Am dritten Januar nahm alles seinen Anfang. Ich saß meinem Chef Bruno Hesselbach in seinem Büro gegenüber. Er war Gründungsmitglied der Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Hesselbach & Associates und zeigte auf den nagelneuen Ring an meinem Finger. »Was haben wir denn da?«
Verlegen nestelte ich an der Perle. »Henning hat mir einen Antrag gemacht«, erwiderte ich und betrachtete das hübsche Schmuckstück, wie ich es in den letzten Tagen oft getan hatte. Die Goldschmiedin, bei der Henning den Ring hatte anfertigen lassen, hatte die zartschimmernde Kostbarkeit in einen Knoten eingebunden, als läge sie in einem Nest. Ich hatte das Stück sofort geliebt und zu Hennings Antrag an Silvester »Ja« gesagt. Zwar verlor man als Fachanwältin für Familienrecht manchmal den Glauben an die immerwährende Liebe. Aber vielleicht ging die Sache zwischen mir und meinem Verlobten ja gut. Bestimmt sogar.
Hesselbach zog bewundernd die Augenbrauen hoch. »Sehr schönes Stück. Wie lange kennen Henning und Sie sich jetzt eigentlich? Zwei Jahre? Seit wir zusammen bowlen waren, oder?«
Ich bejahte. Mein Zukünftiger und ich hatten uns auf einem kanzleiübergreifenden Event kennengelernt. Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick gewesen, weil Henning sich ein bisschen zu sehr angestrengt hatte, mir zu gefallen. Aber gleichzeitig genoss ich sein Werben. Er war zuvorkommend und aufmerksam – das wünscht man sich doch von einem Mann. Henning war immer pünktlich und zuverlässig, außerdem auch noch ziemlich ordentlich und obendrein klug … ich konnte mir keinen besseren Partner an meiner Seite wünschen. Abgesehen davon war ja auch gar kein anderer in Sicht.
»Wo soll die Hochzeit stattfinden?«, bohrte Hesselbach weiter. »Auf dem Römer?«
»Das stellt Henning sich wohl so vor«, stimmte ich zu. »Ich hab mir darüber ehrlich gesagt noch nicht viele Gedanken gemacht.«
Zwar hatte ich als Kind einen konkreten Traum gehegt, aber das war lange her. Ich war jetzt vierunddreißig, da erwartete man nicht mehr, dass sich Kindheitsträume erfüllten. Und eine Hochzeit von Henning und mir auf dem Hörnumer Leuchtturm war auch irgendwie abwegig.
Hesselbachs Miene wurde ernst. »Sie sind aber nicht schwanger, oder?«
Mir entfuhr ein ungläubiges Schnauben. Das durfte er als mein Chef mich gar nicht fragen. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich bleibe Ihnen noch lange erhalten«, antwortete ich sachlich. »Ich will hier ja noch viel erreichen.«
Erwartungsvoll sah ich Hesselbach an. Er hatte mich zum sogenannten Jahresendgespräch zu sich gerufen, obwohl das neue Jahr schon angebrochen war. Aber zwischen den Jahren hatten wir nicht mehr die Zeit dazu gefunden.
Hesselbach faltete die Hände auf dem Schreibtisch. »Das trifft sich gut, denn ich wollte Ihnen eigentlich ein Angebot machen.«
Gespannt setzte ich mich auf. Dachte an Henning, der in seiner Kanzlei vor nicht allzu langer Zeit zum Senior-Anwalt befördert worden war. Würde ich ab heute auch diesen Titel tragen? Bei uns nannte es sich Senior-Associate, Hesselbach hatte ein paar Semester in den USA studiert und die amerikanischen Bezeichnungen für seine Kanzlei übernommen.
»Aber jetzt habe ich es mir anders überlegt«, fuhr mein Chef fort.
»Oh?«
»Sie haben mir doch erzählt, dass Henning auf eine Partnerschaft bei Bachmann & Partner aus ist.«
Schweigend sah ich Hesselbach an. Das stimmte. Mein Verlobter hatte sich als Fachanwalt im Unternehmensrecht bewährt, und die Zeit war seiner Meinung nach reif für diesen ultimativen Karrieresprung. Worauf wollte Hesselbach jetzt hinaus?
»Bevor er Sie uns vor der Nase weg engagiert – als Partner könnte er Ihnen ja ohne Probleme ein Angebot unterbreiten – biete ich Ihnen eine Vollpartnerschaft in unserer Kanzlei an.«
Mir blieb der Mund offenstehen. Die Führungsriege von Hesselbach & Associates war durchweg männlich. Meines Wissens war noch nie eine Frau für eine Partnerschaft im Gespräch gewesen. Und auch kein Kollege hatte bisher den Sprung vom Junior Associate in die Partnerriege geschafft. Zuerst musste man sich als Senior ein paar Jahre bewiesen haben.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, stammelte ich verblüfft.
Hesselbach nickte mir aufmunternd zu. »Überlegen Sie es sich einfach in Ruhe. Denken Sie, eine Woche Bedenkzeit wäre genug?«
Ich krächzte eine Zustimmung, und bald verabschiedeten wir uns. Auf dem Weg zurück in mein Büro machte sich ein Kribbeln wie von einer Armee Ameisen auf meinen Armen breit. Wenn ich das Henning erzählte, er würde … er würde … Mit einem Mal war mein Mund trocken, ein leises Zittern erfasste mich. Das war so eine ungeliebte Marotte von mir: Sobald mich etwas verunsicherte, gab mein Körper dieses Echo. Unwillkürlich musste ich an die Scheidungssache denken, die ich kürzlich verhandelt hatte. Der Mann hatte es nicht ertragen können, dass seine Frau beruflich erfolgreicher war als er. Sie hatte von ihm erwartet, dass er sich im Haushalt und mit den Kindern mehr einbrachte, weil sie geschäftlich viel unterwegs war. Und obwohl seine Stelle das zugelassen hätte, war diese Rollenverteilung für ihn undenkbar. Zuerst betrog er seine Frau mit seiner Assistentin, dann reichte er die Scheidung ein. Wegen unüberbrückbarer Differenzen.
Mit weichen Knien ließ ich mich in meinem Zimmer auf den Schreibtischstuhl fallen. Bei Henning und mir würde das natürlich vollkommen anders werden, beruhigte ich mich. Vielleicht würde es kurz an ihm nagen, dass man mir vor ihm diesen Karriereschritt angeboten hatte. Aber er war Manns genug, das nicht persönlich zu nehmen. Ich würde ihm etwas von einer Frauenquote erzählen und ihm sagen, dass er diesen Posten genauso verdient hätte wie ich. Zwar flüsterte etwas in mir, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen und dieses tolle Angebot einfach gebührend feiern sollte – so würde ich es auch jeder Mandantin raten. Aber die gelebte Praxis sah selbst im Alltag einer gewieften Anwältin anders aus. Ich wollte nicht, dass mein Freund sich klein fühlte. Wir beide lebten seit einem halben Jahr zusammen. Henning war zu mir in die Jugendstilwohnung im Frankfurter Westend gezogen, die meinem Vater gehörte. Mein Freund hatte lediglich sein schwarzes Ledersofa, die Ruderbank und einen Satz geschliffene Whiskygläser mitgebracht. Wir führten ein gleichberechtigtes Leben und versuchten liebevoll, dem anderen zu gefallen. Am Wochenende kaufte Henning, der eigentlich überzeugter Fleischesser war, mir zuliebe auch viel Gemüse und Rohkost ein. Abends aßen wir oft Salat, weil ich so spät nichts Schweres mehr zu mir nehmen wollte; das Grünzeug knabberten wir dann vor dem Fernseher, wo wir uns über die Angelegenheiten aus dem Büro unterhielten. Dabei waren wir nicht immer einer Meinung, hörten uns aber die Ansicht des anderen mit offenen Ohren an. Beispielsweise beschäftigte Henning eine Assistentin, eine junge alleinerziehende Mutter, die er nach meinem Empfinden nicht ganz fair behandelte. Er vertrat die Auffassung, man sollte auf private Umstände als Chef keine Rücksicht nehmen müssen, doch da war ich anderer Meinung. In Wahrheit waren Mütter besonders leistungsfähig, weil sie obendrein ihren Alltag mit den Kids organisieren und strukturieren mussten. Also hatte er ihr nach gutem Zureden einen Home-Office-Arbeitsplatz für den Notfall eingerichtet. Umgekehrt war Henning der perfekte Gesprächspartner, wenn es darum ging, in einem Verfahren das Beste für meine meist weiblichen Mandantinnen herauszuholen. Wir ergänzten uns perfekt.
Dennoch blieb das mulmige Gefühl in meiner Brust, als ich mich von der Kanzlei auf den Nachhauseweg begab. Wie würde Henning die Neuigkeit auffassen? Oder konnte ich hoffen, dass er demnächst auch am Ziel seiner Wünsche ankommen würde? Sein Jahresendgespräch stand nämlich auch noch aus.
Im Hausflur fischte ich aus dem Briefkasten einen cremefarbenen Umschlag, in dessen oberer linker Ecke die Zeichnung einer fliegenden Möwe zu sehen war. Darunter der geschwungene Schriftzug »Grüße von Sylt«. Meine Adresse war in einer fast kindlich anmutenden Schreibschrift geschrieben, die ich sofort erkannte. Sie stammte von Inga.
»Wow«, murmelte ich und öffnete noch im Hausflur den Falz. Wie lange hatten Inga und ich schon nichts voneinander gehört? Ich überlegte. Ziemlich genau zwölf Jahre. In jenem Sommer, als ich das letzte Mal die Ferien bei meinem Großvater auf Sylt verbracht hatte – bevor sich dort die Ereignisse überschlugen – hatte ich sie Lars vorgestellt, meiner damaligen heimlichen großen Liebe. Ich hatte meine Hamburger Freundin mitgenommen, weil sie sich gerade frisch von ihrem Freund getrennt hatte. Sie brauchte dringend eine Ablenkung. Die bekam sie dann auch.
»Du bist also der berühmte Herzensbrecher«, hatte Inga zu Lars gesagt und ihn dabei so frech angegrinst, dass er sich auf der Stelle in sie verguckte. Ich stand daneben und konnte nicht fassen, was sich da vor meinen Augen abspielte. Zum einen, weil sie verraten hatte, dass ich ihn als Herzensbrecher sah. Zum anderen, weil ihm damit doch klar sein musste, dass er auch meines gebrochen hatte. Und zwar unentwegt aufs Neue, wenn er mir im Laufe der Jahre, während aus uns Kindern Erwachsene geworden waren, bei meinen Besuchen auf der Insel eine Eroberung nach der anderen vorstellte.
Als wir jünger gewesen waren, hatte Lars mir sogar heimlich einen Karteikasten gezeigt, in dem er auf Kärtchen über seine neuen Flammen Buch führte. So kam er nicht durcheinander – weder bei den Kosenamen, die er sich für sie ausdachte, noch bei ihrem Sternzeichen oder den Eckpfeilern ihrer persönlichen Geschichte.
Klopfenden Herzens klappte ich die Karte auf, die mit den Worten »Hochzeitseinladung« tituliert war.
Inga Lürsen und Lars Benning trauen sich!
Am Freitag, dem 1. Mai um 11 Uhr geben sie sich auf dem Hörnumer Leuchtturm das Ja-Wort. Die anschließende Feier findet in der ›Windrose‹ statt.
Und du, liebe Sandra, bist herzlich eingeladen. Gern mit Begleitung!
Ich wendete die Einladung auf der Suche nach persönlichen Zeilen, doch da waren keine. Langsam ließ ich die Karte sinken.
Dass Lars sich eines Tages auf jemanden festlegen würde, hätte ich nie erwartet. Nicht zu fassen, dass Inga und er immer noch ein Paar waren und nun sogar heiraten wollten. Ich gab es nicht gerne zu, aber diese Tatsache versetzte mir einen Stich. Also war er doch ruhiger geworden. Und ausgerechnet bei Inga geblieben, die auch kein Kind von Traurigkeit gewesen war.
Als jüngere Kinder, bevor mein Herz jedes Mal aus dem Takt geriet, wenn ich ihn sah, waren Lars und ich beste Ferienfreunde gewesen. Ole, der drei Jahre jüngere Nachbarsjunge meiner Großeltern, war damals auch oft dabei. Wir hatten Verstecken und Fangen gespielt, waren zusammen schwimmen gegangen, und eines Tages hatte Lars die Idee, auf dem Hörnumer Leuchtturm mit Ringen aus Kaugummipapier in luftiger Höhe Oles und meine Trauung zu inszenieren. Er selbst spielte den Standesbeamten, und ich hatte mir insgeheim nichts mehr gewünscht, als dass er auf dem Bänkchen neben mir gesessen hätte. Und nicht Ole, der immerhin einen ganzen Kopf kleiner war als ich.
Ich musste Inga zugutehalten, dass sie nicht ahnte, wie sehr ich in Lars verliebt gewesen war und wie oft ich davon geträumt hatte, er und ich könnten uns dort oben eines Tages tatsächlich das Ja-Wort geben.
Welche Gedanken waren ihm wohl durch den Kopf gegangen, als er mich auf die Einladungsliste setzte? Wahrscheinlich lautete die bittere Wahrheit: gar keine.
Die Tatsache, dass Lars und Inga noch immer ein Paar waren, hätte mich nicht so sehr treffen dürfen. Meine damalige Liebe zu ihm war doch nichts als die Schwärmerei eines kleinen Mädchens gewesen. Obendrein hätten wir nie eine Chance gehabt – ich hatte in Hamburg Jura studiert, während Lars in das Szene-Lokal seines Vaters einsteigen sollte. Inga, die Touristik studiert hatte, passte viel besser zu ihm. Aber nur einmal angenommen, ich hätte Lars Inga niemals vorgestellt. Wäre meine Zukunft anders verlaufen? Hätte ich meinem Schwarm eines Tages meine Liebe gestanden? Und wenn ich es getan hätte und aus uns ein Paar geworden wäre, so wie ich es mir immer erträumt hatte – wären wir noch immer zusammen? Würde ich ein aufregenderes Leben führen als jetzt? Zugegeben, mein Alltag war von morgens bis abends durchgetaktet. Von In-den-Tag-hineinleben konnte nicht die Rede sein. Innerlich tippte ich mir an die Stirn. Es war doch alles perfekt, so wie es war. Ich liebte meinen Beruf und mein Leben in Frankfurt. Selbst Lars’ Vater hatte immer gesagt, ich sei so brav und rechtschaffen, dass es ihm schon fast unheimlich wäre.
Seufzend stopfte ich die Karte zurück in den Umschlag und verstaute ihn in meiner Handtasche. Ich hatte mit den beiden abgeschlossen, genauso wie mit Sylt. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen hielten mich seit zwölf Jahren fern. Für diese waren längst nicht nur Inga und Lars verantwortlich. Ganz andere schreckliche Ereignisse hatten meine gesamte Familie ins Chaos gestürzt. Auch meine Eltern hatten seither keinen Fuß mehr auf die Insel gesetzt. Abgesehen davon hatten sie sich bald danach scheiden lassen. Ich schüttelte die Gedanken daran ab und stieg beklommen die ausgetretenen Holzstufen des Treppenhauses zu meiner Wohnung nach oben. Sagte mir, dass ich mich besser auf Henning freuen sollte, statt über Vergangenes zu grübeln. Mein Freund hatte mir eine Nachricht gesendet, er sei schon daheim und warte auf mich. Seit seinem Antrag an Silvester vor drei Tagen wirkte er noch verliebter.
Verstohlen betrachtete ich wieder den Ring an meinem Finger. Henning hatte damit so sehr meinen Geschmack getroffen. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, während ich die letzten Stufen zu unserer Wohnung nahm.
Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte ich von drinnen Musik von Sade. Ich grinste in mich hinein. Manchmal hatte ich meinen Freund in Verdacht, dass er sich auf einschlägigen Onlineportalen darüber informierte, was Frauen gerne mochten. Oft entzündete er Kerzen und spielte gedämpfte Musik, mal gab es spicy Essen oder Eis mit heißen Himbeeren, das wir dann genüsslich auf der Zunge zergehen ließen. Einen Kamin hatte die Wohnung nicht, sonst hätte Henning bestimmt ein Schaffell davor ausgebreitet, um sich mit mir darauf zu aalen. Er war so süß. Wie hatte ich glauben können, dass er vielleicht an meinem Erfolg in der Kanzlei zu knabbern haben würde? Ich würde es ihm gleich einfach feierlich verkünden, und wir würden mit einem Sekt darauf anstoßen.
In der Diele schaltete ich das Licht ein, legte meine Jacke ab und zog die Stiefel aus, folgte dann dem Besteck-Geklapper, das aus der Küche drang. Und da stand er schon. Henning trug die schwarze Schürze mit dem Emblem eines Starkochs, bei dem wir vor Weihnachten einen Kochkurs besucht hatten, und summte vor sich hin. Der Tisch war festlich gedeckt. Es gab eine große Schüssel Salat mit gebratenem Rindfleisch, Granatapfelkernen und Quinoa. Dazu einen edlen Riesling.
Wenn mein Freund mir nicht bereits einen Antrag gemacht hätte – hier und heute hätte ich mir einen gewünscht. Nur wir beide, ohne dieses Getöse aus Böllern und Raketen an Silvester um uns herum.
»Gibt es was zu feiern?«, sagte ich doppeldeutig und trat erwartungsvoll hinter ihn. War ihm heute auch die Partnerschaft in der Kanzlei angeboten worden? Würde sein großer Traum, seinen Namen auf den Briefbögen und im Impressum bei Bachmann & Partner zu lesen, endlich wahr werden?
Henning wandte sich zu mir um und sah mich ergriffen an. »Das gibt es«, beantwortete er meine Frage. »Nämlich, dass ich dich habe. Dass du zu mir stehst, egal, was passiert. Das macht mich unendlich glücklich.«
Ich blinzelte überwältigt und schlang meine Arme um ihn. »Aber das ist doch klar. Wir sind doch zusammen.«
Henning führte mich an den gedeckten Tisch. »Setz dich«, bat er. Dann nahm er mir gegenüber Platz und legte beide Hände in den Schoss wie ein Mädchen an einer Geburtstagstafel. Er schaute mich ebenso schüchtern an, als würde er sich nicht trauen, mit einer Nachricht herauszurücken.
»Hat Bachmann dich heute gefragt wegen der Partnerschaft?«, platzte ich heraus. »Und du wirst nicht glauben, was Hesselbach für Neuigkeiten für mich hatte!«
Hennings Augen weiteten sich. »Was denn?«
»Du zuerst. Jetzt sag schon!«
Mein Freund kratzte sich am Kopf. »Es wird nichts aus der Beteiligung. Leider. Es wurde ein anderer nominiert. Alsfeld.«
Erschrocken fasste ich nach seinen Händen. »Aber du warst doch im Gespräch! Ich wusste nicht mal, dass es andere Anwärter gab.«
Hennings Lippen bildeten eine gerade Linie. »Ich auch nicht. Und ich war ja auch unter den Favoriten. Aber dann … wollten sie eben doch einen anderen.« Er entzog mir seine Finger und griff nach dem Besteck. »Lass uns essen, bevor es kalt wird.«
Meine Gedanken flogen. »Bekommst du Probleme mit der Anwaltskammer? Hast du irgendwelche Mandantengelder zu spät angewiesen?«
Henning schüttelte den Kopf. »Unsinn. Vergiss es einfach. Ich will da sowieso nicht mehr bleiben.« Er atmete tief durch. »Daher dachte ich, wir beide überlegen mal zusammen, ob ich nicht bei euch anfange. Und irgendwann gehöre ich dann eben bei euch zum Partnerkreis. Könnte doch gut sein. Ich weiß, dass Hesselbach viel von mir hält.«
Verlegen suchte ich nach Worten. Selbst wenn das so wäre – zunächst wäre ich als Partnerin seine Vorgesetzte. Wie sollte ich ihm das jetzt bloß beibringen? Mein Mund wurde wieder staubtrocken, ich trank einen Schluck Wasser.
»Aber du hast doch laufende Verfahren«, argumentierte ich gegen seinen Einfall und stellte das Glas wieder ab. »Wer soll die denn betreuen? Du kannst doch auf die Schnelle nicht alles an deine Kollegen übertragen.«
Henning griff nach der Flasche Weißwein und goss uns beiden ein. Dann stieß er mit seinem Glas gegen meines. »Klar, das geht alles. Was soll’s. Sind wir in Zukunft eben beide Associates bei Hesselbach. Im Grunde ist das doch ideal. Und durch unsere verschiedenen Spezialgebiete kommen wir uns auch nicht in die Quere.«
Wortlos trank ich einen Schluck und ließ den gut gekühlten Wein meine Kehle hinabrinnen. Dann stellte ich das Glas wieder ab und griff nach dem Besteck. Lächelte Henning verhalten zu. Spätestens jetzt wäre der Moment gewesen, meinem Verlobten von Hesselbachs Angebot zu erzählen. Doch ich ließ ihn verstreichen. Wie hätte ich so grausam sein können? Also deutete ich ein zaghaftes Nicken an und steckte mir ein Salatblatt in den Mund, begann zu kauen.
Zum Glück schien Henning auch vergessen zu haben, dass ich Neuigkeiten hatte, denn er hakte nicht mehr nach. Stattdessen streichelte er über meine Hand. »Danke für dein Verständnis, Liebling.« Feierlich hob er noch einmal das Glas. »Ich bin so froh, dass ich dich habe.«