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Der Moorbauer

Zwei Mystery-Erzählungen

von Walter Brunhuber (Autor:in)
26 Seiten

Zusammenfassung

Die Mystery-Geschichte 'Der Moorbauer' greift einen fiktiven Bericht des Naturforsches Samuel Éclaire auf. Er hört wähend der Erkundung eines Moores von einer alten Legende und will ihr auf den Grund gehen. Es kommt zu einer unheimlichen Begegnung mit Folgen ... Ein Landstreicher richtet sich zur Nacht in einem verlassenen Bauernhaus ein. Doch etwas stimmt nicht. Mit dem Haus. Und auch nicht mit dem Mann ....

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Erste Erzählung

Über dem Moor / segelt einsam der Mond mit umwölktem Gesicht / in dem Moor / triefen alle Büsche von grauem Licht.
Kurt Mikoleit *1874 + 1911

DER MOORBAUER

Ein Bericht von Samuel Éclaire

Éclaire, Samuel.

Naturforscher. Universitätsprofessor in Strassburg und München.

* 1802 in Berlin + vermutlich 1868

Vorwort des Herausgebers

Dieser Bericht stammt aus dem Nachlass des deutsch-französischen Botanikers Samuel Éclaire. Éclaire hat ihn, anders als in seiner Niederschrift angedeutet, wohl nie veröffentlicht, aus welchen Gründen auch immer. Leider hat Samuel Éclaire nirgends vermerkt, um welches Moor es sich bei seinen Schilderungen handelt, so dass die Forschung hier auf Vermutungen angewiesen ist. Der Bericht wurde seinerzeit in weiten Teilen auf Deutsch, in manchen Teilen aber auch auf Französisch niedergeschrieben. Bei den Teilen, die ins Deutsche übersetzt werden mussten, habe ich mich darum bemüht, eine sprachliche Einheit zu den auf deutsch verfassten Textstellen zu bewahren.

Die Zeichnung im Anhang ist das einzige von Éclaire erhaltene Porträt. Sie entstand, wenn man einer Notiz auf der Rückseite Glauben schenken darf, im Jahr 1852.

W. B.

Der Moorbauer - eine seltsame Begegnung.

Es widerstrebte mir bislang, die folgende Geschichte zu Papier zu bringen. Mein Ansehen als Wissenschaftler ließ mich davon Abstand nehmen. Nun aber, auf dem letzten, schmalen Pfad meines Lebens, hat sich dieses Ansehen aufgrund meiner geleisteten Arbeit soweit gefestigt, daß es mir erlaubt sein dürfte, davon zu berichten. So möchte ich diese lange Jahre zurückliegende Geschichte dem interessierten Leser also nicht länger vorenthalten, zumal sie ein köstlicher Beleg gegen die heute wieder aufkommende Meinung ist, in der Welt gäbe es Dinge und Vorkommnisse, die sich der Wissenschaft und dem Verstande gänzlich entzögen.

Ich habe in jungen Jahren, als ich mir die ersten Sporen auf dem Gebiete der Botanik zu verdienen suchte, mehrere Wochen in einem abgelegenen Dorf zugebracht, das sich am Rande einer ausgedehnten Moorlandschaft befindet. An dieser Landschaft läßt sich sehr anschaulich der Übergang vom Bruchmoor zum Hochmoor studieren, da es sich um ein zu einem nicht geringen Teil noch schwer begehbares, morastreiches Gebiet handelt, an dem sich jedoch bereits Verlandungen herausgebildet haben, die den für das Hochmoor bekannten Bewuchs aufweisen. Zur Beruhigung aller botanisch nicht versierten Leser möchte ich anmerken, dass ich im weiteren Verlauf meines Berichtes nur so weit auf meine wissenschaftliche Arbeit eingehen werde, als dieses nötig ist. Um es kurz zu machen: Ziel meines Aufenthaltes war es die Tier- und Pflanzenwelt einer derartigen Landschaft zu studieren. Für die Dauer meiner Forschungen hatte ich mich auf einem Bauernhof eingemietet, der von zwei alten Leuten bewirtschaftet wurde. Den Mietzins für mein Zimmer konnten die Eheleute wohl gebrauchen. Die Arbeit auf dem Hof, so beschwerlich sie war, konnte die beiden kaum ernähren. Hinzu kam, daß sie, aus welchem Grunde auch immer, keine Kinder hatten, die sie auf ihre alten Tage hätten stützen können. Die Mahlzeiten waren den Umständen entsprechend karg. Die Bäuerin erwies sich jedoch als ausgezeichnete Köchin. Sie gab sich die allergrößte Mühe, so daß für mein leibliches Wohl trotz der Verhältnisse trefflich gesorgt war.

Mein Zimmer unter dem Dach des alten, bäuerlichen Wohnhauses war sehr bald angefüllt mit gepreßten Pflanzen und aufgespießten Insekten, die genauestens beschrieben und nummeriert werden mußten, um sie vor der Vergänglichkeit zu bewahren und der wissenschaftlichen Auswertung zugänglich zu machen. Ich war fest entschlossen, diesen trostlosen Flecken unserer Erde erst wieder zu verlassen, wenn ich ihm einen Teil seiner botanischen Geheimnisse entrissen hatte. Ich war damals sehr jung und ehrgeizig. Mein Ziel war es, bewaffnet mit dicken Büchern und feinen Nadeln bis ins Innerste der Welt vorzudringen. Wenn ich heute auch ahne, welche gewaltige Last sich die Wissenschaft mit solch hohen Zielen aufbürdet, so ist es doch die scheinbar unmögliche Herausforderung, die letztlich die wichtigste Antriebsfeder des Wissenschaftlers, ja des Menschen überhaupt darstellt. Nur so konnte es von Jahrhundert zu Jahrhundert gelingen, der Natur ihre Geheimnisse abzutrotzen. Mein Glaube an die Überlegenheit des wissenschaftlich denkenden Menschen wurde jedoch während der folgenden Ereignisse auf die kindlichste Art und Weise erschüttert. Vorübergehend dünkte mir sogar, daß mir das Licht der Wissenschaft an diesem düsteren Ort zwar so manchen Einblick gewähren konnte, die dunkelsten Abgründe des Lebens - oder sollte ich besser sagen des Todes - mir aber verborgen bleiben würden. Die aufgespießten Insekten mit ihren kleinen starren Füßchen und den matten Flügeln schienen mir gar (zum ersten und zum einzigen Mal in meinem Leben), im Zuge der bald eintretenden Ereignisse, nur der sichtbare und somit der kleinste Teil unserer Welt zu sein. Ich will meiner Geschichte nicht vorgreifen, aber ich möchte dem Leser versichern, daß schon bald nach meiner Abreise das Fieber des Aberglaubens nachließ und mein Geist wieder zur gewohnten Klarheit zurückfand.

Zunächst durchstreifte ich also einige Wochen lang die umliegenden Wiesen und Moore, auf der Suche nach neuen, nicht katalogisierten und beschriebenen Pflanzen und Kleintieren. Im nahegelegenen Dorf war ich zu jener Zeit ein bekannter und gerne gesehener Gast in der Schankwirtschaft. Ich saß dort häufig an einem großen Tisch, der nur für mich zur Verfügung stand, meine neuesten Funde ausgebreitet vor mir. Manchmal vergaß ich gar das Essen über das Interesse an dem einen oder anderen Gegenstand meiner Forschung. Die anderen Gäste mußten mich für einen Sonderling gehalten haben, der mit einem Vergrößerungsglas, mit Stift und Papier bewaffnet all den Gräsern und Käfern zu Leibe rückte, über die sie achtlos hinwegschritten.

Nun kannte ich die weitläufige Gegend um das Dorf bald sehr gut, trotzdem geschah es eines Abends, daß mich die Dämmerung im Moor überraschte. Hätte ich an jenem Abend geahnt, welch merkwürdige Ereignisse bald über mich hereinstürzen würden, ich hätte zeitiger den Rückweg angetreten, mich dadurch vielleicht aber auch um eine wichtige Erfahrung gebracht. Unsere Schwachstellen befinden sich häufig dort, wo wir sie am allerwenigsten vermuten, und es schadet keinem von uns, sie frühzeitig in seinem Leben aufzuspüren, um sie geduldig bearbeiten und ausbessern zu können.

Meine Forscherneugierde hatte mich länger als üblich im Moor festgehalten. Die Dämmerung brach herein, hinzu kam, daß die karge Landschaft mit dicken Nebelschwaden durchsetzt war, die sich dichter und dichter werdend um mich zu schließen begannen. Ich verschloß meine Trommel, in die ich ein seltenes, eben aufgespürtes Moos gelegt hatte und machte mich auf den Heimweg. Auch diese Gegend kannte ich bereits durch meine ausgedehnten Streifzüge, so daß ich mir bis dahin keine großen Gedanken über den Rückweg gemacht hatte. Bald schon mußte ich allerdings feststellen, daß der dichte Nebel und die bizarren Schatten der Bäume mich in die Irre führten. Natürlich wußte ich um die Gefahren, die in solche einer Gegend lauerten. Jeder unbedacht eingeschlagene Weg konnte mich in den Tod führen. Je häufiger ich also feststellen mußte, die falsche Richtung eingeschlagen zu haben, desto drängender schob sich mir die Angst in die Brust. Es dauerte nicht lange und ich fühlte mich umgeben von einer lauernden, feindlichen Natur, die mich in meiner Einsamkeit als ihr Opfer betrachtete.

Die Gestalt kam direkt aus dem Nebel auf mich zu. Sie bewegte sich wie ein aufrecht gehendes, ziellos herumirrendes Tier. Würde er mir heute noch einmal begegnen, ich wüßte wohl, worauf ich zu achten hätte, um dieser dummen Geschichte von Anfang an auf den Grund zu gehen. So aber wurde ich von den Ereignissen überrascht. Der Mann trug alte, verwitterte Kleidung, die ich unwillkürlich dem bäuerlichen Stande zuordnete. Er schien etwas zu suchen, wandte sich einmal in diese und einmal in jene Richtung, wobei mir auffiel, daß er mit dem linken Fuß nur vorsichtig auftrat.

Meine Situation war nicht die angenehmste, deshalb war ich glücklich, in dieser Ödnis einer anderen Menschenseele zu begegnen, einem Einheimischen, der mir möglicherweise den Weg zurück auf den Hof meiner Gastgeber weisen konnte. Ich rief nach der wankenden Gestalt, aber sie schien mich nicht zu hören, auch konnte sie mich nicht sehen, denn sie hatte den Blick unablässig auf den Boden gerichtet. Ich eilte zu ihr, aus Angst, sie aus den Augen zu verlieren. Erst als ich dem Fremden näher kam und ihn bat, mir einen Weg aus dem Moor zu zeigen, wanderte sein irrer Blick über mein Gesicht. Ich erschrak. Sein Antlitz war knochig und schmal und, ebenso wie seine Kleidung, mit Morast bedeckt. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem hohlwangigen Schädel das Aussehen eines mit dunkler Haut überzogenen Totenkopfes. Schon glitt sein Blick zurück auf den Boden und er murmelte ein mir unverständliches Wort, das er mehrmals wiederholte, dann wankte er weiter.

Ich war überzeugt davon, einem armen Menschen begegnet zu sein, dessen Geist verwirrt war. Ich wollte ihm nacheilen, um ihn nicht seinem Schicksal zu überlassen, aber er taumelte so kopflos über den morastigen Boden, daß ich fürchtete, mit ihm zu versinken, wenn ich ihm folgte. Er verlor sich im Nebel und in der Dunkelheit, die sich wie ein schwarzes Tuch über das Moorland zu legen begann. Ich war gezwungen, meinen Weg alleine zu suchen. Nach etwa zwei Stunden lichteten sich die Nebelschleier und ich begann, mich nach den spärlich sichtbaren Sternen zu orientieren, eine Kunst, die mich mein Vater lehrte, und die mich schon aus mancher mißlichen Lage befreit hat.

Müde, mit morastigen Schuhen und schmutzigen Beinkleidern, gelangte ich zurück auf den kleinen Bauernhof, der mir wie eine rettende Insel im schwachen Licht des Mondes erschien. Die alten Bauersleute hatten mich schon vermißt und eine Kerze ins Fenster gestellt, die mir auf wunderliche Art den Weg hätte weisen sollen. Ich lächelte ein wenig über diese rührende Geste, bedankte mich aber bei den beiden für ihr Mitgefühl, das sicherlich nicht nur meinem Geldbeutel galt.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739464800
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Moor Jenseits Romantik Historische Erzählungen Mystery Moorleichen Geistergeschichte Wissenschaft Krimi Thriller Spannung Horror

Autor

  • Walter Brunhuber (Autor:in)

Walter Brunhuber hat Theaterwissenschaft, Publizistik und Philosophie studiert und war als Regie- und Dramaturgieassistent tätig. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich aber auch in einer Reihe anderer Berufe. Der Autor schreibt seit vielen Jahren Theaterstücke, sowie Erzählungen und Romane. Eines seiner Stücke wurde für den Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik nominiert.
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Titel: Der Moorbauer