, der ihr zur Verfügung stand, und so dauerte es ein wenig, bis sie einen robusten Stiefel erkannte. Daneben ein Zweiter!

Jetzt, da sie die genaue Position des unbekannten Mannes ausgemacht hatte, robbte sie ein Stückchen zur Seite, bis sie wieder am senkrechten Spalt angekommen war und in die Schatten spähen konnte.

Ein anerkennendes Lächeln wollte sich auf ihre Lippen stehlen, wurde aber energisch zurückgerufen. Egal wie reizend die hünenhafte Gestalt wirkte, konnte das doch wieder nur einer der Soldaten des widerlichen Diebs sein, und dann wäre es töricht, den Neuankömmling wohlwollend zu betrachten, sagte sie sich erbost.

Sehr groß. Wirklich sehr groß! Lange, muskulöse Beine, unter speckigem Leder, das bei der diffusen Beleuchtung half, den Großen beinahe unsichtbar zu machen. Aber Asmyn sah ihn, erkannte einen einfachen Lederharnisch, breite Schultern und ein dunkles Gesicht. Sie zwinkerte, und in dem Moment wandte der Mann leicht den Kopf, und die Augen leuchteten auf wie Saphire im rußbeschmierten Gesicht.

Asmyn biss sich auf die Unterlippe und konnte das Grinsen doch nicht ganz bändigen, als sie sah, wie behutsam er sich vorwärtsbewegte. Kein Diener, kein Soldat würde sich dermaßen lautlos an seinen Herrn anschleichen. Vor allem dann nicht, wenn der gerade mit Feuer spielte, das sich bei einem Zusammenschrecken schlagartig auf den Schleicher entladen konnte.

Und wie der Kerl sich bewegte! Jetzt kam er dichter ans Licht, das breite Schultern, starke Oberarme und sehnige Hände enthüllte. Und ein blondes Strähnchen, das der Rußpackung einfach frech entwischt war. Die schwarze Farbe machte es schwierig, das Gesicht deutlich auszumachen, aber Asmyn robbte ein Stückchen weiter vor und starrte konzentriert.

In diesem Augenblick sprühten die Funken in der Hand des Diebs warnend, und er fuhr herum, um den Eindringling ins Auge zu fassen.

»Wen haben wir denn da?«, tönte die vollmundige Stimme durch den Saal, und Asmyn musste sich zusammenreißen, um nicht aufgeregt zu zappeln.

Nicht ein Muskel schien in den Zügen des Großen zu zucken. Beinahe gelangweilt wirkte seine Miene. Er machte noch einen langsamen Schritt vorwärts, stand nun genau im Lichtkegel des Kronleuchters und auf dem bunten Kreidestaublinien. »Der Kanzler schickt mich. Ich denke, du weißt, warum.« Sein Blick flackerte zu Cosmons stiller Gestalt.

Asmyn hoffte, dass er den zugewachsenen Mund sehen würde. Damit er wusste, wer vor ihm stand. Ihr wurde soeben klar, dass der Entführer schon vor dem Diebstahl der Feuergabe eigene Magie besessen haben musste. Übelkeit nistete in Asmyns Magen. Die Knie taten weh vom Kauern im Versteck, das ihr mit einem Mal gar nicht mehr sicher und weise erschien. Unruhig betrachtete sie den Neuankömmling, der wie eine Statue wirkte. Ganz entspannt, wenngleich sein Körperbau verriet, dass er üblicherweise nicht still herumstand. Selbst unter der Panzerung zeichneten sich die Wölbungen der Muskeln ab und sprachen deutlich davon, dass vor dem Glatzkopf ein ausgebildeter Krieger stand, gegen den im Zweikampf die Wächter der Festung nicht den Schimmer einer Erfolgsaussicht hätten. Wenn er nur nicht so dumm herumstehen würde!

»Der Kanzler. Wie interessant. Er muss dich sehr verabscheuen, wenn er mir schon kostenloses Futter für meine Lieblinge im Graben schickt. Mit einem Wimpernschlag kann ich dich töten, Fremder, aber lebend wirst du ihnen mehr Freude bereiten.«

»Ich verabscheue Schwätzer«, antwortete der Große vollkommen ruhig, doch noch bei der letzten Silbe flog etwas Schimmerndes aus seiner Hand, die eben noch leer gewesen war, durch die Luft, bevor die Funken des Magiers dem unerwarteten Angreifer auch nur nahe kommen konnten. Wie erschrockene Vögel flatterten sie auf, als der Glatzkopf ganz langsam in den Knien einbrach, die Arme links und rechts ausgestreckt, bis die Hände regelrecht abklappten, der Oberkörper sich leicht rückwärts neigte und der ganze Kerl in einem wie knochenlosen Haufen auf den Boden klatschte.

Hastig atmete Asmyn ein, denn sie merkte, dass sie bis eben die Luft angehalten hatte.

Ein Dolchheft ragte aus der Augenhöhle des Kahlschädeligen, und der Große beugte sich vor, seine Waffe zurückzuholen.

Alles in Asmyn kreischte danach, die Deckung aufzugeben und dem Fremden zu gratulieren. Fast alles, denn um die Gestalt des gefällten Magiers funkelten mit einem Mal Lichter auf. Rot wie Feuer, Grün wie Frühlingslaub, Blau wie Eis …

Asmyn stieß sich den Kopf an der Tischplatte, wischte das Tuch beiseite und kroch und sprang zugleich hervor, während der Mann sich mit einem Ruck aufrichtete, die blutige Waffe in der Hand, und die unter dem Tisch hervorquellende, leichtbekleidete Dame aus geweiteten Augen anstarrte. Ach du je, das hatte sie gar nicht bedacht, dass sie ihm nun einen sehr freizügigen Blick gestattete … und ihn ablenkte von den bunten Lichtern, die seine Stiefel umtanzten und Kreidestaub aufwirbelten …

Der Fremde machte einen Schritt auf Asmyn zu, hob die freie Hand in einer eindeutig beschwichtigenden Geste, als fürchtete er, Asmyn wäre so dumm, einfach loszukreischen. Bunter Staub wirbelte unter dem Stiefel auf, malte Tupfen in Rot, Blau und Gelb auf das Leder, und das Leuchten verstärkte sich.

 

Die Wangen feuerrot, leicht bekleidet entfaltete sich zu nicht sehr beeindruckender Körpergröße ein junges Ding, das mit allen Anzeichen der Erregung unter einem Tisch hervor gekrabbelt war. Wobei das eine höfliche Untertreibung war, sagte Shadac sich, der jede Kontur eines von der Natur vorzüglich ausgestatteten weiblichen Körpers unter dünner Seide ausmachen konnte und sich wünschte, er hätte nur in die großen Augen des Mädchens gesehen. Offenbar war die kleine Dame sich nicht bewusst, welch vorzügliche Sicht sie bei ihrem Auftritt auf pralle Brüste bot.

»Bitte beunruhige dich nicht. Ich bin im Auftrag des Kanzlers hier. Dir wird kein Leid geschehen.« Er sagte dies so sanft, wie er nur vermochte, und blickte nun auch nur in das kleine Gesicht, das von den dunklen Augen vollkommen dominiert wurde. Und er hatte keinen Mantel bei sich, da dieser dem Einsatz hätte hinderlich sein können. Die Kleine hätte sich gewiss wohler gefühlt, wenn sie eine Stoffschicht mehr zwischen sich und jeden Mann in dieser Burg bringen könnte. Was Shadac selbstverständlich einschloss.

»Das gehört mir!«, brachte die kleine Erscheinung atemlos hervor und gestikulierte vage mit einer Hand. In der anderen hielt sie den Riemen einer Brokattasche, schien es Shadac, der den kleinen Ausbruch und die allzu ungenaue Besitzerklärung klaglos hinnahm. Was mochte dem Mädchen hier schon alles zugestoßen sein, dass sie einen so verwirrten Eindruck machte?

Bilder aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben und von anderen Frauen drängten sich ungebeten vor, und Shadac spannte die Kiefermuskeln an, weil er genau wusste, was einem jungen Ding wie diesem geschehen sein konnte. Die spärliche Bekleidung sprach Bände. Er würde das Mädchen mit sich nehmen und in sichere Obhut geben müssen. Im Tempel konnte die Kleine Frieden und Sicherheit finden und sich vielleicht eines Tages zurück in die Welt außerhalb der schützenden Mauern wagen.

»Was gehört dir?«, fragte er behutsam, um das offenbar fragile geistige Gleichgewicht der Kleinen nicht vollends zusammenbrechen zu lassen.

»Oh, pass doch auf!« Sie wies auf den Boden, und Shadac folgte gehorsam und anteilnehmend mit dem Blick dem zeigenden Finger.

Bunter Staub umtanzte Shadac, leuchtete in allen Farben des Regenbogens. Beunruhigt wich Shadac einen Schritt zurück, und die springenden Lichter folgten dieser Bewegung mühelos, bevor eines von ihnen in rasender Geschwindigkeit wuchs, grellrot aufleuchtete und wie ein Kugelblitz vorwärts raste und gegen Shadacs Brust prallte, bevor er auch nur den Versuch eines Ausweichens unternehmen konnte. Der Schlag warf ihn rückwärts in bunten, umherwirbelnden Staub, nahm ihm den Atem, und mit einem Mal füllte brodelndes Feuer seine Adern und Muskeln, fraß sich heißhungrig tiefer in sein Fleisch, erreichte die Knochen und schien sie auszuhöhlen, um Platz darin zu finden.

Shadac schrie erstickt auf, fühlte sich angehoben, herumgezerrt, und eine grünblaue Kugel stieg zwischen seinen Unterschenkeln auf, kletterte in die Luft, verharrte einen winzigen Augenblick auf dem Zenit und donnerte dann wie ein Steinschlag herab, um hart auf Shadac aufzuschlagen und wie die Grellrote zuvor einfach zu verschwinden.

Wasser füllte Shadacs Lungen, erstickte ihn fast, schoss durch seinen Körper, bis ihm Schweiß aus allen Poren trat und endlich wieder ein Atemzug gestattet war, als das Wasser zum Feuer in das Knochenmark sickerte.

Voll Entsetzen schüttelte Shadac den Kopf, versuchte sich zu regen, als ein weiterer Feuerball in gleißendem Saphirblau aufstieg und dann ebenfalls auf ihn einschlug, ihn durch die Wucht des Aufpralls zurück auf den Boden schmetterte, mit frostiger Kälte die Muskeln lähmte, Eisblumen auf Wangen und Augen malte und ebenso plötzlich wie die beiden anderen tiefer in den Körper sickerte.

»Das ist nicht gerecht!«, rief das Mädchen mit allen Anzeichen der Empörung. Shadac stimmte ihr von Herzen zu. Was immer mit ihm geschah, es war schmerzhaft und lähmte ihn. Er konnte nur noch entsetzt keuchen, als in schneller Folge weitere Lichtkugeln aufstiegen. Grau wie Wolfsfell, silbergleißend und viel zu hell die Nächste. Die leuchtenden Bälle entstanden immer schneller, prasselten wie Hagel auf Shadac ein, der wehrlos etliche Handbreit über dem Boden schwebte, auf den er immer wieder voller Wucht zurückgeworfen wurde, bis sein Rücken ein einziger blauer Fleck sein musste, bis vielleicht sogar Rippen brachen.

Ein funkelnder Kristall hing über ihm, als würde er lauern, bis die übrigen ihr Werk getan hatten. Die Form veränderte sich. Ein Brillant, ein vielgezackter Stern, eine Kugel, wieder ein Kristall. Shadac schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf, zu atemlos, einen Laut hervorzubringen. Mit brachialer Gewalt kam dieses letzte Gebilde herab, wurde zu einem bunten Schimmern wie Öl auf einer Pfütze in allen Farben des Regenbogens. Das gab ihm den Rest, presste allen verbliebenen Atem aus Shadac, hämmerte ihn zurück auf den Boden, versickerte in seinen Muskeln und schließlich in die Knochen, in denen es zu brodeln und zu zucken schien.

Der tanzende Staub sank herab, bedeckte Boden und auch Shadac in wirren Linien. Und endlich blieb er liegen, konnte wieder nach Atem ringen und sich zerschlagen wie nie zuvor fühlen.

Das Mädchen kniete neben ihm nieder, griff mit einer Hand – in der anderen hielt die Kleine wohl immer noch die Trageriemen, dachte Shadac wie in weiter Ferne – nach seiner Schulter und drückte sanft zu. »Wie geht es dir?«

Er musste die Augen schließen, weil der Blick der Kleinen ihm das Herz abschnürte. Egal, was sie durchgemacht hatte, stand doch Sorge in ihrem Gesicht. Sorge, die ihm galt, und wenn er eines nicht gewohnt war, dann das.

Langsam hob er die Lider wieder, als die Welt sich offenkundig um ihn drehte. Immer noch das schmale Mädchengesicht mit den dunklen Augen über ihm.

»Es geht«, brachte Shadac mühsam hervor und versuchte, sich aufzusetzen. Er stöhnte zwischen zusammengebissenen Zähnen. Alle Muskeln schmerzten, als hätte er sich soeben ganz alleine gegen eine tausendfache Übermacht durch ein Schlachtfeld gemetzelt und würde jetzt den Tribut für eine solche Tat bezahlen. Knochen knirschten, Muskeln krampften von der Misshandlung, und in Shadacs Kopf wirbelte alles durcheinander, ließ ihn schwarze Flecken sehen und noch einmal hilflos keuchen.

Hatte er geschrien, als die Lichtbälle auf ihn eingehämmert hatten? Bestimmt hatte er das getan. Aussichtslos war es gewesen, einen Schmerzlaut zu unterdrücken oder einen Aufschrei der Angst zu bezwingen. Immer noch hatte Shadac keine Ahnung, was ihm überhaupt geschehen war.

Dies war der Turm eines Magiers, das hatte er begriffen, als er die Funken in der Hand des Glatzköpfigen gesehen hatte. Doch was die bunten Farben und Lichter zu bedeuten hatten, begriff Shadac nicht. Vielleicht eine Verteidigungsanlage. So hatte es sich zumindest angefühlt. Ein Wunder, dass er noch lebte.

»Wir müssen hier weg«, brachte er hervor und ärgerte sich, wie zittrig er klang, wie mühsam jedes Wort über seine Lippen kam – und wie atemlos dieser kurze Satz ihn zurückließ.

Das Mädchen nickte. Locken wie eine Wolke umrahmten das kleine Gesicht, wippten nun bei der Bewegung wie eine wild gewordene See. Die dunklen Augen hellwach und klar. Da lag keine Ahnung von Verwirrung. Das Mädchen verstand, wie dringend sie diese Stätte verlassen mussten. Es wäre eine Beruhigung, wenn auch Shadacs Muskeln sich diesem Begreifen anschließen könnten. Doch stattdessen zitterten sie nur unkontrolliert und schienen nicht geneigt, innerhalb der nächsten Stunden Bewegung ermöglichen zu wollen.

Trotzdem versuchte Shadac, auf die Beine zu kommen, stützte sich schwer auf das Mädchen an seiner Seite und fiel hilflos wieder zurück. Die schwarzen Funken vor seinem Augenlicht rotteten sich zu Wolken zusammen, die ihm beinahe jede Sicht nahmen.

Er riss den Kopf hoch, als er das Quietschen von Türangeln und schwere Schritte vernahm. Natürlich hatte er geschrien. Und die Kleine war auch nicht wirklich leise gewesen. Er atmete so tief durch, wie es möglich war, zerrte einen Dolch aus der Lederhülle am Stiefel und versuchte noch einmal, auf die Beine zu kommen. Er wollte nicht hilflos am Boden kauern, während die Wächter des toten Magiers über ihn kamen und ihn abstachen. Das Mädchen benötigte seinen Schutz! Er biss die Zähne zusammen, kam halb hoch, fiel auf ein Knie, und sah durch schwarze, wogende Wolken ein halbes Dutzend Bewaffnete, die in den Lichtraum des Kronleuchters stürmten, erkannte die gezogenen Waffen als silbrig funkelnde Schemen und wusste, dass er keinerlei Aussicht auf Erfolg hatte, sich oder gar das Mädchen zu schützen.

Gerade, als er die bevorstehende Niederlage – und damit auch seinen eigenen Tod – als unausweichliches Ergebnis seiner Erschöpfung anerkennen musste, brodelte es in seinen Knochen. Er fühlte es, als würde das Mark sich im Gebein verflüssigen und Blasen schlagen. Hitze und Kälte durchtobten in abwechselnden Schauern seinen Körper, schüttelten ihn, trieben ihm Schweiß auf die Stirn.

Dann …

Hitze, die direkt aus ihm aufzusteigen schien, in einem harten, waagerecht durch den Saal fliegenden Hagelschauer auf die Soldaten einhämmerte, ihre Kleidung und Haare in Brand steckte, ihre Rüstungen in triefende, Metalltropfen sprühende Folterinstrumente verwandelte, die sich in das lebende – noch lebende – Fleisch brannten, stinkenden Qualm aufsteigen ließen.

Zugleich spürte Shadac eine unendliche Müdigkeit in sich aufsteigen, Muskeln erschlaffen, jeden Atemzug zu einer heroischen Anstrengung verwandeln.

Der Hitze folgte messerscharfe Kälte. Ein Schneeschauer aus winzigen Klingen, die brennende Körper, schreiende Soldaten in Stücke fetzten.

Die schwarzen Wolken ballten sich noch mehr zusammen, bis die restliche Welt, die Shadac an den wabernden Rändern der Schwärze vorbei sehen konnte, in trübem Grau wie nächtlichem Nebel versank. Konturen verloren ihre Klarheit und Schärfe, alles verschwamm und wurde zu einem steinfarbenen Brei, in dem Shadac nichts mehr erkennen konnte.

Das Zittern nahm zu, obwohl er das nicht für möglich gehalten hatte. Er roch verbrannte Luft, als gleißende Helligkeit mit einem Mal seine Adern und dann die kurze Distanz zu den bereits vernichtend geschlagenen Gegnern ausfüllte. Dann Dunkelheit, die nach Rauch, schwelendem Fleisch und angekohltem Holz stank. Ganz langsam klarte Shadacs Sicht wieder auf, immer noch grau und schwarz von Wolken durchzogen.

Durch die Armpanzerung spürte er die Nähe eines weichen Körpers, tastende Hände und konnte unter Schmerzen den Kopf zur Seite drehen, schemenhaft das Mädchengesicht wahrnehmen.

»Es ist vorbei«, wisperte die Kleine, und ihre Stimme klang dumpf und wie Meilen entfernt.

»Was ist geschehen?«, flüsterte Shadac zurück, die eigene Stimme fremd in den Ohren. So zittrig, rau und gebrechlich.

»Du bist kein Magier, nicht wahr? Du hast keine Ausbildung erhalten?«

Er schüttelte schwach den Kopf, und das tat auch furchtbar weh und verstärkte die Müdigkeit um ein Hundertfaches.

»Das habe ich mir gedacht.«

Ganz nah waren ihre Lippen nun seiner Wange. Warmer Atem streifte seine Haut.

»Ein Magier hätte es dosiert. Und zurückhalten können, als der Kampf schon gewonnen war.«

Shadac begriff noch immer nicht. Er wusste nur, dass er so müde war, dass er wohl nie wieder aufstehen konnte.

 

Mit halb geöffneten Lippen hatte Asmyn zugesehen, die Augen so weit aufgerissen und ohne das kürzeste Zwinkern starr auf die Vernichtung geblickt, bis sie das Gefühl hatte, dass die Augäpfel eintrocknen mussten.

Götter, wie viel Magie hatte der Kahlkopf gesammelt, gehortet, gestohlen oder auf sonstige Weise ergaunert! Und all das – inklusive Cosmons Feuergabe – hatte sich in den Körper des Kriegers geflüchtet.

Feuer hämmerte den Soldaten entgegen, schlug sie, verbrannte sie. Konnte das wirklich die schwache Glut von Cosmons Gabe sein, die entfesselt in einem jungen, starken Körper tobte und sich an dessen Kraft bediente, um ihre verheerende Wirkung zu entfalten?

Und als wäre diese vernichtende Woge rotglühenden Hagels noch nicht genug gewesen, formten sich silbrige Klingen aus Eis und jagten über das bisschen Leben hinweg, das nur noch für ein paar Augenblicke hatte atmen wollen, bevor es leise verschied. Was das Feuer nicht bis zur Unkenntlichkeit geschlagen hatte, zerfetzte das Eis.

Ein grauenhafter Verdacht keimte in Asmyn, und mit Gewalt nahm sie den Blick von der Stätte der Vernichtung einer Handvoll gutausgebildeter Wächter.

Sie starrte den Krieger an und sah die Spuren der Magie. Wie sein Gesicht verfiel, von tiefen Furchen durchzogen wurde, die Haut weicher, grau und faltiger wurde. Die Augen tiefer in die Höhlen sanken, ihr strahlendes Blau verloren. Der ganze Krieger verblasste. Und auf seinem Gesicht stand nur blankes Entsetzen, bevor er in sich zusammensank, zu zittern begann, hilflos wie ein Greis, der er jetzt war, während sich aus ihm Blitze lösten, um die sterblichen Überreste der Soldaten einzudampfen. Der Kerl konnte nicht aufhören! Götter, die Magie würde ihn umbringen. Und dann? Kam sie dann zu Asmyn, oder war der bunte Staub auf dem Boden erschöpft? Und konnte sie das bändigen, was diesen Hünen gerade dezimierte?

»Es ist vorbei«, wisperte Asmyn beruhigend, um irgendwie zu dem Krieger durchzudringen, bevor die Magie ihn wie Cosmon erledigen konnte.

»Was ist geschehen?«, flüsterte der Mann, und das war für Asmyn Beweis genug, dass er kein Magier war, die Gaben des Kahlkopfs nicht freiwillig zu sich gerufen, nie den Plan des Raubs gehegt hatte. Seine Stimme klang uralt, brüchig und erfüllt von Zittern.

»Du bist kein Magier, nicht wahr? Du hast keine Ausbildung erhalten?« Sie kannte die Antwort, aber sie musste Gewissheit erlangen. Ein von Magie Erfüllter, der nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, was er mit dieser gewalttätigen Macht anstellen, wie er sie zügeln und kontrollieren konnte. Ein Geschenk der Götter für … gewisse Leute. Und der Kerl hatte Cosmons Feuergabe, die doch nach Recht und Ordnung Asmyn gehörte. Ein Plan reifte in ihrem Kopf und nahm schüchtern Form an, bevor er ihr zuzwinkerte.

Der Krieger schüttelte schwach den Kopf.

»Das habe ich mir gedacht.« Triumph in jeder Muskelfaser, doch tunlichst hielt Asmyn den Jubel aus ihrer Stimme fort, auch wenn sie gar nichts dafür konnte, ein klein wenig selbstgefällig zu klingen. Sie bekam ihre Chance! Außerdem – bevor er hier ein Feuerwerk der besonderen Art entfacht hatte, hatte der Kerl wirklich gut ausgesehen. Selbst jetzt, zerfallen dank der Magie, sabberte er nicht. Und er grinste auch nicht debil und versuchte schon gar nicht, irgendwie an Asmyn herumzutätscheln. »Ein Magier hätte es dosiert. Und zurückhalten können, als der Kampf schon gewonnen war«, schlug sie ihm vergnügt weitere wichtige Hinweise um die Ohren.

Er brauchte sie! Ha!

»Ich bin Asmyn. Du bist voll Magie – ich habe versucht mitzuzählen. Ich glaube, es ist ein halbes Dutzend Gaben. Du hast keine Ahnung, wie du damit umgehen sollst.«

Tief befriedigt beobachtete sie ein weiteres, schwaches Nicken. Ganz bestimmt schien der Kerl nur so ehrlich, weil er am Ende war. Männer waren verschlagen. Aber das konnte Asmyn auch sein!

Sie lächelte. »Mein Mann – der da, mit dem zugewachsenen Mund, ich dachte, ich muss spucken, als ich das sah – besaß Magie. Ich weiß viel mehr als du. Ich kann dir helfen, damit die Magie dich nicht umbringt.«

Er starrte einen Moment dumpf in die Gegend, dann nickte er wieder.

Asmyn fühlte sich versucht, ihn zu knuffen. Ob er das durch Panzer und Muskeln überhaupt merken würde? Unhöflich mutete er obendrein an, aber sie konnte großzügig darüber hinwegsehen, weil er wirklich halb tot war. Trotzdem … »Und wie heißt du?«

»Shadac.« Nur ein raues Flüstern, fast nur ein Ausatmen der beiden Silben.

»Wir sollten hier verschwinden. Da kommen vielleicht noch mehr Soldaten. Und ich glaube nicht, dass du der Magie erlauben solltest, die dem Erdboden gleichzumachen. Du bist jetzt schon am Ende«, sagte sie sehr vernünftig und fragte sich bang, ob das alles zu ihm durchdringen konnte. Immerhin konnte er noch ein bisschen sprechen und verstand wohl auch, was sie von ihm wollte. Das stellte gegenüber Cosmon schon eine gewaltige Verbesserung dar.

Die beiden waren auch ganz und gar nicht vergleichbar. Ob Cosmon wohl in seiner Jugend solch einen Feuersturm hatte entfesseln können? Asmyn betrachtete den zusammengesunkenen Hünen, der nun ganz langsam wieder nickte, als wären ihre Worte endlich in den benommenen Rest seines Verstandes eingesickert. Eindrucksvoll!

Der Schweiß hatte helle Bahnen in den Ruß auf seinem Gesicht gewaschen, und obwohl dieses nun wegen der rapiden Alterung dank der Magie faltig und schlaff aussah, konnte Asmyn erkennen, dass es ohne die Zeichnung der Magieanwendung markant und sehr streng aussehen musste. Die Erinnerung an die saphirblauen Augen und die eine blonde Strähne halfen ihr, sich Shadacs übliches Aussehen vorstellen zu können. Reizvoll. Und ein Grund mehr außer der Magie, den Kerl schnellstmöglich in ein sicheres Versteck zu schaffen.

Das Zimmer mit den weiß verdeckten Möbeln fiel ihr ein. Aber das mochte zu weit entfernt für den zu Tode Ausgelaugten sein. Außerdem … wo würden Soldaten suchen? Sie würden doch denken, dass ihre Feinde so weit wie möglich von der Stätte dieser Vernichtung fliehen würden, oder? Sie spähte zum tuchverhängten Tisch. Nein, dort könnten sie bestimmt nicht mehrere Stunden oder länger ausharren, während hier Männer herumstampften, die angebrannte Frostmasse wegschaufelten und den Glatzkopf bargen. Und denen würden sie auch in die Arme laufen – nun ja, torkeln oder krabbeln, wenn sie sich Shadac so besah –, wenn sie das Zimmer verließen. Ein Gedanke kam ihr, und sie knuffte Shadac in die Rippen.

Er zuckte ein wenig zusammen und sah sie verwirrt an.

»Wo bist du hereingekommen? Du bist mit einem Mal aufgetaucht.«

»Dachboden.«

»Wo ist der?«

Einen Moment lang blickte der massiv gealterte Krieger sie leer an, dann legte er langsam den Kopf in den Nacken und sah hoch zur Zimmerdecke.

Asmyn fühlte sich versucht, ihn zu schütteln. Obwohl diese Auskunft eigentlich nicht schlecht war, denn nun wusste sie, dass dieser Saal einen Dachboden besaß.

»Und wo ist der Zugang?«, fragte sie und bewunderte sich selbst dafür, so geduldig zu klingen.

Wieder der leere Blick, als würden mehrere Schreiber hinter Shadacs Stirn schuften, um den Sinn der Worte zu entschlüsseln. Dann hob er schwächlich einen eindrucksvollen Arm und wies auf die Schatten, aus denen er getreten war, um den Kahlköpfigen zu meucheln.

Asmyn stand auf, ließ ihre Tasche neben dem Wirrkopf liegen und rannte dorthin, wo sie Shadac das erste Mal bemerkt hatte. Bücherregale, die sich bis zur Decke erstreckten. Da! Eine Wendeltreppe!

Hastig raffte Asmyn den blutbefleckten Spitzenrock und rannte die Stufen hinauf. Ihr würde bald schwindelig werden, so hoch schraubte die Treppe sich, endete dann auf einem metallenen Gang entlang der Regale, damit der Kahlkopf jedes Buch bequem erreichen könnte.

Ein kühler Luftzug zauste Asmyns Löckchen, sie warf den Kopf in den Nacken und sah auf zu einer kleinen Luke genau über ihr. Der Dachboden! Sie starrte die Regalbretter an, und tatsächlich konnte sie Stiefelabdrücke auf ihnen entdecken. Shadac hatte sie als Leiter bei seinem Abstieg benutzt. Ihr Herz hämmerte vor Aufregung. Sie wandte sich halb um und sah zu der zusammengesunkenen Gestalt inmitten der bunten Linien aus Staub. Alles verwischt und zu Sinnlosigkeit verkommen, auch wenn die Farben immer noch an die vielen Lichtkugeln erinnerten, die sich wie Hunde auf den Krieger gestürzt hatten. Nicht bösartig, sondern weil sie sich freuten, einen neuen Herrn zu haben.

Hätte sie selbst diese Masse Magie bändigen können? Sehr wahrscheinlich nicht. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob sie alleine nur mit Cosmons Feuergabe fertiggeworden wäre. Aber derzeit ruhte all das und noch viel mehr in dem Körper des Hünen, der immerhin vor ausreichend Kraft strotzte, drei gewaltige Magieschläge überlebt zu haben.

Doch sehr viel wichtiger als dieses Grübeln über die ihr so gemein vorenthaltene Feuergabe baute sich ein ganz anderes Problem vor Asmyn auf: Wie sollte sie Shadac die Wendeltreppe und das Bücherregal hinauf bekommen, bevor weitere Soldaten auftauchten? Wie ihn vom Kreidestaubfeld bis zum Fuße der Treppe schaffen?

Ganz tief musste Asmyn durchatmen, damit diese Frage sie nicht zu Boden rang.

Vom Herumstehen und Angaffen des großen Mannes wurde es nicht besser. Und die Zeit drängte. Denn es hatte hier viel Lärm gegeben, als Shadac die Soldaten niedermachte. Was mochten die anderen Krieger in der Festung denken? Die wussten doch bestimmt, dass ihr Herr ein Magier war. Versteckten die Kerle sich jetzt vielleicht? Ängstlich – das wäre richtig gut!

Sie rannte die Wendeltreppe wieder hinab, hastete durch toten Staub an Shadacs Seite und klopfte dem Kerl auf die Schulter. »Wir gehen auf den Dachboden.«

Er hob mühsam den Kopf und starrte sie etliche Augenblicke lang an, runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

»Oh, doch! Ich bin von uns beiden die, die sich mit Magie auskennt. Du wirst dich erholen, und dann kannst du auch wieder denken. Aber ich wette, die übrigen Wächter rotten sich gerade zusammen, suchen ihren Mut und sind gleich hier.« Sie riss die Augen ganz besonders weit auf. Der Kerl hatte davon gefaselt, sie beschützen zu wollen. »So viele böse Männer! Ich habe ganz entsetzliche Angst!«

Sein Blick klarte etwas auf, und jetzt nickte er schwach, versuchte tatsächlich, auf die Beine zu gelangen. Und scheiterte. Natürlich! Cosmon hatte nach einem Magiefurz drei Tage im Bett herumgelegen, und was Shadac hier entfesselt hatte, weil er keine Kontrolle besaß, war mehr als beeindruckend gewesen.

Ihr Blick fiel auf den blutigen Dolch, und sie raffte die Waffe an sich. Je weniger Spuren die Soldaten hier fanden, desto besser! Wenn sie sich nicht erklären konnten, was hier vorgefallen war, flohen vielleicht welche. Und wenn sie nur ihren toten Herrn und den ebenso mausetoten Cosmon fanden und keine Ahnung von Shadacs Anwesenheit erlangten, dann machten sie sich bestimmt vor Furcht in die Hosen!

Sie grinste bei der Vorstellung, wie zwanzig Männer sich zitternd aneinander festklammerten und Pfützen unter sich machten. Naja, zuerst würden sie Bächlein in die Hosen … So ein Unsinn, sich das jetzt vorzustellen! Sie schob den Dolch in die Falten des Brokatkleides, schulterte den Trageriemen der Tasche erneut und klopfte wieder auf Shadacs Schulter.

»Bewegung. Schnell. Auf Händen und Knien. Das geht. Dann bist du auch nicht so riesig. Beeil dich doch! Du musstest ja unbedingt im Kreidestaub herumtrampeln, nachdem du den Glatzkopf erledigt hast. Hat dich wirklich der Kanzler geschickt? Warum?«

»Halt die Klappe«, flüsterte Shadac in eindeutig grenzenloser Überforderung, mühte sich aber tatsächlich auf Hände und Knie und kroch schwitzend und zitternd los. Sogar in die richtige Richtung!

Asmyn schrieb diese Einsicht und Kooperation ihrer Initiative zu. Sie lauschte auf Geräusche aus dem Gang hinter dem riesigen, angekohlten Portal und plapperte fröhlich weiter. »Ich möchte wetten, dass es auf dem Dachboden Spinnen gibt. Die mag ich nicht sonderlich. Aber ich werde äußerst tapfer nicht kreischen, wenn ich eine sehe, so du brav die Wendeltreppe hinauf krabbelst. Du schaffst das, du bist doch ein großer, starker Kerl.«

Endlich vom Kreidestaub fort, aus dem Lichtkegel des Kronleuchters heraus, in die dämmrige Welt der Schatten.

»Musst dir was anziehen«, murmelte Shadac, der nicht so klang, als hätte er Atem zu verschwenden.

Asmyn blickte an sich herab und keuchte erschrocken auf. Dass sie leicht bekleidet war, wusste sie ja, aber die dünne Seide klebte streckenweise an ihr – Dank Shadacs Schweiß, wie sie sofort begriff. Wo das zarte Gewebe nicht klebte, war es mehr als nur durchsichtig. Genauso gut hätte Asmyn nackt herumhüpfen können! Außerdem war ihr die Dachbodenluke nur dank des kühlen Luftzugs aufgefallen, da oben würde es kalt und ungemütlich sein. Kam sie alleine wieder in die vielen Unterröcke, das Mieder und das Kleid? Warum war Shadac auch so ungefällig gewesen, ohne Mantel in die Festung des Kahlschädels einzudringen? Einen Kriegerumhang hätte sie nämlich jetzt sehr gerne.

Die Wendeltreppe war erreicht, noch immer kein Geräusch vom Gang. Aber es konnte nicht mehr lange dauern.

»Kletter schon mal hoch. Gleich wieder da«, sagte Asmyn atemlos, setzte ihre Tasche ab und rannte wieder in den Raum. Und falls Shadac sich jetzt nach ihr umsah, würde er klar konturiert ihren Hintern unter dem hauchdünnen Rock und der Rüschenunterhose sehen! Tränen der Scham brannten in Asmyns Augen. Dass sie das nicht bemerkt und vor allem begriffen hatte!

Sie erwog, den toten Magier oder auch Cosmon aus dem Mantel zu schälen. Das kostete wertvolle Zeit. Aber … aber wenn sie gefangengenommen wurde, weil sie das Versteck nicht rechtzeitig erreichte – oder weil Shadac in der engen Luke steckenblieb oder einfach verstarb –, dann wollte sie zumindest züchtiger verhüllt sein. Sie musste sich fest auf die Unterlippe beißen, um nicht in Tränen auszubrechen, als sie sich vorstellte, so gefasst zu werden. Alle würden sie anglotzen, und nichts würde der Phantasie der Männer überlassen bleiben müssen. Weil ja nichts mehr zum darüber Phantasieren verborgen lag.

Ein Kleiderständer tauchte am Rande ihres Gesichtsfelds auf, und sofort änderte Asmyn die Richtung ihres verzweifelten Hastens und packte dicke Stofffalten mit beiden Händen. Ein Kapuzenumhang! Noch einer! Und noch einer! Sie raffte alles an sich, warf sich einen Umhang sofort um die Schultern, schloss mit zitternden Fingern die Spange und knäulte die beiden anderen Mäntel zu einem handlichen Paket zusammen, um Shadac zu folgen.

Dann sah sie die Kreidespur, die mit dezenten Schlangenlinien von den beiden Toten fort zur Wendeltreppe führte.

Mit einem erschrockenen Wimmern fiel Asmyn auf die Knie und robbte rückwärts zur Treppe, wobei sie die beiden erbeuteten Mäntel nutzte, um die verräterische Spur zu verwischen. Und jetzt hörte sie schwere Schritte. Oh, nein, nein!

Sie krabbelte wie ein Käfer zur Treppe, wischte und konnte vor lauter Angst kaum noch atmen, bis sie sich empfindlich einen Zeh an der Spindel der Wendelung stieß, sich wieder auf die Unterlippe beißen musste, um nicht laut zu jammern. Sie stob auf wie ein Vogel, packte den Trageriemen der Tasche und hastete die Stufen hinauf. Wie weit war Shadac schon gekommen? Bitte, bitte, Kaladien, Tenenoch, schiebt den großen Kerl an!

Sie erreichte schweißnass und am ganzen Körper bebend die oberste Galerie, spürte Schmerz in den Beinen, in der Schulter, auf der der schwere Trageriemen lag. Wo steckte Shadac?

In der Luke … Eine ansehnliche Kehrseite und sehr nette Beine befanden sich noch in Sicht. Asmyn setzte die Tasche ab, ließ die Mäntel fallen und flog regelrecht die Regalborde hinauf, um Shadac anzuschieben, da Tenenoch und Kaladien ungefälligerweise nicht zur Hand waren, um ihr diese Arbeit abzunehmen.

Sie stemmte die Füße ein, klammerte sich mit einer Hand am Regal fest und drückte mit der anderen mit aller Kraft gegen Shadacs Hintern, der sich unerwartet straff und fest unter der staubigen Lederhose anfühlte.

Über ihr – schon auf dem Dachboden – erklang ein helles Keuchen, und mit einem Mal – die Götter mussten nun doch ebenfalls geschoben haben – verschwanden Hintern und Beine sehr zügig nach oben.

»Götter, was ist hier geschehen?«, erklang eine Stimme hinter Asmyn. Noch weit genug weg. Die Soldaten waren da und hatten die Überreste ihrer Kameraden entdeckt, so schien es.

Hastig und lautlos kletterte sie wieder hinab, zerrte sich den Riemen der Tasche über den Kopf, warf sich die beiden Mäntel über den Arm und hangelte sich mühsam wieder nach oben.

Jetzt rann Schweiß in breiten Bächen an ihr herab und klebte den letzten Rest Stoff, der bislang nicht wie eine zweite Haut an ihr gehaftet hatte, besonders gründlich an ihr fest. Die Tasche war zu schwer. Die Mäntel auch. Mit nur einer Hand kletterte es sich ganz besonders schlecht. Aber die Geräusche hinter ihr beflügelten Asmyn. Sie konnte die Hand bereits um den Rand der Luke krallen und sandte ein Stoßgebet zu den Zwillingsgöttern. Hoffentlich hatte Shadac ihr dort oben ausreichend Platz gelassen, damit sie das Gepäck hochwuchten konnte, bevor sie selbst auf den Dachboden floh.

Mit einem Mal rutschte sie mit einem Fuß ab, verwickelte den Unterschenkel prompt in der Stofffülle des Kapuzenumhangs, erwürgte sich fast mit der großen Spange, als der Mantel straff gezogen wurde. Dann verlor sie den Halt an dem Lukenrand.

4.

Hungrige Magie

 

Kein Schrei, und selbst im Rückwärtsfall war sie darauf sehr stolz. Man würde sie foltern und … und Schlimmeres, aber sie würde Shadac nicht verraten, sondern würdevoll … Eine Hand wie ein Schraubstock schloss sich warm und stahlhart um ihren Unterarm, mit dem sie offenbar wild herum gerudert hatte, um doch noch einen Halt zu erhaschen. Ein Ruck, der ihr fast den Arm aus dem Schultergelenk riss, hielt ihren Sturz auf und zog sie dann aufwärts, wo sie fast in der Lukenöffnung stecken blieb, weil Umhänge und Tasche gleichzeitig mit ihr hindurch wollten.

Es gab ein leises, reißendes Geräusch. Asmyn stieß sich ein Knie, und dann war sie auf dem Dachboden, dicht an Shadac gedrückt, der wie schützend einen Arm um sie legte und sie fest an sich zog. Bestimmt war er nur erleichtert, dass sie den Soldaten nicht in die Hände gefallen war. Er konnte ja nicht wissen, dass sie heldenhaft geschwiegen hätte.

Er roch gut, und ihre Nasenspitze berührte ein ganz klein wenig seine Kehle, die nass von Schweiß war. Ein würziger Duft ging von seiner Haut aus, fast wie Räucherwerk, und trotz der Schweißfeuchte roch Asmyn noch einen Hauch von guter Seife an diesem Hals. Nicht das Zeug aus Rinderfett, das die Bauern und Diener benutzten, sondern echte Seife aus Pflanzenöl. Asmyn zwinkerte und musste sich wieder einmal auf die Unterlippe beißen, als Shadac sie losließ, sodass sie auf den Rücken rollte und dort inmitten der Mäntel still lag. Der große Kerl stemmte sich halb hoch, wobei er ein Knie sehr zielsicher zwischen Asmyns Beinen platzierte und sich weit über sie beugte, um die Luke zu schließen.

Seine nassen Haare kitzelten sie am Kinn, und bestimmt troff Ruß vermischt mit Schweiß auf sie und schmierte sie voll.

Der Lichteinfall von unten nahm ab, und dann war es dunkel, da die Luke lautlos das Dachbodenversteck von dem großen Magiersaal trennte.

Und wenn Shadac jetzt die Kräfte verließen? Er würde auf Asmyn niedersinken. Mit einem gewiss kapitalen Gewicht, das sie unter ihm festnageln würde. Instinktiv streckte sie die Hand aus, um diese gegen seine Brust zu drücken, obwohl Asmyn genau wusste, dass sie damit nichts verhindern konnte. Der Krieger war zu groß und zu schwer. Das Herz hämmerte ihr ganz oben in der Kehle. Teils vor Angst vor dem Moment, da Shadac auf ihr landen würde. Und zum Teil, weil ein warmes Kribbeln in ihrer Magengrube sie erschreckte.

Mit einem kaum wahrnehmbaren Grunzen stemmte Shadac sich höher, stützte sich für einen kleinen Augenblick mit der Hand auf Asmyns Bauchdecke ab, die nur von einer hauchdünnen Schicht feuchten Stoffs von seinen Fingern entfernt lag. Er murmelte etwas, was beinahe wie eine Bitte um Entschuldigung klang. Nur anhand der Geräusche, Shadacs scharfen Atemzügen und schließlich dem Gefühl, dass nichts mehr über ihr in der Schwebe hing, um gleich auf sie niederzustürzen, erkannte Asmyn, dass es dem großen Kerl gelungen war, sich zur Seite, von ihr weg zu wuchten. Er kam neben ihr auf dem Rücken zu liegen, lag still und rang angestrengt nach Atem.

Erleichterung schlug wie eine Welle warmen Wassers über ihr zusammen, und nur die kalte Strömung inmitten dieser Woge machte Asmyn klar, dass sie irgendwie enttäuscht war. Obwohl sie dies natürlich als vollkommen unsinnig und sehr dumm erkannte.

»Danke«, flüsterte Shadac heiser in die Dunkelheit.

»Wofür?«

»Einfach nur danke. Wir sollten hier in Sicherheit sein. Wie lange werde ich brauchen, um wieder zu Kräften zu kommen?«

Immerhin konnte er schon wieder in ganzen Sätzen sprechen. Und er hatte sie erstaunlich kraftvoll nach oben gezogen, da sie abstürzte und sich jenseits jeder Rettung geglaubt hatte.

»Mein Mann hat drei Tage gebraucht. Aber er hat nie so viel Magie gewirkt wie du.«

»Ich habe gar nichts gemacht.« Es klang vollkommen sachlich.

»Weil du dich mit Magie nicht auskennst.«

»Was schleppst du in dieser Tasche mit dir herum? Was ist so wichtig, dass du deswegen eine Entdeckung riskiert hast?« Er sprach leise. Kein Vorwurf in der Stimme, die scheinbar mit jedem Wort wieder mehr Tiefe und Kraft zurückgewann.

»Bücher. Meine Unterröcke. Und Socken.«

»Socken?«

»Wenn du jetzt unangenehm werden willst, werde ich ärgerlich!«

»Ich hatte es nicht vor. Leiser, Mädchen. Ich habe keine Lust, dass sie uns hier oben doch noch finden. Was für Bücher?«

»Über Magie. Normalerweise lernt ein älterer Magier einen Schüler an, dem er dann auch irgendwann seine Gabe überreicht. Der widerliche Glatzkopf hat Cosmon verspottet.«

»Cosmon war dein Mann?«

»Ja. Der mit dem zugewachsenen Mund. Den hatte er normalerweise nicht. Das hat der andere gemacht, weil Cosmon ihm mit dem Jammern auf die Nerven ging.«

»Mein Beileid zu deinem Verlust.« Aufrichtigkeit in jeder Silbe.

Asmyn starrte in die Dunkelheit. Ja, einen Verlust hatte sie erlitten. Der Glatzkopf hatte ihr die Feuergabe gestohlen, für die sie die Ehe mit Cosmon eingegangen war und sie auch ertragen hatte. Und dann kam Shadac daher, trampelte im Kreidestaub herum und kassierte nicht nur die Feuergabe, sondern auch alles andere. So viele Farben im Leuchten. Was mochte das alles gewesen sein außer Eis und Lichtmagie? Sie fühlte Neid mit winzigen Rattenzähnen an sich nagen. Es war alles schiefgegangen. Wirklich alles. Nur aus diesem Gefühl, besonders schlecht behandelt worden zu sein, stiegen ihr Tränen in die Augen, und als sie Shadac für seine Beileidsbekundung dankte, klang sie vollkommen verheult.

Ihr war kalt und elend, und so erhob sie keinerlei Einwände, als Shadac behutsam nach ihr tastete und dann den Umhang über ihr zusammenzog, damit sie es ein wenig wärmer hatte und trotz Dunkelheit keusch bedeckt war. Dann sank der Große wieder neben ihr nieder. Sie entsann sich, dass er ebenso verschwitzt war wie sie. Und keinen Mantel trug.

»Ich habe noch zwei weitere Umhänge retten können«, flüsterte sie. »Wir könnten einen unter uns legen, wenn wir ein wenig zusammenrücken. Und du kannst einen haben.«

»Ist dir das nicht unangenehm?«

»Alleine friere ich bestimmt heute Nacht. Wenn wir uns schon gegenseitig retten und helfen, sehe ich nicht ein, warum wir nicht gemeinsam etwas gegen das Frieren tun.« Sie hatte überhaupt nichts gegen jenen Arm gehabt, der sich so schützend um sie gelegt hatte. Die große Hand auf ihrem Rücken. Außerdem hatte sie Shadac ja unwillentlich in der Überzeugung bestärkt, es mit einer sehr traurigen Witwe zu tun zu haben. Er würde Distanz bewahren. Aber Asmyn sah gar nicht ein, warum sie frieren und sich eine Erkältung einfangen sollte, wenn diese riesige Wärmequelle ebenfalls schlotternd neben ihr lag. Das war doch unsinnig. Außerdem roch er gut.

 

Eng kuschelte Asmyn sich an Shadac, wann immer ein Geräusch sie weckte. Viele Geräusche in einer sehr unruhigen Nacht, die das Szenario im Zimmer des Magiers den restlichen Burgbewohnern beschert hatte.

Asmyn sagte sich dauernd lautlos vor, hier auf dem Dachboden recht sicher zu sein, da sie die Kreidespur ausreichend verwischt hatte. Niemand konnte ahnen, dass jemand wie Shadac in der Burg war. Trotzdem zuckte sie jedes Mal erbärmlich zusammen, wenn eine Tür knallte, Stiefel über Gänge und Treppen polterten.

Die große Masse Mann neben sich fand sie ungemein beruhigend. Wenngleich nicht ausreichend. Denn in der Dunkelheit spürte sie nur die Körperwärme, hörte die ruhigen, tiefen Atemzüge, die deutlich davon kündeten, dass Shadac felsenfest schlief und wohl nur durch äußerste Gewalt geweckt werden konnte. Der Kerl regte sich nicht einen Deut, als von nicht allzu weit entfernt Wutgebrüll erklang. Asmyn hingegen drückte sich noch fester an den schlafenden Hünen, krallte die Finger so gut es ging um einen muskelschweren Oberarm und zog sich die Kapuze des Mantels über den Kopf.

Lange hielt sie es nicht aus, dann wurde es ihr zu dumm. Was nützte es, sich an eine heldenhafte Gestalt zu drängen und auf Trost zu hoffen, wenn der Kerl das nicht mitbekam? Besser, dem Ursprung und der Ursache für das Geschrei draußen auf die Spur zu kommen.

Sorgfältig, um nicht über den langen Saum zu fallen wie bei ihrem von Shadac im letzten Augenblick verhinderten Sturz, wickelte Asmyn sich in ihren Mantel und stapfte auf ihren dicken Socken und sehr kalten Füßen zur Wand. Dort glitzerten nämlich Sterne und dämmerte ein wenig Mondlicht, wo sich eigentlich ein Dach befinden sollte. Natürlich, denn irgendwie musste Shadac, der auf Asmyn noch geheime Art den Graben mit den Tentakeln überwunden hatte, ja auf den Dachboden gelangt sein.

Sie fand die Sternenglanzstelle und tastete über die Dachschindeln, die beiseite geschafft worden waren, um einen großen Krieger vom Dach ins Gebäude zu lassen. Sehr schön, und sehr aufregend, solcherart rückwärts Shadacs Spuren zu folgen und zu sehen, wie findig und rücksichtslos er bei seinem Eindringen vorgegangen war.

Sie fand ein ordentlich aufgerolltes Seil und einen kleinen Wurfanker neben dem Loch im Dach und lächelte zufrieden, wirklich auf der richtigen Spur zu sein. Dann beugte sie sich ganz behutsam vor und lugte nach draußen. Die Aussicht war atemberaubend! Als Asmyn den Kopf leicht zur Seite wandte, entdeckte sie Fackeln und viele, sehr aufgeregte Männer auf der Wehr. Und wie einen schimmernden Seidenfaden ein Seil, das sich von der Wehr bis zum Wald spannte. So hatte Shadac den Graben überwunden!

Ihr wurde schwindelig alleine bei dem Gedanken, sich an diesem Seil von der einen zur anderen Seite zu hangeln. Das würde sie nicht können! Also war es vielleicht gut, dass die Soldaten den Weg entdeckt hatten, den Shadac genommen hatte. Denn nun stellte dieser keine Möglichkeit mehr dar. Das Dumme war nur, dass Asmyn im Augenblick keinen Weg aus der Festung hinaus sah. Aber dafür hatte sie einen großen Krieger an ihrer Seite, der sich etwas einfallen lassen konnte. Findig schien er ja zu sein. Und da er keine Ahnung von Magie hatte, war er auf Asmyn angewiesen und würde sie schon sicher aus der Burg bringen. Obendrein wirkte er sehr fürsorglich und hatte gar nicht auf ihren Busen gegafft, obwohl sie ihm dazu ausreichend Gelegenheit gegeben hatte, da sie sich ihrer mangelhaften Bekleidung im Eifer des Gefechts überhaupt nicht bewusst gewesen war. Gut!

Sie drehte sich herum und betrachtete den schlafenden Krieger gründlich. Das Mondlicht reichte dazu aus, da Asmyns Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Der milchig weiße Schimmer genügte, um Shadac in Szene zu setzen, der bäuchlings unter einem Samtmantel lag, welcher sehr hilfreich die Konturen des großen Körpers nachzeichnete und sich nicht mit falscher Scham belastete. Asmyn auch nicht.

Lange Beine, eindrucksvoll geformt, eine knackige Kehrseite und ein Rücken, der von ungemein viel Kraft sprach.

Den Kopf hatte Shadac leicht zur Seite gedreht, womit er es Asmyn freundlicherweise ermöglichte, sein Profil eingehend zu betrachten. Blasse, lange Haarsträhnen fielen auf Schultern und Rücken. Selbst das Mondlicht konnte den goldenen Glanz nicht mindern. Rußreste, die den feinen blonden Schimmer aber eher betonten denn verdarben. Eine Hand lag entspannt vor dem strengen Gesicht. Lange, starke Finger, die Gelenke ein wenig dunkler, die Haut dort erschien Asmyn robuster und dicker. Als hätte dieser Krieger im Notfall und im Gedränge einer Schlacht, wenn nicht genug Platz für das Schwert blieb, mit der bloßen Faust zugeschlagen, was die Fingerknöchel wundschürfte.

Der Mantel umfloss die eindrucksvolle Gestalt und betonte jedes Detail. Woran, Asmyn runzelte die Stirn und bemühte sich um Objektivität, wie sie sich sagte, auch die Panzerung nicht ganz unbeteiligt war, verstärkte sie doch den Eindruck von breiten Schultern und Wucht.

Asmyn war mit dem, was sie da sah, durchaus zufrieden. Allerdings hielt sie sich vor Augen, dass Shadac ihr trotz physischer Großartigkeit unterlegen war. Und sie würde ganz bestimmt nicht leichtfertig ihr mühsam errungenes Wissen über Magie ausplaudern. Denn das war ihr Vorteil, den sie nutzen musste, um sich in den Besitz ihrer Feuergabe zu bringen, die der Kerl einfach einkassiert hatte. Wohl nicht aus bösem Willen, aber das änderte nichts an der Tatsache.

Immer noch grübelte Asmyn, warum die Magiegaben sich so bereitwillig einen neuen Herrn und Meister in dem Krieger gesucht hatten. Nach allem, was sie bislang Cosmons Büchern entnommen hatte, gehörte ein sehr kompliziertes Ritual dazu, eine Gabe an einen Magier zu binden. Dann allerdings blieb sie bei ihm, bis er sie weitergab. Oder starb. War sie freigesetzt, galt die Gabe als scheu. Manche angehende Magier stöberten jahrelang in den Ruinen eines Magierturms herum, bis sie das stets davonhuschende Lichtlein ausfindig gemacht hatten. Schon als Kind hatte Asmyn Geschichten über verwunschene Ruinen gehört, in denen es nicht mit rechten Dingen zugehen sollte. Kein Wunder, spukte dort doch einsam und sehr verlassen eine Magiegabe herum, die nach dem Tod ihres letzten Menschen zunehmend verwilderte und sich trotz aller Gier nach einem menschlichen Meister und Wirt schüchtern unter Bodendielen versteckte, wenn so ein Möchtegernmagier durch die verlassene Stätte stampfte.

Das war vom Prinzip her auch gut so. Denn wenngleich der Preis für angewandte Magie so hoch war, dass niemand unnütz mit ihr herumspielte oder großen Schaden anrichten konnte, stellte Magie in den falschen Händen doch eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Wie Shadac vorhin eindrucksvoll bewiesen hatte. Götter, er hätte den Turm komplett in Schutt und Asche legen können, weil er einfach nicht wusste, wie er die Magie zu kontrollieren und ihr vor allem Einhalt zu gebieten hatte. Sie hätte ihn umbringen können. Denn so scheu die einzelne, heimatlose Gabe auch war, verwandelte sie sich in ihrem Wirt doch in ein stets hungriges Raubtier, das gerne benutzt wurde, sich liebend gerne dafür anbot, um sich dann an der Kraftquelle zu bedienen, die ihr Anwender war. Zügellos und gierig.

Asmyn nahm auf dem Mantel neben Shadac Platz, betrachtete den Schlafenden gründlich und erkannte erleichtert, dass die harschen Falten sein Gesicht wieder verlassen hatten. Er erholte sich wirklich erstaunlich schnell im Vergleich zu Cosmon. Aber vielleicht hatte der böse Magier ja recht gehabt, dass Cosmon einfach viel, viel zu alt gewesen war, um sich noch an seine Gabe klammern zu dürfen. Er hatte ja kaum noch etwas mit ihr machen können.

Asmyns Zehen waren ganz kalt, versuchsweise wackelte sie mit ihnen und beneidete Shadac von Herzen um seine stabilen Stiefel. Energisch rutschte sie auf dem Hintern näher und schob die kalten Füße zu ihm unter die Decke, setzte die Sohlen behutsam auf die Rippen des Kriegers und seufzte wohlig auf, als sie die Wärme spürte. Natürlich kein Zucken seitens des Großen. Der war weit, weit weg. Asmyn begann, sich zu langweilen. Sie hangelte nach ihrer Tasche und zog schließlich eines der Bücher hervor, blätterte eilig mit dem schweren Ding auf ihrem Schoß zu der mittels Eselsohr markierten Seite und mühte sich, im schummrigen Licht von Sternen und Mond einige Wörter zu entziffern.

Lärm unter ihr schreckte sie auf, kaum dass sie drei Sätze bewältigt hatte. Die Soldaten waren zurückgekehrt! Ihr Herzschlag beschleunigte sich rasant. Sollte sie versuchen, Shadac zu wecken? Sie konnte bequem gegen ihn treten, da ihre Füße ihn ohnehin schon berührten. Das würde ihn doch hochschrecken lassen, oder?

Die Ungewissheit, was die Geräusche unter ihr zu bedeuten hatten, machte sie ganz unruhig. Möbelrücken, den Lauten nach zu urteilen. Die Soldaten suchten bestimmt nach dem Eindringling. Aber vielleicht dachten sie nach Entdeckung des Seils über den Graben ja auch, dass derjenige, der für solche Unordnung gesorgt hatte, schon lange über alle Berge war? Was machten Wächter, wenn ihr Burgherr tot herumlag, niemand Befehle erteilte und sie nicht mit Bestimmtheit wissen konnten, wer sich innerhalb der scheinbar sicheren Mauern herumtrieb? Hatten sie schon in Asmyns Arrestzimmer nachgesehen – womöglich auf der Suche nach ein wenig Zeitvertreib? Schweine! Ihr wurde ganz warm vor Empörung.

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie stopfte das Buch wieder in die Tasche, suchte ein zusammengerolltes Sockenpaar hervor und krabbelte atemlos vor Anspannung und ganz leise bis zur Luke, deren Konturen sich als vier helle Linien vom staubigen Boden abzeichneten. Ein Seil diente als Griff, und vorsichtig wuchtete Asmyn die Luke so weit auf, dass goldenes Kerzenlicht auf den Dachboden strömte. Hastig stopfte sie ihr Sockenbündel als Schalldämpfer und zur Sicherung unter den Rand der Bodenklappe, ließ das schwere Ding auf dieses Polster sinken und spähte durch den schmalen Spalt nach unten.

Die beiden toten Magier lagen immer noch im Kreidepulver. Nur die Lage des Glatzkopfes hatte sich geändert, und er war seines Mantels und seiner Robe beraubt. Darunter trug er eine lange Hose, die nun voll bunter Flecken war, und ein speckiges Hemd. Und er hatte einen eindrucksvollen Bauch, der den Gürtel zu sprengen drohte.

Mit kleinen Staubwolken unter den Füßen bei jedem Schritt stampfte ein Soldat an dem Leichnam vorbei, kniete vor einer Truhe nieder und stemmte den Deckel hoch. Kleinere Gegenstände flogen zu Boden und zerschellten dort, bis der Mann sich triumphierend aufrichtete und eine goldfarbene Vase in das Kerzenlicht des Kronleuchters hielt, wie um die Qualität zu prüfen.

Die Pietätlosigkeit, die Habseligkeiten des geplünderten Kahlschädels direkt neben dessen Leiche zu durchstöbern, ließ Asmyns Herz ängstlich klopfen, doch gleichzeitig beruhigte dieser Anblick sie sehr. Denn wenn die Soldaten jede Disziplin verloren, stellten sie doch bestimmt leichtere Gegner dar, oder? Und Shadac rannte bestimmt nicht zur Verzierung mit Lederpanzer, Waffen und sehr vielen Muskeln herum, der konnte solche Kerle gewiss leicht niedermachen.

Ob die wohl in der Burg bleiben wollten? Oder waren das Vorbereitungen für eine Abwanderung? Asmyn befand, dass sie eine so gute Festung nicht verlassen würde. Mit sicheren Mauern und dem scheußlichen Graben als Verteidigungsanlage stellte diese Anlage doch eine gute Basis dar, von der aus die Soldaten die Bauern im Umland berauben und erpressen konnten. Andererseits war Shadac vom Kanzler hergeschickt worden, in der Hauptstadt war also bereits bemerkt worden, dass hier etwas nicht stimmte. Und wenn die königliche Armee anrückte, waren die Stunden für das Diebesnest bestimmt gezählt.

Sie war stolz auf diese Gedankengänge, mit denen sie sogar einen königlichen General in den Schatten stellen konnte. Die Frage war, ob die Soldaten des toten Magiers ebenso klar Zusammenhänge erfassen konnten.

Hinter ihr erklang ein leises Murren, dann das Rascheln von Stoff, als ein großer Körper sich herumwälzte. Leder knarrte, dann wehte Shadacs Stimme leise wie Frühlingswind zu ihr. »Was machst du da?«

Sie rückte weise ein wenig von der Luke ab, bevor sie zu dem Krieger blickte und die Frage mit einem Flüstern beantwortete. »Die Soldaten plündern. Ob sie abrücken wollen?«

»Möglich.«

Die Sonne musste inzwischen aufgegangen sein oder sich noch mühselig über die Baumwipfel des Waldes hochhangeln, denn durch die Ritzen zwischen den Dachschindeln schimmerte warmes Licht und erhellte den Dachboden und Shadacs ruhende Gestalt.

»Er hat sie zusammengehalten und bezahlt. Ohne ihn könnten sie versuchen, die Festung zu halten. Allerdings wissen sie, dass ihnen die Unterstützung der Magie fehlt. Das könnte ihnen Angst machen. Es wird ihnen einfacher erscheinen, sich neue Herren zu suchen oder sich im Wald niederzulassen und zu Räubern zu werden.«

»Dann warten wir, bis sie auskneifen? Sie haben dein Seil über den Burggraben entdeckt. Wir müssen einen anderen Ausweg finden.«

Shadac nickte, setzte sich auf und reckte sich ausgiebig. Dann strich er sich wirre blonde Strähnen aus dem Gesicht, rieb sich über die Augen und erhob sich mit einer weichen, kraftvollen Bewegung auf Hände und Knie, um sich Asmyn an der Luke anzuschließen.

Wieder streifte der Duft seines Körpers Asmyn. Nur jetzt schienen ihr Wärme, Masse und Größe des Kriegers sehr viel intensiver, da er den Eindruck erweckte, hellwach zu sein und sich wieder uneingeschränkt bewegen zu können.

Einen Moment verharrte er angespannt an der Luke, dann nickte er. »Ich glaube, sie werden abziehen, um woanders ihr Glück zu suchen. Diese Festung wird in den Besitz der Krone übergehen. Die Männer können sich ausrechnen, dass bald der neue Burgherr mit königlichen Truppen vor der Tür steht. Und ohne eigenen Befehlsinhaber stehen ihre Aussichten auf Erfolg schlecht. Wir warten, bis es sich in der Festung beruhigt hat, dann können wir hoffentlich ungestört die Zugbrücke benutzen. Ich werde eine weitere Öffnung ins Dach brechen, um den Abzug der Burgbesatzung zu beobachten.« Er sah Asmyn an, und seine Augen leuchteten regelrecht im schummrigen Licht des Dachbodens. Ein so klares, frisches Blau, das direkt in Asmyns Seele zu scheinen schien. »Du sagtest, wenn ich mich recht entsinne, dass du in der Tasche auch Kleidung mit dir trägst? Du solltest das meiste davon wieder anziehen. Der Mantel schützt dich nicht vollständig vor Kälte. Und wenn du die ganze Zeit darauf achtest, sicher darin eingehüllt zu sein, schränkt das deine Beweglichkeit und Geschwindigkeit ein.«

Sanft zog er das Sockenpaar unter der Luke hervor und schloss diese lautlos, reichte Asmyn das gerollte Knäuel und erhob sich ohne das leiseste Geräusch, vollkommen mühelos.

Sie hockte in ihren Mantelfalten am Boden und sah zu, wie der Krieger sich ganz langsam und würdevoll entfaltete und zu voller Größe aufrichtete. Dann machte sie sich ganz schnell klar, dass sie immer noch auf ihrem Hintern saß, der langsam taub wurde und an anderen Stellen schmerzte. Natürlich wirkte Shadac nur deswegen so großartig. Sie starrte ihm trotzdem nach, als er auf leisen Sohlen zur anderen Seite des Dachbodens schritt, Unrat sicher auswich und sich dann an der Dacheindeckung zu schaffen machte.

Seine Haltung, fand Asmyn, die sich nur mit Mühe vom Anblick des breiten Rückens und der wirklich netten Kehrseite lösen konnte, sprach deutlich davon, dass er sich so lange wie notwendig mit der Fertigung seines Ausgucks und der Beobachtung des feindlichen Truppenabzugs beschäftigen würde. Lange genug auf jeden Fall, um Asmyn zu gestatten, sich so vollständig wie möglich zu bekleiden.

Sie starrte auf den um die Tasche geknäulten Brokat. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ohne die Hilfe einer Zofe in das Kleid gelangen sollte. Denn das Mieder konnte sie beim besten Willen nicht alleine anlegen, und ohne dieses einschnürende Kleidungsstück war es unmöglich, das Kleid zuzuknöpfen. Ein Zoll Taillenumfang mehr oder weniger machte da schon eine Menge aus. Und ganz bestimmt würde sie nicht Shadac bitten, für sie das Mieder zu schnüren. Entweder würde er sich kategorisch weigern, was sie als beleidigend empfinden würde – und sehr herzlos und typisch Mann –, oder er zog die Bänder so stramm, dass Asmyn auf der Stelle ohnmächtig oder gar zweigeteilt zu Boden sinken würde! Nein, danke. Irgendwie schaffte sie das. Notfalls ließ sie das Kleid offen und trug den Kapuzenumhang des Glatzkopfs darüber.

Sie brauchte viel länger, als sie erwartet hatte, obwohl sie die Gegenwehr des starren Brokats in ihrer Schätzung berücksichtigt hatte. Und Shadac verharrte die ganze Zeit mit dem Rücken zu ihr und schien wirklich nur Augen für das Umfeld der Burg, den möglichen Abzug der Soldaten zu haben.

Asmyn war atemlos, verärgert und unangenehm verschwitzt, als sie sich endlich in den Mantel hüllen konnte und so gut angezogen war, wie das ohne Zofe nur möglich war.

Da endlich drehte der große Kerl sich um, als hätte er die ganze Zeit auf die unterschiedlichen Raschellaute von viel Stoff gelauscht. Kritisch und hart flog sein Blick über Asmyn, dann nickte er. »Einige haben die Burg verlassen. Ich habe nicht vor, hier Wurzeln zu schlagen. Außerdem lagern meine Vorräte bei meinem Lastentier. Ich bin dafür, die Festung zu verlassen.«

»Und wenn noch Soldaten hier sind?« Ihr Herzschlag beschleunigte sich wieder einmal, aber Asmyn stellte verwirrt fest, nicht wirklich Angst zu haben. Es kam ihr fast wie Vorfreude vor. Und als Shadac mit langen Schritten zu ihr kam, konnte sie das auch wirklich begreifen. Der Krieger hatte sich über Nacht offenbar vollständig von seinem Magieschlag erholt. Seinen Bewegungen konnte sie nicht ansehen, dass er vor wenigen Stunden von Ladungen reiner Gaben zu Boden geknüppelt worden war und so viel Magie in drei Angriffe geschleudert hatte, wie Cosmon mit viel Glück, Windeln und tagelanger Bettruhe in einem Jahr hätte aufbringen können. Es musste an der Jugend – relativen Jugend, korrigierte sie sich, denn Shadac war deutlich älter als sie, wenngleich seine verschlossene Miene und das harte Gesicht es schwer machten, sein Alter tatsächlich einzuschätzen – und Kraft liegen, um die Erklärung zu bieten, wie er das so rasch weggesteckt hatte.

Sie wollte dies so bald wie möglich in den beiden Büchern nachlesen, die sie erst vor Kurzem aus Cosmons Bibliothek entnommen hatte. Vielleicht ergänzten die unterschiedlichen Magiearten sich ja auch? Nein, das erschien Asmyn unsinnig. Sie waren allesamt hungrig nach menschlicher Kraft. Vereint sollten sie einen Anwender sogar noch stärker auszehren.

»Du kommst auch voll bekleidet das Regal alleine hinab, nicht wahr? Ich möchte gerne vorgehen und das Zimmer sichern, bevor du zu mir aufschließt.«

Asmyn nickte und wäre gerne vertraulich ein wenig dichter gerückt. Shadac wirkte so beruhigend massiv, dass ein bisschen Nähe ihr gutgetan hätte, denn ihr graute davor, wie viele der feindlichen Soldaten noch in der Festung sein mochten.

»Gut.« Mit einem Mal hielt er eine kleine, bösartig glitzernde Axt. Eine Lederschlaufe lag um sein Handgelenk. Das ernste Gesicht wurde noch eine Spur verschlossener. Die angespannten Kiefermuskeln konnte Asmyn dank des sehr gepflegten Barts gut erkennen. Passte das zu einem Krieger, dass an seinem Vollbart jedes Haar akkurat geschnitten war?

Bevor sie sich mit dem Gedanken weiter beschäftigen konnte, riss Shadac die Luke auf, beugte sich kurz vor, um sich einen Überblick zu verschaffen, und sprang dann mit den Füßen voran hinab, wobei er sich mit der freien Hand noch kurz am Rahmen des Aufstiegslochs sicherte. Seine Landung auf der obersten Galerie geschah beinahe lautlos, und dann flog er auch schon die Wendeltreppe hinab.

Asmyn rollte kurz mit den Augen, atmete tief durch und kletterte dann erheblich langsamer und nicht annähernd so mühelos auf die Galerie, umklammerte den Riemen der Tasche und hastete die Stufen hinab und hinter Shadac her. Es war schlicht und ergreifend ungerecht, dass ein so schwerer Kerl so leise sein konnte. Und dass er so viel längere Beine besaß als Asmyn. Sie würde neben ihm herlaufen müssen, um Schritt zu halten! Eine Mischung aus Gehen, Hopsen und Rennen, und ganz gewiss würde sie Seitenstechen bekommen – und er das nicht einmal merken!

Sie schloss zu ihm auf, als er ihr einen knappen Wink gab. Asmyn hob das Kinn, als sie bei Shadac angelangt war. Er sollte sich bitte nicht einbilden, dass sie wie ein Hündchen antrabte, nur weil er das befahl.

Der saphirblaue Blick schien sie durchbohren zu wollen. »So leise wie möglich, Asmyn. Bleib schräg links hinter mir. Ich brauche Platz für die Axt, falls ich auf Widerstand stoße. Ich will dich nicht verletzen oder von oben bis unten mit Blut vollspritzen.«

»Ich habe in einem Lazarett geholfen, die Verwundeten zu pflegen«, sagte sie prompt und nicht ganz wahrheitsgetreu. Sie hatte zusammen mit ihrer Mutter Lebensmittel und Leinen im Magazin abgegeben, und dann war Asmyn alleine an vier Betten vorbeimarschiert und hatte den Soldaten ermutigend zugelächelt, während der Gestank nach Blut, Eiter und ungewaschenen Körpern ihr die Kehle zugeschnürt hatte. »Ich ertrage den Anblick von Blut.«

»Gut«, antwortete er nur und setzte sich erneut so unverschämt leichtfüßig in Bewegung, ohne sich auch nur durch einen Blick zu vergewissern, dass Asmyn mit ihm Schritt halten konnte.

Am Rand des großen Portals verharrte der Krieger einen Augenblick, schien angespannt mit allen Sinnen zu lauschen, und Asmyn nutzte diese Zeit aus, noch ein Buch vom Boden aufzuklauben und in ihre nunmehr nicht mehr überfüllte Tasche zu stopfen und deren Verschluss zuzuschnallen. Aufgeregt kam sie dann Shadac nach, hielt sich gehorsam links hinter ihm und hastete hinterher, als er die Treppe nach unten in Angriff nahm. Die Tasche war nun viel zu schwer. Aber Shadac hatte von einem Lastentier gesprochen. Hoffentlich stand es nicht zu weit weg. Asmyn geriet schon jetzt außer Atem.

Er hob die Hand, und sofort rückte Asmyn dichter an die Spindel der Treppe und verwuchs nahezu mit dem Stein, während ihr Herz aufgeregt hämmerte. Fast bekam sie Angst, das laute Schlagen könnte eventuelle Gegner vorwarnen.

Shadac glitt die letzten Stufen geduckt hinab. Noch einmal funkelte die Axt böse, und Asmyn fragte sich, ob dem Krieger überhaupt bewusst war, dass die Gaben sehr viel schneller auf Gegner reagieren würden, als er das mit der Axt und einem Angriff zu Fuß vermochte.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Was, wenn er wieder so maßlos übertrieb und hier im Treppenturm – weit fort von irgendeinem Versteck – erneut zusammenbrach? Aber sie konnte ihm jetzt keine Warnung mehr zurufen, denn nun vernahm auch Asmyn die Geräusche ein halbes Stockwerk tiefer.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752138139
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Romantic Fantasy Fantasy High Fantasy Romance Fantasy Romance Heroic Fantasy Episch

Autor

  • Tanja Rast (Autor:in)

Geboren 1968 als echte Kieler Sprotte im nördlichsten Bundesland, wohne ich mit vielen Tieren auf dem Land. Nun habe ich neben meinen bisherigen und zukünftigen Verlagsveröffentlichungen das Abenteuer Selfpublishing für mich entdeckt. Ich schreibe Fantasy in allen möglichen Richtungen: Urban, Geistergeschichten, Gay Romance und Heroic Romance („Schmachten & Schlachten“, wie ich dieses Subgenre mit einem Augenzwinkern nenne) und noch viel mehr.
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Titel: Shadac