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Das Gewicht der Wolken

Eine Erzählung in Augenblicken und Episoden

von Volker Friebel (Autor:in)
143 Seiten

Zusammenfassung

Wir erinnern nicht Jahre, sondern Momente. In Episoden folgen wir Clara und dem Bibliothekar eine Weile auf ihrem Weg. Was zieht zwei Menschen an? Weshalb trennen sie sich wieder? Wie steht überhaupt ein Mensch in der Welt? Was geschieht weiter, wenn eine Geschichte eigentlich zu Ende ist? Während der Bibliothekar sich in Projekten über das Leben verliert, gelingt es Clara, das Leben zu tanzen. Ein Buch über Poesie, Philosophie und die Liebe zum Leben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1

Es ist der Gesang dieser Amsel im Wipfel einer Platane über dem Straßen-Café. Es ist ihr eigener Atem und der Takt ihrer Schritte beim Gehen. Claras Blick schweift höher, sie erinnert sich an das Lied anderer Amseln zu anderen Zeiten, an anderen Orten, und das Strahlen ihrer Augen wird noch einmal heller.

Als sänge die Amsel nur für mich!

Clara überlegt, wie es wäre, wenn die Tiere der Stadt wirklich versuchten, mit den Menschen zu kommunizieren. Und sich wunderten, dass nie eine Antwort kommt. Und sie singen deshalb immer noch schöner. Diese Amsel jedenfalls, da ist sich Clara inzwischen ganz sicher, singt nur für sie!

Clara hat das Singen immer geliebt. Mit 16, natürlich, wollte sie Sängerin werden. Nun liebt sie kaum weniger das Lauschen. Etwa auf die Glocken der Stadt oder am Fluss auf die Rede des Wassers.

Clara geht schnell durch die Straßen, den kurzen Weg von ihrer Altstadtwohnung zum Fluss. Beim Blick in die Auslagen eines Geschenkeladens muss sie an Hans denken. Eine Windmühle. Windmühlenflügel. Ein Ritter zu Pferd richtet die Lanze aus. – Ist nicht das allein die Würde des Mannes in der sicher verwalteten Welt?

Was ist es aber, das sie manchmal so anstrengt? Ist es, dass er sich davon krank machen lässt, statt zu lachen? Oder ist es, dass er dem Absurden und Hässlichen überhaupt einen solchen Platz in seinem Leben einräumt, dass er es noch heranzuziehen scheint?

Auf der Brücke sieht sie ihn stehen. Das Strahlen auf seinem Gesicht wird zum Strahlen auf ihrem. Sie umarmen sich, sie schlendern gemeinsam hinunter zum Fluss, Hand in Hand, ihre Arme schwingen im Takt. Sie hört einen Vorübergehenden sagen: „Schau, es wird Frühling!“

2

Wie sie sich begegnet sind, Clara weiß es noch ganz genau. Aber sie wird es nicht sagen. Denn seine Erinnerung ist eine andere. Er erinnert sich, wie er ihr bei einer Recherche in der Bibliothek behilflich war, wo er arbeitet. Er erinnert sich an ihre Literatursuche, an seine Einladung am Ende und wie sie zögernd annahm. Er weiß nicht, dass sie so etwas sonst zu Hause über das Netz erledigt.

Es ist auch nicht wichtig.

Wichtig ist der Aufgang der Sonne.

Wichtig ist das gemeinsame Frühstück am Morgen.

Wichtig sind die Lieder der Amseln.

Wichtig ist, dass das Herz in der Welt geöffnet bleibt.

Auf der Mauer am Flussufer zwei vögelnde Tauben. Clara deutet auf sie. „Wie wir alle verwandt in der Liebe sind, liebesverwandt sozusagen, Tauben und Menschen.“ Sie gehen in einem Bogen um die Tauben herum.

Dann bei Clara sich fallen lassen auf das Bett, nebeneinander.

„Was denkst du?“

„Dass erst die Schwerkraft uns die Leichtigkeit fühlen lässt“, antwortet er.

„Nein, das ist doch die Liebe“, antwortet sie und versetzt ihm einen Stoß.

„Du bist das also!“ Er berührt ihr Gesicht.

Eigentlich heißt er nicht Hans. Er heißt Daniel, Daniel Vögele.

„Vögele ist in Ordnung“, pflegt er zu sagen, wenn er seinen Namen erklären soll. Aber Daniel, das sei so peinlich kompatibel in dieser Zeit der Globalisierung. Er möchte sich regionalisieren, er möchte irgendwo wirklich zu Hause sein.

„Konrad wäre noch besser – oder Friedrich“, hat er Clara gesagt. „Mein Vater hieß Konrad. Konrad, Sohn des Konrads, das wäre am besten. Aber ich liebe eben auch Hans.“

Clara hat ihn stumm angeschaut, mit groß gezogenen Augen.

„Was fällt dir bei Hans ein, ganz spontan?“, fragt er.

„Hans im Glück“, antwortet sie. „Hanswurst.“

„Genau!“ Und er lacht.

3

Woran soll der Beste gemessen werden? Ist nicht das die Frage im schwankenden Land? Woran einer gemessen wird, daran streckt er sich lang oder wird langgestreckt. Woran richtet das Gras sich aus, woran der Himmel, woran die Blicke der Beamten im Ministerium für die Aufrechterhaltung der Erdrotation?

Der Bibliothekar hat sich darüber Notizen gemacht, die schlummern auf einer Festplatte im für das Publikum unzugänglichen Bereich der Bibliothek. Wenn er freie Zeit hat, und er hat viel freie Zeit, vervollständigt er seine Notizen.

Woran misst sich der Mensch?

An den Bäumen? 

Aller Dinge Maß ist der Mensch – für den Menschen. Protagoras behauptet das, Platon zufolge. Und die ganze Geschichte des Abendlandes ist eine praktische Anwendung dieses Satzes. 

Doch wenn der Mensch Maß für alle Dinge ist, woran misst sich der Mensch?

„Auch den Protagoras von Abdera haben einige zur Gruppe der Philosophen gerechnet, die den Maßstab der Erkenntnis zunichte machen; denn er behauptet, es seien sämtliche Vorstellungen und Meinungen wahr, und die Wahrheit gehöre zu den relativen Dingen, weil alles, was ein Mensch sich vorstellt oder meint, in Hinsicht auf diesen [auch] wirklich wahr sei.“ So schreibt ein antiker Kommentator. 

Vorstellungen sind es, die den Menschen leiten, Vorstellungen auch macht er sich von dem, was ihm widerfährt. Unser Gehirn erfindet seine Wirklichkeit erst, es dringt nicht zu einer äußeren Wirklichkeit durch. Natürlich erfindet es nicht willkürlich, sondern so, dass es zu dem, was ihm widerfährt, passt. Aber bei kreativen Akten gibt es immer viele Möglichkeiten, nicht nur eine einzige.

Das spricht sehr dagegen, den Menschen als Maß auch für den Menschen zu nehmen. Oder überhaupt ein Maß, das ein Mensch setzt, ohne weiteres anzuerkennen.

„Giebt es auf Erden ein Maaß? Es giebt keines.“

Einige Zeilen früher schreibt Hölderlin aber: „Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? dieses glaub ich eher. Des Menschen Maaß ists. Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde.“ 

Eines der tiefsten und schönsten Gedichte des Abendlands, dessen Akzeptanz allerdings etwas darunter leidet, von einem Geistesgestörten geschrieben worden zu sein und mitgeteilt erst im Roman eines Verehrers, als Kostprobe der Dichtung einer wahnsinnigen Romangestalt. Ansonsten wurden diese Sachen vernichtet.

Des Menschen Maß ists. – Aber es gibt auf Erden kein Maß. „Voll Verdienst, doch dichterisch“ – „Verdienst“ spricht ein Maß an, „dichterisch“ leugnet es wieder, legt jedes Maß ins eigene Herz, „doch“ behauptet: Beides ist da.

Heißt das nur: Auf Erden kein Maß, aber im Himmel?

Der Himmel schweigt.

Oder spricht er doch, tief im Herzen?

Wenn er redet, scheint es zu jedem Menschen anders zu sein, scheint er ein Maß dann doch nicht zu geben. Spricht er jeden Menschen nach dessen eigenem Maß an? Oder hören, wie die Amseln meinen, die Menschen nur schlecht?

4

Des Menschen Maß zeigt sich in seinen Gewichtungen. Ein 50-Euro-Schein, ein Schulzeugnis, ein Haus mit Garten im Grünen, eine Frau und ein Mann und zwei Kinder, ein Segelboot: Alles das hat einen Bezug zu ihm, zu den Anforderungen an ihn, zu seinen Bedürfnissen und Freuden, zu seiner Schrittlänge, zu dem, was er tragen kann.

Das ist nun ein Ratespiel. Hauptgewinn ist eine Reise für zwei Personen nach Kreta ins Labyrinth, Einsatz ein Atemzug Himmel. Also, machen Sie mit! Was ist leicht, was ist schwer?

Das Gewicht einer Feder, die den Vogel trägt, aber selbst fällt, wenn sie sich aus seinem Gefieder löst.

Das Gewicht einer Schneeflocke in der offenen Hand.

Das Gewicht eines grauen Regenmorgens.

Das Gewicht der Daunendecke auf einer Frau, die erwacht im schneeweißen Bett der Depressiven-Station.

Das Gewicht der Worte im Raum, nachdem der Mann seinen Vortrag beendet hat und die Zuhörer noch schweigen.

Das Gewicht der Blumen auf dem Markt, die in den Einkaufskorb kommen, zu den Kartoffeln dazu.

Das Gewicht dieses Blütenblatts, das sich löst und davonweht, dem Wind ergeben.

Das Gewicht eben des Windes, der einem Kind am Haar zerrt.

Das Gewicht des Platanenblatts, das eine Frau aufhebt, eines unter all den Gefallenen, das sie betrachtet, dessen Adern sie mit den Fingern nachspürt, das sie wieder fallen lässt in die Menge.

Das Gewicht der Erde bevor, während und nachdem dieses Blatt fiel.

Das Gewicht der Wolken.

Das Gewicht des Regentropfens auf seinem Weg durch die Himmel, der die Luftmoleküle zum Schwingen bringt.

Das Gewicht der Farben in einer Sommerwiese.

Das Gewicht einer Schuld.

Das Gewicht der Tinte, die Verse malt auf einem weißen Stück Papier.

Das Gewicht eines Buchs, in dem alle Buchstaben verblichen sind.

Das Gewicht eines Regenbogens.

Der Liebe Gewicht, die einen Mann tanzen macht.

5

„Kinder mögen Gerechtigkeit“, sagt Clara. „Sie mögen Ehrlichkeit und womöglich, bevor sie in die Schule kommen, auch Wissen und die Weisheit von Großmüttern.“ Clara lacht. „Als Kind war ich so. Jetzt scheint mir das sinnlos. Erwachsene leben.“ 

„Womöglich bin ich ein Kind.“ Der Bibliothekar schaut aus dem großen Wohnzimmerfenster.

Clara sieht ihn lange an. Und zitiert dann:

Die Waage gleicht der großen Welt:

das Leichte steigt, das Schwere fällt. 

Lessing“, sagt sie. „In der Welt zählen leichte Dinge.“

„In der großen Welt“, meint der Bibliothekar. „Aber wie ist es hier? Bei dir? Bei mir?“

„Wir sind ein Teil der Welt“, sagt Clara.

Sie beugt sich zu ihm und küsst ihn.

6

Dass der Mensch solche Lust gerade am Menschen hat. Warum nicht an den Bäumen? Hier Brüste, hier Hüften, hier Haare, Gesicht. Warum zieht die Menschen das an? Warum schwärmen sie nicht hinaus in den Wald, dort unter den Bäumen das Liebste zu finden? Warum umarmen sie nicht Buchen und Eschen und spielen mit Blättern?

Clara hatte gelacht, als er das einmal erwähnte, nachts, nach eben dem Suchen und Finden. Sie hatte sich umgedreht und ihm genau dorthin gegriffen, wo ihm der Frauengeschmack ganz verschlossen bleibt und ihn aufgefordert, die Bäume noch einmal zu preisen.

Hatte sie ihn einfach nicht verstanden?

„Ich verstehe dich“, hatte sie nachher gesagt, was ihm so klang wie „Ich verstehe dich nicht“.

„Natürlich finde ich dich viel reizvoller als so einen Baum“, hatte er nachgesetzt.

„Oh, danke“, hatte sie ihm geantwortet. „Ich kenne ja deine Komplimente, aber das ist doch mal was. Schöner als eine Eiche bloß – oder schöner noch als eine Birke? Eine Birke, Birke, Birke“, bettelte sie ihn an.

„Als eine Birke“, gab er nach.

Sie seufzte glücklich.

Er hatte sie ganz ernsthaft betrachtet.

„Wir sind Energiemodulationen. Materie ist bloß die Form, wie diese Energie uns erscheint“, hatte er behauptet.

Sie strich sich ihr Haar aus dem Gesicht und warf ihm ein Wort hin: „Schönheit“, gleichfalls ganz ernsthaft. „Unsere Träume sind schön. Wieviel wiegt ein Traum? Er hat nichts von Materie und nichts von Energie.“

Er hatte den Kopf hin- und hergewiegt.

Am nächsten Morgen beim Frühstück hatte sie, zu seiner Überraschung, das Thema noch einmal aufgegriffen. Sie war schon aufgewesen, hatte Tee und Kaffee gemacht, den Tisch gedeckt, und ein Buch lag aufgeschlagen neben ihrem Eierbecher.

„Michelangelo“, hatte er, die Schrift auf dem Kopf, buchstabiert und sich gewundert.

„Er hat auch Verse geschrieben. Zur Schönheit“, hatte sie geantwortet. Und sie hatte vorgelesen, wie das sonst er tat.

Als Leitstern meines Kunstberufes ward 

bei der Geburt die Schönheit mir gegeben,

in beiden Künsten Spiegel mir und Licht;

wer anderes denkt, der denkt auf falsche Art.

Nur sie kann mich zu jenen Höh’n erheben,

auf die ich bildend meine Augen richt’.

Wenn manche Toren unbesonnen sprechen,

die Schönheit würde nur den Sinnen taugen,

sie, die den klaren Geist zum Himmel hebt,

so sag ich: himmelwärts gehn nicht die frechen

und trüben, sondern nur die lichten Augen,

weil nur in ihnen Gottes Gnade lebt.

(Michelangelo (1475-1564), übertragen von Michael Engelhard.)

Der Bibliothekar hatte seinen Kaffee umgerührt und eine Weile geschwiegen. „Gottes Gnade“, hatte er dann zitiert, und es klang vorwurfsvoll.

„Weil die Schönheit in den Dingen nirgends zu finden ist“, hatte Clara ihm nachgeholfen. „Schönheit ist eine Qualität des Erlebens, es gibt sie nicht in der objektiven Welt. Wir machen sie selbst oder wir erhalten sie durch Gottes Gnade, wie Michelangelo sagt. – Muss ich dir das wirklich erklären?“

„Lass mal sehen“, er hatte das Buch genommen und sich, neben Kaffee und Marmeladenbrot, in die Verse vertieft. „Weißt du, wie gut das ist?“, hatte er schließlich aufgeschaut. „Schlecht geschrieben, aber vorzüglich gedacht.“

„Gefühlt“, verbesserte sie.

„Gefühlt“, hatte er genickt. „Wenn Michelangelo es wohl auch etwas anders als du meint. Die Schönheit zu sehen, dazu bedarf es Gottes Gnade. Oder sagen wir einfach: der Gnade, und lassen weg, woher sie vermeintlich stammt.“

„Und umgekehrt lässt nur sie das Göttliche schauen.“

„Was immer das ist. – Aber mit deinen Hüften hat es dann doch auch zu tun“, hatte er sie berührt.

Nicht die frechen und trüben, sondern nur die lichten Augen“, hatte sie ihn lachend abgewiesen.

„Aber die Schönheit der Wildsau sieht jeder freche Eber“, war sein Kommentar gewesen.

„Es ist die Liebe zum Leben“, hatte sie gesagt, und er war still geworden.

Zum Abschied an der Tür hatten sie sich lange geküsst.

Die Liebe zum Leben!

So wie jedes Leben in der Welt eben erscheint. Einfach so! Die Sau und der Eber, der Mann und die Frau, die Bäume, eine Blume, die jemand gegen das Licht hält, nochmal die Frau und eben der Mann noch einmal dazu. Der Bibliothekar hatte sie noch etwas mehr geliebt als zuvor.

7

„Schwingelinge“ nennt sie die Schmetterlinge. Erst hat sie es mit „Torkelinge“ versucht, aber bei näherem Hinsehen fand sie, dass in dem, was auf den ersten Blick wie ein Holpern, Luftstolpern, eben besoffenes Torkeln erscheint, eine große Anmut liegt und keinerlei Unsicherheit. Jeder Schmetterling findet die Blume.

Als sie 6 Jahre alt war, war sie mal 6 und mal eine steinalte Frau. Als sie 16 war, war sie leider erst 16 und viel allein. Als sie 36 war, war sie mal 36 und mal 6. Wie alt ist sie heute? Keine steinalte Frau, ganz und gar nicht.

8

Das Fremdwörterlexikon – der Bibliothekar bleibt auf seinem Gang durch den Lesesaal stehen und zieht es aus dem Regal. Und stellt sich wieder einmal die Frage, warum Fremdwörter so beliebt sind, obwohl es für alle augenscheinlich auch Wörter der eigenen Sprache gibt, wie man hier nachlesen kann. Er wiegt das Buch in der Hand, schlägt irgendwo auf, blättert, hält inne, blättert weiter.

Viele „deutsche“ Wörter sind ehemalige Fremdwörter. So ist es in jeder Kultursprache der Welt. Dagegen Althochdeutsch, die Vergangenheit unserer eigenen Sprache, ist uns fast so fremd wie etwa Finnisch.

Nein, seine Vorbehalte Fremdwörtern gegenüber haben nichts damit zu tun, dass sie „ausländisch“ sind, so redet der Bibliothekar an diesem wunderbaren Morgen wieder einmal mit der Wand des Saals, die ihm die liebste ist, mit der Wand der Lexika, es ist ihre Funktionalität.

Fremdwörter sind im Deutschen so bloßgestellt, so ohne Anklang (es sei denn an Flugzeugträger oder an Auslandsreisen zu Tagungen), ohne die, tja, Konnotationen, die sie in ihren heimischen Sprachen haben. Da wird nur ein ganz bestimmter Aspekt des Wortes ins Deutsche genommen, das meiste bleibt unberücksichtigt, bei der weiteren Verwendung des Wortes auch ungewusst.

Fremdwörter sind im Deutschen verarmt, ihnen fehlt die Seele, sie sind ins „Elend“ gesetzt, nach diesem wunderbaren alten Lied, in dem die Fremde als „Elend“ besungen wurde, damals, als die Menschen noch eine Heimat hatten und nicht bloß einen Standort. Aber dieses „Elend“ ist heute zwischen den anderen Begriffen fremder als jedes Fremdwort und „Heimat“ ein Motiv für kitschige Filme.

Und um noch einmal auf die Flugzeugträger zurückzukommen – der Bibliothekar schaut ein wenig strenger auf seine Wand: Über die Jahrhunderte zeigt sich eben doch, dass Fremdwörter fast nur aus Sprachen übernommen werden, deren Völker militärisch dominieren. Als das die Franzosen waren, entstand das „Büro“, nun ist es schon weitgehend durch „Office“ ersetzt. Und ersetzt nicht etwa durch Erlasse – es sind die Werbetexter, die ihre Produkte mit Stärke verbinden wollen und so die Sprache der jeweiligen Herren wählen.

Etwa das „Handy“: Es ist ein Anbiedern, vor dem selbst der Nachgeahmte stirnrunzelnd steht. (Denn du musst wissen, setzt der Bibliothekar vorsichtshalber seiner Wand noch dazu: Dieses Wort gibt es im „Original“ gar nicht, es existiert bloß im Deutschen.) Und eben nicht nur die Jugend – auch die „obere Schicht“ (der Abschaum, verzerrt der Bibliothekar einen Augenblick sein Gesicht) ist kein bisschen selbstständiger, ihr „Smoking“ ist als Peinlichkeit unübertroffen – außer vielleicht vom „Showmaster“ der ganzen deutschen Subventions-Familie.

Der Bibliothekar muss fast ein wenig lachen, als er die Konsequenz zieht: Er mag Fremdwörter nicht, weil sie so deutsch sind, so unsäglich anbiedernd, platt und verarmt. Er zieht die Wörter der eigenen Sprache vor, weil sie wahr sind, so ganz unmodern wahr, voll, rund, mit unbeschnittenem Nachhall und Anklang. „Deutsch“ mag er diese Sprache nicht nennen. 

„Das ist meine Sprache – deutsch ist das nicht!“, zischt er seine Wand an und bewegt gleich entschuldigend eine Hand. 

Der Bibliothekar erinnert sich wieder einmal an dieses Seminar vor Jahrzehnten auf einer Fortbildung für Bibliothekare, als der Leiter die Absicht zur Diskussion gestellt hatte, alle Wörter der Sprache eindeutig zu definieren und manche widerspenstige ganz neu zu setzen, damit die Sprache klar würde und ihre Funktion einwandfrei zu erfüllen bereit sei.

Jemand hatte zu summen begonnen.

Nicht laut, nicht demonstrativ, aber doch so, dass es sich immer mehr ins Schweigen zu mischen verstand, dass es Eingang fand ins verwunderte Starren des Raums.

Der Bibliothekar hatte erst später verstanden – oder zu verstehen gemeint. Und sich nur gewundert über die plötzliche Hast des Dozenten beim Wechseln des Themas.

Du musst wissen, redet der Bibliothekar zu seiner Wand, das Schlimmste ist, dass man nichts sagen kann. Das bietet Angriffsflächen. Aber die Autos und Züge und Flugzeuge werden strom-linien-förmig gebaut. Und Menschen sind Autos, sie bewegen sich vom einen Standort zum nächsten.

Wenn einer wirklich zu reden begänne, dann müssten die Steine schweigen und er hätte jedes Verständnis vertan.

Was sich ändern müsste, sind eben die Autos. Sie bräuchten Weisheit. Nicht einfach immer mehr Funktionalität. Die Wände müssten sich nicht ändern. Aber die Menschen müssten mit ihnen reden und ihnen lauschen.

Der Bibliothekar lacht leise. Dann stellt er das Buch zurück, mit dem Rücken zur Wand.

9

Clara schlendert durch die Allee am Fluss. Linden blühen. Das Summen der Bienen übertönt um diese Zeit sogar den Lärm der Straße, macht sie zu einer Gegend der Bienen und Blüten.

Clara malt sich ein paar Schritte lang aus, wie die Stadt von einer Bienenkönigin wahrgenommen wird. Von hier bis hier ist mein sicheres Revier. An den Rändern wabern die Königreiche der Konkurrentinnen. Aus wie vielen Königreichen die Stadt wohl bestehen mag? Aber Bienenkästen stehen auch nebeneinander. Vielleicht vermengen sich die Königreiche schon sowieso.

Die Menschen kommen in den Karten des Bienenvolkes nicht vor, da ist sich Clara sicher. Die Verteilung der Bäume mit ihren unterschiedlichen Blütezeiten, die Blumengärten, der Fluss, besonders abgasreiche Straßen und Kreuzungen – aber nicht die Menschen. Vermutlich läge es für die Bienen näher, eine Karte der Wolken zu zeichnen als etwa einen Plan über die Verteilung der Menschen.

Ob die Bienen wissen, dass die Menschen diese Stadt zu regieren meinen, sie sogar gebaut haben, jedenfalls die auffälligsten Teile davon? Die auffälligsten für die Augen von Menschen.

Claras Blick wandert von den Lindenblüten zum Fluss. Am Eisenring festgebundene Kähne. Ein Angler steht da und schaut in das ruhige Strömen, die Rute in seiner Hand. Jetzt holt er die Leine ganz ein und wirft sie neu aus.

Fisch, notiert sich Clara auf dem Einkaufszettel in ihren Gedanken. Deshalb ist der Angler nicht hier. Oder doch? Wenn sie ihn fragte?

Jemand hat sich auf eine Bank gesetzt, unter den Linden, bei der Anlegestelle der Kähne. Vielleicht wartet die Gestalt auf eine Gruppe von Freunden, die gleich lärmend erscheinen wird, mit Bierkästen womöglich, mit Fotoapparaten und Kübeln voll guter Laune.

Sie hat das alles nie gewollt, nicht die Zigarette in der zitternden Hand, nicht die Angel zwischen sich und der Ruhe des Wassers, nicht das Bier, nicht den gemütlichen Fernsehabend. Für das Leben ist keine Rechtfertigung nötig.

Leichter wäre manches schon.

Ach was! So viele Verlegenheiten gibt es noch abzustreifen!

Clara sieht in das blinkende Wasser. Ich sehe es wirklich, denkt sie.

10

Haben Sie je geliebt? Ich will nicht viel über diese Tage berichten. Es sind nicht die großen Ereignisse, es ist das plötzliche Lächeln, wenn einer den anderen betrachtet, es ist der zitternde Spatz in der Hand, das Bündel Federn reinen Glücks. Die Liebe trägt über alle Klüfte und Spalten hinweg, sie beflügelt das Schwere und gibt dem Leichten eine Tiefe, die ohne die Liebe nicht ist.

Niemand schaut sich so lange an, wie sich Liebende betrachten. Woher kommt das? Was ist da zu sehen, in diesem Zustand, was andere, Nicht-Liebende, nicht sehen?

Aber auch der Blick in den Spiegel verändert sich. Clara steht da, vor dem ihren, und versucht, sich mit seinen Augen zu sehen. Und schüttelt den Kopf.

Sie haben sich verabredet, im Kaffeehaus.

Wenn Clara zurückdenkt, in ihre Kindheit und Jugend hinein, dann findet sie sich immerzu wartend, ob als Zehnjährige mit einem Buch in der Hand unter der Bettdecke oder mit 18 in einem Café, ihren Briefblock vor sich. Aus der Rückschau scheint es ihr, als habe sie eigentlich die ganze Zeit zwischen 16 und 26 in diesem Café verbracht. Oder beim Schlendern am Fluss. Im Warten jedenfalls.

Warten worauf?

Nicht, dass die Sonne untergeht, nicht, dass der Romanheld im Kuss auf der letzten Seite versinkt, nicht, dass die Vorlesung endet, nicht, dass der Kaffee soweit abgekühlt ist, um getrunken werden zu können, nicht einmal, dass sich ein Märchenprinz niederbeugt in ihr Schweigen ...

Warten war leben. Sie wartete nie auf etwas Bestimmtes. Es war der offene Raum vor ihr, es war sie selbst, der Möglichkeit hingegeben, die es also doch gab, je unbestimmter, umso besser.

Warten am liebsten deshalb eben im Café, versunken über dem Briefpapier, oder auf der Mauer am Fluss, wo die Beine baumeln und die Blicke über die Platanen der Insel schweifen oder über den langsam strömenden Fluss.

Sie wartete nie etwa auf die realen Männer um sich. Die ergaben sich so, zufällig, hingeworfene Kleckse in ihrem Tagebuch. Sie wartete auch nicht auf eine Berufslaufbahn. Das waren schnelle Entscheidungen.

Das Warten hatte nie wirklich aufgehört, es war irgendwie immer noch da, aber doch verändert, im Alltag am Rechner, der Besorgungen auf dem Markt, der Küsse am Morgen.

Wieder im Café, demselben wie damals, das sie lange nicht mehr betreten hat, wartet sie nun wirklich auf etwas?

Auf Hans?

Sie hat ein Buch dabei, um nicht umherschauen zu müssen, um nicht verletzlich zu scheinen. Aber die Seiten fesseln ihre Blicke nicht recht. Sie legt es schließlich beiseite.

Aus dem Stimmengemurmel, dem Klappern der Tassen und den Schritten der Kellnerin dichtet sie Haiku. Sie lässt sie fließen, wie Wellen, die an den Strand eines Meeres spülen, des Meeres dieses Tages. Sie schreibt die Verse nicht auf.

Eine Zeit lang hat sie Atemzüge gezählt, nach der Teilnahme an einem Yoga-Seminar. Auf einem schwarzen Kissen vor einer weißen Wand. Yoga macht sie noch immer. Vielleicht war es dort gewesen, wo sie der Wende des Atems bewusst geworden war, der Wende vom Warten ins Sein.

Nur dass das kaum anders ausgesehen hatte. Denn das Sein war Strömen. Clara hatte sich als Wasser erkannt.

Das Warten hatte sich nicht wirklich verändert.

Sie hatte es nur irgendwie anders zu spüren begonnen, in diesem Strömen und in der Wende des Stroms: als die Bereitschaft des Lebens, als eben das Leben selbst.

Ein Blick auf die Uhr. Hans hat Verspätung. Sie bestellt noch einen Kaffee.

11

Der Bibliothekar streicht sich über die Augen. Auf dem Schirm, hinter der Hand und den Lidern, flimmern Bilder von den Ruinen Delphis. Der Bibliothekar versucht sich zu erinnern, wie er zum ersten Mal auf einen anderen aufmerksam geworden war. Aber nur Bruchstücke fallen ihm ein, wirre Szenen jagen einander. Er hält den Film an, lässt eine der Episoden ablaufen.

Am Straßen-Café war es gewesen, der Fremde filmte ein Mädchen. „Ich bin Tierfilmer“, ein Scherz zu den Eltern am Tisch, als meinte er die Tauben, die das Mädchen zu füttern versuchte. Der Vater hatte freundlich genickt, die Mutter hatte nicht zu ihm hingeschaut, aber ein bisschen stärker am Strohhalm ihres Eiskaffees gesogen.

Dabei war doch klar gewesen, dass im Visier seiner Kamera das Mädchen stand.

„Tierfilmer!“

An das Geländer des Kanals gelehnt, zwischen zwei Blumenkästen, hatte der Bibliothekar nur zugeschaut, hatte gar nicht versucht, mit dem „Tierfilmer“ Kontakt aufzunehmen.

Damals machte er dauernd Notizen. Unentwegt notierte er in den Straßen von den Tauben und Menschen, von den Auslagen der Schaufenster im Wechsel der Trends und der Jahreszeiten, von den Schlagzeilen der Zeitungen sogar, von den Ereignissen in der Bibliothek.

Zu Hause speicherte er alles in einer einzigen Datei. Nichts verkomplizieren. „Vielleicht sammle ich nur“, dachte er manchmal. „Vielleicht gibt es noch gar kein Tor. Vielleicht wird sich eines öffnen.“ So ging er immer wieder das Alte durch, verbesserte Tippfehler, schrieb Anmerkungen zu seinen Kommentaren und Ergänzungen zu diesen Anmerkungen.

Falls seine Notizen doch irgendwie in den Himmel fänden, die Leute dort mussten zurechtkommen. Vielleicht legten sie von jeder Überarbeitung eine neue Datei an und setzten all diese Hunderte oder Tausende irgendwie miteinander in Beziehung, ermittelten so eine weitere Tiefendimension, nur aus den Abweichungen der einzelnen Versionen.

„Ich bin ein Sensor“, dachte der Bibliothekar oft, wenn er sich mit diesen Fragen auseinander setzte. Oder, in weniger sicheren Momenten: „Ich könnte ein Sensor sein.“ Wieviele es von ihnen gab? Ob alle Menschen Sensoren sind?

„Eigentlich könnte ich auch nur über mich selbst schreiben. Die Rechner im Himmel könnten daraus ein Bild vom Leben auf der Erde entwickeln, drückt sich doch alles, was ich aufnehme, in dem aus, was ich schreibe, auch wenn es über etwas ganz anderes ist.

Was es nicht alles zu berücksichtigen gibt! Wann ich berichte, wie ich berichte – und was ich nicht berichte, das vielleicht auch. Und alles in Korrelation zu den Daten der anderen, wie dieses Tierfilmers“.

Aber er schrieb dann doch nicht über sich selbst, sondern notierte weiter seine kleinen Beobachtungen über das Treiben der Menschen und Tauben, für den Himmel.

„Gott ist eine Hypothese“, hat einst jemand gesagt. Und: „Ich brauche sie nicht.“ Wieviele solcher Hypothesen mochte es geben? Sollte gerade diese Welt aus der Vielzahl der Möglichkeiten die vorderste sein? Vielleicht ist sie ein Projekt zur Bevölkerungsentwicklung. Simuliere die Erde im 21. Jahrhundert, verändere ein paar Daten und schaue, was sich im Fortlauf verändert. Ein Jahr in der Simulation sei eine Minute in Echtzeit.

Projekte zur Ausbreitung eines Virus, zur politischen Drift, zur Migrationsentwicklung, zur Wanderung der japanischen Kirsche oder zum Schwalbenzug in Abhängigkeit verschiedener Zivilisationsbrüche ... Es gibt beliebig viele Möglichkeiten.

Um nur irgendeine aus den Myriaden herauszugreifen: Vielleicht ist unsere Welt eine elektronische Simulation für die Doktorarbeit von Hgztrca Jkgrölkbfta, deren Thema lautet: „Soziologische Einflüsse auf die Großeltern von Manuel Valdarez“. Wer Manuel Valdarez ist? Keine Ahnung. Der Messias des 22. Jahrhunderts? Und die Doktorandin schreibt im 12. Jahrhundert (nach IHM)?

Sie meinen, so etwas könnte Hgztrca Jkgrölkbfta nie programmieren? Was macht Sie so sicher? Muss sie aber auch gar nicht. Das Programm gibt es womöglich zu kaufen, der Preis ist gestaffelt nach den Einflussmöglichkeiten auf die Variablen und nach der Stellung der Mutter in der kirchlichen Hierarchie von Hjuzft. Sie hat lange gespart.

Vielleicht heißt der Messias auch anders, zum Beispiel Emil Sauerbier.

Lachen Sie nicht! Das alles mag zwar lächerlich klingen, aber dass die Wahrheit der Welt gerade so ist, wie sie uns erscheint, ist nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten. Weshalb sollte gerade diese eine die richtige sein? Zu Ihrer Bequemlichkeit? Kürzlich las der Bibliothekar von einer physikalischen Theorie, nach der das Universum zweidimensional sein soll. Die dritte Dimension sei nur eine Konstruktion unseres Geistes.

Ein Rätsel nicht lösen zu können, bringt die einen dazu, es zu ignorieren, die anderen (schon sehr viel weniger) schleichen um es herum. Es einfach nur dastehen lassen!

Aber die ganze Welt ist dieses Rätsel. Und sie steht nicht, sie dreht sich. Wir drehen uns mit.

Also lachen Sie besser doch! Noch besser: Wir lachen zusammen!

Irgendwann beschäftigen sich alle damit. Irgendwann bleibt das dann liegen, der Beruf absorbiert alles, das Umblättern von Bücherseiten mit den Erlebnissen anderer, die Familie, die Abende vor dem Fernseher oder, immerhin, die Sinnfragen im Kino, zu Popcornknistern.

Das Rätsel ist immer noch da. Wenn es Sie anschaut, schauen Sie weg. Es ist nicht lösbar. Es ist der Grund, auf dem Sie zu stehen gewohnt sind.

Lassen Sie es Wiesen sein, besser noch Felder. Lassen Sie alles fest sein, was fest sein muss, um zu stehen. Gehen Sie über das Wasser, aber schauen Sie durch das Glas hindurch. Es ist Ihr Leben.

So schrieb der Bibliothekar denn in seine Datei. Er hatte sich eine Zeit entschieden und festgelegt auf dieses eine, um einmal anders zu stehen, um einmal einen anderen Boden unter den Sohlen zu spüren. Andere gingen in eine der Kirchen. Wieder andere hatten die Augen geschlossen, im Lotossitz vor einer weißen Wand.

12

„Die meisten Amseln schimpfen, wenn die Nacht kommt. Aber manche jubeln auch dann. Oder sind das welche, die beim Morgenjubel schweigen? Die nur vor der Nacht singen?“

Der Bibliothekar lauscht Claras Stimme nur, antwortet nicht.

Zu lauschen ist schön.

13

So viele angefangene Projekte! Der Bibliothekar hat sich auf den Schreibtisch ein Messer gelegt.

Weshalb die Menschen so viel ihrer Zeit vor Schirmen verbringen, wo Bilder laufen, Dinge passieren, wo Blut fließt, wo Liebe geschieht und die Schrift am Ende verrät, wer die Schminke aufgetragen und das Drehbuch geschrieben hat?

Früher dachte er, die Menschen sehen Filme, weil in denen etwas geschieht, weil sie von der Eintönigkeit ihres eigenen Lebens genug haben und deshalb andere Leben sehen möchten, in denen es interessanter zugeht.

Heute denkt er, dass es vor allem der Abspann ist. Dass sie Filme einlegen, um zu sehen, dass etwas endet, sich abschließt und damit einzuordnen ist und festzuklicken in einer ganz bestimmten Plastikhülle, dass es ins Regal gestellt werden kann, wo es dann still hält.

Während das eigene Leben so unsäglich verheddert ist, während dort alles in alles übergeht und die Wellenkreise nie enden.

Der Mörder im Film steht am Ende einwandfrei fest.

Das Problem unserer Zeit ist der Alltag, denkt der Bibliothekar, als er die Klinge des Messers betrachtet. Nicht die Kriege sind es, die Verschmutzung, der Rückgang der Erdschätze, die Korruption der Medien, die Heimatlosigkeit. Nun, letzteres natürlich doch, insofern eben damit der Alltag gemeint ist, seine Umwandlung in ein Angestelltenverhältnis und die Langeweile eines beliebigen Standorts.

Die Leute mögen den Mörder so sehr, weil er etwas abschließt. Es ist das schlechte Gewissen, das sie nach dem Kommissar schicken lässt, dass er den Mörder am Ende doch wenigstens verhaftet. Das schlechte Gewissen, dass sie selbst nichts abschließen, dass sie selbst nur immer versagen.

14

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739373584
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Dezember)
Schlagworte
Liebesroman Poesie Paar-Beziehung Gesellschaftsanalyse Humor

Autor

  • Volker Friebel (Autor:in)

Volker Friebel (*1956) ist promovierter Psychologe. Er arbeitet als Ausbildungsleiter und Schriftsteller und lebt in Tübingen.
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Titel: Das Gewicht der Wolken