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GIPFELgold

(GIPFELfarbe 2)

von Stina Jensen (Autor:in)
265 Seiten
Reihe: GIPFELfarben-Reihe, Band 2

Zusammenfassung

»Die Gasteiner Alpen sind wirklich ein Traum. Du kannst dich entspannen, Ski fahren und vielleicht sogar jemanden kennenlernen!« Mit diesen Worten wird Mona in den winterlichen Zwangsurlaub geschickt, nachdem sie sich als Eventmanagerin ein paar unverzeihliche Fehler geleistet hat. Dabei liebt sie ihren Job über alles, ganz im Gegensatz zum Skifahren. Oder zu David Brandner, ihrem Zimmernachbarn im Alpenhotel. Der Mann mit den kühlen grauen Augen behandelt Mona von der ersten Minute an so herablassend, dass sie ihn nicht ausstehen kann. Die Dinge ändern sich jedoch, als sie ihn eines Nachts weinen hört. Zaghaft kommen die beiden einander näher – bis Mona den erschreckenden Grund für Davids Verzweiflung erfährt …

Ein Roman, knisternd wie ein Kaminfeuer im Winter.

************** Die Romane der INSELfarben- und GIPFELfarben-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Die chronologische Reihenfolge der Romane: Inselblau (Svea, Langeoog und Mallorca), Inselgrün (Wiebke, Irland), Inselgelb (Claire, Island), Inselpink (Ida, Mallorca), Inselgold (Amanda, Rügen), Gipfelblau (Annika, Zermatt), Gipfelgold (Mona, Bad Gastein), Gipfelrot (Valerie, Schottland), Inseltürkis (Terry, Sardinien), Inselrot (Sandra, Sylt), Gipfelpink (Susa, Teneriffa), Inselhimmelblau (Svea, Langeoog), Gipfelglühen (Sebastian, Allgäu)

Außerdem: »Plätzchen, Tee und Winterwünsche«, »Misteln, Schnee und Winterwunder«, »Sterne, Zimt und Winterträume«, »Muscheln, Gold und Winterglück«, »Vanille, Punsch und Winterzauber«, »Mondschein, Flan und Winterherzen«, »Sommertraum mit Happy End«, »Stürmisch verliebt«

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Erstausgabe: Dezember 2018

© Stina Jensen

Robert-Bosch-Straße 48

61184 Karben

info@stina-jensen.de

www.stina-jensen.de

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Verfasserin urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werkes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten zu existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des von der Herausgeberin freigegebenen Testes kommen.

Lektorat und Korrektorat: Ricarda Oertel www.lektorat-oertel.de

Covergestaltung © Traumstoff Buchdesign traumstoff.at.vu

Covermotive © Angyalosi Beata und Leszek Glasner shutterstock.com

Das gesamte Programm von Stina Jensen findest du hier.

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Über die Autorin

STINA JENSEN schreibt Insel- und Gipfelromane, romantische Komödien und Krimis. Sie liebt das Reisen und saugt neue Umgebungen in sich auf wie ein Schwamm.

Meist kommen dabei wie von selbst die Figuren in ihren Kopf und ringen dort um die Hauptrolle in ihrem nächsten Roman. Wenn sie nicht verreist, lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main.

Stina Jensen

Das Buch

»Die Gasteiner Alpen sind wirklich ein Traum. Du kannst dich entspannen, Ski fahren und vielleicht sogar jemanden kennenlernen!«

Mit diesen Worten wird Mona kurz vor Weihnachten in den Zwangsurlaub geschickt, nachdem sie sich als Eventmanagerin ein paar unverzeihliche Fehler geleistet hat. Dabei liebt sie ihren Job über alles, ganz im Gegensatz zum Skifahren. Oder zu David Brandner, ihrem Zimmernachbarn im Alpenhotel. Der Mann mit den kühlen grauen Augen behandelt Mona von der ersten Minute an so herablassend, dass sie ihn nicht ausstehen kann. Die Dinge ändern sich jedoch, als sie ihn eines Nachts weinen hört. Zaghaft kommen die beiden einander näher – bis Mona den erschreckenden Grund für Davids Verzweiflung erfährt …

Ein Roman, knisternd wie ein Kaminfeuer im Winter.

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

für jeden meiner Romane reise ich an die Orte, an denen meine Geschichten spielen. Ich bin daher nach Bad Gastein in Österreich gefahren, um nach Schauplätzen für Monas Erlebnisse zu suchen. Obwohl ich mir Mühe gebe, bei den Ortsbeschreibungen so exakt wie möglich zu bleiben, komme ich nicht darum herum, die örtlichen Gegebenheiten teilweise den Erfordernissen der Handlung anzupassen. Sollten Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen bestehen, wären diese rein zufällig.

1

Der Sand unter meinen Laufschuhen knirschte bei jedem federnden Schritt. Aus meinen Kopfhörerstöpseln schallte leise Musik, die mir den Takt vorgab. Ich liebte diese Joggingstrecke zwischen der Binzer Seebrücke und Prora. Der eiskalte Wind pfiff an meinen Ohrenschützern und wollte unter meine windfeste Jacke kriechen, doch mir konnte er nicht kalt und kräftig genug wehen. Die Luft tankte mich auf und weckte die Lebensgeister in mir, trotz der Dunkelheit, die mich an diesem frühen Morgen noch immer umgab.

An der alten, leerstehenden Villa am Strand legte ich einen kurzen Halt ein und dehnte die Muskeln und Gelenke, betrachtete dabei verträumt das verwitterte Gebäude in Bäderbauweise, das zwischen den Dünen in der Dämmerung nur zu erahnen war. Ich stellte mir vor, am Balken der Veranda eine breite Schaukel aufzuhängen und von dort aus im Sommer oder im Winter in eine Decke gehüllt aufs Meer zu schauen.

Die Villa stand seit ein paar Monaten zum Verkauf. Den Preis kannte ich allerdings nicht – der lag sowieso Meilen außerhalb meines Budgets.

Ich streckte den Arm über den Kopf, dehnte mich zur Seite, dann zur anderen, und stand still, atmete ein paarmal aus und ein, ließ die Schultern und Arme kreisen. Schließlich joggte ich weiter, bis die Betonbauten des ehemaligen Nazi-Erholungsheims in Prora in Sicht kamen. Am Hundestrand wendete ich und lief wieder zurück.

»Erde an Mona.« Die Hand meines Chefs auf meiner Schulter riss mich aus den Gedanken an meine Joggingstrecke vom frühen Morgen. »Alles klar?«, fragte er.

»Natürlich, warum nicht?«

Ich setzte ein zuversichtliches »Was-Mona-in-die-Hand-nimmt-läuft-Lächeln« auf und verbannte den Knoten im Bauch in die hinterste Ecke. Es würde alles gut gehen. Dass mir seit August nach einem unverzeihlichen Fehler die Angst im Nacken saß, schien Robert zwar zu ahnen, aber wissen konnte er es nicht.

»Bringst du mich mal eben auf den neuesten Stand wegen dem Brautpaar Diepkens-Albert?«, bat er. »Welche Torte wollen sie denn jetzt haben? Und läuft die Sache mit dem kanadischen Kabeljau?« Robert sah nicht mich an, sondern sein Handy-Display, in das er etwas eintippte.

Ich strich mir eine widerspenstige Locke aus der Stirn. »Der Fisch ist geordert, er wird pünktlich zur Villa geliefert.«

Mit »Villa« war ein Hotel an der Binzer Strandpromenade gemeint. Robert Meemkens Event-Agentur hatte beste Erfahrungen mit der dortigen Hotelleitung, die die Orga solcher Veranstaltungen stets an uns übertrug. Wir hatten den Ruf von Perfektionisten, die an alles dachten, selbst an Dinge, die sonst keiner auf dem Schirm hatte. Und sei es ein Notstromaggregat für den unwahrscheinlichen Fall einer Ostsee-Sturmflut mit Lahmlegen der Insel-Infrastruktur.

»Und was die Torte betrifft«, fuhr ich fort, »sie wollen die Laura-Ashley-Version mit Marzipanrosen und dem klassischen, tanzenden Brautpaar auf der obersten Etagere.«

Ich hegte leise Zweifel, ob die beiden einen Hochzeitswalzer miteinander bewerkstelligen würden. Die Braut, Melanie Diepkens, war eine rundliche Blondine; er eine Bohnenstange. Herr Albert wirkte auf mich etwas farblos. Er hatte die Ausstrahlung eines Postbeamten.

Robert tippte weiter auf sein Smartphone ein. »Sehr schön. Die Karten sind gedruckt?«

Der Knoten im Bauch war zurück, und ich wippte nervös mit dem Knie – eine dumme Angewohnheit von früher, die mich seit dem Sommer wieder begleitete. Vor August hätte Robert mich nie nach solchen Banalitäten wie dem Kartendruck befragt.

»Natürlich sind sie das. Ich habe sie vor drei Monaten verschickt. Es ist der sechste Dezember, die Hochzeit findet am Einundzwanzigsten statt. Sie jetzt erst drucken zu lassen, wäre etwas spät, meinst du nicht?«

Robert steckte das Handy in seine Hosentasche und tätschelte wieder meinen Arm. »Sorry, ich frage nur, weil die Schwiegerleute der Braut meinten, es hätte sich noch keiner bei ihnen gemeldet.«

Ich zuckte die Schultern. Das konnte alle möglichen Gründe haben. Vielleicht hatte man kein so enges Verhältnis. Außerdem gingen die Zusagen an uns und nicht an das Brautpaar oder gar die Schwiegerleute.

»Und die Tickets für das Kurkonzert am fünfzehnten März sind auch bald erhältlich, ja?« Robert tippte auf seine Hosentasche. »Ich hab gerade mit dem Kurator gesimst. Er ist ein bisschen nervös. Die Eintrittskarten sollen ins Weihnachtsgeschäft.«

Ich verschränkte die Arme. »Warum geht ihr nicht mal aufs Ticketportal, dort werdet ihr auf einen Blick sehen, dass sie schon zu erwerben sind. Mir wird kein Fehler mehr passieren, Robert. Ehrenwort.«

Dabei war ich vor Angst manchmal so angespannt, dass ich befürchtete, allein deshalb könnte wieder etwas schiefgehen. So oft wie seit August hatte ich mich noch nie selbst kontrolliert. Nicht zu fassen, dass ich im letzten Jahr zur »erfolgreichsten Rügener Businessfrau« geehrt worden war. Und dem war diesen Sommer ein Riesenartikel gefolgt, dass man mich wohl eher als die unfähigste …

»Weiß ich doch«, meinte Robert und war schon wieder an der Tür. Dann kam er mit zwei Schritten zu mir zurück und sah mich prüfend an. »Hast du eine Allergie?«

Eilig kramte ich nach dem Taschenspiegel in meiner Handtasche und starrte mein Spiegelbild an. Diese Flecken waren im August zum ersten Mal aufgetaucht. Nach der Sache mit unserem Kunden Tobias Föhring. Ich hatte mit seinem Manager für die »Weil du das Wichtigste für mich bist«-Show den 28. August auserkoren und alles fix gemacht. Die Kampagne war perfekt durchdacht und wurde mit dem gleichnamigen Song beworben. Es ging darin um die Gefühle eines Vaters für sein schwer krankes Kind. Inspiriert von der tragischen Geschichte seines Branchenkollegen Michael Bublé, dessen Sohn an Leberkrebs litt, hatte er diesen Song komponiert und damit einen Hit gelandet, der vor allem bei Frauen mit Kindern voll eingeschlagen hatte. Ein Lied, das zu Tränen rührte. Mir persönlich lagen seine unbeschwerteren Hits mehr. Aber das war Geschmacksache.

Die Bühne an der Strandpromenade gegenüber dem Kurhaus war jedenfalls gebucht, die Plakate gedruckt und ausgehängt, der Ticketshop ging in den Vorverkauf, die Hotelzimmer für den Künstler und seine Band waren reserviert – aber überall datiert mit dem 29. August. Niemand bemerkte den Fehler. Bis kurz vor dem Termin. Ich war gerade auf einem Segeltörn mit Annika und ihrem Freund und einem Kollegen, Malte Hansen, mit dem ich nach dem Vorfall nie mehr sprach. Der Manager von Tobias Föhring meldete sich in der Agentur, um den Zeitpunkt zu besprechen, zu dem die Crew mit dem Bühnenaufbau loslegen konnte. Und da klärte sich der Irrtum auf.

Auf See hatten wir kein Netz. Ich hatte keine Ahnung davon, was in der Agentur los war – wie alle händeringend nach einer Lösung suchten. Robert war außer sich. Er erreichte schließlich Malte, meinen Kollegen – doch was tat der: Er schwieg. Wollte mir den Trip nicht verderben. Noch immer könnte ich ihn dafür umbringen, dass er mich bei Robert ins offene Messer laufen ließ, als wir zurückkehrten. Tobias Föhring konnte den Termin nicht einfach um einen Tag verschieben, im Sommer hatte er an jedem Tag ein Engagement in einer anderen Stadt.

Das Konzert sagten wir ab, die Ticketgebühren wurden den Konzertbesuchern erstattet. Es war ein riesiger Ansehens-Verlust für die Agentur. Es gab böse Presse. Häme. Ein Albtraum.

Via skype entschuldigte ich mich persönlich bei Tobias Föhring. Der Künstler war einigermaßen versöhnlich, das musste ich ihm lassen. Immerhin war ihm meinetwegen ein Auftritt vor vielen Fans an einem ganz besonderen Austragungsort entgangen.

In der Branche duzte man sich, also sagte er: »Du weißt ja, man trifft sich immer zweimal. Beim nächsten Mal läuft alles glatt, und wir lachen über dieses Desaster.«

Jetzt, ein paar Monate später, betrachtete ich die Flecken auf meiner hellen, sommersprossigen Haut. Sie verteilten sich über Dekolleté und Hals. Immer dann, wenn es hektisch wurde. Nach ein paar Minuten verschwanden sie wieder. Dass Robert sie nun zu sehen bekam, war dumm. Er lag mir sowieso schon dauernd in den Ohren, dass ich endlich mal Urlaub nehmen sollte. Was ich auch ganz gern getan hätte – aber wohin sollte ich alleine fahren? Wenn ich nicht verreiste, würde ich doch nur die ganze Zeit arbeiten. Ich ging ja oft genug am Wochenende ins Büro, um Liegengebliebenes wegzuschaffen.

Als ich mich vor drei Jahren von Piet scheiden ließ, brach der halbe Freundeskreis weg. Dann zog meine beste Freundin Annika nach Zermatt, und Marc, mein Bruder, ging nach Berlin. In zwei Tagen wurde ich neunundzwanzig, und ich hatte nichts vor außer dem Geburtstagsessen mit der Familie. Irgendwie war es mir in den letzten Jahren gelungen, bis auf ein paar wenige alte Schulfreundinnen, die eher wegen Annika den Kontakt zu mir hielten, auch meine eigenen Freunde zu verlieren. Weil ich wegen all der Arbeit Einladungen absagen musste. Oder auch, weil ich selbst bei den Partys anderer sofort alles an mich riss. Marc meinte, das könnte ein paar Leuten auf die Nerven gegangen sein. Natürlich kannte ich nette Frauen, und es hatte Männerbekanntschaften gegeben. Bettgeschichten, wenn man so wollte. Mal mit einer Barbekanntschaft, oder im Mai mit einem Schweizer, als ich Annika in Zermatt besuchte. Zuletzt im August mit Malte, mit dem ich seit der Sache mit Tobias Föhring wie gesagt kein Wort mehr wechselte.

»Das ist nichts Schlimmes«, beantwortete ich Roberts Frage zu meinen Flecken.

Er sah mich prüfend an. »Schlimm vielleicht nicht, aber besorgniserregend«, entgegnete er. »Du wolltest dich um Urlaub kümmern, Mona«, erinnerte er mich prompt. »Morgen legst du mir was vor, okay? Du hast sage und schreibe zwanzig Tage Resturlaub, davon nimmst du in diesem Jahr noch mindestens zehn. Verstanden?«

Ich blies die Wangen auf. »Das sind zwei Wochen! Dieser Monat hat nur noch drei.«

»Ganz richtig. Das mit der Hochzeit am Einundzwanzigsten wuppen wir auch allein, wenn du alles gut vorbereitet hast. Das kann Catalyn übernehmen, sie brennt darauf, mal ohne dich im Nacken schalten und walten zu können.«

Catalyn war unsere Praktikantin. Sie war ein lieber Mensch, aber wenn man mich fragte, zu entspannt. Ihre Lieblingsworte lauteten »logo« und »easy«. Als könnte man unseren Job beim Lackieren ihrer bunten Nägel erledigen. Dass ich diese Hochzeit an sie abgeben sollte, war der Gipfel – dieses Fest war mein Baby. Außerdem konnte ich ihr kaum die Organisation des Silvesterbanketts im Kurhaus überlassen. Das war eine große Nummer. Das vergaß Robert wohl gerade vollkommen.

»Robert, ich –«, hob ich an, doch er unterbrach mich mit einer Handbewegung.

»Marc meint auch, dass ich auf dich achtgeben sollte. Und jetzt, wo ich diese Flecken so sehe …«

Ich tätschelte meine Wangen mit beiden Händen. »Geht gleich wieder weg, wirklich. Und Marc – der gibt schon genug auf mich acht.« Für meinen Bruder würde ich immer die kleine Schwester bleiben. Robert und er waren befreundet, sie hatten sich über mich kennengelernt.

»Ich meine es ernst. Morgen erfahre ich von dir, wo du hinfährst. Am Geld wird es ja nicht liegen.«

Das stimmte. Ich verdiente gut, hatte mangels Privatleben kaum Kosten. Auf meinem Konto schlummerte ein ansehnlicher fünfstelliger Betrag, den ich vielleicht irgendwann brauchen würde – ich wusste nur noch nicht wofür. Verreisen also. Auf eine Südseeinsel? Ich liebte das Meer und den Sommer. Aber ehrlich gesagt fühlte ich mich in Binz noch immer am wohlsten.

So eine Fernreise brauchte außerdem Vorbereitung. Abgesehen davon wollte ich gern dann in den Urlaub, wann es mir passte.

Ich seufzte unhörbar. Bis morgen hatte Robert seine Drohung sowieso wieder vergessen. Er war doch heilfroh, dass er mich hatte.

Nach dem verpatzten Konzerttermin von Tobias Föhring war er es gewesen, der mich aufzubauen versucht hatte. In den Tagen danach war ich nämlich so deprimiert, dass ich morgens nicht mal mehr aus dem Bett kam. So etwas hatte ich nie zuvor erlebt: Meine Gliedmaßen verweigerten den Dienst. Ich lag in den Kissen und war unfähig aufzustehen. Dagegen waren diese roten Flecken harmlos.

»Ja, ja«, murmelte ich und tätschelte noch einmal meine Wangen, »ich leg dir was vor.«

2

Am nächsten Tag war ich in einem der Strandhotels, für die wir regelmäßig Events organisierten, zum Nikolausbrunch eingeladen. Ich nahm die Gelegenheit wahr, Kontakte zu pflegen und ein Bühnenkonzept vorzustellen, das ich mir für dieses Haus ausgedacht hatte. Das Hotel verfügte über ein angrenzendes kleines Theater, und ich hatte in der Vergangenheit schon ein paar Künstler dafür engagiert. Im neuen Jahr plante ich, eine Reihe mit Binzer Persönlichkeiten zu etablieren, die Prominente aus ganz Deutschland im Stil von »Zimmer frei« interviewen sollten. Das würde bei den Einheimischen sicher gut ankommen, die oft genug beklagten, dass sie ihre Stadt mehr und mehr an die Touristen verloren.

Nachmittags traf ich mich noch einmal mit dem Brautpaar Diepkens-Albert, das in der »Villa« feiern würde und sprach mit ihnen die Musik-Hitliste durch, die sie sich für die Party nach dem Essen wünschten.

Abends ging ich wieder ins Büro, um letzte Mails zu beantworten und Angebote rauszuschicken. Den ganzen Tag zeigte sich kein einziger roter Fleck, und Robert und ich liefen uns nicht über den Weg.

Gegen halb neun kam ich nach Hause, genoss den Geruch nach Putzmitteln, der freitagnachmittags immer in meiner Wohnung hing, weil meine Putzhilfe Rodika gewaltet hatte. Ich bestellte mir eine Pizza, hockte mich vor den Fernseher und schlief vor dem laufenden Gerät ein. Irgendwann in der Nacht wachte ich auf und krabbelte ins Bett.

Meinen Geburtstag ging ich gemütlich an, zwang mich, der Arbeit fernzubleiben – immerhin war Samstag. Ich joggte am Strand entlang, drehte die Musik in meinen Ohren auf und ging anschließend im Hotel von Annikas Onkel eine Runde schwimmen, bevor ich mich den Vorbereitungen fürs Abendessen widmete. Während ich Dips und Lammkeule mit Gemüse vorbereitete, philosophierte ich wieder über mein Leben. Ein bisschen betrübte es mich schon, dass ich den Abend nur mit meinen Eltern und Marc verbringen würde. Fast fühlte ich mich wie eine verschrobene Junggesellin.

Als ich noch mit Piet verheiratet war, war es mir gar nicht so sehr aufgefallen, dass er die meisten unserer Freunde mit in die Ehe gebracht hatte. Wäre da nicht seine Mutter gewesen, die sich von Anfang an in alles eingemischt hatte, wären wir vielleicht sogar noch zusammen. Vor allem hatte ihr nicht gefallen, dass ich in der Agentur freiwillig jeden Wochenenddienst annahm. Dabei wäre das eine Sache zwischen Piet und mir gewesen. Doch irgendwann hatte es auch ihn gestört – und das war der Anfang vom Ende. Wenn man jemandem verbieten will, etwas zu tun, woran sein Herz hängt, ist das keine gute Idee. Allerdings hätte ich kompromissbereiter sein müssen – das war mir inzwischen auch klar.

Seit Annika so weit weg von mir lebte, waren Marc und Robert meine engsten Begleiter. Robert war mittlerweile ein guter Freund. Dennoch kam es überraschend, als sogar mein Chef zusammen mit Marc und meinen Eltern am Abend vor meiner Tür stand. Ich begrüßte meine Familienmitglieder mit Küsschen auf die Wangen und sah Robert verblüfft an. Mein Chef übergab mir einen Strauß weißer Lilien, in deren Mitte eine glitzernd rote 29 prangte.

»Alles Gute zum Geburtstag«, wünschte er und streifte sich die Füße an der Fußmatte ab.

Ich legte die Blumen beiseite und half mit Mänteln und Schals. Draußen wehte von der See ein eisiger Wind, der einem die Tränen in die Augen trieb.

»Ich glaube, heute wird es spannend«, raunte Mama mir zu, als wir allein in der Küche waren, wo ich die Lilien in einer hohen Vase verstaute.

Von Mama habe ich die rotblonden Locken und die hellbraunen Augen geerbt. Marc ist ebenfalls mit roten Haaren und einer hellen Haut gesegnet. Zurzeit trägt er Vollbart, wie Papa. Mein Vater ist dunkelblond und hat graue Augen. Er ist ein stiller Mann, der jetzt mit Marc und Robert im Wohnzimmer mit den Sektkelchen herumstand. Die Männer unterhielten sich leise. Vielleicht ging es um Fußball, ein Thema, bei dem Papa als HSV-Fan mitreden konnte.

»Inwiefern spannend?«, fragte ich meine Mutter und langte nach dem Tablett mit den Käsecrackern und Dips, die ich zur Vorspeise bereitgestellt hatte. Im Ofen schmorten die Lammkeule, Gemüse und Rosmarinkartoffeln – alles war ruckzuck vorbereitet gewesen. Für die Events meiner Kunden legte ich mich zwar wahnsinnig ins Zeug. Bei meinen eigenen Feiern war ich eine Minimalistin.

»Ich meine wegen Marc und Robert.«

Überrascht sah ich meine Mutter an. »Du meinst, die beiden sind ein Paar?«

Ich hatte es schon geahnt, allerdings lebte Marc in Berlin, kam nur alle paar Wochen her, wie zum Beispiel zu meinem Geburtstag. Oder zu Weihnachten, das wir üblicherweise bei meinen Eltern feierten. Wahrscheinlich waren sie sich im Sommer nähergekommen, als ich diese Krise wegen des verbaselten Termins von Tobias Föhring hatte und tagelang im Bett lag. Marc war aus Berlin gekommen, um mir zur Seite zu stehen. Und auch Robert hatte mir einen Besuch am Krankenbett abgestattet. Einmal, um mir zu versichern, dass Fehler nun mal passieren konnten, zum anderen, um mir den Verlust in Zahlen mitzuteilen, den ihn mein Fauxpas gekostet hatte. Glücklicherweise zahlte die Versicherung. Robert hätte mir aus Konsequenz für meine Schludrigkeit kündigen können, doch das hatte er nicht getan. Ob Marc etwas damit zu tun hatte? Ich würde jedenfalls erst glauben, dass die beiden ein Paar waren, wenn die beiden es auch offiziell verkündeten.

Als ich mit Mama im Schlepptau das Wohnzimmer betrat, stimmten die drei Männer »Happy birthday« an, und auch Mama fiel mit ein.

Verlegen stellte ich das Tablett ab und griff nach meinem Sektglas. »Lieb, dass ihr gekommen seid«, sagte ich. »Was würde ich nur ohne euch machen?«

»Ich weiß schon, was«, antwortete Robert, nachdem er sein Glas geleert hatte, und übergab mir einen Umschlag. »Für dich.«

»Wow.« Neugierig betrachtete ich das rote Kuvert, auf dem in Roberts steiler Handschrift mein Name stand. Robert und Marc setzten sich nebeneinander aufs Sofa, während Papa und Mama mir über die Schulter blickten. Ich öffnete den Falz des Briefumschlags und zog ein Blatt Papier hervor.

»Alpenlofts.at«, las ich. »Ein zweiwöchiger Aufenthalt in den Gasteiner Alpen. Ein Geschenk von Marc und Robert.« Dahinter drei Herzchen.

Fragend sah ich von Robert zu Marc. Die beiden grinsten mich an.

»Was soll das?«, fragte ich. Ich meinte damit zwei Dinge: Wieso schenkten sie mir eine Reise in die Berge? Und wieso sie beide zusammen? Hieß das wirklich …?

Mein Vater sah peinlich berührt aus, er interpretierte die Herzchen offenbar ganz richtig. Papa hatte sich schwer damit getan, als er erfuhr, dass Marc auf Männer stand. Er hatte nichts gegen Schwule, natürlich nicht, aber wenn es um den eigenen Sohn ging, sah die Sache etwas anders aus. Seinen Sohn hier mit einem Lover – noch dazu meinem Chef – zusammen zu sehen, war wohl nicht leicht für ihn. Dabei passte es doch eigentlich ideal. Marc war dreiunddreißig, Robert fünf Jahre älter.

Die Wangen meines Bruders röteten sich. »Wie – was soll das? Das ist unser Geschenk für dich. Wir haben nur zusammengelegt.«

»Jedenfalls ist es in Bad Gastein ganz toll.« Robert sah rückversichernd zu Marc.

Dieser nickte. »Wo du doch die Berge so sehr magst.«

»Seit wann mag ich die Berge?«, fragte ich. »Ich liebe die See. Ich –« Wieder sah ich auf den Voucher und riss die Augen auf. »Vom achtzehnten Dezember bis zum ersten Januar? Dann wäre ich ja Weihnachten weg! Und Silvester!« Ich sah Robert und meinen Bruder ungläubig an. »Wie stellt ihr euch das vor?«

Mein Chef stand vom Sofa auf und nahm mir den Voucher ab, den ich noch nicht vollständig studiert hatte.

»Ich stelle mir das ganz einfach vor«, antwortete er. »Ich hatte dir gesagt, du solltest mir deine Pläne mitteilen. Hast du aber nicht.« Er tippte auf den Voucher. »Guck mal, wir haben an alles gedacht. Es ist all inklusive. Das Flugticket nach Salzburg, der Mietwagen, Essen, Skikurs. Sieh es als Bonus für deine in diesem Jahr geleistete Arbeit.«

»Aha«, entgegnete ich, »daher weht der Wind. Weil ich Mist gebaut habe, komme ich ins Exil in die Berge.«

Marc stand ebenfalls vom Sofa auf und legte den Arm um mich. »Das hat doch mit deinem Fehler überhaupt nichts zu tun. Robert will nur, dass du dich mal entspannst und Urlaub machst. Und ich auch.«

Jetzt schaltete Mama sich ein. »Ich finde das ebenfalls keine schlechte Idee. Schau mal, Mona, du wirst bald dreißig. Du könntest die Zeit dort nutzen, um darüber nachzudenken, was du aus deinem Leben machen möchtest.«

»Gar nichts!«, rief ich. »Ich bin zufrieden mit meinem Leben, wie es ist!«

»Das kann nicht sein«, meinte Papa. »Ohne Mann, keine engen Freunde vor Ort, nur die Arbeit. Das ist doch kein Leben für eine junge, hübsche Frau.«

»Sieh zu, dass du dich erholst«, drängte Mama. »Vormittags in den Skikurs und danach einen ausgiebigen Mittagsschlaf. Was meinst du, wie schnell du da wieder zu Kräften kommst.«

Plötzlich roch es angebrannt. Die Lammkeule! Ich rannte in die Küche, riss die Ofentür auf und stand in einer Nebelschwade aus verbranntem Öl. Mist.

Bei näherem Hinsehen war der Schaden jedoch begrenzt. Es hatte nur ein bisschen vom Gemüse erwischt, das ich offenbar nicht genug eingepinselt hatte.

Ich nahm das Blech aus dem Ofen und verteilte Saft über Fleisch und Grünzeug, stellte die Temperatur zurück und schob alles wieder hinein. Tief durchatmen.

»Robert und ich würden die Feiertage gern mit Freunden in Berlin verbringen«, flüsterte Marc, der hinter mich getreten war. »Und Mama redet schon seit Jahren davon, dass sie über Weihnachten gern mal von dem ganzen Trubel hier fort wäre. Sie würde gern Heiligabend in die Oper gehen, das haben sie noch nie gemacht, und danach schön mit Papa essen. Die beiden würden das aber nie tun, wenn sie wüssten, dass sie dich allein zurücklassen.«

»Warum hast du mich denn nicht vorgewarnt?«, murrte ich. »Für mich ist dieser Urlaub eine Strafe. Ihr hättet mich fragen sollen. Wenn ihr mich schon unbedingt los sein wollt, hättet ihr mir Teneriffa schenken können. Oder die Seychellen. Aber Bad Gastein!«

Ich fasste mir an die Stirn. Vor meinem geistigen Auge sah ich Greise mit Rollator durch die Straßen manövrieren.

Marc zog mich an sich und strich mir über den Kopf. »Komm, Löckchen«, meinte er, »ich spür genau, dass es viel besser wird, als du denkst.« Jetzt nahm er mein Gesicht zwischen die Hände und sah mich ernst an. »Du hattest im Sommer versprochen, dass du kürzer trittst. Du hast es aber nicht getan. Robert ist in Sorge, dass du bei all dem Stress wieder etwas übersiehst. Du brauchst mal einen klaren Kopf. Und als du im Mai von Annikas Hochzeit in Zermatt zurückkamst, hast du von den Bergen geschwärmt. Da dachten wir, dass so ein Loft mit Kamin und integrierter Sauna zur Entspannung genau richtig wäre. Es ist ein Apartment für vier Personen, du kannst dich dort total breitmachen. Damit du dich um nichts kümmern musst, nimmst du an den Mahlzeiten im nahegelegenen Hotel teil. Das ist ein toller Schuppen, Robert hat keine Kosten gescheut.« Er schmunzelte. »Wie du dir vorstellen kannst, habe ich finanziell nicht ganz so viel beisteuern können, wie er.« Nun streichelte er mir die Wange. »Du wirst nette Leute kennenlernen, die genau deine Kragenweite sind, du wirst sehen.«

Ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. »Mag sein«, entgegnete ich, »aber ihr hättet trotzdem fragen können. Und Ski fahren werde ich auf keinen Fall. Am Ende breche ich mir was und liege in irgendeinem von Nonnen geführten Bergspital.«

»Na, na«, sagte Marc, »male mal nicht den Teufel an die Wand. Du wirst dir schon nichts brechen. Und wenn, dann hoffentlich nur dein Herz.«

Vorwurfsvoll sah ich ihn an.

Er lachte. »Spaß, Süße, nur Spaß. Ich wünsche dir, dass du endlich mal wieder andere Dinge wichtig nimmst, als immer nur die Arbeit.«

Während des Essens stocherte ich in den Speisen herum und haderte mit allem. Ich in den Bergen! Was hatten sie sich nur dabei gedacht?

Nachdem meine Eltern und Marc mit Robert gegangen waren, hörte ich die Mailbox meines Handys ab. Es gab genau einen Anruf. Eine einzige Geburtstagsnachricht zum Neunundzwanzigsten. Sie kam von Annika. Auf Facebook waren es mehr gewesen, zugegeben. Aber dort wurden die User auch daran erinnert.

»Hallo meine Süße, alles, alles Liebe und Gute zum Geburtstag! Ich hoffe, du feierst schön und hast den Tag genießen können! Melde dich doch mal, ich hab in den letzten Wochen schon ein paarmal angerufen. Ist alles okay bei dir? Uns geht es gut. Nevio kann jetzt laufen und hat nichts anderes im Kopf als Schlittenfahren. Er sagt Mama und Papa!« Sie lachte. »Na ja, Felix ist natürlich ununterbrochen auf der Piste und gibt Skikurse. Bei mir klappt es inzwischen auch richtig gut, wer hätte das gedacht. Was machst du über die Feiertage? Feierst du wieder mit Marc und deinen Eltern? Wahrscheinlich organisierst du eine Weihnachtsfeier nach der anderen. Ach, und die Silvestergala im Kurhaus natürlich. Bitte melde dich trotzdem mal, wäre schön. Happy birthday!«

Ich sah auf die Uhr. Dafür, Annika zurückzurufen, war es schon zu spät. Ich würde es morgen tun. Sie würde Augen machen, wenn ich ihr erzählte, dass Robert mich vierzehn Tage in die Berge verbannen wollte. Aber da hatte er sich geschnitten.

3

Der nächste Tag war ein Sonntag und draußen tobte ein Sturm, der die See weit auf den Strand trieb und Berge von Treibgut hinterließ. Wenn der Wind nachließ, würden Touristenkinder auf der Suche nach Bernstein darauf herumklettern.

Ich räumte die Reste meiner kleinen Feier auf und blätterte anschließend in alten Fotoalben. Marc und ich hatten schon als Kinder ein enges Verhältnis. Ich sah stets zu ihm auf, sein Wort war Gesetz. Warum fiel er mir so in den Rücken? Bei aller Fürsorglichkeit – er hätte mich doch auch fragen können, ob ich Weihnachten bei ihm in Berlin verbringen wollte. Immerhin war ich erst einmal dort gewesen.

Aber wenn ich ehrlich war, mochte ich die Stadt nicht so sehr. Und die Leute, mit denen er zu tun hatte, waren schrill und laut und hip. Auch wenn ich viel mit Menschen zu tun hatte: Extrovertiert war ich nicht. Ich brauchte immer einen Moment, bis ich mit anderen warm wurde. Zwar kleidete ich mich lässig und metropol, manche sagten, ich sähe aus wie ein Jean-Paul-Gaultier-Model, aber im Grunde meines Herzens war ich das Mädchen aus Rügen. Eine Bekannte von Marc hatte mich auf seiner Geburtstagsfeier vom Fleck weg für eine Fotosession engagieren wollen. Sie konnte gar nicht verstehen, dass ich nicht spontan Marcs Wohnung verließ, um mit ihr in einem abgelegenen Industriegebiet zwischen Fabrikruinen zu posen. Jede andere Frau hätte sich wahrscheinlich geschmeichelt gefühlt, aber ich wollte nur in Marcs Nähe sein. Ich brauchte nicht viele Leute, um mich wohlzufühlen. Vertraute Gesichter wie die meiner Eltern oder Annika genügten mir völlig. Erst seit meine Freundin die Insel verlassen hatte und Marc nach Berlin gegangen war, fühlte ich mich einsam. Daran würde ein Aufenthalt in Bad Gastein rein gar nichts ändern. Im Gegenteil.

Meine Familie konnte gern Weihnachten verbringen, wie es ihnen gefiel. Ich würde jemanden finden, dem ich mich anschließen konnte. Ich musste nur in meinem Email-Adressbuch meine verbliebenen Kontakte durchgehen. Jedenfalls ahnte ich, dass das eine furchtbare Reise werden würde, sollte ich sie antreten. Und auf sein Bauchgefühl sollte man sich immer verlassen.

Die Woche verging, und meine Laune verschlechterte sich von Tag zu Tag.

»Natürlich kann ich dich nicht zu deinem Glück zwingen«, erklärte Robert, nachdem ich ihm den Voucher am Freitagnachmittag mit der Begründung auf den Tisch legte, die Reise käme einfach nicht für mich in Frage. »Aber ins Büro setzt du keinen Fuß. Und sei dir bitte darüber bewusst, dass ich diesen Trip so kurz vor Reiseantritt nicht stornieren kann. Das Geld wird fällig, ob du hinfährst oder nicht.«

»Dann fahr eben selber hin«, entgegnete ich.

In diesem Moment klopfte Catalyn an die Tür und schlüpfte zu uns hinein.

»Hi.« Unsere Praktikantin kratzte sich mit einer verlegenen Geste am Kopf. »Wegen der Hochzeit am einundzwanzigsten …«, sagte sie, und ihr Blick glitt zwischen mir und Robert hin und her. »Könnte es sein, dass wir vergessen haben, die Einladungskarten zu verschicken?«

Mein Chef runzelte die Stirn. »Wie kommst du denn bitteschön darauf?«

Catalyn trat von einem Fuß auf den anderen. »Gehen die Rückläufe nicht normalerweise bei uns ein? Die vom Hotel wollten wissen, wie viele Zusagen wir haben und dann hab ich mal geschaut …« Wieder schaute sie zwischen Robert und mir hin und her. »Es ist noch keine einzige Karte zurückgekommen. Und das Rücksendedatum lautete erster Dezember.«

Mir wurde heiß und kalt, und ich setzte mich auf den Stuhl vor Roberts Schreibtisch. In Windeseile ging ich gedanklich meine Einladungskarten-Versenden-Checkliste durch. Ich hatte den Druck in Auftrag gegeben. Ich hatte die Adressetiketten eigenhändig auf die Umschläge geklebt. Ich hatte sie frankiert. Einhundertdreißig Stück. Ich hatte sie in einen Karton gepackt, um sie zur Post zu bringen. Die Box hatte ich in mein Auto geladen.

Herr im Himmel. Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie in der Filiale abgeliefert zu haben!

»Mona, was ist denn?«, fragte Robert und sah mich unter hochgezogenen Augenbrauen an. »Du hast wieder diese Flecken. Du willst mir doch nicht sagen, dass du das vergessen hast. Ich hatte dich doch extra danach gefragt! Bitte, Mona, sag, dass –«

Ich sprang vom Stuhl auf und klaubte im Flur meinen Mantel vom Garderobenhaken. Unser Büro lag nicht weit von meiner Wohnung entfernt auf der Hauptstraße, die zur Seebrücke und zum Strand führte. Ich rannte die Straße entlang durch den Regen. Eine Bö hob mich fast von den Füßen. Ich schlug den Kragen hoch und zog den Nacken ein, lief zu meinem Auto in einer Seitenstraße nahe meiner Wohnung und öffnete den Kofferraum. Die Kiste mit den Einladungen hatte ich doch nicht monatelang übersehen können!? Der Kofferraum meines Kleinwagens war nicht mal besonders groß! Tatsächlich lag nichts darin als ein Regenschirm und eine Plastiktüte von Aldi.

Und da fiel es mir ein. Auf dem Weg zur Post hatte ich einen Anruf von Robert erhalten, der mich bat, beim Kurator wegen der Silvestergala vorbeizuschauen. Ich war kurzerhand abgebogen und hatte die Postlieferung auf später verschoben. Der Leiter des Kurhauses hatte mich nach unserer Besprechung gebeten, eine Handvoll Plakate zu dem Studenten zu bringen, der die Aushänge für uns erledigte. Bis dahin war die Postagentur geschlossen gewesen, ich hatte mir vorgenommen, die Einladungen am nächsten Tag wegzubringen. Die Kiste mit den Briefen hatte ich, vorsichtig wie ich war, aus dem Auto genommen, damit sie über Nacht im Kofferraum nicht feucht werden würden, und in meinem Flur abgestellt, um sie gleich am nächsten Morgen wieder mitzunehmen. Im Gang standen sie nicht mehr. Wo war die Kiste?

Mein Gott. Mir schwante Übles.

Ich schloss den Kofferraum meines Wagens und lief mit zittrigen Knien weiter zu meiner Wohnung. Der Regen peitschte mir ins Gesicht, und ich senkte den Kopf. Mein Handy klingelte, das musste Robert sein. Nicht jetzt.

Ich betete nie, aber jetzt hätte ich mich am liebsten auf den Boden gekniet und es getan. Lieber Gott, mach, dass …

Der Hausmeister war gerade damit beschäftigt, eine Lichterkette über die Buchsbäume im Vorgarten zu spannen und warf mir einen neugierigen Blick zu, als ich zum Hauseingang stürmte. In meinem Flur hetzte ich zum Garderobenschrank und öffnete die knarzende Tür. Hier deponierte meine Putzhilfe Rodika freitagnachmittags alles, was ihr im Weg herumstand.

Und da war sie. Die unberührte Kiste mit den Einladungen für die Hochzeitsfeier der Diepkens-Alberts, die in knapp einer Woche stattfinden würde. Ich hatte das Führen der Zusagenliste an Catalyn abgegeben, die heute die Sitzordnung anlegen wollte. Wir sammelten immer die Rückläufe, ehe wir die Namen auf der Liste abhakten, konnten das nicht jeden Tag tun. Tatsächlich waren wir spät dran. Und dass wir es nicht früher gemerkt hatten, lag daran, dass die Braut sich voll auf uns verließ, und nicht, wie andere, ständig nachfragte.

Ich versuchte, mich selbst zu beruhigen. Bestimmt wussten die Gäste ohnehin Bescheid. Ich meine – es würde doch mal jemand gefragt haben, wann es losging?

Ein kaltes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. War sie nicht die Braut gewesen, die mit ihrer Einladung den Verwandten und Freunden eine Überraschung bereiten wollte? Es gab wohl ein paar Stimmen im Umfeld, die der Meinung waren, die beiden passten nicht wirklich zusammen. Und in der Fußzeile der Einladungen stand: »Die Zusagen bitte ausschließlich an die Agentur, wir möchten uns gern überraschen lassen, wer kommt.«

Ich sank auf die von Rodika an diesem Nachmittag frisch gewienerten Fliesen vor dem Flurschrank zu Boden und heulte heiser auf. O nein, o nein. O Gott, o Gott.

Mein Handy klingelte wieder. Bestimmt tauchte Robert gleich vor meiner Tür auf, um zu erfahren, was geschehen war. Wie sollte ich ihm diese Katastrophe beichten?

Dass er mir im August verziehen hatte, war ein Wunder gewesen. Diesmal würde es keines geben, so viel stand fest. Da nutzte es auch nichts, dass er mit Marc liiert war.

Ich war nicht in der Lage, ins Büro zurückzukehren. Schlotternd stieg ich aus den regennassen Klamotten, kroch ins Bett und schlang die Decke um mich. Ich hatte versagt. Zum zweiten Mal in meiner Laufbahn in Roberts Firma hatte ich es so richtig vermasselt. Und das innerhalb weniger Monate. Was war nur mit mir los? Ich war nicht mal dreißig, das konnte doch keine Alterserscheinung sein!

Dabei ahnte ich insgeheim genau, was mit mir los war. Ich war überarbeitet. Halste mir zu viel auf, gab zu wenig ab, fühlte mich für alles verantwortlich, arbeitete fast jedes Wochenende und sonnte mich in meinem Erfolg. Papa hatte ganz recht: Ich hatte sonst nichts. Keine Beziehung, keine Kinder, kein Social Life. Auf Facebook, Instagram und Twitter war ich gut vernetzt, meine Accounts standen auf meiner Visitenkarte. Ich erntete Likes und twitterte über jedes Event, das ich organisierte. Nebenher kümmerte ich mich unentgeltlich um Feierlichkeiten meiner Eltern und ihrer Bekannten oder wuppte flugs den Fünfzigsten von Annikas Mama. Selbst in Zermatt hatte ich mich um Annikas Junggesellinnenabschied gekümmert.

Und jetzt lag ich bewegungsunfähig im Bett. Ich hatte noch nicht in den Spiegel geschaut, doch es war davon auszugehen, dass die roten Flecken sich munter ausbreiteten. Nun klingelte es schon zum fünften Mal an meiner Haustür, doch ich war unfähig, aufzustehen. Wie damals, als ich von dem Segeltörn zurückgekehrt war. Ich hatte mich verkrochen, noch nicht einmal Annika etwas von der Misere erzählt. Ich hatte mich zurückgezogen, weil ich ihr nicht eingestehen wollte, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Annika hielt mich für perfekt. Wie so viele.

Als das Klingeln verstummte, atmete ich auf. Kurz darauf hörte ich, wie sich jemand an meiner Wohnungstür zu schaffen machte.

Zuerst klopfte es hämmernd. »Frau Espenschied, sind Sie da?«, rief eine mir unbekannte männliche Stimme. Oder doch. Gehörte die nicht dem Hausmeister?

Jemand drehte den Schlüssel im Schloss.

Es dauerte keine halbe Minute, bis Robert und der Hausmeister in meine Wohnung stürzten, laut meinen Namen riefen, bis sie mich endlich im Schlafzimmer fanden und anstarrten.

»Gott, Mona, wie kannst du mich so erschrecken?«, fragte Robert. Sein Blick wanderte zum Nachttisch und wieder zu mir. »Hast du was genommen?«

Ich hauchte ein »Nein«. Stumme Tränen liefen mir über die Wangen.

»Ich werd dich krankschreiben, miene Sööte. Zwei Wochen. Vorerst.«

Dr. Gregor, der mich bereits seit meiner Kindheit kannte, sah über den Rand seiner Brille hinweg. »Mit so etwas ist nicht zu spaßen. Es gibt Leute, die kommen nach so einer Attacke nicht wieder hoch.«

Seine Diagnose lautete »akutes Erschöpfungssyndrom«, auch bekannt unter der Bezeichnung »Burnout«. Er erklärte mir, dass dieses Syndrom ganz unterschiedlich verlaufen könne. Die Gefahr sei groß, dass es chronisch würde, wenn ich nicht sofort gegensteuerte.

Bei mir hatte dieser Zustand der völligen Abgeschlagenheit schon das ganze Wochenende angehalten. Lediglich für den Gang zur Toilette hatte ich mich aus dem Bett schälen können. Die paar Meter vom Schlafzimmer ins Bad erschienen mir dabei so lang wie meine Joggingstrecke von Binz nach Prora. Und das, wo der sechs Kilometer weite Sandstrand am Prorarer Wiek für mich normalerweise ein Klacks war. Momentan träumte ich eher davon, dass mein körpereigener Akku wieder auflud.

»Das kann schnell chronisch werden«, mahnte mein Hausarzt noch einmal. »Du brauchst dringend Ruhe. Mein Rat: kein einziges Gespräch über die Arbeit, mit niemandem.« Er hob beschwichtigend die Hände, als ich etwas einwenden wollte. »Ich hab verstanden, dass das eine üble Sache ist, die dir da passiert ist, aber darum müssen sich jetzt andere kümmern. Es ist egal, ob jemand denkt, dass du dich aus der Affäre ziehst. Fakt ist, dass du vor ein paar Monaten schon einmal hier bei mir gesessen hast und ich dir dasselbe sagte. Du dachtest, du hättest die Kurve gekriegt, aber da täuschst du dich. Du musst dringend etwas ändern, es ist kurz vor zwölf.«

Ich senkte den Kopf und kämpfte gegen die Tränen an. Wie konnte man sich nur so schwach fühlen? Ich wollte nichts anderes als schlafen. Die ganze Zeit. Nichts reden, nichts denken, nichts essen, nichts tun.

Mama hatte mich hierher gebracht. Sie hockte im Wartezimmer und las die GALA, während ich gehofft hatte, mein Arzt würde mir etwas verschreiben, mit dem ich mich besser fühlen und Robert und Catalyn unter die Arme greifen könnte. So, wie ich jetzt drauf war, war es nicht möglich. Mein Energielevel bewegte sich auf der Nulllinie.

»Am besten wäre ein Tapetenwechsel«, fuhr Dr. Gregor fort. »Hast du nicht jemanden, den du besuchen könntest?«

Annika. Zermatt. Ich hob langsam den Kopf und nickte. »Ich frag mal.«

Zu Hause angekommen, wählte Mama Annikas Nummer und hielt mir den Hörer ans Ohr. Ich war tatsächlich zu kraftlos, um mich selbst darum zu kümmern. Mit piepsiger Stimme klagte ich meiner Freundin mein Leid, erzählte ihr von Roberts Geschenk und meinem erneuten, fatalen Fehler in der Agentur. Ich wollte so gern bei ihr sein. Wie früher, als wir einander getröstet hatten, wenn es in der Schule oder mit den Jungs nicht gut lief. Auch bei der Trennung von Piet war sie für mich da gewesen. Genauso wie ich für sie, als sie schwanger wurde und sich eine Zeit lang nicht sicher war, von wem.

»Ich wüsste nicht, wo ich dich unterbringen sollte«, sagte Annika, und ich hörte ihrer Stimme an, wie sie sich wand, mir eine Absage zu erteilen. »Du hast ja unsere Wohnung gesehen, wir haben kaum Platz für uns drei, und meine Mutter kommt noch.« Annika seufzte. »Es tut mir so leid. Hättest du früher etwas gesagt, hätte ich bestimmt noch was arrangieren können. Aber im Moment kommen die Leute in Scharen, Zermatt ist ausgebucht.« Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr: »Und wenn du doch nach Österreich fährst in dieses Alpenloft? Ich hab mir das eben mal angesehen, das ist der Hammer. Wenn man mir das anbieten würde, würde ich nicht zweimal überlegen.«

Ich selbst hatte noch gar nicht geschaut, wohin genau Robert und Marc mich verfrachten wollten. »Ehrlich?«, fragte ich matt. »Aber ich wäre dort ganz allein.«

»Du knüpfst schneller Kontakte, als du von dir glaubst. Denk mal, wie du dich hier im Mai sofort zurechtgefunden hast.«

Damit hatte sie zwar recht, aber zur Zeit war ich nicht die Alte. Anscheinend konnte ich das niemandem so recht begreiflich machen. Ich verstand es ja selbst nicht!

»Es tut mir wirklich leid«, wiederholte Annika noch einmal. »Wenn du absolut nicht weg willst: Versuch, dich abzuschotten. Mach es dir in deiner Wohnung gemütlich.«

Als ich aufgelegt hatte, sah Mama mich fragend an. »Bei ihr geht es nicht?«

»Nein.«

»Dann mach die Reise, die Robert und Marc dir geschenkt haben.«

Ich blinzelte wieder gegen die Tränen an und gab mich geschlagen. »Kannst du mir beim Packen helfen?«, flüsterte ich.

Mama gab mir einen Kuss auf die Wange. »Nichts lieber als das.«

4

Die nächsten beiden Tage verbrachte ich im Bett und ließ mich von Mama verwöhnen, die sich extra für mich freinahm. Mein Flug ging mittags um zehn vor zwölf von Berlin aus nach Salzburg. Sie brachte mich auch mit dem Auto zum Flughafen, wo Marc mich in Empfang nahm.

Mein Bruder begleitete mich über die Gepäckaufgabe bis zur Sicherheitskontrolle, wo er mich mit einer Umarmung und den Worten »Ich wünsch dir eine mega gute Zeit« verabschiedete.

Auf meinem Weg durch die Kontrolle wandte ich mich noch einmal um und erwischte ihn dabei, wie er mir besorgt nachsah. Ich hatte mir seit Freitag nicht die Haare gewaschen oder mich geduscht – lediglich zum Zähneputzen hatte ich mich aufraffen können. Ich trug einen Jogginganzug und Sneakers, darüber eine dunkelblaue Steppjacke mit Fellkapuze. Meine Locken hatte ich zu einem wirren Knoten zusammengebunden. Es war mir egal. Hier kannte mich niemand und in Bad Gastein erst recht nicht.

Ich hob die Hand und formte mit den Lippen einen Kuss. Dann verschwand mein Bruder aus meiner Sicht.

Den Flug verbrachte ich schlafend; nach der Landung weckte mich eine Stewardess. Wahrscheinlich hielt sie mich für betrunken.

Ermüdend lange wartete ich an der Gepäckausgabe auf meinen Koffer und schleppte mich schließlich zur Mietwagenfirma, wo man mir einen Schlüssel für einen Kleinwagen übergab.

Die Fahrt gestaltete sich als kaum zu bewältigende Herausforderung. Mit zitternden Fingern versuchte ich, das Navi in Gang zu setzen und ließ es nach mehreren Versuchen resigniert bleiben. Ich trank einen Schluck Wasser, ruhte mich aus, probierte es erneut. Jetzt ging es. Aber wie sollte ich in diesem Zustand Auto fahren?

Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn herum. Der Motor des Fiat Panda sprang an, und kurz darauf lenkte ich den Wagen durch den Schneeregen. Verzweifelt versuchte ich, mir die alte Mona ins Gedächtnis zu rufen. Sie hätte mich ausgelacht. »Wegen einer Autofahrt von eineinhalb Stunden stellst du dich so an?«, hätte sie gefragt. »Für dich ist so etwas doch ein Klacks.«

Das Navi lotste mich auf die Autobahn. Links und rechts erstreckten sich Hügel, auf denen es grün durch weiße Schneeflecken hindurchschimmerte. Ein türkisfarbener Fluss rauschte schäumend durch die Landschaft, es folgte Tunnel auf Tunnel. Ich zuckelte mit achtzig hinter LKWs her, ein Überholvorgang hätte mir zu viel Kraft abverlangt. Zu Annika nach Zermatt war ich mit dem Zug angereist und hatte kaum aus dem Fenster geschaut, sondern bis zur letzten Sekunde an einem Event geplant. Und dann hatte ich auch dort wieder die Zügel bei der Planung ihres Junggesellinnenabschieds in die Hand genommen. Woher hatte ich die Energie genommen?

Die Landschaft veränderte sich. Es wurde bergiger, der Schneefall dichter.

Endlich ging es von der Autobahn ab ins Gasteiner Tal. Nur noch ein paar Kilometer.

Die Straße führte durch zwei Orte, bis die Bundesstraße steiler wurde und Bad Gastein in Sicht kam. Der Ort schmiegte sich mit seinen pastellfarben angelegten Prachtbauten an den Berg. Ich hatte ganz vergessen, wie bezaubernd Schneelandschaften aussahen. Die Berge ringsherum, die Bäume, die Dächer der Häuser. Es sah aus wie auf einer Postkarte. Durch die Mitte des Ortes stürzte ein Wasserfall ins Tal. Mein Weg schlängelte sich an Hotels und Lokalen vorbei. Von einigen bröckelte der Putz, als würden sie schon länger leer stehen.

Ich passierte einen Bahnhof mit daneben gelegener Gondelanlage. Auf einem Platz drängten sich Gruppen von Kleinkindern auf einem Skiübungshügel, Skifahrer bildeten Schlangen vor den Gondeln. Behäbig bewegten sich die Kabinen den Berg hinauf, Schnee flirrte durch die Luft. Und wieder kam ich an Gebäuden im Kurstil vorbei, diesmal weihnachtlich herausgeputzt. Hier erinnerte nichts an die rustikale Bauweise der Schweizer Berge.

Ein paar Kurven weiter lenkte ich den Fiat Panda auf einen Parkplatz. Das Navi vermeldete meine Ankunft am Ziel. Erschöpft zog ich die Handbremse und legte den Kopf auf dem Lenkrad ab. Hoffentlich war es nicht allzu weit bis zu diesem Loft, das Robert für mich gebucht hatte. Es musste ein wenig abseits liegen.

Ich stieg aus und lud den Koffer aus dem Kofferraum; den Schlüssel zum Auto würde ich an der Rezeption abgegeben, man hatte einen Deal mit der Mietwagenfirma.

Das Hotel selbst war ein großes, mit dunklem Holz verkleidetes Gebäude, das durch seine Erker und Balkone regelrecht verwinkelt aussah. Durch eine Glasschiebetür betrat ich die Lobby. Vor dem Fenster zum Parkplatz war ein Weihnachtsbaum aufgestellt. Er war über und über mit pastellfarbenen Kugeln behängt. Darunter lagen Attrappen von Geschenken und Säckchen. In der Lobby fanden sich außerdem einladend aussehende bunte Sessel und Sofas. Und überall Bücher. In den Regalen, auf den Tischen.

An der Rezeption klopfte ich mir den Schnee von den Schultern und wartete den Check-in einer Familie mit drei Kindern ab. Die junge Frau am Counter trug einen Rock aus gelbem Brokat.

»Herzlich willkommen«, begrüßte sie mich, nachdem die Familie versorgt war. »Was kann ich für Sie tun?«

Ihr feiner österreichischer Akzent gefiel mir. Ich reichte ihr den Mietwagenschlüssel und den Hotelvoucher. Sie bat mich mit einem Fingerzeig, auf einem der Sessel in der Sitzgruppe Platz zu nehmen. »Unser Concierge ist noch in einem anderen Haus unterwegs. Möchten Sie etwas trinken, bis er wiederkommt? Dann bringt er Sie und Ihr Gepäck nach oben.«

So wie sie »Gepäck« sagte, klang es wie »Gebäck«.

Ich winkte ab. »Mein Koffer ist nicht so schwer, und er hat Rollen. Ich würde gern so schnell wie möglich aufs Zimmer. Könnten Sie mir den Schlüssel geben? Ich finde mich bestimmt zurecht.«

Es war gelogen, in Wahrheit wäre ich lieber auf einer Trage transportiert worden. Aber ich musste mich dringend hinlegen. In ein Bett. Bis zum Abendessen wollte ich keinen Schritt mehr tun.

Zögernd erläuterte sie mir ein paar Abläufe. Das Schwimmbad war den ganzen Tag geöffnet, in meinem Loft gab es eine eigene Sauna. Das Abendessen für die Loftbewohner startete um neunzehn Uhr. Tagsüber wurden Schneewanderungen, Schlittenfahrten und andere Aktivitäten angeboten. Sie schob mir ein Blatt zu, auf dem eine Tabelle abgebildet war. Für jeden Wochentag gab es eine Spalte.

Ich nickte und streckte die Hand aus. »Sehr gut. Den Schlüssel bitte?«

Endlich schien sie zu begreifen, wie ernst es mir war. »Es ist das Apartment Pepone A.« Aus einer Schublade fischte sie einen Filzanhänger und trat um die Theke herum. Sie winkte mich hinter sich her zur Schiebetür und deutete am Hotel vorbei auf einen ansteigenden Weg.

»Sie kommen an zwei Treppchen vorbei, nehmen Sie die zweite, es geht ein wenig bergan.« Zweifelnd betrachtete sie mich. »Wollen Sie nicht doch lieber auf den Concierge warten? Oder er bringt Ihnen später Ihren Koffer.«

»Nein, nein.« Kurzentschlossen presste ich meine Handtasche enger an mich und machte mich mit dem hinter mir herklappernden Koffer auf den Weg.

»Pepone«, murmelte ich vor mich hin. Die Treppchen, die auf die zweite Ebene des Grundstücks hinter dem Hotel führten, waren steiler als gedacht. Und geräumt waren sie auch nicht. Nur plattgetreten. Meine Sneakers waren definitiv das falsche Schuhwerk.

Ächzend arbeitete ich mich Stufe für Stufe nach oben. Allmählich erschien mir die Entfernung zwischen dem Hotel und den dazugehörigen Lofts beschwerlich. Schön sahen sie ja aus inmitten der verschneiten Wiesen. Große, überdachte Holzterrassen. Riesige Fensterscheiben zu den im Gasteiner Tal liegenden Ortschaften hin. Sehr idyllisch.

Der Weg führte noch ein Stück weiter über einen Trampelpfad, der vor dem Komplex mit den Lofts endete. Von einem schmalen, überdachten Gang gingen vier Apartmenttüren ab. Zwei links, zwei rechts. Welches war meines? Es gab gar keine Markierungen. Ich betrachtete den Filzanhänger. Pepone A.

Ich pochte an die erste Tür zu meiner linken und horchte. Nichts zu hören. Der Schlüssel passte nicht ins Schloss. Also weiter zum nächsten. Wieder klopfte ich, steckte auch hier den Schlüssel in den Zylinder. Vielleicht nach rechts drehen? Ich rüttelte und drehte, doch nichts geschah.

Im selben Moment sprang die Tür auf, und ich starrte in die misstrauisch verzogenen Augen eines Mannes im Bademantel. Er hielt die Hände in den Taschen vergraben, seine blanken Füße steckten in weißen Frotteepantoffeln. Hatte ich ihn aus der Sauna geholt?

»Hal-lo?«, fragte er. »Darf ich fragen, warum Sie sich hier an meiner Tür zu schaffen machen?« Seine Stimme hatte einen leicht österreichischen Singsang.

Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Sein Aussehen erinnerte an Gerard Butler. Er hatte hellbraunes kurzes Haar, graue Augen und für einen Mann beneidenswert dunkle Wimpern.

Meine Wimpern sind rotblond. Wenn ich sie nicht tusche, sehe ich aus wie ein Alien. Heute zum Beispiel.

Er betrachtete den wirren Dutt auf meinem Kopf und mein Jogginghose-Sneakers-Outfit. Mein Hartschalenkoffer wies ein Leopardenmuster auf.

Grübelnd starrte ich auf den Filz-Schlüsselanhänger in meiner Hand. »Pepone A ist wohl nicht hier?«

Er deutete auf die Schmutzmatte zu meinen Füßen und sagte: »Hier steht B.«

Ich hob die Fußspitzen, und tatsächlich war dort ein blasses B zu erkennen.

Der Mann zeigte auf die Fußmatte gegenüber. »Dort steht ein A. Das da ist Ihr Loft. Hier sind Sie falsch.«

Er sah mich in einer Art an, als wollte er sagen: »Frauen. Völlig orientierungslose Geschöpfe.«

Ich murmelte eine Entschuldigung und wandte mich ab, steckte den Schlüssel in die Tür gegenüber. Er ließ sich mühelos herumdrehen.

»Geht doch«, sagte der Mann.

Ich drehte mich um, und er hob spöttisch eine Augenbraue. Dann trat er zurück ins Innere, und die Tür fiel ohne ein weiteres Wort hinter ihm ins Schloss. Dass ich mich für meine Störung hätte entschuldigen können, fiel mir zu spät ein.

Ich nahm meinen Koffer und betrat staunend das Apartment. Direkt hinter dem Eingang begann ein riesiger Wohnbereich mit bodentiefer Fensterfront. Wow. So hatte ich noch nie gewohnt. Nicht mal auf meiner Hochzeitsreise, die Piet und mich nach Mauritius geführt hatte. Die Hütte am Strand war sehr einfach gewesen. Aber dieses Apartment war eine Wohlfühloase in hellem Holz, das einen harzigen Duft verströmte, vermengt mit einem Limettenaroma, wie ich es aus Wellnessbereichen kannte. Die Schlafzimmertür links von mir stand offen. Ich hängte meinen Anorak an den Garderobenhaken neben dem Eingang und spähte in den Schlafraum. Es war der Wahnsinn: Vom Kingsize-Bett aus würde ich durch die Glasfront über den Balkon hinweg nach draußen sehen können. Ich hätte mich am liebsten sofort hingelegt, doch für den Moment sperrte ich einfach nur den Mund auf. Wie schön es hier war!

Andächtig wandte ich den Kopf. Die Fensterfront im Wohnzimmer mit angrenzender Terrasse ging zum Berg hinaus. Der Rücken eines Sofas begrenzte den Eingangsbereich vom Wohnzimmer, gegenüber stand ein Holzofen, daneben ein Korb frisches Brennholz. Vom Wohn- und Essbereich ging es links neben dem Schlafzimmer in eine schmale, offene Küche.

Ich schlüpfte aus den Schuhen und durchquerte den Raum bis zum Badezimmer. Dunkler Granit, weiße Keramikelemente, eine Holzdecke. Es gab eine Badewanne, an deren Stirnseite ein Fenster den Blick ins Tal freigab.

Ein glücklicher Seufzer entwich meinen Lippen, und ich öffnete die Tür zur Sauna. Neben der Scheibe hing eine Bedienungsanleitung. Es bedurfte nur eines Knopfdrucks.

Zurück im Wohnzimmer schob ich eine der Balkontüren beiseite, tapste mit bestrumpften Füßen nach draußen. Der Balkon erstreckte sich über die Front des Gebäudes nach links übereck an Küche und Schlafzimmer vorbei bis zu einer Holzpalisade, die knapp neben der Balkontür meines Schlafzimmers lag. Von diesem Teil der Terrasse konnte man über das Tal hinweg bis zu den entfernt liegenden Ortschaften schauen, aus deren Richtung ich gekommen war. Ich knipste ein Foto für Mama und Annika sowie Marc und Robert, schickte ihnen eine SMS mit dem Wort Angekommen. Danach stellte ich das Gerät auf Flugmodus. Ich wollte abschalten und nicht chatten. Bestimmt würden sie Details von meiner Anreise hören wollen.

Ich legte die Hände auf dem kalten Geländer ab und blies weiße Atemwölkchen in die Luft.

In der Nähe rauchte jemand.

Ich ging die paar Schritte zur Palisade und lugte durch eine Ritze im Holz. Es war der Mann, den ich vor ein paar Minuten aufgescheucht hatte. Er telefonierte.

»Nein, da verhörst du dich, ich rauche überhaupt nicht«, sagte er eben und schnickte Asche übers Geländer.

Er trug noch immer den Bademantel und die weißen Hotelslipper. Seine Waden sahen durchtrainiert aus.

Ich schlang die Arme um meinen Körper und wandte mich ab, ging zurück ins kuschlig warme Wohnzimmer und ging weiter ins Schlafzimmer zu dem einladenden Bett. Ich schlüpfte aus meinen Kleidern, ließ sie zu Boden fallen und krabbelte unter die Bettdecke.

Die Matratze war wunderbar weich. Die Kissen rochen sauber und waren in der optimalen Größe.

Auf einem lag ein Täfelchen Schokolade. Ich nahm es fort und legte es in die Nachttischschublade.

Hier würde ich es mir gut gehen lassen. Ich fühlte mich jetzt schon erholter. Ich drehte mich auf die Seite und starrte durch die Scheibe der Balkontür nach draußen in die verschneite Landschaft, betrachtete die hohen Berge, über die sich die Dämmerung legte, und schloss die Augen.

5

Trompeten und bummernde Bässe holten mich aus einem Traum. Ich hatte auf Skiern vor einem Abgrund gestanden.

Benommen richtete ich mich auf und lauschte. Jemand hörte Musik. Laut.

Draußen war es bereits dunkel, und ich sah auf die Uhr. Kurz vor sechs. Um sieben gab es Abendessen. Mein Magen knurrte. Mein Kopf fühlte sich nicht mehr so schwer an.

Ich hob die Beine vom Bett und legte das Ohr an die vibrierende Wand zum Nachbarloft. Da testete wohl jemand die maximale Leistungsfähigkeit seiner Stereoanlage?

Nicht, dass ich etwas gegen Musik gehabt hätte, im Gegenteil. Ich hörte selbst gern welche, drehte sie auch auf, wenn ich wusste, dass die Nachbarn fort waren. Oder am Strand beim Joggen über meine Kopfhörer. Aber hier und bei voller Lautstärke? Das würde mir nicht einfallen. Erst mal einen Kaffee. Vielleicht hörte es ja gleich wieder auf.

Die Küche war mit allem ausgestattet, was das Herz begehrte. Es gab nicht nur einen Toaster und einen Wasserkocher, sondern auch eine Kapsel-Kaffeemaschine mit einer Auswahl an Geschmacksrichtungen, die mein Herz höher schlagen ließ. Etwas Starkes wäre gut. Ich entschied mich für den vielversprechenden Namen »Coffea arabica« und lauschte dem Rattern des Geräts, das das herzschlagartige Dröhnen aus der Nachbarwohnung nicht zu übertönen vermochte.

Als der Kaffee durchgelaufen war, umrundete ich mit der Tasse die Essecke und setzte mich auf das apfelgrüne Sofa. Vielleicht besaß ich auch eine Stereoanlage, die ich aufdrehen konnte? Auf einem schmalen Beistelltisch stand ein Fernseher, daneben ein Kasten. Vermutlich war das ein Gerät, an das man sein Handy anschließen konnte. Oder es verfügte über Bluetooth. Später vielleicht. Ich nippte am Kaffee und lehnte den Kopf zurück. Es fühlte sich surreal an, hier zu sein. Mona Espenschied allein in den Bergen. In einem luxuriösen Alpenloft!

Nebenan bummerte es weiter, die Bläser gaben alles. Was war das nur für eine Musik? Je mehr ich versuchte, mich von dem lästigen Dröhnen abzulenken, desto mehr zerrte es an meinen Nerven. Dachte dieser Kerl, er sei allein auf der Welt?

Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass man die Dinge besser gleich zur Sprache brachte. Im schlechtesten Fall entluden sich Aggressionen wegen einer Lappalie.

Ich trank den Kaffee aus und schlüpfte im Schlafzimmer in meine am Boden liegenden Kleider, glitt in meine Sneakers und öffnete die Tür meines Apartments. Gott, war das kalt da draußen. Die Überdachung nützte überhaupt nichts. Unschlüssig blieb ich vor der gegenüberliegenden Wohnung stehen, neben mir die Wand, hinter der unsere Lofts aneinander grenzten. Es gab nicht mal eine Klingel, wie sollte der Kerl mich bei diesem Lärm hören?

Ich klopfte etliche Male, ehe die Musik verstummte und ich Schritte hörte.

Er war noch immer im Bademantel. Seine Augen waren gerötet. Sollte er bei diesem Radau geschlafen haben?

»Ja?« Er musterte mich von oben bis unten. Ich hasste es, wenn Männer das taten.

»Hören Sie«, begann ich, »ich will nicht unhöflich sein und Sie alle fünf Minuten stören, aber sehen Sie, ich stehe mit einem Fuß im Burnout, und es wäre wirklich toll, wenn Sie die Musik leiser machen könnten.«

»Burnout?« Er musterte mich noch eingehender. Las ich etwa Spott in seinem Blick? So nach dem Motto: Das erklärt einiges. Was für eine Unverschämtheit.

»Wir sind ja Nachbarn«, versuchte ich es dennoch versöhnlich, »wäre doch schön, wenn wir miteinander klarkämen.«

»Ich bin nicht hier, um mit irgendjemandem klarzukommen«, erklärte er und schlug mir die Tür vor der Nase zu.

Abwartend blieb ich stehen. Wenn er die Musik wieder aufdrehte, würde ich noch einmal klopfen. Wenn nötig mit den Fäusten. Ich hatte mich zu dieser Reise durchgerungen. Und jetzt, wo es mir hier gefiel, würde ich keinerlei Kompromisse eingehen.

Als die Musik ausblieb, kehrte ich zurück in mein Apartment, ging ins Bad und starrte mein Spiegelbild an. Gott, ich sah aus wie eine Irre. Das Haar hatte sich beim Schlafen aus dem Dutt gelöst und erinnerte an ein zerfetztes Hundespielzeug. Aber das war nicht das Schlimmste. In der Eile hatte ich mein Oberteil komplett falsch herum angezogen. Das rückseitige Etikett hing direkt unter meinem Kinn. An meinem Hals zeichneten sich rote Flecken ab.

Ich kicherte. Gott sei Dank konnte mir dieser Typ nicht gleichgültiger sein.

Ich zog das Shirt über den Kopf und schlüpfte aus Hose und Unterwäsche. Kurz darauf stand ich unter der Dusche. Fuck you, Burnout, dachte ich und ließ das Wasser aus der Regendusche über meinen Körper rinnen, bis ich meinte, jegliche Schwermut von mir heruntergespült zu haben. Tropfend trat ich unter der Dusche hervor und breitete die Arme aus, atmete mit einem vernehmlichen »Aaaah!« kräftig aus und beschloss, mich für das Abendessen ein wenig in Schale zu werfen.

Neben bequemer Winterkleidung hatte ich mein Lieblingskleid eingepackt. Es war schwarz und aus einem festen Jerseystoff. Es umschmeichelte meine Figur und reichte mir bis knapp über die Knie. Es hieß immer, Rothaarige könnten kein Schwarz tragen, doch mir stand diese Farbe ausgezeichnet. Sie verlieh meinem Teint einen rosigen Touch und meinen Haaren die Farbe halbreifer Erdbeeren. Meine Locken versorgte ich mit einer Styling-Creme, tuschte meine Wimpern, trug ein wenig farblosen Lipgloss auf und schlüpfte in das Kleid.

Die restlichen Klamotten verstaute ich im Schlafzimmerschrank und fischte einen Liebesroman aus dem Koffer, den ich für gemütliche Stunden vor dem Kamin mitgebracht hatte. Mama hatte mir ein Fernglas für die Ausflüge in die Berge und ein paar Knabbereien eingepackt. Ich verteilte alles in Küche und Wohnzimmer und sah unschlüssig nach draußen in die Dunkelheit.

Bedauerlich, dass ich den Weg durch die Kälte zum Hotel zurücklegen musste. Ich zog schwarze Wildlederstiefel und meinen Kapuzenmantel über und trat aus dem Haus. Von meinem Nachbarn war nichts zu sehen oder zu hören. Und auch in den beiden anderen Wohnungen war alles still. Vielleicht standen sie leer. Das würde sich bestimmt bald ändern.

Der Weg durch den Schnee zum Treppchen war unbeleuchtet. Ich kramte mein Smartphone hervor und leuchtete mir mit der Taschenlampenfunktion den Weg. Die Schwere der letzten Tage nagte nun doch wieder an mir, kaum dass ich diese paar Meter zurückgelegt hatte. Wann würde das endlich besser werden? Aber Umkehren war keine Option, ich hatte Hunger.

6

Stehlampen mit verschiedenfarbigen Lampenschirmen tauchten die Lobby und den Übergang zur Bar hin in ein heimeliges Licht. Den Boden schmückten Kuhfelle, am Rand waren Sitzgelegenheiten wie Sessel und Hocker verstreut. Hier warteten Hotelgäste auf ihre Familienmitglieder, blätterten in Zeitschriften oder Büchern, scrollten über die Displays ihrer Smartphones. Über die Bar gelangte man in den Speisesaal. Dabei handelte es sich um einen verwinkelten Raum, dessen Zentrum eine Insel bildete, auf der an diesem Abend das Vorspeisenbuffet aufgebaut war. Seitlich daneben waren die Haupt- und Nachspeisen aufgereiht. Es roch köstlich.

Aus den Lautsprechern schallte leise Musik. Ein Kellner erkundigte sich nach meiner Zimmernummer und winkte mich mit einem »Bitte folgen Sie mir« hinter sich her.

Er bot mir einen Platz an einem noch unbesetzten Sechsertisch.

»Sitze ich nicht allein?«, fragte ich.

Der Mann lächelte mich an. »Wir sind über die Feiertage ausgebucht, daher stellen wir Gruppen aus Alleinreisenden und Paaren zusammen. Sechsergruppen haben sich bei unseren Loftgästen bewährt. Sie sitzen heute allerdings nur mit Herrn Brandner aus Apartment Pepone B zusammen. Ab morgen stößt dann noch ein Paar zu Ihnen. Übermorgen ein weiteres.«

»Das ist mir ehrlich gesagt nicht so recht«, wandte ich ein. »Ich würde lieber allein sitzen. Ich brauche Ruhe, wissen Sie.«

Worüber sollten Herr Brandner und ich uns auch unterhalten? Darüber, dass er ein unfreundlicher, rauchender Musikfreak war, der es weder mit der Wahrheit genau nahm, noch jemals etwas von Rücksichtnahme gehört hatte?

Der Kellner musterte mich unauffällig, als drücke mein Outfit das Gegenteil von Ruhebedürfnis aus. »Heute kann ich Ihnen entgegenkommen, aber ab morgen wird es eng.« Er wies zu einem Zweiertisch am Fenster. »Der wäre gerade noch frei.«

Behutsam bahnte ich mir den Weg zwischen den anderen Tischen hindurch und setzte mich. Von hier hatte ich einen Überblick über alle Winkel des Raums und das Buffet. Am Nebentisch saß schon eine Familie, die eben mit ihren Getränken anstieß. Ich nickte ihnen zu.

»Möchten Sie einen Aperitif?«, fragte der Kellner.

Ich schüttelte den Kopf. Dr. Gregor hatte mir geraten, jegliche Rauschmittel zu meiden. Sie könnten die Symptome verstärken, und das wollte ich auf keinen Fall. Stattdessen bestellte ich ein Mineralwasser und sah mich genauer um. Ein Teil der Wände war pink angelegt, ein anderer tannengrün. Es gab einen ausgestopften Auerhahn und mehrere Hirschgeweihe an den Wänden. Ein Gemälde zeigte Bad Gastein im Sommer, ein anderes im Winter. Das Buffet sah reichhaltig aus. In dampfenden Servierschalen erspähte ich Fleisch, Fisch und Beilagen. Ein Koch briet auf einer heißen Platte Riesengarnelen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

»Einen schönen guten Abend, herzlich willkommen bei uns«, begrüßte mich eine Dame im schwarzen Kostüm; die dunklen Haare waren zu einer Banane hochfrisiert. Ihr Revers zierte ein Schild: Barbara Moser, Hotelwirtin. Ich grüßte freundlich zurück, und sie ging weiter von Tisch zu Tisch. Ich vermutete, dass dies ihr Abendritual war. Annikas Onkel machte das in seinem Hotel auf Binz genauso.

Sehnsüchtig sah ich dem Kellner entgegen, der mit einem Tablett durch die Reihen lief, auf dem ich auch mein Getränk erspähte.

Hinter ihm tauchte jemand auf. Obwohl er nicht im Bademantel war, erkannte ich ihn sofort. Mein Nachbar. Bevor unsere Blicke sich treffen konnten, sah ich auf meine Hände und knibbelte an einem Fingernagel. Aus dem Augenwinkel schielte ich zu ihm hin. Der Mann sah leider zu gut aus, dafür, dass er so ein rücksichtsloser Kauz war. Zur dunkelblauen Jeans trug er ausgetretene Boots, dazu ein Hemd mit Jackett. War das etwa Brusthaar, das aus dem um einen Knopf offenstehenden Hemd hervorblitzte?

Als der Kellner mein Mineralwasser brachte, nahm ich einen großen Schluck und wappnete mich für den Gang zum Buffet. Herr Brandner bekam eben ein Glas Weizenbier vorgesetzt. Er trank und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schloss die Augen, als hätte er nicht einen Tag im Bademantel, sondern einen anstrengenden Job hinter sich. Sicher war er sich darüber bewusst, dass einige Damen ihn neugierig musterten.

Ich schälte mich aus meinem Sitz und nahm mir vom Vorspeisenbuffet etwas Salat und gegrilltes Gemüse; vor der heißen Platte wartete ich geduldig ab, bis der Koch mir zwei gebratene Riesengarnelen dazugab.

Kaum war ich die ersten Schritte zurück zu meinem Platz gegangen, hielt ich inne. Mein Nachbar hatte mich entdeckt. Er hob sein Glas und prostete mir zu. Ich nickte ihm zu und lief weiter. Am besten gar nicht mehr hinschauen.

Ich bearbeitete gerade eine der beiden Garnelen mit Messer und Gabel, als er vor meinem Tisch auftauchte.

»Darf ich?«, fragte er und deutete auf den leeren Platz mir gegenüber.

Ich kaute an einem Stück Rucola und schluckte es hinunter. »Warum?«

»Ist ein bisschen komisch, dass Sie sich von mir wegsetzen, wir haben doch da drüben einen Tisch zusammen. Ich sitze seit Samstag dort allein und war eigentlich ganz froh, dass das ab heute vorbei sein sollte.« Das Weizenbierglas in seiner Hand hielt er extrem lässig.

»Aber sagten Sie nicht, Sie wären nicht hier, um mit jemandem klarzukommen? Das verstand ich so, als wollten Sie lieber Ihre Ruhe.« In Wahrheit wollte ich sie.

Er sah in die Ferne und nickte. »Das hätte man wohl missverstehen können, da gebe ich Ihnen recht«, gab er zu. »Sie haben mich vorhin nur auf dem falschen Fuß erwischt.« Nun deutete er auf den leeren Platz mir gegenüber. »Darf ich also?«

»Meinetwegen«, entgegnete ich. Eine Entschuldigung für seinen schroffen Ton war das ja nicht direkt. Eher so, als ob ich mich nicht so sehr anstellen sollte. Aber ich war schon mit ganz anderen Kerlen fertig geworden. Die aus der Musikbranche zum Beispiel strotzten meistens nur so vor Selbstbewusstsein und waren ganz überrascht, wenn ihnen eine ebenso selbstbewusste Frau begegnete.

Herr Brandner glitt auf den Stuhl und sah mich interessiert an, wendete das Bierglas zwischen seinen Händen. »Ich war mir erst gar nicht sicher, ob Sie es überhaupt sind. Oder reisen Sie zu zweit und haben Ihre verrückte Zwillingsschwester im Zimmer eingesperrt?« Er kräuselte die Nase, als sei das ein gelungener Scherz.

Ich spießte eine Tomate auf und fixierte ihn, ohne ein Wort zu sagen. Langsam schob ich mir die Frucht in den Mund und zerkaute sie knackend. Was sollte ich ihm auf diese Unverschämtheit antworten? So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt, auch niemand aus der Musikbranche. Hatte dieser Kerl sich allen Ernstes zu mir gesetzt, um mir Beleidigungen an den Kopf zu werfen? Und dann dieser Geruch. Eine Mischung aus Aftershave, Zigarettenrauch, Lederstiefeln und Bier. Ich hätte schon sehr besoffen sein müssen, um daran Gefallen zu finden.

»Ich denke, das mit dem miteinander Klarkommen wird wohl nicht klappen«, entgegnete ich schließlich, den letzten Bissen kauend.

Er nickte bedächtig, seine Augen weiteten sich amüsiert. »Ist das ein Tischverweis?«

Ich verzog das Gesicht zu einem gelangweilten Lächeln und hob die Schultern.

Herr Brandner erhob sich und ging zurück zu seinem Tisch.

Ein Abendessen allein war natürlich nicht sehr unterhaltsam. Auch wenn es einiges zu beobachten gab – zumal sich der Saal mehr und mehr füllte. Es waren auch ein paar Kinder darunter, die sich zu viel auf ihre Teller luden und dann nach wenigen Bissen satt waren. Ich entdeckte ein, zwei alleinreisende Väter, die ich näher ins Auge fasste, denn es würde in Zukunft nicht einfacher werden, Männer ohne Anhang kennenzulernen.

Alleinreisende Singles erblickte ich außer Herrn Brandner und mir keine. Wobei ich ja nicht einmal wusste, ob er Single war. Konnte ja sein, dass er nur alleine hier war, um in Ruhe rauchen zu können.

Ich schielte zu ihm hinüber und sah ihm dabei zu, wie er einen Fisch zerlegte. Es gab Dorade, darin waren ein paar Gräten, ich hatte selbst welche erwischt und sie mir verstohlen aus dem Mund gefischt. Herr Brandner sezierte sein Essen fachmännisch. Wie mochte seine Frau aussehen, wenn es eine gab? Wahrscheinlich war sie hübsch. So ein Typ wie er suchte sich eine gut aussehende Frau. Er würde kein unscheinbares Mäuschen an seiner Seite dulden. Glatte dunkle Haare. Schlank. Kinder traute ich ihm keine zu. Dazu war er zu cool. So was band er sich nicht ans Bein, er liebte seine Unabhängigkeit.

Wenn der Kellner darauf bestand, würden wir bald zusammen mit zwei Paaren an einem Tisch sitzen und uns unterhalten müssen. Vielleicht hätte ich mich mit ihm arrangieren sollen?

Ich holte mir noch einen Nachtisch. Mousse au Chocolat, dazu Panna cotta mit Erdbeersoße. Als ich an Herrn Brandners Tisch vorbei lief, hob er den Daumen und zwinkerte.

Kurz darauf verließ er den Speisesaal.

Bald nach dem Nachtisch ging auch ich zurück zum Loft. Ich wollte kein Risiko eingehen und mich gleich am ersten Abend übernehmen. Dabei sah die Hotelbar recht einladend aus, und auch die anderen Hotelgäste machten einen netten Eindruck. Jedenfalls war meine Befürchtung, diesen Urlaub umgeben von Rentnern zu verbringen, unbegründet gewesen.

Ich nahm mir vor, am nächsten Tag, wenn ich fit genug wäre, in den Ort zu gehen. Der kurze Blick, den ich bei meiner Ankunft auf das Dorf erhaschen konnte, hatte mir gefallen. Ein alternder Kurort, der in neuem Glanz erblühte. Vielleicht würde ich bei einer der vom Hotel angebotenen Schneewanderungen teilnehmen oder eine der Anwendungen buchen. Ach, ich würde es mir schön machen. Vorausgesetzt, mein Loftnachbar ließ es zu. Aus dessen Apartment dröhnte schon wieder laute Musik, als ich meines entriegelte. Ich warf seiner Eingangstür einen grimmigen Blick zu. Sollte Herr Brandner damit erreichen wollen, dass ich nochmal bei ihm klopfte, hatte er sich geschnitten. Vielleicht sollte ich einfach in die Sauna gehen. Da drin hörte ich die Bässe bestimmt nicht. Mal sehen, wer den längeren Atem hatte.

In der Sauna schlief ich ein. Ich hatte sie auf fünfundachtzig Grad eingestellt und erwachte von meinem eigenen Schnarchen. Meine Augen waren so schwer, dass ich sie kaum öffnen konnte, der Schweiß troff von meinem Körper. Ich stolperte aus dem kleinen Raum und ließ unter der Dusche eiskaltes Wasser über meinen Körper rinnen.

Ob das Brautpaar Diepkens-Albert inzwischen Bescheid wusste, dass ich ihre Einladungen verbockt hatte? Wie mochten sie reagiert haben? Robert hätte mir diese Reise wahrscheinlich niemals geschenkt, wenn er davon etwas geahnt hätte. Was wog eigentlich schwerer: zweitausend Föhring-Fans zu verprellen oder ein Brautpaar ohne Gäste dastehen zu lassen?

Ich hielt mich an der Wand fest, wartete ab, bis der plötzlich eingetretene Schwindel nachließ und schlüpfte in den flauschigen Hotelbademantel. Auf dem Weg durchs Wohnzimmer legte ich den Kopf schräg und horchte. Keine Musik zu hören. Im Schlafzimmer kroch ich unter die Bettdecke und sank augenblicklich in einen traumlosen Schlaf.

7

Sonnenstrahlen kitzelten meine Lider, und ich öffnete verschlafen die Augen. Die Silhouette der schneebedeckten Bergkette zeichnete sich vor dem klaren Morgenhimmel ab. An einem in der Ferne liegenden Haus rauchte der Schornstein.

Ich lächelte in mich hinein und reckte Arme und Beine. Mein Magen knurrte schon wieder. Aber halt. Frühstück. Das hieß, ich würde vielleicht Herrn Brandner begegnen. Wenn ich mich ein weiteres Mal an den Zweiertisch setzte, wäre das doch ausgesprochen albern.

Ich kletterte aus dem Bett und wickelte den Bademantel enger um mich, öffnete die Balkontür zum Lüften. Augenblicklich stieg mir Zigarettenrauch in die Nase. Ich verabscheute diesen Geruch, dabei hatte ich selbst früher geraucht. Nach der Trennung von Piet hatte ich es mir abgewöhnt. Mein Exmann hatte mir jahrelang damit in den Ohren gelegen, ihm zuliebe damit aufzuhören, doch durch den Stress im Job und wegen der dauernden Auseinandersetzungen mit seiner Mutter hatte ich es nie durchgezogen. Er betrachtete es als meine kleine persönliche Rache, es genau dann aufzugeben, als er auszog.

Im Sommer, als dieser ganze Stress wegen Tobias Föhring über mich hereinbrach, erlitt ich einen kurzen Rückfall. Ich kaufte mir ein Päckchen Gauloises und nahm auf der Strandpromenade ein paar tiefe Züge, bekam einen solchen Hustenanfall, dass mir die Tränen in die Augen traten. Es schmeckte außerdem so widerlich, dass ich die Schachtel dem nächstbesten rauchenden Passanten in die Hand drückte. Dass ich ausgerechnet in einem Wellness-Urlaub diesem Qualm ausgesetzt sein sollte, gefiel mir gar nicht. Aber was sollte ich tun? Auch auf meinem Balkontisch fand sich ein Aschenbecher, es war keineswegs verboten. Ich schloss die Tür und hob mir das Lüften für später auf.

Am Frühstücksbuffet stahl ich mir etwas Bircher Müsli sowie eine Banane und einen Apfel; alles nahm ich durch den Schnee mit zurück zu meinem Apartment. Einen Kaffee konnte ich genauso gut dort zubereiten. Hauptsache, ich begegnete diesem Herrn Brandner nicht. Sein Spruch mit der verrückten Zwillingsschwester hatte mir mehr zugesetzt, als mir lieb war. Aber was tangierte mich überhaupt die Meinung dieses Mannes? Es konnte mir egal sein, dass er mich nicht in meinem besten Zustand zu Gesicht bekommen hatte. So eitel war ich nicht. Oder ärgerte ich mich immer noch über seine Worte, dass er nicht hier sei, um mit anderen klarzukommen? Was ja vollkommen im Widerspruch zu seinem übergriffigen Auftauchen an meinem Tisch stand.

Die Sonne hatte sich inzwischen verzogen. Der wolkenverhangene Himmel verhüllte die umliegenden Bergspitzen mit Dunst. Es sah nach Schnee aus. Ab morgen begann mein Skikurs, den musste ich auch noch absagen. Ich war bereit für Neues, aber Skifahren stand nicht auf meiner To-do-Liste. Vielleicht konnte man den Skipass, den Robert dazugebucht hatte, zurückgeben?

Den Vormittag verbrachte ich mit dem Liebesroman auf dem Sofa vor dem Kaminofen. Die Protagonistin wünschte sich ein Baby. Sollte das ein Wink des Schicksals sein? Ich mochte Babys, das schon, besonders in Annikas Sohn Nevio war ich ganz vernarrt. Aber ich selbst wollte mich noch nicht dieser Verantwortung stellen.

Am frühen Nachmittag schreckte mich helles Frauenlachen auf. Ich hatte die Wohnzimmer-Balkontür einen Spalt geöffnet, um frische Luft einzulassen, der Kamin heizte ganz schön.

Offenbar war die Verstärkung im Nachbarapartment eingetroffen. Ihre Stimme klang jung. Etwa mein Alter.

»Schade, Erik!«, rief sie. »Von hier aus sehen wir nur den Berg. Wollen wir vielleicht gleich noch mal in den Ort? Ich würd’ so gern zu diesem Wasserfall und …«

Der Rest ihrer Worte war nicht mehr zu verstehen.

Vielleicht sollte ich auch in den Ort gehen, das hatte ich doch ohnehin vorgehabt. Unschlüssig sah ich nach draußen. Feine weiße Flöckchen tanzten durch die Luft. Ein paar landeten auf dem Balkongeländer wie Puderzucker auf einem Kuchen.

Ich ging hinüber ins Schlafzimmer und öffnete auch dort die Balkontür, steckte die Nase hinaus und schnupperte. Kein Zigarettenrauch wehte von hinter der Holzpalisade, die meine von der Terrasse meines Nachbarn trennte, herüber. Jetzt konnte ich lüften.

Ich schob die Tür bis zum Anschlag beiseite und trat zum Balkongeländer, um von dort ins Tal zu schauen. Mit einem tiefen Atemzug saugte ich die kalte Winterluft in mich.

In diesem Moment vernahm ich ein Geräusch. Mein Nachbar war anscheinend doch auf seinem Balkon. Aber was war das? Eine Art unterdrücktes Husten – nein, etwas anderes.

Ich legte den Kopf schräg und lauschte, nahm ein paar Schritte zur Holzpalisade. Wie tags zuvor spähte ich durch die Lücke im Holz.

Herr Brandner saß auf einer der Sonnenliegen. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und verbarg das Gesicht in Händen. Seine Schultern bebten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739434575
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Liebesroman Inselroman Bad Gastein Reiseroman Winterroman Österreich Bergroman Urlaub Romantisch

Autor

  • Stina Jensen (Autor:in)

STINA JENSEN schreibt Insel- und Gipfelromane, romantische Komödien und Krimis. Sie liebt das Reisen und saugt neue Umgebungen in sich auf wie ein Schwamm. Meist kommen dabei wie von selbst die Figuren in ihren Kopf und ringen dort um die Hauptrolle in ihrem nächsten Roman. Wenn sie nicht verreist, lebt die Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main.
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Titel: GIPFELgold