Lade Inhalt...

Noch drei Monate zu leben

von Georg Braun (Autor:in)
129 Seiten

Zusammenfassung

Die Stuttgarter Erfolgsanwältin Renate Drachenberger geht zum Frauenarzt und erhält die niederschmetternde Botschaft: Sie hat noch drei Monate zu leben. Sie beschließt, die restliche Zeit ohne ihre Familie – Mann Olaf und die noch kleinen Kinder Maja und Tim – zu verleben. Als erstes löst sie die Kanzlei auf. Sie irrt obdachlos durch Stuttgart, weil sie ihren Kindern ihr Leiden ersparen möchte. Nachdem die Odyssee durch die Heimat und die Vergangenheit keinen Halt geboten hatten, entflieht sie auf Gran Canaria. Dort lernt sie den Arzt Roy Manfeld und dessen Familie kennen, die wie sie den Urlaub verbringen wollen. Zwischen dem Arzt und Katja beginnt eine Liebelei, die der Arzt aus Angst vor der Trennung von Frau und Tochter bald aufgibt. Katja tut ihm leid. Er kennt einen bisher unbekannten, aber erfolgversprechenden Weg der Krebsheilung. Katja wird wieder gesund. Doch als sie gesund nach Hause zurückkehrt, erwartet sie die nächste Überraschung …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Noch drei Monate zu leben

Roman

Georg Braun


Deutschsprachige Erstausgabe September 2019

Copyright © 2019 Georg Braun

Alle Rechte vorbehalten

Paperback: ISBN-13:


Brutale Wahrheit

Der Hals fühlte sich trocken an. So staubig, dass man Sand hätte rieseln hören können. Die befremdliche Ruhe, die die Damen vereinte, weil die Angst sie beherrschte, stockte ihren Atem. Das Schweigen verband in der erwartungsschwangeren Stimmung, die allen aufs Gemüt schlug. Jene Frauen hofften noch, die meisten ahnten jedoch, was auf sie zukommen würde. Der halbvertrocknete Gummibaum, der das Wartezimmer schmückte und zur Hälfte ausfüllte, stand symbolisch für die vorherrschende seelische Verfassung. Mit einem Mal könnte alles aus sein. Der Lenker ihres Schicksals drückte „End and Over“. Das Leben fiel in den Schlund der Sinnlosigkeit. Dabei hatte es gerade erst richtig begonnen.

Sie stierte an die kahle, weiß gestrichene Wand. Sie fühlte sich wohl dabei. Die Leere entsprach ihrer Gefühlslage.

»Ja, ich bin leer. Schließlich ahne ich, was mich erwartet.« Sie saß nicht einsam und allein im Wartezimmer. Wie im Schlachthof zitterten fünf weitere Frauen mit ihr im Raum und wirkten äußerst angespannt. Warteten auf das Finale. Den endgültigen Bolzenschuss, der ihre Träume wie Plastik zersplitterte.

»Die kucken auch alle wie zehn Wochen Regenwetter. Alle warten auf das Urteil des Arztes.«

Katja fühlte wie die anderen Frauen, eine ernstgemeinte Änderung ihres Lebens heranschleichen. Leise und diskret. Hinterlistig grub sich eine Krankheit erst in ihren Leib, dann in das gesamte Leben. Sie fragte nicht, ob sie erwünscht wäre. Sie bat nicht um Einlass. Sie machte einfach. Und schuf sich Bahn, genauer, fraß sich in die Blutbahn. Das ahnte sie und aus dem Grund suchte sie am 16.9.2016 das Arztzimmer von Dr. Manfred Gruber in Degerloch auf. Er war der Gynäkologe ihres Vertrauens. Er kannte sie, seit sie quasi die erste Regel hatte. Die Mutter schleppte sie zu Dr. Gruber. Sie kannte ihn über dessen Frau, Schulkameradinnen eben.

»Katja, kommen Sie herein.« Die Anrede entsprach der Beziehung der beiden. Den Vornamen behielt er bei, weil er mit der Patientin seit ihrer Kindheit bekannt war. Das »Sie« drückte den Respekt gegenüber der erwachsenen jungen Dame aus. Schließlich handelte es sich bei Katja Maurer um eine dreiunddreißigjährige Mutter zweier Kinder. Maja, sechs und Tim vier Jahre. Und eine erfolgreiche Strafverteidigerin trotz des jugendlichen Alters. Sie lebte und Stuttgart und man kannte sie.

»Wie fühlen Sie sich?«, erkundigte sich der Arzt mit seiner üblichen, professionellen Miene. Dabei musste er es doch wissen, in welcher emotionalen Verfassung sein Gegenüber wäre.

»Wie fühle ich mich? Gute Frage. Wie alle, die da draußen im Wartezimmer sitzen und auf eine Hiobsbotschaft warten«, antwortete sie mit einer gefassten Trauer.

»Sie rechnen nur mit dem Schlimmsten?«, machte er Katja beinahe Mut. Fast schon verantwortungslos, diese Frage.

»Hören Sie bitte auf, Theater zu spielen«, reagierte seine Patientin unwirsch und von dem langen Warten genervt. »Die meisten Frauen erhalten doch ihr Todesurteil ausgehändigt.«

»Jetzt bleiben Sie auf dem Teppich und hören auf, mich zu beleidigen. Ja, Schreckensmeldungen gehören zu meinem Job. Ich würde jeder Frau liebend gerne nur das Beste wünschen. Ich lüge aber nicht.«

»Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter.«

»Auf die Folter spannen? Diese Zeiten sind vorbei. Können Sie überhaupt die Wahrheit ertragen, ich meine in Anbetracht Ihres dünnen Nervenkostüms?«

Diese Reaktion überraschte sie, aber gab ihr eine Vorahnung, die sie endlich verbalisiert schwarz auf weiß sehen oder hören wollte.

»Katja, ich habe die Ergebnisse der Gewebeprobe vorliegen. In ihrer rechten Brust befindet sich ein bösartiges Karzinom. Es beißt sich regelrecht durch die Brust und es besteht nicht die geringste Chance einer zielführenden OP.«

»Äh, ja, äh. Was heißt das?«, fragte Katja verwirrt.

»Drei Monate.«

»Was, drei Monate?«

»Regeln Sie Ihre Angelegenheiten. Sorgen Sie sich um Ihre Kinder und genießen die letzte Zeit.«

»Moment, Dr. Gruber. Woher wollen Sie exakt wissen, wie lange ich zu leben habe? Spielen Sie nicht den lieben Gott.«

»Frau Maurer, ich spiele keine Rolle. Sie wollten die Realität, jetzt macht Sie Ihnen Angst. Todesangst. Verstehe ich.«

»Hören Sie, ich bin zeitlebens eine Kämpferin gewesen. Aufgeben ist nicht. Bitte, forschen Sie nach Möglichkeiten, wie ich doch noch gesunden kann, bitte.« Gruber drehte ab. Er dachte an die Forschungen der Dr. Kübler-Ross, einer schweizerischen Forscherin, die in die Staaten ausgewandert war. Die zweite Sterbephase lautet »Verleugnung«. In jener schien seiner Meinung nach Katja gerade zu sein.

»Frau Maurer, wir kennen uns schon etwa zwanzig Jahre. Sie hatten mir immer vertraut, wieso verlieren Sie ausgerechnet jetzt das Zutrauen in meine ärztliche Kompetenz?«

Sie überhörte die Frage und reichte nicht mal dem Doktor zum Abschied die Hand, was er ihr nachsah. Sie stapfte vor die Praxis und kämpfte mit der Realität, die sie als Juristin gerne ein wenig hinbog.

So genau, wie der Frauenarzt die Lage erläuterte, wollte sie es nicht wissen. Sie hatte geahnt, worauf Gruber abzielte. Sie lehnte die Botschaft ab. Nein, das entsprach weder der Wahrheit noch ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden. Sie hatte erst vor drei Jahren angefangen, eine bekannte Juristin zu werden. Sie kämpfte um die Gerechtigkeit anderer. Straftäter boxte sie aus der Haft. Aber selbst? Sie wurde Opfer einer minimalen Krebsgeschwulst, die sich durch die Brust fraß. Ihre Methoden griffen nicht. Sie war gewohnt, für alle Probleme des Daseins ein Mittel zu haben. Eine Strategie zurechtlegen, eine Recherche durchführen. Doch jetzt ging es um was anderes. Es ging ums Ganze. Um sie. Und um niemand anderen.

»Wie bringe ich die Nachricht Olaf bei? Und den Kindern?«

Bei dem Gedanken an Maja und Tim schossen die Tränen das geschminkte Gesicht runter. Sie ließ alles zu. Warum schönen? Ich verlege meinen Wohnort sowieso bald unter die Erde. Dafür brauche ich keine Schminke mehr.

Katja war fertig. Sie torkelte wie ein Betrunkener aus der Praxis und wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Ihre Eltern, Kurt Brandauer, 65, und die fünf Jahre jüngere Mutter Ilse, passten zur Stunde auf die Kinder auf. Sie in ihrem jetzigen Gefühlszustand aufzusuchen, würde alle aus dem Gleis werfen. Fürs Erste reichte, dass sie mit dem Schicksal haderte. Sie richtete die wässrigen Augen gen Himmel. Ihre religiöse Ader wirkte sehr unterentwickelt, zählte sie sich selbst eher zu den Agnostikern. Mit Gott hatte sie es nicht so eng. Sie vertraute mehr ihren eigenen Möglichkeiten. Aber jetzt, wo alles anders werden würde, könnte es nicht schaden, doch mal um himmlischen Beistand zu flehen. Es könnte sein, dass …

»Ja, Mama, was ist?«, fragte sie plötzlich ihre Mutter, die ihren Gedankenkreisel durch ihren Anruf abrupt abstoppte.

»Katja, was ist passiert? Du wolltest doch nach dem Arztbesuch Tim und Maja abholen?«

»Mir ist was dazwischengekommen. Wird später.« Die Lüge musste sein. Sie kämpfte berufsmäßig um die Wahrheit, wenn sie für den Mandanten günstig kam. Jetzt bot ihr die Notlüge einen kleinen Freiraum. Luft zu holen und die Gedanken ordnen.

Der Weg in die Innenstadt schien ihr seelisch verbaut. Sie befürchtete, einige der vielen Bekannten würden sie erkennen und etwa ansprechen. Nein, das löste Brechreiz aus. Rechtfertigen für eine Notsituation, für die sie nichts konnte. Darauf verzichtete sie liebend gerne. Sie erkannte plötzlich wieder, wo sie lief.

»Dort vorne muss der Degerlocher Park sein. Hier möchte ich hin, auf eine Bank sitzen und warten, was mir die Gedanken so flüstern.«

Sie betrat die mit Sträuchern überwucherte Parkanlage und stellte fest, wie belebt der Platz zu dem Zeitpunkt war. Viele Kinder tobten auf dem Spielplatz und nahmen kaum Notiz von ihr.

»Die haben alle noch ihr Leben vor sich. Ich …« Sie erlebte das Wuseln der Kids als Kontrast zu ihrer eigenen, brutalen Befindlichkeit. Erstmals, seit sie denken konnte, drängte der Gedanke der Endlichkeit des Lebens an die Bewusstseinsoberfläche und besetzte ihren Gedankenkreis. Die kindliche Lebhaftigkeit schmerzte sie. Ja, die Kinder fügten ihr Leid zu, ohne es zu wissen. Schweres Leid.

»Die sind brutal zu mir. Sie verdeutlichen mir, dass sie leben. Ich bald nicht mehr.« Sagte es und verließ den zweiten schmerzhaften Ort an dem Tag. Nach der Arztpraxis Dr. Grubers.

Die Wahrheit tut weh

Olaf Maurer arbeitete als Vorstandsvorsitzender der Pekunia AG. Eine Vermögensberatungsgesellschaft mit dem Versprechen der bestmöglichen Geldanlage. Ob die Zusagen immer aufrechterhalten werden konnten, verriet Olaf nur zögerlich.

»Viele Unternehmen befinden sich in direkter Abhängigkeit der Global Player in den Staaten. Da können leider nur etwa siebzig Prozent der Versprechen gehalten werden. Den anderen bieten wir alternative Optionen an.«

Charmant, wie er die eingeplante Verlogenheit verbal verpackte. Der kleine Mann, der Gott sei Dank nicht zu den Kunden Maurers zählte, würde ihn vor den Kadi zerren. Unter seinesgleichen verzichtete man auf derart kraftzehrende Scharmützel. Sie ruinierten den beiderseitigen Ruf.

Olaf und Katja lernten sich während des Studiums in Stuttgart kennen. Er, der strebsame Betriebswirt, sie die ehrgeizige und karrieresüchtige Juristin. Die Zielstrebigkeit vereinte die beiden und trieb sie zu Höchstleistungen.

Sie heirateten bald nach ihren Abschlüssen. Der Steuer wegen, wie Olaf schmunzelnd prahlte. Als turtelnde, knutschende, Händchen haltende, junge Menschen traten sie niemals in der Öffentlichkeit in Erscheinung.

»Wie die beiden zu Kindern kamen, ist mir heute noch ein Rätsel«, flachste Gabi Bauer, eine gemeinsame Bekannte.

Für das nach schwäbischen Prinzipien lebende Paar gehörten Kinder dazu.

»Uns kommt sehr entgegen, dass meine Eltern auf die Kids aufpassen.«

Olaf wirkte privat höchst verklemmt und zurückhaltend, er brachte Worte wie „Liebe“ oder „Schatz“ niemals über die Lippen.

»Eine Ehe muss funktionieren, sonst brauche ich sie nicht. Wenn die Frau Zicken macht, suche ich eine Haushälterin und gut ist«, sagte er Gabi, als sie ihn dezent auf seine sachliche Sprache Katja gegenüber angesprochen hatte.

Der auswärtige Olaf gab ein deutlich anderes Bild ab. Von wegen prüde und zurückhaltend. Die Insider äußerten unabhängig, er hätte nur aus Prestigegründen Katja geheiratet. Sie entsprach den üblichen Wertvorstellungen.

Olaf gab den Mitarbeitern zu verstehen, er möge ungestört bleiben, weil er eine Vorstandssitzung vorbereite.

»Strategiealternativen angesichts des Präsidentschaftswechsels in den USA«, lautete der Titel. In Wahrheit hatte er Besuch. Jenny Kaufmann, die vierundzwanzigjährige Chefsekretärin verwöhnte ihn gerade. Französisch, was er besonders genoss. Die schalldichten Türen und Wände taten das Nötige, damit die Schäferstündchen unentdeckt geblieben waren. Abends fanden die Treffen ihre Fortsetzung. Bei Jenny in der kuscheligen Penthouse Wohnung. Eine Geldanlage Olafs, von der Katja keine Kenntnis hatte. Bei seiner Geliebten ließ er jegliche Hemmung fallen. Da verhielt er sich zügellos, weil Jenny seine sexuellen Wünsche und Vorlieben erfüllte.

Sie stand mehr auf Dildo-Spiele, während er hart rangenommen werden wollte. Olaf blieb so manchen Tag bis spät in den Abend bei seiner Geliebten. Katja war es egal. Sie zog ihre Befriedigung aus gewonnenen Strafverfahren, weniger aus sexuellen Aktivitäten. Das bedeutete indes keinesfalls ein asexuelles Leben. Sie pflegte nur eine intime Beziehung, nämlich zu Olaf. Man schlief wöchentlich einmal miteinander, das genügte ihr vollkommen.

»Schatz, in deinem Terminkalender stand „Katja beim Frauenarzt“. Was kam bei der Untersuchung raus?«, fragte Jenny mit einer echten Besorgnis. Die bezog sich aber auf weniger werdende Treffen mit Olaf, weil sie befürchtete, er würde im Falle einer schlechten Ausgangslage aus Fürsorge mehr Zeit mit Katja verbringen wollen.

»Keine Ahnung, was der Gruber austüftelte.«

»Was? Hat sie dich nicht angerufen?«

»Nein. Findest du das schlimm?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752138443
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Gran Canaria Stuttgart Krebs Heilung Powerfrau Fantasy

Autor

  • Georg Braun (Autor:in)

Geb. 1966 Seit über 25 Jahren beruflich als Lehrer tätig Hat über dreißig Ebooks zu verschiedenen Themen verfasst
Zurück

Titel: Noch drei Monate zu leben