Mama hatte mich gelöchert, wo genau das Hotel lag, in dem ich auf Teneriffa absteigen würde, und zumindest das hatte ich mir eingeprägt. Es handelte sich um ein SPA-Ressort in Las Américas, das keine Wünsche offenließ. Es gab nicht nur einen Innen- und einen Außenpool, sondern auch diesen ansprechenden Wellness-Bereich, der an 1001 Nacht erinnerte.
Erwartungsvoll öffnete ich die dünne Broschüre, in der man mich noch einmal als Teilnehmerin willkommen hieß und mir ein »unvergessliches Abenteuer« versprach. Das hörte sich gut an, obwohl ich als Slogan für einen Urlaub in einem SPA-Hotel eher »Entspannung pur« oder etwas Ähnliches gewählt hätte. In der Firma gab ich mir immer besonders viel Mühe mit den Anzeigetexten.
Eine männliche Stimme sprach mich von der Seite an. »Ist hier noch frei?«
Ich hob den Kopf und grüßte den großen und schlanken Mann mit einem Nicken, wandte mich wieder der Broschüre zu. Soeben hatte ich eine Packliste entdeckt. Man sollte unbedingt »angemessenes Schuhwerk« mitnehmen. In meinen Augen gehörten Sandalen, Ballerinas und Flipflops in diese Kategorie. Gab es Gäste, die in Winterstiefeln anreisten?
Der Mann neben mir stellte einen Rucksack zwischen seinen Beinen ab. Ich warf einen schnellen Blick in seine Richtung. Er gehörte zu diesen Typen, denen graue Schläfen ziemlich gut standen. Aus hellbraunen Augen lächelte er mir zu und deutete mit dem Kinn auf die Unterlagen in meiner Hand. »Wie ich sehe, haben wir dasselbe Ziel.« Schon streckte er mir die Hand hin. »Ich bin Sebastian übrigens. Sebastian Liebermann.« Sein Händedruck war fest. »Wenn es okay ist, können wir uns gerne duzen.«
»Klar. Ich bin Susanna«, entgegnete ich. Sehr schön. Dieser Mitreisende war unkompliziert und schon mal nicht Ü60. Ich schätzte ihn auf round about Tobis Alter. Also vielleicht fünfundvierzig.
Der Mann ließ meine Hand wieder los. »Ich wollte nicht beim Lesen stören.«
Ich klappte die Broschüre zu. »Dazu ist ja auch später noch genügend Zeit.«
Er lächelte fragend, als wunderte es ihn, dass ich mich offenbar zum ersten Mal mit der bevorstehenden Reise beschäftigte.
Entschuldigend hob ich die Schultern. »Ich war ziemlich busy in den letzten Wochen, daher –« Mitten im Satz stoppte ich. Hatte ich mir nicht vorgenommen, nicht allzu viel von mir preiszugeben? »Wie auch immer«, schloss ich den begonnenen Satz, »ich freue mich auf alles, was diese Reise für mich bereithält und lasse mich einfach überraschen.«
Um die Augen meines Banknachbarn zeichneten sich Lachfältchen ab. »Endlich mal den Alltag hinter sich lassen und auf andere Gedanken kommen, was?«
Spielerisch hob ich den Daumen. »So ist es.«
Ein kurzes Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Vielleicht hatte mein Mitreisender auch beschlossen, nicht allzu viel von sich preiszugeben?
»Freust du dich auch so auf den Pool?«, fragte ich lächelnd. »Ich hab mir einen ganzen Schwung Bücher eingepackt. Die werde ich alle genüsslich lesen, dabei einen Drink süffeln, mich gelegentlich im Wasser abkühlen und ansonsten einfach nichts tun.«
Mein neuer Bekannter sah mich verblüfft an, dann lachte er leise. »Witzig«, sagte er schließlich und stieß mich sanft in die Seite.
Ich spürte, wie ich errötete. Eigentlich hatte ich keinesfalls einen Scherz gemacht. Was sollte man am Pool oder am Meer denn viel anderes tun? Vielleicht war er ja jemand, der Wellenreiten oder Paragliding machen wollte. Ich jedenfalls würde hauptsächlich entspannen.
»Darf ich fragen, welche Marke dein Rucksack hat?«, unterbrach mein Sitznachbar meine Gedanken. »Versteh mich nicht falsch«, verstohlen blickte er zuerst an der Handtasche und dann an meiner Kleidung entlang, zuletzt streifte sein Blick den Sonnenhut, der in der Abflughalle möglicherweise etwas deplatziert wirkte, »aber du siehst nicht danach aus, als wolltest du demnächst durchs Gebirge wandern. Da braucht es schon was Bequemes für die Schultern.« Er zwinkerte. »Vor allem bei den ganzen Büchern, die du dabeihast.«
Nun fasste ich das Outfit des Mannes genauer ins Auge. Er trug ein dunkelblaues Poloshirt und eine kurze Trekkinghose. Eine von der Art mit Reißverschluss, die man zu einer langen Hose umfunktionieren konnte. Seine Füße steckten in Wanderschuhen.
Sebastian folgte meinem Blick. »Die hab ich gleich angezogen, damit sie nicht zu viel Platz im Gepäck wegnehmen.«
Ich nickte verstehend. Mein Verdacht lautete, dass wir nicht von derselben Reise sprachen. Er mochte bei derselben Reisegesellschaft gebucht haben. Aber darüber hinaus gab es keine Überschneidungen. Unauffällig schielte ich auf die Reisebroschüre, die ich noch immer in der Hand hielt. Dachte an den Hinweis auf »angemessenes Schuhwerk.«
Moment mal.
In diesem Augenblick wurden die Passagiere zum Einstieg aufgerufen. Zuerst die hintersten Reihen. Ich stopfte den Prospekt zurück in meine Tasche und verabschiedete mich mit einem »Auf bald« von meinem Mitreisenden, der weiter vorn im Flugzeug einen Platz hatte.
Am Drehkreuz zeigte ich das E-Ticket und den Personalausweis vor. Kurz darauf saß ich neben zwei Asiaten auf meinem Platz im Flugzeug und schlug abermals den Prospekt auf, blätterte durch die Seiten. Zuerst gab es jede Menge Informationen über Land und Leute. Deswegen hatte ich auch gar nicht bemerkt, dass möglicherweise etwas faul war. Aber dann kam der genaue Reiseablauf. Gleich nach unserer Ankunft würde unser Reiseleiter Felipe uns vor Ort in Empfang nehmen. Und von dort ging es weiter mit dem Bus in Richtung Teide, wo unsere »Campbasis« zwischen Santiago de Teide und Erjos lag.
Camp-Basis? Ungläubig las ich weiter. Das konnte nicht sein. Ich hatte niemals einen Zelturlaub gebucht. Nie! Ach hier. Gott sei Dank. Wir waren in »komfortablen Steinhäusern« untergebracht. Mit malerischem Ausblick zum Teide. Das war doch dieser Vulkan. Der höchste Berg Spaniens, wenn ich mich richtig erinnerte. Okay, aber der war ja quasi von überall zu sehen. Alles halb so wild. Außerdem wurde hier versprochen, dass uns am Ende des Tages zur Abkühlung ein Pool zur Verfügung stehen würde. Schnell las ich weiter. Stieß auf den Begriff Wandertouren. Plural.
Für unsere zehnköpfige Gruppe stand vier Mal Wandern auf dem Programm. Eine durchschnittliche Tour dauerte fünfeinhalb Stunden. Zwischendurch gab es auch einen Besuch im Loropark, den letzten Tag hingegen würden wir im Hotel Palacio verbringen. Meine Augen scannten den Ablauftext an diesem Punkt der Reise ab. Und da war sie, die Party am Strand, um unseren Reiseabschluss zu feiern. Hier war auch der inkludierte SPA-Besuch erwähnt, der mich geködert hatte. Am letzten Tag! Ansonsten nur stramme Fußmärsche! Und ich besaß weder den von meinem Mitreisenden empfohlenen schulterschonenden Rucksack noch Wanderschuhe. Von meiner schwachen Kondition ganz zu schweigen.
Grübelnd starrte ich auf die Mappe. Ich würde auf gar keinen Fall bei dieser Reise mitmachen. Wandern? Ich? Nein. Ich würde einfach umbuchen. Auf Teneriffa würde ich mir diesen Reiseleiter Felipe schnappen und mit ihm die Planänderung klarmachen. Ihm in Ruhe erklären, dass ich die Wanderschuhe zu Hause vergessen hätte und deswegen in einen Strandurlaub switchen müsste. Ich konnte wohl kaum zugeben, diese Reise nur aus Versehen gebucht zu haben.
Schließlich beruhigte ich mich einigermaßen. Es war ja alles halb so wild. Ich hatte schon ganz andere Dinge bewältigt. Oder eher Tobi hatte sie für mich erledigt. Er war der Problembeseitiger der Familie. Auf ihn war immer Verlass. Plötzlich vermisste ich meinen Mann ganz entsetzlich. Er würde mich jetzt ganz wunderbar beruhigen können. Mir versichern, dass ich mir keine Sorgen machen sollte. »Alles wird gut, Susa«, würde er sagen und mir einen Kuss auf die Stirn geben.
Natürlich bin ich eine eigenständige Frau, so ist es nicht. Ich brauche keinen Mann, der mich rettet. Aber wie in jeder Beziehung spielen sich nun mal gewisse Abläufe ein. Und so wie Tobi zu den Männern zählt, die gelegentlich eine echte »Männergrippe« zelebrieren, bei der ich ihn dann wie eine Mutter pflege, so kümmert er sich eben um mich, wenn mir die Nerven durchgehen. Früher, als die Kinder kleiner waren, geschah das öfter als heute.
Nach dem Start stöpselte ich Kopfhörer in die Ohren, lauschte dem Sommermix, den Miri mir zusammengestellt hatte, und blätterte in dem Duty-free-Magazin der Fluggesellschaft. Dabei stach mir ein hübscher, geblümter Wanderrucksack in Pink ins Auge. Er war vielleicht nicht unbedingt für einen Trekkingurlaub im Gebirge ausgelegt, aber für den Strandurlaub, in den ich hoffentlich umbuchen konnte, würde so ein Teil nicht schaden. Angenommen, ich kaufte das Ding für alle Fälle. Immerhin würde es mich dann nicht ganz so dämlich aussehen lassen. Welcher normale Mensch, der einen Wanderurlaub gebucht hatte, vergaß schon die festen Schuhe und den Rucksack zu Hause? Niemand.
Suchend blickte ich mich nach der Stewardess um, die die ersten Getränke ausgab. Dabei traf mein Blick Sebastian Liebermanns, der sich in diesem Moment ebenfalls aufgerichtet hatte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, und er nickte mir zu. Ich spürte, wie ich errötete. Das Ganze war mir entsetzlich peinlich. Dabei konnte er doch nicht das Geringste von meiner Not ahnen.
Seufzend sank ich in den Sitz zurück. Diese Leute konnten mir vollkommen egal sein. Ich würde nicht die erste Reisende sein, die sich in der letzten Minute umentschied. Also leistete ich mir schließlich den angepriesenen Rucksack. Er wurde mir in einer Einkaufstasche übergeben, die die Stewardess für mich in dem Ablagefach über unseren Köpfen verstaute. Schon fühlte ich mich besser. Genoss den Blick nach draußen zu der Welt unter uns. Land wechselte in Meer. Endlich tauchte die Gruppe der Kanarischen Inseln am Horizont auf. Bald würde ich dort am Meer auf einer bequemen Liege verweilen und diesen Fehlstart vergessen haben.
An der Kofferausgabe wurde es noch einmal tricky. Nach langen Wegen durch die Flure, immer dem »Equipaje«-Zeichen hinterher und beladen mit Handtasche, Einkaufstasche und Sonnenhut, gesellte sich mein Mitreisender wieder zu mir, um mit mir nach unserem Reisegepäck Ausschau zu halten. Sebastians großer Rucksack war eines der ersten Teile auf dem Band. Mein Koffer ließ auf sich warten. Sebastian schulterte sein prall gefülltes Gepäckstück und blieb neben mir stehen.
»Du kannst ruhig schon vorgehen«, sagte ich und wedelte mit der Hand in Richtung Ausgang. Wenn er die Größe meines Gepäcks sehen würde, wäre bestimmt wieder eine Bemerkung fällig.
»Ach was, ich warte gern mit dir.« Sebastian lächelte mir rückversichernd zu. »Vielleicht kann ich dir tragen helfen, du siehst ja schon ziemlich bepackt aus.«
»Mein Koffer hat Rollen«, erwiderte ich und schaute weg. Er war ja nett, und unter normalen Umständen hätte ich ihn vermutlich sogar interessant gefunden. Aber jetzt hätte ich mir gewünscht, er ließe mich in Ruhe.
»Ist auch besser so, wegen der ganzen Bücher.« Sebastian zwinkerte wissend.
Mir stieg die Hitze ins Gesicht. Glücklicherweise würde ich bald mit unserem Reiseleiter sprechen. Danach war diese unangenehme Situation hier Geschichte.
Das Warten auf den Koffer zog sich hin. Die meisten Mitreisenden waren inzwischen fort, die Abstände zwischen den Reisegepäckstücken auf dem Band wurden größer.
»Puh«, machte ich meiner Nervosität Luft, »der Shuttle-Service wartet doch bestimmt schon auf uns. Wie lange dauert das denn noch?«
»Mach dir keine Sorgen«, entgegnete Sebastian, »die Maschine aus Hamburg ist doch gerade erst gelandet.« Er zeigte auf die blinkende Anzeige des Förderbandes neben uns. »Bei den anderen dauert es auch noch.«
»Den anderen? Aus Hamburg?«
»Die Hälfte unserer Gruppe kommt aus dem Norden. Stand im Kleingedruckten.«
»Ach so. Ja, ja«, murmelte ich.
Wir warteten weiter. Die verbliebenen Gepäckstücke drehten Runde um Runde auf dem Transportband, bis schließlich auch Kinderwagen und Golftrolleys aufs Band geplumpst waren. Der Koffer blieb verschwunden.
Sebastian setzte seinen Trekkingrucksack wieder ab, und wir platzierten uns auf einer Bank gegenüber dem Ausgabeplatz. Es folgte ein in Folie eingeschweißter Kindersitz – und das war’s. Das Band blieb stehen. Die letzten Stücke wurden herabgefischt.
»Dein Koffer war wohl nicht an Bord«, stellte mein Begleiter fest.
»Ich bin fassungslos«, entgegnete ich. Das war ich wirklich. Die Kleider, Schuhe, das Schminkzeug, der nagelneue Bikini, die Bücher. Und das Kleid, das ich an meinem Geburtstag hatte tragen wollen. Alles weg!
»Du wirst eine neue Trekkingsausrüstung brauchen«, bemerkte Sebastian. »Und einen Rucksack.«
Blinzelnd hielt ich die Einkaufstasche in die Höhe. »Der hier ist brandneu. Ich … hatte meinen tatsächlich zu Hause vergessen.«
Sebastian lehnte sich vertrauensselig zu mir hinüber. »Komm, schau doch nicht so. Der Rest lässt sich besorgen. Wer weiß, wo dein Koffer gelandet ist und wann er hier eintrifft. Das kann unter Umständen ein paar Tage dauern. Es ist Hauptreisezeit.«
Fieberhaft überlegte sich, ob sich überhaupt ein Kofferanhänger am Trolley befand. Normalerweise checkte man solche Dinge. Wie hatte ich so fahrlässig sein können?
Sebastian lächelte rückversichernd. »Nicht verzweifeln. Das lässt sich doch alles ersetzen.«
Schon stand er auf und deutete auf einen Schalter mit der Aufschrift »Lost Luggage«. Knurrend erhob ich mich. Wie konnte man solches Pech haben?
Kurz darauf schilderte mein Reisebegleiter in fließendem Spanisch der Dame am Counter den Fall. Ich war ihm aufrichtig dankbar für seine Unterstützung. Wir füllten ein Formular aus, ich gab Telefonnummer und E-Mail-Adresse an, dann traten wir durch die Schiebetür nach draußen in die Ankunftshalle.
Beim Anblick des Mannes, der ein Schild mit dem gelben Kanarienvogel-Logo der Reisegesellschaft und dem Namen Felipe in die Höhe hielt, dachte ich sofort an Paco Leon, diesen spanischen Schauspieler, für den ich schwärmte. Genauer gesagt war er zweifellos einer der schönsten Typen, die ich kannte. Verstohlen fasste ich den athletischen Körperbau des Spaniers ins Auge und unterdrückte ein Seufzen. Würde man diesen Mann jeden Tag zu Gesicht bekommen, wenn man bei dieser Reise mitmachte? War er der Reiseführer? Oder brachte er uns nur zum Camp?
In diesem Moment trat eine junge Frau mit kurzen Locken auf ihn zu, sie war etwa Anfang dreißig. Ihr Haar schimmerte in einem warmen Rot, das mich an die Haarfarbe meiner Tochter erinnerte. Das Gesicht war mit Sommersprossen übersät, sie trug ein hübsches Jeanskleid mit schmalem Gürtel. Gehörte sie zu unserer Gruppe? Die Dame war jedenfalls ein Lichtblick, denn so wie es aussah, war sie neben mir die Einzige, die die Reise hierher nicht im Trekking-Outfit angetreten hatte. Alle anderen machten den Eindruck, als könnten sie es nicht erwarten, sich ins Gelände zu schlagen. Wie scharrende Rennpferde hatten sie sich um den Reiseführer gruppiert.
Einer der Männer, ein grauhaariger Typ, trug an seinem Gürtel die Halterung eines Taschenmessers. Noch war sie leer, das gute Stück befand sich vermutlich in seinem Koffer. Ich fasste ihn näher ins Auge. Bestimmt war der Kerl schon an die sechzig. Neben ihm standen zwei Frauen – eine deutlich jünger als die andere. Vielleicht Mutter und Tochter? Außerdem gab es noch zwei Herren und zwei Damen um die fünfzig; auch sie trugen Trekkingboots, Shorts, Tanktops und Rucksäcke, die unzählige Buttons zierten. Ich erkannte das Matterhorn und Nessy von Loch Ness. Die Vier erinnerten entfernt an ABBA in späteren Jahren. Eine der Frauen war blond, die andere brünett, von den Männern trug einer einen Bart, der andere das Haar etwas länger.
Die junge Rothaarige sah den Spanier flehend an und sprach auf ihn ein. Hatte sie vielleicht auch ihr Gepäck verloren?
Sebastian gesellte sich zu den beiden, um unser Eintreffen bekannt zu geben; ich selbst setzte mich auf die nächste Bank, mir waren die Knie weich. Nach ein paar Minuten raffte ich mich wieder auf und hängte mir die Handtasche über die Schulter, nahm die Tüte mit dem Reiserucksack an mich. Ich würde mich um die Umbuchung kümmern müssen, es half ja alles nichts.
Zögernd gesellte ich mich zu Sebastian. Mit dem Daumen zeigte er auf die Rothaarige und raunte: »Angeblich hat sie die Reisebeschreibung nicht richtig durchgelesen, jetzt will sie umdisponieren. Sie dachte, es handelt sich um einen Strandurlaub.« Er verdrehte belustigt die Augen. »Die ist wohl nicht die hellste Kerze auf der Torte.«
»Wer weiß, vielleicht hatte sie privat viel um die Ohren«, murmelte ich. Dann rang ich mir ein Lächeln ab. »Jedenfalls, bevor du dich gleich wunderst … ich hab mir überlegt, dass ich auch lieber umbuche. Jetzt, wo meine Schuhe und die ganzen wichtigen Klamotten weg sind, die man für so eine Reise braucht … ich werde mir ein paar Flipflops und einen Satz Strandkleider kaufen und –«
»Kommt ja gar nicht in Frage«, widersprach Sebastian. »Wir kleiden dich mit Trekkingsachen ein, das dauert auch nicht viel länger.«
»Nein, ich habe mir das überlegt, es ist wirklich besser –«
Eben trat unser Reiseleiter zu uns, der aus der Nähe betrachtet noch attraktiver war. Diese Augenfarbe haute einen um. Ich hatte noch nie so ein leuchtendes Grün gesehen.
»Hola«, begrüßte er uns und blickte auf seine Liste. »Und ihr seid …« Er fuhr mit seinem Stift an seiner Liste entlang. »Susanna Brix und Sebastian Liebermann, stimmt?« Sein spanischer Akzent klang wie ein Singsang.
»Ich habe ein Problem«, setzte ich an. »Mein Koffer ist nicht angekommen.« Halbherzig zog ich den Rucksack aus der Einkaufstasche in die Höhe. »Ich hab nur den hier – sonst nichts.«
Felipe machte große Augen, dann zeigte er mit dem Stift auf meinen Hut. »Und du hast diese. Das ist schon Hauptsache.« Er deutete mit dem Kinn zu der Rothaarigen, die etwas verloren an der Seite herumstand und auf ihrem Handy herumscrollte. »Haben wir noch so eine Fall, aber ist wegen …«, nun tippte er mit dem Stift an seine Stirn, »… está un poco loco.« Er zwinkerte.
»Also, ich würde auch umbuchen, wenn das geht«, nahm ich allen Mut zusammen. »Es macht mir nichts aus, wirklich. Dann hast du gleich zwei Leute, dann lohnt sich auch der Aufwand …«
Felipe sah mich kopfschüttelnd an. »Habe ich schon erklärt an Antonia. Geht nicht. Sonst du musst bezahlen volle Preis, steht so in AGB. Kannst du nur stornieren, wenn du bist krank. Bin ich Subunternehmer von deine Reiseveranstalter. Wenn du buchst andere Reise von ihn, musst du neu bezahlen.«
AGB? Wer hatte die Zeit, sich die durchzulesen?
»Heißt das, ich muss wirklich mitwandern?«, platzte ich heraus.
»Geht mir genauso!« Die Frau, die Antonia hieß, war zu uns getreten. In ihren Augen schimmerten Tränen. »Ich bin bedient!«, rief sie. »Ich hab mir die Seite jetzt noch mal genau angeschaut, das Ganze ist arglistige Täuschung! Mit keinem Wort steht da was von Wandern, dort steht ›Exkursionen‹. Darunter verstehe ich ein bisschen Kultur und Shopping.« Ihre Stimme brach. Ihr war anzusehen, dass sie Anbetracht der Tatsache, nicht den geplanten Entspannungsurlaub zu bekommen, kurz vorm Durchdrehen stand.
In diesem Moment musste ich an Valerie denken, die letztes Jahr bei ihrem Schottlandtrip auch an ihre Grenzen geraten war. Aber wie gut hatte sich dann alles für sie gefügt. Und inzwischen wollte sie gar nicht mehr aus Schottland weg.
Ich trat näher zu meiner Mitreisenden. »Komm, wir machen das Beste draus. Du wirst sehen, am Ende bist du vielleicht sogar froh, dass es mal nicht nach Plan ging.«
Verzweifelt blinzelte sie mich an. »Mal nicht nach Plan? Du hast ja keine Ahnung! Ich brauche wirklich was anderes, als einen Vulkan zu besteigen! Mein ganzes Leben ist ein einziger mühseliger Aufstieg!«