Lade Inhalt...

Der trauernde Waisenkrieger

von Patrik Gasser (Autor:in)
350 Seiten
Reihe: Saga der Waisen, Band 1

Zusammenfassung

Narem ist eine Waise. Doch nicht nur das, er ist auch ein ausgebildeter Krieger. Als der König und der Prinz, Narems neuer Freund, ermordet werden, zieht dieser mit seinen Freunden aus. Sie müssen sich vor den Mächten schützen, die den König getötet haben. Doch sie verstecken sich nicht nur. Sie planen einen Krieg, um den Tyrannen abzusetzen. Gegen den Magier des neuen Königs ist jedoch kein Kraut gewachsen, bis jemand eine seltsame Gabe in Narem entdeckt. Aber wird sich dieser auf seine Aufgabe konzentrieren können, oder hat er nur Augen für die schöne Cania?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1



Patrik Gasser

Der Trauernde Waisenkrieger

Roman



Grafik 1

Waisenhaus


Laut dröhnten die Trommeln des langen Zugs in den Ohren von Narem, der das Geschehen von einer Zinne des Waisenhauses betrachtete. Vor ihm zog der Zug des Königs an goldgelben Ährenfeldern, die leicht im Wind schaukelten, vorbei auf das Waisenhaus zu. Dabei bewegten sie sich über ganz sanfte Hügel, die einen die massiven Berge in der Ferne kaum erahnen liessen. Doch das Ziel des Zugs, der aus etwa hundert Soldaten bestand, die in gleichbleibendem Rhythmus die staubige Strasse entlangmarschierten und dabei den König beschützten, der sich in seiner Kutsche befand, war die Festung, auf deren Zinnen sich Narem befand. Die Kutsche war in der Mitte der Soldaten und bestand, wie Narem staunend erkannte, aus poliertem, dunklem Holz, das über und über mit Gold verziert war. Allein diese Kutsche konnte bestimmt mehrere arme Familien ihr ganzes Leben ernähren. Doch das war nun keine seiner Sorgen mehr, denn er war schon seit einigen Jahren eine Waise, die sich in der Ausbildung befand. Doch nun kam der Zug dem Waisenhaus, das eher einer Burg denn einem Haus glich, immer näher.

Das Waisenhaus war viereckig erbaut worden und zwar auf einer leichten Erhebung. Um das Haus herum flachte das Haus zuerst wieder ab, bevor es weiter aussen wieder eine ringförmige Erhebung gab. In der Vertiefung dutzende Schritte vom Nebentor des Waisenhauses entfernt floss ein eiskalter Gebirgsfluss. Deshalb gab es an zwei Stellen in der Ringförmigen Erhebung auch tiefe Einschnitte, die der Fluss in den Jahrtausenden geschaffen hatte. Es gab Gerüchte, dass das Waisenhaus einmal hätte vergrössert werden sollen, um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Deshalb war auf der zweiten Erhebung eine Ringmauer geplant gewesen. Dieses Projekt kam jedoch nie zum Tragen, da man lieber eine Eliteeinheit bleiben wollte. Zudem wäre es schwierig gewesen eine schwer zu überwindende Ringmauer zu bauen, wenn es an zwei Stellen der Erhebung Einschnitte mit einem Fluss gab. Deshalb hatte das Waisenhaus hohe Mauern, die einen grossen sandigen Platz umgaben. Dieser ging vom Haupttor bis zum Nebentor an der Seitenmauer. Gegenüber dem Nebentor befand sich das sagenumwobene Wasserbecken. Vom Haupttor aus gesehen hinter dem Nebentor befand sich dann die Küche, links davon der Speisesaal und weiter links befanden sich noch die Unterkünfte.

Narem musste sich jedoch wegen der Kutsche schleunigst in den Hof begeben. Er rannte voller Elan die Zinnen entlang, bis zur Treppe, die in den Innenhof führte. Dort nahm er immer zwei Tritte auf einmal, um möglichst schnell unten zu sein und stellte sich dann im Hof zusammen mit den anderen Waisen in Reih und Glied auf. Dann traten die Gardisten des Königs, die allesamt ebenfalls Waisen waren in den Hof und bildeten in Reih und Glied die dritte Seite der grossen Aufstellung, die sich U-förmig um das grosse Tor spannte. Sie alle standen noch strammer, als die königliche Kutsche, gezogen von vier schneeweissen Pferden in den Hof rollte. Sie hielt gleich nach dem Passieren des Tores an und das Tor wurde geschlossen. Somit war ein grosses Viereck gebildet worden, in dessen Mitte sich nun die Tür der Kutsche öffnete. Doch es stieg nicht wie erwartet langsam ein würdevoller Mann mit einer Krone auf dem Haupt aus, sondern ein 14-jähriger Junge sprang aus der Kutsche.

Sein blondes, gelocktes Haar wurde von einem Silberreif zusammengehalten, der ihn eindeutig als Sprössling des Königshauses auswies. Dieser Silberreif wand sich einmal um den Kopf des Prinzen und sah so aus, als entsprängen auf seiner Stirn Flammen, die sich dann auf beiden Seiten um seinen Kopf herum wanden. Auf den Prinzen folgte dann ein älterer Herr in einem purpurnen Umhang, mit einer Krone auf dem Haupt. Diese Krone erinnerte ebenfalls an die alte Legende dieses Königshauses, denn auch sie war verziert. Die Zacken der Krone waren nicht einfach spitz zulaufend, sondern wanden sich wie Flammen nach oben. Die Legende, auf die sich das Königshaus bis zu diesem Tag bezog besagte nämlich, dass ihr Ahne, Gondor, der erste König des Inselreiches Tesmana, durch die Flammen der Feuertempel dazu bestimmt worden war, zu herrschen. Er konnte der Legende nach durch zwei Schritte hohe Flammen gehen, ohne dass ihm etwas zustiess. Deshalb wurde er zum König und seitdem herrscht seine Dynastie. Auch wenn der Glaube an das Feuer, das Wasser und die Erde schon lange der Vergangenheit angehörte und die Tempel der jeweiligen Priesterschaften seit einer Hungersnot vor Jahrhunderten niedergebrannt worden waren, herrschten die Nachfolger Gondors noch immer. Obwohl man die Schuld an der Not damals nur den Priestern der Erde zuschob, wurden auch die anderen Tempel mit samt den Priestern von dem wütenden Mob vernichtet.

Sofort und ohne ein Zeichen fielen gleichzeitig alle Waisen auf ein Knie und senkten demütig das Haupt, als der König auf festem Boden stand. Nach zwei Herzschlägen schlugen sich alle Waisen die rechte Faust über dem Herzen auf den Brustharnisch, sodass es dröhnte und begannen zu sprechen.

«Heil dir, dem Durchscheiter der Flammen, dem Bezwinger der Prüfung, dem Verteidiger der Elemente, dem Erben der Hitze.»

Diese Formel hatte sich seit Jahrhunderten nicht verändert und stammte noch vom Tag, als Gondor gekrönt wurde. Fast niemand verstand mehr die ganze Formel, nur der jeweilige König und dessen Sohn wussten der Legende nach, was alles bedeutete.

Narem wagte nicht einmal leicht nach oben zu schauen, sonst hätte er gesehen, dass der König mit seinem Sohn auf Narg zuschritt, den Hauptmann der Waisen, der sich direkt gegenüber der Kutsche befand. Der König erlaubt zuerst ihm und dann allen anderen Waisen mit einer dröhnenden Stimme aufzustehen. Sofort richteten sich alle auf, während Narg leise etwas mit dem König besprach. Nach kurzer Zeit und dem mehrmaligen Nicken Nargs, verkündete letzterer dann die Wünsche des Monarchen.

«Der König und der Prinz möchten gerne einige Kämpfe sehen.»

Bevor alle durcheinander stürzen konnten um den Willen des allseits beliebten Königs auszuführen sagte Narg jedoch, dass man nur die Besten von zwei Rekrutenklassen sehen wollte. Dies versetzte Narem sofort in Aufregung, da er ja wusste, dass er einer der Besten der Klasse war, die bald die Ausbildung beenden sollten. Diese Kämpfe waren nichts ungewöhnliches, denn sie waren in der Ausbildungsstätte für die zukünftigen Elitekrieger und Gardisten des Inselreiches. Zuerst sollten jedoch die beiden Zwillinge Palim und Breg, beide zehn Jahre alt und deshalb in der dritten Klasse, gegeneinander antreten. Narem beobachtete genau, wie die Beiden ihre Plätze in der Formation verliessen und sich in die Mitte begaben. Dort rammten sie gemäss Anweisung ihre Speere in den Boden und zogen ihre Langschwerter vom Rücken. Auf das Zeichen des Königs hin begann der Kampf und wie immer, wenn andere Waisen zusahen, schlugen diese in einem gleichmässigen Takt ihre Speere gegen die Schilde, sodass der Innenhof bald dröhnte. Dies rief bei den beiden Kämpfern eine enorme Aggressivität hervor und sie schlugen mit ihren Schwertern aufeinander ein. Narem konnte sie, wie alle anderen Waisen auch, einfach nicht auseinanderhalten. Die beiden glichen einander, wie ein Ei dem anderen. Das war jedoch nicht das einzige Problem daran, wenn zwei Zwillinge wie Breg und Palim gegeneinander kämpften. Da diese sich nicht nur vom Aussehen her, sondern auch tief in ihrem Inneren glichen, ja identisch waren, war der Kampf nicht spannend. Zwar droschen die beiden mit grossen Kräften und grossem Geschick aufeinander ein, doch keiner vermochte die Deckung des Anderen zu durchbrechen, weshalb Narg den Kampf mit einem entschuldigenden Lächeln abbrach. Nun sollte also Narem gegen seinen grössten Rivalen, den ebenfalls siebzehnjährigen Kraz antreten. Bei den Kämpfen gegen diesen sah Narem meistens schlecht aus, da Kraz immer irgendwelche fiesen Tricks auf Lager hatte. Trotzdem ging Narem eilig in die Mitte und rammte, 15 Schritte von seinem Gegner entfernt, seinen Speer in den Boden. Kraz tat dasselbe und schon wollten sie mit Schwert und Schild aufeinander losgehen, als der König zwei Schritte vortrat und zu sprechen begann. Seine Gehorsam fordernde Stimme erscholl auf dem Innenhof und wurde von den Wänden sogar noch zurückgeworfen.

«Damit der Kampf etwas spannender wird als zuvor, hat der Sieger dieses Kampfes einen Wunsch bei mir frei, den ich ihm erfüllen werde.»

Diese Worte sprach er mit einem überzeugenden Lächeln im Gesicht.

Kraz und Narem waren beide sehr erstaunt, doch zu allem entschlossen, als Narg den Befehl zum Kampf gab. Narem erwartete, dass sich Kraz sofort auf ihn stürzen würde, doch dieser stand nur lächelnd neben seinem Speer, das Langschwert noch im Futteral auf dem Rücken und winkte Narem zu sich heran. Narem wollte einfach den König nicht langweilen und ging auf Kraz zu obwohl er sich sicher war, in eine Falle zu tappen. Als Narem dann bis auf drei Schritte an Kraz heran war, riss dieser den Speer aus dem Boden und warf ihn mit dem stumpfen Ende voran nach Narem, bevor er sein Langschwert zog und auf ihn einhackte. Über Narem brach also wahrlich die Hölle herein, weil er nicht verstand, wie Kraz die Regeln derart missachten konnte. Doch all dies half nichts, denn nun befand sich Narem in der Defensive und musste seine Haut mithilfe des Schildes vor den Schlägen schützen. Doch Kraz trat ihm einfach kurzerhand von vorne gegen den Schild, sodass Narem sein Gleichgewicht verlor und nach hinten in den Sand stürzte, der überall im Innenhof auf dem Boden lag. Er war nun richtig wütend und dachte nur, dass er auch unfair sein könne. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er noch im Liegen sein Langschwert nach Kraz warf. Dieser musst sich ducken um ihm auszuweichen und schon im nächsten Moment stand Narem wieder. Doch seine Hand war leer, auf jeden Fall fast. Am Boden liegend hatte er sich eine Hand voll Sand genommen, nachdem er sein Schwert geworfen hatte. Diesen Sand warf er nun Kraz ins Gesicht, als sich dieser aufrichtete. Im gleichen Moment liess Narem den Schild aus seiner Linken fallen, zog seinen Dolch von seiner rechten Seite im Gürtel und drückte ihn unter die ungeschützte Achsel von Krazs Schwerthand. Nur eine halbe Sekunde danach, hatte sich Narem mit seiner Rechten auch das Kurzschwert vom Gürtel an seiner linken Seite gegriffen und dieses in einer fliessenden Bewegung an die Kehle seines Gegners gehalten. Als dieser den kalten Stahl an zwei Stellen seines Körpers spürte, die absolut tödlich waren, konnte er endlich wieder klar sehen. Nargs Stimme dröhnte dann über den Platz.

«Narem hat diesen Kampf eindeutig gewonnen.»

Kurz darauf liess Narem seine Waffen sinken und verstaute sie wieder in den Scheiden. Auch seinen Speer und sein Schwert nahm er wieder an sich. Dann realisierte er, dass der König und der Prinz auf ihn zukamen und er der Einzige in der Mitte des Platzes war. Kraz hatte sich wieder in die Formation gegliedert. Eilends liess sich Narem auf ein Knie nieder und senkte demütig sein Haupt und schlug sich die Faust auf den Harnisch, doch der König bedeutete ihm sich zu erheben.

«Das war ein guter Kampf und ein beeindruckender Trick, du hast dir deinen Wunsch redlich verdient. Also was kann ich dir Gutes tun?»

Der König sprach diese Worte so freundlich, dass Narem die Worte fehlten.

Er stotterte zuerst nur, bevor er endlich zu sprechen begann.

«Bitte nehmt mich in die Reihe eurer Garde auf, ich beende meine Ausbildung bald und möchte Euch mit meinem Leben beschützen.»

«Ein ehrenwerter Wunsch. Wo sich viele andere Gold oder Ländereien gewünscht hätten, willst du nur mir dienen.»

Mittlerweile antwortete Narem schon selbstsicherer.

«Was will ich mit Ländereien, wo ich nie gelernt habe zu herrschen? Nein, zu dienen und zu beschützen, das habe ich gelernt und das will ich tun.»

«Also gut, ich habe es versprochen und ich werde deinen Wunsch erfüllen. Wir reisen morgen jedoch schon wieder ab und du kommst nach, wenn du all deine Ausrüstung gepackt und deine Ausbildung beendet hast. In der Hauptstadt meldest du dich dann beim Palast und dann wirst du einer meiner Garde.»

Nach diesen Worten rief der König, dass nun gefeiert würde. Alle schlossen sich ihm und Narg an, als diese über den Platz schritten und den Speisesaal betraten.

Als letztes betraten die in Ausbildung stehenden den Saal. Diese setzten sich dann an die freien Bänke im hinteren Teil des Raumes und es wurde ihnen jeweils ein Krug mit Bier gebracht. Danach richtete der König seine Worte an die Truppen. «Meine Freunde. Meine Waisen. Ihr seid die beste Truppe, die es auf der gesamten Insel und auch jenseits davon gibt. Ehrlich, treu und zu allem entschlossen. Deswegen wurde unser Land bisher noch niemals erfolgreich angegriffen und wird es auch in Zukunft nicht. Ich danke euch für euren Einsatz und eure Hingabe. Und ich gratuliere ganz herzlich den Waisen, die ihre Ausbildung bald abschliessen werden. Ihr erfahrt nach dem Abschluss, ob ihr euch meiner Garde oder der Armee anschliesst. Und nun, lasst uns feiern.».

Ohrenbetäubender Jubel brandete im Saal auf, als alle aufsprangen, ihrem König zuriefen und beim Anstossen mindestens die Hälfte ihres Bieres verschütteten. Die Elitekrieger dieses Landes setzten sich erst wieder hin, als das Essen gebracht wurde, und auch dann eher zögerlich. Es wurde ausgelassen gespiesen und auch ordentlich getrunken, weshalb schon bald laut gelacht und auch gejohlt wurde. Zuerst sangen alle durcheinander, bis sie plötzlich alle gleichzeitig ein Lied anstimmten.


«Ausserhalb der Insel warten die Achlaren,

genauso dumm und grausam wie Barbaren.

Warten darauf die Insel zu stürmen,
und die Leichen schritthoch zu türmen.

Doch am Strand da warten wir,

mit Schwert und ohne Bier,


Die Waisen warten,

um sie rauszuschmeissen.

Die Waisen warten,

ihnen die Gedärme rauszureissen.


Wir machen sie nieder,

wieder und immer wieder,

Zu Wasser und zu Land,

Mit dem Schwert in der Hand.

Sie fallen am Strand wie die Fliegen,

doch scheinen sie nie genug zu kriegen.


Die Waisen warten,

um sie rauszuschmeissen.

Die Waisen warten,

ihnen die Gedärme rauszureissen.


Immer wieder kommen ihre Schiffe,

wir lassen sie zerschellen wie Riffe.

Wir beschützen unser Land,

und sind deshalb wohl bekannt.

Alle sterben sie,

lieber früh als nie.


Die Waisen warten,

um sie rauszuschmeissen.

Die Waisen warten,

ihnen die Gedärme rauszureissen.»


Als das Lied langsam in dem Saal verklang, stimmten die Waisen gleich ein neues an, diesmal ein Loblied auf den König und kein Schmählied für den Feind, wie es am Strand bei der Verteidigung gesungen wurde. Nur einer sang nicht, es war Narem, da sich dieser schwankend erhob und zum Austreten den Saal verliess. Dabei schwankte er doch recht stark. Offenbar hatte er doch mehr Bier getrunken als gedacht. Dies liess ihn schmunzeln, bis er sich, nach dem Plätschern seines Strahls nun in völliger Ruhe wieder umdrehte um zurück in den Saal zu gelangen, um weiterzutrinken. Vor ihm stand plötzlich ein Junge und Narem erschrak. Es war der Prinz des Landes. Er senkte demütig das Haupt, als ihn der Junge mit einer Stimme ansprach, die nicht so überlegen oder bestimmend klang, wie Narem es von einem Prinzen erwartet hätte.

«So, du bist also einer der zukünftigen Leibwächter im Palast.»

«Ja mein Herr, das bin ich und ich werde dich bis ans Ende meines Lebens beschützen.»

Beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der Narem diese Antwort gegeben hatte, sprach der Prinz weiter.

«Ausgezeichnet, vielleicht frage ich meinen Vater ob du mich beschützen kannst. Es wäre schön jemand gleichaltriges zum Reden zu haben.»

«Aber du hast doch bestimmt jede Menge Leute um dich.»

«Ja aber die wollen mich alle nur für ihre Zwecke benutzen. Bei dir habe ich diese Angst nicht, da du bis zum Ende des Lebens den Waisen angehörst.»

«Ja mein Herr. Danke mein Herr»

«Ach hör doch auf mit diesen Formalitäten, nenn mich einfach Garvin.»

«Danke, das ist sehr grosszügig mein Herr. Ich meine Garvin.»

Der Prinz lächelte nur, schritt noch ein bisschen näher an Narem heran, sodass dieser den Atem des Prinzen im Gesicht spüren konnte.

«Gibt es hier einen Ort, wo man sich unterhalten kann, ich möchte mehr über deine Ausbildung erfahren und getrunken hast du eh schon genug.»

Narem beeilte sich diesmal zu antworten und kein bisschen zu lallen, was ihm mehr schlecht als recht gelang.

«Ja mein Herr, Garvin, am besten gehen wir zum Strandbecken, dort kann man gut sitzen, wenn es kein Wasser drin hat.»

Also schritten die unterschiedlichsten Jungen der Welt vom Speisesaal weg, hin zu dem künstlichen Strand, der sich direkt unter der Mauer und am Rande des Schlafsaals und des Trainingsplatzes befand. Dort setzten sie sich am Rand auf den Stein, der den Rand des Wasserbeckens bildete. Das Wasserbecken war ein eigenartiger Ort. Auf einer Länge und Breite von fünfzig Schritten war dort ein Becken aus Stein geschmolzen worden. Dies geschah mithilfe von Magie und vor etlichen Jahren, sodass sich niemand mehr daran erinnern konnte. Das Becken begann gleich auf der Höhe des Speisesaals und vertiefte sich zur Mauer immer weiter, sodass es dort eine Tiefe von zwei Schritten hatte. Der gesamte Boden war mit Sand ausgelegt worden, sodass das Becken, wenn es mit Wasser gefüllt war genauso aussah, wie der Strand des Inselreiches. Diesen mussten die Waisen wie in ihrem Lied besungen immer wieder gegen die Achlaren verteidigen, die das Land, genauso wie alle Inseln in dem grossen Meer erobern wollten.

Da sassen sie nun also, der Prinz und sein zukünftiger Leibwächter und schauten sich das Becken an. Der Prinz begann sofort zu sprechen.

«Also, wie kamst du her und was kannst du mir so über diese legendäre Ausbildung der Waisen und ihren Eid erzählen, den ihr am Ende der Ausbildung leistet.»

«Dies könnte aber einige Zeit dauern.»

Narem hatte diese Worte warnend gemeint, doch den Prinzen schien das gar nicht zu kümmern.

«Kein Problem, ich habe genügend Zeit.»

«Also, ich kam vor ziemlich genau zehn Jahren als Waisenkind her. Meine Eltern seien ermordet worden, hatte man mir erzählt, und irgendwann sammelte mich die Garde im Strassengraben auf und versprach mir eine gute Ausbildung. Ich hatte damals keine Ahnung, wen ich vor mir hatte. So setzten sie mich zusammen mit einer Abordnung auf ein Pferd und verfrachteten mich hierher.»

So begann Narem seine Geschichte, die Stimme belegt von tiefer Trauer, während ihn der Prinz des Landes mit grossem Interesse ansah.

«Oh Gott, das muss fürchterlich sein, seine Eltern zu verlieren.»

«Das war es und deshalb kann ich mich ziemlich genau erinnern, wie ich herkam. Es war das passende Wetter für meinen Gemütszustand. Es goss in Strömen und dauernd blitzte und donnerte es, was mir eigentlich egal war. Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen und wollte nur so schnell wie möglich sterben, als ich dieses Haus erblickte. Nein was sage ich Haus, eher eine Festung. Du hast sie ja selbst gesehen, wahrlich imposant. Als wir in den Hof einzogen, stand trotz dem strömenden Regen eine Einheit von Jugendlichen auf dem Platz und trainierte. Es sah unglaublich hart aus und ich hoffte bei dem Training zu sterben, doch es kam anders. Ich wurde sofort in den Schlafsaal gebracht und bekam normale Kleidung, von der man mir sagte ich würde sie bald nicht mehr brauchen. Jeden Tag konnte ich im Speisesaal essen und die Waisen beim Trainieren beobachten, denn nun hatte ich erkannt, dass ich am berüchtigtsten Ort des Landes war, im Waisenhaus wo die zukünftige Elite der Krieger trainiert wurde. Ich hatte oft lange Gespräche mit dem Vorsteher der Küche, dem ich zur Hand gehen musste. Dieser grossartige Mann war es, der mir die Lust am Leben wiedergab, nur mit seiner unerschütterlichen Art.»

Schon wieder wurde Narem unterbrochen, als der Prinz eine Frage stellte.

«Wie hiess er denn, dieser Koch, ich würde ihn gerne sprechen?»

«Das kann ich nicht sagen. Hier wird niemals der Name eines Gefallenen erwähnt. Keiner soll für seine Taten gefeiert werden, wir verrichten alle unsere Aufgaben still und wollen weder Ruhm noch Dank. Deshalb wird nie der Name eines Gefallenen ausgesprochen, höchstens sein Name, der ihm gegeben wurde, wie vom legendären Kämpfer Zweischwert. Aber auch von diesem Krieger, der alleine an einem Tag hundert Achlaren getötet hat, kennt niemand mehr den richtigen Namen.»

«Oh entschuldige, das wusste ich nicht, bitte fahre fort.»

«Also, wie gesagt, hatte ich meinen Lebenswillen wieder, als es geschah. Eines Nachmittags kamen mit einer Eskorte neununddreissig weitere Waisenkinder an, die auch den Schlafsaal bezogen. Am Abend dann rief uns Kommandant Narg in den Speisesaal. Dies war nach dem normalen Abendessen. Wir stellten uns alle in einer Reihe auf, nebeneinander vor den aus Holz gezimmerten Bänken, die mit weissen Tüchern abgedeckt waren. Unter diesen Tüchern lagen ganz eindeutig irgendwelche Dinge, doch niemand hatte den Mut nachzuschauen, alle standen eingeschüchtert vor Narg und den zwei Ausbildern, die rechts und links von ihm standen. Ich weiss nicht mehr, wer mich am meisten eingeschüchtert hat damals, doch es war wohl mein zukünftiger Ausbilder, der muskelbepackt war, und doch aussah als wäre er flink genug mit einem Dolch eine Fliege im Flug zu erstechen. Auf alle Fälle wartete Narg einige Momente, bevor er uns erklärte, dass wir die nächste Generation von Waisen sein sollten, jenen legendären Kriegern, die das Land zusammen mit der regulären Armee beschützen. Er erklärte uns, dass wir die härteste Ausbildung der Welt vor uns hätten und wohl nicht alle sie bestehen würden. Dann sagte er, wir sollten unsere Ausrüstung anziehen und uns schlafen legen, am nächsten Morgen würde die Ausbildung beginnen. Ach ja und die Ausrüstung sollten wir gleich anbehalten zum Schlafen, sie sei unser neuer, bester und einziger Freund. Ich musste mich damals echt zurückhalten, um nicht laut zu lachen, denn der Spruch war urkomisch. Doch als ich die Blicke der Ausbilder sah, blieb mir das Lachen im Hals stecken und ich begriff, dass das Nargs Ernst war. Wir entfernten dann die weissen Tücher und erblickten, was du heute an mir siehst, und noch ein bisschen mehr. Wir gingen sogleich in den Schlafsaal und kleideten uns ein. Wir entdeckten, dass wir doch recht stattlich aussahen, in dem weissen Untergewand, mit den Arm- und Beinschienen, dem Brustpanzer und dem Vollhelm, der einer grässlichen Fratze nachempfunden war. Dies alles bestand aus einer Legierung, die härter als Stahl war, aber auch mindestens so schwer. Dafür glänzt sie wie du sehen kannst im Sonnenuntergang wie pures Gold».

«Und den reinweissen Mantel, den alle Waisen tragen, hast du den auch damals erhalten?»

«Nein den erhalte ich erst nach der Vollendung meiner Ausbildung, ebenso wie den Pferdesattel, an dem zwei Äxte befestigt sind und das Pferd. Dafür erhielt ich gleich zu Beginn meiner Ausbildung den Rundschild, den Speer, das Langschwert auf dem Rücken, das Kurzschwert sowie den Dolch. Deshalb bestehe ich fast nur aus der Legierung, denn meine ganze Ausrüstung, bis auf die Reitstiefel, den Mantel, das Unterkleid und den Schild sind daraus gefertigt. Aus diesem Grund glänzen wir immer wie Gold und sind so leicht zu erkennen. Aber eins kann ich dir verraten, besonders bequem war die Ausrüstung nicht. Vor allem nicht in der ersten Nacht. Keiner konnte ein Auge zutun, erstens vor Aufregung und zweitens drückte dieser Harnisch überall. Doch bald wurden wir erlöst, denn am Morgen schlug die Tür auf und die Ausbilder betraten den Schlafsaal und schrien herum, wir sollten endlich auf die Füsse kommen. Wir dachten schon wir würden schnell aufstehen, doch noch bevor wir einen Fuss am Boden hatten, stand schon jeder der Krieger auf den Füssen neben seinem Bett und schlug seinen Speer gegen den Schild. Das Gedröhne war fürchterlich und die Reaktion der Krieger, die einen Moment zuvor noch geschlafen hatten führte uns vor Augen, wo wir uns befanden. Dies trieb uns zu enormer Eile an und schon bald standen wir versammelt vor dem Haupttor, durch das du angekommen bist, auf dem Trainingsplatz, der seinen Namen nicht von ungefähr hat.

Zuerst wurden wir angeschrien zwei Gruppen zu bilden, was kein Problem war. Doch dann folgte eines von vielen Martyrien. Wir mussten die ersten von unzähligen Runden auf dem sandigen Platz zwischen dem Tor, dem Schlafsaal und den hohen, steinernen Mauern rennen, logischerweise in voller Rüstung, mit Schild und Speer. Kaum einer schaffte die ganze Strecke. Ich selbst musst schon nach der halben Runde abbrechen, da ich in den vergangenen Wochen nur gegessen hatte. Dann folgte ein Training um den Körper zu stählen, bevor wir wieder rannten. So sah das ganze erste halbe Jahr aus. Rennen, dann Muskeln aufbauen, wieder rennen und so weiter. Zwischendurch hielten wir unseren Körper noch beweglich, wobei diese Aufgaben weder einfacher noch weniger schmerzhaft waren. Nach dem ersten halben Jahr, bekamen wir schliesslich Schwimmunterricht. Wir, das waren noch dreissig, von ursprünglich vierzig Waisenkindern. Und ja, das Wort Schwimmunterricht war eine Übertreibung. Zuerst liefen wir immer und immer wieder mit grossen Holzeimern durch das Nebentor zum Gebirgsfluss hinunter, der 50 Schritte vom Tor entfernt vorbeifloss. Dort füllten wir die Eimer mit dem eisigen Wasser und trugen die Gefässe, die zusammen mit dem Wasser die Hälfte unseres Körpergewichts hatten hier hoch, um sie in das künstliche Meer zu leeren. Natürlich durften wir für diese Aufgabe als Ausnahme den Schild und den Speer weglegen, um die Hände frei zu haben. Trotzdem wog unsere restliche Ausrüstung auch noch die Hälfte unseres eigenen Gewichts. So trugen wir eigentlich jeweils unser Gewicht doppelt die Anhöhe hoch. Dies dauerte den ganzen Morgen, bis das Becken voll war. Am Nachmittag dann hiess es einfach nur, wir sollten bis zur Mauer und zurück schwimmen und zwar immer wieder, bis der Befehl zum Aufhören kam. Glaub mir, es kann jeder schwimmen, sogar mit einer schweren Metallrüstung um den Körper, wenn man nur einen Ausbilder im Rücken hat, der den grössten Spass daran hat einen bei der kleinsten Verfehlung auf eine Runde über den Platz zu schicken. Noch schlimmer als diese Platzrunde, die wir mittlerweile schon gewohnt waren, war der Befehl, der immer dann erscholl, wenn einer von einer Strafrunde kam und der ganzen Klasse galt.

«Runter in den Sand ihr Memmen und kriecht wie Würmer, denn das seid ihr, lästige kleine Würmer, die nichts richtig können.»

So amüsant der Befehl vielleicht klingen mag, es war nicht so komisch, sich in voller, nasser Rüstung in den Sand fallen zu lassen und sich dort zu wälzen, bis der Ausbilder den Befehl zum Weitermachen gab. Denn infolge des Schweisses und des Wassers klebte der Sand an uns. Durch das Kriechen im Sand gelangte dieser auch noch unter die Rüstung und scheuerte einem die Haut vom Leibe. Nach dem Befehl zum Weitermachen, durften wir jedoch noch nicht schwimmen gehen. Aus Kameradschaft rannten wir alle noch einmal eine Runde, diesmal jedoch durften wir noch etwas mitnehmen. Die Ausbilder fanden, es wäre zu gefährlich mit Speer und Schild hintereinander herzurennen. Deshalb wurden Speer und Schild weggelegt und Fünfergruppen gebildet. Dann erscholl ein weiterer Befehl und jede Gruppe nahm einen Baumstamm und wuchtete diesen über die Köpfe. Das Holz war schon ganz fein, von den unzähligen Händen, die die Stämme schon getragen und in den Sand geworfen hatten. Nun rannten wir eine Runde mit diesem unglaublich schweren Baumstamm über dem Kopf. Nach der Runde wälzten wir uns noch einmal im Sand, bevor es wieder ans Schwimmen ging.

Wenn die Schwimmstrecke immer gleichgeblieben wäre, hätten wir diesen Befehl sicherlich selten gehört, doch mit jedem weiteren Tag wurde die Strecke, die wir zu schwimmen hatten länger. Das bedeutet, dass wir den Befehl mehrmals täglich hörten und uns am Abend beim Waschen nicht mehr schrubben mussten, da wir ja keine Haut mehr hatten. Das Wasser im Becken jedoch wurde nicht wärmer, wie man es vielleicht erwartet hätte, denn am Abend wurde das Becken durch einen unterirdischen Abfluss weggeleitet, sodass das Becken am nächsten Morgen wieder neu befüllt werden konnte, und wieder so kalt wie ein Bergsee war.»

Nach dieser Erzählung stellte der Prinz erschrocken etwas fest, das er Narem auch gleich mitteilen musste.

«Das klingt ja, als hättet ihr kein Kampftraining gehabt!»

Er atmete kurz durch, bevor er mit ernster Stimme weitererzählte.

«Nein hatten wir nicht, zumindest nicht im ersten Jahr. Das Motto war, dass wer seinen eigenen Körper nicht stundenlang rumschleppen kann, der kann auch keine Waffe stundenlang schwingen. Trotzdem trugen wir die Waffen immer mit, denn man sagte uns, wir müssten uns ja an das Gewicht gewöhnen. Nur beim Schwimmen durften wir den Schild und den Speer ablegen, die Schwerter und den Helm trugen wir immer noch. Nach dem ersten Jahr durften wir zum allerersten Mal unsere Waffen gebrauchen und dabei waren alle schon so angefüllt mit unterdrückter Wut, dass wir uns auch nur mit den Schilden geprügelt hätten. Doch dies liessen die Ausbilder nicht zu. Wir trainierten hart weiter, einfach nur mit Waffen. Diese Kämpfe, die du gesehen hast, die starten erst im vierten Jahr der Ausbildung. Zuvor kämpften wir nur gegen Baumstämme und Puppen, später dann gegen die Ausbilder, die einem zeigten, dass man nicht unbesiegbar war und jeden Vorlauten verprügelten, bis er am ganzen Körper blutete und wusste, dass er nur ein Rekrut war. Aber wie schon gesagt, das war die härteste Ausbildung der Welt und Elitekrieger formt man nicht mit Samthandschuhen. So verbrachten wir etwa 10 Jahre, die wir in Ausbildung waren damit, zu rennen, schwimmen, und kämpfen. Seien dies Faustkämpfe, Nahkämpfe oder Kämpfe zu Pferde. Dabei trainierten wir die diversen Taktiken und vor allem auch, wie man Gegner im Wasser niederreitet, sie mit Speeren tötet oder einen gezielten Schlag mit dem Schwert anbringt. Zu diesem rein körperlichen Training hatten wir jedoch auch noch Unterricht, in dem wir lernten, wie man Leben rettet. Zudem lernten wir die Anatomie des Menschen kennen, um genau zu wissen, wo die tödlichsten Stellen eines Menschen sind. Aber auf diese Jahre der Ausbildung wird bald der schönste Tag meines Lebens folgen, an welchem ich ein Pferd, einen reinweissen Mantel, sowie einen Sattel mit zwei Äxten erhalten werde. Der Tag an dem ich in die Gemeinschaft der Waisen aufgenommen werde und der Tag an dem ich schwöre.»

«Was schwörst du denn an diesem Tag?»

«Unseren Eid, den ein Waise selbst tot noch sagen kann, da er einem in der Ausbildung von den Ausbildern so oft nachgerufen wird.

Ich bin ein Teil der Familie,

auch wenn ich sonst keine mehr habe.

Wir sind Brüder im Herzen,

im Blut, im Schweiss und den Tränen.

Wir zeugen keine Kinder

und verlassen unsere Freunde nicht.

Wir dienen bis zum Tod

und schützen Land und König.

Wir sind treu und ehrlich und tödlich,

denn wir sind sie, die Waisen.»

Garvin schaute Narem damals nur erstaunt an, und dachte einen Moment über das Gehörte nach.

«Ihr wart doch nach dem ersten halben Jahr noch 30 Leute, wo sind die 10 abgeblieben, die nicht weiterkamen?»

Bei dieser Frage zuckte Narem zusammen, bevor er antwortete.

«Das passierte, während dem schwersten, härtesten und schlimmsten Teil der Ausbildung. Jedem Rekrut passierte dasselbe und wir mussten schwören nichts zu erzählen, nicht gegenüber nicht voll ausgebildeten Waisen, die nicht dasselbe durchstehen mussten.»

«Mir kannst du es erzählen, ich bin der zukünftige König.»

«Nein entschuldige mich, ich habe es geschworen.»

«Du erzählst es mir Narem, ich bin der Prinz und befehle es dir.»

Narem verzog das Gesicht und sprach, wie es der Prinz verlangt hatte.

«Es geschah im letzten Jahr, ich wachte bei Tagesanbruch auf und die Alarmglocke erscholl. Ich wollte aufstehen, als Achlaren ins Zimmer gestürzt kamen. Ich tötete zwei von ihnen schnell, doch die schiere Masse überwältigte mich und schlug mich ohnmächtig. Ich wachte dann auf, unter einem Zelt in einem guten Abstand zum Waisenhaus, welches brannte. Dann kam der Anführer der Barbaren auf mich zu, der in schwere Stiefel, ein Kettenhemd und Fellüberwürfe gekleidet war. Auf dem Rücken trug er eine grobschlächtige Axt und im bärtigen Gesicht hatte er eine Narbe, die vom rechten Auge zum linken Mundwinkel führte. Dabei zerschnitt sie seine Nase. In seinen Augen sah ich nur den blanken Hass, auf mich, sowie auf das Reich, das ich schützen sollte. Ich wollte ihn sofort töten als ich merkte, dass ich nur in Unterkleidern auf einem Tisch gefesselt war. Der Achlar forderte mich auf, mich ihnen anzuschliessen, alle Geheimnisse der Verteidigung zu verraten und den König zu ermorden. Ich weigerte mich und dann begann die Folter.

Mir wurden in diesem fürchterlichen Zelt Knochen immer und immer wieder gebrochen. Glühende Zangen wurden aus der Glut gezogen und brannten sich in meine Haut. Meine Haut wurde zu einem roten Spinnennetz, als die Peitsche immer wieder rote, blutende Linien auf meine Haut zeichnete. Mir wurde ganz langsam, um den ultimativen Schmerz zu verursachen die Haut streifenweise abgezogen. Auf die hautfreien Stellen wurde mir dann Salz und Sand gestreut, bevor weitere Haut abgezogen wurde.

Meine Wunden heilten immer wieder und dann wurde ich erneut verprügelt und gefoltert. Dies geschah immer und immer wieder, ich hatte das Gefühl, mehrere Monate in diesem Zelt gefoltert zu werden. Tatsächlich, war ich gerade einmal einen Tag da, alles war Illusion, geschaffen von einem Magier des Königs. Alles, bis auf die Folter. Die war echt und zwar jede einzelne Narbe davon. Ebenso war auch der Schmerz echt, den ich empfunden habe. Der Magier heilte mich einfach immer wieder und gaukelte mir vor, es seien ein paar Tage vergangen. In diesem Moment fühlte es sich jedoch ganz echt an. Ich spürte jeden Schnitt, jeden Hieb und auch jedes Körnchen Salz, das mir in die Wunden gestreut wurde. Ich brach fast zusammen, also mein Geist zerbrach fast. Jeder Mensch kann eine gewisse Anzahl Verletzungen erleiden, bei uns Waisen sind das mehr, doch auch wir sind nicht unverwüstlich. Man kann alle meine Qualen noch heute von meiner Haut ablesen, denn sie sind auf ewig darin gezeichnet. Jedenfalls wurde ich nahezu wahnsinnig und seit damals kämpfe ich anders. Ich würde nie wieder eine Verletzung für etwas Grösseres in Kauf nehmen. Kein Schnitt und nichts, nicht einmal wenn ich dadurch einen Gegner bezwingen könnte. Ich befürchte ich würde dadurch so wahnsinnig, dass ich vollends zerbrechen würde. Das war er, der grösste Test der ganzen Ausbildung, der zehn Mitglieder unserer Truppe in den Wahnsinn trieb, wie mich nahezu auch. Kein einziger versprach dem Feind, den König zu töten, doch ein paar wurden so irr im Kopf, dass sie niemals im Kampf eingesetzt werden können. Man brachte sie nach Tanar, also in die Hauptstadt, wo man ihnen einen Beruf beibrachte. So wurden sie wieder in die Gesellschaft integriert. Eine Waise schaut zu allen anderen Waisen. Wir anderen bestanden den Test und trainierten weiter. Ich trage bis heute alle Andenken an diese Folter als Narben auf meiner Haut. Uns wurde zwar angeboten, die Wunden zu heilen, doch ich habe abgelehnt. Alle anderen liessen ihre Narben entfernen. Ich kann mich bis heute an keinen einzigen dienenden Waisen erinnern, der diese Male der Folter trägt, bis auf mich. Sie erinnern mich daran, wie knapp ich vor dem Zerbrechen stehe. So kam ich zu den Narben und so verloren wir zehn ausgezeichnete Kameraden, die in einem Krieg viele Leben gerettet hätten. Und nun zwinge weder mich, noch irgendeinen Waisen jemals wieder so etwas zu erzählen. Auch dein Vater hörte es einmal, erzählt man sich. Er hörte es damals von Narg persönlich und auch er sagte ihm als letztes, er solle nie wieder nachfragen. Dein Vater hat es beherzigt und ich hoffe du tust es ebenfalls.»

«Entschuldige, ich wusste nicht um was es geht, ich danke dir für die Treue von damals und werde nie wieder fragen. Ich schwöre dies beim Thron.»

Zur Zufriedenheit von Narem versprach der Prinz dies alles sogleich. Dann herrschte eine Stille zwischen den beiden, die man nach den gesprochenen Worten nicht mehr so einfach ausfüllen konnte. Deshalb erhob sich Garvin und schaute Narem mit neuem Respekt im Blick an.

«Danke für deine ehrlichen Worte und deine Zeit, ich hoffe wir können uns im Palast noch weiter unterhalten und anfreunden. Ich ziehe mich jetzt zurück.»

«Ja mein Prinz, vielen Dank mein Prinz.»

«Ich sagte doch du sollst mich Garvin nennen.»

Der Prinz musste lachen, da Narem dies schon wieder vergessen hatte.

«Entschuldige Garvin, ich wünsche eine gute Nacht.»

Narem verbeugte sich und wartete, bis der Prinz sich entfernt hatte. Dann ging er in den Speisesaal um mit ein paar Krügen Bier die Erinnerung an die Folter zu vertreiben. Er wischte sich noch schnell in der Dunkelheit die Tränen weg, die er bei der Erinnerung an die grausame Folter vergossen hatte. Drinnen schnappte er sich ein Bier und stimmte mit den anderen Waisen, die allesamt sturzbetrunken waren ein weiteres Lied an. Nur etwa hundert Krieger hatten keinen Tropfen Alkohol getrunken. Sie waren die Garde des Königs und würden ihre Pflicht nicht verletzen. Auch Narem vermochte nicht mehr als ein Bier zu trinken und er verspürte auch keine Ausgelassenheit. Er verzog sich deshalb in den Schlafsaal und legte sich zu Bett. In der Dunkelheit spürte er jeden Striemen am Körper, als würden sie ihm noch einmal verpasst. Er litt seit dieser Folter immer wieder an Albträumen, doch dass er von diesem schrecklichen Tag erzählen hatte müssen hatte alle Erinnerungen wieder hervorgerufen. Trotzdem verfiel Narem in einen unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen wachte er auf durch das laute Dröhnen der Trommeln im Hof. In seinem Kopf riefen sie ein ebenso grosses Dröhnen hervor. Offenbar hatte er sich gestern doch mehr Bier genehmigt als er gedacht hatte. Er sprang trotzdem sofort aus dem Bett, schnappte sich Speer und Schild und rannte in den Hof. So gerüstet stand er mit zahlreichen Waisen im Hof, die den König verabschiedeten. Der König stand mit seinem Sohn noch vor der Kutsche und wünschte dem Kommandanten alles Gute, bevor eine Waise ihm die die Tür öffnete und der König in seine geräumige Kutsche stieg. Der Prinz lächelte Narem noch einmal schief an und winkte ihm sogar zu.

«Wir sehen uns bald im Palast, neuer Leibwächter.»

Dann stieg auch er ein und der Gardist schloss den Verschlag wieder. Dann übernahm der Anführer der Garde wieder das Kommando.

«Aufsitzen.»

Sofort sassen alle Waisen, die der Garde angehörten, im Sattel. Fünfzig begaben sich vor und fünfzig hinter die Kutsche des Königs. Dann öffnete sich das Tor geräuschvoll, der Anführer der Garde hob zum Gruss noch einmal die Hand und dann trabte die Gruppe aus dem Tor heraus. Bevor sich das Tor hinter ihnen endgültig schloss, konnte man noch sehen wie der Tross an den Getreidefeldern vorbei über die staubige Strasse galoppierte und dabei eine riesige Staubwolke aufwirbelte. Dann war das mit Eisen verstärkte Stahltor wieder geschlossen und verbarg den königlichen Tross vor den Waisen. Doch gleich darauf trat Narg vor Narem heran und forderte diesen auf, ihm in seine Stube zu folgen, die sich hinter der Küche befand und an den Essenssaal grenzte. In schnellem Gang marschierte Narem also einen Schritt hinter dem Kommandanten her, bis er zum ersten Mal in dessen Stube stand. Diese zeichnete sich wie das gesamte Haus durch seine Schlichtheit aus. In der Mitte der Stube stand ein Schreibtisch mit einem einfachen Holzstuhl dahinter, auf dem sich Narg niederliess. Auf dem Tisch lagen einige Papiere und in einer Ecke des Zimmers stand das Bett des Kommandanten, das sich durch nichts von dem Narems unterschied. Der Kommandant hielt einen Moment inne, bevor er zu sprechen begann.

«Narem, in einigen Wochen wirst du nach deinem Abschluss hier durch einen Meldereiter abgeholt und in die Stadt geleitet. Dort sollst du den grössten Dienst leisten, der einem Waisen bekannt ist. Halte diesen Posten in Ehren, oder ich hole dich von dort zurück, ehe du blinzeln kannst, egal ob du nun einen Wunsch beim König hast. Dir ist etwas vergönnt, auf das viele Waisen ihr Leben lang warten, also tu deinen Dienst wie du es geschworen hast. Ich selbst, konnte es nie tun, den König beschützen. Nicht weil ich zu schlecht war, sondern weil mein Vorgänger in mir Potenzial sah und mich zu seinem Nachfolger ausbildete. Dasselbe Potenzial sah ich während deiner bisherigen Ausbildung in dir und wollte es dir nach dem Besuch des Königs und deinem Abschluss mitteilen. Ich wollte dich zum Kommandanten ausbilden, sozusagen zum Vater der Waisen.»

In diesem Moment mussten beide, der Kommandant und Narem schmunzeln, trotz der Ernsthaftigkeit. Denn diese Situation, einen elternlosen, auf ewig kinderlosen, als Vater zu bezeichnen, war einfach urkomisch. Wahrscheinlich hätten das viele nicht verstanden, doch ein Krieger der Waisen, der so viele Entbehrungen gebracht hatte, so viele Schmerzen erlitten und so viel Kameradschaft während der Ausbildung erlebt hatte, der verstand es. Dann fuhr Narg fort.

«Du hättest die höchste Position innegehabt, die es für einen Waisen gibt. Doch du hast dich für eine noch ehrenvollere Aufgabe gemeldet, den König bis in den Tod zu schützen. Dies alleine zeigt wieder einmal was für ein unglaubliches Potenzial als Kommandant du gehabt hättest. Deshalb habe ich nur einen Wunsch an dich. Halte deine Aufgabe in Ehren und beschütze die königliche Familie mit deinem eigenen Leben.»

Nach diesen Worten war alles gesagt und Narems Kehle war von der rührenden Ansprache so zugeschnürt, dass er kein Wort mehr herausbrachte, nur Nicken konnte und dann den Raum verliess. Dann machte er sich wieder auf in den Hof, um mit den anderen Waisen einen Ernstfall zu trainieren, denn schliesslich war er nach wie vor in der Ausbildung. Bei dem Ernstfall mussten sie am Strand stehend Attacken gegen Stoffpuppen im tieferen Wasser führen. Obwohl er nun eine Stelle als Gardist des Königs hatte, oder gerade deswegen, wurde er nun von den Ausbildern noch kritischer beäugt. Jede Aufgabe musste noch exakter ausgeführt werden. So trainierte Narem bis ein Meldereiter die Strasse entlanggaloppiert kam. Dies geschah äusserst selten und Narem dachte schon seine Ausbildung sei zu Ende und er könne zur Garde, als ihm das Tempo des Reiters auffiel. Es war zwar üblich, dass diese schnell ritten und die Pferde schweissnass waren, doch diesem lief das Blut die weissen Flanken entlang. Aus diesem Grund wurde sofort das Tor geöffnet und der Kommandant geholt. Für den Meldereiter brachte ein Küchenjunge auch noch einen Krug mit Bier, den dieser herunterstürzte, als er endlich im Hof war. Dieser Reiter hatte Kopf und Kragen riskiert und war geritten wie der Teufel selbst, um schreckliche Nachrichten zu überbringen, dies war allen klar und alle waren Begierig darauf, die Nachrichten zu hören. Doch zuerst unterhielt er sich nur mit dem Kommandanten in dessen Stube, während die anderen Waisen im Essenssaal warteten. Denn die Botschaft war eindeutig gewesen, als Narg seine Tür mit einem lauten Knall hinter sich geschlossen hatte.

2


Als schliesslich der Meldereiter mit Narg zusammen den Saal betrat, hatte keiner der Waisen sein Essen angerührt, oder einen Schluck Bier getrunken. Das Essen, das sich in den einfachen Holztellern in langen Reihen vor den Waisen befand, hatte schon vor langer Zeit aufgehört zu dampfen. Sehr wahrscheinlich war es sogar schon komplett erkaltet. Die Spannung war zum Greifen, als der Kommandant mit dem gleichen Entsetzen in den Augen, das der Meldereiter auch bei der Ankunft hatte, zu sprechen begann.

«Der König und seine gesamte Familie wurde ermordet.»

In diesem Moment brach im Speisesaal das totale Chaos aus. Alle sprangen auf, warfen dabei die schweren Holzbänke um und schrien durcheinander. Es wurden alle beschuldigt, die Soldaten, die Achlaren, der Pöbel, einfach alle. Es war ein Wunder kam keiner auf die Idee, die Tiere zu beschuldigen, schliesslich konnte sich ja eine Ratte nachts in die Gemächer geschlichen und der Königsfamilie die Kehle durchgenagt haben. Die Menge beruhigte sich nicht mehr, bis Narg seinen massiven Speer dreimal schnell hintereinander auf den Boden schlug und mit donnernder Stimme Ruhe befahl. Narem stand nach wie vor fassungslos da. Mit Entsetzen dachte er daran, dass er in die Hauptstadt hätte reisen sollen um sie zu beschützen. Er hätte sein Leben für sie geben sollen und nicht in diesem Haus warten und packen sollen. Vielleicht hätte er seinen Freund und den König retten können. Instinktiv wusste er, dass es keinen Unterschied gemacht hätte, wenn er dort gewesen wäre, aber er wusste auch, dass er sich von diesem Moment an immer wieder Vorwürfe für diese Verfehlung machen würde. Da hob Narg wieder an zu sprechen.

«Beruhigt euch, es ist noch genug Zeit für Wut und Trauer da, doch lasst mich zuerst die Geschichte zu Ende erzählen. Der König wurde nicht einfach ermordet, ohne dass es unsere Waisen nicht bemerkt hätten. Nein er wurde regelrecht abgeschlachtet. Genau einen Tag nach seiner Rückkehr, stand er mit seiner Familie auf dem Platz vor dem Palast und schaute den Waisen bei einer Übung zu, als das kleine Tor des Anwesens aufflog und Soldaten auf den Platz strömten. Obwohl es des Königs eigene Soldaten waren formierten unsere Waisen sofort einen Ring um den König und dessen Familie. Immer mehr Soldaten strömten auf den Platz, bis es etwa eintausend waren. Der König verlangte daraufhin lauthals den Grund für diesen Angriff zu erfahren. In diesem Moment formten die Soldaten einen Durchgang und zwei Männer schritten nach vorne. Hinter diesen beiden schlossen sich die Reihen wieder. Beide Männer waren hager, doch der eine kleidete sich wie ein König und trug sogar eine Krone auf dem Kopf. Der König erkannte ihn sofort als seinen Halbbruder. Doch der Mann neben ihm, der war schwerer zu erkennen. Er war ebenso hager wie der Halbbruder des Königs, doch dazu war er noch relativ klein. Er hatte tiefschwarze Augen, schwarze, kurze Haare und trug eine reinweisse Robe, die so überhaupt nicht an diesen Ort passte. Er selbst war noch blasser als seine Robe, trotzdem strömte dieser Mann eine Aura der Macht aus. Der Halbbruder des Königs forderte sie dann alle auf sich zu ergeben, da er zusammen mit dem General, dabei wies er auf den blassen Mann neben sich, die gesamten Streitmächte dieses Inselreiches kontrollieren würde. Auch die Magier stünden unter ihrem Einfluss. Er sei der neue König, er Dallaniwa der Grosse. Der rechtmässige König sagte ihm dann er sei wohl grössenwahnsinnig und er solle sich sofort ergeben, ehe es zu einem Blutbad käme. Dallaniwa verweigerte dies jedoch, woraufhin der König den Waisen befahl sie niederzumachen. Diese begaben sich in die Schlachtaufstellung, als Dallaniwa den hageren Mann, der anscheinend Noglagon hiess aufforderte, die Waisen zu töten, sie seien Verräter. Sofort hob dieser die Hände und aus seinen Händen flogen Bolzen und drangen durch die Schilde und Rüstungen der Waisen, woraufhin die Mitglieder der Elitegarde röchelnd zusammenbrachen und starben. Eine Einheit von hundert Waisen, niedergemacht von einem einzigen Magier.»

In diesem Moment stöhnten alle Waisenkrieger im Saal gequält auf, bevor Narg weitererzählte.

«Daraufhin wies Dallaniwa seine Soldaten an, den König festzunehmen, was diese ohne mit der Wimper zu zucken taten. Sie hatten alle einen Blick, der nicht die leisesten Zweifel ausdrückte, sondern nur Entschlossenheit. Sie zwangen den König und seine Familie auf die Knie nieder und Noglagon, der Mann, der nur noch General genannt wird, zog ein gewaltiges Schwert vom Rücken und schwang es mit einer Leichtigkeit, die nahezu unmöglich war. Mit drei kurzen Streichen köpfte er die gesamte Königsfamilie.»

Nach diesen Worten hörte man nur noch das Fluchen der Krieger im Saal, bevor Narg fortfuhr.

«Die Soldaten besetzten den Palast und Dallaniwa liess sich im Thronsaal zum König krönen. Dann folgte der grösste Verrat, den er begehen konnte. Er trat auf die niedrige Mauer des Palastes und sprach zum Volk, das sich auf seinen Befehl dort versammelt hatte. Es war nahezu die ganze Stadt da. Dallaniwa erzählte den Menschen eine furchtbare Geschichte von der Ermordung des Königs durch die Waisen, die selbst herrschen wollten und dass er zu spät gekommen sei um dies zu verhindern. Dies bestätigten alle anwesenden Soldaten. Dann gab er ein Kommando und dutzende Menschen wurden ganz nach vorne auf den Platz geschleppt und auf die Knie gezwungen. Dann trat Noglagon vor, der sich als neuer General der Armee vorstellte und als Stellvertreter des Königs. Dann liess er kurzerhand alle Menschen, die auf dem Platz knieten köpfen und erklärte den Menschen seine Tat. Er sagte, dass dies alles Waisen seien, die die Ausbildung nicht bestanden hätten, aber trotzdem an der Verschwörung beteiligt waren. Er versuchte der Bevölkerung begreiflich zu machen, dass alle Waisen Verräter seien und seine Armee sie jagen und vernichten würde. Mit diesem Satz endete die Ansprache und der General zog sich zusammen mit Dallaniwa in den Palast zurück.

Diese Geschichte haben wir von einem jungen Palastdiener, der den Wachen davonschlüpfte und zu der Station der Meldereiter lief. Anscheinend wurden zehn Reiter ausgesendet.»

Erneut tobte der ganze Saal vor Wut und forderte Vergeltung, für den Tod des Königs, ihrer Kameraden und der nicht voll Ausgebildeten. Deren Tod wurde als besonders schlimm empfunden, da sie nicht mehr im Dienst waren und sowieso halb wahnsinnig waren. Narg blieb äusserlich ruhig und sagte er würde sich beraten lassen um eine Entscheidung zu fällen, die er am nächsten Tag bekanntgeben würde. Dann zog er sich mit einigen Veteranen in seine Stube zurück und forderte auch Narem auf, sich ihnen anzuschliessen. Dieser war sehr überrascht, doch als er an die Worte des Kommandanten zurückdachte ergaben dies Sinn. Dies sahen jedoch die Anderen nicht so. Die Mehrzahl der Veteranen protestierte heftig dagegen, einen nicht voll ausgebildeten im Beraterkreis zu haben. Die Proteste wurden immer lauter, bis sie einander richtig anschrien, obwohl alle der Meinung waren, Narem gehöre nicht dorthin. Ihm selbst war es ebenfalls höchst unangenehm. Er hatte sich zuvor schon deplatziert gefühlt, zwischen all diesen Männern, die sich schon unzählige Male in der Schlacht bewiesen hatten. Doch nun wurde er auch noch daran erinnert, dass seine Ausbildung nicht zu Ende war, was ihn noch weiter verunsicherte, bis er am liebsten wieder zurück in den Speisesaal gegangen wäre. Auch als Narg sagte seine Entscheidung stehe fest und er würde bleiben, half dies Narem nicht wirklich. In der Stube standen somit neun Waisen, ein Auszubildender und ein Meldereiter, die zwar äusserlich wieder ruhig waren, innerlich aber vor Wut kochten. Dies jedoch vor allem, wegen der Ermordung ihrer Freunde. Der Streit um Narem war nur ein Kanal für ihre Wut. Trotzdem lenkte Narg das Thema wieder zurück zum eigentlichen Problem, wofür Narem ihm enorm dankbar war. Nicht wenige Veteranen schlugen vor, gleich nach Tanar zu ziehen und dem General und dem neuen König den Kopf von den Schultern zu schlagen. Der Meldereiter lehnte dies jedoch ab, da nach seinen Angaben bereits eine Streitmacht von sieben Mal tausend Soldaten in der Hauptstadt sei. Er fragte daraufhin den Kommandanten, wie viele Waisen im Haus seien. Dieser dachte nach, bevor er sprach.

«Es sind insgesamt 1150 voll ausgebildete Waisen hier und 240, die noch in Ausbildung sind und mindestens sieben Jahre gesehen haben. Insgesamt sind wir also eine Streitmacht von 1390 Kriegern. Es ist ein Wunder, dass alle hier sind. Und dieses Wunder heisst Königsbesuch, denn normalerweise sind die Waisen verteilt über die ganze Küste und besetzen dort die Festungen, um den Strand schnell verteidigen zu können. Das dürfte reichen, doch sehen wir gegen einen Magier schlecht aus und wahrscheinlich hat dieser ominöse General schon weitere Soldaten zusammengezogen.»

Schnell mischte sich einer der Veteranen ein und fasste das Gehörte zusammen.

«Wir können also nicht in die Stadt und hierbleiben können wir auch nicht?»

«Genauso ist es.»

«Dann ist es einfach, wir ziehen in die Berge.»

Zu seiner eigenen Überraschung hatte Narem diese Worte tatsächlich laut gesagt.

«Aber sind wir dort willkommen, ihr wisst schon wer da wohnt?»

Narem verstand diese mysteriöse Frage eines Veteranen nicht, weshalb er auch gleich eine Gegenfrage stellte.

«Was, warum sollten wir dort nicht willkommen sein, und wer soll dort wohnen, ich hörte es sei menschenleer?» fragte Narem Nach dieser Frage fühlte er sich schon wieder blöd, weil es seine eigene Unwissenheit war, wegen der die Anderen ihn nicht dort haben wollten.

Der eine Veteran antwortete wieder, diesmal mit einem spöttischen Unterton.

«Es ist menschenleer, aber hast du dich nie gefragt, warum wir den Süden des Landes nicht zu schützen brauchen, warum die Achlaren nie über die Berge kommen?»

«Nein, ich dachte es sei einfach zu felsig, aber wer hält sie denn dort auf, wenn es menschenleeres Gebiet ist?»

Narem fragte nun mit einem leisen Zögern in der Stimme, denn er verstand im Moment die Welt nicht mehr und wurde durch die Antworten des Veteranen nur noch verwirrter.

Der Veteran fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick und antwortete schliesslich doch noch.

«In den Bergen im Süden unserer Insel leben die Zwerge und halten uns von dort den Rücken frei.»

Narem brachte den Mund vor Staunen nicht mehr zu und brachte kein Wort mehr heraus. Er hatte einen Grossteil seines Lebens in der Nähe der Berge verbracht und keine Ahnung gehabt, dass diese dem Volk der Zwerge als Heimat dienten.

«Was die Zwerge tun werden ist unmöglich vorauszusehen, immerhin haben wir sie so gut wie nie zu Gesicht bekommen, das grössere Problem ist allerdings, dass wir nach wie vor keinen Magier in unseren Reihen haben. Zudem sind alle Magier der Armee nun dem General unterstellt und gehorchen diesem aufs Wort. Dies ist relativ ungünstig.»

«Vielleicht haben die Zwerge Magier in ihren Reihen.»

Dieser Vorschlag km von dem Meldereiter, den bisher fast alle vergessen hatten, da er sehr still gewesen war.

«Es ist egal, wir müssen so oder so in die Berge ziehen, wenn wir hier nicht von einer Streitmacht überrannt werden wollen. Bereitet alles für den Abmarsch vor, wir ziehen so bald wie möglich los.»

Nach diesen Worten von Narg war alles entschieden und an dieser Entscheidung war auch nichts mehr zu machen.

Nun meldete sich aber erneut der Bote.

«Eines noch, wie wollt ihr eure Trauer und eure Wut über das Gemetzel zeigen, wenn ihr jetzt einfach verschwindet. Ganz Tesmana wird denken, ihr wäret schuldig und hättet den König ermordet. Sie werden denken Dallaniwa hätte Recht und wäre wahrlich der rechtmässige König.»

Hunderte von Herzschlägen lang herrschte Ruhe, während jeder in seinem Kopf das Problem erörterte, das der Meldereiter erwähnt hatte. Schliesslich sprang einer der Veteranen auf.

«Ich schlage vor, wir färben unsere ganze Ausrüstung als Zeichen unserer Trauer dunkel. Jeder, der uns begegnet, wird erkennen, dass wir trauern.»

Alle waren verwundert, ob der plötzlichen Idee.

«Ja, aber die Mäntel lassen wir so weiss wie sie sind, um zu zeigen, dass wir nach wie vor für das Gute eintreten. Sie zeigen durch ihre Reinheit auch unsere Unschuld. Die Reinheit unserer Seelen.»

Ein dritter Veteran, der gleich neben Narem stand kritzelte schnell auf seinem Papier herum, hielt es aber so, dass ihm Narem nicht dabei zusehen konnte. Dann zeigte er seine Skizze allen.

«Ich schlage vor, wir formen unsere Schilde neu. Erstens sind Rundschilde zu Pferd unpraktisch, was wir schon vor Jahren hätten ändern müssen und zweitens drückt unsere Trauer über den Verlust nichts besser aus als dies hier.»

«Eine umgekehrte Träne, grandios.»

Der Meldereiter war der Erste, der gratulierte, da er auch zuerst erkannte, was da gekritzelt war.

«Das könnte funktionieren. Setzt es um.»

Narg gab noch diesen letzten Befehl, bevor er sie alle aus seiner Stube scheuchte und sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen liess, während ihm eine einzige Träne die Wange runterkullerte und eine feine Linie im staubigen Gesicht hinterliess.

Alle rannten sofort los, bis auf Narem, der nicht wusste was er tun sollte. Er hatte noch nie einen solch allgemeinen Befehl erhalten und hatte demnach auch keine Ahnung, was er tun könnte. Einer der Veteranen bemerkte es glücklicherweise und wies Narem an, die Krieger zu informieren, damit sie alle in den Hof kamen um ihre Ausrüstung zu färben, und zwar in etwa fünf Tagen, dann sollte alles bereit sein. Narem begab sich sofort in den Speisesaal, wo nach wie vor alle Waisen sassen, doch mittlerweile waren die Schüsseln leer und die erkalteten Speisen in den Mägen der Krieger. Narem trat nun vor den querstehenden Tisch am Kopf der Halle und sah das beeindruckende Schauspiel einer vollen Halle nun zum ersten Mal vom Platz aus, den sonst Narg einnahm. Im Unterschied zu Narg stand Narem zwar vor dem Tisch, aber dies änderte am ganzen nicht viel. Narem schwanden alle Worte, als ihn die 1350 Krieger ansahen, manche erwartungsvoll, manche mit Zweifel und manche mit unverhohlener Wut in den Augen. Narem erklärte ihnen dann langsam und stotternd, was zu tun sei und wo sie in fünf Tagen zu sein hätten.

Die nächsten fünf Tagen waren traurig anzusehen. Alle trainierten, doch nicht mit der bisherigen Leichtigkeit und Anmut, sondern zornig und verbissen, wie sonst nur die Achlaren in der Schlacht. Abends machte Narg seinem zweiten Namen nämlich «der Priester» alle Ehre und sprach die rituellen Worte, die er immer abends sprach.

«Wir glauben an Stahl, Blut und Fleisch, denn es sind diese Dinge, die das Reich zusammenhalten.»

Doch die Stimmung war nach diesen Worten nicht wie sonst immer ausgelassen, sondern nur dumpf, als suchten die Krieger krampfhaft nach irgendetwas, an das sie noch glauben konnten. Auch Narem erging es nicht besser. Er dachte immer wieder an seine Gespräche mit dem Prinzen zurück, an dessen goldenes Haar und seine Heiterkeit, bis sich vor seinem inneren Auge der Kopf von den Schultern löste und zu Boden fiel.

Am fünften Tag begab sich Narem auf den Wehrgang, um das beeindruckende Schauspiel zu sehen. Die Veteranen hatten in der Zwischenzeit ein Mittel herausgefunden, wie man die Legierung dauerhaft schwarz färben konnte. Beim Essenssaal angefangen bis hin zum Tor stand eine lange Reihe mit Tischen, an denen die verschiedensten Handwerker der Waisen sassen. Die Krieger hatten sich vor dem ersten Tisch in einer langen Reihe aufgestellt und gingen danach von Tisch zu Tisch. Narem, dessen Ausrüstung schon neu war, konnte so von den Zinnen aus beobachten, wie aus den glänzenden Beschützern des Landes die düsteren Trauer- und Rachekrieger wurden. Stück für Stück wurde die Ausrüstung dunkel eingefärbt, mit einer Mischung, die Narem nicht kannte, die aber nicht abwaschbar war. Beim ersten Tisch wurden die Beinschienen schwarz, dann folgten die Armschienen, der Brustpanzer, der Fratzenhelm, der Speer, die beiden Schwerter und der Dolch, bis sie dann ihren neuen Schild bekamen, der genauso schwarz war und geformt war wie eine umgekehrte Träne. Als letztes wurden noch die Sättel und die beiden daran befestigten Äxte schwarz gefärbt. Dann sassen die Krieger am Ende der Reihe von Tischen das erste Mal in ihrer neuen Ausrüstung auf ein Pferd auf, ritten einige Male hin und her, um zu prüfen, wie sich der Schild an das Pferd anfügte. Durch die neue Form konnte dieser viel besser beim Reiten gehalten werden. Dann mussten sie wieder absitzen, da es in der Festung nur etwa fünfzig Pferde gab. Alle Krieger waren zwar mit ihren Sätteln angekommen, doch ohne Pferde, da diese alle Vorräte leergegessen hätten. Seinen Sattel hat ein Waisenkrieger jedoch immer dabei. Dann trainierten alle Krieger mit ihrer neuen Ausrüstung, um sich an den Schild zu gewöhnen. Für Narem war es ein beeindruckendes Schauspiel zu sehen, wie diese Krieger, die nun komplett schwarz waren, bis auf die weissen Mäntel auf die ebenfalls weissen Pferde aufsassen. So sahen sie genau aus, wie das was sie waren. Eine Mischung aus guten Kriegern und nach Blut dürstenden Rächern. Den einzigen Unterschied bildeten diejenigen Krieger, die wie er selbst noch nicht voll ausgebildet waren. Sie bekamen nun zwar als Ausdruck der Reinheit vor Beendigung ihrer Ausbildung den reinweissen Mantel der Waisen, doch dieser war viel kürzer, sodass er nicht einmal bis in die Hälfte des Rückens reichte, wo der Mantel der Ausgebildeten bis zu den Füssen reichte. Als schliesslich alle Krieger dunkel gefärbt waren und ihrer Trauer so Ausdruck verliehen wurde, wurden die Tische weggeräumt. Narg befahl, dass die Waisen schon am nächsten Morgen aufbrechen sollten. Diese letzte Nacht sollten sie jedoch noch in ihren Betten ruhen.



3


Noglagon wachte am Morgen auf und streckte sich ausgiebig, während er das Zimmer bewunderte, das zuvor der kleine Prinz bewohnt hatte, dem er am vorigen Tag auf dem grossen Platz den Kopf abgeschlagen hatte. Das Zimmer hatte etwa die Grösse eines durchschnittlichen Stadthauses und war so pompös, dass es bestimmt doppelt so teuer war, wie ein solches Haus. In der Mitte des Zimmers hing ein Kronleuchter, der aus purem Gold bestand, einen Durchmesser von etwa zwei Schritten hatte und 35 Kerzen aufnehmen konnte. Diese Kerzen waren aus einem Wachs mit einem tiefen Rotton. Dieser übermässig grosse Leuchter war jedoch nur dekorativ, denn das Zimmer des Prinzen befand sich in einer Ecke der Burg, sodass es an zwei Wänden Fenster hatte, die genug Licht einliessen. Die anderen zwei Wände waren mindestens so teuer wie das Glas in den Fenstern, denn sie waren purer Luxus. Die beiden Wände bestanden aus auf Hochglanz poliertem Metall, sodass man sich darin problemlos spiegeln konnte. Noglagon selbst lag in einem Bett, das zwei auf zwei Schritt mass und dessen Füsse auch aus Gold bestanden und wie die Krallenfüsse eines Ungeheuers geformt waren. Nachdem er all dies betrachtet hatte, stand er auf. Er warf sich eine frische, reinweisse Robe über, die seine Haut noch blasser und sein Haar noch schwärzer erschienen liess. Sie sollte ein Zeichen seiner Macht sein, denn wer sich mit so einer schwarzen Seele in ein Gewand solcher Reinheit hüllen konnte, dem konnte auf dieser Welt nichts, aber auch gar nichts widerfahren. Noglagon musste sein Gewand tagtäglich mit einem Schutz umgeben und trotzdem war seine Robe abends von innen her so schwarz, dass er sich eine neue zulegen und die alte verbrennen musste. Dies lag an dem mächtigsten Zauber, der in diesem Inselreich je gewoben worden war, von dem letzten der ersten Magier. Seit diesem Spruch, bei dem er angeblich verging, wurde er nur noch als «der letzte Magier» bezeichnet. Erstens, da er der letzte einer grossen Reihe ursprünglicher Magier war und zweitens, weil seit jenem Tag kein solch grosser Zauber mehr gewoben worden war. Der Zauber war damals zum Schutz aller Menschen gesprochen worden, da damals alle Priester ein weisses Gewand trugen. Dies war noch vor der Zeit des Glaubens an die Erde, das Feuer und das Wasser. Denn ab da trugen die Priester braune, rote und blaue Roben, angepasst an das jeweilige Element. Aber zuvor, beim alten Glauben wurde viel Wert auf die Reinheit der Priester gelegt und so wob «der letzte Magier» einen Zauber, dass jedes reinweisse Gewand sich schwarz färben würde, sobald es jemand mit einer dunklen Seele tragen würde. So verhinderte er über Jahrhunderte, dass ein Priester Macht hatte, wenn er nicht reinen Herzens war.

Aus diesem Grund musste Noglagon die ganze Zeit den Zauber aufrechterhalten, der seine Seele vor dem Gewand verbarg, sodass es möglichst weiss blieb. Doch der alte Zauber war nach wie vor stärker und mit der Zeit färbte sich jedes Gewand schwarz. Normalerweise dauerte dies durch Noglagons Zauber einen ganzen Tag, doch einmal bisher ging es schief. Es war an dem Tag, als er den König und alle Waisen hinrichten liess. An diesem Tag versagte sein Zauber vollkommen und sein Gewand färbte sich urplötzlich schwarz. Deshalb musste Noglagon in diesem Moment schnell verschwinden, denn seine Boshaftigkeit durfte von niemandem entdeckt werden, oder seine und des Königs Lüge würde entdeckt werden.

Gleich nach dem überziehen der neuen Robe schnallte er sich sein riesiges, schartiges Schwert auf den Rücken, was ihm ein gewisses Gefühl der Sicherheit verlieh, obwohl er innert einem einzigen Augenblick den ganzen Palast in Asche hätte verwandeln können. Daraufhin verliess er sein prächtiges Zimmer und schritt durch helle Flure, die mit kostbaren Teppichen ausgelegt waren in den Thronsaal. Dort sass an einer langen Tafel, die sich beinahe unter dem Gewicht der üppigen Gerichte bog ein einzelner Mann. Er trug auf dem Kopf eine mächtige Krone, viel üppiger als die alte Krone. Diese alte Krone mit den Flammen war nur noch der äussere Teil der neuen Krone, die aus allen edlen Metallen bestand und mit vielen Edelsteinen besetzt war. So hatte er eine glänzend silberne Krone, die von der goldenen Flammenkrone umfasst wurde. Dieser Mann am Kopf strahlte vor Erhabenheit und Entschlossenheit, als er sein Lächeln aufsetzte und Noglagon an den Tisch winkte und ihm den Stuhl in seiner Nähe anbot.

Noglagon erinnerte sich noch genau daran, wie ihn dieser Mann fand, nachdem er seine Frau und seinen Sohn in seinem Wahn und seinem Hass ermordet hatte. Es war nachdem er vor der Stadtwache über den Fluss in die Berge im hohen Norden des Reiches geflohen war. Dort bewohnte er eine Höhle, trank aus wilden Bächen, sammelte Pilze und jagte mithilfe der Magie. Alles in allem lebte er wie ein Tier und sah auch so aus, bis eines Tages dieser Mann, Dallaniwa, der Halbbruder des Königs vor seiner Höhle gestanden hatte. Er war alleine gekommen und hatte ebenjenes überzeugende, entwaffnende Lächeln eingesetzt, für das ihn immer alle geliebt hatten. Dallaniwa redete lange Zeit mit Noglagon, auch weshalb er seine Frau und sein Kind ermordet hatte. Noglagon erklärte Dallaniwa damals, dass alles mit seinem Rauswurf aus der Magierschule zusammenhing und man ihn als verrückt bezeichnet hatte, obwohl er einer der stärksten Magier war. Er hatte damals immer wieder darauf bestanden, zu den höheren Magiern zu gehören und wollte in den Kreis der Zehn aufgenommen werden, denjenigen, die bestimmten, was mit der Magie im Land geschah. Dort war durch den überraschenden Tod eines Magiers ein Platz frei geworden und Noglagon wollte unbedingt dazugehören. Er schwor den anderen, dass er den grössten Zauber seit dem letzten Magier weben würde, wenn er dadurch in den Kreis aufgenommen würde. Die restlichen Neun sagten ihm den Platz zu, falls er dies erreichen würde. Tags darauf hatten sich alle Magier der Schule in dem Theater eingefunden und alle schauten auf die Bühne, ebenso die neun des Kreises, als Noglagon in einer reinweissen Robe die Bühne betrat. Der Kreis der 10 unterbrach ihn gleich und sagte ihm, dass dies noch kein Stück grosser Magie sei, da liess Noglagon sich 100 Tiere auf die Bühne bringen. Er erklärte allen, dass er nun nur zum Spass alle Tiere töten und in Asche verwandeln würde, sodass der Zauber keinen Sinn hätte und alles nur aus Boshaftigkeit geschehe. Dabei werde seine Robe weiss bleiben, dank seinem neuen Zauber. Noglagon wurde damals nur verhöhnt, was eine unglaubliche Wut in ihm aufsteigen liess. Dann verwandelte er die Tiere in Asche und sprach noch einen weiteren Zauber, der seine Seele vor der Robe verdecken sollte. Deshalb blieb die Robe weiss und allen Magiern blieb das Lachen im Halse stecken, als sie begriffen, was sie da gesehen hatten. Noglagon verlangte sogleich in den Kreis aufgenommen zu werden, doch dieser beriet sich zuerst und schliesslich sprach ihr Anführer, dass Noglagon nicht aufgenommen werden würde, da man den uralten Zauber nicht aufhalten könne und er dementsprechend so verrückt sein müsse, dass er gar nicht begreifen würde was er getan hätte. Noglagon begann sogleich alle Magier zu beschimpfen und der Ehrlosigkeit zu bezeichnen, weshalb der Kreisführer ihm erklärte, dass er von der Magierschule ausgeschlossen würde und die Stadt, sowie das Land verlassen müsse. Damals schwor Noglagon Rache, drehte sich wutentbrannt um und flüchtete nach Hause, wo ihn seine Frau fragte, was los sei. Er war damals jedoch so in seinem Wahn und seinem eigenen Hass gefangen, dass er nicht begriff, dass sie ihm nichts Böses wollte. Er nahm das Grossschwert von der Wand, das dort als Dekoration hing, enthauptete seine Frau mit einem Wutschrei und schnitt dann seinem Kind die Kehle im Schlaf durch. Daraufhin verwandelte er einen seiner Diener zu Asche und legte seine Kleidungstücke sowie seinen Dolch und seinen Siegelring daneben, sodass es wie der Selbstmord eines Magiers aussehen würde. Danach floh er selbst aus der Stadt und in die Berge in eine Höhle, wo er lange hauste. Es war in dieser Höhle, wo Noglagon dem heutigen König Dallaniwa den Treueeid schwor, um das Reich unter Dallaniwas Kontrolle zu bringen.

Heute sassen sie, die mächtigsten Männer des Landes im Thronsaal und genossen ihr neues Leben. Der Thronsaal war noch prächtiger ausgestattet als das Zimmer des Prinzen. Einige Schritte hinter Dallaniwa und drei Treppenstufen höher stand dessen neuer Thron. Sehnsucht befiel Noglagon, als er diesen Thron erblickte. Dieser Thron war aus purem Gold und war geformt wie ein sich aufbäumender Drache. Die Beine des Drachen bildeten die Stuhlbeine und der Bauch des Drachen bildete die Rückenlehne des Stuhles, während der Hals und der Kopf wieder nach vorne kamen und direkt über dem Kopf des Königs, sofern er auf dem Thron sass, endete. Der Drache stiess dabei als Zeichen der Zugehörigkeit zur Dynastie des Gondor Flammen aus. Dieser Thron war absolut beeindruckend und deshalb wollte Noglagon selbst dort sitzen, wollte über dieses Reich herrschen und alles und jeden nach seiner Laune leben lassen. Doch er hatte mit Magie einen Schwur gesprochen, der ihn bis zu Dallaniwas Tod an diesen band und ihm verbot, diesen umzubringen.

Noglagon hatte gerade zu essen aufgehört und den Thron betrachtet, als ihn Dallaniwa ansprach und ihm befahl, von der Hauptstadt aus der Wüste entlang in den Süden zu reiten, um die Dörfer der neuen Herrschaft zu unterwerfen, den Zehnten einzutreiben, der nun ein Fünfter sein sollte. Dies würde ganz sicher zu Unruhen führen, die niedergeschlagen werden mussten und deren Anführer als Exempel gefoltert werden mussten. Bei dem Gedanken daran schlich sich ein Lächeln auf Noglagons Lippen. Er liebte dies. Den Menschen oder Tieren Schmerzen zuzufügen, ihnen die Hoffnung zu nehmen oder sie einfach zu unterdrücken. Es war für ihn jedes Mal eine Herausforderung, die ihn magisch wachsen liess, denn er musste seine Robe immer weiss halten und gegen den uralten Zauber ankämpfen. Er genoss dies richtig, die Menschen zu quälen, während seine weisse Robe seine Reinheit bezeugte. Zudem durfte er das Waisenhaus mit all seinen Kriegern vernichten. Dies würde ihm eine besondere Freude sein, da diese Krieger die einzigen waren, die ebenfalls reinweisse Umhänge trugen, die sich nicht schwarz färbten. Dafür wollte Noglagon sie vernichtet sehen. Dazu sollte er seine Streitmacht mitnehmen. Nur zweitausend Krieger würden als Rumpfbesatzung in der Stadt bleiben.

Noglagon nickte unterwürfig und schritt nach draussen in den Hof, in welchem immer noch die Leichen der Waisen lagen. Mittlerweile waren jedoch alle kopflos, da er ihre Häupter hatte abtrennen und am Stadtrand auf Speere stecken lassen. So bewachten die Toten die Stadt vor den Feinden des Reiches, hatte er seinen Soldaten lachend erklärt.

Heute jedoch trommelte er die Kommandanten der verschiedenen Divisionen zusammen und befahl ihnen sich zum Aufbruch bereit zu machen. Sie sollten auch seine neuen Spielzeuge mitnehmen. Dies waren die Waffen die er ersonnen hatte, um sie gegen die Waisen in ihrer Burg einzusetzen. Das würde ein Spass für ihn werden. Er freute sich schon darauf, wie sie wie die Ratten aus ihrer Festung kriechen würden, wenn er seine Waffen erstmals einsetzte. Dann, wenn sie alle blutend und brennend durch den Staub auf ihn zukriechen würden, würde er sie von den Hufen der Kavallerie in die Erde trampeln lassen. Doch zuvor, müsste er sich noch um die Ernährung Tanars kümmern und ein paar Bauern herumschubsen. Noglagon war erfreut zu sehen, dass sich schon nach einer Stunde seine Streitmacht vor dem Tor versammelt hatte. Dort standen sie, die fünfzehnmal tausend Untergebenen, die er von der Küste in die Hauptstadt gerufen hatte. Gerade einmal ein Fünftel war zu Pferde, der Rest musste marschieren. Dies aber erst auf dem Rückweg, da sie auf dem Hinweg noch genügend Karren hatten, die sie mit dem Fünften beladen würden. Er befahl sofort den Abmarsch und stellte zufrieden fest, dass alles reibungslos klappte, wenn jeder seiner Befehle gedankenlos befolgt wurde. Sogar die zwanzig Magier, die seine Leibwache bildeten, dachten nicht nach, sondern gehorchten einfach. Sie waren zwar keine richtige Leibwache, da er stärker war als sie alle zusammen, doch es machte ihm einfach ungeheuren Spass, die Magier um sich zu haben. Das einzige Problem war, dass sie alle nur Lehrlinge waren, denn jeden Magier der Akademie und der Armee hatte er bei seiner Rückkehr als Rache für seinen Rauswurf getötet. Besondere Freude hatte es ihm bereitet, zuerst in einem Überraschungsangriff alle magie- und bewegungsunfähig zu machen, da er eine neue Form der Magie entdeckt hatte, durch die er allen anderen überlegen war. Dann hatte er nacheinander alle Magier ganz langsam getötet, wobei er sich die höchsten Magier der Akademie als Letzte vornahm. Auch an diesem Tag hatte sich seine Robe schwarz gefärbt, doch damals hatte er es genossen und dem Akademieführer gesagt, er sei nicht wahnsinnig denn jetzt würde sich seine Robe ja schwarz färben, bevor er ihm das schartige Schwert mitten ins Herz gerammt hatte.

Aber nun, da die einzigen Magier des Landes seinem direkten Befehl unterstanden, war es auch nicht weiter schlimm, dass alle Magier ausser ihm selbst schwach waren. So bewegte sich seine Armee wie eine riesige Plage durch das Land immer gegen Süden und trieb dabei den Fünften ein. Jeder, der dabei etwas zu murren hatte, den traf sofort der Richtspruch der rechten Hand des Königs. Dieser Mann, Noglagon der Grausame, wurde bald nur noch «General» genannt. Dies auch von der einfachen Bevölkerung, da die Soldaten ohne nachzudenken gehorchten und nach seinem Urteil alle dem Schwert überantwortet wurden. Zuvor wurden sie selbstverständlich noch auf grausamste Weise gefoltert, als wenn sie Soldaten eines anderen Reiches wären und Geheimnisse zu verraten hätten. Vielen wurden die Zehen- und Fingernägel ausgerissen, oder Finger Glied um Glied abgehackt. Besonders grausam war es jedoch, wenn Noglagon seine Gefangenen mit einer Knochensäge bearbeitete. Die Kunde von der Armee des Schreckens, die alle Bewohner des einst friedlichen Tesmanas schikanierte, eilte ihnen voraus. So trafen sie bald auf ein Dorf, das die Strasse durch ihr Dorf mit Wagen zugestellt hatte und somit eine kleine Festung war. Als die Kundschafter dies entdeckten, meldeten sie dies sogleich Noglagon, der eine riesige Freude daran zeigte. Er hoffte schon jetzt darauf, dass die Dörfler nicht kapitulierten und er endlich einmal wieder grausam sein konnte. Er dachte einen Moment nach, ob er vielleicht wirklich wahnsinnig war, liess diesen Gedanken jedoch gleich wieder fallen, da er dachte, jeder grossartige Magier hätte seine Eigenarten. Er liess das Dorf von seiner Armee umstellen und dann befahl er seinen Magiern, die Wagen zu entfernen. Diese stiegen von ihren Pferden, stellten sich in einer Reihe nebeneinander auf. Dann hielten sie sich alle an den Händen und fixierten die Wagen auf beiden Seiten des Dorfes. Es dauerte einige Augenblicke, in denen Noglagon immer wütender wurde, bis die Wagen in einer lauten Explosion vergingen, die die Häuser neben den Wagen zum Einsturz brachten. Noglagon verspürte nur noch Verachtung für die Schwäche dieser Lehrlinge. Am liebsten hätte er gleich alle hingerichtet. Er selbst hätte ohne sich konzentrieren zu müssen, ohne hinzuschauen und während dem Essen das ganze Dorf in ein Flammeninferno verwandeln können und diese lächerlichen Magier brauchten so lange, um Wagen zu sprengen.

In der Mitte des Dorfes bezogen dann die Bauern mit langen, angespitzten Stöcken die Stellung. Manche trugen auch eine Axt oder eine Mistgabel. Noglagon lächelte höhnisch, bevor er seine magisch verstärkte Stimme erhob.

«Ihr steht hier dem General gegenüber, der rechten Hand des Königs, dem Gebieter über Magie und Armee, senkt sie Waffen und bezahlt euren Fünften, dann vergesse ich diesen lächerlichen Versuch, ansonsten kann ich für keine Menschenseele in diesem Dorf garantieren.»

Die Männer auf dem Dorfplatz besprachen sich, dann schüttelten sie die Köpfe und riefen, sie würden sich nicht einem Tyrannen, dessen Hund und ihren Speichelleckern unterwerfen.

Noglagon schnaubte nur verächtlich, bevor er ein Zeichen gab. In diesem Moment liessen die tausend Bogenschützen, die sich um das Dorf verteilt hatten ihre Sehnen los und die Pfeile schnellten davon. Genau in der Dorfmitte senkten sie sich und trafen etliche Dorfbewohner an ungeschützte Stellen, sodass diese zusammenbrachen. Nach diesem Angriff stand nur noch die Hälfte der Männer und auch die hatten Pfeile in ihren Körpern stecken. Noglagon gab daraufhin ein weiteres Zeichen und einhundert seiner Reiter preschten mit gesenkten Speeren los, die Strasse entlang, durch das Dorf. Auf dem zentralen Platz verloren die Bauern unter dem Ansturm der Kavallerie den Kopf und wollten flüchten, waren jedoch nicht schnell genug. Die Reiter erschlugen das Dutzend Männer. Sie wurden entweder von Speeren erstochen, von Schwertern aufgeschlitzt oder unter den Hufen der Pferde zertrampelt. Nach diesem Angriff, ritten die Soldaten einfach auf der anderen Seite wieder aus dem Dorf hinaus, wendeten und nahmen wieder ihre Angriffsformation ein. Um sicherzugehen, befahl Noglagon einen weiteren Angriff der Bogenschützen, deren Pfeile mit dumpfen Tönen in der Erde oder im Fleisch steckenblieben. Nur sehr vereinzelt war noch ein Schrei zu vernehmen. Daraufhin rief Noglagon den Reitern, sie sollten den Rest töten. Diese ritten los und einfach noch einmal über die Leichen hinweg, sodass alle totgetrampelt wurden.

Auf den Dorfplatz trat dann eine Frau mit einem Kind auf dem Arm und flehte um Vergebung für die Alten, die Frauen und die Kinder des Dorfes. Der General schaute sie aus der Ferne eindringlich an, bevor er ihr seine Antwort zurief.

«Ich versprach über dieses Dorf mit Feuer und Schwert herzufallen und das werde ich tun. Ihr habt zwei Minuten das Dorf zu verlassen, ansonsten brennt ihr.»

Als er diese Worte gesprochen hatte, zeichnete er mit seinem rechten Zeigefinger vor sich einen Kreis um das Dorf, der nur eine Lücke hatte. Diese befand sich am einen Ausgang des Dorfes, direkt vor ihm. Als er den fast geschlossenen Kreis vor sich in der Luft zu Ende gezeichnet hatte, stachen rund um das Dorf mehrere Schritte hohe Flammenwände aus dem Boden, die sich langsam auf das Dorf zubewegten. Die einzige Lücke zwischen diesen Wänden befand sich wie gezeichnet vor ihm am Dorfausgang. Als die Feuerwände die äussersten Häuser erfassten, hörte man die Todesschreie von Menschen und schon rannten aus den noch verschonten Häusern Frauen mit ihren Kindern, während die Alten hinterherschlurften. Als die ersten zwanzig Bewohner einen Fuss ausserhalb ihres Dorfes gesetzt hatten, gab Noglagon ein weiteres Zeichen und Bolzen sirrten los, abgeschossen von den Armbrüsten einiger Soldaten, die sich in Stellung gebracht hatten. Die Dorfbewohner stürzten augenblicklich zu Boden, während ihr Blut aus den tödlichen Wunden sickerte. Dies wiederholte sich noch einige Male, bis sich die Flammenwände quer durch das Dorf gefressen hatten, von dem nur noch die verfallenen Grundmauern übrigblieben und ein Leichenhaufen, bestehend aus Frauen und Kindern, sowie einigen älteren Leuten. Dann befahl Noglagon mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht und einer Robe, die sich von ihm unbemerkt am Saum schwarz gefärbt hatte, den Weitermarsch. Er wollte noch im Morgengrauen das Waisenhaus angreifen, das sich schon fast in Sichtweite befinden musste. So liessen er und seine Armee das Dorf zurück, das sich nicht hatte ergeben wollen.

Am nächsten Morgen, als sich die Sonne gerade über den Rand der Welt erhob, trat der General aus seinem Zelt und gesellte sich zu seiner Armee, die schon Stellung bezogen hatte. Wieder einmal hatte er einen grossen Kreis um sein Ziel angelegt und so stand seine Armee verteilt über die sanften Hügel um das Waisenhaus. Überall um das Haus herum hatte er seine Werkzeuge aufgestellt, zwanzig an der Zahl, wobei jedes von einem seiner Magier befehligt wurde. Seine Werkzeuge waren einzigartig im Inselreich, er hatte davon in einem alten Buch in der Magierschule gelesen. Es waren Holzkonstruktionen auf Rädern, die sich von Pferden ziehen liessen. Jetzt waren sie jedoch im Boden verankert, damit sie nicht wegrollten. Es waren riesige Wurfmaschinen, die einen langen Balken hatten, an dessen Ende ein Korb sass. Diesen konnte man mit Steinen oder anderen Geschossen beladen, die dann nach oben schnellten, wenn der Arretierbolzen rausgeschlagen wurde und das Gegengewicht sich mit zunehmender Geschwindigkeit senkte. Im Moment befanden sich im Korb Tongefässe, die mit Petroleum gefüllt waren und am oberen Ende angesteckt werden konnten, sodass sich das Petroleum nach dem Aufschlag ausgebreitete und entzündet wurde. Auf Noglagons Zeichen hin, senkten sich rund um das Waisenhaus die Gegengewichte in den Wurfmaschinen, die Körbe hoben sich und die Tongefässe flogen davon, bis sie an der Mauer, im Hof oder an den Gebäuden zersprangen und alles mit Feuer überzogen. Schnell wurden die Wurfmaschinen wieder geladen und schickten immer neue Gefässe auf den Flug. Noglagon freute sich immer mehr, je mehr Gefässe im Innenhof oder an den Mauern zerschellten, oder in Form von Steinen, sogar Mauern einrissen. Es war so viel einfacher, als wenn er seine Magie hätte verwenden müssen. Noglagon gestand es nicht sehr gerne ein, doch selbst er hatte magische Grenzen und behielt sich gerne etwas in Reserve. Er wollte sehen, wie die Waisen aus ihrer Festung krochen. Er wollte ihre Mäntel verbrennen und ihnen unglaubliche Schmerzen beibringen dafür, dass sie so rein waren. Doch je länger er das Haus beschiessen liess, desto mehr senkte sich ein Schatten über seinen Blick.



4


Als Narem auf dem Kamm eines Hügels das letzte Mal seinen Blick nach hinten richtete, sah er nur eine Rauchwolke aufsteigen von dem Punkt, an dem er vor kurzer Zeit noch ausgebildet worden war. Seine halbe Kindheit hatte er dort verbracht, Tag für Tag unter hartem Drill. Und nun lag das Waisenhaus, diese Festung der Elitekrieger in Schutt und Asche, zerstört von einem wahnsinnigen Magier, der als General alle Truppen des Landes, ausser den Waisen, beherrschte. Die Entscheidung von Narg, in der Morgendämmerung aufzubrechen war also die richtige gewesen. In aller Eile waren Wagen vollgepackt worden mit Proviant, Zelten und mit den Sätteln aller Waisen, an denen noch die zwei Äxte hingen. Als sich alles auf den Wagen befand, wurden die wenigen Pferde davor gespannt und dann begann der Marsch aus dem Waisenhaus und Richtung der Berge, deren Ausläufer sie schon bald erreicht hatten. Das Murren der Krieger, die dagegen waren so früh aufzustehen und wollten, dass man später am Tag abzog endete, als das erste Krachen erscholl. Denn dann sahen alle zurück und sahen von leichten Anhöhen, wie ihre Festung beschossen wurde. Dann begann der mühsame Anstieg in das unbekannte Gebirge. Der einzige, der im Sattel sass und immer an der Marschkolonne vor und zurück trabte, war der Kommandant, Narg. Immer wenn die Motivation einzelner Soldaten sank, war Narg auf seinem Pferd zur Stelle und sprach mit den Soldaten, bis diese bereit waren, bis in den Tod zu marschieren. So geriet die Marschkolonne nicht ein einziges Mal ins Stocken, was dadurch noch beeindruckender war, dass man die doppelte Marschgeschwindigkeit hatte, die für die Armee des Königs üblich war. Deshalb erreichten die Soldaten schon bald den Kamm, von dem aus man das Waisenhaus gerade noch sah. An diesem warf Narem, wie alle anderen auch, einen letzten Blick zurück auf ihre alte Unterkunft, das Waisenhaus mit seinen hohen Mauern und den niedrigen Gebäuden, das nun in ein Flammeninferno gehüllt war. Eine Wut erfasste bei diesem Anblick alle Krieger und sie heulten und brüllten auf diesem Kamm ihre Wut und ihren Hass hinaus, sodass Narem meinte, das Himmelszelt müsse über ihnen zusammenstürzen.

Nun marschierte Narem mit seiner Kompanie schon etliche Stunden ohne eine Rast immer bergauf, und erst der letzte Blick zurück, hatte ihm wirklich klargemacht, dass es seine alte Heimat nicht mehr gab. Dass er wirklich und wahrhaftig in eine neue und ungewisse Zukunft aufbrach. In diesem Moment hatte sich in seinem Magen ein Knoten gebildet, der auch nach dem kargen Mittagessen mit Brot und getrocknetem Fleisch nicht verschwand. So verspürten auch alle um ihn herum ein Gefühl der Beklommenheit, trotz des Wutschreis aller Waisen. Sie marschierten jedoch weiterhin mit einem eisernen Willen bis spät in die Nacht hinein. Als dann endlich der Stopp befohlen wurde, lief Narem direkt in seinen Vordermann hinein, der nur durch den weissen Mantel der Reinheit zu sehen war. Doch obschon der Mantel weiss war, lief Narem in ihn hinein, da er so in seinem Trott gefangen gewesen war. Auch derjenige hinter ihm selbst lief in ihn, sodass es ein Durcheinander gab, dass die gut ausgebildeten Krieger aber sofort wieder ordneten. Narem stellte dann seinen Schild ab und half sofort beim Aufbau der Zelte, die von den Wagen genommen wurden. Das einzig Gute an diesem Abend war, dass nur die Hälfte der Zelte aufgebaut werden mussten, da eine Hälfte der Waisen jeweils Wache halten mussten. Sie taten dies in einem lockeren Ring um das Lager herum, da niemand mit einem Angriff rechnete. Die Armee des Generals hatten sie seit dem Angriff auf das Waisenhaus schon nicht mehr gesehen und das Gebiet hier war menschenleer. Trotzdem geboten die Einsatzregeln der Waisen Vorsicht. Narem war bei der Gruppe, die die spätere Wache gezogen hatte und legte sich deshalb in ein Zelt, wo er, völlig erschöpft, schon bald Schlaf fand.

Mitten in der Nacht wurde er jedoch völlig überraschend durch laute Signalhörner geweckt, die ihm unbekannt waren, bevor in ihrem eigenen Lager Alarm geschlagen wurde. Er war zuerst verwirrt, was das Ganze sollte. Nachtübungen waren zwar schon oft angeordnet worden im Waisenhaus, doch nicht nach solch einem Gewaltmarsch und auf einem fremden Terrain. Irgendetwas stimmte da nicht, das spürte er ganz genau. Für so etwas war er ausgebildet worden, nun könnte er vielleicht endlich in einer richtigen Schlacht kämpfen und sich beweisen, hoffte Narem. Er sprang auf, gürtete seinen Dolch und sein Kurzschwert, schwang sein Schwert auf seinen Rücken und nahm sich Speer und Schild, bevor er aus dem Zelt hastete. Doch für eine wirksame Verteidigung war es längst zu spät. Ihre eigenen Wachen, die Hälfte der gesamten Elitetruppen waren schon überwältigt worden und lagen ohnmächtig am Boden. Zudem hatte sich um das Lager herum ein Ring aus Fackeln gebildet. Wenn diese Krieger, die die Fackeln hielten, angreifen würden, würde es zwischen den Zelten ein riesiges Gemetzel geben und Narem war sich gar nicht so sicher, ob die Waisen gewinnen würden, wenn ihre Feinde ohne Krach zu machen alle Wächter ausschalten konnten. Er wusste nicht, was er tun sollte, als Narg zu ihm geritten kam und ihm mitteilte, er solle zur Mitte des Lagers kommen. Als er dort eintraf, sah er fast alle der restlichen Waisen dort versammelt, die sich auf einen Angriff vorbereiteten, um den Ring zu durchbrechen, der sich um ihr Lager gebildet hatte. Schon wollten sie angreifen, als über ihrem Lager, genau in der Mitte, wo sie standen, ein helles, blutrotes Licht erschien. Zudem sprach sie eine laute Stimme an.

«Steckt die Waffen weg, wenn ihr diese Nacht überleben wollt. Ihr seid in unser Territorium eingedrungen und wir verlangen eine Erklärung. Ihr schickt nun fünf eurer Anführer in den Norden des Lagers. Dort steht hinter dem Fackelring ein Zelt, in welchem ihr euch erklären werdet. Ansonsten liegt ihr bald mit dem Gesicht im Dreck. Aber ihr werdet dann tot sein und nicht bloss ohnmächtig wie eure Wächter. Ihr habt hundert Herzschläge Zeit, dann überziehen wir euer Lager mit Feuer und Stahl, was keiner von euch überleben wird, das garantiere ich euch.»

Als die Stimme, die vom Licht nach unten dröhnte verstummte, dauerte es einige Augenblicke, bevor Narg reagierte. Dann deutete er auf einige der Veteranen und Narem.

«Los, ihr kommt mit, wir werden uns ansehen, wer uns angegriffen hat.»

Dann ging die Gruppe, bestehend aus Narg, drei Veteranen und einem sich wundernden Narem im Stechschritt los, in den Nordteil des Lagers. Als sie sich dem Fackelring näherten, öffnete sich dieser und es bildete sich eine Gasse zu einem Zelt, das wenige Schritte von dem Ring entfernt stand. Es war so nah, dass es nach dem Angriff in aller Schnelligkeit und Lautlosigkeit hatte aufgestellt werden müssen. Das Zelt war kreisrund, mehrere Schritt hoch und hatte einen Durchmesser von 15 Schritt. Die Aussenwände bestanden komplett aus Bärenfell. Das Zelt, schien einfach nicht hierher zu passen. Trotzdem wurde ihnen von einer unsichtbaren Macht die Zeltklappe geöffnet und sie traten von dem Dunkel der Nacht in das hell erleuchtete Zelt. So mussten sie zuerst einmal die Augen schliessen um sich an die Helligkeit zu gewöhnen, um wieder sehen zu können. Was sie dann erblickten, verschlug Narem die Sprache. Ihnen genau gegenüber sass, auf einem einfachen Stuhl, eine kleine, stämmige, muskulöse, bärtige Gestalt mit einem harten Ausdruck in den Augen. Diese Gestalt trug eine schwere Metallrüstung, die wahrscheinlich schwerer als Narems eigene war und dies trotz der geringen Grösse. Über der Rüstung trug die Gestalt einen Überwurf aus Bärenfell. Diese Kreatur musste einfach einer der sagenumwobenen Zwerge sein. Auf jeder Seite seines Stuhls standen noch fünf weitere Zwerge, während hinter seinem Stuhl zwei Menschen standen. Der eine Mensch, war extrem gross und im Vergleich mit den Zwergen unglaublich hager. Er hatte blaue Augen mit einem Ausdruck darin, die ebenso wie seine Falten zeigten, dass er sehr alt sein musste. Links von diesem älteren Herrn stand das genaue Gegenteil. Sie war die schönste Frau, die Narem je gesehen hatte. Er glaubte er müsse träumen, doch auch nach mehrmaligem Blinzeln war sie noch da. Ein Fleisch gewordener Traum. Sie war nicht bloss als hübsch zu bezeichnen, sie war einfach das Abbild der Schönheit, die Perfektion in Frauengestalt, sie war einfach makellos. Die Frau war ebenfalls eher gross gewachsen, obwohl dies mit den Zwergen im Raum nicht so einfach zu sagen war. Sie hatte blaue Augen, mit einem herzerwärmenden Blick. Dazu hatte sie lange, braune Haare und eine helle Haut. Narem konnte den Blick nicht von ihr abwenden, bis er in seinem Nacken den Druck kalten Stahls spürte. Er wollte sich umdrehen, seinen Dolch ziehen und ihn seinem Gegner in den Hals rammen, wollte wüten und toben, als er die Stimme des sitzenden Zwerges hörte.

«Willkommen in den Bergen.»

«Ein herzliches Willkommen sieht anders aus.»

Narg hatte dies sehr rau entgegnet. Er war offenbar immer noch wütend, dass ihre Wachen so einfach überwältigt worden waren.

«Nun ja, nicht jeder Besucher ist freundlich, besonders dann nicht, wenn er tausend bewaffnete Freunde dabeihat.»

Der Zwerg, der nach wie vor sass, hatte diese Worte völlig gelassen erwidert.

«Wenigstens begrüssen wir euch nicht mit blankem Stahl im Nacken.»

«Nein, ihr haltet ihn in Form von Speeren in euren Händen. Legt sie nieder und die Äxte verschwinden aus eurem Genick.»

Nachdem der Zwerg dies versprochen hatte, bedeutete Narg allen, ihre Waffen wegzulegen, was aufgrund der zahlreichen Bewaffnung einen Moment dauerte. Doch dann verschwand wie versprochen das Gefühl des Stahls aus dem Nacken Narems. Trotzdem hatte der noch einen Knoten im Magen, da er nun komplett schutzlos war und es lange dauern würde, bis er seine Waffen hätte aufheben können, im Gegensatz zu dem halben Herzschlag, den sein Gegner hinter ihm benötigen würde um ihm den Kopf von den Schultern zu schlagen.

Dann begann wieder der Zwerg.

«Nun möchte ich euch noch einmal ohne Waffen willkommen heissen. Ich bin Achlar, der König der Zwerge.»

«Ich bin Narg und dies sind meine Vertrauten.»

« Dies sind meine Begleiter und Wächter.»

Der Zwerg deutete dabei auf die Zwerge neben ihm. Dann fuhr er fort, während er auf die anderen zeigte.

«Und das sind Damron, der «letzte Magier», womit natürlich nicht gemeint ist, dass er der letzte lebende Magier ist, sondern nur der Letzte freie. Und neben ihm steht meine Adoptivtochter, Cania.»

«Demnach hat euer Magier unsere Wachen niedergestreckt?»

«Ja, aber was mich eher interessiert ist, warum dieser Junge an deiner Seite steht, wo sonst nur Veteranen stehen, vor allem wenn man bedenkt, dass er dem Aussehen nach noch nicht einmal die Ausbildung abgeschlossen hat.»

Diese Worte machten Narem gar nichts aus, zu oft hatte er in den vergangenen ähnliches von den Veteranen gehört.

Narg antwortete dann, dass Narem in der Garde des Königs aufgenommen werden sollte, dass diese aber zuvor ermordet worden sei. Zudem sollte er einmal Kommandant werden und bei Narg einiges darüber lernen. Dann erzählte Narg die ganze Geschichte der Waisen, mit der Bitte um Unterstützung am Ende, um das eroberte und unterdrückte Land zu befreien. Achlar schaute Narg lange in die Augen, dann stiess er ein Schnauben aus, gefolgt von einem Lachen, bevor er ihm voller Zorn antwortete.

«Ihr ignoriert uns jahrhundertelang, treibt nicht einmal Handel mit uns, bekriegt uns dann und wann und schliesslich dringt ihr in unser Land ein und bringt diese unverschämte Bitte um Hilfe in eurem Krieg vor. Ich sage Nein, ihr bekommt keine Hilfe. Verlasst unser Land innert zwei Tagen oder ihr geht nirgendwo mehr hin. Ihr seid entlassen.»

In diesem Moment loderte Wut in Narem empor und ebenso loderten in dem Zelt die Flammen für einen Moment urplötzlich auf. Narem wusste noch gar nicht genau was geschehen war, wunderte sich immer noch über den urplötzlichen Flammenausbruch, als der König der Zwerge schon einen kehligen Laut in seiner Sprache ausstiess. Dann hatten auch schon alle Waisen wieder eine Axt im Genick. Ebenso drückten dem Magier hinter Achlars Stuhl zwei Äxte von beiden Seiten gegen den Hals.

«Was soll das Magier, wir kennen uns schon seit so vielen Jahren und jetzt verrätst du mich, wegen ein paar anderen Menschen, deren Vorfahren du vor etlichen Jahren einmal kanntest?»

«Achlar, deine Wächter sollen die Waffen senken, sofort! Das gefällt mir nicht, ich war das nicht.»

Diese Antwort des Magiers führte zu noch grösserer Aufregung und verstärkte den Druck des Stahls gegen Narems Genick, sodass ein kleines Blutrinnsal an dessen Rücken runterlief. Narem fragte sich, was da eigentlich los war. Er hatte irgendwie ein ungutes Gefühl und wurde mit jedem gesprochenen Wort immer verwirrter und verwirrter. Die Waffen der anderen Zwerge senkten sich jedoch sofort von Damrons Hals und dieser schaute jeden der Waisen mit seinen unergründlichen, blauen Augen an. Dann mussten alle die Augen schliessen, was Narem auch tat. Damron befahl dann allen, die nach den Worten des Zwergenkönigs keine Wut und keinen Hass verspürt hätten, die Augen zu öffnen, was zu keinem Ergebnis führte. Dann musste jeder den linken Arm ausstrecken, mit der Handfläche gegen oben. Narem hörte immer wieder einen Schrei von einem der Waisen, als Damron eine Fackel nacheinander unter jede Hand hielt. Narem selbst war der letzte in der Reihe und der Magier befahl ihm, die Augen zu öffnen. Dann hielt er Narem die Fackel unter die Hand, der sofort die Hitze spürte, als seine Hand blasen warf. Doch in diesem Moment überspülte ihn wieder eine unglaubliche Wut auf die Zwerge und den Magier, der ihn hier verbrannte. Im selben Moment erlosch die Fackel unter seiner Hand urplötzlich. Narem verstand die Welt nicht mehr. Er fragte sich, was da eigentlich gerade geschehen war. Damrons Augen weiteten sich unterdessen und er schrie in der kehligen Sprache der Zwerge einige Worte, sodass bald die Speere der Waisen in den Händen der Zwerge lagen und alle auf Narems Hals gerichtet waren. Dann begann Damron ihn auszufragen.

«Wer bist du?»

«Ich bin Narem.»

«Warum bist du hier?»

«Ich bin eine Waise.»

«Wer waren deine Eltern? Waren sie Mörder, Diebe?»

«Ich kann mich nicht an sie erinnern.»

Narem antwortete immer gleich und die Wut in seinem Inneren steigerte sich wegen dieses Verhörs und ob der Beleidigung seiner verstorbenen Eltern, die er sich immer als Ritter oder Hofdame vorstellte so sehr, dass er glaubte, er würde platzen. Schon wieder loderten die Flammen in dem Zelt hell auf.

Dann sprach Damron, «der letzte Magier», wieder ruhig zu ihm, er solle sich entspannen und die Zwerge legten sogar ihre Speere weg. Damron nahm dann wieder wie auf ein unsichtbares Zeichen hin seinen Platz hinter dem König ein, wobei er diesem noch einige Worte ins Ohr flüsterte. Daraufhin übernahm wieder der König das Sprechen.

«Entschuldigt den Magier für diese Massnahmen, aber es kommt nicht oft vor, dass wir einen Magier zu Besuch haben. Insbesondere keinen solch starken Magier.»

«Es kann fast nicht sein, dass Narem ein Magier ist. In der Hauptstadt werden alle Kinder darauf untersucht, ob sie Magier sind.»

Nach diesen Worten schaltete sich Damron ein.

«Nicht jeder Magier entwickelt sich so früh, vor allem kein Magier wie er. Aber er muss lernen mit seiner Magie umzugehen. Deshalb muss er bei mir bleiben und mich als seinen Meister anerkennen.»

«Warum, damit du mir wieder die Haut verbrennen kannst?»

Narem entgegnete dies immer noch wütend.

«Das war ein Test, ich musste herausfinden wer der Magier ist.»

Damron blieb unterdessen völlig gelassen.

Dann begann der König der Zwerge wieder zu sprechen. «Wenn dieser Junge sich ausbilden lässt, werde ich euch helfen. Dann werden wir dieses Land erobern. Ich wollte nicht helfen, weil wir keine Chance hatten, doch nun haben wir eine. Denn dieser Junge ist stark. Ich weiss welche Gräuel der General den Menschen antut und ich bezweifle, dass er uns in Ruhe in den Bergen leben lässt. Ich war einfach wütend ob unserer eigenen Chancenlosigkeit, ich befürchtete das Schlimmste für mein Volk, entschuldigt mich. Wir werden helfen. Wir, die Zwerge, das älteste aller Völker, werden in den Krieg ziehen und mit euch Schulter an Schulter den neuen König bezwingen und seinen Magier töten.»

«Meinen Dank, für die Hilfe, Narem wird sich ausbilden lassen.»

Während Narg dies für Narem entschied, legte er so viel Ehrerbietung in die Stimme, wie er aufbringen konnte.

«Wenn wir den König und seine Familie dafür rächen können, dann lasse ich mich ausbilden, Meister.»

Dies versicherte Narem seinem neuen Meister und freute sich schon auf den Tag, an dem er die Chance auf Rache erhalten würde.

«Gut, komm zur Mittagsstunde in mein Zelt, dann beginnen wir mit deiner Ausbildung.»

Gleich nach diesen Worten setzte Damron wieder eine gelangweilte Miene auf.

«Ihr dürft in euer Lager zurückkehren und euch ausruhen, meine Krieger sichern das Gebiet, ihr benötigt keine Wachen.» Der König der Zwerge erklärte dies mit einer Stimme, die allen Waisen zeigte, dass sie entlassen waren. Die Waisen drehten sich auf dem Absatz um und schritten aus dem Zelt und in ihr Lager, wo sie sich zur Ruhe begaben, obwohl alle aufgewühlt waren, denn es gab bei den Waisen einen uralten Spruch. «Wenn du in den Krieg ziehst und entweder nachdenken oder schlafen kannst, dann schlafe. Denn nachdenken kannst du in der Schlacht noch, doch mit dem Schlafen wird es schwierig.»

Trotzdem war Narem aufgewühlt. Er war sich sicher, dass er keinen Schlaf finden würde. Zuerst würde er all das Gesehene verarbeiten müssen, was eine Zeit dauern würde. Zusätzlich fragte er sich, wie er ein Magier sein könnte und ob er bei einem Verrückten in die Lehre gehen würde, denn so ganz richtig im Kopf schien ihm dieser Damron nicht zu sein. Doch wenn ihn das in die Nähe der wunderschönen Cania bringen würde und er obendrein noch seinen ermordeten Freund, den Prinzen rächen könnte, dann würde er es tun, da war sich Narem ganz sicher.



5


Als die Sonne im Zenit stand, verliess Narem sein Zelt und machte sich auf den Weg. Inzwischen waren auch die restlichen Zelte der Krieger aufgebaut worden und nahezu alle schliefen nach den Anstrengungen des Gewaltmarsches. Um die Wache mussten sie sich ja nicht mehr kümmern, seit Achlar ihnen gesagt hatte, seine Zwerge würden diese übernehmen. Narem vertraute ihm zwar nicht, aber wie sie ja letzte Nacht gesehen hatten, waren ihre Wachen nicht dazu im Stande, den Magier aufzuhalten. Im selben Kreis, wie gestern Abend noch die Waisen ihre Gefährten bewacht hatten, standen nun die Truppen Achlars verteilt. Sie schauten jedoch nicht alle in eine Richtung, wie das bei Wachen im Kreis üblich war. Die Hälfte der Krieger hielten nach Gefahren von aussen Ausschau, während die andere Hälfte das Lager der Waisen im Auge behielt. Offenbar vertraute Achlar den Waisen genauso wenig, wie Narem Achlar vertraute. Dies war ja eine gute Basis für eine Zusammenarbeit, dachte sich Narem, während er die Wachen gedankenverloren betrachtete.

Sie alle waren klein gewachsen, aber sehr muskulös, so dass sie durchaus als stämmig beschrieben werden konnten. Alle trugen dicke Plattenrüstungen aus Metall, die mindestens ihr eigenes Gewicht wogen. Über den Rüstungen trugen sie noch Überwürfe aus Fell. Auf ihren Köpfen trugen sie Halbhelme mit Nasenschutz, sodass ihre buschigen Bärte gut zu sehen waren. Diese hatten die unterschiedlichsten Formen und Farben. Von hellblond, über rot und braun bis hin zu schwarz waren alle vorhanden. Zudem waren manche sorgfältig gestutzt, andere wild und zerzaust und wieder andere hatten ihre Bärte geflochten. All dies hatte Narem schon mächtig beeindruckt und erst ab da begann er die Reittiere der Zwerge zu bestaunen. Diese waren etwa drei Schritte lang und hatten eine Schulterhöhe von anderthalb Schritt. Mit diesen Massen wären sie wohl weniger beeindruckend gewesen als die Pferde der Waisen, doch erstens waren die Reittiere in komplexe Kettengeflechte gekleidet und zudem handelte es sich bei den Reittieren um mit braunem Fell bewachsene Ungeheuer, mit muskulösen, krallenbesetzten Vorder- und Hinterbeinen. Darüber hinaus hatten diese Reittiere einen grossen Kopf mit einer Schnauze, die einem gut und gerne den Arm hätte abbeissen können. Nachdem er lange eines der Reittiere betrachtet hatte, sprach ihn der Zwerg, der darauf sass an.

«Ein bisschen beeindruckender als eure scheuen Pferde sind unsere Bären schon oder? Die würden dein Pferd glatt zum Abendessen verspeisen.»

«Ja, wahrlich imposant. Ich bin nur froh sind wir keine Feinde.»

«Wäre ich an deiner Stelle auch.».

Diese Arroganz des Zwergs ging ihm jetzt schon auf die Nerven. Deshalb dachte Narem zuerst einen Moment nach, rang sich jedoch dazu durch die Frage zu stellen, denn der Zwerg schien alles in allem doch freundlich zu sein.

«Meinst du ich könnte auch so einen Bären als Reittier erhalten?»

Der Zwerg lachte Narem nur aus, sodass dieser es aufgab und davontrottete. Der Zwerg rief ihm jedoch noch höhnisch etwas hinterher.

«Du bist ja noch nicht einmal voll ausgebildet als Waise, wie willst du dann unsere Bären besteigen?»

Narem schaute nicht zurück. Scheinbar waren die Zwerge doch nicht so freundlich wie er es gedacht hatte. Er fragte sich trotzdem durch bis zu einem Zwerg, der ihm den genauen Weg zu Damron, seinem neuen Meister, weisen konnte.

Er ging dann ausserhalb des Zwergenlagers etwa tausend Herzschläge lang den Berg steil nach oben, immer schön in Zickzacklinien, bis er die Steinformation fand, die ihm der hilfsbereite Zwerg beschrieben hatte. Dort klopfte er zweimal kurz und dann zehnmal lang an den grössten Stein. Dies sollte ein geheimes Zeichen sein, hatte der Zwerg ihm erläutert. Doch es geschah nichts. Nun war Narem wütend. Er fragte sich, ob er auf einen dummen Scherz hereingefallen war und wollte schon wieder ins Lager zurückkehren, als der Stein sich wie von selbst zuerst nach vorne und dann zur Seite bewegte. Im freigewordenen Durchgang, der zwei auf zwei Schritte mass, stand Damron. Wie am Vorabend auch trug letzterer ein graues Kapuzengewand. Er winkte Narem zu sich und lud ihn ein, die Höhle zu betreten. Narem folgte ihm und hinter ihm bewegte sich der Stein wieder an seinen Platz. Nun war er also diesem Magier schutzlos ausgeliefert. Er folgte ihm trotzdem einen Gang entlang, der leicht nach unten geneigt war. Nach hundert Schritten, Narem hatte mitgezählt, öffnete sich der Gang in eine Kaverne. Sie war riesengross, er konnte nicht einmal bis ans Ende sehen. In einer kleinen Ecke stand eine schmale Pritsche, die dem Magier offenbar als Bett diente. Weiter hinten stand ein riesiges Regal, das voll war mit Schriftrollen. Gleich daneben stand ein Arbeitstisch mit Pergament, Schreibfedern und einem Tintenfass. In einer anderen Ecke sah Narem Hühner, drei Schafe und sogar eine Kuh, die grasten. Daneben lagen sogar noch Felder, auf denen Damron etwas angepflanzt hatte. Schliesslich fragte er sich, wie dort überhaupt etwas wachsen konnte, als er den Bach erblickte, der aus der Decke kam, in einen See floss, aus dem See raus und dann wieder im Boden verschwand. Zudem stand in einer weiteren Ecke noch ein Waffenständer, auf dem die unterschiedlichsten Waffen lagen und Rüstungen hingen, von denen Narem noch nie etwas gesehen hatte. Er war erst einige Augenblicke dort und war sich sicher, dass er sich die nächsten hundert Jahre hätte umsehen können und immer wieder etwas Neues entdeckt hätte. Als er sich wieder zu Damron drehte und mindestens hundert Fragen hatte, glaubte er über das Gesicht seines neuen Meisters einen Schatten des Erkennens huschen gesehen hatte und seine Fragen blieben ihm im Halse stecken.

«Beeindruckend nicht wahr?»

«Ja, ich weiss gar nicht was ich fragen und wo ich hinsehen soll.»

«Setz dich erstmals dort an den Steintisch, damit ich gemütlich mit dir sprechen kann und dir die Regeln erklären kann.»

Der Magier schien viel netter zu sein, als er am Vorabend im Zelt Achlars gewirkt hatte. Narem setzte sich in der Nähe des Sees auf einen Hocker aus Stein. Vor ihm stand ein massiver Granittisch und auf der anderen Seite des Tisches, wie um den ganzen runden Tisch herum stand ein Hocker. Auf diesem liess sich Damron nieder, nachdem er zwei Becher Wasser aus dem Bach geschöpft hatte. Er stellte einen Becher vor sich hin und einen vor Narem. Dieser schaute den Becher skeptisch an. Schliesslich rang er sich durch und sprach seinen Meister dann doch an.

«Hast du keinen Wein, oder Bier?»

Damron seufzte auf und machte ein enttäuschtes Gesicht, sowie eine abschätzige Geste.

«Was habe ich nur erwartet. Ein Soldat mit den Manieren eines Soldaten. Pahhhh.»

«Was ist los, bin ich nicht so wie du es erwartet hast? Dann gehe ich wieder.»

Jetzt war auch Narem aufgebracht, als sein Gegenüber plötzlich losdonnerte.

«Hat man dich keinen Respekt gelernt Junge? Nur weil du ein Vertrauter eures Kommandanten bist? Wurdest du die letzten zehn Jahre verwöhnt?»

«Ich durchlief eine härtere Ausbildung als du dir vorstellen kannst.»

«Oh nein Junge. Ich habe schon Gossenjungen gesehen, die hatten mehr Anstand als du. Ab sofort redest du mich respektvoll an. Du sprichst mich mit Meister an und verlangst nie wieder ein Bier. Der Alkohol ist ab sofort tabu und wenn ich je wieder eine solche Respektlosigkeit von dir vernehme wirst du etwas erleben. Ist das klar?»

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739439518
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Krieger Magie Waise Fantasy Zwerge Liebe Prinzessin Episch High Fantasy Romance

Autor

  • Patrik Gasser (Autor:in)

1. Veröffentlichtes Buch
Zurück

Titel: Der trauernde Waisenkrieger