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INSELgrün

(INSELfarbe 2)

von Stina Jensen (Autor:in)
230 Seiten
Reihe: INSELfarben-Reihe, Band 2

Zusammenfassung

Wiebke ist mit Leib und Seele Galeristin auf Mallorca. Auch wenn in ihrem Liebesleben mit Maler Miguel nicht alles zum Besten steht, findet sie Erfüllung in ihrer Arbeit - bis sie eines Tages einen folgenschweren Fehler begeht: Ausgerechnet das einzige unverkäufliche Gemälde der Galerie vermittelt sie an zwei Schwestern aus Irland. Schnell wird ihr klar, dass sie das Bild zurückholen muss, und sie reist nach Dublin. Die Suche nach dem Gemälde gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht, und der immerwährende Regen sowie Miguels beharrliches Schweigen bringen Wiebke an ihre Grenzen. Doch dann trifft sie Musiker Josh, der mit seiner lebenslustigen Art sofort ihr Herz aus dem Takt bringt. Bald nimmt die grüne Insel Wiebke mit ihrem ganz eigenen Zauber gefangen, und sie fragt sich, ob sie ihr bisheriges Leben nicht einfach hinter sich lassen und in Irland bleiben sollte ...

Die Romane der INSELfarben- und GIPFELfarben-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Die chronologische Reihenfolge der Romane: Inselblau (Svea, Langeoog und Mallorca), Inselgrün (Wiebke, Irland), Inselgelb (Claire, Island), Inselpink (Ida, Mallorca), Inselgold (Amanda, Rügen), Gipfelblau (Annika, Zermatt), Gipfelgold (Mona, Bad Gastein), Gipfelrot (Valerie, Schottland), Inseltürkis (Terry, Sardinien), Inselrot (Sandra, Sylt), Gipfelpink (Susa, Teneriffa), Inselhimmelblau (Svea, Langeoog) Gipfelglühen (Sebastian, Allgäu)

Außerdem: Die Winterknistern-Reihe: Plätzchen, Tee und Winterwünsche, Misteln, Schnee und Winterwunder, Sterne, Zimt und Winterträume, Muscheln, Gold und Winterglück, Vanille, Punsch und Winterzauber, Mondschein, Flan und Winterherzen, Engel, Blues und Winterfunkeln,

Spannung und Gefühl vor bedrückender Küstenkulisse: Die Levke-Sönkamp-Reihe – Privatermittlerin mit stolperndem Herzen: Möwentrauer, Möwenschuld, Möwenzorn

»Sommertraum mit Happy End«, »Stürmisch verliebt«

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Erstausgabe: November 2017

© Stina Jensen

Robert-Bosch-Straße 48

61184 Karben

info@stina-jensen.de

www.stina-jensen.de

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Verfasserin urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werkes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten zu existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Lektorat und Korrektorat: Ricarda Oertel www.lektorat-oertel.de

Covergestaltung © Traumstoff Buchdesign by Claudia Toman

Covermotive © asife shutterstock.com

Das gesamte Programm von Stina Jensen findest du hier.

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Über die Autorin

STINA JENSEN schreibt Insel- und Gipfelromane, romantische Komödien und Krimis. Sie liebt das Reisen und saugt neue Umgebungen in sich auf wie ein Schwamm.

Meist kommen dabei wie von selbst die Figuren in ihren Kopf und ringen dort um die Hauptrolle in ihrem nächsten Roman. Wenn sie nicht verreist, lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main.

Stina Jensen

DAS BUCH

Wiebke ist mit Leib und Seele Galeristin auf Mallorca. Auch wenn in ihrem Liebesleben mit Maler Miguel nicht alles zum Besten steht, findet sie Erfüllung in ihrer Arbeit – bis sie eines Tages einen folgenschweren Fehler begeht: Ausgerechnet das einzige unverkäufliche Gemälde der Galerie vermittelt sie an zwei Schwestern aus Irland. Schnell wird ihr klar, dass sie das Bild zurückholen muss, und sie reist nach Dublin. Doch die Suche nach dem Gemälde gestaltet sich schwieriger als gedacht, und der immerwährende Regen sowie Miguels beharrliches Schweigen bringen Wiebke an ihre Grenzen.

Doch dann trifft sie Musiker Josh, der mit seiner lebenslustigen Art sofort ihr Herz aus dem Takt bringt.

Bald nimmt die grüne Insel Wiebke mit ihrem ganz eigenen Zauber gefangen, und sie fragt sich, ob sie ihr bisheriges Leben nicht einfach hinter sich lassen und in Irland bleiben sollte ...

Ein Roman, zauberhaft wie ein Trip nach Irland.

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

bei einigen der im Roman genannten realen Örtlichkeiten habe ich mir die schriftstellerische Freiheit genommen, die Gegebenheiten den Erfordernissen der Handlung anzupassen. Teilweise sind die Handlungsorte – insbesondere der Ort Cala Santanya auf Mallorca – gänzlich frei erfunden. Sollten Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen bestehen, so sind diese rein zufällig. Die Handlung ist fiktiv.

Ich wünsche viel Freude mit dieser Geschichte!

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1

Juni | Mallorca, Cala Santanya

Dieser Ausblick über die Bucht und das Meer war atemberaubend. Links der Hafen, vor uns die Promenade und der Strand, rechts die Felsen. Ein sanfter Wind trug den salzigen Geruch des Meeres zu uns herüber, hüllte Miguel und mich ein wie eine Decke. Wir standen am Fenster seines Apartments, er küsste mich sanft in den Nacken.

»Gefällt dir, cariño?«, flüsterte er.

Ich nickte wortlos und schluckte den Kloß, den die Freudentränen in meinem Hals bildeten, hinunter. Dann drehte ich mich zu ihm um und schlang die Arme um seinen Hals, atmete seinen Geruch ein, der mir die letzten Wochen so unendlich gefehlt hatte. Doch jetzt waren die aufwändigen Vorbereitungen meines Umzugs von Oldenburg in die Cala Santanya vergessen. Endlich war ich hier. Ich würde mit ihm ein neues Leben beginnen und seine Galerie leiten. Mein Blick schweifte über die Staffelei und das zerwühlte Bett in der Ecke hinweg, ging zu den drei noch verschlossenen Koffern neben der Tür. Die Vorstellung, ab heute hier zu leben, nahm mir den Atem.

Wie sehr ich mich auf die Zukunft mit Miguel freute!

2

Oktober

Miguel fuhr gekonnt mit dem Schwamm über die Leinwand. Fasziniert betrachtete ich das Muskelspiel seines nackten Rückens und wünschte mir, ich hätte ihn neben mir liegen und dürfte ihn berühren. Ihn an mich ziehen, seinen Geruch in mich aufsaugen, ihn küssen und vor allem Hoffnung schöpfen, dass zwischen uns alles wieder gut wurde. Ich blinzelte, merkte, wie Traurigkeit in mir aufstieg. Oder war es Enttäuschung? Darüber, dass in Miguels Leben eigentlich gar kein Platz für mich zu sein schien? Als habe er versucht, mich in einen Zeitplan zu pressen, der viel zu knapp bemessen war. Da war die Bar, die früher seinen Eltern gehört hatte. Dann die Galerie, in der ich seine Bilder verkaufte. Und dann natürlich die Malerei. Dieser widmete er sich nachts.

Ich gähnte leise und rieb mir die Augen, sah aus halbgeschlossenen Lidern zur Staffelei vor dem Fenster, versuchte an Miguel vorbei einen Blick auf das Bild zu erhaschen, das er gerade malte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er für heute Schluss machte. Die Grundierung war gemacht, Strand, Himmel und Meer waren bereits zu erkennen, morgen folgten die ersten Details. Ich atmete tief durch. Dachte an meine Wohnung in Oldenburg. An den frischen Geruch in meinem damaligen Schlafzimmer, an den Duft der Bettwäsche, der hier vom Farbgeruch überlagert wurde. Bisher hatte ich Miguel noch nicht davon überzeugen können, in die leerstehende Wohnung seiner Eltern ein Stockwerk tiefer zu ziehen. Sie waren vor einigen Jahren bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen, und seither war ihr Apartment so etwas wie Niemandsland. Ich gähnte noch einmal, diesmal etwas lauter als zuvor, und Miguel wandte sich zu mir um. »Qué te pasa, cariño?«, fragte er. »Kannst du nicht schlafen?«

Ich breitete einladend die Arme aus. »Machst du bald Schluss? Bei mir unter der Decke ist es viel schöner.«

»Nur noch halbe Stunde, vale?«, bat er. »Ich habe gerade gute Phase. Darf ich nicht aufhören.«

Ich nickte ergeben und sank in die Kissen zurück. Nicht, dass ich wirklich damit gerechnet hatte, er würde alles stehen und liegen lassen. Insgeheim glaubte ich, dass die Malerei ihm so große Befriedigung verschaffte, dass er fast nichts anderes brauchte. Gott sei Dank nur fast. Manchmal nahm er sich natürlich schon Zeit für mich. Viel sogar. Allein bei dem Gedanken daran konnte ich seinen Rücken nur sehnsüchtig anstarren. Doch so viele Signale ich auch durch den farbduftgeschwängerten Raum sendete, er nahm sie nicht wahr. Wenn er an einer neuen Serie arbeitete, so wie jetzt, war er oft wie weggetreten. Seine Bilder erzählten Geschichten. Gerade hatte er eine schwedische Familie mit drei bildhübschen Töchtern, die eine Woche in unserer Bucht verbrachte, als Motiv gewählt. Es war Oktober und noch mild, allerdings nahmen die Temperaturen täglich ab, und so war in Miguels Serie vor allem eines zu erkennen: die stetig zunehmende Bekleidung der drei Mädchen. Doch bei solchen Nebensächlichkeiten beließ mein Freund es natürlich nicht. Seine Gemälde erzählten auch die Liebesgeschichte, die sich zwischen der ältesten Tochter und einem jungen, rothaarigen Engländer anbahnte, sowie von einem Streit der Eltern.

Ich liebte Miguels Kunst noch immer, bewunderte diesen Entstehungsprozess, genoss es, die Besucher der Galerie, die im Erdgeschoss lag und deren Leitung ich übernommen hatte, auf diese Details hinzuweisen. Wenn ich ihnen erklärte, worauf sie achten sollten, bekamen die Betrachter nicht genug von seinen Bildern.

Die Serien – aber auch einzelne Gemälde – verkauften sich gut. Dennoch konnte er sich keine Pause gönnen, musste er doch mit den Einnahmen der Hauptsaison den Winter überbrücken. In der Vergangenheit war das gut gegangen. Doch seit Mai, als wir uns kennenlernten, betrieb er darüber hinaus die Bar, für deren Renovierung er einen Kredit aufgenommen hatte und die noch nicht allzu viel Geld abwarf. Dass ich ihm Miete zahlte, davon wollte er nichts wissen: Immerhin arbeitete ich in der Galerie und sorgte für einen vollen Kühlschrank. Für meinen persönlichen Bedarf konnte ich mit meinen Ersparnissen für eine Weile gut über die Runden kommen.

»Miguel, bitte, ich kann nicht mehr«, bettelte ich jetzt. Das Wischgeräusch des Schwamms auf der Leinwand schreckte mich immer wieder aus dem Halbschlaf. Endlich ließ er von seinem Gemälde ab und tappte ins Bad, wusch die Malutensilien aus. Auch dieser Prozess dauerte eine Weile, Miguel ging sehr gründlich vor, die Pinsel härteten sonst sofort aus. Das Geplätscher schien kein Ende nehmen zu wollen, dabei sehnte ich mich so sehr danach, mich endlich an ihn zu schmiegen und wenigstens für ein paar Stunden schlafen zu können. Ich hoffte, dass die düsteren Gedanken Ruhe gaben. Manchmal wusste ich nämlich gar nicht mehr genau, weshalb ich eigentlich hier war. Warum ich meinen geliebten Job als Grundschullehrerin in Oldenburg an den Nagel gehängt hatte. War er glücklich darüber, dass ich bei ihm war? Gesagt hatte er mir das schon lange nicht mehr.

3

Als die Sonne durch eine Ritze im Fensterladen an meiner Nase kitzelte, schlug ich die Augen auf und ertastete das leere, kühle Laken hinter mir. »Miguel?«, rief ich leise. In diesem Moment hörte ich im Bad die Dusche rauschen und sah auf die Uhr. Zehn nach zehn. Um halb elf öffnete die Galerie. Ich schwang die Beine aus dem Bett und huschte ins Bad, trat mitten in eine Wolke aus Wasserdampf. Ich lugte am Duschvorhang vorbei hinein in die Kabine, in der Miguel unter dem Wasserregen stand und sich eben die Haare einschäumte. Als er die Augen öffnete und mich sah, grinste er. »Na, Schlafkopf«, sagte er und trat einladend zur Seite. »Kommst du rein?«

Ich ließ mich nicht zweimal bitten und zog das Schlafshirt über den Kopf, stieg aus meinem Slip und trat zu ihm unter den Wasserstrahl, schmiegte mich an ihn, spürte augenblicklich, wie sehr er sich freute, mich bei sich zu haben. Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und gab mir einen sanften Kuss.

»Hast du schon geschlafen heute Nacht, als ich bin zu dir gekrochen«, flüsterte er und küsste mich noch einmal, fordernder diesmal. »Wie gut, dass du jetzt bist wach.«

Später, als wir uns abtrockneten und in unsere Kleider schlüpften, sagte ich: »Wollen wir vielleicht heute Nachmittag einen kleinen Ausflug machen? Wir könnten Lola fragen, ob sie solange ein Auge auf die Galerie hat. In der Bar ist doch nachmittags sowieso nicht viel los. Vielleicht könnten wir sie einen Moment schließen?«

Lola war eine Freundin von Miguels Eltern, sie kümmerte sich seit Jahren um ihn, und wir waren gute Freundinnen geworden. Sie hätte das sicher gern gemacht.

Miguel sah mich stirnrunzelnd an. »Geht heute leider nicht, cariño. Habe ich ein Termin in Bar … ist keine gute Zeitpunkt.«

»Ach so«, sagte ich ein wenig enttäuscht und knöpfte meine Bluse zu, stopfte sie dann in den Rock und band mir ein Tuch ins Haar.

Miguel trat zu mir und nahm mich beim Arm. »Nicht schon wieder Streit, okay? War doch eben so schön.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich wollte gar nicht streiten. Im Gegenteil, ich möchte nur etwas mehr Zeit mit dir verbringen.« Ich wollte ihm einen Kuss geben, doch er drehte sich schon von mir weg, sah auf einmal ärgerlich aus und machte eine ungeduldige Handbewegung. »Warum machst du diese Vorschlag überhaupt?«, fragte er. »Kann ich denken, was kommt später: Auf Ausflug fängst du wieder an von Wohnung von meine Eltern und dass du dort möchtest einziehen.«

Gekränkt blinzelte ich ihn an. »Das hatte ich nicht vor. Ich wollte wirklich nur …«

»Bist du sicher? Ich weiß doch, wie sehr dich stört, dass ich hier arbeite, wo du schläfst. Du hasst Geruch.«

»Er macht mir Kopfschmerzen, aber ich …«, begann ich hilflos. Wie sollte ich ihm nur erklären, dass mir viel mehr die Zweisamkeit fehlte als eine andere Wohnung. »… ich wollte nicht von dem Apartment anfangen.«

Miguel schüttelte den Kopf, als glaubte er mir nicht, und schlüpfte in seine Schuhe. »Jedenfalls kann ich nicht auf alberne Ausflug. Ich muss mich kümmern um Geschäfte. Du weißt, wir leben von das.«

Ich sah ihn sprachlos an. Was meinte er damit? Dass ich nur auf Vergnügen aus war? Dabei unterstützte ich ihn doch, wo ich konnte. Das war so …

Ehe ich ihm ein »Du bist so ungerecht« entgegnen konnte, war er schon bei der Tür. Ich dachte, er ginge grußlos hinaus, doch stattdessen sah er demonstrativ auf seine Armbanduhr und sagte: »Du solltest dich besser beeilen, es ist schon fast elf. Haben wir schon genug Zeit verschwendet.«

Als ich nach unten kam, tobten der Ärger und die Enttäuschung über Miguels Worte noch immer in mir. Die aufsteigenden Tränen verschleierten meinen Blick, und so stolperte ich beinahe über ein Päckchen vor der Tür zur Galerie – die Postbotin verfuhr so mit allem, was nicht durch den Briefschlitz passte. Ich klemmte mir den Schlüssel zwischen die Zähne und bückte mich zu dem Paket hinab. Es war von Mama. Als hätte sie gespürt, dass es mir gerade nicht gut ging. Meine Mutter schickte regelmäßig Köstlichkeiten aus dem Norden – Sanddornmarmelade zum Beispiel, oder eingelegte Krabben nach dem Spezialrezept meiner Freundin Svea. Mama verpackte die Meeresfrüchte luftdicht, sodass sie nicht verdarben. Doch dieses Paket hier war größer und schwerer als üblich. Ich klemmte es unter den Arm und schloss die Tür auf, dann legte ich es auf dem Verkaufstresen ab und öffnete es. Essen war diesmal keines darin. Andächtig zog ich das riesige Stück Stoff heraus. Was war das denn?

Eine Patchworkdecke, blau-weiß abgenäht. Meine Lieblingsfarben.

Anbei lag eine Karte.

Süße, ich dachte, ich versuche mich auch mal im künstlerischen Bereich. Für das erste Mal bin ich ganz stolz. Damit es dir nicht kalt wird im mallorquinischen Winter.

Mama

Ich breitete die Decke vor mir aus, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Sie passte hervorragend auf unser Bett.

Vor Rührung traten mir Tränen in die Augen. Okay. Das war eindeutig Heimweh. Schniefend wischte ich mir über die Wangen und packte Mamas Geschenk wieder ein. Ich musste sie unbedingt anrufen. Ihre Stimme hören.

»Karolus«, meldete sie sich nach dem ersten Klingeln.

Sofort wurde mir die Kehle eng. »Hallo Mama«, krächzte ich, »danke für die tolle Decke.«

»Was ist los, Schatz?«, fragte sie sofort alarmiert. »Weinst du etwa?«

»Nein, nein. Ich … ich hab nur gerade etwas Heimweh.«

»Ehrlich? Wegen der Decke? Ach Schatz, sei lieber froh, dass du auf Mallorca bist, hier ist Schietwetter.« Ihre Stimme bekam einen noch wärmeren Klang. »Und in zweieinhalb Monaten ist schon Weihnachten, es bleibt doch dabei, dass ihr kommt?« Bevor ich entgegnen konnte, dass das unter heutigen Gesichtspunkten möglicherweise gar nicht so sicher war, fuhr Mama fort: »Oder Papa und ich kommen zwischendurch noch mal vorbeigeschneit. Du weißt, wie sehr wir die Zeit bei euch genossen haben. Möchtest du?«

Bei ihrem letzten Besuch vor einigen Monaten hatten sie in Lolas Pension übernachtet. Tagsüber hatten wir zusammen die Insel erkundet, abends aßen wir in Miguels Strandbar oder nahmen einen Drink in Xavis Bodega – Lolas Sohn sorgte stets für gute Stimmung. Meine Eltern hatten einen Narren an meinem Freund und auch an Lola und Xavi gefressen. So sehr sie anfangs gegen meine Pläne gewesen waren, alles in Oldenburg hinter mir zu lassen, so rasch änderten sie ihre Meinung, als sie meine neue Heimat und die Menschen, mit denen ich nun zusammenlebte, kennenlernten. Miguel hatte ein wirklich einnehmendes Wesen. Dazu kamen sein umwerfendes Lächeln und die olivfarbene Haut, nach der Mama sich begeistert »wahnsinnig hübsche Enkelkinder« prophezeit hatte. Ihr Herz hatte Miguel jedenfalls im Sturm erobert, besonders, als er ihren Namen Roswitha in ein rassiges »Rossa« verwandelte.

Meine Eltern um mich zu haben, würde vielleicht helfen. Und ich würde sie um Rat fragen können, was ich tun sollte. Würde es sie enttäuschen, wenn ich nach Oldenburg zurückkehrte? Wenn ich wegen etwas Farbgeruch das Handtuch schmiss? Wegen ein paar alberner Streits? Und weil mir die Vorstellung, in der Galerie meines Freundes zu arbeiten und seine Bilder zu verkaufen, möglicherweise nicht für die nächsten Jahre genügte? Weil ich meinen Beruf und vor allem die Schulkinder vermisste? Und weil ich das Gefühl hatte, um jede Zärtlichkeit von Miguel mit der Zeit zu konkurrieren, die er für die Bar und seine Kunst brauchte?

»Ich glaube, das mit mir und Miguel geht zu Ende«, hauchte ich. Vielleicht liebte er mich gar nicht. Das mit uns hatte sich schließlich einfach ergeben.

»Das kann nicht dein Ernst sein. Ihr seid das perfekte Paar! Und denk bitte daran, was du hier alles für ihn aufgegeben hast!«

»Wenn ich das nicht getan hätte, wüsste ich heute nicht, wie es ist, hier zu leben. Ich hätte mich das womöglich ewig gefragt. Aber Miguel lebt hier in seiner eigenen Welt. Er plant seinen Tagesablauf für sich – ob wir uns zwischendurch sehen oder nicht, geschieht allein auf meine Initiative.«

»Ihr müsst darüber reden, Schatz. Denkst du, die Ehe mit deinem Vater läuft seit dreißig Jahren reibungslos? Es gibt Höhen und Tiefen, wie in jeder Beziehung. Sprich doch erst mal mit ihm, sag ihm, wie es dir geht. Manche Männer brauchen erst einmal einen Impuls, um zu verstehen, dass etwas schiefläuft.«

Als ich auflegte, nahm ich mir fest vor, mit Miguel zu sprechen. Ihm zu sagen, wie wichtig es mir war, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Vielleicht vereinbarten wir feste Tage. Oder Nächte. Allein bei dem Gedanken musste ich lächeln. Ich wünschte es mir so sehr. Bestimmt hatte er seine Worte von vorhin gar nicht so gemeint. Im Ärger sagte man manchmal Dinge, die man später bereute.

In diesem Moment erklang die Türglocke, und ich hob den Kopf. Zwei Frauen betraten die Galerie, ich schätzte sie auf Mitte fünfzig und Ende sechzig. Beide trugen geblümte Kleider mit passenden Hüten; die Jüngere wirkte etwas sportlicher, als sei sie auf dem Weg zum nächsten Golfmatch. Sie sahen nicht deutsch aus. Engländerinnen vielleicht.

»Buenos días«, sagte ich und nickte ihnen zu. Hoffentlich sahen sie mir nicht an, dass ich geweint hatte. Eilig schob ich den Karton mit der Decke meiner Mutter beiseite. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte ich auf Englisch.

»Guten Morgen, wie gut, Sie sprechen unsere Sprache!«, sagte die Ältere. Ihr Lächeln erinnerte an ein Eichhörnchen. Sie hatte ein sehr schmales Gesicht, braune Augen und graubraune kurze Haare. Ihre vorderen Schneidezähne standen eine Nuance vor. »Wir kommen aus Irland, heute ist unser letzter Tag. Und als wir eben hier so vorbeispazierten, haben wir etwas in Ihrem Schaufenster entdeckt.« Sie schlug die Hände zusammen und warf der anderen einen verzückten Blick zu. »Wir glauben … dass wir beide auf einem Bild zu sehen sind!«

Die Jüngere lächelte verlegen, als geniere sie sich. »Im Bikini«, fügte sie mit einer erstaunlich tiefen Stimme hinzu. »Es müsste entstanden sein, als wir im Juli hier waren.«

»Ehrlich?«, fragte ich. Ich wusste gar nicht, welches Bild sie meinten, und ging mit den beiden nach draußen, deutete auf die Gemälde im Schaufenster. »Von welchem sprechen Sie?«

»Von diesem hier«, sagte die Ältere.

Ich trat näher an die Scheibe. Das Kunstwerk zeigte die Bucht an einem trüben Tag. Der Betrachter stand in unserem Apartment und blickte durch das geöffnete Fenster zum Strand. Draußen regnete es Bindfäden, ein paar Regentropfen bildeten sich auf der Fensterscheibe. Ich erinnerte mich an jenen Tag, einen Sonntag. Zum einen deshalb, weil Regentage im Sommer äußerst selten waren, zum anderen, weil Miguel und ich den halben Tag im Bett verbracht hatten. Zu Beginn unserer Beziehung war das noch öfter vorgekommen.

»Halten Sie es für möglich, dass es sich bei den beiden Frauen um mich und meine Schwester Adrienne handelt?«, fragte die Jüngere.

Ich sah genauer hin. Ach ja. Da lagen zwei Frauen einsam am Strand. Sie trugen leuchtend rote Bikinis – so ziemlich der einzige Farbtupfer auf diesem Bild. Wir gingen in die Galerie zurück, und ich stieg ins Schaufenster, nahm das Gemälde von der Staffelei und trug es zum Tresen, wo wir es genauer betrachteten.

Sie waren es tatsächlich. Lagen im Sand und ließen sich beregnen. Miguel hatte sie – trotz der Entfernung – gut getroffen. Er besaß diese Gabe, selbst kleinste Details in einem Bild festzuhalten. Manchmal entdeckte ich diese erst nach Tagen. Da der Blick des Betrachters das nach innen geöffnete Fenster der Mansarde streifte, erhielt das Gemälde – trotz des trüben Motivs im Außen – einen lebendigen Ausdruck. Ein wundervolles Bild. Weshalb hatte ich es bisher übersehen?

»Ich sehe so knackig aus, Sibeal!«, sagte die Ältere.

»Woher aus Irland stammen Sie?«, fragte ich.

»Dublin«, antwortete die Angesprochene. »Sie sprechen übrigens sehr gut Englisch für eine Spanierin«, bemerkte sie anerkennend.

Ich legte verlegen den Kopf schräg. »Ich bin Deutsche und habe Englisch studiert – mein Spanisch ist nicht besonders gut.«

»Sie sind Deutsche?« Verblüfft musterte mich die Dame.

Ich trug eine weiße Bluse, einen roten Stiftrock und schwarze Pumps. Ich liebte die Mode der fünfziger Jahre und föhnte mein schulterlanges braunes Haar meist in einer Welle nach außen. Miguel liebte meinen Look. Meine Freundin Svea nannte ihn gern »die Uniform«, weil ich nahezu ausschließlich Kleider und hochhackige Schuhe trug.

»Haben Sie Englisch in England studiert?«, fragte die Irin weiter.

Ich schüttelte den Kopf. »In Deutschland.« Dann sagte ich, weil ich mich plötzlich daran erinnerte: »Seltsam, dass ich noch nie in Irland war. Eigentlich wollte ich nämlich schon immer mal hin.«

Tatsächlich hatte ich schon als Jugendliche von der grünen Insel geträumt. Andere waren für ein Jahr nach Amerika oder England gegangen, doch für mich wäre Irland die erste Wahl gewesen. Getan hatte ich es allerdings nie. Ich war Einzelkind und sehr behütet aufgewachsen. Irgendwie hatte ich mich dann doch vor dem Heimweh gefürchtet. Dass diese Sorge nicht ganz unbegründet gewesen war, sah man ja jetzt.

»Sie können uns besuchen kommen, wenn Sie mögen«, antwortete die, die Sibeal Adrienne genannt hatte. »Wir vermieten regelmäßig eines unser Dachzimmer an Touristen.« Sie kramte in ihrer Handtasche und übergab mir eine Karte.

»Ehrlich?« Ich lachte und legte nach einem kurzen Blick darauf das Kärtchen auf dem Tresen ab. »Sollte ich diese Reise irgendwann tatsächlich in Angriff nehmen, komme ich gern auf Ihr Angebot zurück.«

Adrienne wandte sich wieder dem Bild zu, schien es bis ins Detail zu studieren. »Wir möchten es kaufen«, sagte sie nach einem Blickwechsel mit ihrer Schwester. »Was kostet es?«

Ich warf einen Blick auf die Rückseite, auf der Miguel normalerweise die Preise vermerkte. Hier war allerdings ein anderer Aufkleber angebracht: Invendible. Oh.

»Das verstehe ich nicht«, murmelte ich. »Hier steht, es sei unverkäuflich.« Ich hob unsicher die Schultern.

Das Entsetzen auf Sibeals Gesicht war echt. »Aber wir müssen es haben!«

»Ich kann Ihren Wunsch verstehen. Sehr gut sogar», bestätigte ich und deutete mit dem Daumen nach draußen, »aber wir werden den Künstler fragen müssen. Er arbeitet nebenan in der Bar.«

Eigentlich hatte ich nach unserem Streit erst einmal den Tag verstreichen lassen wollen, bis ich wieder auf ihn zuging. Ich würde einfach rein geschäftlich bleiben. Am besten kein persönliches Wort.

Adrienne war bereits auf dem Weg zur Tür. »Worauf warten Sie noch?«, rief sie.

Zögernd folgte ich ihr und ihrer Schwester. Warum sollte das Gemälde unverkäuflich sein? Ausgerechnet dieses? Es würde sehr schwer werden, den beiden Schwestern das Gemälde auszureden, so viel stand fest.

4

Als wir die Bar betraten, saßen zwei mir unbekannte Männer am bunt gekachelten Tresen. Sie tranken ein Bier und aßen von den hausgemachten Chips, die Miguel – neben den Tapas, die er ebenfalls anbot – von einem nahegelegenen landwirtschaftlichen Ökobetrieb bezog.

Mein Freund, der hinter dem Tresen stand, musterte mich kritisch, als wir eintraten. Er polierte gerade ein Glas.

»Bringst du mir jetzt schon die Gäste persönlich?«, fragte er.

Es sollte sicher scherzhaft klingen, doch sein Gesichtsausdruck sagte etwas anderes.

»Sind Sie der begnadete Künstler?«, vergewisserte sich Adrienne und hielt ehrfürchtig den Sonnenhut an die Brust gepresst, deutete eine Verbeugung an. Seinen unterschwelligen Ärger auf mich schien sie nicht zu bemerken.

»Sie sind ein Genie«, bestätigte Sibeal bewundernd.

Miguel sprach nicht besonders gut Englisch, doch zumindest das letzte Wort verstand er auf Anhieb.

»Gracias, muy amable.« Die weißen Zähne in seinem braungebrannten Gesicht blitzten auf, und er fuhr sich verlegen durch das nach oben gegelte schwarze Haar. Seine Aufmerksamkeit war nun ganz bei ihr.

Sibeal stürzte auf den Tresen zu und hielt sich mit beiden Händen daran fest, sah Miguel fast flehend an. »Sie müssen uns das Bild verkaufen!«

Die beiden anderen Männer warfen ihr einen amüsierten Blick zu.

Mein Freund hob die Schultern. »Ich biete alle Bilder zum Kauf an.«

»Das aus dem Schaufenster!« Adrienne deutete auf sich und ihre Schwester. »Mit uns beiden im Regen. Das auch, nicht wahr?«

Sibeal schlug die Hände zusammen, blickte verträumt zur Decke. »Zwei Irinnen baden im Regen.«

Miguel hatte offenbar einen Moment gebraucht, um die Worte der Irin zu verstehen. Plötzlich sah er aus, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Dieses Bild ist tatsächlich unverkäuflich«, sagte er in gebrochenem Englisch und hob bedauernd die Schultern. »Da ist nichts zu machen.«

Das Entsetzen der beiden Frauen hätte nicht größer sein können. »Wir zahlen jeden Preis!«, entfuhr es Sibeal und Adrienne bestätigte: »Jeden!«

Miguel zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Nein. Tut mir wirklich leid«, wiederholte er.

Adrienne und Sibeal schauten einander sprachlos an. Auch ich konnte Miguel nur anstarren. Noch nie hatte er ein Bild nicht verkaufen wollen.

»Mir hat noch niemals ein Mann etwas ausgeschlagen«, sagte Adrienne fassungslos. »Warum?«, rief sie.

Ich ging zu Miguel hinter den Tresen und raunte: »Wieso willst du es nicht verkaufen? Was ist so Besonderes daran?« Eilig korrigierte ich mich: »Natürlich ist es besonders. Aber alle deine anderen Bilder sind es auch. Und die gibst du trotzdem her.«

Miguel sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht deuten konnte. Triumph? Bedauern? Stolz? Irgendwie alles gleichzeitig. Er öffnete in einer bedauernden Geste die Hände und sagte noch einmal: »Da ist nichts zu machen.«

»Aber hör mal Miguel«, begann ich noch einmal. »Du kannst es doch jederzeit …« … noch einmal malen, hatte ich sagen wollen. Er war in der Lage, nahezu identische Kopien seiner Werke anzufertigen. Doch sein zorniger Gesichtsausdruck stoppte mich mitten im Satz.

»No, jetzt hörst du zu«, knurrte er leise. »Du kannst nicht entscheiden. Du musst machen, was ich sage. Und Bild es invendible

Ich starrte ihn an. So hatte er noch nie mit mir geredet. »Du bist der Boss«, entgegnete ich und trat wieder hinter dem Tresen hervor.

»Correcto«, blaffte er und knallte das Glas auf den Tisch, sodass es einen Sprung bekam.

Die beiden Frauen zuckten zusammen und liefen ohne ein weiteres Wort aus der Bar, die Männer am Tresen lachten und warfen Miguel einen anerkennenden Blick zu. Ich hingegen sah ihn fassungslos an. Eben war er zu weit gegangen.

Die beiden Frauen warteten leise miteinander diskutierend vor der Tür zur Galerie auf mich.

»Was ist das für ein Künstler, der seine Bilder nicht verkauft?«, platzte Adrienne heraus, als ich bei ihnen war. »Mit uns als Motiv! Und so unfreundlich!«

Ich war noch immer um Fassung bemüht, versuchte auszublenden, was gerade geschehen war.

Ihre Schwester legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm, doch die Ältere schimpfte weiter. »Er hat mir den Urlaub verdorben!« Sie wirkte wahrhaft verzweifelt. »Es ist so ein wunderschönes Bild! Eine fantastische Erinnerung. Und der Maler verkauft nicht!« Sie ließ die Schultern sinken.

»Hören Sie«, beschwichtigte ich, »ich werde sehen, was ich tun kann. Möglicherweise malt er das Bild noch einmal. Er reproduziert sogar ziemlich schnell. Ich könnte es Ihnen zuschicken.« Adrienne schüttelte den Kopf. »Keine Kopie ist so gut wie das Original.«

»Aber Sie werden den Unterschied gar nicht sehen. Wirklich.«

Sibeal sah mich zweifelnd an. »Er gibt sich dann bestimmt nicht mehr so viel Mühe.«

»Mein Freund gibt sich immer viel Mühe«, widersprach ich und ärgerte mich, dass ich nun sogar für ihn in die Bresche springen musste.

»Er ist Ihr Freund?« Sibeal musterte mich verblüfft. »Eins muss ich sagen, so würde ich mich nicht behandeln lassen.«

Ich verzog den Mund. »Besonders nett war das nicht, das stimmt«, sagte ich. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.

»Ich finde das alles so umständlich«, klagte Adrienne erneut – wenigstens sie hatte kein Interesse an meinem Verhältnis zum Künstler. Sie sah zur Tür, dann zu mir. Plötzlich sprach sie sehr leise: »Und wenn Sie es uns einfach trotzdem verkaufen? Zu einem sehr guten Preis, sagen wir …«, sie zögerte und warf ihrer Schwester einen rückversichernden Blick zu, »tausend Euro?«

Ich sog scharf die Luft ein. Das war richtig viel Geld. Ahnte sie, dass das ein verdammt guter Preis war? Der übliche hätte bei etwa dreihundert gelegen. Ein so hoher Erlös für ein einziges Kunstwerk?

Ich trat näher an das Gemälde heran. Hatte ich vielleicht irgendetwas übersehen? Etwas, das Miguels Verhalten rechtfertigte? Er würde sicher unmöglich etwas dagegen haben, einen so hohen Gewinn zu erzielen. Die ganze Zeit schon sprach er davon, dass er dringend das Auto warten lassen musste, aber eigentlich keinen Cent dafür übrig hatte. Mein Blick schweifte über das Bild. In der Mitte lagen die beiden Frauen am Strand. Es regnete. Auf der Promenade lief ein Mann mit Schirm. Über die Szene wölbte sich ein grauer, wolkenverhangener Himmel, der sich in der Scheibe des offenen Fensterflügels brach. In der Ferne schipperte eine Fähre übers Meer; im Hafen schaukelten ein paar einzelne Yachten. Es war eigentlich ein eher trostloses Motiv, wenn man von den roten Bikinis der beiden Irinnen absah. Kein Wunder, dass sonst noch niemand danach gefragt hatte. Miguel würde es doch ohne Aufwand kopieren können. Wenn ihm wirklich so viel daran lag? Er benötigte nicht einmal eine Vorlage, um das zu tun. Wahrscheinlich hatte er nur wegen unseres Streits so ablehnend auf meinen Vorschlag reagiert, es doch noch einmal malen zu können.

Wieder sah ich in die flehenden Augen der beiden Frauen. Sie würde sich nicht so behandeln lassen, hatte die Jüngere gesagt. Wie recht sie hatte.

»Also gut«, lenkte ich, noch immer zögernd, ein. »Ich werde den Künstler schon besänftigen können. Und falls er sich doch ärgert, dann ist er böse auf mich und nicht auf Sie.« Das war er ja ohnehin schon.

Adrienne und Sibeal fielen sich um den Hals. »Danke, danke, danke!«, riefen sie. »Es wird sich so wundervoll über unserem Kamin machen!«

Ich lächelte ihnen verzagt zu. Der Gedanke an Miguels Reaktion auf mein Verhalten quälte mich jetzt schon. Nicht, dass ich mich vor ihm fürchtete. Er war zwar manchmal recht temperamentvoll, wenn er sich ärgerte. Aber ebenso schnell konnte er sich auch wieder beruhigen.

Vor drei Jahren hatte er allerdings nach dem Tod seiner Eltern die Bar kurz und klein geschlagen und sie dann vernagelt, bis er sie in diesem Frühjahr wieder öffnete … Auf einmal erfasste mich Angst um die Galerie. Er würde doch nicht …? Innerlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Ich dramatisierte. Vermutlich bemerkte er nicht einmal, dass das Bild fehlte. Ich würde einfach ein anderes auf die Staffelei im Schaufenster stellen.

Adrienne zwinkerte Sibeal verschwörerisch zu. »Chester und Warren werden ab jetzt immer unter Beobachtung stehen!«

Der Gedanke ihrer Schwester schien Sibeal zu erheitern. Sie kicherte und klatschte in die Hände, dann sagte sie: »Bringen wir das mit der Bezahlung hinter uns, bevor der Künstler zurückkommt.«

Ihre Worte verstärkten das flaue Gefühl in meinem Magen. Oh nein. Ich hatte zu voreilig gehandelt. Bestimmt beging ich einen riesigen Fehler. Ich musste …

Adrienne warf mir einen alarmierten Blick zu, offenbar bemerkte sie meine Zweifel. Sie zückte ihre Kreditkarte und hielt sie mir unter die Nase. »Tausend Euro, richtig? Nicht einen Cent weniger.«

»Wissen Sie …«, begann ich. »Ich glaube es ist doch besser, wenn …«

Sibeal stemmte die Hände in die Hüften. »Sie haben es versprochen!« Dann sah sie auf die Uhr. »Bitte beeilen Sie sich, unser Flieger geht bald.«

Mit zitternden Fingern nahm ich die Karte entgegen und führte sie in das Lesegerät ein, wartete ab, bis es eine Verbindung zum Bankserver aufbaute. Noch konnte ich den Vorgang abbrechen. Ich schielte unsicher zu den beiden hinüber. Sie würden mich vermutlich lynchen.

Wie zur Bestätigung trat Sibeal neben mich und starrte aufs Display. Dort wurde die Eingabe des Betrags von mir gefordert. »Eins, null, null, null«, diktierte sie.

Zögernd tippten meine Finger die Ziffern ein. Du tust das Richtige, versuchte ich mich zu beruhigen. Er wird sich über das Geld freuen.

Sibeal drückte liebevoll meinen Arm. »Sie sind die Beste«, sagte sie.

Als ich den Quittungsstreifen abriss, quiekte sie noch einmal, und Adrienne griff nach Miguels Gemälde, platzierte es auf dem Stapel Verpackungspapier auf dem Verkaufstresen. »Können Sie es rasch einpacken bitte? Wir müssen los«, bat sie.

Vorsichtig schlug ich das Bild in die extra feste Verpackung ein, die auch dem rauen Transport innerhalb eines Flugzeuges standhielt. Dann druckte ich eine Rechnung aus und legte sie bei. Inzwischen war mir ganz übel. Immer wieder schielte ich zur Tür, gleichzeitig hoffend und befürchtend, Miguel könnte hereinkommen und diesen Fehler verhindern. Meine Bewegungen wurden immer langsamer. Ich musste etwas sagen. Die Abbuchung stornieren. Ich musste …

In diesem Moment riss Adrienne das Gemälde vom Tresen und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Ein Stück Klebestreifen flatterte noch lose herum. Sibeal eilte ihrer Schwester hinterher. »Good-bye!«, riefen sie und warfen mir mehrere Kusshände zu. »Good-bye, good-bye, good-bye!« Dann waren sie fort.

5

Erschöpft sank ich auf den Hocker hinter dem Verkaufstisch und verbarg mein Gesicht in den Händen. Ich hatte keine Kraft, ihnen hinterherzulaufen, sie irgendwie aufzuhalten. Mit einem Mal war ich mir sicher: Miguel würde mir das niemals verzeihen. Er hatte es doch ausdrücklich gesagt, dass das Gemälde unverkäuflich war!

Ich weiß nicht, wie lange ich so saß, bis ich die Glocke der Eingangstür hörte und Miguel vor mir stand. Liebevoll sah er mich an, der Zorn von vorhin schien vergessen. Er ging vor mir in die Hocke und griff nach meinen Händen. »Möchte ich mich bei dir entschuldigen. Wegen heute Morgen. Und wegen eben. War ich sehr laut. Und sehr ungerecht. Lo siento.«

Ich schüttelte den Kopf, flüsterte: »Ist schon gut. Kein Problem.« War es wirklich nicht – solche Ausbrüche waren bei ihm auch nicht an der Tagesordnung. Jeder hatte mal einen schlechten Tag.

Er sah mich nachdenklich an. »Bist du so unglücklich, weil du durftest Bild nicht verkaufen?«, fragte er und berührte mich zart an der Schulter.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch mir kam kein Wort über die Lippen.

Er tätschelte meine Hände. »Komm, cariño, bitte sei wieder froh. Was hältst du davon: Wollen wir an der Promenade etwas essen gehen?« Er legte den Kopf schräg und sah mich treuherzig an, sodass ich unter normalen Umständen sicher gelacht hätte. »Nur wir zwei?«, fuhr er fort. »Wir machen Mittagpause. Trinken ein Vino und stoßen an auf uns. Auf unsere Liebe. Und wollte ich dich um etwas bitten.«

Ich schluckte. Ausgerechnet jetzt kam er mit diesen Worten? Wäre er noch immer so unversöhnlich zu mir gewesen, hätte ich mir wenigstens einreden können, dass … Ach Unsinn. Ich hatte so oder so einen schrecklichen Verrat begangen. Wie hatte ich das nur tun können?

»Wer schaut denn nach der Bar, während wir essen gehen?«, fragte ich ausweichend und glitt von meinem Stuhl, zog Miguel mit mir auf die Füße. An die Galerietür konnte ich ein Schild hängen, um die Mittagszeit war ohnehin nie viel los. In der Bar hingegen schon. Und irgendwie musste ich Miguel begreiflich machen, dass ich gar keine Zeit hatte, um mit ihm Mittagessen zu gehen. Ich hatte soeben einen Plan gefasst und etwas anderes vor.

»Einer der Männer, die du gesehen hast an Bar, wird für mich arbeiten«, beantwortete Miguel meine Frage. »Jetzt und auch in Zukunft. Ich will mehr Zeit haben. Für uns und für Malen am Tag. Nicht mehr so viel in der Nacht.«

»Wirklich?« Normalerweise wäre ich ihm um den Hals gefallen vor Freude. Doch ich fühlte mich wie gelähmt.

Er nahm mich bei den Händen. »Schläfst du so schlecht und müsste ich mehr bei dir sein«, entgegnete er liebevoll und küsste mich innig. »Habe ich nicht genug gekümmert. Das ist nicht gut. Tust du so viel für mich.«

Seine Worte trafen mich mitten ins Herz, und mir wurde immer elender zumute.

»Wollte ich schon ganze Zeit mit dir reden, aber hatte ich Angst«, fuhr er fort. »Aber als du vorhin bist gekommen wegen Bild von zwei Frauen an Strand, habe ich mich an etwas erinnert, was ich hatte viel zu lange vergessen. Und Angst war weg.«

Ich schluckte. »Angst? Aber wovor denn?«

»Erzähle ich dir bei Essen. Komm.«

Ehe ich etwas sagen, ihm erklären konnte, warum ich etwas getan hatte, das ihn möglicherweise nicht für mich einnehmen würde, küsste er mich noch einmal und zog mich Richtung Ausgang, schloss die Galerietür ab. Ich starrte verzweifelt auf die nackte Staffelei im Schaufenster. Warum hatte ich denn nicht wenigstens ein anderes Bild darauf abgestellt? Nun war es zu spät – blieb nur zu hoffen, dass er es nicht bemerkte. Wenn ich Glück hatte, würde der Flieger der beiden Frauen Verspätung haben. Ich musste zum Flughafen.

»Venga, cariño«, drängte Miguel und schlang seinen Arm um meine Taille, »vamonos.«

Auf unserem Weg in Richtung Strandrestaurant suchte ich verzweifelt nach Ausflüchten: »Bist du sicher, dass du die neue Hilfe gleich am ersten Tag alleine lassen willst? Wir könnten auch morgen zusammen Mittag essen gehen, weißt du. Ich finde das ein bisschen leichtsinnig.«

Miguel schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Mann. Er hat schon gearbeitet in andere Hotels und Bars. Ist zuverlässig, kommt nix weg. Ich habe gefragt und für ihn war okay.«

»Aber wenn er etwas nicht finden kann?«

»Jordi in Küche weiß, wo alles ist. Er ist doch da.«

Er zwickte mich in die Seite. »Ich dachte, dass dich freut, wenn ich dich überrasche.«

»Ich freue mich doch auch. Sehr sogar.« Ich verlangsamte meine Schritte. »Aber, Miguel«, begann ich und hielt mir die Hand an die Stirn. »Irgendwie geht es mir nicht so gut. Ich hatte eigentlich gerade vorgehabt, mich noch mal hinzulegen.«

Miguel sah mich überrascht an. »Wirklich?«

»Ja. Ganz plötzlich.«

Niedergeschlagen verzog er den Mund. »Du hast wieder so schlecht geschlafen. Alles wegen mir.«

»Nein, nein.«

Hoffentlich glaubte er mir und ließ mich gehen. Ich musste dringend mit Lola telefonieren. Ich würde sie um Hilfe bitten. Vielleicht konnte sie mich zum Flughafen fahren. Miguel durfte nur nichts davon mitbekommen.

Nervös wippte ich von einem Fuß auf den anderen. »Bitte, Miguel. Später, ja? Vielleicht werde ich krank. Ich würde mich wirklich gern hinlegen.«

»Ich komme mit, vale? Du kuschelst an mich und schläfst ein. Haben wir ewig nicht gemacht.«

Vollkommen richtig. Und jeder andere Zeitpunkt dafür wäre besser gewesen als dieser!

Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und küsste ihn noch einmal, fast ein wenig brutal. »Heute Abend, ja?«, bat ich. »Dann kuscheln wir. Solange wir wollen. Am besten die ganze Nacht.«

Mit diesen Worten wandte ich mich ab und rannte los.

In unserem Apartment angekommen, setzte ich mich aufs Bett und wählte mit fliegenden Fingern Lolas Nummer. Kaum dass sie abgenommen hatte, legte ich ihr dar, was ich angestellt hatte. Ich vertraute ihr, dass sie mich nicht verriet.

»Dios mío«, hauchte sie, als ich geendet hatte. »Que terrible.«

»Allerdings«, erwiderte ich niedergeschlagen. »Hilfst du mir? Kannst du mich zum Flughafen fahren? Ich kann Miguel natürlich nicht bitten, mir sein Auto zu leihen. Er muss mich ohnehin schon für verrückt halten.«

Lola schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Mein Auto kaputt, Viebka. Ist in Werkstatt.«

Ich raufte mir die Haare und überlegte fieberhaft. »Kannst du mir ein Taxi rufen?«, bat ich schnell. »Du hast doch bestimmt eine Nummer im Kopf.«

»Ist gut«, sagte sie. »Sage dir gleich Bescheid, wann kommt, vale?«

»Sie sollen mich vorn am Ortsschild einsammeln. Nicht hier vor der Tür.«

Nach einer kurzen Verabschiedung legten wir auf.

Wenig später stand ich vorm Haus und sah mich nach allen Seiten um. Ich überlegte, wie ich unauffällig an der Bar vorbeikommen könnte, ohne dass Miguel mich entdeckte. Am besten überquerte ich die Straße und lief dann ein Stück die Promenade entlang – zwischen den anderen Fußgängern nahm er mich hoffentlich nicht wahr.

Ich holte tief Luft und machte mich auf den Weg. Wenn er mein Fortgehen bemerkte, würde er mich sicher zur Rede stellen. Aber ich hatte keine Zeit zu verlieren. Bestimmt würde er mir alles verzeihen, wenn ich das Bild wieder mitbrachte.

Ganz bestimmt.

Im Taxi rechnete ich mir meine Chancen aus, die beiden Irinnen zu erwischen. Das Ganze war reine Glückssache. Sie hatten etwa eine Stunde Vorsprung, und auch, wenn sie vielleicht noch nicht in der Luft waren, so hatten sie sicher ihr Gepäck längst aufgegeben. Dennoch klammerte ich mich an die blinde Hoffnung, dass die beiden Frauen das Bild als Handgepäck bei sich trugen und noch nicht in den Transitbereich gegangen waren. Vielleicht fand ich sie? So, wie ich die beiden einschätzte, befanden sie sich aber vielleicht auch längst in einem der Dutyfreeshops auf der Suche nach einem Mitbringsel für ihre Männer.

Eilig rannte ich nach meiner Ankunft zur Anzeige der Departures – doch zu meiner Überraschung entdeckte ich keinen einzigen Flug nach Dublin. Wie konnte das sein? Hektisch sah ich auf die Uhr, es war halb eins. Um fünfzehn Uhr startete eine Maschine nach London – mochten die beiden diesen Flug gebucht haben? In dem Fall waren sie vielleicht wirklich noch zu finden.

Die Schlange bei British Airways war nicht besonders lang. Womöglich würde man mir dort Auskunft geben können? Oder fiel das unter Datenschutz? Bestimmt!

Angestrengt versuchte ich, Ruhe zu bewahren. Ich würde eine Runde durch die Abflughalle drehen. Dann noch eine. Bis ich sie fand. Ich musste sie finden! Dabei herrschte hier ein Kommen und Gehen, wie sollte ich denn hier …

Moment mal.

Waren das da hinten zwei Sonnenhüte? Eilig bahnte ich mir meinen Weg durch die Menschen. Kurz verlor ich die Hüte aus den Augen, dann tauchten sie wieder auf. Sie mussten es sein!

Sibeal und Adrienne standen vor der Auslage eines Zeitschriftenladens, im Lauf erfasste ich die Lage: Zu ihrer Seite stand ein Gepäckwagen, offenbar hatten sie noch nicht einmal eingecheckt. Fast geriet ich ins Stolpern, doch dann war ich endlich bei ihnen. Am liebsten wäre ich den beiden um den Hals gefallen.

»Hi«, brachte ich schwer atmend hervor, und die beiden wandten sich verblüfft zu mir um.

»Ist das nicht unser Mädchen von der Galerie in der Cala Santanya?«, fragte Sibeal.

»Ich brauche das Bild zurück!«, platzte ich ohne Umschweife heraus. »Es ist unverkäuflich! Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen. Mein Freund hat mir ausdrücklich gesagt, dass ich es nicht verkaufen darf, und ich habe es trotzdem getan. Das wird er mir nie verzeihen!«

Die beiden starrten mich sprachlos an.

»Aber es gehört uns. Wir haben eine Rechnung«, wandte Sibeal schließlich ein. »Und außerdem …«

»Ja?«, fragte ich verzweifelt und scannte mit meinem Blick die Gepäckstücke auf dem Wagen ab. Wo war denn eigentlich das Bild?

»… haben wir es per Post verschickt. Auf dem Postamt in Palma. Mit Versicherung. Der Transport im Flugzeug war uns viel zu riskant.«

»Bei diesem Preis«, gab Adrienne zu bedenken.

»Es ist gar nicht hier?«, rief ich hilflos.

Die beiden Frauen hoben bedauernd die Schultern. »Nein.«

Adrienne tätschelte mir den Arm. »Ihr Freund wird sich ganz sicher wieder entspannen. Und wie Sie schon sagten: Er soll einfach ein Neues malen, wenn ihm das so leicht fällt. So beruhigen Sie sich doch, Sie sind ja ganz blass um die Nase.«

In der Tat befürchtete ich, gleich zusammenzuklappen. Meine Knie waren mit einem Mal ganz weich. Wie sollte ich Miguel nur beibringen, dass ich trotz seines Verbots das Bild verkauft hatte? Und wie würde er reagieren?

6

Als ich in die Cala Santanya zurückkehrte, saß Miguel auf der Außenstufe zum Eingang unseres Apartments. Mein Herz raste. An seinen ausdruckslosen Augen erkannte ich sofort, dass ich mir unterwegs im Taxi alle Überlegungen hätte sparen können.

Je näher ich kam, desto langsamer wurden meine Schritte. Vielleicht war er nur enttäuscht, dass ich mich nicht, wie angekündigt, hingelegt hatte – doch besonders wahrscheinlich war das nicht. Viel eher hatte er wohl entdeckt, dass das Bild im Schaufenster fehlte und auch aus der Galerie verschwunden war.

Als ich mich neben ihn auf die Stufe sinken ließ, stand er auf und ging ins Haus. Ich sah ihm hinterher, hörte ihn die ausgetretenen Stufen zur Mansarde hinaufsteigen. Kurz darauf fiel die Tür ins Schloss. Nicht einmal besonders laut. Ein einfaches Klapp, kaum hörbar. Es klang so abgrundtief enttäuscht. Wut wäre mir lieber gewesen.

Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich blinzelte sie fort. Jetzt nur nicht heulen. Leidtun konnte ich mir immer noch. Ich musste mit ihm reden. Ihm alles erklären. Und schwören, dass ich das nie wieder tun würde. Nie mehr!

Nach einer Weile ging ich ebenfalls nach oben, pochte leise an die Tür. Obwohl ich keine Antwort erhielt, trat ich ein und entdeckte Miguel am Fenster. Er sah hinaus. Kein Pinsel in seiner Hand, kein Schwamm. Ich trat hinter ihn, flüsterte nur: »Es tut mir so wahnsinnig leid.«

Wie sehr ich mir wünschte, er möge sich zu mir umdrehen und mich in den Arm nehmen, sagen: »Dann male ich es eben noch mal. Schwamm drüber.«

Doch das waren nicht seine Worte. Stattdessen sagte er: »Dieses Bild hat gezeigt alles, was ich für dich in meinem Herzen trage, Viebka. Todo mi corazón. Jetzt wo du hast weggegeben, mein Herz ist leer. Wie Loch.«

Ich starrte auf den mir zugewandten Rücken. »Aber was ist denn noch darauf zu sehen?«, flüsterte ich verzweifelt. »Da waren doch nur diese beiden Frauen!«

Er schüttelte den Kopf. »Solltest du kennen besser meine Bilder. Es ist nie einfach nur irgendetwas.«

Damit hatte er natürlich recht, aber so hatte ich es ja gar nicht gemeint. Die Tränen rannen mir nun doch über die Wangen. »Ich wollte nur, dass du so viel Geld für ein Kunstwerk bekommst, wie du es verdient hast. Damit du nicht dauernd auch nachts malen musst! Und tausend Euro … die kann man doch nicht einfach ausschlagen!«

Der Betrag schien ihn nicht zu beeindrucken. »Das Bild war invendible!« Das letzte Wort sprach er so heftig aus, dass ich zusammenzuckte. Als er endlich zu mir herumfuhr, erkannte ich, dass auch er geweint hatte. »Ich möchte, dass du mich jetzt lässt alleine, Viebka. Ich muss denken.«

»Denken?«, fragte ich und schluckte. »Woran denn? Geht es um uns beide? Denkst du darüber nach, mich zu verlassen? Wegen dieses Bildes? Ist es das, was du sagen willst?«

Dabei hatte ich mich ja selbst heute Morgen gefragt, ob es hier eigentlich noch einen Platz für mich gab. Weil ich mich vernachlässigt gefühlt hatte. Was für ein Blödsinn.

»Ich weiß, du hattest Zweifel an meine Liebe zu dir«, sagte Miguel mitten in meine Gedanken hinein. »Weil ich nicht habe genug gezeigt. Aber Bild hat gezeigt. Ich hatte es in Schaufenster gestellt, damit jeder es kann sehen. Sieht aus wie verborgen, aber ist da. Ist selbe mit meine Liebe. Manchmal siehst du vielleicht nicht. Aber ist immer da.«

Hilflos warf ich die Hände in die Luft. »Aber dann sag mir doch wenigstens, was zu sehen war! Ich habe das ganze Bild untersucht, aber nichts entdeckt! Einfach nichts.«

Seine Worte hatten mich mitten ins Herz getroffen. Seine Liebe war immer da, auch wenn ich sie nicht sah? Ehrlicherweise musste ich mich fragen, wie sehr ich ihm eigentlich gezeigt hatte, was mir an ihm lag. War ich jemals spontan zu ihm in die Bar gegangen und hatte ihn vor allen Gästen umarmt und geküsst? Nein. Weil es mir unangenehm war, das vor anderen zu tun. Überhaupt zierte ich mich schrecklich, wenn es darum ging »locker« zu sein. Ein Tänzchen zu später Stunde in Xavis Bodega war mit mir undenkbar. Ich stand immer am Rand, lächelte mein »Audrey-Hepburn-Lächeln«, wie Svea es nannte, und rührte mich nicht von der Stelle. Für einen lebenshungrigen Spanier, wie Miguel einer war, war das doch eine Zumutung. Und nun hatte ich auch noch diesen Vertrauensbruch begangen.

»Hör mal, cariño«, flüsterte ich.

Er schien durch mich hindurchzusehen.

»Was meinst du«, begann ich dennoch, »kannst du das Bild nicht einfach noch mal malen? Und ich fliege nach Irland und hole das Original wieder zurück? Tausche es einfach um?«

Nun sah er mich doch an. Ich hatte ihn noch nie so verletzt und gleichzeitig so kalt erlebt. »Habe ich wenige Einzelstücke, Viebka. Sehr wenige. Dieses war eins. Ich male dieses Bild nicht noch mal, denn sonst müsste ich das, was darin verborgen ist, weglassen, damit niemand sonst es sehen kann. Und es zu malen ohne … diese Detail … geht nicht, weil wäre ganz anderes.«

»Kein Problem!«, sagte ich und witterte Hoffnung. »Sie werden den Unterschied doch gar nicht erkennen. Und das andere bekommst du wieder zurück. Insofern lohnt sich die M…«

Er schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. »Diese Bild gibt nur einmal. Basta ya.«

Letzteres hieß »Es reicht«. Er murmelte noch etwas anderes auf Spanisch, das ich beim besten Willen nicht verstand, wandte mir wieder den Rücken zu und sah aus dem Fenster.

Endlich gab ich mich geschlagen. Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Wohnung.

7

Die nächsten Tage verliefen entsetzlich. Hatte ich zuvor geglaubt, von Miguel nicht genügend beachtet zu werden, so wusste ich jetzt, dass ich nicht einmal geahnt hatte, was es hieß, wenn er mich tatsächlich ignorierte.

Kein Blick, keine Berührung. Als sei ich unsichtbar. Inzwischen hatte ich mit Svea telefoniert, doch einen guten Tipp hatte sie auch nicht für mich. Sie meinte, ich solle noch einmal versuchen, ihm zu erklären, warum ich das Bild verkauft hatte. Dass ich mich von den beiden Frauen hatte unter Druck setzen lassen. Und weil er vorher so schroff zu mir gewesen war.

»Das sind alles keine ausreichenden Gründe«, widersprach ich. »Ich habe es einfach nur verbockt! Dafür gibt es keine Entschuldigung!«

»Dann flieg hin und hol es wieder zurück«, riet Svea.

»Ohne Ersatz werden sie es niemals hergeben! Du hättest sehen sollen, wie die beiden sich in das Bild verliebt haben.«

»Bist du denn gar nicht neugierig, was es sein könnte, das Miguel darin versteckt hat?«

»Natürlich bin ich das! Aber ich habe es mir genau angesehen, weil ich verstehen wollte, warum er es nicht verkaufen möchte. Da war nichts.«

»Ich wette, wenn du gewusst hättest, wonach du suchen musst, wäre es ganz einfach gewesen.«

»Wahrscheinlich«, entgegnete ich bitter. Alles Herumrätseln nutzte sowieso nichts. Schließlich sagte ich: »Lass uns über etwas anderes reden. Wie geht es dir? Bist wenigstens du glücklich mit deinem Traumprinzen?«

Svea schnaubte belustigt. »Mit dem Traumprinzen schon – ich werde ihn von dir grüßen. Aber es ist Oktober, wie du weißt. Nicht gerade mein Monat.« Svea lebte seit Juni auf Langeoog und arbeitete nun dort als Grundschullehrerin, nachdem sie, wie ich, ihre Stelle in Oldenburg gekündigt hatte.

»Du wirst es nicht glauben, aber ab und zu sehne ich mich nach Kälte und Regen«, gestand ich.

»Ich spreche nicht vom Wetter, Wiebke.«

»Oh.« Das hatte ich ganz vergessen. Sveas Eltern waren im Oktober vor drei Jahren bei einem Bootsunglück vor Langeoog ums Leben gekommen – genau wie die von Miguel im selben Jahr im Mittelmeer. Ein schrecklicher Zufall, der die beiden im Frühjahr einander näher brachte. Bis ich dazwischen funkte. Doch gottlob war Svea mir deswegen nie böse gewesen, hatte sie sich doch längst in einen anderen verliebt.

»Sorry«, hauchte ich.

»Ist schon gut.«

»Aber du und Jan, ihr seid glücklich?«

»Wir haben mindestens drei Kilo zugenommen, seitdem wir uns fast ausschließlich von Krabbenbrötchen ernähren«, kicherte sie, »also ja, wir sind glücklich.«

Als wir auflegten, regte sich Hoffnung in mir. Bei Jan und Svea hatte es im Frühjahr ebenfalls aussichtslos ausgesehen. Ich wünschte mir so sehr, dass zwischen mir und Miguel auch wieder alles ins Lot kam. Doch die Art und Weise, wie er durch mich hindurchsah, konnte ich keine Sekunde länger ertragen. Im Grunde war es eine ständige stumme Aufforderung, wiedergutzumachen, was ich angerichtet hatte. Was blieb mir da anderes übrig, als tatsächlich nach Irland zu reisen und mein Glück zu versuchen? Ich würde mich bei den Schwestern einmieten und sie davon überzeugen, mir das Gemälde zurück zu verkaufen. Wenn ich ihnen erst dieses Detail gezeigt hatte, weswegen meine Beziehung in Gefahr war, würden sie es mir zurückgeben müssen. Mit etwas Glück bekam ich die Unterstützung ihrer Ehemänner. Hauptsache, ich entdeckte zunächst einmal das, was Miguel so wichtig war. Das wäre schon einmal die halbe Miete.

8

Ich war noch nie besonders spontan. Das mag daran liegen, wie ich aufgewachsen bin: sehr behütet. Als Einzelkind erhielt ich die volle Aufmerksamkeit meiner Eltern – jede Weggabelung meines Lebens wurde genauestens begutachtet und analysiert. Das geschah oft so intensiv, dass ich sogar die Lust an manchen Plänen verlor. Wie jenen, als Jugendliche ein Jahr in Irland zu verbringen. Mama hatte sogar darüber nachgedacht, mich zu begleiten. Da war ich lieber zu Hause geblieben – von der Angst vor dem Heimweh einmal abgesehen.

Die Tatsache, dass ich im Juni Miguel nach Mallorca gefolgt war, war das Verwegenste, das ich jemals gewagt hatte. Allerdings war dies nicht Hals über Kopf geschehen – ich hatte vorher meinen Job und meine Wohnung gekündigt und eine Abschiedsfeier auf Langeoog bei Svea und Jan gefeiert. Nicht, dass der bevorstehende Flug nach Irland ein besonderes Abenteuer gewesen wäre, doch normalerweise bereitete ich auch Urlaubsreisen sehr sorgfältig vor. Die Tickets besaß ich meist Monate im Voraus. Diesmal hingegen lud ich die Flugkarten aufs Handy, und zwar sofort, nachdem ich Lola überredet hatte, mich in meiner Abwesenheit in der Galerie zu vertreten – sie hatte das schon öfter getan.

Ich würde von Donnerstag bis Montag bleiben. Das sollte doch genügen, um die beiden Schwestern zu überzeugen? Es musste mir gelingen! Und ein bisschen wollte ich mir auch von der Insel anschauen. Wenn ich schon mal dort war.

Als ich Adrienne über das auf ihrer Businesscard genannte Privatzimmerportal eine Buchungsanfrage schickte, antwortete sie mir mit einer begeisterten Nachricht. Natürlich hatten die beiden Schwestern nicht damit gerechnet, dass ich ihrer netten Einladung so schnell folgen würde – und es gab auch einen kleinen Haken: Das von ihnen erwähnte Zimmer war bereits belegt.

Wie kann ich denn solches Pech haben?, schrieb ich verzweifelt.

Wir geben dir ein anderes Zimmer, antwortete Adrienne. Normalerweise vermiete sie dieses gar nicht, weil es kleiner sei als das andere und auch nicht ganz so gut in Schuss. Und das Bad müsse ich mir mit der anderen Person – »a lovely girl from California« – teilen.

Nun, das alles sollte das geringste Problem sein.

Natürlich ahnten Adrienne und Sibeal nicht, weshalb ich wirklich kam. Nachdem wir alles besprochen hatten, freute ich mich sogar ein bisschen auf meinen Trip.

Immerhin hatte ich Dublin schon so lange besuchen wollen.

Als ich am anderen Morgen aufstand und mich möglichst geräuschlos fertigmachte, ahnte Miguel nicht das Geringste von meinen Plänen. Die Reisetasche hatte ich bereits am Vortag gepackt, als er noch in der Bar gewesen war – anschließend hatte ich sie hinter einem Stapel von Leinwänden verborgen. Es war nicht davon auszugehen, dass er aufwachte – wenn Miguel einmal schlief, dann weckte ihn nichts so leicht auf. Er grunzte nur, als ich die Tasche hervorzog, und wälzte sich zur anderen Seite. Es war in der Nacht mal wieder spät geworden. Später denn je.

Ich warf ihm einen letzten Blick zu und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. In der Küche hinterließ ich eine Notiz.

Ich werde wiedergutmachen, was ich getan habe und fliege nach Irland. Lola kümmert sich um die Galerie. Ich liebe dich.

Deine Wiebke

Die Worte hörten sich sehr zuversichtlich an. Doch ob ich meinen Plan, Sibeal und Adrienne das Bild abzukaufen, in die Tat umsetzen konnte, wusste der Himmel.

Wenig später lud ich meine Reisetasche in den Kofferraum eines Taxis, das mich zum Flughafen bringen sollte. Hätte ich nicht noch einen letzten Blick nach oben zum Fenster der Mansarde geworfen, hätte ich nicht bemerkt, dass Miguel meinen Aufbruch offenbar sehr wohl mitbekommen hatte. Seine dunklen Augenbrauen waren zu einer Linie zusammengezogen, seine Arme verschränkt. Hatte er meinen Zettel schon gelesen? Oder vermutete er, dass ich nach Deutschland zu meinen Eltern floh, um mich von ihnen trösten zu lassen? Wie sehr ich hoffte, dass sein zorniger Blick sich bei unserem nächsten Wiedersehen in das verschmitzte Lächeln verwandeln würde, das ich so sehr an ihm liebte!

9

Was möchten Sie trinken?«, fragte die Stewardess im dunkelblauen Kostüm mit gelbem Halstuch.

Vor mir auf dem Klapptablett lag bereits ein Sandwich, von dem ich wusste, dass ich es vor Aufregung nicht anrühren würde.

»Eine Cola«, antwortete ich und stellte diese kurz darauf neben dem Sandwich ab. Dann starrte ich wieder hinaus auf die Wolken, die aussahen wie Wattebällchen, malte mir aus, ich könnte in sie hineinsinken wie in ein Kissen und alles um mich herum vergessen.

Eigentlich hatte ich mich mit dem Reiseführer beschäftigen wollen, den ich mir noch am Flughafen besorgt hatte. Ich hatte mir vorgenommen, mir in der Zeit meines kurzen Aufenthalts so viel wie möglich anzusehen: The Long Room – die Bibliothek im Trinity College, die auch in den Harry Potter Filmen eine Rolle spielte – stand ganz oben auf meiner Liste. Entschlossen griff ich zu dem Taschenbuch, auf dem das Wort Irland in großen Lettern geschrieben stand, und sah wenige Minuten später doch wieder aus dem Fenster. Ich dachte an die Zeit zurück, als Miguel und ich glücklich gewesen waren. Doch vor diese Erinnerungen schob sich immer wieder Miguels aufgewühlter Gesichtsausdruck.

Ich weiß nicht, wie lange ich so aus dem Fenster gesehen hatte, als die Wolken immer größere Lücken aufwiesen, und ich auf einmal auf das schauen konnte, was mitten im Meer unter uns lag. Das war sie. Die grüne Insel. Sie machte ihrem Namen alle Ehre. Wie lange hatte ich kein solch überwältigendes Grün gesehen? Beim Abflug auf Mallorca hatte ich gedacht, wie verbrannt die Natur noch immer war, und dass meine neue Heimat dringend Regen benötigte, um die Grundwasserreserven fürs nächste Jahr zu füllen. Und hier war alles so … saftig. Dieses Grün dort unten hätte wohl alle Kühe und Schafe dieser Erde ernähren können.

Ich zog das Handy aus der Handtasche und sah aufs Display. Ich tat das alle paar Minuten, jedes Mal aufs Neue vergessend, dass das Gerät ja im Flugmodus war und ich gar keine Nachrichten empfangen konnte. Bis zum Check-in hatte Miguel sich nicht bei mir gemeldet – dabei hatte ich schon im Taxi mit der ersten Mitteilung gerechnet. Irgendetwas, das mir zeigen würde, dass er Angst hatte, mich zu verlieren. Am liebsten ein »no te preocupes«, das hieß, dass ich mich nicht sorgen sollte – und dass es gar nicht nötig gewesen sei, so Hals über Kopf nach Irland aufzubrechen, weil er überreagiert habe.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739365183
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Liebesroman Inselroman Sommer Urlaub Mallorca Irland Romantisch Humor Liebesgeschichte Irland-Roman

Autor

  • Stina Jensen (Autor:in)

STINA JENSEN schreibt Insel- und Gipfelromane, romantische Komödien und Krimis. Sie liebt das Reisen und saugt neue Umgebungen in sich auf wie ein Schwamm. Meist kommen dabei wie von selbst die Figuren in ihren Kopf und ringen dort um die Hauptrolle in ihrem nächsten Roman. Wenn sie nicht verreist, lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main.
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Titel: INSELgrün