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INSELtürkis

Liebesroman

von Stina Jensen (Autor:in)
240 Seiten
Reihe: INSELfarben-Reihe, Band 6

Zusammenfassung

Ein Roman, prickelnd wie ein Badeausflug im Mondschein.

Sommer, Sonne, sorgenfrei - genau so hat Schottin Terry sich ihr Leben immer vorgestellt. Sardinien mit seinem türkisblauen Meer und der italienischen Wärme soll ihr neues Zuhause werden. Doch schon nach kurzer Zeit verliert sie ihre Anstellung in einem Luxushotel und steht unversehens auf der Straße. Nur gut, dass der Hotelgast und gefeierte Rockstar Josh ihr einen Platz in seiner Suite und die Hälfte seines Bettes anbietet. Bald macht er ihr schöne Augen. Und dann ist da noch der umwerfende Sarde Toni, der sie seit ihrer Überfahrt auf die Insel umwirbt. Doch seine echt italienische Mamma hat ganz andere Pläne mit ihm. Für Terry beginnt ein Abenteuer zwischen Rockstarleben und Dolce Vita. Und leise, ganz leise, meldet sich bei ihr Herzklopfen. Doch bei welchem der beiden Männer wird sich Terrys Herz wirklich zu Hause fühlen?

Leserwarnung: "Dieser Roman kann akutes Fernweh verursachen!"

Die Romane der INSELfarben- und GIPFELfarben-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Die chronologische Reihenfolge der Romane: Inselblau (Svea, Langeoog und Mallorca), Inselgrün (Wiebke, Irland), Inselgelb (Claire, Island), Inselpink (Ida, Mallorca), Inselgold (Amanda, Rügen), Gipfelblau (Annika, Zermatt), Gipfelgold (Mona, Bad Gastein), Gipfelrot (Valerie, Schottland), Inseltürkis (Terry, Sardinien), Inselrot (Sandra, Sylt), Gipfelpink (Susa, Teneriffa), Inselhimmelblau (Svea, Langeoog), Gipfelglühen (Sebastian, Allgäu)

Außerdem: »Plätzchen, Tee und Winterwünsche«, »Misteln, Schnee und Winterwunder«, »Sterne, Zimt und Winterträume«, »Muscheln, Gold und Winterglück«, »Vanille, Punsch und Winterzauber«, »Mondschein, Flan und Winterherzen«, »Engel, Blues und Winterfunkeln«, »Sommertraum mit Happy End«, »Stürmisch verliebt«

Spannung und Gefühl vor bedrückender Küstenkulisse. Die Levke-Sönkamp-Reihe – Privatermittlerin mit stolperndem Herzen: Möwentrauer, Möwenschuld, Möwenzorn

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Erstausgabe: Juni 2019

© Stina Jensen

Robert-Bosch-Straße 48

61184 Karben

info@stina-jensen.de

www.stina-jensen.de

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Verfasserin urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werkes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten zu existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Lektorat und Korrektorat: Ricarda Oertel www.lektorat-oertel.de

Covergestaltung © Traumstoff Buchdesign by Claudia Toman

Covermotive © Elizaveta Galitckaia shutterstock.com

Das gesamte Programm von Stina Jensen findest du hier.

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Das Buch

Sommer, Sonne, sorgenfrei – genau so hat Schottin Terry sich ihr Leben auf Sardinien vorgestellt!

Die Mittelmeerinsel mit ihrem türkisblauen Meer und der italienischen Wärme soll ihr neues Zuhause werden. Doch schon nach kurzer Zeit verliert sie ihren Job in einem Luxushotel und steht unversehens auf der Straße.

Nur gut, dass der Hotelgast und gefeierte Rockstar Josh ihr anbietet, in seiner Suite zu wohnen. Und auch Sarde Toni macht Terry schöne Augen.

Für Terry beginnt ein Abenteuer zwischen Rockstarleben und Dolce Vita. Und leise, ganz leise, meldet sich bei Terry Herzklopfen. Doch bei welchem der beiden Männer wird sich ihr Herz wirklich zu Hause fühlen?

Ein Roman, prickelnd wie ein Badeausflug im Mondschein.

Vorwort

Liebe Leserin und lieber Leser,

in meinen Buchreihen werden öfter Nebenfiguren eines vorherigen Romans in einer nächsten Geschichte zur Hauptfigur. Die ganze Sache hat ein gewisses Eigenleben entwickelt, sodass diese Figuren sich nicht zwangsläufig in ihrer eigenen Reihe bewegen, sondern auch in anderen auftauchen. Bisher habe ich nur positive Stimmen darüber gehört, ich hoffe, auch du magst es, meinen Figuren zu folgen. Ehrlich gesagt habe ich wenig Einfluss darauf, wann sie sich bei mir melden und ihre Geschichte erzählen wollen.

Terry, die in diesem Roman die Hauptrolle hat, spielte eine Nebenrolle in GIPFELrot, dessen Schauplatz in den schottischen Highlands liegt. Mehr Vorwissen brauchst du aber nicht, denn wie alle anderen Romane kann auch dieser völlig unabhängig gelesen werden.

Teilweise komme ich beim Schreiben nicht darum herum, die örtlichen Gegebenheiten den Erfordernissen der Handlung anzupassen. Der Campingplatz auf Sardinien ist frei erfunden, genauso wie die Figuren.

Ich wünsche viel Freude mit Terrys Geschichte!

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1

Terry?«

Matts vertraute Stimme schallte durchs Treppenhaus unseres Guesthouses zu mir nach oben.

»Was ist denn?«, rief ich und betrachtete auf dem Computerbildschirm das pathetischste Bewerbungsschreiben, das die Welt je gesehen hatte. Von mir selbst verfasst. Ich wollte nämlich fort von hier. So schnell wie möglich.

Im mittleren Stockwerk bewohnte ich zwei Räume. In einem davon stand mein persönlicher Computer auf einem Schreibtisch am Fenster, das hinaus zu unserem Garten zeigte. Dahinter begann der Wald. Manchmal tauchten im Unterholz Hirsche auf, die sich gelegentlich bis in unsere Küche wagten, um sich einen Apfel aus der Obstschale zu stibitzen. Ein Idyll, und trotzdem sehnte ich mich ganz weit weg.

»Ich hab Mist gebaut!«, bekam ich zur Antwort. Matts Stimme troff vor Bedauern.

O je. Was war denn passiert? Aber immerhin klang es nicht so, als ginge es um Leben und Tod.

»Gib mir noch ein paar Minuten, ja?«, bat ich, und las mir noch einmal durch, was ich da Verrücktes in nicht einmal fünf Minuten spontan hinuntergeschrieben hatte. Frei von der Leber weg, wohl mehr für mich selbst als für irgendjemand anderen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Theresa Bragg, ich bin zweiunddreißig Jahre alt und völlig verzweifelt. Es ist nämlich das Schlimmste eingetroffen, was jemals hätte geschehen können: Matt KcKenzie, der Mann meiner verstorbenen Schwester Brianna, hat sich verliebt. Natürlich sollte ich mich für ihn freuen, doch leider hält sich die Freude in Grenzen, denn in Wahrheit habe ich mir seit dem Tod meiner Schwester nichts sehnlicher gewünscht, als dass er sich in mich verlieben würde. Obwohl ich noch ein Kind war, als er Brianna kennenlernte, war er vom ersten Moment an der Mann meiner Träume.

Ich muss dazu sagen, dass er und ich gemeinsam ein Guesthouse in Pitlochry betreiben. Der Ort liegt am Fuße der Grampian Mountains und ist ein begehrtes Reiseziel für Touristen auf ihrem Weg in die Highlands. Und genau dorthin lud er die Frau ein, in die er sich bei einem Besuch in Edinburgh verliebt hat. In dem Moment, in dem ich Valerie sah, wusste ich, dass ich Matt für immer verloren hatte.

Und nun wende ich mich also an Sie. In den vergangenen Jahren habe ich zusammen mit Matt das Guesthouse geleitet. Ich liebe es, Gästen den bestmöglichsten Aufenthalt in unserem wunderschönen Schottland zu gewähren. Doch jetzt muss ich fort, ich halte es nicht mehr aus, meinen Schwager tagtäglich zu sehen. Und seine neue Liebe Valerie Müller, die bald für immer zu uns kommen wird.

Vielleicht sagt Ihnen ihr Name etwas: Sie wollte demnächst bei Ihnen anfangen. Doch nachdem sie Matt getroffen hatte, hat sie ihre Pläne geändert.

Und da komme ich ins Spiel: Könnte ich bitte die Stelle von Valerie Müller haben? Ich würde alles dafür tun, hier wegzukommen.

Mit verzweifelten Grüßen

Terry Bragg

O mein Gott, dachte ich kopfschüttelnd. Kein Mensch würde ernsthaft ein solches Bewerbungsschreiben abschicken. Auch nicht, wenn es noch so sehr den Tatsachen entsprach. Das Ganze klang wie ein verzweifelter Tagebucheintrag und brachte nur zum Ausdruck, dass ich am Limit war.

Ich schloss das Dateifenster und öffnete ein neues. Also noch einmal. Sachlicher. Professioneller.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Theresa Bragg, ich leite seit fast sieben Jahren mit meinem Geschäftspartner Matt McKenzie ein Guesthouse am Fuße der schottischen Highlands. Unser Haus verfügt über acht Zimmer. Wir bieten Frühstück an, dazu organisieren wir Wanderungen zu abgeschiedenen Gipfeln und Lochs sowie Ausflüge nach Edinburgh und Glasgow. Unsere Gäste geben uns durchschnittlich 4,7-Sterne-Bewertungen. Besonders loben sie den freundlichen Service und die Sauberkeit.

Ich habe Touristik studiert und liebe den Umgang mit den verschiedensten Charakteren. Es ist mir eine Freude, den Menschen einen bestmöglichen Aufenthalt zu bieten. Ich arbeite hart und wäre ab sofort einsetzbar. Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie mich für die ausgeschriebene Stelle der Rezeptionistin in Betracht ziehen würden.

Mit freundlichen Grüßen

Theresa Bragg

Ja, so klang es viel besser.

In diesem Moment rief Matt wieder nach mir, und ich schloss auch dieses Dateifenster. Dann eilte ich die Treppe hinab.

Als ich die Küche betrat, fand ich Matt hinter der Kochinsel vor. Verzweifelt breitete er die Hände aus und schenkte mir dieses herzzerreißende Lächeln, das mich schon als Kind umgehauen hatte. Er deutete auf den Kuchen vor ihm auf der Anrichte. Oder sollte ich besser »Kuchenhaufen« sagen?

»Ach, Matt«, murmelte ich und umrundete die Kochinsel, sah mir die Bescherung an.

Ich hatte das Backwerk – einen Zitronenkuchen, den unsere Gäste besonders schätzten – kopfüber auf ein Backofengitter gestellt, damit der Teig abkühlen konnte und sich besser aus der Form lösen ließ. Danach wollte ich ihn mit einer Glasur aus Puderzucker und Zitronensaft verzieren. Doch dazu würde es nicht kommen. Offenbar war Matt zu ungeduldig gewesen. Die obere Kuchenhälfte lag auf dem Rost, der Rest klebte in der Form.

Es war kurz vor zwei, unsere Gäste würden gegen vier zur Teatime von ihren Ausflügen zurückkehren. Bis dahin konnte ich keinen Ersatz backen.

»Sorry, das wollte ich nicht«, sagte Matt zerknirscht.

»Halb so wild«, winkte ich ab. »Zum Glück hab ich noch welchen in der Gefriertruhe.«

Mit diesen Worten öffnete ich den Kühlschrank, zog einen perfekt geformten Kuchen aus dem Gefrierfach. Es war immer gut, für unangemeldete Gäste etwas zur Hand zu haben. Der Ofen strahlte noch Hitze aus, darin konnte er auftauen.

»Und das Missgeschick«, sagte ich verschmitzt, »genehmigen wir uns selbst.«

Matt knibbelte ein Stück des warmen Teigs vom Rost und steckte ihn sich in den Mund. Kauend antwortete er: »Was würde ich nur ohne dich machen?«

Ich ließ mir die Traurigkeit, die diese rhetorische Frage in mir hervorrief, nicht anmerken. Matt wusste ja, dass ich Pitlochry schon bald verlassen wollte. Und das, wenn möglich, noch bevor Valerie aus Deutschland zurückkehren würde, die dort die letzten Vorbereitungen dafür traf, hier meinen Platz einzunehmen.

Und nun blieb meine einzige Hoffnung, ihre ursprünglich zugesagte Stelle bei der Boutique-Hotelkette übernehmen zu können. Seit Valeries Abreise sprachen Matt und mein achtzehnjähriger Neffe Jamie über nichts anderes mehr als ihre Rückkehr. Ganz so, als hätten sie mich bereits abgeschrieben.

Matt war sein Fauxpas ebenfalls aufgefallen. Er hauchte ein »Sorry« und strich mir über den Arm. Es war nicht so, dass er mich loswerden wollte, damit hätte ich ihm Unrecht getan. Im Gegenteil, er hätte sich gewünscht, dass ich mit Valerie gemeinsam das Guesthouse leite.

Wenn Matt mich beschrieb, sagte er meist, dass ich die treueste Seele sei, die er kenne. Und die zuverlässigste. Man könne auch sagen, ich sei überkorrekt. Das kann man als Kompliment sehen, aber womöglich war es genau der Grund, warum aus uns nie etwas wurde. Vielleicht ist eine solche Frau nicht attraktiv.

Meist bemerke ich die Nöte anderer, bevor sie sie selbst wahrnehmen. Ich bin vorausschauend und fürsorglich. Zu lieb vielleicht. Und auch, wenn ich mich über eine Person ärgere, lasse ich es mir nur selten anmerken. Meist denke ich, dass es bestimmt einen guten Grund dafür gibt, wenn jemand nicht besonders nett ist. Eine komplizierte Kindheit vielleicht oder ein Problem, das an ihm nagt.

Valerie dagegen ist ein Mensch, der die Dinge leichter nimmt als ich. Trotzdem war die Vorstellung, mit ihr gemeinsam im Guesthouse zu arbeiten, unerträglich für mich. Sie würde morgens zu mir kommen, nach Matt riechen, vielleicht von ihm erzählen. Ich würde sie immer als Paar um mich herum haben. Dieser Situation konnte ich mich nicht ausliefern.

»Entschuldige mich bitte eine Minute«, bat ich Matt und eilte die Treppe zurück nach oben in mein Zimmer. Ich verfasste eine kurze Email mit Hinweis auf die Bewerbungsunterlagen im Anhang, klickte mich durch zu den Dateientwürfen, hängte außerdem meinen Lebenslauf und eine Kopie meines Masters in Touristik an und drückte auf »Senden«.

2

DREI WOCHEN SPÄTER

Der Blick über das offene blaue Meer nahm mir den Atem. Mein Samtkleid flatterte im Fahrtwind der Fähre, die seichte Brise streichelte meine Haut, und der würzige Salzgeschmack der aufspritzenden Gischt kitzelte meine Lippen. Unwillkürlich musste ich lächeln.

Es war alles so schnell gegangen. Nur achtundvierzig Stunden nach meiner Bewerbung hatte ich einen Anruf von der Personalabteilung der Konzernleitung erhalten. Eine weitere Woche danach flatterten die Vertragsunterlagen ins Haus. Und jetzt, zehn Tage später, war ich nach einem Zwischenstopp in Pisa, wo ich die Nacht verbracht hatte, schon auf diesem Schiff. Mein Ziel: Sardinien. Welch unfassbares Glück ich hatte!

Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, und fühlte mich wie Kate Winslet auf der Titanic – nur, dass kein Leonardo di Caprio in meinem Rücken mit mir um die Wette strahlte.

Dennoch erschien mir diese Überfahrt von Livorno nach Olbia auf Sardinien wie ein glücklicher Traum. Als Kind hatte ich immer gedacht, ich würde eines Tages die ganze Welt bereisen. Mir all die Länder und Landstriche ansehen, die dieser Planet zu bieten hatte. Aus diesem Grund hatte ich später Tourismus studiert, weil ich glaubte, das würde mir Türen öffnen. Doch irgendwann hatte ich diesen Wunsch wieder vergessen und war in Pitlochry geblieben. Weil ich meinen Traum verdrängte und stattdessen nach Brianna’s Tod ihre Stelle im Guesthouse einnahm, um Matt zu helfen und ihm auch bei der Betreuung von Jamie zur Seite zu stehen.

Seit Wochen, und insbesondere seit meiner Abfahrt, kam mir alles unwirklich vor. Mein altes Leben, das ich zweiunddreißig Jahre lang geführt hatte, lag hinter mir. Die unglückliche Liebe zu Matt, die Verantwortung für das Guesthouse: Vergangenheit.

Ich hatte mir vorgenommen, ganz neue Seiten von mir kennenzulernen. Jeder Mensch hatte doch verschiedene Facetten. Von mir kannte ich noch nicht besonders viele.

Mein Magen knurrte leise, und ich wandte mich vom Geländer ab. Vielleicht holte ich mir doch eines von den nicht besonders ansprechend aussehenden Sandwiches aus der Bordkantine. Und ein Kaffee würde vielleicht die Müdigkeit vertreiben, die mir nach der unruhigen Nacht in einem Hotelbett noch immer zu schaffen machte. Unter Deck hatte ich zwar eine ganze Weile auf einem der halbwegs bequemen Liegestühle geschlafen, doch so richtig wach war ich noch immer nicht.

Ich reihte mich in die kurze Schlange der Wartenden ein und bemerkte an einem Tisch in der Ecke einen jungen Mann mit karamellfarbenen kurzen Korkenzieherlocken und grau-blauen Augen. Er sah mich auffordernd an, als hätte ich ihm irgendetwas signalisiert, und schnell schaute ich wieder weg. Ich glaubte ihn vorhin schon einmal im Gespräch mit einer anderen Reisenden gesehen zu haben.

»Was wünschen Sie?«, fragte die Frau hinter der Schiffstheke, als ich an der Reihe war.

Ich zeigte auf eines der Sandwiches, zwischen dessen Scheiben traurig ein welkes Salatblatt und eine angetrocknete Lage Käse hervorlugten. »Das hier. Und einen Kaffee bitte. Schwarz.«

Die Frau platzierte beides auf einem Tablett, und ich bezahlte. Dann umrundete ich mit meiner Fracht die Theke und balancierte alles in Richtung eines freien Tisches. Genau genommen war der einzige freie Tisch der neben dem Mann mit dem gelockten Schopf.

»Das sieht aber nicht besonders appetitlich aus«, bemerkte er mit Blick auf meinen Einkauf. Sein Englisch hatte einen italienischen Akzent.

Wahrscheinlich hatte er gehört, dass ich Englisch sprach, oder man sah mir die Britin schon von weitem an mit meiner hellen Haut.

Jetzt hielt er mir die Hand hin. »Ich bin Toni. Toni Fortunato. Piacere di conoscerti. Schön, dich kennenzulernen.«

»Terry«, sagte ich und schüttelte die Hand, griff dann nach meinem Sandwich und biss hinein. Puh, dachte ich kauend. Das Ding war staubtrocken. Und mein Kaffee noch viel zu heiß, um damit nachzuspülen.

Mein Tischnachbar musterte mich amüsiert. Verlegen sah ich fort und schaute aus dem Fenster. Eben tauchten die Umrisse einer Insel am Horizont auf.

»Sieht das nicht schön aus?«, fragte er. »Ich liebe diesen Anblick einfach.«

Ich wandte den Kopf und musterte ihn. Offenbar war ihm wirklich nach einer Unterhaltung.

Noch immer kauend, deutete ich mit dem Kinn zur Insel und schluckte endlich den trockenen Brocken in meinem Mund hinunter. »Fährst du denn öfter mit dieser Fähre?«

»Alle paar Monate«, erwiderte er. »Ich bin in Sardegna geboren. Inzwischen lebe und arbeite ich aber in Florenz.« Er lächelte. »Und bevor du fragst: Ich arbeite für einen Finanzdienstleister und helfe reichen Leuten dabei, noch reicher zu werden.«

Ich kräuselte die Nase. »Klingt doch interessant.«

Sollte ich ihm auch erzählen, was ich beruflich machte? Lieber nicht. Denn dann hätte ich ausholen müssen, und die Sprache wäre vielleicht auf Matt gekommen.

»Du siehst gar nicht italienisch aus«, merkte ich an.

Er nickte. »Ein Teil meiner Familie stammt aus Norditalien, und da gibt es noch ein paar mehr, die so aussehen wie ich.«

Ein waschechter Sarde also. Sprach Touristinnen bei der Überfahrt an. Ich lächelte in mich hinein. Die Italiener hatten nicht umsonst ihren Ruf als Verführer weg.

»Reist du allein?«, fragte er jetzt und sah sich suchend um. »Ich habe noch niemanden in deiner Nähe gesehen.«

Ich schmunzelte. Er hatte mich also beobachtet. Wäre er nicht so charmant gewesen, hätte ich sein Verhalten vielleicht als plumpe Anmache gewertet. Aber ich konnte nicht leugnen, dass es mir schmeichelte.

In den letzten Jahren war ich nicht besonders empfänglich für die Annäherungsversuche des anderen Geschlechts gewesen, da mein Herz Matt gehörte. Meine Flirt-Fähigkeiten steckten also noch in den Kinderschuhen.

»Ist das so?«, fragte ich lächelnd und hoffte, dass es nicht so verkrampft klang, wie ich mich fühlte. Würde dieser Toni es als Einladung verstehen, wenn ich ihm rundheraus sagte, dass ich tatsächlich ohne Begleitung hier war?

Ich nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Instantkaffee.

Toni Fortunato lachte. »Dieses Gebräu ist eine Schande für mein Land, nicht wahr?«

Ich nickte und zeigte auf das Sandwich. »Das hier genauso.«

Wir sahen uns amüsiert an. Es war wirklich das schlechteste Essen, das man Reisenden auf einem Schiffstrip vorsetzen konnte. Vor Toni auf dem Tisch stand ein leeres Bierglas. Er war schlauer gewesen als ich.

Der Mann hatte erstaunlich lange Wimpern. Sie waren so entzückend gebogen, als hätte er mit einer Wimpernzange nachgeholfen. Schnell sah ich wieder fort, blickte ratlos auf mein Tablett. Nein. So groß konnten mein Hunger und mein Durst gar nicht sein.

Wieder sah ich zum Fenster. Die Umrisse der Insel vor dem Fenster wurden größer. Ich hatte Lust, es den anderen Passagieren gleich zu tun und wieder an Deck zu gehen.

Toni Fortunato schien meine Gedanken lesen zu können. »Wollen wir nach oben gehen? Du bist doch zum ersten Mal hier? Es ist eine schöne Einfahrt in den Hafen.«

Ich nickte und nahm mein Tablett, stellte es in eine der Ablagen und folgte dem Italiener nach oben.

Er winkte mich zu einer freien Stelle an der Reling, dann sah er mich verlegen an. »Entschuldige die Frage, aber du stammst aus Irland, oder?«

»Schottland«, korrigierte ich. »Aber uns trennt von den Iren ja nur eine kurze Überfahrt mit der Fähre.« Ich wies über die See hinweg. »Ungefähr so nah wie Korsika und Sardinien beieinanderliegen. Und dort spricht man ja sogar völlig unterschiedliche Sprachen.«

Toni sah übers Meer, dann kramte er in seiner Gesäßtasche nach einem Portemonnaie, zog eine Visitenkarte hervor.

»Falls du gerne mal richtig gut sardisch essen gehen möchtest, melde dich bei mir. Meine Mutter betreibt ein Restaurant, in dem mein Onkel kocht. Du musst unbedingt mal vorbeikommen. Lappige Sandwiches suchst du da vergeblich.« Er zwinkerte.

Ich nahm die Karte, murmelte lächelnd einen Dank und stopfte sie in meine Handtasche. So sympathisch er mir auch war, ich würde mich sicher nicht bei diesem Mann melden. Zum einen würde ich auf der neuen Arbeitsstelle genügend um die Ohren haben. Zum anderen war ich nicht auf eine flüchtige Bettgeschichte zum Einstand meiner Zeit auf Sardinien aus.

»Du besuchst also deine Familie?«, erkundigte ich mich.

Er nickte. »Meine Mutter hat Probleme mit einem Nachbarn und braucht meine moralische Unterstützung.« Er lachte und ballte eine Faust. »Oder auch die hier. Alberto, mein Onkel, ist dem Kerl jedenfalls nicht gewachsen.«

Toni sah nicht aus, als würde er das mit den Fäusten ernst meinen. Oder so, als hätte er sich schon jemals geschlagen. Aber er bediente mit dieser Geste ein so klassisches Klischee des feurigen Italieners aus Romeo und Julia, dass ich lachen musste. Dabei hatte es in dem Shakespeare-Drama Tote gegeben.

»Lach nicht«, sagte er prompt. »Die Sache ist verdammt ernst.«

Ich nickte ebenso ernsthaft, dann kündigte das Schiffshorn unsere Ankunft am Hafen von Olbia an. Zeit, meine Koffer zu holen, die ich bei der Aufbewahrung abgegeben hatte.

Toni half mir damit an Deck. Er selbst zog nur einen Handkoffer hinter sich her.

Die Zeit für den Abschied war gekommen. Er gab mir noch einmal die Hand und erinnerte mich an die Karte, die er mir gegeben hatte. »Melde dich gern! Ich würde mich freuen.« Dann winkte er mir zu. »Arrivederci!«

Bevor ich von Bord ging, schickte ich Matt ein paar Fotos, das hatte ich ihm versprochen.

Dann wollte ich ihn aber auch für den Rest des Tages vergessen. Mindestens.

3

Ein Shuttle brachte mich vom Fährhafen zum Hotel. Die Uniform des Fahrers sah aus wie ein Golfdress, doch das dunkelblaue Emblem der Hotelkette auf seinem hellblauen Poloshirt wies ihn als Angestellten des Laguna Blu aus. Die weißen Turnschuhe wirkten brandneu, genauso wie die helle Hose. Kein Wunder, hatte das Haus doch erst vor wenigen Wochen seine Pforten geöffnet.

Sorgfältig wie ich war, hatte ich mich in die Hotelphilosophie eingelesen. Die Zielgruppe, so verrieten es zumindest der Werbeslogan und die Bilder, waren wohlhabende junge Menschen, denen das Leben zu Füßen lag. Hier mischten sich internationale Stars unter das bunte Volk der Besserverdienenden. Alle, die sich für wichtig und schön hielten, sollten sich hier bestens aufgehoben fühlen. Man war unter sich.

In unser Guesthouse in Pitlochry waren Menschen gekommen, die vor allem an der wunderschönen Natur unseres Landes Interesse hatten und denen es egal war, wer wie viel verdiente und was der andere beruflich tat. Oder ob jemand berühmte oder wohlhabende Eltern hatte. Ich ahnte, dass das bei meinem neuen Arbeitgeber anders sein könnte. Allerdings hatte mich das in meinem Vorhaben, meine Heimat zu verlassen, nicht abschrecken können. Im Gegenteil – ich wollte ja neue Erfahrungen sammeln. Und Menschen treffen, denen ich in Pitlochry niemals begegnet wäre.

Der Weg über die Autostrada führte uns über eine felsige und steinige Landschaft, deren Bepflanzungen braun und ausgedörrt förmlich nach Wasser zu schreien schienen. Kilometerweit war kein Rinnsaal zu sehen, nur das Meer, das am Horizont mit dem diesigen Himmel verschwamm. Flirrende Luftspiegelungen hingen über der Straße. Das Ganze wirkte eher wie eine afrikanisch anmutende Hochebene als wie Italien. Sardinien hatte ich mir jedenfalls grüner vorgestellt. Was an dem farbigen Hochglanzprospekt des Hotels gelegen haben mochte, den die Personalabteilung meinen Vertragsunterlagen beigefügt hatte. Die Wiesen der Poolanlage hatten saftig grün ausgesehen. Fast so grün wie die hinter meinem Guesthouse.

Schließlich ging es wieder bergabwärts auf die Küste zu. Das Meer erschien blauer, am Horizont erkannte ich weißen Sandstrand. Je näher wir kamen, desto türkisfarbener wurde das Wasser. Bald bog der Fahrer in die Zufahrtsstraße zum Laguna Blu ein – ein aufwendig gestaltetes Werbeschild versprach Erholung pur. Als der flache Hotelkomplex in Sicht kam, hielt ich die Luft an. Wow. Inmitten der gepflegten Hotelanlage spannte sich eine Brücke über den ovalförmigen Pool. Der dreigeschossige Hotelbau fügte sich mit seinem hellen Stein perfekt in die Landschaft ein. Palmen säumten die Kieswege, die durch die Anlage in Richtung Meer führten. Am liebsten hätte ich als allererstes die Umgebung erkundet und meine Zehen ins Wasser gestreckt. Ich war noch nie am Mittelmeer gewesen. Es sah so einladend aus!

Vor dem Haupteingang kamen wir zum Stehen, und ein Mann in identischer Uniform wie die meines Fahrers öffnete mir die Beifahrertür. Ich nickte ihm dankbar zu und löste verstohlen den verschwitzten Stoff meines Samtkleides von meinem Rücken. Ich brauchte dringend eine Dusche. Und etwas zu trinken. Der Geschmack des Instantkaffees und des trockenen Sandwiches lagen mir noch immer auf der Zunge.

Während ich ausstieg, lud der Mann mein Gepäck aus und hievte die zwei Koffer auf einen Wagen. Mein Angebot, ihm zur Hand zu gehen, schlug er freundlich aus und bat mich dann, ihm zu folgen.

Durch eine Drehtür betraten wir die Lobby, und sofort umfing mich angenehme Kühle. Gleichzeitig blieb mir beim Anblick der Einrichtung der Mund offenstehen. Auf den Bildern im Internet und im Hochglanzprospekt hatte es schon beeindruckend exquisit ausgesehen. Doch das Original schlug alles. Die vorherrschenden Farben der Möbel waren Brombeere und Senfgelb. Die Böden waren mit Marmorplatten ausgelegt, die Beistelltische schimmerten in erstrahlendem Holz. Und die Metallgestelle der auf den Tischen verteilten Lampen glänzten in Bronze.

Ein leises Seufzen entwich meinen Lippen. »Wie hübsch«, murmelte ich.

Die Gäste, die es sich in den Sesseln und Sofas bequem gemacht hatten, sahen kultiviert aus. Man trank Kaffee, Softgetränke oder bunte Cocktails aus Longdrinkgläsern. Die Leute legten Wert auf gute Kleidung ohne Schnickschnack. Ich entspannte mich. Matt würde sie »gebildet, aber uneingebildet« nennen. Sie sahen umgänglich aus.

Ein dunkelblonder Mann, den ich auf etwa fünfzig Jahre schätzte, reckte mir die Hand entgegen. »Theresa Bragg?«

Sein Blick wanderte an meinem Samtkleid entlang. Samt war gewissermaßen mein Markenzeichen, doch für diese Gegend eindeutig zu warm.

Ich nickte ihm zu und schüttelte seine Hand. »Die bin ich.«

»Andrew Lewinski. Ich bin der Direktor. Wir haben miteinander gemailt.« Sein Akzent klang amerikanisch. »Toll, dass es so schnell geklappt hat.«

»Ja, das war überraschend!«, sagte ich.

»Nach diesem Anschreiben?« Er zwinkerte. »Da mussten wir Sie doch erlösen.«

Ich stutzte. Wie meinte er das? O nein. So dumm hatte ich doch wohl nicht sein können? Ich kämpfte gegen den Schweißausbruch an, der mich übermannen wollte, und schon fragte er: »Sie werden sich erst mal frisch machen wollen?«

Ich nickte dankbar. Wollte gar nicht darüber nachdenken, was mir da womöglich passiert war. Jetzt einfach ankommen und alles Vergangene hinter mir lassen. Auf dem Zimmer gab es bestimmt eine Flasche Wasser. Später würde es hoffentlich etwas Leckeres zu essen für mich geben. Unsere Gäste im Brianna’s versorgten wir immer als erstes mit einem Stück Kuchen. Wobei ich hier genau genommen kein Gast war. Aber ein Ankömmling.

Schon winkte Mr. Lewinski mich hinter sich her und gab dem Herrn, der mein Gepäck aufgeladen hatte, ein Zeichen, uns zu folgen.

Normalerweise wohnten die Hotelangestellten nicht im Hotel, sondern außerhalb. Ich würde mir bald etwas anderes suchen müssen.

Mein in Weiß und Blau gehaltenes Zimmer war klein, aber komfortabel. Ein breites Einzelbett, ein Schreibtisch, auf dem ich die ersehnte Flasche Wasser entdeckte, und ein Schrank. Das einzige Fenster zeigte auf eine Hofauffahrt mit Laderampe. Ein Lieferwagen parkte davor, jemand entlud mit einem Gabelstapler eine Palette Lebensmittel. Die Hydraulikgeräusche der Maschine schallten gedämpft zu uns herein.

Andrew Lewinski öffnete die Tür zu einem Duschbad. »Hier können Sie sich frischmachen. Wir sehen uns dann in einer halben Stunde an der Rezeption?« Jetzt deutete er auf eine Uniform unter einer Cellophanfolie an der Garderobe. »Und bitte in dieser. Die Größe müsste stimmen. An die Schuhe haben Sie gedacht?«

Unsicher nickte ich ihm zu. Hieß das, dass ich heute schon anfangen sollte? Eigentlich war morgen mein erster Tag. Die Frage nach dem Essen sparte ich mir lieber. Vielleicht gab es irgendwo etwas zu knabbern.

Eine halbe Stunde später stakste ich durch die Flure zurück in die Lobby. Ich trug einen senfgelben Glockenrock und eine enge weiße Bluse. Mein Haar hatte ich im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, auf meinem Haupt thronte ein violettes Barrett, das ich mit ein paar Klammern festgesteckt hatte, damit es mir nicht vom Kopf rutschte. Ich fühlte mich wie eine Stewardess und fieberte jetzt schon dem Moment entgegen, in dem ich aus diesen Kleidern wieder herauskommen würde. Wieso hatte mir niemand gesagt, dass ich so etwas würde tragen müssen? In unserem Email-Verkehr hatte Andrew Lewinski mich gebeten, mir ein paar violette Pumps zu besorgen – in Edinburgh war ich nach einem halben Tag Suche endlich fündig geworden. Es wäre ratsam gewesen, sie schon mal einzulaufen, damit ich mich daran gewöhnen würde, doch ich hatte mich in Pitlochry nicht dazu durchringen können. Meine Fahrlässigkeit rächte sich jetzt, schon auf dem kurzen Weg zur Lobby scheuerten die Schuhe an meinen Fersen.

Als Mr. Lewinski mich vom Counter aus erblickte, winkte er mich zu sich und stellte mich meinen neuen Kolleginnen vor.

Die eine war Lilly, ein deutsches Mädchen. Sie sah so jung aus, dass ich mich darüber wunderte, dass sie überhaupt schon arbeiten durfte. Die andere hieß Ardelle und stammte aus Frankreich.

Während unserer Begrüßung stießen die beiden sich kichernd in die Seite. Dann besannen sie sich und lächelten freundlich. »Hi, willkommen im Team«.

»Ihre Kolleginnen werden Ihnen alles zeigen«, erklärte mein Chef und zwinkerte den Frauen verschwörerisch zu. »Falls sie in ihren hübschen Köpfen nicht alles schon wieder vergessen haben.«

Mit diesen Worten ging er Richtung Drehtür, um Gäste zu begrüßen.

Überrascht sah ich ihm hinterher.

»Mach dir nichts draus, das ist so seine Art«, raunte Lilly mir zu. »Augen zu und durch.«

Ardelle strahlte mich an. »Ich zeig dir am besten alles, bis die Ersten vom Strand zurückkehren.«

Das Buchungssystem war kompliziert. Ich hatte im Guesthouse bisher über alle An- und Abreisen per Excel-Listen Buch geführt – bei acht Zimmern war das auch nicht weiter schwierig. Doch hier klickte Ardelle sich so lange durch die Bildschirm-Seiten, bis mir der Kopf schwirrte. Da gab es die verschiedenen Zimmerkategorien, dann die Rabatte über Drittanbieter, außerdem die hoteleigenen Preise, einmal mit Frühstück, einmal ohne, Standard, Doppel, Premium. Die Sonderwünsche der Kunden wurden ebenso erfasst wie Allergien. Dann gab es die Terminverwaltung für Wellnessanwendungen und für die Belegung der Tennisplätze. Alles wurde aufs Zimmer gebucht. Für jeden Vorgang gab es eine eigene Seite.

Selbstverständlich war ich fit im Umgang mit dem Computer. Ich war weder alt noch von gestern – auch wenn Ardelle mich nach einer Weile so ansah. Ich war einfach nur müde. Etliche Male überfiel mich ein herzhaftes Gähnen. Gleichzeitig knurrte mein Magen.

»Wann ist denn eure Schicht vorbei?«, fragte ich mit schmerzenden Füßen, nachdem erst zwei Stunden vergangen waren.

Lilly tätschelte mir den Arm. »Um sieben kommt der Nachtportier. Du hast nicht mehr lange.«

»Eigentlich fange ich ja morgen erst an«, raunte ich.

»Schon«, entgegnete Ardelle. »Aber das hier ist die Einarbeitung. Ab morgen früh muss doch alles laufen. Samstags ist Bettenwechsel.«

»Kann man denn hier irgendwo essen?«, fragte ich schnell. »Es gibt doch ein Restaurant?«

Ardelle kräuselte die Nase. »Da empfehle ich dir eher ein paar Nüsse aus der Minibar. Das Restaurant ist der Schwachpunkt des Hotels. Mr. Lewinski sucht verzweifelt nach einem guten Koch – bisher erfolglos.«

»Hoffentlich klappt es bald, denn in zwei Wochen kommen endlich meine Eltern zu Besuch«, verkündete Lilly. »Ich freu mich schon so.« Fragend sah sie mich an. »Werden deine auch mal hier vorbeischauen? Du kannst Andy fragen; wenn Zimmer frei sind, macht er dir einen Spezialpreis. Er ist gar nicht so verkehrt, auch, wenn er ein echter Sklaventreiber ist.«

»Nein«, entgegnete ich verhalten, »meine Eltern werden wohl eher nicht kommen.«

Lillys Augen weiteten sich angesichts meines traurigen Tonfalls. »Sind sie tot?«, flüsterte sie.

Ich schüttelte den Kopf. »Vor Jahren gab es einen dummen Streit, und seither haben wir keinen Kontakt mehr.« Ich wusste gar nicht, weshalb ich diesem Mädchen das erzählte. Normalerweise sprach ich mit niemandem darüber. Aber hier kannte mich keiner, und irgendwie kam es mir in diesem Moment leicht über die Lippen. Lillys mitleidiger Blick tat mir unverhofft gut.

»Ist schon in Ordnung«, sagte ich, »ich bin drüber weg.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit. Doch mit meinem Weggang aus Schottland hatte ich mich ein weiteres Stück von ihnen abgenabelt.

Lilly sah mich nachdenklich an, dann sagte sie: »Heute klappt es zwar nicht, aber vielleicht hast du Lust, morgen nach Dienstschluss mit mir und Ardelle ein bisschen weiter den Strand runter den Sonnenuntergang anzuschauen? Samstags treffen wir uns dort, gehen meist auch noch eine Runde baden.«

Ich nickte dankbar. Das klang doch schön. Heute Abend würde ich sowieso völlig erschöpft ins Bett sinken, das wusste ich jetzt schon.

Um kurz vor sieben kehrte Mr. Lewinski zurück an den Counter und sah meine Kolleginnen erwartungsvoll an. »Und?«, fragte er. »Wie macht sich unser Neuzugang?«

»Nicht übel«, antwortete Ardelle und nickte mir aufmunternd zu.

Sie hatte mir geraten, mir meine handschriftliche Liste über die verschiedenen Schritte beim Check-in vor dem Schlafengehen noch einmal ganz genau einzuprägen. Bisher war es mir nämlich nicht gelungen, den Prozess fehlerfrei abzuwickeln. Zum Glück verpetzte sie mich nicht.

Andrew Lewinski legte mir eine Hand auf den Arm. »Wie wäre es mit einer Kleinigkeit zu essen?«, fragte er. Sein warmer Pfefferminz-Atem streifte meine Wange.

»Das wäre wirklich toll«, stimmte ich erleichtert zu.

»Wunderbar«, antwortete er lächelnd. »Dann führe ich Sie aus. Es geht in ein landestypisches Restaurant in der Nähe.«

Natürlich überraschte es mich, dass wir nicht im Hotel essen würden – so schlecht konnte es hier doch gar nicht sein. Andererseits war es eine nette Geste. Und es klang verlockend, gleich mit den Spezialitäten des Landes in Berührung zu kommen.

»Er scheint einen Narren an dir gefressen zu haben«, bemerkte Ardelle, als wir uns bis zum nächsten Tag voneinander verabschiedeten.

Lilly nickte. »Uns hat er jedenfalls noch nie eingeladen.«

»Wahrscheinlich habe ich ihn so hungrig angeschaut, dass er gar nicht darum herum kam«, scherzte ich. Tatsächlich war mir nach meiner ersten spontanen Zusage dann doch ein wenig mulmig bei dem Gedanken an diese Verabredung geworden. Dabei hatten Matt und ich in Pitlochry oft ganze Abende mit unseren Gästen und Angestellten verbracht. Man war eine Familie. Aber mein Hunger vertrieb meine Bedenken. Und so erschien ich wenig später wie verabredet in der Lobby, wo Andrew Lewinski bereits auf mich wartete.

4

Sprechen Sie eigentlich italienisch?«, fragte ich meinen amerikanischen Chef auf unserem Weg nach draußen.

»Ein paar Brocken zumindest«, antwortete er. »Gerade, wenn man mit älteren Italienern zu tun hat, ist das von Vorteil. Aber die meisten sprechen doch ganz gut englisch, die Insel lebt ja vom Tourismus.«

Ein Fahrer des Hotels erwartete uns bereits und hielt zuerst mir, dann meinem neuen Chef eine der rückwärtigen Türen auf. Bald verließen wir das Gelände und bogen nach links auf die Hauptstraße ein. Auf unserem Weg erzählte mir Andrew, dass das Haus erst seit drei Monaten seine Pforten geöffnet hatte, und seitdem nahezu durchgehend ausgebucht war. »Nur das Restaurant nicht«, gab er bedauernd zu. »Aber daran wird sich hoffentlich bald etwas ändern.«

»Wovon ist das abhängig?«, fragte ich, als unser Fahrer schon wieder von der Hauptstraße ab und auf einen Schotterweg einbog. Überrascht sah ich auf. Waren wir schon am Ziel?

Ein Straßenschild wies auf einen Campingplatz mit dem Namen La Spiaggia hin. Der Strand. In Pitlochry hatte ich mir ein Wörterbuch zugelegt und einen Online-Kurs bis zum zweiten Level durchgearbeitet, um zumindest ein paar Basics zu erlernen.

Kurz darauf kam eine Holzhütte in Sicht, daneben ein heruntergelassener Schlagbaum mit Wimpeln, die die Besucher in verschiedenen Sprachen willkommen hießen. Auf dem Platz davor kurvte ein Kleinkind auf einem Bobbycar herum, der Vater lehnte an einem Pfosten und telefonierte. In der vor uns liegenden Straße hinter der Schranke fuhr eine Frau im Bikini auf einem Fahrrad.

»Von ein paar störrischen Sarden«, beantwortete Andrew Lewinski schließlich meine Frage und half mir aus dem Auto.

Mit dieser Antwort konnte ich zwar nicht allzu viel anfangen, aber es war ja auch nicht meine Sache. »Ist hier das Restaurant?«, erkundigte ich mich und sah dem abfahrenden Wagen hinterher. »Dieses kurze Stück über die Landstraße hätte man doch eigentlich laufen können«, bemerkte ich. Obwohl ich eigentlich sogar ganz dankbar für die kurze Fahrt mit dem Auto war. Sowohl die Blasen an meinen Füßen als auch mein Hunger schmerzten. Die letzte richtige Mahlzeit hatte ich gestern Abend zu mir genommen.

Andy schüttelte den Kopf. »Ich laufe doch nicht im Gänsemarsch die Straße entlang.«

Nun nahm er mich am Ellenbogen und führte mich zwischen Schlagbaum und Holzhütte hindurch aufs Campingplatzgelände. Von den mit Caravans und Zelten belegten Plätzen wehte köstlicher Grillgeruch zu uns herüber, und am liebsten hätte ich mich an einen der mit Campinggeschirr gedeckten Klapptische gesetzt. Doch glücklicherweise deutete mein Chef in diesem Moment auf ein Steinhaus vor uns, dessen gut besuchte Terrasse das Gebäude zur Hälfte umrundete und die man über ein paar Stufen erreichte.

Karierte Tischdecken und Wasserkaraffen strahlten Gemütlichkeit aus; ein Duft nach Pinienholz und Meer vermischte sich mit dem nach Tomaten, Kräutern und Knoblauch. Mein Magen knurrte schon wieder.

Überrascht nahm ich zur Kenntnis, dass Mr. Lewinski einen Tisch auf meinen und nicht auf seinen Namen reserviert hatte. Als ich ihn darauf ansprach, winkte er ab. »Eine reine Vorsichtsmaßnahme.«

Seine kryptische Antwort ließ ich lieber unkommentiert im Raum stehen. Er rückte mir einen Stuhl zurecht, und ich nahm Platz. Von dort aus hatte ich einen guten Überblick über die Terrasse mit zugehöriger Bar und den Campingplatz, dessen Zentrum das Restaurant bildete. Nebenan gab es einen kleinen Spielplatz mit einer Schaukel und einer Wippe. Ein blondgelocktes Mädchen in einer staubigen Windel leckte an einem Eis. Der Saft lief ihr die Finger hinab, und sie schleckte ihn genussvoll ab.

Ich lächelte meinem Chef zu. »Hier gibt es also landestypisches Essen? In einer Campingplatz-Pizzeria?«

Mein Vorgesetzter senkte beschwichtigend die Hände. »Lassen Sie sich überraschen.«

Andrew Lewinski erkundigte sich nach meinen Wein-Vorlieben und bestellte dann das Essen auf Italienisch.

Als der Barmann, der gleichzeitig der Kellner zu sein schien, die Getränke brachte, stießen wir miteinander an. »Ich bin übrigens Andy«, sagte er, und dann sprach er einen Toast aus: »Auf eine gute Zusammenarbeit.«

Unsere Gläser stießen klirrend aneinander, ich lächelte ihm schüchtern zu. »Terry«, sagte ich. Mein Chef erweckte bis auf ein paar Merkwürdigkeiten einen ganz netten Eindruck.

Der Kellner platzierte eine Platte köstlich aussehender Vorspeisen auf dem Tisch, und ich revidierte meine Skepsis, in einer Pizzeria zu sein. Geröstete Bruschette und verschiedene Aufstriche reihten sich aneinander. Grüne und schwarze Oliven in Kräutervinaigrette, gedünstete Auberginen, Champignons und Zucchini. Das frische Weißbrot knackte kross unter den Zähnen, als ich hineinbiss, und ich genoss jeden Bissen. Wann hatte ich zuletzt etwas so Leckeres gegessen? Dabei kochte ich selbst ganz gut. Doch der Geschmack dieser erntefrischen Zutaten schlug alles.

»Schmeckt es dir?«, fragte Andy, und ich verzog genießerisch den Mund. »Dann warte erst die Hauptspeise ab.«

Ich trank einen Schluck des kräftigen Rotweins und schwärmte: »Wie kommt es, dass sich so eine Perle auf einem Campingplatz findet? Und woher weißt du davon?«

Andy schürzte die Lippen. »Ich weiß davon, weil die Bewertungen unserer Hotelküche miserabel sind und die Gäste in ihren Rezensionen auf diesen Campingplatz als hervorragende Alternative hinweisen.« Er lächelte siegessicher. »Das wird sich aber bald ändern.« Nun deutete er mit dem Kinn auf einen Mann mit Kochmütze, der eben aus der Tür zur Küche trat und sich eine Zigarette anzündete. »Da ist auch schon das Ziel meines Besuchs.«

Aha, dachte ich. Anscheinend handelte es sich hierbei doch nicht nur um ein Begrüßungsabendessen. Verstohlen musterte ich den Koch. Der Mann hätte nicht italienischer aussehen können. Er war nicht besonders groß, hatte dunkle Augen, eine klassische Nase, dichte Augenbrauen und schwarze Locken, die unter seiner Kochmütze hervorlugten. Die weiße Kochjacke wies keinen einzigen Fleck auf. Als der Mann uns erblickte, kam er zielstrebig auf uns zu.

Ich hatte mir gerade ein Stück Bruschetta in den Mund geschoben und kaute daran. Andy erhob sich leicht und streckte dem Koch die Hand entgegen, doch dieser sah darüber hinweg, sodass Andy wieder in seinen Stuhl zurücksank. Der Mann sagte etwas in ruhigem Ton zu Andy. Ich verstand nur drei Wörter: Offerta non acceptare.

Fragend sah ich zu Andy.

Dieser legte den Kopf schräg, deutete mit einer ausladenden Geste auf mich und lächelte charmant. Ich sei seine neue Mitarbeiterin. »Molto carina, no?«

Pries er mich etwa an?

Der Mann musterte mich, während ich auf meinem Stuhl hin- und herrutschte, dann ging sein Blick zurück zu meinem Chef, der die Hände faltete und mit gespielt verzweifelter Miene auf ihn einredete. Der Italiener sah wieder zu mir, und ich grinste verlegen, deutete auf die leeren Vorspeisenteller vor uns, murmelte »Molto, molto bene« und hob einen Daumen.

Der Mann nickte verbissen, dann ging er davon.

Andy winkte ab. »Irgendwann habe ich ihn schon soweit«, sagte er. »Bei den anderen hat es ja auch geklappt.«

Bei den anderen? Wenn ich ehrlich war, mochte ich es nicht besonders, wenn Menschen in Rätseln sprachen. Leider gehörte ich aber auch nicht zu den Personen, die so lange nachhakten, bis sie alles begriffen hatten. Ich war nicht so rundheraus, eher diskret. Die Plauderei gegenüber Lilly bezüglich meiner Eltern war eine Ausnahme gewesen. Aber zwischen Andy und dem Koch musste es wohl um Jobangebote gehen. Genügend Andeutungen hatte mein Chef mir ja geliefert.

Inzwischen berichtete er mir davon, wie zufrieden sich die Gäste des Hotels – abgesehen von der Küche – in den Rezensionen äußerten. Das Laguna Blu landete immer wieder ganz oben auf der Liste der Top-Unterkünfte auf Sardinien. Das hatte in so kurzer Zeit kein Hoteldirektor vor ihm geschafft.

Bald wurden unsere Hauptspeisen gereicht. Der Barmann schaute nicht mehr ganz so freundlich, als er sie vor uns hinstellte. Es gab Pasta in verschiedenen Variationen, Gemüse, Fleisch und Fisch. Das Ganze war garniert mit knackigem Salat, Kräutern und Knoblauch. Ich hielt mir den Bauch und lachte scheu. »Dafür, dass der Mann dein Jobangebot abgelehnt hat, hat er sich wirklich viel Mühe gegeben.«

Andy hob eine Augenbraue. »Genau deswegen hat er es getan«, antwortete er und verteilte fachmännisch die Speisen auf unseren Tellern. Er verdrehte die Augen. »Immer diese Familienbande … Schrecklich.«

Neugierig betrachtete ich ihn. Der Campingplatz nebst Pizzeria war also ein Familienbetrieb. Damit kannte ich mich nur allzu gut aus. Ich gestand ihm besser nicht, dass ich liebend gern bis an mein Lebensende in Pitlochry geblieben wäre und das Guesthouse mit Matt zusammen geleitet hätte. Vielleicht hätte er sich doch eines Tages noch in mich verliebt. Und wir hätten ein Kind bekommen oder auch zwei. Ich hätte versucht, bei meinen eigenen Kindern alles besser zu machen, als es zwischen meinen Eltern und mir gelaufen war.

Jeder Mensch hat Eltern, selbst wenn sie schon tot sind, wie Matts. Doch meine konnte ich nicht auf einem Friedhof betrauern. Ich hatte den Kontakt zu ihnen abgebrochen, weil sie mich nach dem Tod meiner Schwester entsetzlich verletzt hatten, und all mein Sehnen nach Heimat und Geborgenheit auf Matt projiziert. Ich hatte gedacht, er könnte mich auffangen. Wenn er mich lieben würde, so meine Hoffnung, wäre ich komplett. Dabei wäre es meine Aufgabe gewesen, erst einmal mich selbst zu lieben. Das war mir nach dem Bruch mit meinen Eltern allerdings besonders schwergefallen.

Als ich nichts auf Andys abfällige Worte bezüglich der Familienbande entgegnete, fuhr er fort: »Da gibst du den Leuten die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, und sie sträuben sich, als wolltest du eine Katze mit Wasser übergießen.« Jetzt winkte er ab. »Du wirst jedenfalls sehen, irgendwann knickt jeder ein. Und bis es soweit ist, werde ich es mir nicht nehmen lassen, gelegentlich hier zu essen und den Koch daran zu erinnern, dass mein Angebot steht.«

Ich verzog beeindruckt den Mund. Es gehörte schon etwas dazu, so hartnäckig zu sein. Und dieser Koch hatte nicht so ausgesehen, als wäre er leicht umzustimmen. Aber ich konnte natürlich nicht wissen, mit welchen Gehaltssummen Andy winkte.

Das Fleisch zerging jedenfalls auf der Zunge. Und die gebratenen Calamari schmeckten so sehr nach Süden, dass es mir Tränen der Begeisterung in die Augen trieb. Überhaupt war es hier auf dieser Campingterrasse so urig, dass ich am liebsten noch den ganzen Abend geblieben wäre. Leise italienische Klänge schallten aus den Lautsprechern, und das Gelächter des Kochs und der Küchenhilfen, die wir bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatten, drangen nach draußen.

Es hätte ein schönes Abendessen werden können. Doch je später es wurde, desto mehr bekamen wir die unverhohlene Ablehnung des Küchenmeisters und auch des dunkelhaarigen Baristas zu spüren. Der Alkohol lockerte Andys Zunge, und hatte er sich zuvor noch siegessicher gezeigt, richtete sich im Laufe des Abends eine gewisse Überheblichkeit gegen die Italiener im Allgemeinen.

Andy vertrat die Meinung, dass einem armen Land wie diesem und der Insel Sardinien im Speziellen nichts Besseres passieren könnte, als wenn ausländische Investoren ihre Küsten auf Vordermann brachten. Er wusste viel über die italienische Mentalität zu berichten, die er offenbar nicht allzu sehr schätzte. Ebenso wenig die hiesigen Frauen, die seiner Meinung nach zur Hysterie neigten.

Schließlich gab ich ihm zu verstehen, dass ich müde sei. Was ich auch war. Der anstrengende Tag, das Essen, der Wein … das alles trug dazu bei, dass ich mich nach einem Bett sehnte. Und Andy konnte ich langsam nicht mehr ertragen. Sein Benehmen war mir unangenehm.

Entschuldigend sah ich hinüber zu unserem Kellner und entdeckte im selben Augenblick jemanden an seiner Seite, der mir bekannt vorkam. Die beiden Männer sahen zu uns und unterhielten sich. Das konnte doch nicht …

»Toni?«

Der blauäugige Italiener mit den Korkenzieherlocken rührte sich nicht von der Stelle. Verblüfft sah er mich an. Ich war es genauso. War dies etwa das Restaurant seiner Mutter, von dem er mir so vorgeschwärmt hatte? Was für ein Zufall!

»Hi!«, sagte ich und schob den Stuhl zurück.

»Ciao, Bella.« Toni winkte verhalten.

»Wer ist das?«, fragte Andy.

»Das ist Toni Fortunato«, erwiderte ich über meine Schulter hinweg und ging zu meiner Fährenbekanntschaft, schüttelte ihm die Hand.

»Du bist mit Lewinski vom Laguna Blu hier?« Toni tauschte mit dem Barmann einen Blick. »Arbeitest du da?«

»Eigentlich erst ab morgen, aber ich wurde heute schon eingearbeitet. Zur Belohnung essen wir hier.« Ich beugte mich zu ihm hinüber. »Ich hatte keine Ahnung, dass dies das Restaurant ist, das du mir so empfohlen hast.«

»Theresa?«, rief Andy.

Toni zeigte mit dem Kinn in Richtung meines Vorgesetzten. »Ich glaube, da hat jemand etwas dagegen, dass wir uns unterhalten.«

Ich wandte den Kopf zu Andy um, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.

»Tja«, bestätigte ich, »eigentlich wollte ich sowieso gleich ins Hotelzimmer zurück.« Dann fügte ich hinzu: »Der Koch ist also dein Onkel? Du hast wirklich nicht übertrieben. Er kocht göttlich!«

Toni nickte grimmig. »Das wird er auch weiterhin tun. Und zwar hier. Bei ihm beißt dein Chef jedenfalls auf Granit.« Nun sah er etwas versöhnlicher drein. »Wenigstens kennst du jetzt unsere gute Küche. Vielleicht kann ich dir ja demnächst noch ein paar schöne Fleckchen unserer Insel zeigen?«

»Terry!« Andys Stimme klang, als wäre ich ein Hund, der unerlaubt an einem Strauch ein Bein hob.

Entschuldigend sah ich Toni an. »Jedenfalls schön, dich wiedergetroffen zu haben«, sagte ich eilig. Dann ging ich zurück zu Andy.

Auf der Rückfahrt versuchte mein Chef, mich auszuquetschen. Wollte wissen, woher ich Toni Fortunato kannte, was wir miteinander geredet hatten. Schließlich schien er mir abzunehmen, dass es mir vollkommen gleichgültig war, ob und weshalb Andy mit Tonis Mutter im Clinch lag. Dabei war das nicht ganz korrekt. In Wahrheit fand ich es unmöglich, dass ein Hoteldirektor so offensiv Personal vom benachbarten Campingplatz abwarb. Noch dazu einem Familienbetrieb. Allein die Vorstellung, mir wäre so etwas passiert …

Insgeheim hoffte ich darauf, Toni bald wiederzusehen und überlegte, ob ich sein Angebot, mir etwas von der Insel zu zeigen, vielleicht annehmen sollte. Seine Karte hatte ich ja noch, ich könnte ihn kontaktieren. Warum auch nicht? Ich kannte hier doch sonst niemanden.

Bei unserer Verabschiedung in der Hotellobby fragte Andy für mich völlig überraschend, ob er noch auf einen kleinen Absacker auf mein Zimmer mitkommen könne.

Ich legte die Stirn in Falten. »Wie meinst du das?«

»Nun ja …« Mein Chef kratzte sich am Kopf. »Ich hatte dein Bewerbungsanschreiben so verstanden, dass du womöglich ein wenig Trost gebrauchen könntest.« Er berührte mich am Arm. »Wegen diesem Matt.«

Mit einem Mal pochte wieder diese schreckliche Ahnung in meiner Brust.

Mein Vorgesetzter lächelte nachsichtig. »Ich hatte selbst mal so eine große Liebe, von der ich nicht loszukommen meinte.« Nun beugte er sich noch ein wenig näher zu mir heran. »In diesen Fällen sollte man für Ablenkung sorgen.«

Das durfte nicht wahr sein. Ich war tatsächlich so dumm gewesen! Mir schoss das Blut in die Wangen.

Andy stand abwartend vor mir, auf den Lippen ein Lächeln, das er womöglich für anziehend hielt.

»Weißt du, Andy«, sagte ich heiser, »meine Art von Ablenkung suche ich mir lieber selbst aus.«

Mit diesen Worten floh ich klopfenden Herzens den Flur entlang und öffnete mit zittrigen Fingern die Tür zu meinem Zimmer.

5

In der Nacht lag ich lange wach. Ich dachte an Andys unangenehme Annäherung und sehnte mich nach Pitlochry und nach Matt. Nach seinen Umarmungen, wenn sie auch von ihm nicht mehr als freundschaftlich gemeint gewesen waren.

Wäre nur Valerie niemals nach Schottland gekommen. Vielleicht hätte Matt sich ja doch noch irgendwann in mich verliebt? Aber nein. Es war zu spät, und das Leben, wie ich es einmal gekannt hatte, war vorbei.

Am nächsten Morgen schlängelte ich mich zu meinen beiden Kolleginnen hinter den Tresen und gähnte verhalten. Ich hatte das Aufstehen zu lange hinausgezögert, dabei war es eigentlich mein Plan gewesen, ganz früh ans Meer zu gehen, wenn noch niemand anderes dort war.

»Na, ist es spät geworden gestern?«, fragte Ardelle. Verstohlen erwiderte ich ihren Blick. Ahnte sie, was geschehen war? Hatte Andy versucht, sich auch ihr zu nähern? Ehe ich mir eine passende Antwort zurechtlegen konnte, stieß Ardelle einen quiekenden Schrei aus und hielt sich die Hand vor den Mund. »Das muss er sein!« Sie stupste zuerst Lilly und dann mich in die Seite, ihr Blick ging zum Eingang des Hotels.

Dort entdeckte ich einen dunkelhaarigen Endzwanziger mit im Nacken zusammengebundenem Pferdeschwanz und Bart. Seine Arme, oder zumindest das, was von ihnen zu sehen war, waren tätowiert. Ein Fahrer schob einen Gepäckwagen hinter ihm her, auf dem neben einigen Koffern auch ein Gitarrenkasten lehnte. Ein Musiker?

Seine Augen blitzten in unsere Richtung, er hob leicht die Hand. Doch diese lässige Geste täuschte nicht über etwas anderes hinweg. Er hinkte. Vielleicht hatte er ja auch Blasen an den Füßen, so wie ich. Ich hatte sie vorm Zubettgehen mit Pflastern versorgt, die hoffentlich den Tag über halten würden.

»Wer ist das?«, fragte ich meine beiden Kolleginnen.

»Josh Davidsson natürlich«, hauchte Lilly.

»Sollte man ihn kennen?«, flüsterte ich zurück.

Ardelle verdrehte die Augen. »Mensch, Terry. Du weißt nicht, wer er ist? Der Mann ist allein deswegen berühmt, weil er eine Wahnsinnsbühnenshow hinlegt und Gitarre spielt wie ein junger Gott, obwohl er nur ein Bein und an einer Hand nur drei Finger hat.«

Der Mann hielt nun zielstrebig auf uns zu.

Für den Bruchteil einer Sekunde scannten meine Augen seinen Körper ab. Errötend rief ich mich zur Ordnung und tat am Computer beschäftigt. Der arme Mann wurde den lieben langen Tag bestimmt schon genug angestarrt. Dass ich noch nie von ihm gehört hatte, hatte nicht viel zu bedeuten. Ich liebte mehr die schottischen Folksongs und war musikalisch von Matt und seinem Sohn Jamie beeinflusst, die sich als Hobby-Musiker weitaus besser mit Musik auskannten als ich.

Schon war der Mann am Counter angekommen und schenkte mir ein breites Lächeln. »Josh Davidsson«, sagte er, »ich hörte, Sie hätten ein Zimmer für mich.«

Er deutete vielsagend auf seine Augen, dann auf meine. Ich lächelte verwirrt. Spielte er mit dieser Geste darauf an, dass wir beide grünäugig waren? Seine waren mit ein paar braunen Sprenkeln betupft. Bei mir mischte sich ein zartes Grau dazwischen. Der Mann war ein Hingucker. Er hatte ein bisschen was von einem Wikinger. Oder eher von Tarzan.

»Terry«, holte Lilly mich in die Wirklichkeit zurück, »könntest du Mr. Davidsson bitte einchecken?«

»Selbstverständlich.« Ich nickte ihm zu und überprüfte seine Reservierung, wandelte sie mit ein paar Klicks in »Check-in« um und druckte den Anmeldebogen aus, bat den Musiker, zu unterschreiben.

Lilly und Ardelle waren inzwischen mit dem Einchecken anderer Gäste beschäftigt, die im Minutentakt eintrafen. Die beiden hatten mich ja schon vorgewarnt, dass es samstags einiges zu tun gab und höchste Konzentration gefordert war. Wahrscheinlich waren heute Morgen mehrere Flieger gelandet. Wie ich gelesen hatte, startete im September die Wander- und Radfahrsaison auf der Insel. Aber jetzt, Mitte August, war es noch so heiß, dass die meisten der anwesenden Gäste sich auf Badetage beschränkten.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie der bärtige Musiker mich abermals musterte. Ob er hier nur seinen Urlaub verbrachte? Oder ließ die Gitarre darauf schließen, dass er ein Konzert geben würde?

»Schöner Akzent«, lobte er. »Höre ich Schottland?«

Ich blinzelte überrascht. Ich hatte doch nur wenige Worte mit ihm gesprochen. Dennoch bestätigte ich lächelnd: »Direktimport aus den schottischen Highlands.«

Josh Davidsson übergab mir den unterschriebenen Bogen. Ich reichte ihm im Gegenzug die Schlüsselkarte und wünschte ihm einen angenehmen Aufenthalt.

Den Rest des Vormittags schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Meistens zu Matt und Valerie, die viel besser hinter diesen Counter gepasst hätte als ich. Zumindest hätte sie das Paar routinierter eingecheckt, das bald nach Josh Davidsson eintraf. Im Eifer des Gefechtes löschte ich die Seite mit ihrer Reservierung und musste alles neu eingeben. Die Deutschen sprachen außerdem nicht gut englisch, alles, was ich verstand, war, dass sie ein Zimmer mit großem Balkon, Meerblick und Sonnenschein haben wollten. Dabei hatten das alle unsere Zimmer. Oder nicht?

Nachdem ich die Buchung endlich wieder ins System eingepflegt hatte, tauchte Josh Davidsson noch einmal vor dem Counter auf. »Sicher, dass ich korrekt untergekommen bin?«, fragte er. »Es gibt ein riesiges Bett, in dem könnten bestimmt drei Leute schlafen. Außerdem eine Balkonterrasse mit genügend Platz, um eine Party zu feiern.« Er lächelte. »Ich hatte eigentlich eine normale Kategorie gebucht?«

Hastig sah ich in der Eingabemaske nach, verglich die Kategorien und Raumbezeichnungen. In diesem Moment erschien Andy hinter mir und legte mir eine Hand auf den Rücken. »Gibt es ein Problem?«, fragte er.

»Überhaupt nicht«, widersprach ich und nickte dem Musiker rückversichernd zu. »Genießen Sie Ihren Aufenthalt.«

Andys warme Finger zwischen meinen Schulterblättern erinnerten mich an sein schlechtes Benehmen vom Vorabend. Dezent wand ich mich heraus, und Andy tippte auf den Bildschirm. »Schau mal«, sagte er, »du hast ihn in unsere Sunshine-Suite mit extra großem Balkon eingebucht.«

Ich blies die Wangen auf und sah genauer hin. Tatsächlich. Hieß das, dass ich das Paar von eben in einer schlechteren Kategorie untergebracht hatte? Mist.

Ich zeigte zu den Fahrstühlen, vor denen Josh Davidsson inzwischen wartete. »Ich regle das, okay? Die Gäste können ja einfach tauschen.«

Andys Hand streifte meinen Arm. »Lass mal«, sagte er. »Wenn jemand von Rang und Namen kommt, würden wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir den plötzlich downgraden. Wie sähe das denn aus?«

Er klickte sich durch die Reiter. »Schau, die zweite Sunshine-Suite ist auch noch frei. Ich schicke jemanden, um dem Pärchen Bescheid zu geben, dann ziehen sie einfach nach dorthin um. Sie haben sich bestimmt ohnehin schon gewundert.« Andy sah mich nachsichtig an. »Wenn du möchtest, sehen wir uns heute Abend noch einmal alles in Ruhe an. Dann können wir auf alles Wesentliche noch einmal genau eingehen.«

Heute Abend? Meinte er nach Dienstschluss? Ardelle und Lilly hatten mich gestern gefragt, ob ich heute mit ihnen an den Strand gehen wollte, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Die Aussicht darauf war der einzige Lichtblick dieses Tages gewesen. Allein der Gedanke, meine schmerzenden Füße in wohltuendem Salzwasser zu baden war verlockend. Außerdem hatte ich kein Bedürfnis nach einer weiteren privaten Verabredung mit Andrew Lewinski.

»Natürlich nur, wenn du möchtest«, schickte Andy hinterher und legte den Kopf schräg. Meine Absage von gestern schien ihn nicht nachhaltig beeindruckt zu haben.

»Ich fürchte, ich habe schon etwas vor«, murmelte ich und sah zu Josh Davidsson, der eben die Hand hob und den Fahrstuhl betrat.

Ich nickte ihm lächelnd zu.

Andy zuckte mit den Schultern und trollte sich.

Mittags aßen Ardelle und ich in der Hotelküche eine wässrige Suppe, deren Geschmack wirklich zu wünschen übrig ließ. Wenn man mich fragte, hätte wahrscheinlich sogar eine Tütensuppe besser geschmeckt.

Ich sprach sie darauf an, dass Andy mir vorgeschlagen hatte, mich nach Feierabend noch einmal ausführlich ins Buchungssystem einzuweisen, und dass ich das Angebot zugunsten unserer Verabredung am Strand ausgeschlagen hatte.

Sie lachte nur. »Das wird ihm nicht gefallen, aber ich finde es gut.« Sie nickte anerkennend. »Das hätte ich mich nicht getraut.«

»Wieso?«, fragte ich. »Ich hatte selbst schon Angestellte. Es wäre mir niemals eingefallen, sie dazu zu verdonnern, in ihrer Freizeit zu arbeiten. Vielleicht sehen wir Schotten das anders – aber ein Tag ohne Freunde und Feiern ist ein verschenkter Tag.«

Nachdenklich löffelte ich weiter an der ungenießbaren Suppe. Ich war gespannt, wie Andy mit meiner Absage umgehen würde. Wenn sich ihm sonst noch niemand widersetzt hatte, war es wahrscheinlich nicht ganz einfach für ihn.

Mein neuer Chef ließ sich jedenfalls bis nachmittags nicht mehr blicken. Der Hotelkomplex war groß, sicher gab es an allen Ecken und Enden etwas für ihn zu tun. Er musste ja etliche Mitarbeiter betreuen. Angefangen bei uns an der Rezeption über die Küche, den Service, das Housekeeping. Nicht zu vergessen die Gärtner, die die Außenanlagen und den Pool in Schuss hielten.

Am Nachmittag kehrten wie tags zuvor die Hotelgäste vom Strand zurück, den ich am Abend erstmalig selbst besuchen wollte. Ich freute mich unbändig auf mein erstes Bad im Mittelmeer.

Auch Josh Davidsson lief uns wieder über den Weg. Er trug trotz der Wärme eine lange Hose und Turnschuhe, dazu ein verwaschenes T-Shirt, setzte sich in einen der Sessel in der Lobby und blätterte in einem Hotelprospekt. Einer der Servicekräfte brachte ihm ein Bier. Er trank einen Schluck, wischte sich den Schaum von den Lippen und sah zu mir hinüber, erwischte meinen Blick, der hoffentlich nicht allzu aufdringlich gewirkt hatte. Ich hatte mich nämlich gefragt, wie er sein Bein verloren haben mochte.

Meine Kolleginnen wussten natürlich Bescheid. »Bei einem Unfall«, raunte Lilly.

Nun trat Andy neben mich. Er sah angespannt in Richtung Drehtür, und ich folgte seinem Blick, entdeckte eine dunkelhaarige Dame in geblümter Bluse und Stiftrock, die in Begleitung eines jungen Mannes energischen Schrittes die Lobby betrat. Oh. Der Herr war Toni. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn so rasch wiederzusehen. Ob die Frau seine Mutter war? Dem Alter nach war das gut möglich. Irgendetwas zwischen Anfang und Ende Sechzig. Bestimmt war ihr zu Ohren gekommen, dass ihr unliebsamer Nachbar schon wieder die Finger nach ihrem Bruder Alberto ausgestreckt hatte.

Die Italienerin steuerte zielstrebig auf die Rezeption und damit auf Andy zu. Ihre Augen glitzerten entschlossen. Das Haar trug sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Sie war eine italienische Mama wie aus dem Bilderbuch. Tonis Augen weiteten sich, als er mich in meiner Uniform erkannte. Gestern hatte ich ja, wie auf der Fähre, das Haar offen getragen und auch nicht in diesen Klamotten gesteckt.

»Donna Fortunato, was führt sie zu uns?«, fragte Andy auf Italienisch.

»Sie führen mich her«, entgegnete die Italienerin. Und dann erteilte sie ihm in unser aller Beisein auf Englisch Hausverbot. Zu meiner Überraschung deutete sie auch auf mich und meine Kolleginnen. »Und Sie bleiben unserem Platz in Zukunft bitte ebenfalls fern.« Zur Unterstreichung ihrer Worte nickte sie erhaben.

Mir entglitt ein ungläubiges Schnauben.

»Mamma …«, wandte Toni mahnend ein, doch sie wischte seinen Einspruch beiseite.

»Und Mr. Lewinski …«, sie beugte sich an den Tresen, der ihr nur knapp unter die Brust reichte, »sagen Sie Ihren Chefs, dass kein Geld der Welt meinen Bruder umstimmen und darüber hinaus auch das Kopfverdrehen meines Sohnes kein bisschen helfen wird.« Mit diesen Worten sah sie mich und auch meine Kolleginnen bedeutungsvoll an und verließ das Hotel so schnell, wie sie gekommen war.

Toni rollte genervt mit den Augen und blickte mich entschuldigend an. Dann folgte er seiner Mutter kopfschüttelnd nach draußen.

»Na warte«, murmelte Andy und ging an den Computer. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er den Internetbrowser öffnete und etwas eingab. »Hast du nichts zu tun?«, blaffte er mich an. »Ich denke, es wäre besser, wenn du dich mit unserem Buchungssystem befasst, statt mit mir.«

Beflissen huschte ich an einen anderen Rechner und tat wie geheißen, bat Ardelle und Lilly, mir noch einmal zu zeigen, wie ich für einen Gast eine Massage buchen konnte, und schielte wieder heimlich zu Andy.

Eben grinste er zufrieden vor sich hin, machte ein paar Klicks und erhob sich wieder vom Stuhl. Dann verschwand er in dem kleinen Büro hinter dem Empfang, und ich hörte, wie er telefonierte. Was hatte er mit »Na warte« gemeint?

Klopfenden Herzens sah ich mich um. Lilly und Ardelle waren mit Gästen beschäftigt. Ich konnte doch mal rasch … In drei Schritten war ich am benachbarten Computer und klickte auf den Internetbrowser. Das Fenster, das Andy zuletzt benutzt hatte, öffnete sich vor meinen Augen. Es war die Homepage des benachbarten Campingplatzes La Spiaggia, genauer gesagt die Bewertungsseite. Die letzte Rezension vergab nur einen Stern.

Der Text: Ich hatte ein langes Haar in meinen Spaghetti. Wahrscheinlich von den Haaren auf den Zähnen der Wirtin.

Der Verfasser war anonym.

6

Für den Rest meiner Schicht war ich damit beschäftigt zu verdauen, was geschehen war. Fassungslos resümierte ich: Nach nicht einmal vierundzwanzig Stunden auf Sardinien steckte ich mitten in einer Fehde zwischen der Leitung eines Hotelkonzerns mit einer Campingplatz-Betreiberin.

Wie hatte Donna Fortunato überhaupt davon wissen können, dass Toni und ich gestern kurz miteinander geredet hatten? Hatte ihr jemand eine Personenbeschreibung von mir geliefert? Und warum hatte sie Ardelle und Lilly gleich in ihr Hausverbot mit eingeschlossen? Das Ganze war doch lächerlich. Vor allem konnte von Kopfverdrehen keine Rede sein. Wie kam sie auf solch einen Unsinn?

Zurück auf dem Zimmer schlüpfte ich endlich aus den Schuhen und in ein paar Flipflops und googelte auf meinem Handy nach dem benachbarten Campingplatz. Die Seite, die ich schon auf dem Hotelbrowser gesehen hatte, öffnete sich.

La Spiaggia lag genau zwischen dem Hotelgelände und einem Naturstrand. Der Platz war bei Familien mit Kindern sehr beliebt, da es an dieser Stelle flach ins Wasser ging. Der Sand reichte bis unter die schattenspendenden Bäume eines Pinienwaldes, der auch den Zelten und Caravans optimalen Schutz vor der Sonne bot. Im Sommer konnten es schon mal vierzig Grad werden, und da waren solche Plätze gesucht.

Die Leitung wurde in den Rezensionen als sehr zuvorkommend und freundlich beschrieben. Besonders jedoch lobte man die Küche. Koch Albertos Vitello Tonnato sei das Beste in ganz Italien. Und das Spanferkel erst. Und die hausgemachte Tiramisu sei ein Gedicht. So viele Fünf-Sterne-Rezensionen. Nur in der letzten Zeit ein paar Ausnahmen. Angeblich hatte es Probleme mit den Wartezeiten gegeben. Und mit der Temperatur der Speisen. Von beidem hatte ich gestern nichts mitbekommen.

Sollte Andy auch hinter diesen schlechten Bewertungen stecken? Die letzte war jedenfalls die, die er in meinem Beisein eingegeben hatte. Gemein und kindisch. Und so unangemessen.

Ich ließ mein Smartphone sinken und verglich gedanklich das naturbelassene Campingplatz-Gelände mit dem getrimmten Rasen und den gestutzten Oleanderhecken des Boutique-Hotels. Der Vergleich hinkte natürlich. Es war nicht einmal eine Frage der Ästhetik, denn beides hatte auf ganz eigene Weise seinen Reiz.

Das Boutique-Hotel passte sich wunderbar in die Landschaft ein. Aber an die wilde Schönheit des Campingplatz-Geländes reichte es möglicherweise nicht heran. Und was die Qualität der Restaurantküchen betraf: Einen so guten Koch hätte man eher im Hotel erwartet als auf dem Campingplatz. Dass diese Tatsache Andy fuchste, war nachvollziehbar. Aber wenn Alberto nicht für ihn arbeiten wollte, weil ihm die eigene Schwester wichtiger war, musste er das eben akzeptieren. Da konnte er doch nicht solchen Rufmord betreiben.

Ich stieg aus meiner Uniform und hängte sie auf den Bügel zurück. Kurz darauf streifte ich den schwarz-weiß gestreiften Bikini über, den ich mir vor meinem Abflug am Flughafen gekauft hatte, und betrachtete mich in dem Ganzkörperspiegel neben der Badezimmertür.

Gott, war ich hellhäutig. Ich konnte wirklich ein wenig Sonne vertragen. Behände flocht ich aus meinem Haar zwei Zöpfe und band sie um meinen Kopf, steckte sie mit ein paar Klammern fest.

Lilly und Ardelle, die außerhalb wohnten, hatten mir nahe gelegt, mich nicht in Privatkleidung im Hotel zu zeigen. Also schlüpfte ich in mein Strandkleid, klemmte mir ein Handtuch und Buch unter den Arm und lief durch eine Seitentür neben meinem Zimmer nach draußen. Weiter führte ein schmaler Pfad an der Laderampe im Hof und an der Grundstücksgrenze entlang Richtung Strand. Rechts vom Gebäude ging das Gelände in das des Campingplatzes über, wo wir uns treffen wollten, denn der Strand, der zum Hotel gehörte, war den Hotelgästen vorbehalten. Meine Kolleginnen würden mich unter einem roten Sonnenschirm erwarten.

Das Rauschen des Meeres klang wie Musik in meinen Ohren. Die Wasserkante erstreckte sich türkisfarben am weißen Sandstrand, nur unterbrochen von einigen Felsen, von denen Teenager ins Wasser sprangen. Die Sonne stand nicht mehr ganz hoch, sie tauchte alles in ein warmes Licht, prickelte auf meiner Haut. Die Luft war so anders als in meiner Heimat. So mild und voller Duft nach dem Salz des Meeres, nach Fisch, nach Sonnencreme. Dazwischen meinte ich einen Hauch Melone zu schnuppern. Andächtig lief ich weiter, bis ich vom Grün der Hotelanlage den Sand erreichte, wo sich die Gerüche noch einmal verstärkten. Ich konnte nicht länger warten, das Meer zu begrüßen – es würde mich so schnell schon niemand von den Kollegen hier entdecken, und Lilly und Ardelle würden mir ein paar Minuten Verspätung sicher verzeihen.

Als das Wasser meine Zehen umspielte, seufzte ich genießerisch. So warm! Und so glasklar. Ungläubig starrte ich in die Wellen. Das Meerwasser sah aus, als käme es direkt aus einer Quelle. Ich lief ein paar Meter zurück auf den Strand und legte Handtuch, Kleid und Buch dort ab.

Im knietiefen Wasser wackelte ich mit den Zehen und lächelte vor Glück. Ich wagte mich weiter vor, das kühle Nass umspielte meine Oberschenkel und Hüften, meinen Bauch. Als es mir bis kurz unter die Brust ragte, tauchte ich ein und schwamm los. Kleine Fischchen huschten um mich herum. Ob Matt schon einmal so etwas Traumhaftes gesehen hatte? Schnell schob ich den Gedanken an ihn beiseite.

Auf dem Weg zurück ans Ufer erkannte ich Josh Davidsson neben meinen Sachen. Er winkte mir zu.

»Du warst wohl lange nicht im Meer«, mutmaßte er, als ich triefend bei ihm ankam. »Du sahst aus wie ein Kind bei seinem ersten Badegang«, ergänzte er lachend.

Ich grinste verlegen und langte nach meinem Handtuch, tupfte mir mit einem Frotteezipfel das Salzwasser aus Gesicht und Haaren. Glücklich legte ich mir das Tuch um die Schultern und ließ mich auf den warmen Sand plumpsen.

»Ich wollte dir übrigens noch etwas sagen«, meinte Josh und sah auf mich hinab. »Wegen des Zimmers.«

»Du hattest recht, es war nicht das richtige«, bestätigte ich und schirmte mein Gesicht gegen die Sonne ab. »Aber mach dir keine Sorgen. Mein Chef hat den Fehler ausgebügelt. Es kostet dich nichts.«

Josh schürzte die Lippen. »Es ist mir unangenehm, wenn ich wegen meiner Berühmtheit Vorteile genieße, während andere Leute sich so eine Suite vom Mund absparen.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739459806
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
Liebesroman Inselroman Sardinien Reiseroman Urlaubsroman Mittelmeer Sommerroman

Autor

  • Stina Jensen (Autor:in)

STINA JENSEN schreibt Insel- und Gipfelromane, romantische Komödien und Krimis. Sie liebt das Reisen und saugt neue Umgebungen in sich auf wie ein Schwamm. Meist kommen dabei wie von selbst die Figuren in ihren Kopf und ringen dort um die Hauptrolle in ihrem nächsten Roman. Wenn sie nicht verreist, lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main.
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Titel: INSELtürkis