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Im Bann des Walknut: Schwertgesang

von Rolf Suter (Autor:in)
250 Seiten
Reihe: Im Bann des Walknut, Band 4

Zusammenfassung

Mit Männern seines neuen Freundes Hakon segelt Eric zurück in seine ehemalige Heimat, um seine Frau Hild zu holen. Aber Hild folgt ihm nicht. Wieder zurück in seiner neuen Heimat wird Eric auf die Veränderungen seines Freundes Luag aufmerk- sam. Sind es nur Vorahnungen oder ist es schon Wahnsinn bei Luag? Eric reist zu Donnan, um zu sehen, ob Luags Befürchtungen stimmen – gerade noch zur rechten Zeit. Sie stehen Donnan bei und retten Valis Leben. Und wieder werden sie in einen Krieg gerufen, den sie nicht wollen. "Schwertgesang" ist Band 4 der Reihe: Im Bann des Walknut

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Im Bann des Walknut

 

Band 4

 

Schwertgesang

 

von

Rolf Suter

 

 

ELVEA

 

Autor


Rolf Suter, geboren 1959 in Zürich/Schweiz, hat einen handwerklichen Beruf gewählt, den des Malers. Geschichte im Allgemeinen faszinierte ihn schon seit früherster Jugend, hauptsächlich die Geschichte der Germanenstämme und der Kelten – vor allem die der Nordgermanen, der Wikinger. Ihre Epoche, ihr Glauben und die Runen ziehen ihn noch jetzt in Bann.

Nach vielen Reisen nach Skandinavien und England, Besuchen an den Schauplätzen der Geschichte entstand dieses Werk. Suter kennt jeden der Orte, die er beschreibt, er ist Fachmann für die Mythologie der Wikinger. Alle nachprüfbaren Behauptungen seines Werks stimmen.

 

Freies Land, gebrochenes Herz


Nach diesem Sieg kehrten wir zurück in unsere gewohnte Umgebung. In unseren Dörfern hatten wir alle Zeit, um Wunden vernarben zu lassen und genug Zeit, um verlorene Freunde zu beklagen. Mir erging es nicht anders. Die Speerspitze, die mich beinahe das Leben gekostet hatte, befestigte ich auf dem höchsten Punkt meines Hochsitzes als Erinnerung. Auch meine Wunde schmerzte noch zu sehr. Sie hinderte mich daran, meinen Freunden zu helfen. Ich wurde verdammt, ihnen nur zuzusehen. Konnte nur Anweisungen geben. Auch dachte ich an den jungen Donnan, der seinen Vater, einen großartigen Mann, tot nach Hause bringen musste und nun an seiner statt dieses schwere Amt tragen musste. Ich war gespannt, wie er es anging. Doch Vali und seine Schwester würden sicher tatkräftig an seiner Seite stehen. Genauso, wie es Hakon mir versprochen hatte.

Nach einer guten Woche wurde sein rotes Segel mit dem schwarzen Eberkopf gesichtet. Es hielt auf uns zu, bog in den Fluss und legte sicher bei uns an. Hakon selbst sprang als Erster aus dem Schiff und rief.

»Wo ist Eric?«

Ich winkte.

»Hier, Hakon. Warte, ich komme zu dir herunter.« Lachend und mit stolzem Blick umarmte er mich, was mich erstaunte.

»Ich bringe dir Skeld und Ingwar, wie versprochen. Mit ihren ganzen Habseligkeiten.« Alle kamen nach unten. Björn und Hugh riefen nach ihnen und begrüßten sie herzlich. Auch ich begrüßte sie.

»Seid willkommen, meine Brüder. Folgt Björn und Hugh. Sie werden euch euer Haus zeigen, wo ihr von nun an schlafen werdet.«

Sie nickten mir lachend zu und ihre Freude über diese Ankunft war ihnen sichtlich anzumerken.

Zu Hakon sagte ich:

»Musst du zurück? Oder hast du noch Zeit?«

Er lachte herzhaft und sagte:

»Meine Schwester ist mit allem hier vertraut und kennt alles und alle. Sie wird mich noch nicht gleich vermissen. Zu ihrem Schutz habe ich ihr genügend Männer zurückgelassen. Von hier aus besteht erst recht keine Gefahr, wie sie mir versicherte.«

Er blickte mich verstohlen an, was ich sofort bemerkte. Ich sah ihn an. Er zuckte fragend mit seinen Schultern und schmunzelte süffisant.

»So manche lustvollen Geräusche meiner Schwester … aus deinem Krankenzimmer.«

Ich schmunzelte zurück mit den Worten.

»Gudrun ist eine besondere Frau. Mit vielen Fähigkeiten ausgestattet, um einen Mann um seinen Verstand zu bringen. Was ich gern zugebe. Aber nicht nur dies.«

Ich blieb stehen und legte Hakon meine Hand auf seine Schulter.

»Sie hat verstanden, mit ihren Untertanen friedvoll und harmonisch zu leben. Sie versteht die anderen und sucht den besten Weg, um ihn mit ihnen zusammen zu gehen. Wir, Nordländer mit den Angelsaxen und diese verfluchte Kirche.«


Er sah mich an und sagte ernst:

»Das habe ich schon bemerkt, Eric. Nach der Schlacht kamen viele zur Burg und fragten nach meiner Schwester und als sie erschien … ich konnte es nicht glauben, Eric. Glaube mir. Sie jubelten ihr zu. Einige. Nein. Alle. Angelsaxen vor allem knieten sich vor ihr nieder. Bekreuzigten sich vor ihr und erflehten ihren Schutz. Männer, auch unter Waffen, hoben ihre Schwerter in die Luft. Riefen ihren Namen. Traten an ihre beiden Seiten und bildeten einen Schildwall. Schlugen ihre Schwerter gegen den Schildrand und riefen wiederum ihren Namen. Danach kamen viele in den großen Saal. Männer aller Glaubensrichtungen. Sie schworen ihren Eid auf sie und auf mich. Da begriff ich, was Gudrun in meiner Verbannung getan hatte, Eric. Sie glauben an uns. Sie glauben und vertrauen meiner Schwester. Dies will ich auf keinen Fall zerstören. Es ist auch mein Wille. Das Land soll neu auferstehen. Auch ich werde alle dulden und versuchen, wie meine Schwester zu regieren und gerechtes Urteil zu sprechen.«

Ich nickte ihm zu.

»Ein guter Weg, den du einschlägst. Er wird zum Erfolg führen. Suche dabei einen Weg mit den Führern Donnan und Luag, den keltischen Herren hier. Biete ihnen Handel und Frieden an. Gesicherte Grenzen und Unterstützung bei Krieg.« Er nickte mir zu.

»Nun komm in unser Dorf und sei ein erfreuter Gast. Lass mich dich und deine Männer verwöhnen … obwohl mir deine Schwester besser gefallen hätte.« Zuerst sah er mich verstört an. Als er begriff, was ich meinte, lachte er.

»Das kann ich verstehen.«

Stolz führte ich ihn durch die entstandene Siedlung, die er wohlwollend bestaunte. Am Abend feierten wir: Hakon als neuen Herrscher im Süden und die Ankunft unser beiden Waffenbrüder Skeld und Ingwar. Hakon verließ uns am folgenden Morgen wieder und segelte zurück zu seiner Schwester und in sein neues Reich.

Es folgten Tage des Friedens und der Ruhe. Normalität kehrte zurück. Nun diskutierten wir wieder über geplante Projekte und nicht über Waffen und Notfallpläne. Auch Ingwar und Skeld hatten sich bestens integriert, als wären sie schon zu Beginn dabei gewesen. Es schien ein schönes Jahr zu werden. Das Wetter war seit Wochen prächtig, die Temperaturen ausgesprochen warm. Seit der Schlacht gegen Jorvik und seine Verbündete herrschte konstanter Frieden. Zwischen unseren verschiedenen Völkern gedieh langsam der Handel, was auch Luag sichtlich gefiel. Besuche wurden gemacht und Geschenke ausgetauscht.

Hakon war unbestritten Gudruns Bruder. Er trug die gleichen Wesenszüge wie sie: kein Hitzkopf, sondern immer weise abwägend. Er ließ sich zu nichts hinreißen. Auch durften alle auf seinem Land leben. Christen wie Heiden. Kirchen durften nicht angetastet werden, ihre Gläubigen auch nicht. Dies sprach sich schnell herum. Immer mehr zogen in den Norden und fragten bei Gudrun und Hakon nach Land. Nordländer, aber auch Christen. Viele fanden einen neuen Lebensort und schworen den beiden Treue.

Diese Tage des Friedens taten allen gut. Natur und Menschen blühten wieder auf. Wie auch Tyrees Bauch, der sich langsam wölbte und Hugh herumstolzieren ließ. Nun fehlte mir nur noch meine geliebte Hild, dann wäre das Glück vollkommen. Hätte ich genug Männer gehabt, wäre ich mit unserem Raben schon losgesegelt, um sie zu holen. So musste ich auf Ragnars Rückkehr warten.

Als ich an einem Spätmorgen aus dem Haus trat, kam Ullas, der Sohn von Ailpein und Edana, von der Küste angerannt und er rief schon von weitem: »Ein Schiff. Es steuert auf uns zu. Kommt und seht.«

Alle rannten an die Küste. Es war schon sehr nahe und man konnte Personen erkennen, die uns zuwinkten.

Björn fragte: »Ist das Ragnars Schiff?«

Ich verneinte und erwiderte: »Nein, das ist es nicht. Dieses grüne Segel kenne ich nur zu gut. Es ist Snorres Wellenbrecher. Aber was macht es hier? Was bedeutet das?«

Hugh meinte lakonisch: »Das werden wir bald wissen.«

So schnell wir konnten, eilten wir zur Anlegestelle und waren gespannt, wer auf dem Schiff war. Wir standen schon am Anleger. Ich hatte recht behalten, es war Snorres Schiff.

»Was macht Hjalti auf diesem Schiff?«, fragte Björn. Wir sahen zu, wie das Schiff in der Flussmündung drehte; mit ein paar Ruderschlägen würde es uns gleich erreicht haben und anlegen. Am Bug erkannte ich Thorgunna, sie winkte. Schnell waren die Taue festgebunden und Landungsplanken gelegt.

Thorgunna war die Erste, die darüber ging.

»Eric«, rief sie, als sie auf mich zu gerannt kam. Wir umarmten uns, sie flüsterte mir ins Ohr: »Wie geht es deiner Wunde? Verheilt sie richtig? Ich werde sie mir später ansehen.«

Erstaunt sah ich sie an und wollte sie schon fragen, woher sie das wusste. Doch sie kam mir zuvor.

»Nicht nur du hast Träume. Ich habe sie auch gespürt und der Schmerz hat mich aus der Trance gerissen. Aber darüber sprechen wir später. Schau, wer noch mitgekommen ist.« Sie zog mich den Landungssteg hinauf.

»Erkennst du sie noch?«, fragte sie mich und sah mich an. Gespannt schaute ich auf die Neuankömmlinge. Schnell erkannte ich Swanhild und Sten Argeiers Freie. Swanhild hielt ihre Tochter in ihrem Arm und ihr dicker Bauch verriet alles. Sie trug ein Kind. Es folgten ein junger Mann und eine junge Frau. Ich erkannte sie auf Anhieb nicht, Thorgunna klärte mich auf.

»Ketils und Rudas Kinder, Harald und Ira.« Ich begrüßte sie alle, als hätte ich sie erst vor Kurzem verlassen. Es folgte Asnys Mann Jasper. Er strahlte mich an. Dann Ulfar Egilson. Geiri war der Nächste und am Schluss Hjalti, Ragnars Bruder.

»Sei gegrüßt, Eric. Den Met, den du wolltest, habe ich auf dem Schiff.« Ich hielt ihn am Arm fest.

»Du auf Snorres Schiff? Was soll ich davon halten?«

Er sah mich an.

»Ja. Lass uns zuerst die Ladung löschen. Ich werde dir alles später lückenlos erzählen.« Ich nickte ihm zu. Ich sah mich abermals um. Wo war Hild? Ich suchte sie vergebens. Thorgunna wusste dies und trat zu mir.

»Was ist geschehen und wo ist Hild? Wollte sie nicht mit?«

Sie sah mich an.

»Hjalti wird dir alles erzählen. Aber ohne ihn wären wir nicht hier.« Sie fasste meine Hände.

»Sie sagte mir kurz vor der Abreise wörtlich: ›Wenn er mich noch will, kommt Eric persönlich und holt mich‹.« Enttäuscht wollte ich mich abwenden, doch sie hielt mich zurück.

»Verstehe sie! Kaum wusste sie, dass sie deine Frau würde, kam die Entführung. Sie musste zusehen, wie Freunde starben und der Hof abgebrannt wurde. Sie wusste nicht, was mit ihren Eltern geschah. Dann die Schändung, Verstümmelung, ihre Narbe. Dies alles ist nicht leicht für eine so junge hübsche Frau.«

Sie sah mich an.

»Wenn dir an ihr noch was liegt, hole sie dir zurück. Reise in dein Dorf zurück und sieh, was sich alles verändert hat.«

Thorgunna ließ meine Hände los und folgte den anderen. Ohne Antworten blieb ich stehen. Ich folgte erst etwas später. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf.

Als ich eintraf, herrschte freudiges Treiben. Schlafplätze wurden geschaffen und ein Festmahl vorbereitet. Erst im Laufe des Abends hatte ich Gelegenheit, mit Thorgunna zu reden. Ich wollte, dass sie mir alles erzählte. Sie zog mich in eine Ecke, wo uns nicht gleich alle sahen und reden hörten. Ohne Scheu setzte sie sich auf meinen Schoß. Sie fuhr mit einer Hand durch mein Haar. Dann begann sie zu erzählen.

»Seit du mit Einar und seinen Männern fortgingst, hat sich viel getan. Im ersten Jahr starben viele Tiere. Ohne Grund. Wir wussten alle nicht, warum. Die Ernte fiel schlecht aus und die Fische waren selten geworden. Dann kam der Winter. Schneereich, und hart.«

Sie sah mich an.

»Dein Großvater Ronet verstarb kurz nach deiner Abreise. Etwas später verließ uns auch Ingiborg, deine Großmutter. Ihnen folgte Argeier, der beim Holzfällen verunglückte. Doch es kam noch schlimmer. Es schneite ununterbrochen, und dem Schnee folgte eine Kälte, die ich noch nie erlebt hatte. Sie forderte Ruda, Ketils Frau, und aus Mangel an Lebensmittel starb Sif, die Tochter deines Onkels. Gunnvor, Hilds Mutter, konnte den Verlust ihres Mannes nicht verkraften und starb, etwas später deine Eltern auch. Es war ein schlimmes Jahr. Ein Jahr voller Entbehrungen und Schmerzen.«

Diese Nachricht traf mich zutiefst und tat mehr weh als der Speer, der mich getroffen hatte.

»Vater und Mutter. Ich kann ihnen nie mehr in die Augen schauen und erzählen, was ich erschaffen habe.« Tiefe Traurigkeit befiel mich. Doch Thorgunna tröstete mich und fuhr mir mit ihren warmen weichen Händen übers Gesicht und sagte: »Ich soll dir Grüße von Astrid und Ragnar ausrichten. Sie sind alt geworden, und Ketil hofft, dass seine Kinder bei dir eine bessere Zukunft haben.« Ich nickte ihr zu. Sie fasste mein Gesicht zwischen ihre Hände.

»Eric, nimm meinen Rat an. Suche dir eine Mannschaft und segle zurück. Hol dir Hild! Ihr Herz ruft nach dir.«

Wortlos sahen wir uns an.

Dann fragte ich sie. »Was weißt du über Ragnar?«

Sie beugte sich zu mir.

»Ragnar? Ich habe kein gutes Gefühl bei ihm.«

Thorgunna wandte sich mir zu, als wollte sie meine Brustnarbe begutachten. Dann flüsterte sie weiter.

»Er gefällt mir nicht. Er ist nicht wie sein Bruder Hjalti. Der ist aufrichtig und steht zu seinem Wort. Ragnar kam nie in den Hain, um zu opfern, und eines Tages sah ich ein silbernes Kreuz an seinem Hals hängen. Er versuchte, es zu verbergen, aber ich hatte es gesehen. In diesem Jahr besuchte er uns schon sehr früh. Wir dachten, es wäre so weit und er würde uns abholen und zu dir bringen. Aber er entzog sich uns und wollte uns glaubhaft machen, er müsse zuerst noch was erledigen. Sogar sein Bruder sah ihn erstaunt und misstrauisch an. Hjalti glaubte ihm nicht, das konnte ich sehen, Jasper, Ulfar und Geiri auch nicht. Sie sahen sich unentwegt an. So entluden sie die vier großen Fässer bei uns und segelten wieder fort. Was sie aber machten, weiß ich nicht, Eric.«

Während ich mein Hemd schloss, dankte ich ihr und wir begaben uns wieder zu der Festgemeinschaft. Ich ließ den Met noch bei allen wirken. Erst später setzte ich mich zu Hjalti.

»Wo ist dein Bruder Ragnar. Haben ihn wichtige Geschäfte aufgehalten, dass ihr mit Snorres Wellenbrecher gekommen seid?«

Gespannt und mit freundlichem, schmunzelnden Gesicht wartete ich auf seine Antwort. Geiri der meine Frage mitangehört hatte, sah Hjalti verstohlen an. Der hingegen murkste herum. Er suchte nach den richtigen Worten. Ich sah beide mit zusammengekniffenem Auge an, aber immer noch freundlich. Geiri wollte etwas sagen, doch Hjalti hielt ihn zurück.

»Ich habe mit dieser Frage gerechnet, Eric. Ich werde dir erzählen, wie alles gekommen war.« Er nahm einen tiefen Schluck.

»Ich weiß nicht, was mit meinem Bruder geschehen ist. Er ist wie verwandelt.« Kopfschüttelnd drehte er seinen Becher auf dem Tisch und atmet tief durch. Mein Blick bewog ihn, weiter zu erzählen.

»Wir segelten von hier ab und das Wetter war günstig. So erreichten wir den Herbstmarkt in Kaupang zur rechten Zeit. Die Geschäfte liefen prächtig. Der Geldbeutel füllte sich sehr gut. Da machte mein Bruder Bekanntschaft mit einem Kuttenträger. Einem Kirchenmann. Ich sah ihn häufig mit ihm zusammensitzen. Er erzählte ihm von seinem Gott und wie gnädig und gütig er sei. Er nahm Ragnar richtig in Beschlag. Jeden Tag erschien er bei uns. Manchmal verließ er uns mit meinem Bruder. Wohin sie gingen, das weiß ich nicht. Das Einzige, was ich weiß … Ragnar veränderte sich von Tag zu Tag. Sein Wesen und seine Denkart. Eines Tages kam er zurück. Er hatte Thors Hammer abgelegt und trug nun ein kleines Kreuz um den Hals. Er erzählte uns stolz, dass er sich hat taufen lassen. Ragnar begann auf einmal von diesem Gott zu erzählen und versuchte, uns auch auf seine Seite zu ziehen. Wir besuchten deine Familie, dann segelten wir zu uns. Bis wir ankamen, hatte er die halbe Mannschaft bekehrt. Doch in unserer Siedlung gab es noch keinen Priester. Im Frühjahr – der Schnee begann erst zu schmelzen – richtete er schon sein Schiff. Er drängte von Tag zu Tag zur Abreise. Wir segelten warum auch immer viel zu früh. Unser Kurs war südwärts. Ich bestand darauf, bei deiner Familie vorbeizusehen, was ihm gar nicht gefiel. Kaum waren wir dort, drängte er zur Weiterfahrt. Es zog ihn wieder nach Kaupang. Doch dort suchte er seinen Priester vergebens. Er war angeblich nicht mehr hier. Aber einige Einwohner erzählten uns, dass er etwas südwärts eine Hütte gebaut hatte. Ragnar wollte zu ihm, mit allen, die auch wollten. Wir blieben in Kaupang. So zogen sie los und kamen getauft zurück. Es kam zum Eklat und wir überwarfen uns. Er suchte für uns Ersatz und segelte ohne Worte fort. Wir vier mussten einen Händler suchen, der nordwärts fuhr und uns mitnahm. Er brachte uns zu deiner Familie. Snorre gab uns sein Schiff, damit wir zu euch segeln konnten. Am liebsten hätte er sein Schiff selbst gesteuert, aber er ist zu alt. Und es fehlt ihm die Kraft.«

Geiri bestätigte Hjaltis Geschichte.

Da stand ich auf und fragte alle Anwesenden im Raum: »Wer will mit mir in meine alte Heimat segeln und noch die abholen, die zu uns ziehen wollen?«

Hjalti stand auf und rief mit lauter Stimme: »Ich werde mit dir kommen. So kann ich Snorres Schiff zurücksteuern.«

Ulfar und Geiri standen ebenfalls auf und bekundeten so ihre Teilnahme. Alle drei sahen mit fragendem Blick auf Jasper hinunter, der dann, sicher innerlich verfluchend, doch einwilligte. Sein verzweifeltes Gesicht sprach Bände. Kaum hatte er seine Asny in den Armen gehalten, als er sie auch schon wieder verlassen musste.

Hjalti fragte mich: »Willst du mit einem Schiff zurück?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich werde mit unserem Raben segeln. Halfdan, Björn und Skefill segeln auf meinem Schiff.«

»Und von wo willst du den Rest der Mannschaft bekommen?«, fragte Hugh.

»Ich mache mich morgen zu Hakon auf und bitte ihn, mir zehn oder zwölf Männer zu geben.« Hugh brummte etwas vor sich hin. Ich wusste genau, was er dachte.

»Du bleibst bei deiner Tyree und passt auf sie auf. Du und Ole bestimmt in meiner Abwesenheit über das Dorf.«

 

Am folgenden Tag machte ich mich Richtung Bebanburg auf. Ich genoss den Weg. Ich sah Vieh, das friedlich auf den Weiden graste. Vereinzelt kamen mir Händler entgegen, die freundlich nickten, als sie mich passierten. Wie schön Frieden war!

Als ich die Burg betrat und ich mich nach Gudrun und Hakon erkundigte, wiesen mir alle den Weg zur Halle, wo ich sie auch beim Urteilefällen antraf. Ich wartete etwas abseits und hörte ihnen zu. Später begrüßten wir uns und setzten uns an einen Tisch. Ich erzählte ihnen von Ragnar und seinem Sinneswandel, um dann meine Bitte zu stellen.

»Ich habe vor, in mein Heimatdorf zu segeln. Aber mir fehlen mindestens zehn Männer und ein Steuermann, da ich noch nicht genug Kraft habe, um das Steuer selbst zu halten. Wenn ihr mir diesen Wunsch erfüllen würdet, kann ich beide Boote besetzen.«

Gudrun mischte sich nicht ein, da es sich um die Männer ihres Bruders handelte.

»Was zieht dich zurück in deine alte Heimat, Eric?«, wollte er von mir wissen.

»Meine Frau. Zu lange hat sie auf mich warten müssen und wenn sie noch will, nehme ich sie mit.« Hakon nickte, als ihn die Stimme Bodos umdrehen ließ.

»Von eurem Eisland träume ich schon lange. Gern würde ich es sehen und kennenlernen. Ich würde mich als erster Freiwilliger melden.« Gudrun sah ihn verwundert an.

»Das wäre dein Traum, Bodo?«, fragte sie ihn. Bodo nickte.

Da beschloss Hakon: »Dann wirst du einer von ihnen sein.« Ich blickte zu Bodo.

»Warst du schon einmal auf einem Schiff?« Er verneinte. Hakon lachte amüsiert.

»Dann wird es ein echtes Abenteuer für dich werden.« Er wandte sich wieder mir zu.

»Einen Steuermann habe ich und die restlichen Männer lassen sich finden. Wann willst du segeln?«

»Spätestens in einer Woche. Ich will vor dem Herbst wieder hier sein.« Hakon nickte erneut.

»Gut, Eric. Bodo wird die Männer zu dir bringen.«

Der Tag war schon fortgeschritten und ich entschied, auf Wunsch beider hier zu übernachten. Met wurde aufgetischt. Fleisch und Fisch serviert. Später stand ich auf der Burgmauer und sah aufs Meer. Wie lange war es her, dass ich dort draußen war? Das Geräusch der Wellen gehört hatte, die an die Planken klatschten und wie der Wind mit dem Segel spielte. Gudrun riss mich aus meiner Träumerei. Sie legte mir ihre Hand auf den Rücken.

»Störe ich dich?« Ich drehte mich zu ihr.

»Nein. Leiste mir Gesellschaft. Ich war mit meinen Gedanken auf See.«

»Ich kenne keinen Mann, der das Meer nicht vermisst. Mir bedeutet es nicht so viel, obwohl ich auf das Geräusch der Wellen nicht verzichten könnte.«

So standen wir gemeinsam an der Mauer und sahen zu, wie Skinfaxi seinen Sonnenwagen im Meer versinken ließ und seinem Bruder Hrimfaxi Platz machte, der den Mond zog. Wir genossen die Nacht und das Bett. Am Tag darauf begab ich mich zurück. Thorgunna sah mich kommen und eilte mir freudig entgegen. Ihre blauen Augen sahen mich an und musterten mich. Ich sah sie fragend an.

»Was ist? Bedrückt dich was, Thorgunna?« Sie kam näher und beschnupperte mich.

»Ich rieche sie.«

»Wen?«, fragte ich. Sie gab mir einen Stoß.

»Tu nicht so. Du weißt, was ich meine. Du trägst noch ihren Duft an dir. Wie sieht sie aus?«

Ich nahm sie in meine Arme.

»Sie ist eine starke Frau wie du. Du wirst sie kennenlernen, das verspreche ich dir.« Mit dieser Antwort begnügte sie sich fürs Erste nicht. Blickte mich nur an. Ich spürte Eifersucht bei ihr. Sie legte ihre Hand auf meine Brust.

»Drei Frauen, die dich begehren und wollen, und nur eine die dich besitzen kann.« Ihre Hand fuhr zu meinem Gesicht. Sie sah mich an und wortlos verließ sie mich.

Die Tage vergingen und ich wartete auf Bodo und die Männer. Wir brachten unseren Raben ins Wasser und legten die Ballaststeine in die richtige Position, sodass das Schiff gerade im Wasser lag. Alles war bereit. Takelage und Segel warteten auf ihren Einsatz. So lagen Snorres Wellenbrecher und unser Rabe nebeneinander am Anleger. Alles war bereit, nur Bodo und Hakons Männer fehlten. Doch das Warten hatte ein Ende. Unsere neue Mannschaft stand auf der anderen Flussseite. Wir holten sie zu uns hinüber. Bodo stellte mir meinen Steuermann vor.

»Es ist mir eine Ehre, dein Schiff zu steuern Eric. Mein Name ist Balki.« Er sah sich beide Schiffe an.

»Dein Schiff ist sicher das mit dem großen Rabenkopf?«

Ich nickte.

»Habe ich mir gedacht.« Er zeigte auf Gloi, der auf meiner Schulter thronte.

»Ein schönes Schiff. Ich werde es gut behandeln.« Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter.

»Daran zweifle ich nicht, Balki.«

Am Abend teilte ich die Männer auf ihre Schiffe ein und am folgenden Morgen lösten wir die Halteseile der Schiffe. Zuerst legte Hjalti ab und kurz darauf wir. Leicht versetzt zueinander näherten wir uns dem Meer. Die Segel wurden gehisst und so stachen unsere Schiffe in die Weite der See.

Wie hatte ich es vermisst! Das Schaukeln, das Steigen des Schiffes mit den Wellen, um dann ins nächste Wellental zu fallen. Das war mir nun bewusst. Gloi flog uns voraus und wies uns den Weg.


Wir hatten Glück. Der Wind sorgte für volle Segel und trieb unsere Schiffe schnell ihrem Ziel entgegen. Wie viele Tage vergangen waren? Ich wusste es nicht. Eines Tages kehrte Gloi krächzend zurück. Flog dicht über uns hinweg.

»Er sagt, Land vor uns Balki.« Er hingegen sah mich nur an. Da rief auch schon Thorfinn vom Mast herunter:

»Land in Sicht.«

Ich stand neben Balki. Gespannt sahen wir auf die näherkommende Küste. Sie war steinig und die Vögel, die hier nisteten, sie erinnerten mich an meine Kindheit. Gloi flog an ihr entlang und wir folgten ihm. Mir kam noch nichts bekannt vor. Keine Landmarkierung, keine Felsformation. Hatte ich alles schon vergessen? Als mich Balki fragte.

»Bist du sicher, dass uns dein Vogel richtig führt?«

»Ja, Balki. Du brauchst dich nicht zu sorgen.« Wir folgten der Küste. Da kam meine Erinnerung zurück. Ich zeigte Balki eine Felsformation vor uns.

»Wir müssen nach dieser Landmarke in den Fjord einbiegen.«

So war es auch. Gloi flog ohne zu zögern hinein und weiter. Hjalti winkte freudig, was mir die Bestätigung gab. Altbekannte Landschaften zogen an mir vorbei. Argeiers Hof wurde, wie es schien, neu bewirtschaftet. Leute sahen uns gespannt zu, wie wir vorbeisegelten.

Zu Balki sagte ich: »Es dauert nicht mehr lange und wir haben unser Ziel erreicht. Du wirst sehen.« Er lachte, seinen Blick aber nach vorn gerichtet.

»Ich lasse mich überraschen, Eric.« Wie ich es ihm versprochen hatte, erblickten wir kurze Zeit später die Anlegestelle und sahen die ersten Häuser. Leute standen am Anleger und winkten uns zu. Olaf sah ich ganz vorne; sein lachendes Gesicht erkannte ich von Weitem. Er stand neben Snorre. Björn rief ihm wohlgemeinte Schandwörter entgegen. Olaf nahm es nicht krumm und fasste das zugeworfene Seil und zurrte es an einer Bohle fest. Er streckte seinem Freund seinen Arm entgegen und zog ihn aus dem Schiff. Freudig umarmten sie sich.

»Eine Weile her, mein Freund«, begrüßte ihn Olaf. Ulf, mein Bruder rief mich schon von Weitem und kam mit offenen Armen auf mich zu.

»Lass dich ansehen, Eric. Wir haben schon viel von dir gehört. Hjalti hat uns einiges erzählt. Du seist ein Schlachtenführer und herrschst über dein eigenes Land?«

Ich besänftigte ihn.

»Später, Bruder, am Abend werde ich dir alles erzählen. Sag mir, wo finde ich Hild? Sie scheint nicht hier zu sein?« Er nickte verständnisvoll und zog mich mit.

»Ich führe dich zu ihr. Sie erwartet dich schon.«

Ich blieb stehen.

»Will sie mich überhaupt sehen?« Ulf nickte und ging weiter, blieb aber nach einigen Schritten stehen.

»Doch eines musst du wissen. Seit dem Tod ihrer Eltern ist sie hart geworden. Einige meinen, sie sei nun noch kälter als vorher.«

Ulf blickte mich an und zuckte mit seinen Schultern und ging weiter. Er führte mich ins Haupthaus. Hild saß in einer Nische weiter hinten an ihrem Webstuhl, der nur spärlich vom Langfeuer beleuchtet wurde. Mit schnellem Schritt ging ich auf sie zu.

»Hild, ich bin zurück.« Ich wollte gleich um den Webstuhl, doch sie kam mir zuvor und stand auf.

»Wegen der freudigen Rufe habe ich mir gedacht, dass es sich um einen besonderen Besuch handeln muss.« Ich hielt sie an ihren Schultern und wollte sie in meine Arme nehmen, doch Hild entzog sich mir.

»Ist Gloi noch bei dir?«, fragte sie ausweichend.

»Ja. Komm nach draußen und begrüße ihn. Du weißt, er liebt keine Häuser. Lass uns nach draußen, in die Sonne! Genieß den warmen Tag bei einem Spaziergang mit uns.«

So traten wir zusammen in den Sonnenschein. Gloi flog auf uns zu und setzte sich auf meinen Arm. Er freute sich, Hild wiederzusehen, krächzte und schlug wild mit seinen Flügeln. Er ließ sich genüsslich von ihr streicheln. Später setzte er sich wie gewohnt auf meine Schulter und so machten wir uns auf. Unser Weg führte uns durch das fast menschenleere Dorf, da die meisten noch am Anleger standen.

»Es sieht noch immer gleich aus. Wie in meiner Erinnerung.« Wir folgten dem Pfad, der aus dem Dorf führte. Am Viehstall vorbei, Richtung obere Weide. Dabei fielen mir an der Holzwand die tiefen Rillen wieder auf. Ich blieb kurz stehen. Ich konnte mich noch gut daran zurückerinnern, als Hugh sie zog. Ich eilte Hild nach. Wir erreichten die Krete, an der ich viele Male gesessen hatte. Ich legte meinen Arm um Hilds Hüfte, während wir hinunterschauten.

»Solch einen Anblick bietet sich dir in meinem neuen Zuhause nicht, Liebste.« Hild sah mich nur wortlos an. So zog sie mich auch weiter. Wir streiften durch den Wald. Ich kannte den Weg und wo sie hinwollte. Aber die Stille zwischen uns machte mich fast wahnsinnig.

»Wieso bist du so schweigsam, Hild? Freut es dich nicht, dass ich zurückgekehrt bin?« Sie blieb stehen, schaute mich an, dann küsste sie mich. Sie fuhr fein und gefühlvoll mit ihrer Hand über meine Wange.

»Mein Gemahl ist zu mir gekommen. Komm, lass uns zum heiligen Weiher gehen.« Ich folgte ihr willig. Als wir ihn erreicht hatten und uns an den Stamm der großen Esche lehnten, fasste sie meine Hand. Ich schloss mein Auge und genoss diese Stimmung.

»Dann willst du mich noch immer als deine Frau, egal, wie ich aussehe?«

Erstaunt sah ich sie an.

»Trotz allem. Schändung, Verstümmelung. Du willst mich noch immer als Frau? Und du willst mein Aussehen allen erklären, obwohl du mit Leichtigkeit eine bezaubernde schöne Frau bekommen könntest?«

Ich sah sie ernst an.

»Sonst wäre ich nicht zu dir zurückgekehrt. Ich will dich an meiner Seite wissen. Nichts anderes, und es interessiert mich nicht, was andere von dir sagen oder erzählen. Nur du zählst für mich. Ich war enttäuscht, als ich dich nicht an Bord gesehen habe. Erst Thorgunna hat mir dann deine Worte mitgeteilt.«

Hild zog ihre weite Kapuze zurück. Sie zeigte mir ihr zweigeteiltes Gesicht. Das liebliche mit ihren feinen Zügen und das andere mit ihrer breiten schwulstigen Narbe, die sie verunstaltete. Schnell versuchte sie, ihre Narbe mit ihren langen blonden Haaren zu verdecken. Sie sah mich an. Ihr süßes Lächeln wie damals, als sie auf mich zukam. Als alles noch in Ordnung war. Hild löste beide Fibeln an ihrem Oberkleid, um dann aus dem Unterkleid zu schlüpfen. Sie stand nackt vor mir.

»Ich will dich, Eric. Wie schon immer, und du glaubst mir nicht, wie viele Nächte ich mich nach dir gesehnt hatte.« Sie half mir aus den Kleidern und wir liebten uns auf dem Blättermeer. Später legte sie ihren Kopf auf meine Brust und fuhr mit ihrer Hand über meine Narben.

»Deine Narben tun mir weh, mein Liebster.«

Ich verneinte.

»Jede einzelne erinnert mich daran, auf der richtigen Seite zu stehen und jede hat eine Geschichte.«

Hild setzte sich auf.

»Stimmt das, was uns Hjalti erzählt hat? Du hast es geschafft, einen Platz gefunden und deinen Hof gebaut? In dem Land, das auf der anderen Seite des Meeres liegt. Das Land, aus dem Hugh stammt?«

Ich nickte.

»Nicht nur einen Hof, meine geliebte Hild. Bei uns entsteht ein Dorf. Die Siedlung wächst immer mehr. Wir leben mit den ansässigen Kelten in Frieden zusammen. Häuser werden gebaut. Das Vieh grast auf großen Weiden, die wir erwirtschaftet haben, Hild. Kühe, Rinder, Schweine. Hühner rennen herum. Wir ernten Korn für Brot und Met und für die nächste Aussaat. Luag, wie ihr Stammesfürst heißt, unser Freund … er lebt mit seinem Clan an der Grenze zum Danelag. Er nahm uns auf. Wir lebten zu Beginn in seinem Dorf und waren geduldet. Später kämpften wir Seite an Seite, was uns großen Respekt einbrachte. Als der Sieg unser war, keine Feinde mehr lebten, wurden wir mit einem Stück Land belohnt. Ein großes noch dazu. Genug Platz für viele Familien. Auf diesem Stück Land bauten wir unser eigenes Dorf. Es liegt an der Küste und niemand muss auf den Gesang der Seevögel und die salzige Luft verzichten. Unser Hafen liegt an einem Fluss, der weit ins Landesinnere reicht und zugleich die Grenze zum Danelag bildet. Bei uns leben auch Pikten oder Kelten, wie einige sie nennen. Es drohen keine Kriege mehr und Frieden herrscht. Freundschaften haben sich geschlossen und das Land gedeiht.« Ich setzte mich auch auf und fuhr ihr mit der Hand übers Gesicht.

»Doch das alles wirst du selbst bald sehen, Hild.« Sie kuschelte sich an mich und seufzte.

»Was du mir erzählst, klingt wie aus einem Märchen.«

Wir blieben noch lange sitzen, erst als die Sonne an Leuchtkraft verlor, machten wir uns auf. Wir winkten von der Weide Ulf und Hallveig zu, sie waren auf dem Weg ins Haupthaus. Sie blieben stehen und erwarteten uns. Zusammen traten wir ein. Mein Onkel Orm und Siegried saßen auf dem Hochsitz und Orm, der Bruder meines Vaters, wies Hild und mir Platz am langen Tisch zu. So setzten wir uns neben Ulf und seiner Frau. Neben mir saß schon meine Schwester Fenya. Sie war zu einem stattlichen jungen Mädchen herangewachsen. Ich umarmte sie freudig.

»Ich hatte nie gedacht, was für eine Schönheit meine Schwester geworden ist. Ich hätte dich nur schwer erkannt.«

»Da siehst du es. Aber ich hätte dich noch nach Jahren sofort wiedererkannt, Eric. Frauen vergessen einen schönen Mann nicht so schnell. Habe ich nicht recht, Hild?«

Hild stimmte ihr zu. Auf der anderen Seite des Tisches hatten sich Wulf und Frau Sieglinde niedergelassen, auf ihrem Schoss der kleine Arnulf. Er kam zur Welt, als ich mit Hild aus dem Frankenland zurückkam. Zwischen ihnen lag die kleine Eiri in Tücher gewickelt. Weiter unten sah ich Björn und Halfdan neben Olaf sitzen. Skefill diskutierte intensiv mit Ketil und schien sich sichtlich wohlzufühlen. Der Rest meiner Mannschaft saß wild durcheinandergewürfelt am langen Tisch. Wie viele Male ich meine Abenteuer und Schlachten erzählen musste … ich hatte aufgehört zu zählen.

Hild erzählte mir am anderen Morgen, je mehr Met ich getrunken hatte, umso wilder wurden die Geschichten. Ich sah sie nur skeptisch an und meinte, während ich über meinen Schnurrbart fuhr:

»Das habe ich aber etwas anders in Erinnerung. Ich hatte das Gefühl, dass du zwei, drei Becher zu viel hattest.«

Weit aufgerissene Augen sahen mich an, sie gab mir einen Stoß. Ich musste innerlich schmunzeln. Sie gefiel mir ungemein, wenn sie sich so aufgeregt hatte.

Mit Ulf ging ich später zu den drei Grabhügeln, in denen meine Großeltern, Eltern und Schwiegereltern lagen. Ruda, Ketils Frau und Orms Tochter Sif ruhten in Gräbern, die, mit Steinen umrandet, ein Schiff darstellten.

»Sie liegen zusammen in ihren Gräbern, wie sie auch zusammengelebt hatten. Darum haben wir alle beschlossen, Ruda und Sif nicht abseits zu legen.«

»Da stimme ich zu, Bruder. Sie gehören auch im Tod zusammen.« Wie gern hätte ich sie noch lebend gesehen und gesprochen. Ihnen alles erzählt, was ich erlebt hatte. Nun blieb mir nur noch vor ihren Gräbern zu stehen und zu hoffen, dass sie mich von Walhalla aus sehen konnten.

Ulf ging seiner Arbeit nach und gab mir Zeit, um den verwitweten Ketil zu besuchen. Ich traf ihn in seiner Schmiede an, während er angeregt mit Skefill über das Jagen und Bogenschießen plauderte. Ich hörte ihnen zu und ermunterte den Jungen, genau aufzupassen und seinen Rat anzunehmen, was Skefill mit erfreutem Nicken quittierte. Ketil hielt mich mit seinen kräftigen, schwieligen Händen an den Schultern und sagte etwas wehmütig: »Ich hoffe, dass meine beiden Kinder bei dir mehr Zukunft haben als hier. Wir werden hier sterben und für mich bestehen an diesem Ort keine goldigen Aussichten mehr.« Ketil tat mir leid.

»Komm mit uns zurück. Auch in deinem Alter gibt es bei uns noch genug Arbeiten, die du erledigen kannst. Vergiss dabei dein Wissen und Erfahrung nicht.« Er nickte nur.

»Ich bleibe bei meinen Freunden hier, Eric. Die neue Welt ist für junge tapfere Männer und Frauen gemacht.«

Er zeigte auf Skefill.

»Er ist einer davon wie du. Aber ich versuche, ihm noch so viel wie möglich beizubringen. Das verspreche ich dir.«

Ragnar und Astrid erwarteten mich schon. Beide freuten sich, ihren Ziehsohn wieder in ihre Arme zunehmen. Astrid sah sich sofort meine Brust an und untersuchte meine Narbe. Ragnar bestaunte sie und lachte erfreut darüber.

»Sieh, Weib, wir können stolz auf unseren Ziehsohn sein. Jung, kräftige Muskeln und erfolgreich.«

Sie sah ihn nur stumm an, gab ihm aber keine Antwort.

»Es ist alles gut verheilt, Eric. Du musst dich noch etwas schonen, aber du weißt, ohne fremde Hilfe hätte es deinen Tod bedeutet.« Ich nickte.

»Ja. Ohne Einars Hilfe wäre ich nicht mehr hier.« Ich zog mein Hemd zu und schaute in ihre warmherzigen Augen.

Sie gab mir eine sanfte Ohrfeige.

»Geh nun mit meinem Brummbären zu Snorre, er ist schon lange auf dich gespannt.« Ragnar stand schnell auf, fasste seine Gehhilfe, die ich für ihn geschnitzt hatte.


»Gut, mein Junge. Los gehen wir.« Er verließ das Haus. Astrid und ich sahen ihm erstaunt nach.

»Geh ihm schnell nach und sieh zu, dass er nicht wieder umfällt.« Verwirrt sah ich sie an.

»Er ist alt geworden, Eric, aber er will es nicht zugeben. Auch seine wilde Kraft versiegt.«

So eilte ich ihm nach und rief.

»Warte, Ragnar, ich komme schon.« Er lachte nur und eilte weiter. Ich hatte ihn erreicht, als er stolperte. Ich konnte ihn gerade noch halten.

»Nicht so schnell. Wir sind nicht auf der Flucht mein Freund.« Verlegen versuchte er zu schmunzeln.

»Nimm es ruhiger, Ragnar. Ich bleibe noch und du brauchst mir nichts zu beweisen. Für mich bist du und bleibst du ein Vorbild.«

Er sah mich mit seinen müden Augen an und nickte stumm. Sol, die Tochter von Snorre und Luna, sah uns kommen und rannte auf uns zu. Sie war ungefähr so alt wie meine Schwester, neun oder zehn Jahre. Sie sprang auf mich zu. Wie schön sie war! Sie glich ihrer Mutter ungemein.

»Eric. Eric«, rief sie schon von Weitem. Ich hob sie hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sol zog mich stürmisch in Richtung ihrer Eltern, die schon vor dem Haus standen und uns erwarteten. Wir traten ein und setzten uns an ihren Tisch. Snorre sah mich an.

»Du brauchst meinen Wellenbrecher mehr als wir. Nimm ihn mit zurück. Ich bin zu alt, um noch die Meere zu überqueren.« Er trank seinen Becher schnell aus.

»In deine Hände geb ich ihn gern. Auch dein Rabe scheint mir ein gutes Schiff zu sein. Ich muss zugeben, ich habe es mir genau angesehen.« Ich musste lachen.

»Wollen wir morgen etwas segeln? Und du am Steuer?«, fragte ich.

Aber er war sich noch nicht sicher. Wir saßen lange zusammen und erzählten uns Geschichten aus der Vergangenheit und ich aus meinem neuen Zuhause.

Da trat Ulf ein.

»Ich soll dir ausrichten, Hild erwartet dich an eurem Ort.«

»Dann nimm für mich meinen Platz ein, Bruder, und ich werde zu meinem Weib eilen.« Ulf trat mit mir vor das Haus. Er hielt mich am Arm. Ich spürte seine Frage.

»Ulf, komm mit mir zurück. Du, Hallveig. Wir haben mehr als genug Platz.« Er sah mich erleichtert an, als wollte er mich das Gleiche fragen.

»Packt alles. Alles, was euch teuer und wichtig erscheint. Fenya wird uns auch begleiten. Packt alles. Möbel, Geschirr.« Ulf unterbrach mich.

»Und Hild? Wird sie auch mitkommen?« Erstaunt sah ich ihn an, antwortete aber nicht.

»Macht alles bereit. Ich will, so schnell es geht, abreisen. Es ist noch Sommer und wir haben noch keine gefährlichen Herbststürme auf See zu erwarten und auf beiden Schiffen hat es mehr als genug Platz.«

Ich wollte ihn verlassen, aber Ulf hielt mich zurück. Er scheute sich und sah an mir vorbei. Ich spürte, dass ihm etwas auf dem Magen lag.

»Ulf. Du bist mein Bruder. Erzähle.« Er seufzte tief.

»Ich glaube, deine Hild, kann von hier nicht fort.« Ich sah ihn an.

»Was sagst du da. Sicher kommt Hild mit. Ihretwegen bin ich zurückgekehrt. Sie ist meine Frau, Ulf. Für sie und wegen dir bin ich hier, um euch in mein Reich zu holen.«

Ich sah ihn ernst an.

»Was bringt dich zu einer solchen Aussage?«

»Es ist mein Gefühl, Eric. Sie wird ihre Eltern hier nicht verlassen können. Sie sitzt stundenlang an ihrem Grab und redet mit ihnen. Sie lässt sich von niemanden trösten. Nein, sie flüchtet in ihre Einsamkeit.«

Sichtlich erleichtert darüber, mir seine Sorge anvertrauen zu können, sah er mir ins Auge. Ich nickte ihm zum Dank zu und ging ins Dorf zurück. Ich wusste, wo ich sie finden würde. Doch zuerst begab ich mich in die Küche und ließ mir von Siegried einen Schlauch Met, etwas Brot und Trockenfleisch geben. Dann machte ich mich zum Weiher auf. Auf dem Weg dorthin versuchte ich, die richtigen Worte zu finden, wie ich sie fragen wollte. Ob sie mit mir komme und noch vieles mehr.

Ich behielt recht. Hild erwartete mich schon und begrüßte mich, so wie es jeder Ehegemahl gern hatte.

»Ohhh, mein Liebster. Du hast meine Gedanken gelesen. Ich sterbe fast vor Hunger.« Sie zeigte auf den Platz, den sie mit viel Liebe vorbereitet hatte.

»Leg dich ins Blätterbett und ruhe dich aus.« Sie schnitt Brot und Fleisch mit ihrem kleinen Messer und reichte es mir schön angerichtet auf einer Holzplatte. Dann legte sie sich zu mir. Gemeinsam aßen und tranken wir, lachten und zogen uns auf. Meine Fragen gerieten immer weiter in den Hintergrund, bis ich sie gänzlich vergaß.

»Ich freue mich, dich so glücklich zu sehen Hild.« Sie schmunzelte.

»Iss, Eric, und lass uns die Zeit endlich genießen. Trink und versink in meinen Armen. Vor allem hier, wo die Zeit keine Rolle spielt. Lass uns dem lieblichen Zwitschern der Vögel lauschen und uns lieben.«

So lag sie in meinem Arm. Es war schön und Ulfs Gedanken waren verschwunden. Nackt und schwitzend lagen wir auf den Blättern. Die fleischliche Gier erwachte immer wieder.

Hild lag schwer atmend neben mir, als ich sie fragte.

»Hild, kannst du solange warten und mich in unserem neuen Zuhause heiraten?« Ich sah sie an. Sie seufzte und ich meinte ein feines Lächeln auf ihren Lippen erkannt zu haben.

»Mir wäre es wichtig.«

Sie sah mich mit einem süßen Lächeln an. Ihre tiefblauen Augen und ihre Hände wanderten an mir herunter und erkannten schnell meine Erektion. Sie legte ihren Zeigefinger auf meinen Mund.

»Was habe ich zu dir gesagt? Genießen wir die Ruhe hier.« Schon setzte sie sich auf mich. Erschöpft lagen wir nebeneinander. Erst viel später wollte sie zurück. Lachend und feixend erreichten wir das Dorf.

Am Abend fragte ich alle Anwesenden, wer mit uns zurückwollte. Hild sah mich freudig an. Mein Bruder Ulf, seine Frau Hallveig und unsere Schwester Fenya standen auf und bezeugten ihren Willen. Mir kamen nicht im geringsten Zweifel auf. Hild würde mir zur Seite stehen. Auch verhielt sie sich nicht traurig, sondern eher fröhlich, sie konnte ihre Hände nicht von mir lassen – und nicht genug von mir bekommen, das war ihr Recht.

So beschlossen wir in zwei Tagen abzulegen. So glücklich war ich seit Monaten nicht mehr. Ich vergaß alles um mich, auch die Bilder des Krieges, der Schmerzen, der Entbehrungen und des Verlusts von Freunden.

Am Morgen unseres letzten Tages kam Hild kreideweiß ins Haus und setzte sich neben mich. Sie versuchte zu schmunzeln, aber es gelang ihr nicht.

»Was hast du, Hild?«, fragte ich sie besorgt.

Sie winkte ab.

»Nur eine Unpässlichkeit. Es geht mir bald besser.« Sie legte ihre Hand auf meine.

»Du bist ausdauernd, mein Mann. Vielleicht zu viel für mich.« Sie versuchte, erneut zu lachen. Ich sah Siegried und Astrid, wie sie sich verstohlene Blicke zuwarfen. Aber was sie sich sagen wollten, wusste ich nicht. Hild schien recht zu behalten. Nach dem Essen ging es ihr entschieden besser und ihre Kraft kehrte in sie zurück. Ich stand am Anleger und gab Anweisungen beim Verladen der Fracht. Ulf und Hallveigs Habe wurden auf den Wellenbrecher verladen. Ulf brachte sogar seine beiden Türpfosten mit, die ich für ihn geschnitzt hatte. Alles sollte bereit sein, dass wir am anderen Morgen absegeln konnten. Ich gab noch Anweisung, als ich eine Hand an meinem Rücken spürte. Sie war warm und kraulte fein über den ganzen Rücken. Stumm stand sie neben mir, sah zu, wie alles verladen wurden. Noch immer fuhr sie stumm mit ihren Fingernägeln über meinen Rücken.

»Ist alles von dir schon auf dem Schiff?« Sie antwortete nicht, was mich etwas stutzig machte.

»Komm mein Liebster.« Sie zog mich mit sich. Wir schlenderten über den Kiesstrand bis an sein Ende. Dort, wo der Fels hoch in den Himmel stieg und Platz für unzählige Seevögel bot, die hier nisteten.

Hild stand neben mir und sah mit mir dem Treiben zu.

»Warum führst du mich hier her, Hild?«

»Es gefällt mir hier, Eric. Der Gesang der Vögel, das Rauschen der Wellen. Hier kann ich meinen Gedanken nachgehen. Hier habe ich auch das Gefühl, mit unseren Eltern sprechen zu können. Hier fühle ich mich, als könnte ich meine Arme ausstrecken und mich zu den Vögeln erheben. Ich habe diesen Ort speziell für uns gewählt.« Sie wollte mich umarmen, doch ich hielt sie zurück.

»Was meinst du damit, Hild?« Ihre blauen Augen sahen mich tief an. Sie löste ihre Kleider.

»Nicht denken, mein Gemahl. Ich bin deine Frau. Nimm mich so viele Male, du willst.« Ich blickte auf ihre prallen Brüste, die wilde Gier erfasste mich und die Lust, sie zu besitzen, verdrängten alle meine fragenden Gedanken. Sie kamen erst zurück, als wir ermattet nebeneinander auf dem Kies lagen. Ich drehte mich zu ihr um.

»Sage mir, dass es nur ein falscher Gedanke von mir ist. Ich bitte dich darum.«

Hild sah mich an und wusste, was ich von ihr wissen wollte. Sie schlang ihre Arme um mich und hielt mich so fest, wie ich es noch nie erlebt hatte. Das war eine unmissverständliche Antwort. Trotzdem stellte ich sie.

»Du wirst mich in unser neues Land nicht begleiten. Habe ich recht?« Sie löste sich von mir und sah mich an. Tränen liefen über ihre Wangen. Schluchzend kamen ihre Worte über ihre Lippen.

»Ich habe von meinem Mann alles bekommen. Was will ich noch mehr?«

»Nein. Nein Hild, sag das nicht. Wir könnten weiter zusammenleben und das Leben genießen. Kinder bekommen. Sie würden sicher schön und stark werden. Aber das Wichtigste wärst du. Ich brauche dich an meiner Seite.«

Sie verneinte und begann noch mehr zu weinen an. Hild wehrte sich mit Armen und Beinen. Ihre Worte überschlugen sich.

»Ich kann nicht von hier fort, Eric. Verstehe mich doch. Ich bin nicht wie du. Ich weiß auch, dass ich dich hier nicht halten kann. Darum trennen uns bald unsere Wege. Ich werde, solange ich lebe, keinen anderen Mann wählen. Das bist nur du und du wirst immer in meinem Herzen bleiben.«

Der Schmerz riss mir beinahe das Herz heraus. Mein Bauch verkrampfte sich und ich konnte meinen Schmerz nur herausschreien.

»Hild«, schrie ich und riss sie an mich.

»Ich bin nur deinetwillen zurückgekehrt.

Um dich in mein kleines Reich und in mein Haus zu holen. Nur um mit dir zu leben. Meine Liebe. Das war mein Traum. Mit dir neben mir auf dem Hochsitz …« Sie legte ihre Hand auf meinen Mund.

Weinend und schluchzend sagte sie:

»Ich weiß, mein Gemahl. Ich kenne deine Liebe zu mir nur zu gut. Du kamst schon einmal, um mich zu befreien. Diesen Anspruch können nicht viele Frauen von sich sagen. Ich weiß deine Liebe zu mir nur zu gut und sie erfüllt mich mit Stolz. Ich bin die Frau eines großen Kriegsjarls.«

Sie umarmte mich und wie vor einigen Jahren spürte ich ihre warmen Tränen auf meinem Nacken. Hild stand abrupt auf und zog sich das Kleid über.

»Wenn wir einen Sohn hätten, wie würdest du ihn nennen?« Erstaunt sah ich sie an.

»Spielt das noch eine Rolle, Hild?«

»Ja, für mich schon.«

»Thorleif wenn es ein Junge wäre und Ragnhild bei einem Mädchen.« Hild nickte.

»Es sind beides wunderschöne Namen. Sie gefallen mir.«

Dann rannte sie fort. Ich zog meine Hose hoch und schlüpfte in meine Bluse, aber ich konnte sie nicht mehr einholen. Wen auch immer ich fragte … niemand hatte Hild mehr gesehen, seit sie mit mir am Strand entlangschlenderte. Ich konnte suchen, wo ich wollte. Sie war nirgends zu finden.

Enttäuscht saß ich am Tisch. Unser letztes Essen in meiner alten Heimat. Doch ich hatte keinen Hunger. Auch der Met schmeckte mir nicht wie sonst. Der Platz neben mir, den ich für meine Hild besetzt hielt, blieb leer. Hjalti und Balki meldeten mir, dass alles verstaut war und wir ablegen konnten.

Es war die längste Nacht in meinem Leben. Schlaflos lag ich auf meiner Decke und wälzte mich hin und her. Hörte den schnarchenden Männern zu. Vor dem ersten Hahnenschrei stand ich auf und rollte meine Decke zusammen und brachte meine restlichen Sachen auf meinen Raben. Auch Gloi war schon dort. Er saß auf dem Hintersteven und sah mich kommen. Er erkannte meine traurige Stimmung und schaute mir zu. Erst als ich aus dem Boot stieg, ließ er ein Kroak verlauten. Ich ging zu ihm und fuhr ihm über den Kopf und sagte: »Du weißt es sicher. Aber unsere Frau wird uns nicht begleiten.«

Glois schwarze Augen blinzelten mich nur an, dann rieb er seinen Kopf an meinem Arm. Das Dorf erwachte. Die Männer brachten ihre persönlichen Sachen aufs Schiff. Von Hild kein Zeichen, auch nach dem Frühstück nicht. So kam der Abschied. Ich verabschiedete mich von allen, wohlwissend, dass dies das letzte Mal war alle lebend zu sehen. Bei Astrid und Ragnar hatte ich die meiste Mühe. Innig umarmte ich sie und dankte beiden für alles, was sie für mich getan hatten. Das erste Mal sah ich Tränen in Ragnars Augen und es tat mir selbst weh. Der alte Mann stand vor mir und wollte mich beinahe nicht mehr loslassen. Seine Tränen versuchte er dem feinen Sand zuzuschreiben, der seine müden Augen reizte.

»Das zweite Mal, dass ich meinen Ziehsohn verabschieden muss«, presste er heraus. Astrid konnte nichts mehr sagen. Ihre kullerten große Tropfen über ihr Gesicht.

Alle saßen schon auf ihren Plätzen und warteten, bis ich auf mein Schiff stieg. Noch mal sah ich mich um. Doch ich sah keine Hild. Noch mal nahm ich meine Zieheltern fest in meine Arme, dann sprang ich aufs Schiff. Leinen wurden gelöst und kurz darauf tauchten die Ruder ins Wasser und brachten uns vom Anleger weg. Ich drehte mich nach meiner Hild um. Doch ich sah sie nicht. Wir winkten den anderen noch mal zu. Mein Blick folgte dem Strand entlang bis an den Ort, wo ich sie zuletzt geliebt hatte. Da sah ich sie, auf dem Kiesstrand stehend, ganz nahe der Felswand. Sie winkte mit beiden Armen zum Abschied.

»Hild«, schrie ich laut und winkte wild. Sie winkte mir zurück, aber ihre Worte verstand ich nicht mehr. Zu schnell hatte das Schiff Fahrt aufgenommen und entfernte sich von der Küste. Hild wurde immer kleiner. Ich sah sie nur noch winken. In mir rief ich laut ihren Namen und sah zurück. Da riss mich mein Steuermann in die Realität zurück.

»Welchen Kurs soll ich einschlagen, Eric?«

 

Verrat und Gold


Etwas gereizt sah ich ihn an, aber ich unterließ es, ihn in die Schranken zu weisen. Er hatte keine Schuld an der Situation und an meinem Schmerz.

»Folge der Küste Richtung Süden und am südlichsten Punkt, nimm Kurs auf die Danaveldiküste. Ich will mich in Alaborg umsehen.«

Balki nickte.

»Aij, mein Jarl.« Hjalti am Steuer des Wellenbrechers folgte eine Schiffslänge hinter uns. So pflügten wir die See. Stumm stand ich neben Balki. Stunde um Stunde verging, da unsere Schiffe über die Wellen ritten.

»Verzeih meine Worte, Eric«, sagte Balki. »Dein Problem mit deiner Frau tut mir leid.« Er fuchtelte mit einem Arm herum und suchte nach den richtigen Worten.

»Meine kalten Worte nach dem Kurs, den ich einschlagen sollte. Ich hätte dich zuerst deinen Schmerz verarbeiten lassen sollen. Aber wie ich weiß, ist meine Königin sehr von dir angetan.« Er traute sich kaum, mich anzusehen. Ich versuchte zu schmunzeln. Er meinte es mit seiner Aufmunterung nur gut.

Darum antwortete ich: »Meinst du das, Balki, oder hat sie es dir persönlich gesagt?«

Er verzog unsicher seinen Mund.


»Nein, das gerade nicht. Aber was ich weiß! Sie hat selbst die Auswahl der Männer getroffen, die dich begleiten durften. Jeder von uns musste ihr schwören, dich zu unterstützen und dir bis zum Tod an deiner Seite zu stehen. Sie hat auch geschworen, was mit jedem von uns geschieht, wenn wir ohne dich zurückkehren. Hakon, mein König, hat nur noch seiner Schwester zugestimmt.«

Nun konnte ich ein Lachen nicht verkneifen. Der gute Balki.

»Schön das zu wissen, Balki, und ich muss dir sagen, sie hat eine vortreffliche Wahl der Männer getroffen.« Er sah mich erfreut an und nickte dankend.

»Keine Angst, ich werde mich lobend für euch bei beiden bedanken.« Ich rückte näher zu ihm.

»Du meinst, ein persönliches Geschenk würde ihr gefallen und meine Gunst bei ihr steigern?«

Balki sah mich an. Etwas nervös, weil ich so nahe bei ihm stand. Sein fast zahnloser Mund lachte mich an und er nickte mir heftig zu.

»Jaaa. Eine sehr gute Idee, mein Jarl. Da erinnere ich mich an eine Begebenheit vor Jahren. Ich brachte ihr ein Geschenk.«

Er stockte und dachte nach.

»Wie hieß sie nur noch?

Spielt keine Rolle. Jahre hatte ich mich nicht mehr bei ihr gemeldet. Als sie mich mit dem Geschenk vor der Tür stehen sah, vergab sie mir unter Gezeter und ließ mich ein und in ihr Bett.«

Er rieb sich sein Kinn.

»Ist auch schon wieder Jahre her, Eric.«

Ich klopfte ihm auf die Schulter.

»Das nächste Mal unterlass es. Nicht dass du von ihrem Ehemann erschlagen wirst.« Beide schmunzelten und sahen geradeaus auf die See.

Nach vielen Minuten sagte er:

»Sie ist eine gute Frau und noch eine bessere Königin, Eric. Sie wägt ihre Entscheidungen nach allen Seiten ab und sie versucht, ein gerechtes Urteil zu fällen. Bei ihr spielt es keine Rolle, zu welchen Gunsten es ausfällt. Sie behandelt uns und die Saxen gleich. Für sie sind alle gleich. Ein Neuankömmling aus unseren Landen oder ein alter einheimischer Angelsaxe. Für sie sind alle gleich und alle sollen ihr gerechtes Urteil erhalten. Das macht sie so beliebt. Auch Hakon. Sie werden überall als beliebt angesehen, und soviel ich weiß stehen Angelsaxen und unsere nordischen Landsleute auf ihrer Seite.«

»Das glaube ich dir gern, Balki. Auch ich habe sie so erlebt. Sie bettelte nie um die Hilfe der Kelten. Sie versprach für alle freien Handel. Zusammenarbeit, keinen Krieg zwischen den Völkern und offene Grenzen. Ihr Traum war, dass alle jede Nacht in Ruhe schlafen konnten. Das hat die Führer der grenznahen Keltenstämme bewogen, ihr zu helfen. Nun können wir nur hoffen, dass dieser Traum noch viele Jahre bestehen bleibt.« Er hielt das Steuerruder fest in der Hand.

Sein Blick war auf die See gerichtet.

»Ja, Eric. Ein Traum, für den es sich lohnt zu sterben.«

Thor schenkte uns schönes Wetter und guten Wind. Auch das zänkische Weib Ran verhielt sich ruhig. So erreichten wir Alaborg in wenigen Tagen.

Auch hier herrschte eifriges Treiben. Nicht so wie in Haithabu oder Heddeby, wie manche Männer von Hakon es nannten. Hier deckten wir uns mit Met und Verpflegung ein. Tag und Nacht stellten wir Wachen auf, um nicht von Dieben ausgeraubt zu werden. Es schien mir sinnvoller zu sein, da ich mich hier nicht auskannte. Auch verbot ich allen, in den Spelunken zu erzählen, wohin wir wollten. Es war nur eine Eingebung, aber ich sollte recht behalten. Eines Abends, ich saß mit Balki und Björn in einem Wirtshaus, kam ein Fremder an unseren Tisch und um Platz bat. Er setzte sich und schaute uns an.

Nach einer Weile fragte er:

»Von wo seid ihr. Ich habe euch hier noch nie gesehen.«

Balki antwortete.

»Wir haben hier nur Verpflegung gekauft. Wir segeln morgen wieder ab.«

»Wohin führt euch eure Reise?« Da bückte sich Björn nach vorn, um den Fragenden genauer zu sehen.

»Und du hast das Gefühl, dass wir das jedem und dazu noch ohne Namen ausplaudern. Wer bist du überhaupt, oder verzeih, wenn ich deinen Namen nicht gehört habe.«

Der Fremde schmunzelte.

»Das tut mir leid. Du hast recht. Mein Name ist Lasse und ich bin auch Kaufmann wie ihr. Aber ich komme aus dem Friesenland.«

Björn nickte und an der Spannung in seinem Körper sah ich, dass er ihm nicht glaubte. Mir gefiel die übertriebene Höflichkeit an ihm nicht und das ständige Fragen. Balki störte ihn nicht. Er bestellte sich einen neuen Krug Met. Doch die Geschichten, die er uns erzählte, glaubte ich so, als wenn jemand behaupten würde, Thor hätte eine Glatze und trüge nur Frauenkleider. Ich nickte ihm nur schwach zu. Unter dem Tisch gab ich Björn mit meinem Fuß einen Stoß. Er verstand sofort, leerte seinen Becher und verließ uns. Lasse sah ihm nach.

»Die beiden Knorrs gehören dir?«

Ich nickte wortlos und mit verärgertem Gesicht sah ich, dass Balki erneut für uns einen Krug Met bestellt hatte. Lasse prostete mir zu.

»Sind beides schöne Schiffe. Willst du eines verkaufen? Ich mache dir einen guten Preis dafür.« Ich winkte ab. Doch er ließ nicht locker. Immer wieder wollte er wissen, wohin wir segeln und für was wir zwei Schiffe benötigen.

Zu Balki flüsterte ich: »Trink aus, wir gehen!« Was mich einen komischen Blick von ihm kostete.

Als wir uns aufmachten, sagte ich unserem Fremden: »Lass gut sein, Lasse. Wir brauchen beide Schiffe. Darum werde ich keines verkaufen.«

Als ich hinter mir die Tür des Wirtshauses geschlossen hatte, atmete ich tief durch.

»Endlich.« Balki sah mich an.

»Was stört dich an ihm, Eric. Er ist ein liebenswürdiger Dummschwätzer. Aber gestört hat er mich nicht.«

Ich blieb stehen und hielt meinen Steuermann am Arm.

»Glaubst du? Ich glaube ihm so wenig wie einer runzligen alten Frau, die behauptet, erst fünfzehn zu sein.

Ja, Balki, ich traue ihm nicht über den Weg. Er ist ein Schleimer und ein Händler ist er ganz und gar nicht. Eher ein Pirat. Er hat mir zu viele Fragen gestellt und keine Antworten geliefert.«

Ohne noch ein Wort miteinander zu sprechen, folgten wir den dunklen Gassen bis zum Hafen. Skefill stand auf dem Steg und hielt Wache bei unseren Schiffen.

»Bist du allein?«, fragte ich ihn.

»Nein. Hjalti döst auf seinem Wellenbrecher. Soll ich ihn rufen?« Ich schüttelte meinen Kopf.

»Wie viele sind schon zurückgekehrt?« Skefill schmunzelte.

»Schon einige, die nun besser ihren Schlaf brauchen.«

Ich sah ihn an.

»Björn?« Skefill verneinte.

»Wie viele fehlen noch von unserer Mannschaft?« Skefill zuckte mit seinen Schultern.

»Ungefähr fünf Mann. Würde ich sagen.«

Ich nickte.

»Halfdan?«

»Er schläft tief und fest.« Er zeigte auf den Platz, wo er in seiner Decke lag und schnarchte. Ich stieg ins Schiff und weckte ihn sanft. Er erwachte. Rappelte sich auf und rieb sich seine Augen.

»Eric. Was ist?«

»Weißt du, wo sich unsere Männer aufhalten?« Er stand auf und setzte sich auf eine Ruderbank. Noch verschlafen antwortete er.

»Einige meinten, sie wollten sich ein paar willige Weiber suchen. Aber wo sie hin sind, weiß ich nicht.«

»Ich brauche deine Hilfe, Halfdan. Wir müssen sie suchen.« Noch etwas verschlafen nickte er.

»Warum? Was liegt vor? Björn?«

»Ich weiß es nicht, Halfdan. Aber mein Bauchgefühl sagt mir Ärger.« Schnell war er ganz wach.

»Wir zwei allein?«

»Nein, ich wecke Jasper und Geiri.«

»Gib mir etwas Zeit. Stehe gleich neben dir.«

Schnell begab ich mich zu den beiden und weckte sie. Erklärte ihnen alles. Es ging nicht lange, bis sie bereit auf dem Steg standen. Auch Hjalti war wach.

»Wecke noch ein paar Männer und haltet euch bereit. Ich will keine nächtlichen Überraschungen.« Hjaltis Blick war wach.

»Gut, Eric.« Wir vier machten uns in der Dunkelheit auf den Weg und suchten unsere Männer. Da kam es mir recht, dass Alaborg nicht so groß war wie Haithabu. Wir suchten in verschiedenen Häusern, bis wir sie endlich fanden. Zwei lagen volltrunken mit ihren Köpfen auf dem Tisch. Sie schnarchten und kamen erst zu sich, als Jasper ihnen einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen hatte. Die beiden anderen fanden wir schlafend neben ihren Auserwählten. Sie zu wecken, war ein Leichteres.

»Los, kommt nun. Die Zeit drängt«, flüsterte ich ihnen zu. Noch etwas verschlafen standen sie auf und zogen sich an. Ich forderte sie zur Eile auf.

Ohne Probleme erreichten wir unsere Schiffe. Skefill stand noch immer am Steg. Hjalti neben ihm. Seine Hand am Schwertgriff. Erfreut grüßten sie uns.

»Ist Björn zurück?«, fragte ich.

»Ist noch nicht hier.«

»Macht alles zum Ablegen bereit.«

»Und Björn?«

»Wir warten auf ihn. Legt euch noch hin. Halfdan und ich übernehmen die Wache.«

Es dauerte noch einige Stunden bis zur Morgendämmerung. So standen wir am Steg und passten auf. Es verging noch eine geraume Zeit.

Da kam Björn zurück und klopfte mir auf die Schulter.

»Du hattest eine gute Nase, mein Freund. Mir gefällt das alles nicht. Dieser Lasse verließ das Wirtshaus kurz, nachdem ihr gegangen seid. Ich folgte ihm. Er sprach mit unterschiedlichen Männern. Dann verließ er die Stadt. Er führte mich zu seinem Räubernest. Sorgsam lag ein Schiff versteckt. Von seinem Ort aus sieht er jedes Schiff, das ausläuft. Gut möglich, dass er oder einer seiner Männer uns beim Einlaufen gesehen hatte.«

»Gut. Ich danke dir, Björn.« Ich dachte kurz nach.

»Dann stellen wir ihm eine Falle. Oder was meint ihr?« Ihr breites Grinsen bestätigte mir mein Vorhaben. Schnell weckte ich Hjalti und Balki, erklärte ihnen die Situation und unser Vorgehen. Beide waren mit dem Plan einverstanden.

So geschah es. Hjalti legte am frühen Morgen ab. Wir winkten ihnen zum Abschied zu, als würden wir einen anderen Weg einschlagen. Wir machten uns langsam bereit und legten erst etwas später ab. Absichtlich schlug ich Kurs Richtung Haithabu ein, um eventuelle Beobachter zu täuschen. Erst später kehrten wir und nahmen die Verfolgung auf. Wir wussten, dass Hjalti um die Südspitze des Landes fuhr, um dann südlich an der friesischen Küste weiterzusegeln. Nach langer Zeit rief Skefill von der Rah zu mir herunter: »Hjaltis grüne Segel links vor uns.« Und zeigte darauf.

»Noch ein Segel etwas rechts von Hjalti.«

Mein Gefühl hatte sich bestätigt. Wir folgten in sicherem Abstand den beiden Schiffen. Skefill mit seinen jungen scharfen Augen hielt uns auf dem Laufenden. Auch ich ging nach vorne zum Steven und sah nach den Segeln, die nur schwer auszumachen waren. Ich rief nach Gloi und schickte ihn, um sich umzusehen. Mit einem tiefen Kroak verabschiedete er sich und flog fort. Als er zurückkam, bestätigte er meine Befürchtung. Das andere Schiff zwang Hjaltis Wellenbrecher ins Schilfland.

»Was soll das? Hier in diesem Irrgarten von Wasserläufen finden wir sie nie.« Balki versuchte, mich zu beruhigen.

»Keine Angst, Eric. Wir finden sie schon.« Er zeigte auf Gloi.

»Er hilft uns sicher, dein schwarzer Freund.«

Er bog in einen seichten Kanal und folgte ihm. Ich war mir nicht sicher.

»Bist du sicher, Balki?« Er zuckte mit seinen Schultern. Gloi verstand sofort meine Unsicherheit und flog wieder fort.

»Warte hier, Balki«, befahl ich. Er ließ das Segel aufziehen. Ruder wurden ausgefahren, die das Boot in seiner Position hielten. Erst als Gloi zurückkehrte und Balkis Vermutung bestätigten, folgten wir dem Kanal aus Wasser und Schilf vorsichtig und langsam.

»Wirf den Anker hier. Ich will nicht auf einer Sandbank auflaufen. Halfdan, Björn und ich suchen unsere Freunde.«

Wir sprangen ins Wasser. Als wir wieder auf festem Boden standen, verwandelten wir uns und rannten los.

»Lasst uns unsere Freunde suchen, und zwar so schnell es geht.«

Björn legte seine Nase in den Wind und rannte zielstrebig los und wir folgten ihm. Wir rannten durch das Marschland mit kleinen Wasserläufen, die sich ständig veränderten; mannshohe Schilfhalme, die uns Deckung boten, aber auch unsere Sicht beeinträchtigten. Aber wir hatten den Geruch unserer Freunde in der Nase und folgten ihr. Es dunkelte schon ein, als wir den Wellenbrecher fanden. Hjalti musste ihn auf einer seichten Sandbank aufgesetzt haben und kam nicht mehr davon los. Aber von unseren Freunden keine Spur. Langsam und vorsichtig pirschten wir uns an. Es war niemand mehr hier, aber das Schiff sicher verankert, dass es sich nicht mehr lösen konnte. Wir fanden viele Fußspuren im Sand und eine Schleifspur, als wäre ein anderes Schiff wieder zurück ins Wasser gestoßen worden. Es sah aus, als wollten sie den Wellenbrecher erst später holen.

»Was willst du tun, Eric? Willst du warten oder weitersuchen?«, fragte Halfdan. Ich sah mich um.

»Nein. Das Licht schwindet und ich habe keine Lust, in diesem Gelände und dieser Feuchtigkeit herumzuwaten. Björn und ich warten hier. Du eilst zurück und holst den Rest der Mannschaft. Ich glaube nicht, dass sie ein so seetüchtiges Schiff hier verrotten lassen. Es ist viele Silberstücke wert.«

Halfdan nickten und rannte zurück. Wir blieben vor Ort und warteten. Es vergingen viele Stunden, ohne dass etwas geschah. Inzwischen war es Nacht geworden und die Sterne funkelten am Himmel, als Björn sagte.

»Ich glaube, sie werden das Schiff erst morgen holen.« Das dachte ich auch.

»Leg dich hin. Ich übernehme die erste Wache.«

Die Nacht war wirklich ruhig. Außer den Geräuschen der Tierwelt war nichts anderes zu hören. So wechselten wir uns mit den Wachen ab.

Der Tag war noch jung, als mich Björn weckte. Geräusche waren zu hören. Kurz darauf sahen wir ein schlankes, langes Boot anrudern. Ihm folgte ein zweites. Es waren ungefähr fünfzehn Mann und drei davon stiegen in Hjaltis Schiff. Die anderen lösten die Pflöcke und schoben es ins Wasser zurück. Hinter uns stieß Halfdan mit vier Mann zu uns. Gespannt sahen wir ihnen zu. Sie fühlten sich völlig sicher. Sie lachten und machten Witze. Niemand kam auf die Idee, sich umzusehen. So blieben wir im Schilf unentdeckt und sahen zu, wie sie den Wellenbrecher in ihr Versteck abschleppten.

»Prägt euch den Weg der Wasserläufe ein. Wir wollen hier wieder raus.« Dann schlichen wir ihnen nach. Es war für uns nicht schwer, da sie nur langsam vorankamen.

Mir kam es vor, als hätten wir sie schon seit Stunden verfolgt. Aber es täuschte. Als wir das Ziel erreicht hatten, stand die Sonne voll am Himmel. Mücken und Fliegen setzten uns unangenehm zu. Sie umkreisten uns wie die Raben das verlassene Schlachtfeld. Es wurde schwierig, die Männer ruhig zu halten und die Strapazen zu überstehen.

Ein kleines Dorf vor uns. Hauptsächlich bestand es aus den Räubern, die es als ihren Unterschlupf nutzten. Ich schickte einen Mann auf demselben Weg zurück. Er sollte Balki melden, wo wir waren und dass er mit dem Schiff zu uns kommen sollte. Wir blieben weiter hinten im Schilf versteckt, aber so, dass wir alles beobachten konnten. In diesen Stunden schlugen wir eine Schlacht, die nie in einem Lied besungen wurde. Wie viele Mücken ich erschlug, die an mein Blut wollten, wusste ich nicht. Nur dass alle unter ihnen litten. Björn schlich an meine Seite.

»Zu viele, Eric. Wir müssen die Nacht abwarten.« Ich stimmte ihm stumm zu. Ich musste zugeben, ich war froh, als die Dämmerung einsetzte und die Mücken verschwanden. Trotz unserer Kleidung waren alle übersät von ihren Stichen. Wir blieben noch versteckt und sahen zu, wie sie ungestört zu feiern begannen. Das Lachen drang an unsere Ohren. Sie feierten vermutlich den Sieg über uns und die fette Beute.

Erst als die Rufe ruhiger wurden, gab ich den Befehl. Alle wurden geweckt. Kettenhemden wurden übergestreift. Waffengürtel umgeschnallt. Schwerter und Messer eingesteckt und Schilde gefasst. Ich gab an allen die Weisung, ruhig und besonnen, ohne Kriegsgeschrei vorzudringen. Sie sollten sich wie Schatten bewegen. Schnell und sicher zuzustechend. Halfdan, Björn und ich gingen als Erste. Verwandelt machten wir die letzten Schritte durch das Schilf. Gemeinsam drückten wir die letzten Schilfhalme zur Seite und traten heraus. Die beiden Wachen saßen gemütlich am Feuer und wärmten sich. Einer der Wachen sah das Zurückweichen der Halme und sah zu uns. Doch sein Blick sagte mir, dass er das Gesehene nicht verstand. Er sah uns nur ungläubig an. Er stieß seinen Freund an und zeigte auf uns. Er versuchte aufzustehen und seinen Speer gegen uns zu erheben. Sein Freund drehte sich zu uns um. Über unser Erscheinen und unserer Gestalt erschrocken, wollte auch er aufstehen, doch Björn war schneller. Einer fiel rückwärts gurgelnd und seine Hände an seinem Hals haltend nach hinten. Der andere war kaum fähig, alles zu sehen und um zu begreifen, noch sich zu wehren, als er auf seinen Bauch sah. Er hielt seine Hände ungläubig an seinem Bauch und sah, wie seine Eingeweide herausquollen. Dann brach auch er auf seine Knie mit aufgerissenen Augen und ohne ein Wort sah er uns an. Leblos sank er neben seinen Freund.

Vorsichtig pirschten wir weiter und suchten unsere Freunde. Es dauerte nicht lange und wir fanden Hjalti und den Rest unserer Mannschaft. Einige waren verletzt, aber alle am Leben. Wir gaben ihnen zu verstehen, leise und ruhig zu sein. Dann lösten wir ihre Fesseln und zeigten ihnen, wo sich der Rest von uns versteckt hielt. Hjalti nahm sich Schwert und Speer eines Toten und folgte uns. Leise und ohne Lärm zogen wir von Haus zu Haus. Wir töteten schnell und lautlos alle, die auf ihren Betten lagen. Da winkte mir Björn zu. Er zeigte auf ein Haus.

»Hier schläft unser Freund Lasse.« Vorsichtig öffnete er die Tür und wir traten ein.

Laut lachend rief ich ihm zu: »Wach auf, Lasse. Ich bin es, dein Freund.« Er schreckte hoch und versuchte, sein Schwert zu fassen. Doch mit meinem Fuß schlug ich den Stahl fort.

»Komm hoch. Ich helfe dir.« Meine Krallen bohrten sich in seine Schulter und zogen ihn hoch. Stöhnend unter Schmerzen schrie er auf. Das weckte seinen Leibwächter im Nebenraum. Die Schmerzensschreie holten ihn aus dem Schlaf. Einer davon zog die Tür auf und torkelte in den Raum. Noch verwirrt und mit blanker Klinge wollte er sich erkundigen, was seinen Herrn so verwirrte. Da erblickte er uns. Spielten ihm seine Augen einen Streich? Wie viele Male ich solche Gesichter schon gesehen hatte. Auch er fing an zu zittern. Dann Panik. Dasselbe Gesicht hatte ich schon bei der Befreiung meiner Hild gesehen. Der Hauptmann des Markgrafen konnte unseren Anblick auch nicht glauben. Auch er sollte seinen Herrn beschützen. So stand nun auch Lasses Mann vor uns. Noch hielt er sein Schwert in seiner zittrigen Hand, doch dieses Zögern war auch schon sein Ende. Björn riss ihm mit seinen Zähnen den Hals auf. Blut spritzte aus seiner Schlagader und verteilte sich. Als er es begriffen hatte, versuchte er die Blutung an seinem Hals zu stoppen. Doch der Druck war zu heftig. Das Blut drückte sich zwischen seinen Fingern durch. Wenige Augenblicke später sackte er zusammen und blieb liegen. Björn eilte heraus und gab den anderen Leibwachen dasselbe Geschenk: den ewigen Schlaf. Lasse sah sich wie in einem schlechten Traum. Er sah mich noch immer abwesend an. Immer und immer wieder wanderte sein Blick über unsere Gestalt. Er kam erst in die Realität zurück, als ich ihn wie eine Marionette in die andere Ecke des Hauses warf. Ich gab ihm Zeit aufzustehen. Lasse hatte sich gefasst und schaute sich verstohlen um. Doch ich gab ihm keine Zeit. Meine Tatzenhand packte ihn, hob ihn hoch und warf ihn in die andere Ecke. Das Spiel hörte nicht auf. Ich genoss es förmlich. Ich spielte mit ihm wie die Katze mit einer Maus.

»Hör auf, mit ihm zu spielen, Eric«, sagte Björn. »Bring es endlich hinter dich.« Diese Unaufmerksamkeit nutzte Lasse aus und fasste das Schwert seines Leibwächters. Zu spät bemerkte ich, dass er sich aufgerappelt hatte. Ich hörte ihn hinter mir überheblich lachen. Als ich mich wieder ihm zuwandte, konnte ich die glänzende Klinge noch auf mich zurasen sehen. Meine Reflexe ließen mich zur Seite springen und die scharfe Klinge stach zwischen meiner Seite und Arm ins Leere. Über mich selbst erzürnt, zog ich ihn an seiner Kehle zu mir und fauchte ihn an: »Odin verlangt nach dir und deinem Pack, das schon draußen in seinem Blut liegt. Nach uns aber noch nicht. Verstehst du?« Er sah mich noch an, dann zog ich ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr immer näher zu mir.

»Du hättest uns besser in Ruhe gelassen. Aber du wolltest es nicht anders.«

Langsam senkte ich meinen Kopf an seinen Hals. Ich spürte seinen gehetzten Atem, seine stoßartigen Atemzüge, seine letzte Gegenwehr, als meine Zähne sich in seinen Hals bohrten. Genüsslich und langsam drückte ich meine Kiefer zusammen und empfing den warmen Strahl seines Blutes.

Ich trank, während er immer schwächer wurde. Das helle Klingen seines Schwertes, das aus seiner Hand glitt und auf dem Boden traf, verriet mir, dass er sein Leben ausgehaucht hatte.

Björn und ich trauten uns aus dem Haus. Einige Tote lagen herum. Hjalti hielt sein blutiges Schwert, von dem noch einige Blutstropfen in den Sand liefen. Er sah mich an und kam auf mich zu.

»Ich danke dir, Eric.« Er sah zu mir hoch. Ich klopfte ihm auf seine Schulter.

»Leben alle unserer Männer?«

»Außer einigen, die kleine Verletzungen haben, aber soviel ich weiß, ja. Das heißt, alle von meiner Mannschaft. Aber was noch schöner ist … komm, ich zeige es dir.«

Er ging voraus. Halfdan hob sein Schwert zum Gruß und zog die schwere Eichentür auf.

»Unser ungewollter Abstecher hat sich gelohnt«, sagte Hjalti. Ich hob eine Fackel aus der Verankerung, die an der Außenwand steckte und leuchtete in den Raum. Der Boden und die Wände bestanden aus schweren, dicken Eichenbohlen. Warum, das wusste ich schnell. Der Raum war mit vielen Kisten, großen und kleinen, bedeckt. Einige Deckel waren aufgebrochen und der Inhalt glänzte im Fackelschein. Hacksilber, Münzen mit Prägungen, die ich noch nie gesehen hatte. In einigen Kisten befanden sich Trinkgläser, die durchsichtig waren, gut in Stroh verpackt. Inmitten all dieser Schätze lagen ein paar Ballen in Baumwolle verpackt. Als ich sie öffnete, kamen edle Stoffe zum Vorschein. Sie glänzten und waren mit feinen Goldfäden bestickt.

Ich sah mir alles genau an. Da fielen mir zwei kleinere Kisten auf. Ich hob eines hoch und öffnete den Deckel. Ein komischer Geschmack kam mir entgegen. Von wo kannte ich ihn? Ich roch erneut daran, dann fiel es mir wieder ein. Damals auf der Gauteninsel, als Asny und ich uns um die Verwundeten kümmerten, betrat der junge Jarl mit zwei Frauen den Raum, die rauchende Töpfe schwenkten. Wie nannte er den Rauch? Soweit ich mich entsinnen konnte, nannte er ihn Weihrauch. Ich schloss den Deckel und stellte das Kästchen wieder zu dem anderen.

»Ein fürchterlicher Geruch«, sagte Hjalti hinter mir.

»Ja das stimmt. Aber wenn ich mich nicht irre, benutzen es die Kirchenmänner in ihren Häusern und ich glaube, es ist teuer wie Gold.«

Hjalti spuckte aus und verließ den Raum.

»Wenn alles auf dem Wellenbrecher verladen ist, brennen wir das Nest nieder«, sagte ich zu Halfdan.

Stumm nickte er, aber zugleich hielt er mich zurück.

»Eric.« Er zeigte mit dem Kopf nach hinten. Ich sah ihn an.

»Wir fanden noch zwei Gefangene. Sieh!« Er winkte einem unserer Mannschaft zu. Der brachte sie nahe an die Fackel. Ich sah sie mir an: ein Mann und eine Frau. Sie trauten sich kaum, mich anzusehen. Warum war mir klar. Ich verwandelte mich zurück, sodass sie mich in normaler Gestalt sehen konnten.

»Wer seid ihr?«, fragte ich. Unsicher wagte sich die Frau vor. Sie musste in meinem Alter gewesen sein, also ungefähr zweiundzwanzig.

»Mein Herr, ich heiße Geirid und war die Frau von Arsbjörn, als wir von diesem Abschaum überfallen wurden. Wir lagerten in der Nacht auf einer Sandbank. Es muss in der Nähe von hier gewesen sein. Sie raubten alles. Meinen Mann erschlugen sie im Schlaf wie die anderen seiner Männer. Wir Frauen wurden mit unserer Beute hierher verschleppt. Einige wurden weiterverkauft. Ich musste bleiben und ihnen dienen und tun, was sie wollten.« Geirid rollten Tränen über ihre Wangen. Sie erholte sich schnell, wischte ihre Tränen von ihren Wangen und zog den Jüngling hervor.

»Das ist Aethelbald.« Ich sah ihn an, er mich auch.

»Du brauchst dich nicht vor uns zu fürchten. Wir tun dir und Geirid kein erneutes Leid an.«

»Meinen Namen wisst ihr schon, Herr. Ich war mit meinen Brüdern unterwegs.«

Ich unterbrach ihn.

»Was meinst du mit deinen Brüdern?«

»Mir ist klar, dass ich nicht mehr so aussehe wie einst. Ich war mit einem Teil meiner Klosterbrüder und den Abgaben auf dem Weg in den Süden. Da wurden wir überfallen. Die Soldaten, die zu unserem Schutz standen, haben sie erschlagen. Wir wurden auf Schiffe verladen.«

Erneut unterbrach ich ihn. »Also, bist du ein Kirchenmann, und dein Name gibt mir das Gefühl, du stammst von der Insel, die wir Danelag nennen.«

Er nickte.

»Von wem wurdet ihr geraubt?«

»Das weiß ich nicht, aber es waren Landsleute von euch.«

»Gut. Du kannst mit uns zurück auf deine Insel, wenn du dich uns anschließen willst. Oder wir lassen dich hier zurück. Sonst … wir haben denselben Weg.«

Mein Blick fiel auf Geirid.

»Was ist dein Wunsch, Geirid?«

Nach langer Zeit antwortete sie:

»Alle meine Träume sind zerstört. Mein Mann ist tot. Ich weiß es nicht, Herr. Ich weiß nicht, wohin ich sollte. Ich habe kein Zuhause mehr.«

»Dann komm mit uns und lebe in Freiheit mit uns. Ich muss dir ehrlich sagen: Wir haben nicht die Zeit, um in dein Land zurückzusegeln, um dich abzusetzen. Hier lasse ich dich auf jeden Fall nicht zurück.«

»Ich komme mit euch.«

Wir luden alle Schätze auf Hjaltis Schiff.

Aethelbald kam zu mir.

»Ich nehme dein Angebot an und komme mit euch.«

Ich schmunzelte und warf die erste Brandfackel in ein Haus. Neben mir wurden weitere Fackeln entfacht und in die anderen Häuser geworfen. Die Reetdächer und das Holz brannten schnell und lichterloh.

Die Letzten bestiegen das Schiff und in der Morgendämmerung legten wir ab. Suchten uns den Weg aus dem Labyrinth aus Wasserkanälen. Hinter uns gab das Scheinen der brennenden Häuser ein gespenstisches Licht. Die Lotsen, die am Vordersteven standen, meldeten uns jede Sandbank oder Untiefe. Aethelbald sah mich neben Hjalti und wollte mich etwas fragen. Ich winkte ab.

»Wenn wir unsere Freunde erreicht haben und uns wieder auf See befinden, stehe ich dir gern zu Verfügung und beantworte dir alle Fragen.«

Er schwieg und setzte sich auf die Plattform. Langsam und übervorsichtig steuerte Hjalti das Schiff aus diesem Wirrwarr. Endlich sahen wir weiter vor uns meinen Raben, der auf uns wartete. Einige winkten uns zu. Nach wenigen Minuten hatten wir Balki und meinen Raben erreicht.

»Schön, euch alle gesund zusehen.«

»Verteilen wir so schnell wie möglich unsere Beute auf beide Schiffe. Im Fall eines Falles …« was schnell geschah.

»Geirid und du Aethelbald steigt auf das andere Schiff«, sagte ich ihnen und half Geirid vom Wellenbrecher.

»Alles verteilt, Eric«, sagte Hjalti zu mir.

»Gut. Nun verlassen wir diese üble Gegend. Folge uns.« Alle Mann waren wieder auf ihren Schiffen und mit gutem Wind ließen wir das Land hinter uns. Balki fing an zu lachen. Ich sah zu ihm hinüber.

»Was amüsiert dich?« Er hatte ein Bein auf der Reling abgestützt, sah aber weiter aufs Meer vor sich.

»Ging ja mehr als gut. Keine Verluste und eine fette Beute für uns.«

»Da gebe ich dir recht. Aber wie vielen ehrsamen Händlern hat unsere Beute das Leben gekostet? Hast du dir darüber schon einmal Gedanken gemacht?«

Sein Lachen erstarb und er schloss seinen zahnlosen Mund. Ich merkte, dass er sich Gedanken über meine Worte machte, dann nickte er mir zu.

»Du hast recht. Meine Worte waren wirklich kopflos gesprochen. Hjalti hätte das gleiche Schicksal ereilen können.«

»Schon gut, Balki. Aber wir haben trotzdem eine fette Beute gemacht und nun Kurs auf unsere Heimat.«

Die Wolken verdichteten sich und das Navigieren wurde schwer. Balki sah, wie ich den Himmel absuchte.

»Wir werden es schon schaffen, Eric. Keine Sorge.«

Hjalti folgte uns dicht und pflügte die Wellen der See ebenso wie unser Schiff.

Ich winkte Aethelbald zu mir.

»Was wolltest du mich fragen?«


»Entschuldigt meine Unwissenheit, aber ich sah euch aus dem Schilf treten. Wie ihr gemordet habt. Ohne zu zögern und ohne Mitgefühl und das alles als …«

Er fuchtelte nach Worte ringend durch die Luft.

»Und dann verließet ihr diesen abscheulich anzusehenden Körper und ihr standet wieder als Mensch neben uns. Überlegend, freundlich und fürsorglich. Wie soll ich das deuten? Ich dachte, der leibhaftige Teufel stünde vor mir und meine letzte Stunde hätte geschlagen. Etwas, das es nicht geben darf. Menschen, die sich in eine andere Gestalt verwandeln können. Auch habe ich nie etwas davon gelesen. Wer seid ihr und was seid ihr? Ich muss ehrlich gestehen: Ich fürchte mich noch immer vor euch.«

Ich sah ihn durchdringend an und fuhr mir durch meinen Schnurrbart, während er mir gegenübersaß. Wie sollte ich ihm das erklären? Ich verstand, dass wir für alle ein Mysterium waren. Etwas, das es nicht geben durfte. Ich hätte genau so gedacht.

»Von wo kommst du?«

»Unser Orden lag etwas nördlicher von der Stadt, die ihr Lundun nennt, an der Küste. Wir hatten die Wagen schon bepackt und waren erst etwa eine halbe Stunde auf dem Weg nach Grantaceaster. Da traten fremd aussehende Männer auf die Straße und hielten uns auf. Es waren Nordmänner. Ohne groß zu fragen, erschlugen sie die Wachen in kurzem Kampf. Dann traten noch viele mehr aus einem Getreidefeld. Raubten alles. Unser Silber. Getreidesäcke, das Vieh und auch uns. Sie brachten alles zum Strand zurück. Alle, die noch jünger waren, wurden auf verschiedene Schiffe verladen, Vieh und Getreide auch. Die Beute reichte ihnen angeblich und so verließen wir mein Land. Drei Brüder auf meinem Schiff starben an Unterernährung und Trinkwassermangel. Auf einem Sklavenmarkt wurde ich dann verkauft, um dann wieder verkauft zu werden. Am Schluss landete ich bei diesem Lasse.«

Nachdenklich nickte ich.

»Dann bist mit sicher bewandert mit dem Schreiben deiner Sprache.«

»Du meinst die Schrift des Herren.«

»Ja, diese Schrift meine ich.«

»Kannst du sie mich lehren?«

Erneut nickte er.

»Gut. Dann werde ich dich über mich und ein paar meiner Freunde mal aufklären. Verstehen wirst du es nicht. Aber versuche, es zu akzeptieren und dass es noch etwas anderes gibt, das auf Midgard lebt, was aber eurer Weltordnung völlig widerspricht.«

Er nickte mir gespannt zu.

»Unsere Götter, die ihr … das heißt, eure oberen Kirchenmänner als Teufel bezeichnen …« Ich sah ihn durchdringlich an. Er mich auch.

»… ein kleiner Teil von uns besitzt die Fähigkeit, sich zu verwandeln. Wir sind von unserem obersten Gott, unserem Gottvater Odin, geweiht worden, das Gleichgewicht hier zu wahren.«

»Was heißt: das Gleichgewicht zu wahren? Es gibt nur einen Gott. Das weiß ich.«

»Das behauptest du, junger Aethelbald. Doch du sahst meine Gestalt und die von Halfdan und Björn. Muss ich es dir abermals beweisen? Du selbst hast gesagt, solch eine Gestalt hast du noch nie gesehen. Habe ich recht? Das können nur Ausgewählte unseres Gottes. Wir sind seine Krieger auf Midgard und wir sehen, dass unser Glaube Bestand hat. Aber auch wir unterliegen einem Kodex. Unsere Wut geht nie gegen Wehrlose oder Bauern, die ihre Felder bestellen. Wir beschützen das Volk, wie eure Obersten es auch tun sollten. Uns geht es nicht darum, unseren Glauben durchzusetzen und eine Herrschaft zu gründen, sondern miteinander zu leben. Die verschiedenen Richtungen zu verschmelzen oder zu akzeptieren, um miteinander glücklich und zufrieden zu leben.«

Aethelbald lachte.

»Das wollt ihr, ihr, die ihr euch zu abscheulichen Monstern verwandeln könnt?«

Ich zog ihn hoch, zu mir. Schnell hatte ich mich verwandelt. Hielt ihn vor mein Maul, das ihm meine langen Reißzähne vor seinem Gesicht aufblitzten.

»Wie lange würde ich brauchen, dich aufzuschlitzen und dein Blut zu trinken und dich dann leblos über Bord zu werfen? Was meinst du?«

Zittrig sagte er.

»Nicht lange.«

Ich ließ ihn los und verwandelte mich zurück.

»Nun hast du den letzten Beweis, dass es uns gibt.«

Balki der alles aus der Nähe sah, wandte seinen Blick zu Aethelbald:

»Glaube mir, solch einen Gegner willst du nie auf dich zustürmen sehen. Ich sah sie und was sie anrichten können. Nur Blut, wo sie stehen. Gedärme, die durch die Luft geworfen wurden. Wehrhafte Männer, die sich ihnen entgegenstellten. Schwertgewandte und speermächtige Männer. Alle blieben vor ihnen liegen und hauchten ihr Leben aus.«

»Hier auf diesem Schiff wird dir kein einziges Haar gekrümmt. Wir bringen dich zurück, wie ich es dir versprochen habe. Mein einziger Wunsch ist: Denke über alles nach. Wäge alle deine Bedenken ab. Es ist nicht alles böse, was auf dieser Welt wandelt. Auch wenn es andere behaupten oder mit deiner Religion nicht vereinbar ist. Das siehst du an dir selbst. Wir haben dich ohne Vorurteile mitgenommen und dir eine sichere Heimreise versprochen. Als freier Mann und so wirst du uns verlassen und deiner Wege gehen.«

Aethelbald stand auf.

»So, wie ich es sehe, muss ich noch viel lernen und nicht gleich verfrüht Vorurteile aufbauen.«

Ich nickte.

»Du hast Augen und Ohren bekommen. Höre und sieh zuerst, dann erst fälle dein Urteil.«

Tag für Tag kamen wir unserem Ziel näher, und Aethelbald zeigte mir ihre Buchstaben, wie er sie nannte. Er lehrte mich ihre Aussprache und wie man sie zusammensetzte, dass es ein Wort ergab.

Eines frühen Morgens erblickten wir wieder Land.

»Wo sind wir hier?«, sagte Balki.

»Auf jeden Fall nicht dort, wo wir eigentlich hinwollten, lieber Balki. Diese Küste kommt mir nicht bekannt vor.«

Er sah sich um.

»Auf jeden Fall haben wir Danelag erreicht, das sehe ich an der Küstenlinie.« Wir näherten uns der Küste und Balki suchte nach Erkennungsmerkmale.

»Nun kommt es mir bekannt vor. Ich war mit Hakon schon einmal hier. Wir sind im Süden des Landes angekommen. Wir müssen nach Norden segeln. Weiter südlicher liegt die große Stadt Lundun. Wenn wir den Kurs nordwärts einschlagen, kommen wir nach Jarnamoda. Dort können wir unsere Vorräte auffrischen, da wir in Alaborg nicht groß dazu kamen.«

»Jarnamoda«, wiederholte ich langsam.

»Wie groß ist die Stadt? Wie Haithabu?«

»Schwer zu sagen Eric. Ich war schon seit Jahren nicht mehr dort. Aber ich würde behaupten, nein. Du kannst mir später sagen, welche größer ist.« Hjalti schwenkte sein Schiff und blieb eine Bootslänge hinter uns auf unserem Kurs. Wir folgten in Sichtweite der Küste nordwärts. Balki schaute sich die Küste genau an und setzte ein zufriedenes Grinsen auf.

»Wir haben das Ziel bald erreicht.«

Er drehte das Ruder. Wir steuerten auf Jarnamoda zu. Das Land kam schnell näher. Segel wurden zur Hälfte aufgezogen, um die Fahrt zu verringern. Ich gab Befehl, den Rabenkopf zu entfernen und ein weißes Schild anzuhängen. Hjalti sah, was wir taten, und veranlasste dasselbe an seinem Schiff. Wir wurden schon von der Küste aus beobachtet, und ich sah, wie ein Mann auf sein Pferd stieg und davonritt. Langsam fuhren wir in den Hafen. Es lagen so viele Schiffe vor Anker. Ein Mann mit einem Speer in der Hand winkte uns zu.

»Hafenmeister, wahrscheinlich«, brummte Balki. Er winkte uns weiter in den hinteren Teil des Hafens, wo wir die beiden Schiffe auf den flachen Kiesstrand setzten. Wir warfen den Männern, die auf uns warteten, die Halteseile zu. Sie zogen sie und banden sie an den Pflöcken fest.

Der Mann mit dem Speer tauchte auf.

»Wer ist eurer Bootsführer?« Halfdan, der die Halteseile kontrollierte, zeigte wortlos auf mich. Ich trat an den Steven.

»Ich. Eric Hallvardson.«

Er kam zu mir hinunter und sah mich an, dann auf die anderen.

»Was hat euch zu uns geführt?«

»Wir sind vom Kurs abgekommen und mein Steuermann war schon einmal vor einiger Zeit hier. Wir wollen nur Vorräte einkaufen und dann weiter nordwärts segeln, wo unsere Heimat liegt.«

»Und wo soll das sein?«

»Im Land der Kelten. An der Grenze zu Nordhumbrien.«

»Da wüsste ich schönere Gebiete.« Unsere Blicke trafen sich und er sah meine Ablehnung.

»Das ist nicht mein Problem. Wie lange wollt ihr bleiben?«

»Heute und morgen. Das sollte reichen.«

»Dann bekomme ich für jedes Schiff, pro Tag zwei Gramm Hacksilber. Also acht Gramm.«

»Das grenzt an Wucher«, rief ich ihm zu. Er zuckte uninteressiert mit seinen Schultern.

»Bezahle oder legt ab. Ich und meine Männer sorgen dafür, dass den Schiffen nichts passiert und auch nichts gestohlen wird. Ihr braucht keine Wachen aufzustellen.«

»Das soll ich dir glauben?«

»Ja. Zu meinem Wort stehe ich und alle aus meiner Wache.« Murrend öffnete ich meinen Beutel und zog einige Stücke hervor. Missmutig überreichte ich sie ihm. Er nahm eine Waage und legte sie darauf.

»Du hast zu viel bezahlt.« Er wollte mit einem Messer von einem größeren Stück abschneiden.

»Behalte es.« Er bedankte sich.

»Ihr könnt auf euren Schiffen schlafen oder eure Zelte auf der Wiese aufbauen.« Er zeigte mit seinem Speer auf die Stelle.

»Dort oben. Der gepflasterte Weg führt euch direkt in die Stadt.«

Wir beschlossen, die Zelte aufzustellen, um wieder einmal richtig ausgestreckt schlafen zu können. Dass es noch angenehm und schön war, machte uns die Entscheidung noch leichter.

»Aethelbald.«

Er war beschäftigt, Zeltstangen auf die Ebene zu bringen. Verwundert sah er zu mir. Ich winkte ihn her und wollte von ihm wissen: »Was machst du hier?«

»Ich helfe, die Zelte aufzustellen. Warum?«

»Willst du nicht lieber in die Stadt zu deinen Brüdern?«

Er wusste nicht, was er tun und sagen sollte. Ich nahm es ihm ab.

»Deponiere die Stangen oben, wo die Zelte aufgebaut werden sollten, und komm dann zu mir zurück auf den Raben.«

Als er wieder auf dem Schiff war, zeigte ich ihm ein Kästchen und öffnete den Deckel.

»Riech daran. Was hältst du davon? Ist das nicht Weihrauch, den ihr in euren Häusern verströmen lasst?«

Er schnupperte daran.

»Ja, es ist, was du vermutet hast. Es muss sich um Weihrauch handeln. Ich kenne den Duft.«

Ich hatte einen kleinen Beutel mit Münzen bereitgemacht und übergab ihn ihm.

»Das ist für dich und deine Hilfe für die Arbeiten auf der Überfahrt. Nun gehe und suche deine Brüder in der Stadt und lebe, wie du es gewohnt warst. Auch wenn es dir nicht zusagt, aber ich bete zu den Meinen um deine Sicherheit. Nun geh.«

Er blieb noch stehen und sah mich eindringlich an, als wollte er protestieren. Langsam und sich immer wieder umsehend machte er einen Schritt um den anderen zurück. Da fielen mir die Kästchen wieder ein.

»Aethelbald.

Warte! Da wäre noch was.«

Schnell füllte ich etwas Weihrauch in ein kleines Gefäß, das aus bläulichem Glas bestand, wie mir Aethelbald erklärte. Auch aus Lasses Schatz. Spannte ein Tuch darüber und brachte es ihm.

»Nimm es zu deinen Glaubensbrüdern mit und sage ihnen, dass wir noch mehr davon haben. Vielleicht wollen sie etwas abkaufen.«

Er bedankte sich herzlich. Zusammen gingen wir auf die Anhöhe, wo er den gepflasterten Weg in die Stadt nahm.

Halfdan hatte uns beobachtet.

»Wollte er gehen?«

»Nein. Ich habe ihn fortgeschickt.«

Er nickte und machte sich wieder ohne Worte an seine Arbeit.

Am Abend, am Feuer stellten wir die Gruppen zusammen zum Einkaufen. Dabei fragte ich die beiden Steuermänner, was die Schiffe noch an Platz boten.

Am darauffolgenden Morgen machten wir uns auf den Weg. Ich beschwor alle ein, die kostbare Zeit nicht in Spelunken zu verbringen. Björn, Jasper, Hjalti und ein paar Männer hatten die Aufgabe, Lebensmittel, Roggen und anderes Saatgut zu kaufen. Auch wollte ich Hühner und Schweine: Um diese Arbeit kümmerten sich mein Bruder Ulf, Skefill und der Rest der Mannschaft. Halfdan, Balki, meine Schwester Fenya und ich suchten auf dem Markt nach allem anderen.

»Eric, sieh. Stoffe. Darf ich hin?« Meine Schwester schien entzückt. Ich nickte, gab aber Halfdan zu verstehen, er solle sie begleiten. Ich sah mich um, aber niemand interessierte sich für uns. Es war erstaunlich ruhig. Frische Fische wurden angeboten. Methändler versuchten lauthals, ihre Produkte anzupreisen. Geflochtene Waren wie Körbe, Reusen, Kämme – alles war hier auch vorhanden. Fenya kam zurück. Halfdan im Hintergrund schmunzelte.

»Du musst mir helfen, Bruder. Für was soll ich mich entscheiden?« Sie zerrte mich förmlich mit sich.

»Ich will doch gut aussehen in meinem neuen Land.« Ich riet ihr zum blauen Ballen, doch sie wollte den roten.

Aus Witz sagte Halfdan:

»In einem grünen Kleid würdest du mir auch gefallen.«

Nun gingen die Diskussionen weiter, bis ich die Nerven verlor und die Händlerin nach dem Preis fragte. Wir einigten uns und so kamen alle drei Farben in Fenyas Besitz. Wir schlenderten noch an den Händlerständen vorbei, wobei Fenya zu oft, wie ich fand, und zu lange die Auslagen bestaunte. Halfdan ertrug es, ohne Worte und ohne sein Gesicht zu verziehen. Nein, er half meiner Schwester und beriet sie. Ich war ihm dankbar dafür.

Am späten Nachmittag kehrten wir zu unseren Schiffen zurück. Ulf war gerade dabei die gekauften Schweine zu verladen.

»Ein guter Tag, Bruder. Sieh dir die sechs Schweine an. Gut gebaut und gesund. Den Eber habe ich auf dein Schiff gebracht.«

»Sehen gut aus, Ulf.« Ich sah auf die grunzenden Viecher. Etwas, von dem ich absolut keine Ahnung hatte: die Landwirtschaft. Ich klopfte ihm Stolz auf seine Schulter.

»Sehr gut, Ulf. Hat sich Björn schon gezeigt?«

Er nickte und zeigte auf ihn.

»Es waren viele Saatgutsäcke auf deinem Schiff verladen. Aber warum er abermals losging, hat er mir nicht gesagt.«

Ich nickte meinem Bruder zu und kontrollierte, wie die Ladung verstaut war, als hinter mir Stimmen laut wurden. Ich sah mich um. Aethelbald. Er war in Begleitung von zwei braun gekleideten Mönchen. Er winkte mir zu und kam schnelleren Schrittes auf mich zu. Ich wusste nicht warum, aber instinktiv fasste ich hinter mich und war beruhigt, als meine Finger den Griff meiner Sax erfassten, die in der Scheide steckte.

»Eric. Endlich habe ich dich gefunden. Wir haben dich zuerst auf dem Markt gesucht. Ich habe dein Geschenk dem ansässigen Abt hier übergeben. Er wollte dich kennenlernen.« Dabei strahlte er sichtlich vor Freude.

»Will er?« Ich zog meine Augenbraue hoch.

»Ja, Eric. Ich habe von euch erzählt und von meiner Befreiung. Er war sehr erstaunt und wollte dich kennenlernen. Er meinte auch, du seiest ein sehr großzügiger Mann.«

»Meint er? Wenn er wüsste …«, sagte ich.

Aethelbald winkte ab.

»Ich habe ihnen nicht erzählt, wie und in welcher körperlichen Form ich dich zum ersten Mal sah.«

»Ahhh so … hast du.«

»Ja. Nun stelle ich dir Abt Osfreth vor.«

»Wenn es sein muss.«

Er lachte laut und herzhaft. Osfreth stieß zu uns. Ein untersetzter, kleiner Mann mit einem dicken Bauch. Er sah mich an.

»Du musst mein Sohn Eric, der Nordländer, sein.« Für mich dachte ich: Nicht schon wieder! Ich war nicht sein Sohn, das wusste ich genau. Doch ich grüßte ihn freundlich.

»Ihr seid also das Oberhaupt eures Klosters?«

Sein pausbackiges Gesicht lachte.

»Ja, mein Sohn.«

Langsam legte ich meinen Arm um seine Schulter und flüsterte ihm zu:

»Du täuschst dich, mein Mönchlein. Ich bin nie dein Sohn gewesen und werde es auch nie werden.«

Erstaunt sah er mich an.

»Aber alle, die auf Erden wandeln, sind meine Brüder. Das sagt schon …«

Ich unterbrach ihn und sagte leise in sein Ohr:

»Ja, diese Worte habe ich schon mehrmals gehört und die gelten nicht für uns, Mönch. Dein Gott geht mich nichts an, aber ich hege keinen Groll gegen ihn.«

Er sah mich an und nickte.

»Aber sage mir. Seid ihr reich? Vermögend?«

Er setzte ein falsches Lächeln auf. Hob seine Arme in die Luft und sagte:

»Wir streben nicht nach Reichtümern. Uns ist das Wort Gottes wichtiger und alle auf den rechten Weg zu bringen.«

Ich winkte ab.

»Aber ihr besitzt Gold. Habe ich recht?« Stotternd versuchte er zu antworten.

»Ich mache dir ein faires Angebot, Abt. Wir überfallen euch, wenn ihr alle in der Messe seid. Brennen alles nieder. Rauben eure Schätze. Töten alle aus eurem Orden. Aber hinterlegen auf den noch rauchenden Trümmern den Rest des Kästchens mit dem Weihrauch. Was hältst du davon?«

Osfreth und Aethelbald sahen mich ungläubig an. Björn mit seinen Männern kam zurück. Er sah den Abt abstoßend an und spuckte auf die Holzplanken des Stegs. Aethelbald wollte vermitteln, da er das Unwohlsein des Abtes bemerkte, aber ich hob meine Hand.

»Es war ein Scherz, wie wir Nordmänner sie lieben. Wenn ihr Interesse am Rest des Weihrauches habt, macht mir ein Angebot. Bedenkt es gut, denn wir legen morgen ab.«

Osfreth versuchte, mit einem säuerlichen Gesicht zu schmunzeln.

»An wie viel hast du gedacht?«

»Wiege es in Gold ab und wir sind beide zufrieden.«

Seine Augen weiteten sich. Ich klopfte auf seine Schulter.

»Seid großzügig, Abt, und bedenket, es wird immer gut bei euch duften und wenn ihr tatsächlich ausgeraubt werdet, gib dir keine Schuld. Du hast dein Gold ehrlich mit einem Nordmann getauscht.«

Ich klopfte ihm erneut auf die Schulter, drehte mich um und ging zu Björn.

»Was wollte dieser heilige Weltverbesserer?«

»Du brauchst mich nicht anzuknurren. Ich habe sie nicht hierhergebeten.« Björn nickte, schaute den Mönchen nach.

»Sprich mit Skefill, Eric.«

»Warum? Was ist vorgefallen?«

»Er hat sich zwei kläffende Köter gekauft. Aber frag deinen Bruder. Er kommt gleich.« Nun war mir klar, warum er etwas gereizt war. Hunde und Wölfe vereinbaren sich nicht besonders. Ich drehte mich um und wollte von meinem Bruder wissen, was vorgefallen war.

»Skefill hat an zwei Hunden einen Narren gefressen, die er bei einem Händler sah, und hat sie ihm abgekauft. Ich versuchte noch, ihn zu überzeugen, zuerst mit dir zu reden, doch er setzte seinen Kopf durch.«

Ich nickte.

»Er folgt uns mit einem Karren, auf dem die Hühner sind.«

Ich ging über den Strand Skefill entgegen und sah ihn auf der gepflasterten Straße heranrollen. Er winkte mir zu und ich wartete, bis er mich erreicht hatte. Die beiden Hunde gingen an seiner Seite und kläfften mich bedrohlich an. Ich schenkte ihnen keine Beachtung.

»Eric, ich bringe die drei Dutzend Hühner, die hinten auf dem Karren sind, aufs Schiff.«

»Und diese zwei Begleiter?« Ich zeigte auf die beiden Hunde. Er sah zu ihnen herunter.

»Die habe ich von meinem Anteil gekauft. Etwas entfernt von dem Hühnerhändler waren sie angekettet. Sie kläfften alle an außer mich. Es war Freundschaft auf den ersten Blick.« Ich nickte, sah aber Skefill streng an.

»Du solltest es eigentlich wissen, dass wir Wolfsmänner es nicht gut mit Hunden haben. Björn ist auf jeden Fall nicht begeistert, auch ich nicht.« Skefill senkte seinen Blick.

»Ja, ich weiß, Eric. Ich hätte fragen sollen.«

»Gut. Dann beschließe ich. Du bringst ihnen Manieren bei und erziehst sie. Ich will nicht jedes Mal angekläfft werden und wenn sie im Dorf Unheil anrichten, Kinder verletzen, sich über die Hühner her machen, werde ich sie töten. Hast du verstanden, Skefill?«

Er nickte. Zusammen legten wir die letzten Meter zu unserem Schiff zurück.

Der Abend verging schnell und so mancher verkroch sich in sein Zelt, um am anderen Morgen ausgeruht unsere letzte Etappe anzutreten. Halfdan, Björn, Skefill mit seinen beiden Leibwächtern und ich genossen den warmen Abend. Met reichten wir einander zu und genossen ihn ohne große Worte. Ich sah in den Himmel und den funkelnden Sternen zu.

Da schossen die beiden Hunde hoch und knurrten in die schwarze Nacht.


»Pfeif sie zurück! Es ist nur ein einzelner Mann.«

Skefill hielt die beiden zurück. Da tauchte schwer atmend Aethelbald auf. Erschrocken über das Knurren der Hunde blieb er stehen.

»Komm ruhig zu uns. Sie machen dir nichts.« Ich hob einen leeren Becher auf, der neben mir lag und füllte ihn mit Met.

»Setz dich und komm zur Ruhe. Dann trink und lösche den Durst.

Was treibt dich zu so später Stunde zu uns?«

Ich füllte seinen Becher erneut.

»Dein Gespräch mit dem Abt heute Morgen hat ihn verunsichert. Ich habe das Gefühl bekommen, er ist euch nicht mehr sehr wohl gesonnen.«

Ich schmunzelte.

»Das habe ich befürchtet. Aber wir werden sehen, Aethelbald. Morgen muss er vor uns keine Angst mehr haben.«

Aethelbald nickte und verließ uns.

»Was denkt ihr? Wird er kommen … oder?«

»Oder was, Halfdan? Gehen deine Gedanken wieder absondere Wege. Wir haben ihn nie bedroht, also wird er, wenn er kommt, sicher nicht mit einem Trupp Soldaten erscheinen. Sieh nicht immer alles so pessimistisch«, fluchte Björn.

»Wir werden morgen sehen. Legen wir uns hin. Es ist schon spät und ich will in der Früh das Lager abbrechen, dass wir am Abend in unseren Betten liegen können.«

Am Morgen weckte mich Gloi mit seinem Krack. Schnell war ich in meinen Hosen und stand vor dem Zelt. Die Sonnenstrahlen begrüßten mich und ließen Glois Gefieder glänzen.

»Heute geht’s nach Hause mein Freund.«

Ich fuhr über seinen Kopf. Er sah mich an und flog fort. Ich ging von Zelt zu Zelt und weckte alle, die noch nicht wach waren. Die beiden Hunde lagen vor Skefills Zelt und sahen mich zwar skeptisch an, knurrten aber nicht und machten mir Platz, als ich ins Zelt von Skefill ging, um auch ihn aus seiner Decke zu holen. Die ersten Zelte waren schon abgebrochen und zu unseren Schiffen gebracht.

Plötzlich erschienen zwei Soldaten der Hafenwache.

»Wir sollen euch ausrichten, dass der Abt des ansässigen Klosters euch in der Stadt erwartet. Angeblich habt ihr noch Geschäfte mit ihm zu erledigen.« Misstrauisch schaute ich zu Halfdan, der mich ebenfalls mit zusammengekniffenen Augen ansah. Er dachte sicher das Gleiche wie ich.

Ich sagte den beiden Wächtern:

»Richtet diesem Osfreth aus, wir sind nicht mehr lange hier. Also wenn er etwas von uns will, soll er sich beeilen. Unsere Zeit lässt es nicht zu, noch allzu lange zu warten.«

Ein Soldat nickte und beide machten sich eiligst zurück. Wir aßen etwas und warteten. Mir wurde es langsam zu bunt und ich wollte gerade das Kommando zum Ablegen gegeben. Da erschien gehetzt ein kleiner schmächtiger Mönch und rief zu uns.

»Wartet, ihr Herren! Mein Oberhaupt Abt Osfreth wird gleich hier eintreffen.«

Es dauerte noch eine Weile, aber dann erschien Osfreth. Mit einem falschen Lächeln auf seinen Lippen sagte er:

»Ich muss schon sagen, ihr seid ein misstrauischer Mann.«

Ich zuckte mit meinen Schultern.

»Liegt an meinen Erfahrungen.«

Er setzte wieder ein gequältes Lächeln auf.

»Also, hast du Interesse an dem Weihrauch, wie ich es mir gedacht habe?«

Er nickte.

»Und wie willst du es aufwiegen?« Osfreth winkte einem Mönch hinter sich, der nun hervortrat. In seiner Hand trug er eine Waage.

»Wie du es verlangt hast. Mit Gold.«

Der Mönch hielt die Waage und Osfreth zog einen kleinen Beutel, der in seinem Wams steckte hervor. Ich holte das volle Kästchen und schüttete den Inhalt auf eine Waagschale. Osfreth griff in den Beutel und legte eine Münze Gold hinein und noch eine. Die Waage kippte von einer Seite zur anderen, doch es reichte noch nicht. So musste er noch zwei kleinere Goldmünzen dazulegen. Ich sah noch einen kleinen Unterschied zu seinen Gunsten, ich winkte ab.

 

»Ist nun gut, Osfreth, auch wenn es noch zu deinen Gunsten ist. Ich will dich nicht um dein Gold bringen.« Er nickte. Ich sah ihn an. Sein Blick verriet mir, dass er mich noch was fragen wollte.

»Was liegt dir auf der Zunge.«

»Ich sah gestern Abend unseren Bruder Aethelbald zurückkehren. Ich fragte ihn, wo er gewesen sei. Er sagte mir, bei euch.«

Ich unterbrach ihn.

»Ja, das stimmt. Er tauchte unerwartet bei uns auf. Was tut das zur Sache?«

Osfreth winkte beschwichtigend ab.

»Nichts. Ich vertraue ihm. Da kam mir eine Idee. Ich möchte dich fragen: Würdest du ihn mitnehmen? In den Norden. Er könnte dort Gottes Wort verkünden.«

Ich lachte lauthals heraus.

»Entschuldige bitte. Aber ich glaube, du willst ihn lieber loswerden. Ich nehme ihn für ein kleines Entgelt mit, das ist kein Problem. Was er aber im Norden ausrichten kann, weiß ich nicht.« Osfreth entging meinem Blick wissentlich.

»Wo ist Aethelbald?« Er winkte wieder nach hinten, wo der Mönch erschien.

Ich winkte ihm zu, er solle aufs Schiff steigen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752125894
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Wikinger Gestaltwandler Abenteuerroman Roman Odin Horror Fantasy

Autor

  • Rolf Suter (Autor:in)

Rolf Suter, geboren 1959 in Zürich/Schweiz, hat einen handwerklichen Beruf gewählt, den des Malers. Geschichte im Allgemeinen faszinierte ihn schon seit früherster Jugend, hauptsächlich die Geschichte der Germanenstämme und der Kelten – vor allem die der Nordgermanen, der Wikinger. Ihre Epoche, ihr Glauben und die Runen ziehen ihn noch jetzt in Bann.
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Titel: Im Bann des Walknut: Schwertgesang