Lade Inhalt...

Aufbrüche

Die Kraft der inneren Bilder zur Selbstveränderung

von Volker Friebel (Autor:in)
128 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch führt in die Welt der inneren Bilder ein und erläutert die Arbeit mit ihnen. Der Hauptteil besteht aus zahlreichen Imaginationen, die selbst genutzt oder als Anregungen für eigene Imaginationen verwendet werden können. Alle Imaginationen werden kommentiert. Das Buch ist für alle Menschen geeignet, die sich mit den eigenen Veränderungsmöglichkeiten beschäftigen möchten. Unsere Welt baut sich aus Vorstellungsbildern auf: Aus Bildern, die wir aktuell sehen, aus Bildern, in die wir anderweitig Aufgenommenes umsetzen, aus Bildern, die wir erinnern, aus Bildern, in denen wir denken und fühlen, die wir selbst herstellen. Da Vorstellungsbilder so wichtig sind, da sie so etwas wie eine Grundsprache unserer Psyche zu sein scheinen, liegt der Versuch nahe, sie besser und bewusster zu nutzen. Über das Erleben innerer Bilder lassen sich unsere Gefühle, unsere Bewertungen und Grundeinstellungen betrachten und verändern. Eine Möglichkeit dazu bieten Imaginationen. Die vorliegende Sammlung von Imaginationen umfasst sowohl Vorstellungsbilder zur Entspannung und Ruhe als auch Vorstellungsbilder zur Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Welt – und damit auch mit unserer Beziehung zu anderen Menschen. Die Kommentierungen der Imaginationen zeigen, wie eine Auseinandersetzung mit den inneren Bildern erfolgen kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einführung

 

„Tatsächlich stimmen heute viele anerkannte Wissenschaftler darin überein, daß zur Erklärung der Launen des menschlichen Verhaltens es nicht mehr erforderlich ist, Spekulationen über unbewußte Komplexe, geheime Kräfte, Mächte oder gar konditionierte Reflexe anzustellen. Unsere Worte, Ideen, Werte, Einstellungen und Überzeugungen sind alle voll von Bildern. Finden Sie diese Bilder, und Sie werden das Verhalten verstehen können. Überdies: Finden Sie die Bilder, und Sie werden, wenn Sie wollen, Ihre Gefühle und Ihr Verhalten wahrscheinlich ändern können.“

Arnold Lazarus

 

Vorstellungsbilder

 

Wenn wir eine Orange betrachten, dann stellt sich in uns das Bild einer Orange ein. 

Wenn wir von einer Orange lesen, dann bildet sich in uns unwillkürlich nicht etwa das Wort, die Folge der Buchstaben oder ein abstrakter Begriff, sondern eben wieder ein Bild der Orange – nur ganz flüchtig, falls wir das Wort in einem Satz lesen und gleich zum nächsten Wort übergehen, oder genauer, falls wir näher bei diesem Wort verweilen.

Wenn wir eine Orange erinnern, geschieht das genauso.

Der Anblick einer Orange ruft ein Muster elektrischer Aktivität in unserem Gehirn hervor. Dieses Muster wird auf noch unbekannte Weise gespeichert. Das Erinnern einer Orange geschieht durch die Aktivierung dieses gespeicherten Musters. Das Muster entspricht einem Bild.

Wir leben in Bildern.

Meist sind Erinnerungsbilder blasser als Bilder, die wir gerade „wirklich“ sehen. Dieser Unterschied in der Färbung wird wahrscheinlich vom Gehirn aktiv hergestellt, um nicht Realität und Vorstellung miteinander zu verwechseln; er ist eine Kennzeichnung für den Grad der Wirklichkeit. Aber beide Bilder, das „wirkliche“ und das erinnerte, entspringen denselben Mechanismen unseres Gehirns. Und beide wirken auf uns in ähnlicher Weise zurück.

Auch Klänge, Gerüche, Tastwahrnehmungen, Geschmack werden in Vorstellungsbilder übersetzt oder von solchen begleitet. Manche Menschen sehen tatsächlich Bilder oder Farben beim Hören einer Melodie. Bei den meisten Menschen bleibt es vage und schattenhaft.

Selbst unser Denken vollzieht sich weitgehend in Bildern. Viele Naturwissenschaftler haben berichtet, wie bahnbrechende Erkenntnisse sogar in Chemie, Physik, Mathematik nicht etwa durch abstrakte logische Verkettungen, sondern durch den Einbruch bildhafter Vorstellungen ermöglicht wurden.

Albert Einstein meinte dazu: „Die psychischen Gebilde, die als Elemente des Denkens zu dienen scheinen, sind bestimmte Zeichen und mehr oder weniger deutliche Vorstellungsbilder, die sich willkürlich hervorrufen und kombinieren lassen.“ (Zitiert nach Damasio 1997, Seite 154.)

Wichtig für jedes Denken sind Gefühle. Sie sind etwas sehr Frühes, Fundamentales und spielen bereits auf den unteren Stufen des Wahrnehmungsprozesses eine Rolle, lange vor dem Eintritt einer Wahrnehmung ins Bewusstsein. Alles in unserem Bewusstsein ist immer schon von Gefühlen durchdrungen.

Ihre wichtigste Funktion ist die der Bewertung, der Stellungnahme. In unseren inneren Bildern sind Bewertungen immer schon enthalten. Wahrscheinlich stellt die ganze Art eines inneren Bildes bereits eine Bewertung der Wahrnehmung oder der Vorstellung dar.

Unsere Welt baut sich aus Vorstellungsbildern auf: Aus Bildern, die wir aktuell sehen, aus Bildern, in die wir anderweitig Aufgenommenes umsetzen, aus Bildern, die wir erinnern, aus Bildern, in denen wir denken und fühlen, die wir selbst herstellen.

Da Vorstellungsbilder so wichtig sind, da sie so etwas wie eine Grundsprache unserer Psyche zu sein scheinen, liegt der Versuch nahe, sie besser und bewusster zu nutzen.

Über das Erleben innerer Bilder lassen sich unsere Gefühle, unsere Bewertungen und Grundeinstellungen betrachten und verändern. Eine Möglichkeit dazu bieten Imaginationen.

 

Was sind Imaginationen?

 

Imaginationen sind innere Bilder. Wir können sie selbst aufbauen und erkunden. Dabei sind unterschiedliche Ziele möglich. Zur körperlichen und psychischen Entspannung eignen sich besonders Ruhebilder.

Ein Sommermorgen – die Sonnenblumen im Garten – die fast unmerkliche Bewegung der schweren Köpfe mit der Sonne – kleine Geräusche hier und da; die Welt erwacht, doch die Sonnenblumen folgen nur einfach dem langsam steigenden Licht.

Solche Ruhebilder sind einfach gehalten. Sie beschäftigen sich mit der Natur und ihren immer wiederkehrenden Rhythmen. Ruhebilder werden ganz nach den eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen ausgestaltet. Die Worte im Buch sollen dazu nur Anregungen geben. Lebendig werden alle Imaginationen erst im Erleben.

Bilder aus der Natur wirken beruhigend, vermitteln Kraft und Optimismus. Die Gedanken und Gefühle kommen zur Ruhe, harmonisieren sich; die physiologische Erregung geht zurück; Atmung und Herzschlag verlangsamen sich; die Aufnahmebereitschaft steigt. Allein oder in Verbindung mit enthaltenen Entspannungsformeln sind Ruhebilder die wohl beste voraussetzungslose Methode zur Entspannung und zum Schöpfen neuer Kraft.

Eine andere Art der Imagination besteht in der Erkundung innerer Räume, in der Beschäftigung mit Bildern zur eigenen Person, zu unseren Abhängigkeiten und Möglichkeiten, den Beziehungen zu anderen Menschen oder Dingen oder Situationen, zur Veränderung dieser Beziehungen.

Wanderung durch ein freundliches Tal – plötzlich vor dir die Wand, unüberschaubar, unüberwindbar – wie verändert sich die Stimmung der Natur? Was wirst du tun? – Du stehst vor der Wand.

Die vorliegende Sammlung von Imaginationen umfasst sowohl Vorstellungsbilder zur Entspannung und Ruhe als auch Vorstellungsbilder zur Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Welt – und damit auch mit unserer Beziehung zu anderen Menschen.

 

Verwandtschaften

 

Imaginationen zeigen Verwandtschaften zu Entspannungsverfahren und zu meditativen Übungen. Unterschiede bestehen weniger im Ziel, sondern in der Weise des Vorgehens.

Meditation zielt auf das Erkennen der Realität und unserer Stellung in ihr. Imaginationen zielen in erster Linie auf Ruhebilder oder auf inneren Ausdruck und die Beschäftigung mit inneren Bildern zur Selbsterkenntnis und Selbstveränderung.

Auch innere Bilder sind ein Ausdruck der Realität, ein Ausdruck davon, wie wir in ihr stehen, wie wir Realität selbst herstellen und über solche Bilder aufrechterhalten. Insofern können Imaginationen, sofern sie symbolhafte innere Bilder zum Thema haben, auch als gegenständliche meditative Übungen aufgefasst werden.

Imaginationen zur Ruhe wie der Gang über einen Feldweg, durch einen Buchenhain, entlang eines Baches, stehen Entspannungsübungen nahe. Manchen Menschen fällt es schwer, sich auf traditionelle Entspannungsverfahren einzulassen. Bildhafte Vorstellungen fallen fast allen Menschen wesentlich leichter – und das Erleben von Entspannung in Imaginationen wird fast durchweg als lebendig und freudvoll berichtet. Deshalb werden Imaginationen heute gerne zur Unterstützung traditioneller Entspannungsverfahren oder als Alternative zu ihnen herangezogen.

 

Darbietung

 

Die Reihenfolge der Imaginationen im Buch ist nicht verbindlich, die Vorstellungsbilder bauen nicht aufeinander auf. Dennoch wurde versucht, eine sinnvolle Reihung zu finden. Eher „leichte“ Imaginationen, die sich mit Ruhe und Entspannung beschäftigen und meist aus einfachen Ruhebildern bestehen, finden sich tendenziell am Anfang, eher anspruchsvolle Imaginationen mit Auseinandersetzungen zur eigenen Person und Weltsicht, sind tendenziell später angesiedelt.

Unter dem Titel der Imaginationen stehen Schlagwörter, die auf das große Thema oder die Themen und ihre Einsatzmöglichkeiten hinweisen. Ruhebild beispielsweise bedeutet, dass es sich um eine Imagination handelt, die ein Ruhebild enthält und zur Entspannung eingesetzt werden kann. 

Die Schlagwörter sind allgemein gehalten und sollen eine grobe Orientierung ermöglichen. Verschiedene Imaginationen, die alle als Ruhebild bezeichnet werden, sind deshalb nicht unbedingt beliebig gegeneinander austauschbar, sondern behandeln oft sehr verschiedene Aspekte. 

Nach den Schlagworten folgt die Imagination in einer ausgestalteten literarischen Form. Sie kann gelesen und miterlebt werden. Sie kann anschließend in der Erinnerung nachvollzogen werden. Sie lässt sich auch auf Tonträger sprechen und – vielleicht mit Musik unterlegt – beim Anhören nachvollziehen. Sie kann durch einen anderen Menschen vorgelesen werden; oder Sie selbst können sie anderen vortragen.

Wichtig dabei ist die Zeit. Eine Imagination möchte langsam erlebt werden. Die erste Vorstellungsreise beispielsweise, Gang durch den Garten, nimmt, im normalen Sprechduktus gelesen, knapp zwei Minuten ein. Als Imagination dagegen kommt sie auf mindestens fünf Minuten – und das wäre dann ein hastiger Gang ohne Rast irgendwo. Acht bis zehn Minuten wären für dieses Vorstellungsbild eine angemessenere Zeit. 

Pausen sind in Imaginationen fast noch wichtiger als die Worte. Denn die Worte sollen nur das eigene Erleben anregen. Nicht ein bloßes Nacherleben gesprochener oder geschriebener Worte also ist gefragt, sondern die eigene, ganz individuelle Ausgestaltung des Gehörten oder Gelesenen. Und dazu braucht es Raum, muss Zeit gegeben werden. Zwischen den tragenden Wörtern, zwischen den Sätzen ist Zeit, die Absätze verweisen auf Zeit; sie fordern eine Gelegenheit für das eigene Erleben. 

Nach der Imagination folgen einige Stichworte, die das Wichtigste zusammenfassen. Wird die Imagination in der Vorstellung nacherlebt, ist der obere Text zum Merken zu lang. Für das grobe Schema der Imagination lassen sich deshalb im Nacherleben die Stichworte verwenden. Sie werden dann mit eigenen Inhalten ausgestaltet.

Nach den Stichworten schließt sich ein Kommentar an. Darin wird etwas zur Imagination gesagt, und zum Bezug auf das eigene Leben. Das muss kursorisch bleiben. Vielleicht ist Ihnen in der Imagination ganz anderes wichtig oder Sie sehen den Bezug zum Alltag in einem anderen Bereich. Mehr als Anregungen dazu kann und möchte der Kommentar gar nicht geben.

 

Gestaltung des Umfelds

 

Am besten werden Imaginationen regelmäßig durchgeführt. So können sie helfen, sich eine sichere tägliche Ruheinsel aufzubauen. Vielleicht findet sich hierfür eine passende Zeit im Tagesablauf. Eine besonders gute Nachricht gibt es für alle Menschen mit Einschlafproblemen: Sie haben ihre Zeit bereits gefunden. Falls Sie über die Imagination dann – leider – doch regelmäßig einschlafen sollten und so einiges versäumen, dann gilt es eben, einen zusätzlichen „Termin“ einzurichten, am Tage.

Eine gewisse störungsfreie Zeit ist erforderlich, je nach Imagination zwischen etwa fünf und zwanzig Minuten.

Die beste Entspannungshaltung ist die Rückenlage. So lässt sich die Vorstellungsreise auf einer Matte, auf dem Sofa oder im Bett erleben. Aber auch eine Sitzhaltung eignet sich durchaus dazu. Wenn aus Entspannungsübungen oder der Meditation bereits eine gute Sitzhaltung bekannt und eingeübt ist, wird diese am besten beibehalten. Ansonsten gilt es, einfach zu probieren, welche Sitzhaltung für die Zeit der Imagination am bequemsten ist, ohne dass viel gewechselt werden muss. Die meisten Meditationsformen betonen ein gestrecktes, aber nicht überstrecktes Rückgrat und ein etwas nach vorne gekipptes Becken.

Die Augen werden am besten geschlossen; das erleichtert das Erleben innerer Bilder. Musik ist nicht notwendig, kann aber zu einer angenehmen Atmosphäre beitragen und helfen, störende Außengeräusche zu dämmen. Die Musik selbst sollte nicht ablenken. Am besten, man wählt bereits bekannte ruhige und fließende Instrumentalmusik aus, die einem gefällt.

Auch wenn die Augen geschlossen sind, eine Kerze kann dennoch zur entspannten und konzentrierten Atmosphäre beitragen. Ihr Entzünden und später ihr Löschen zeigen Beginn und Ende der Ruheinsel an. Weitere Ausgestaltungen des äußeren Rahmens einer Imagination sind möglich, aber nicht notwendig.

 

Einstimmung und Ausklang

 

Manche Menschen können sofort in die Bilder einer Imagination hineingehen. Andere bevorzugen eine Einstimmung und entsprechend einen Ausklang. Die können etwa wie folgt aussehen.

 

Einstimmung: Die Augen schließen. Sich noch einmal zurechtrucken. Den Boden unter sich spüren. Die Geräusche um sich wahrnehmen – und wie sie immer gleichgültiger werden. Bald sind sie ganz gleichgültig. Die Ruhe im eigenen Atem spüren, bis die inneren Bilder beginnen. 

 

Ausklang: Die inneren Bilder verblassen. Wieder den Raum spüren, den Boden unter sich. Die Geräusche hören, sie holen uns zurück in den Alltag. Etwas recken und strecken. Die Augen öffnen.

 

Interpretationen

 

Imaginationen können allein oder in der Gruppe erlebt werden. In der Gruppe liegt es nahe, nachher noch über das Erlebte zu reden. Das Gespräch sollte eine Möglichkeit zum Austausch bieten, aber dazu gedrängt werden sollte niemand. Jedes Erleben ist letztlich privat.

Wenn über Imaginationen gesprochen wird, sollte beachtet und geachtet werden, dass das Erleben derselben Vorstellungsreise sich bei verschiedenen Menschen völlig unterscheiden kann. Auf eine Wertung – dies ist gut, jenes ist schlecht – sollte verzichtet werden.

Interpretationen mögen reizvoll sein. Aber eine Interpretation ist immer in der Verantwortung des Interpretierenden. Außer der Imagination, die er interpretiert, gehen noch er selbst und seine ganze bisherige Lebenserfahrung, seine eigenen Vorstellungen, seine Wünsche, seine persönliche Beziehung zum Berichtenden und vieles andere in seine Interpretation mit ein.

Als Beispiel für die Verschiedenheit von Vorstellungsbildern möchte ich aus einem Seminar zwei Berichte zur Imagination „Immunzellen strömen“ erwähnen. In ihr geht es darum, Immunzellen, die im Knochenmark gebildet werden, beim Wachstum zu unterstützen und kraftvoll durch den Körper strömen zu lassen. Ein Mann stellte sich die weißen Blutkörperchen als Trauben vor, die wachsen, dann geerntet und in Bottichen zerstampft werden und die dann schließlich ins Blut strömen. Eine Frau sah die Immunzellen als heranwachsende Kinder, die auf ihre Aufgaben vorbereitet und dann in den Körper hinausgeschickt werden. Derart unterschiedliche Vorstellungen stellten sich auf denselben Vortrag einer recht sachlichen, medizinisch orientierten Imagination ein.

So weit kann Erleben auseinandergehen. Wichtig ist nicht, es in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken. Wichtig ist, dass die Bilder als persönlich bedeutsam und stimmig, als kraftvoll und hilfreich erlebt werden. Und so wie ganz verschiedene Möglichkeiten der Ausgestaltung von inneren Bildern bestehen, so ist es auch mit der Interpretation. Eine Interpretation ist dann gut, dann gelungen, wenn sie persönlich bedeutsam und stimmig ist, sich als kraftvoll und hilfreich erweist. Sie ist dann gut, wenn sie Klärung zu alten Fragen bringt und neue Wege eröffnet.

 

Eigene Imaginationen

 

Imaginationen lassen sich ohne Weiteres selbst erfinden. Besonders leicht geht das bei Ruhebildern. Am besten werden dazu die im Buch beschriebenen Ruhebilder zunächst immer stärker variiert. Dazu kann ein Abschnitt sehr viel genauer und ausführlicher als beschrieben gedanklich ausgeschmückt und um neue Elemente bereichert werden.

Beispiel: In der Imagination „Ein Buchenwald“ wird der Gang durch einen Buchenwald erlebt. Der zweite Abschnitt lautet: „Vogelstimmen, hier eine, da eine, verborgen in Wipfeln, sie machen den Raum tief.“ Hierbei kann länger verweilt werden. Die Stimmen können näherrücken, ein Vogel kann vorgestellt werden, wie er auf einem Buchenast sitzt und singt; wie er innehält und sein Gefieder putzt, weitersingt; seine Bewegungen, die Leichtigkeit seines Lieds und seiner selbst ... Vielleicht ist sein Nest in der Nähe. Vielleicht liegen einige Eier darin. Der Vogel schüttelt seine Flügel. Eine Flaumfeder löst sich, fällt langsam zur Erde ... ihren Fall beobachten, wie sie dahinsegelt, in Kreisen, wie die Äste vorbeigleiten, wie sie die Höhe und Tiefe des Raumes ausmisst. Vielleicht segelt sie über einen kleinen Waldbach. Vielleicht bleibt sie dann an seinem Kiesufer liegen, oder auf Moos unter einem Baum auf der anderen Seite ... Andere Teile der Imagination werden dann verkürzt oder ganz weggelassen.

So lassen sich aus anfangs kleinen Variationen langsam ganz eigene Imaginationen gestalten. Diese können auch in Fortsetzungen erlebt werden. So kann bei dieser Flaumfeder verweilt werden. Sie liegt nun beispielsweise auf dem Kiesufer des Waldbachs. Die Imagination endet damit. Am nächsten Tag wird das Bild wieder aufgenommen. Die Flaumfeder am Kiesufer wird vorgestellt. Waldbienen summen; ein Schmetterling fliegt über sie hinweg. Sie zittert leicht in den Schallwellen der Vogellieder ... Ein Wind kommt auf. Die Feder fliegt hoch – und landet im Waldbach. Leicht treibt sie auf seiner Oberfläche. Auf den Schnellen nimmt ihre Geschwindigkeit zu. Sie gerät in den Strudel und schießt bachabwärts. An einer breiten Stelle wird sie ganz langsam. Langsam treibt sie dahin, über den Kieseln des Bachgrunds und den gespiegelten Bäumen ... Vielleicht wird sie am Ende der zweiten Imagination an Land gespült und liegt nun da, trocknet in der warmen Sonne. Und eine dritte Reise nimmt das Bild wieder auf. Ein Windstoß kommt und weht sie umher im Wald. Oder Kinder kommen, und sie wird mitgenommen, nach Hause ...

 

Meeratem

 

Vor allem in den Imaginationen mit Ruhebildern stehen immer wieder Entspannungsformeln, Vorstellungsbilder zur Ruhe, zur Schwere, zur Wärme, zur Beobachtung des Atems. Diese Atembeobachtung kann auch ohne weitere Vorkenntnisse im Alltag oder in, besser noch vor Stress-Situationen angewandt werden. 

Atembeobachtung bedeutet, auf den eigenen Atem zu achten, darauf zu achten, wie er ein- und ausströmt, ganz von selbst, ohne dass willentlich etwas dazu getan werden muss. Der Atem trägt den Beobachter. Er wird dazu nicht verändert, nicht etwa verlangsamt oder vertieft. Er wird einfach nur beobachtet, so wie er ist – zwei, drei, fünf, zehn, zwanzig Atemzüge lang, so lange wie in der Situation Zeit ist und es hilfreich erscheint.

Diese Atembeobachtung kann eine sehr starke Entspannungsübung sein. Sie löst aus der belastenden Situation heraus und gibt einen natürlichen Rhythmus als Beobachtungsobjekt. Rhythmen beruhigen, vor allem natürliche Rhythmen mit einer Frequenz langsamer als der Herzschlag.

Die Atembeobachtung kann erweitert werden zum „Meeratem“. Dazu ist bei der ersten Durchführung etwas mehr Zeit erforderlich. Wenn sie einige Male durchgeführt wurde, ist sie eine der besten Entspannungsweisen.

„Meeratem“ geht so:

 

(1) Die Augen werden geschlossen. Zunächst ist da die Vorstellung eines Meeres, ein inneres Bild der Wellen, wie sie an einen Strand (oder an eine Felsküste) branden und wieder zurückströmen. Die Ruhe und Kraft in den Wellen wird wahrgenommen.

(2) Dann wird dieses Bild mit der Atembeobachtung verbunden. Die Wellen branden im Rhythmus des eigenen Atems.

(3) Die Ruhe und Kraft des Meeres strömt in einen selbst hinein, in diesem Rhythmus. Zwischen den Atemzügen ist Stille – und die Vorstellung von Ruhe und Klarheit in dieser Stille.

 

Eine Variation belegt Ein- und Ausatmung unterschiedlich:

(4) Mit dem Einatmen strömen Ruhe und Kraft des Meeres in mich hinein. Mit dem Ausatmen strömen Unruhe oder anderes Störende aus mir heraus und lösen sich auf in der Weite der Welt.

 

Der Garten

 

Eine Hilfe beim Vertrautwerden mit Imaginationen kann sein, sie nicht nur äußerlich in immer gleicher Umgebung durchzuführen, sondern auch bei der Gestaltung der Reisen selbst stets wiederkehrende Elemente zu verwenden. Eine Möglichkeit hierzu ist Der Garten. 

Der Garten ist groß, etwa wie ein weiter Park oder ein verborgenes Tal in der Landschaft. Er enthält Bäche, einen Fluss, Seen, vielleicht Berge, Waldstücke und Felder, Wege, verschiedene Gebäude – eben alles, was in der jeweiligen Imagination vorkommt. Er ist ein Stück geschützte Natur. Alles ist dort so, wie man möchte.

Die meisten der hier gesammelten Imaginationen können in diesen Garten verlegt werden. Sie beginnen so in einem schon vertrauten Umfeld.

Allerdings muss der Garten nicht statisch sein, er kann sich verändern. Seine Größe kann wechseln, und die landschaftlichen Gegebenheiten. Er kann sehr einsam gelegen sein oder belebt sein mit Menschen.

Es kann hilfreich sein, den Gang durch den Garten immer an einer bestimmten, vertrauten Stelle zu beginnen. Das kann zum Beispiel eine Brücke sein, als Sinnbild des Übergangs von unserer „wirklichen“ Welt in die Welt des Gartens. Das kann weiter so ausgestaltet werden, dass wir uns vorstellen, wie wir aus unserer realen Umgebung über die Brücke in den Garten gelangt. Vielleicht gelangen wir auf diese Brücke durch eine (vorgestellte) Tür in der Zimmerwand – oder es ist an einem Garten- oder Rasthaus, oder an einer Stelle am See. Die Imaginationen sind in der Vorstellung dann entsprechend zu ergänzen.

Vor dem eigentlichen Einstieg in die Imagination kann zur Einstimmung ein kurzer Gang auf dem Pfad durch den Garten erfolgen. Oder ein Verweilen am See, mit Blick auf die Weite und Glätte des Wassers. Das wirkt entspannend und hilft, eine aufnahmebereite Stimmung zu schaffen.

Auch kann die Imagination immer an einer bestimmten Stelle enden. Vielleicht ist das dieselbe Stelle, an der sie begonnen hat, vielleicht eine andere. Das muss aber nicht so sein, auch ein jeweils anderer Beginn und ein anderes Ende sind möglich.

Manche der folgenden Imaginationen verwenden als Rahmen den Garten. Dieser lässt sich noch weiter ausbauen, er lässt sich für den eigenen Gebrauch aber auch auf den Kern reduzieren oder ganz weglassen. Vor allem für die erstmalige Durchführung von Imaginationen wird der Garten hilfreich sein. Die erste Imagionation führt deshalb in den Garten ein, es ist ein Gang durch den Garten. Zwischen den Worten ist Zeit. 

 

Die Imaginationen

 

Gang durch den Garten

Ruhebild – Selbsterkundung

 
Stell dir eine Landschaft vor, die ganz für dich allein da ist, ein innerer Garten, ein Garten der Geheimnisse, der Stille und Geborgenheit. 

Durch den Garten führt ein Pfad. Du gehst ihn und betrachtest, was dir begegnet. Da sind Wiesen und offenes Land, vielleicht Felder, Baumgruppen, Seen, Bäche, ein Fluss; da sind sanfte Hügel, vielleicht sogar Berge und eine Meeresbucht.

Vielleicht triffst du auch auf Rasthäuser, Brücken, Denkmale zu Ereignissen deiner Vergangenheit, Statuen mit Gesichtern dir bekannter Menschen. Vielleicht siehst du auch Dinge, die dir noch unbekannt sind.

Im Garten gibt es vielleicht Stellen, die geheimnisvoll wirken, vielleicht gar unheimlich oder bedrohlich. An denen gehst du jetzt vorbei. Auf späteren Gängen wirst du vielleicht eine Veränderung bemerken und sie besuchen.

Du siehst allerlei Tiere und Pflanzen. Wenn du möchtest, begegnest du auch Menschen. Ihr geht aneinander vorbei oder ihr bleibt stehen und sprecht ein paar Worte – ganz wie du willst.

Du gehst auf dem Pfad durch den Garten. Du achtest auf alles, was um dich ist. Vielleicht fallen dir auch Geräusche, Töne, vielleicht fallen dir besondere Gerüche auf.

Du gehst durch den Garten und achtest auf alles um dich. Und du achtest auf dich selbst. Du spürst wie deine Stimmung, wie deine Gefühle, wie deine Vergangenheit und deine Wünsche mit dem Garten zusammenklingen, wie das eine auf das andere Einfluss nimmt, wie deine Wünsche den Garten gestalten, wie der Garten zurückwirkt auf deine eigene Stimmung.

Du gehst durch den Garten und spürst, wie dein Atem mit der Ruhe des Gartens schwingt. Dein Atem ist ruhig und tief. Seine Ruhe und Klarheit wirken zurück auf dich selbst. Du spürst die Ruhe in dir, und die Kraft.

 
Stichworte: Pfad durch den Garten, den Garten erkunden. 

 
Dieser Gang durch den Garten kann häufig unternommen werden und doch immer völlig anders aussehen. Je nach augenblicklicher Stimmung beziehungsweise gegenwärtigem Bedürfnis kann an bekannten, wohltuenden Orten verweilt werden (an einem See, einem Fluss, auf einer Wiese, in einem Rasthaus im Wald) oder es werden noch unbekannte Orte erkundet, wie ein Berg, eine Höhle, ein Waldstück, ein Bachlauf.

Immer wieder sollte versucht werden, nicht nur die visuelle Seite der Dinge wahrzunehmen, sondern auch auf Töne, Gerüche, Berührungen, Geschmack zu achten.

Wenn es um Beruhigung geht – oder um das Schöpfen von neuer Energie –, kann die Beziehung zum eigenen Atem hilfreich sein. Diese wird hergestellt, indem wir in beruhigender, kraftvoller Umgebung auf den eigenen Atem achten, auf sein Ein- und Ausströmen, seinen sicheren Rhythmus, der sich wiederfindet in Schritten, im Strömen des Flusses, im Rauschen der Wellen am See.

 

Ein Buchenwald

Ruhebild

 
Da ist ein heller Buchenwald; die Stämme stehen weit auseinander, bilden einen offenen Raum. Zwischen den Stämmen wächst hohes Gras. Dein Pfad läuft hindurch.

Vogelstimmen, hier eine, da eine, in Wipfeln verborgen, machen den Raum tief.

Nur die wenigen Stimmen der Vögel – und Wind. Der Ton des Windes in Wipfeln, der Ton der Blätter im Wind. Du versuchst, einmal den Wind zu hören, einmal die Blätter, dann wieder den Wind ...

Langsam gehst du auf deinem Pfad. Hier und da hängen Halme von den Seiten über den Weg. Du streifst sie, achtest auf das kleine Geräusch.

Ein Schmetterling flattert über den Pfad, verschwindet zwischen silbernen Stämmen auf der anderen Seite. Die Leichtigkeit seiner Flügel – du achtest auf deinen Atem.

Dein Atem geht ein und aus, mit der Leichtigkeit dieser Vogellieder. Du gehst im Rhythmus des Atems.

Ein Specht klopft. Vielleicht ist fern ein Kuckuck zu hören.

Ein Eichhörnchen hockt auf dem Waldboden. Still schaut es zu dir her. Dann wirbelt es plötzlich herum, jagt einen Baumstamm hinauf, verschwindet im Wipfel.

All die kleinen Geräusche der Stille.

Langsam gehst du auf deinem Pfad durch einen lichten Buchenwald – um dich der offene Raum.

 

Stichworte: Ein Pfad durch den Buchenwald – Vögel, Wind, ein Schmetterling – der Rhythmus des Atems. 

 
Buchen erscheinen, verglichen etwa mit Eichen, eher leicht und hell. Die Imagination ist eine Variation über diese Leichtigkeit, über die Helle und Weite. Aber dies alles ist eingebettet in einer Geborgenheit, in einem sicheren Raum, den die großen Bäume bilden, für alles, was unter ihren Dächern lebt. Die Vögel, der Schmetterling, das Eichhörnchen. Die Halme hängen über den Weg, den jemand geht, in diesem geborgenen Raum.

Die Imagination kann immer etwas verändert werden. Der Pfad mag zu einer Quelle führen und weiter, einen leichten Hang hinauf, vielleicht vorbei an einem Steinbruch. Der Pfad selbst mag sich verändern. Mal führt er über Walderde mit lockeren Moos- und Grasinseln, mal über Steine am leichten Hang, mal über weiches Gras. Vielleicht sind da andere Tiere. Vielleicht sammeln wir Federn, die liegen gelegentlich am Pfad, hier eine, da eine, verschiedene Farben und Größen. Unser Atem begleitet den Weg.

 

Die Feder

Ruhebild

 
Die Flaumfeder: auf dem Felsen liegt sie, gefallen von irgendwo ... Vielleicht stammt sie von einer Taube, vielleicht von einem anderen Vogel.

Der Fels – seine Schwere, Härte, Kühle ... Die Feder – ihre Zartheit, Leichtigkeit, Weichheit ...

Vögel pfeifen ringsum. Es ist wie ein Zittern, das durch die Feder geht, wenn sie die Töne treffen. Es ist wie eine sanfte Berührung.

Die Feder liegt ganz im Licht. Sonnenstrahlen spielen auf ihr ein Lied.

Vogelstimmen und Licht ... Grillenlieder scheinen das Licht hörbar zu machen. Es sind die kleinen Geräusche der Stille.

Vielleicht tönt ein Wildbach von fern. Vielleicht ist da nur noch das Brausen der Stille.

Ein Wind hebt die Feder hinein in den Himmel.

Höher und höher treibt die Feder, im leichten Wind, hinein in das Blau, aus dem sie kam.

Hoch im Himmel geht eine sichere Strömung. Die Feder ist in sie eingetreten. Leicht zieht sie mit den Wolken dahin.

 
Stichworte: Flaumfeder auf einen Felsen gefallen – Vogellieder, Bachrauschen – Wind nimmt die Feder hinein in den Himmel – sie zieht mit den Wolken hin. 

 

Eine Flaumfeder wird assoziiert mit Zartheit und Leichtigkeit; sie hat eine Beziehung zum Himmel.

Zunächst liegt sie auf etwas Schwerem, Hartem, dem Felsen, wie ein Fremdes, gefallen von irgendwo in die Welt. Die Vogellieder erinnern an ihre andere Heimat.

Das Rauschen des Wildbachs lässt die Bewegung stärker werden.

Der Wind hebt die Feder hinein in den Himmel. Mit den Wolken zieht sie hoch über der Erde hin.

Die Schwere spüren, den Felsen – und die Feder mit ihrer Leichtigkeit. In der Imagination kann etwas von dieser Leichtigkeit und ihrer Bewegung erfahren werden.

 

Wiesenbach

Ruhebild

 
Der Bach strömt hin, zu beiden Seiten die Wiesen. Er murmelt zwischen Blumen und hohem Gras. Hier steht Schilf, dort blühen tiefgelb Sumpfdotterblumen. Die Klarheit und Frische des Wassers, seine stete Bewegung ...

Über der Wiese singt eine Lerche. Ihre in sich verschlungene endlose Melodie ...

Grillen zirpen, sie sind wie ein Meer ...

Vielleicht sind fern Motoren zu hören, ein Traktor, Autos auf einer Straße ...

Gerüche der Wiesen, von Erde, von Blumen, Gerüche des strömenden Wassers ...

Die langsamen Schritte. Gras unter den Sohlen, die Berührung der Erde ...

Der Bach strömt immer der Schwere nach. Er kennt keine Hindernisse, kennt keinen Umweg; sein Strömen ist ganz in der Schwere, wie immer sie sein mag. Es ist die Schwere der Welt.

Das Lerchenlied strömt mit dieser Schwere, ganz leicht, einfach nur so, wie es ist.

Die Grillen zirpen die Schwere, sie zirpen die Leichtigkeit von Himmel und Gras.

Die Motoren brummen ganz in der Schwere.

Ein Vogel schwingt durch den Himmel über dem Wiesenbach, ganz leicht, ganz frei; er fliegt durch die unsichtbaren Linien der Schwere.

Das kleine Geräusch, wenn ein Schritt aufsetzt, im Gras neben dem Wiesenbach. Die Berührung von Sohle und Erde. Der Gleichklang von Schritten und Atem ...

Der Bach strömt endlos. Die Ruhe im Strömen. Die Kühle und Klarheit des Wassers, und seine Frische, Lebendigkeit. Die Stille im Murmeln des Baches ...

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739373645
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Dezember)
Schlagworte
Selbstveränderung Imagination Perspektivenwechsel Innenbilder Fantasiereisen Entspannung Visualisierung Meditation autogenes Training

Autor

  • Volker Friebel (Autor:in)

Der Autor Dr. Volker Friebel ist promovierter Psychologe und Experte für Entspannung, Gesundheit, Sprache und Musik mit zahlreichen Publikationen zu diesen Themen. Er ist selbstständig tätig und lebt in Tübingen.
Zurück

Titel: Aufbrüche