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Fragen Sie Erkül Bwaroo!

von Ruth M. Fuchs (Autor:in)
242 Seiten
Reihe: Erkül Bwaroo ermittelt, Band 3

Zusammenfassung

Eine Hommage an Agatha Christie - im Märchen. Wollen Sie wissen, wie Christies berühmter belgischer Detektiv sich unter Märchenfiguren schlägt? In sieben Geschichten erfahren Sie es. Wie konnte ein Mann ermordet werden, der sich allein in einem verschlossenen Raum befand? Warum endete ein harmloser Spaziergang tödlich? Welches Geheimnis steckt hinter dem weißen Kaninchen mit der schwarzen Weste? Weshalb wurde die Großmutter im Wald so brutal ermordet? Wer hat die schöne Nymphe entführt? Wohin verschwanden die Heinzelmännchen? Und wieso fiel ein Passagier in einer stürmischen Nacht einfach so über Bord? Sieben Rätsel – sieben Fälle für Erkül Bwaroo und seine kleinen, grauen Zellen! Der Elfendetektiv mit dem stattlichen Schnurrbart und dem belgischen Akzent ist stets bereit, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aber wird er auch jedes Mal erfolgreich sein und den Täter seiner Strafe zuführen?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Fragen Sie Erkül Bwaroo!

von Ruth M. Fuchs

Phantastischer Kriminalroman

Impressum

© 2022 Raposa Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Werks darf in irgendeiner Form ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber: Raposa

Herausgeber: Raposa – Ruth Fuchs

c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach

eMail: ruth@ruthmfuchs.de

Umschlaggestaltung: Chris Schlicht

www.dreamspiral.de

Lektorat: Jochem Reineck

www.ruthmfuchs.de

Für Dieter

Fragen Sie Erkül Bwaroo

Später Besuch

Erkül Bwaroo saß gemütlich Zuhause in seinem Lieblingssessel, in eine bequeme Hausjacke gehüllt, die Füße zur Erholung von den engen Lackschuhen in flauschigen Pantoffeln, neben sich ein Glas heiße Würzmilch. Es war einer der seltenen Abende, an denen sich der Elfendetektiv gestattete, richtig zu entspannen.

Da trat sein Diener Orges ein und meldete, dass ein Besucher vor der Tür stehe.

„Ein Besucher um diese Zeit?“ wunderte sich Bwaroo. „Was kann er nur wollen... Ist es jemand, den wir kennen?“

„Nein, Herr Bwaroo. Es ist ein unbekannter Wolf.“

„Ein Wolf?“

„Er bittet um eine Unterredung.“

„Er kann sprechen?“

„In der Tat.“

„Hat er ein Schaffell um?“

Orges wusste natürlich, dass sein Herr mit dieser Frage auf einen Wolf anspielte, den sie bei der Klärung eines Falls auf einer Insel kennengelernt hatten. Doch er verzog keine Miene und meinte lediglich: „Nein, Herr Bwaroo.“

„Nun, wie auch immer. Wenn er schon da ist und die Hilfe von Erkül Bwaroo sucht, soll er sie auch bekommen.“ Der Elf stand umständlich auf. „Führen Sie ihn in mein Arbeitszimmer, mein lieber Orges. Sagen Sie ihm, er soll sich einen Augenblick gedulden.“ Er zögerte einen Moment und fügte dann noch hinzu: „Achten Sie bitte darauf, dass er nichts durcheinander bringt.“

„Sehr wohl.“ Der unerschütterliche Orges neigte nur knapp den Kopf. Dass sein Herr eine ausgeprägte Abneigung gegen Unordnung hatte, war ihm nichts Neues.

Zufrieden verließ Bwaroo das Zimmer, um sich umzuziehen.

Es dauerte nicht lange, bis er elegant gekleidet in sein Arbeitszimmer trat. Dort hockte auf dem Boden ein stattlicher Wolf mit glänzendem Fell, den Kopf stolz erhoben. Als er Bwaroo hereinkommen sah, grinste er, wobei er zwei Reihen beeindruckender, spitzer Zähne offenbarte.

„Herr Bwaroo?“ Seine Stimme klang ein wenig heiser. Aber er sprach klar und deutlich. „Sie müssen mir helfen. Man will mich umbringen.“

„Erhalten Sie Morddrohungen?“ erkundigte sich Bwaroo, während er an seinem Schreibtisch Platz nahm. Geistesabwesend rückte er Federhalter und Papierlöscher einen Millimeter weit zur Seite, so dass sie exakt im rechten Winkel zur Schreibunterlage lagen.

„Nein, aber ich weiß, dass man mich eines Mordes verdächtigt.“ Der Wolf blickte den Detektiv herausfordernd an. „Nicht, dass es mir nicht einfach egal sein könnte“, meinte er lässig, „aber ich bin nun mal unschuldig und hätte das gerne auch bewiesen.“

Der Elfendetektiv hob die Augenbrauen und betrachtete sein Gegenüber aufmerksam.

„Dann kommen Sie also nicht, weil Sie Angst um Ihr Leben haben?“ hakte er nach.

„Selbstverständlich nicht!“ Der Wolf lachte auf.

„Darf ich fragen, weshalb Sie dann Ihre Rute zwischen die Hinterbeine geklemmt haben?“ Bwaroo lächelte freundlich.

Der Wolf sah an sich hinab und wurde sehr verlegen.

„Na ja, die Bauern haben Bögen und Armbrüste...“ murmelte er schließlich.

„Und die würden sie auch einsetzen, weil man glaubt, Sie hätten einen Mord begangen?“

„Eigentlich einen Mord und einen Mordversuch“, berichtigte der Wolf. „Aber ich war's nicht, ehrlich nicht! Und jetzt will man mir das anhängen und mich erschießen. Und deshalb sagte Theo: Fragen Sie Erkül Bwaroo!“

„Das Beste wird es vielleicht sein. Sie erzählen von Anfang an...“

„Ja, äh, das ist wahrscheinlich besser. Aber den Anfang kenne ich nur von Hörensagen. Ich war ja nicht dabei, obwohl sie das behauptet.“

Bwaroo verkniff sich die Frage, wer mit 'sie' gemeint war. Stattdessen gab er mit einer Geste zu verstehen, dass der Wolf seine Erzählung beginnen sollte, und hörte aufmerksam zu.

„Also, es war wohl so, dass ein Mädel aus Pahlingen, das ist ein Dorf nahe dem Kampenwald, mit einem Korb voller Essen in den Wald ging. Sie wollte zu einer Hütte, in der ihre Großmutter wohnte. Und dann fand sie die Großmutter tot und übel zugerichtet vor. Und wie sie noch so schaut, wird sie von einem Wolf angefallen und kann sich gerade noch auf einen Baum retten. Jetzt bin ich aber der einzige Wolf in der Gegend und deshalb glauben alle, dass ich das war. War ich aber nicht. Und da hat Theo, das ist ein alter Mann, der oft im Wald ist, um das Obst und die Beeren dort zu pflücken, und den ich gut kenne, gemeint, ich soll zu Ihnen gehen. 'Rudolf', hat er gesagt, 'Fragen Sie Erkül Bwaroo. Wenn Ihnen einer helfen kann, dann der.' Und deshalb bin ich jetzt hier.“

„Ah, je comprends“, nickte Bwaroo. Als er den verwirrten Blick des Wolfes sah, übersetzte er: „Ich verstehe.“

„Ja, Theo hat schon gesagt, dass Sie sich manchmal komisch ausdrücken“, nickte der Wolf.

Der Elf verzog bei diesem Kommentar das Gesicht. Seine Angewohnheit, französische, beziehungsweise belgische Sätze in seine Rede einfließen zu lassen, hatte schon öfter zu Verwirrung geführt. Aber, entschied Erkül Bwaroo, das ließ sich nicht ändern, denn alles andere wäre einfach zu banal.

Also strich er sich lediglich seinen gewaltigen, tiefschwarzen Schnurrbart, während er sich den Bericht des Wolfes noch einmal durch den Kopf gehen ließ.

„Vermutlich sind die Dorfbewohner ohnehin nicht gut auf Sie zu sprechen“, vermutete er.

„Aber nein. Wir sind bisher gut miteinander ausgekommen!“

„Ach? Wie das?“

„Wir haben eine Abmachung. Theo hat sie ausgehandelt. Mit mir kann man schließlich reden!“

„Zweifellos. Und wie sieht diese Abmachung aus?“

„Ich lasse das Vieh der Dorfbewohner in Ruhe und kümmere mich stattdessen um die Wühlmäuse und andere Schädlinge. Und im Winter bringen die Dorfbewohner dann Futter in den Wald, damit ich nicht hungern muss. Ach ja, und sie machen nicht Jagd auf mich.“

„Eine vernünftige Vereinbarung“, erklärte der Elf anerkennend. Der Wolf richtete sich ein wenig auf und klopfte stolz mit seiner Rute auf den Boden. Dann klemmte er sie jedoch wieder zwischen die Hinterbeine.

Alors, ich nehme an, man verdächtigt Sie, weil das Mädchen, das entkommen konnte, einen Wolf gesehen hat?“ erkundigte Bwaroo sich. „Könnte es sich geirrt haben?“

„Keine Ahnung, ich war ja nicht dabei. Aber Theo meinte, das Mädel hätte ganz klar von einem Wolf gesprochen.“

„Und? Haben Sie einen zweiten Wolf in Ihrem Jagdrevier bemerkt?“

„Nein.“

„Aber das fragliche Haus liegt in der Gegend, in der Sie jagen?“

„Äh. Nein. Ja. Also, eigentlich ist es schon in meinem Revier. Aber ich gehe nie in die Nähe, wenn da jemand ist. Die meiste Zeit steht es ja leer. Nur manchmal am Wochenende ist jemand dort. Aber das ist ganz leicht zu sehen, denn dann hängt immer so eine rote Decke neben der Tür. Jedenfalls, wenn ich merke, dass jemand da ist, mache ich einen großen Bogen darum. Ich will ja niemanden erschrecken.“

„Sehr rücksichtsvoll von Ihnen.“

„Na ja“, der Wolf zögerte. „Eigentlich ist es eher so, dass die Abmachung mit den Dorfbewohnern gut funktioniert, aber doch auch ziemlich zerbrechlich ist. Wissen Sie, die Dörfler haben zugestimmt, aber misstrauisch sind sie immer noch. 'Ein Wolf ist und bleibt ein Wolf', sagen sie.“

C'est difficile.“ Bwaroo strich sich nachdenklich den Schnurrbart. Ein Rätsel nach seinem Geschmack. In letzter Zeit hatte er angefangen, sich zu langweilen. Es schien nirgends eine Herausforderung für seine kleinen grauen Zellen zu geben. Dieser Fall schien genau die richtige Art von Abwechslung, die er jetzt brauchte. Natürlich war es auch möglich, dass der Wolf log. Aber das würde sich ja schon bald herausstellen.

D'accord“, sagte Bwaroo also und klopfte wie zur Bekräftigung der Entscheidung auf den Tisch. „Ich werde mir diesen Fall ansehen. Aber was ist mit Ihnen? Sie begeben sich unnötig in Lebensgefahr, wenn Sie jetzt dorthin zurückkehren.“

„Ich komme schon zurecht“, behauptete der Wolf etwas zu schnell.

„Tatsächlich?“ Bwaroo sah ihn zweifelnd an.

Der Wolf lachte auf, doch es klang eher kläglich. Schließlich senkte er verlegen den Kopf.

„Ich weiß nicht, wohin“, gestand er. „Ich könnte vielleicht zu Theo. Aber man weiß, dass wir so etwas wie Freunde sind. Wenn man mich bei ihm findet, könnte das schlimm für ihn ausgehen.“

Erkül Bwaroo lächelte. Es sprach für den Wolf, dass er sich Gedanken um das Wohl seines Freundes machte.

„Mal sehen.“ Der Elf griff nach der Glocke, die auf seinem Schreibtisch stand und klingelte energisch.

Er hatte die Glocke kaum zurück gestellt, als auch schon Orges eintrat.

„Sie haben geläutet, Herr Bwaroo?“ fragte er.

„Monsieur Rudolf Wolf...“ der Detektiv deutete auf den Wolf, „braucht eine Unterkunft für eine Nacht. Können wir ihm da weiter helfen?“

„Selbstverständlich, Herr Bwaroo. Das Gästezimmer steht zur Verfügung. Ich habe mir erlaubt, das Bett schon frisch zu beziehen.“

„Nichts anderes habe ich von Ihnen erwartet“, Bwaroo strahlte. „Alors, Monsieur Wolf, folgen Sie doch bitte meinem Diener.“

Der Wolf bedankte sich überschwänglich.

„Morgen werde ich dann schon irgendwo eine Bleibe finden“, erklärte er zuversichtlich.

Mais non“, der Elfendetektiv schüttelte den Kopf. „Das wird nicht nötig sein. Bis morgen Abend wird sich der Fall geklärt haben, oder ich bin nicht Erkül Bwaroo.“

Der Elfendetektiv schien keinerlei Zweifel zu haben. Rudolf konnte seine Zuversicht nicht so recht teilen, wagte es aber nicht, zu widersprechen. Er wünschte also lediglich eine gute Nacht und folgte Orges ins Gästezimmer.

Das Mädchen mit dem roten Umhang

Erkül Bwaroo musterte die junge Frau, die ihm gegenüber saß und schüchtern den Blick auf den Boden geheftet hielt. Sie war schmal, ein wenig knabenhaft. Doch ihr Gesicht war das eines Engels, mit großen himmelblauen Augen und umrahmt von dichten goldenen Locken.

„Mademoiselle Bender...“ begann er, wurde jedoch von der jungen Frau unterbrochen.

„Nennen Sie mich doch Katrin“, bat sie leise, „wie alle hier.“

Der Elf lächelte und nickte.

„Ich danke Ihnen, dass Sie mich trotz Ihrer Verletzungen empfangen“, sagte er freundlich.

Katrin fasste unwillkürlich an den Verband an ihrem Arm Ein zweiter lugte aus dem Ausschnitt des formlosen braunen Kittels, den sie trug.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist“, wehrte sie ab.

„Erzählen Sie mir, was geschehen ist“, bat der Elfendetektiv. „Aber nur, wenn es Sie nicht zu sehr aufwühlt“, fügte er fürsorglich hinzu.

Katrin nickte. Den Blick nach wie vor auf den Boden geheftet überlegte sie eine Weile.

„Ich lebe seit vier Jahren bei meiner Großmutter“, begann sie dann zu erzählen. „Damals sind meine Eltern gestorben. Zwar habe ich ein kleines Wochenendhäuschen im Wald von ihnen geerbt, aber gewohnt habe ich bei meiner Großmutter. Das Häuschen haben wir selten genutzt. Manchmal bin ich am Wochenende hin, um für die Schule zu lernen, aber sonst... Dieses Jahr fand Großmutter dann, dass das doch eigentlich schade wäre. Sie ging also hin, um dort ein paar Wochen zu wohnen. Das wäre dann fast so wie Urlaub, meinte sie. Ich schätze, sie wollte einfach mal ein bisschen Ruhe haben. Sie war ja nicht mehr die Jüngste.

Jedenfalls, vorgestern dachte ich mir, ich bringe ihr einen Kuchen vorbei, den ich frisch gebacken hatte, und eine Flasche von ihrem Lieblingswein. Ich packe also alles in einen Korb und mache mich auf den Weg. Als ich hinkomme, steht die Tür sperrangelweit offen. Das kam mir schon nicht geheuer vor. Ich habe mich dann aber trotzdem hinein getraut und da fand ich Großmutter auf dem Boden liegen, voller Blut und die Kleider zerrissen...“ Die junge Frau stockte und blickte ins Leere.

„Was geschah dann, Mademoiselle?“ forschte Bwaroo behutsam.

„Ich hörte ein Geräusch und fuhr herum. Da stand in der Tür ein riesiger Wolf! Er sprang auf mich los, aber ich warf mich zur Seite. Er erwischte mich nur an der linken Seite, und so konnte ich mich aufrappeln und zur Tür hinaus. Draußen steht ein großer Birnbaum. Auf den bin ich schon als Kind oft geklettert. Ich konnte mich gerade noch hinaufziehen, bevor der Wolf hinter mir herkam...“

Sie wurde unterbrochen von einer energischen älteren Frau, die bisher abseits gestanden hatte und sich nun daran machte, den Verband zu erneuern. Sie war eine Nachbarin, eine Bäuerin, wie ihre roten, schwieligen Hände verrieten. Doch diese Hände erwiesen sich als bemerkenswert flink und geschickt, als sie begann, die Mullbinden abzuwickeln.

„Diese Bestie“, murmelte die Nachbarin. „So was sollte man nicht frei rumlaufen lassen. Ich hab ja gleich gesagt, dass es ein Fehler ist, einem Wolf zu vertrauen.“

„Aber Madame. Sie sind zu voreilig“, widersprach Bwaroo sachte. „Es ist noch längst nicht bewiesen, dass es der Wolf war. Der Wolf, der Ihnen andererseits all die Schädlinge vom Hals hält.“

„Ach, und wer sollte es sonst gewesen sein? Vielleicht ein Kätzchen? Macht ein Kätzchen solche Kratzer?“ Aufgebracht hielt die Frau Katrins Arm hoch, der nun ohne Verband war. Drei lange und tiefe Wunden, die parallel nebeneinander verliefen, waren zu sehen.

Erkül Bwaroo beugte sich vor und betrachtete die Verletzungen sehr genau.

„Nein“, gab er dann zu. „Das sind nie und nimmer die Kratzer einer Katze.“ Er schwieg einen Moment. „Mademoiselle“, sagte er dann, und in seiner Stimme schwang etwas wie Bewunderung, „Sie sind ausgesprochen tapfer und sehr mutig.“

„Das kann man wohl sagen!“ Die Frau begann, die Wunden neu zu verbinden. Als sie damit fertig war, schaute sie den Elfen missbilligend an. Der legte den Kopf schief und schaute mit leuchtend grünen Augen zurück.

„Also, ich muss schon sagen“, schimpfte die Frau da. „Für den anderen Verband muss sie ihr Kleid öffnen...“

„Oh. Pardonnez moi!“ Bwaroo sprang auf. „Ich bin untröstlich, Madame. Mademoiselle“, er verbeugte sich vor Katrin. „Ich wünsche Ihnen schnelle Genesung.“ Er griff nach seinem Hut und seinem Spazierstock. „Oh, eines noch: Dürfte ich mir das Haus im Wald einmal genauer ansehen?“

„Wenn Sie wollen.“ Katrin zuckte die Schultern. „Nach dem Überfall blieb alles, wie es war. Ich weiß, ich müsste mich darum kümmern, aber ich glaube, ich kann da nie wieder hingehen.“

„Natürlich nicht, Liebes“, nickte die ältere Dame. „Das musst du auch nicht.“

„Sehr richtig“, stimmte Bwaroo ihr zu. „Das ist wirklich ganz unnötig.“

Als er sich schließlich zum Gehen wandte, fiel sein Blick auf einen Kapuzenumhang, der an einem Haken neben der Tür hing. Der Umhang war leuchtend rot und völlig unversehrt.

„Ist das Ihrer, Mademoiselle?“ wollte er wissen mit einem Blick auf das sehr schlichte und unscheinbare Kleid, das Katrin trug.

„Ja.“ Die junge Frau errötete. „Den hab ich mal bei einem Ausflug mit Großmutter nach Laundom in einem Schaufenster gesehen und Tag und Nacht gespart, um ihn mir leisten zu können. Es musste dieser Umhang sein und kein anderer. Ziemlich verrückt, denn natürlich ist er viel zu auffällig. Aber er ist von guter Qualität, deswegen trage ich ihn eigentlich ständig. Ganz schön dumm von mir, nicht wahr?“

Mais non, Mademoiselle“, widersprach Bwaroo galant. „C'est très chic! Und diese Farbe kleidet Sie sicher ganz hervorragend. Warum soll eine schöne Frau sich nicht noch schöner machen?“

Diese Worte brachten Katrin noch mehr in Verlegenheit. Doch Bwaroo lächelte ihr aufmunternd zu.

„Haben Sie den Umhang auch getragen, als Sie zu Ihrer Großmutter gingen?“ fragte er dann.

„Ja“, nickte Katrin. „Aber ich hatte den Verschluss geöffnet und er rutschte mir von den Schultern, als ich aus dem Haus lief. Und der Wolf hat sich nicht weiter drum gekümmert.“

„Ich verstehe.“ Der Elf warf noch einen kurzen Blick auf den Umhang und verabschiedete sich dann endgültig.

Sein Weg führte ihn weiter zum Dorfpolizisten, Wachtmeister Bruno Häckel. Der erstarrte fast vor Ehrfurcht, als er erfuhr, dass ihn der berühmte Detektiv Erkül Bwaroo mit seiner Anwesenheit beehrte.

„Meiner Treu! Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal erlebe“, rief er und wurde vor Aufregung ganz zappelig.

Bwaroo schmunzelte äußerst zufrieden.

„Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee?“ bot Häckel eifrig an. „Ich hab aber nur Kräutertee“, setzte er etwas verschämt hinzu.

Bwaroo aber strahlte.

„Aber gern!“ rief er entzückt. Leider hatte es sich als Sitte eingebürgert, einem Gast Hagebuttentee zu servieren. Gerade diesen Tee aber verabscheute der Elf von ganzem Herzen. Und so sah er sich oft genug gezwungen, seinen Widerwillen zu verstecken und tapfer die angebotene Tasse Tee in sich hinein zu zwingen.

Doch der Tee, den der Wachtmeister ihm in einem schlichten Becher reichte, entsprach voll und ganz dem Geschmack des Elfendetektivs. Genießerisch sog er den Duft des Getränks ein und nahm dann einen Schluck.

Formidable“, lobte er. „Ganz ausgezeichnet.“

„Ich werde es meiner Frau ausrichten. Sie hat ihn nämlich gekocht“, sagte der Wachtmeister Häckel sichtlich geschmeichelt. „Sie ist ein großer Fan von Ihnen. Liest alles über Sie in der Zeitung! Und ich natürlich auch. Ich bin richtig froh, dass Sie da sind. Hab sonst ja nur mit der einen oder anderen Wirtshausprügelei zu tun. Oder wenn Kinder mal ein paar Äpfel mausen.“ Er kratzte sich nachdenklich unter seiner Mütze den Kopf. „Natürlich ist der Fall ja eigentlich klar...“

„Finden Sie?“ Bwaroo hob die Augenbrauen.

„Na ja, schon.“ Bruno Häckel hob die Schultern. „Oder etwa nicht? Katrin hat einen Wolf gesehen. Und wir haben hier nur einen Wolf.“

„So etwas Ähnliches habe ich schon einmal gehört“, Bwaroo hob warnend den Zeigefinger. „Und dann war doch alles ganz anders. Vielleicht ist es diesmal ja auch so. Mir scheint, die Menschen tun den Wölfen überhaupt sehr oft Unrecht.“

„Na ja, aber hier ist der Fall doch eindeutig!“ Der Polizist lachte, doch es klang ein wenig nervös. „Das wird sich ganz schnell klären, wenn wir den Wolf erst einmal da haben, um ihn zu befragen.“

„Rechnen Sie denn damit?“

„Die Bauern hier im Dorf haben sich schon zu einem Suchtrupp zusammengeschlossen und sind alle Mann hoch losgezogen.“

Mon Dieu. Und Sie glauben, dass sie ihn lebend abliefern?“

Wachtmeister Häckel setzte zu einer Antwort an, zögerte dann aber.

„Sie haben es mir versprochen“, murmelte er schließlich. „Petterson hat zwar seine Armbrust dabei – aber nur um den Wolf zu erschrecken und in Zaum zu halten, sagte er...“

Mit einem Mal sah er sehr betreten drein.

„Ah, ce n'est pas bien grave!“ winkte Bwaroo da jedoch fröhlich ab. „Ich bin ganz sicher, dass dem Wolf kein Haar gekrümmt werden wird.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Ich habe das im Gefühl.“

„Na dann...“ Bruno Häckel atmete tief durch. Insgeheim war er ja immer noch der Meinung, dass der Tathergang ganz klar war und dass Bwaroo seine Zeit verschwendete. So froh er andererseits auch war, dass ihm in dieser ungewohnten Situation jemand mit Erfahrung zur Seite stand. Trotzdem. Es war schon schade, dass es kein richtig komplizierter Fall war. Häckel hätte den Detektiv zu gern ordentlich in Aktion gesehen, mit Einsatz der kleinen grauen Zellen und dem ganzen Drumherum. Aber auch so würde seine Frau ihren Mann bestimmt mit ganz anderen Augen sehen, wenn er ihr erst einmal erzählte, dass er mit dem berühmten Elfendetektiv zusammengearbeitet hatte. Wachtmeister Häckel lächelte.

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir den Tatort zeigen könnten“, bat Bwaroo. „Und danach vielleicht Mittagessen... vor der Fahrt hierher habe ich ein kleines Frühstück zu mir genommen, seitdem aber nichts mehr. Vielleicht machen Sie mir ja die Freude und leisten mir Gesellschaft? Dann können Sie mir gleich Ihre Erkenntnisse aus erster Hand berichten und mir den einen oder anderen Fingerzeig geben.“

„Gern!“ Der Wachtmeister strahlte. Was würde seine Frau sagen, wenn er ihr erzählte, dass er mit dem berühmten Elfendetektiv zusammengearbeitet und dieser ihn um Rat gefragt hatte.

Ein Schuss auf Erkül Bwaroo

Eifrig führte Häckel seinen Gast also in den Wald. Er ging vorneweg, Bwaroo trippelte ihm hinterher und verwünschte wie schon so oft die Tatsache, dass es im Wald so unaufgeräumt war. Überall wuchs etwas! Er stieß mit seinen Lackschuhen gegen Steine, sein Spazierstöckchen blieb an Gestrüpp hängen. Nein, der Wald war nichts für Erkül Bwaroo. Warum konnten sich die Leute nicht in einem ordentlichen Haus in Ortsmitte umbringen lassen? Der Elf seufzte.

Nach einigen Minuten Fußweg konnte Bwaroo eine Hütte zwischen den Bäumen ausmachen. Das musste das Haus sein, in dem der Mord geschehen war. Er blieb kurz stehen, um es näher in Augenschein zu nehmen.

Da schwirrte etwas durch die Luft und der Bolzen einer Armbrust blieb zitternd auf Höhe seines Kopfes in einem Baum stecken.

Par bleu!“ rief Bwaroo erschrocken aus.

Häckel aber fuhr herum und starrte in die Richtung, aus der der Bolzen gekommen war.

„Petterson! Komm sofort raus, Petterson!“ brüllte er.

Es raschelte in einem Gebüsch ein paar Schritte entfernt und heraus trat ein Mann mit einer Armbrust in der Hand. Er sah sehr verlegen aus, obwohl er sich redlich mühte, sich nichts anmerken zu lassen.

„Woher hast du gewusst, dass ich es bin?“ wollte er von Häckel wissen.

„Du bist der Einzige im Dorf, der eine Armbrust hat“, grollte der. „Oder vielmehr hatte. Die Waffe wird hiermit konfisziert.“

Er stiefelte zu dem Mann und nahm die Armbrust mit einer schnellen Bewegung an sich.

„Das kannst du nicht machen!“ protestierte Petterson, versuchte jedoch nicht, die Waffe zurück zu bekommen.

„Und ob ich das kann“, schimpfte der Wachtmeister derweil. „Du hättest fast den berühmtesten Detektiv weit und breit umgebracht!“

„Ich hab gedacht, das ist der Wolf.“

„Sieht er etwa wie ein Wolf aus?“

„Es war dunkel...“

„Wir haben späten Vormittag!“

„Na gut, aber es war schattig. Und ich habe nur eine Bewegung gesehen und da...“

„Hast du gedacht, wenn's nicht der Wolf ist, dann vielleicht das nächste Abendessen.“

„Ich, na ja...“

„Das ist unverantwortlich! Wenn's nun Kinder gewesen wären? Und überhaupt, du hast mir doch versprochen, nicht auf den Wolf zu schießen!“

„Hab ich?“

„Hast du.“

„Hm. Wenn du das sagst...“

„Sag' ich. Und ich würde vorschlagen, dass du jetzt ganz schnell losziehst und mit den anderen weiter nach dem Wolf suchst.“

„Aber wenn er mich anfällt...“

„So wie gerade eben?“

„Schon gut.“

Petterson warf einen letzten bedauernden Blick auf seine Armbrust, machte dann aber, dass er wegkam.

Wachtmeister Häckel sicherte die Armbrust und wandte sich mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck an Bwaroo.

„Es sind im Grunde gute Leute hier“, versicherte er. „So ein Verbrechen ist ihnen eben noch nicht untergekommen und da...“

Pas de problème!“ beruhigte ihn der Elf jedoch. „Und meine Hochachtung für die Art, wie Sie mit der Situation umgegangen sind.“

Wachtmeister Häckel wurde beinahe ein wenig rot. Was würde seine Frau sagen, wenn er ihr erzählte, dass er mit dem berühmten Elfendetektiv zusammengearbeitet, dieser ihn um Rat gefragt und obendrein noch für sein überlegtes Verhalten gelobt hatte!

Am Haus angelangt stieß Häckel die Tür auf, ließ Erkül Bwaroo dann jedoch den Vortritt.

Der Elf trat ein und sah sich erst einmal um. Er stand in einer schlichten Stube mit einer Essecke rechts, einer Tür links und einer weiteren auf der gegenüberliegenden Seite. Mitten auf dem schlichten Holzboden des Zimmers zeichnete sich ein großer dunkler Fleck ab.

„Dort lag Josepha Bender“, sagte Wachtmeister Häckel, der hinter Bwaroo eingetreten war und zeigte auf den Fleck. „Katrins Oma. Es war ein grauenvoller Anblick. Alles zerfleischt und zerrissen.“

„Fehlte, wie soll ich sagen, ein Körperteil?“ Bwaroo wandte sich halb zum Wachtmeister um.

„Wie meinen Sie das?“ fragte der verwirrt nach.

„Nun ja. Ein Wolf tötet nicht zum Vergnügen. So etwas tun nur Menschen. Raubtiere töten, weil sie hungrig sind oder in Gefahr.“

„Sie meinen... Sie wollen also wissen ob der Wolf etwas von der... von der Frau...“ Häckel war das Grauen, das er empfand anzuhören. „Äh, nein. Hat er nicht.“ Er schluckte schwer.

Très intéressant“, Bwaroo blickte sich im Zimmer um. Nach kurzer Überlegung wandte er sich der Tür gegenüber zu. Sie führte in ein kleines Schlafgemach mit einem schmalen Bett und einem Schrank darin. Das Bett war frisch bezogen und unberührt. Als der Elf den Schrank öffnete, wehte ihm ein Hauch Lavendel entgegen. Ein Sträußchen getrockneter Blütenstängel lag auf dem oberen Bord. Ansonsten war der Schrank leer.

Erkül Bwaroo wandte sich dem dritten Zimmer zu. Es war die Küche.

Alles dort war fein ordentlich aufgeräumt und sauber.

„Madame Bender war eine ordentliche Frau“, stellte Bwaroo fest, rückte aber nichtsdestotrotz ein paar Gewürzdosen zurecht, die nicht genau in einer Reihe auf einem Tisch an der Wand standen, der offenbar dazu diente, Speisen zuzubereiten. Dann rückte er auch noch eine Waage zurecht, die in der Ecke stand. Dabei bemerkte er ein wenig feines weißes Pulver auf einer der Waagschalen. Der Detektiv netzte seinen Zeigefinger mit Speichel, fuhr über das Pulver und leckte den Finger dann ab. Angewidert verzog er das Gesicht.

„Tja, Mehl pur schmeckt nicht so toll“, stellte Häckel fest und konnte nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. „Oma Bender ist berühmt für ihre Plätzchen. Ich meine, war berühmt.“ Sein Grinsen erstarb, als er daran dachte, dass er in Zukunft keines dieser Plätzchen mehr essen würde.

„Sicherlich ein Verlust“, stimmte Bwaroo ihm zu und ging auf eine weitere Tür zu.

„Die Speisekammer“, stellte er fest, nachdem er kurz hinein gesehen hatte. Er kam zu Wachtmeister Häckel zurück und beide traten wieder in den Wohnraum.

„Ich fürchte, es war Zeitverschwendung, hierher zu kommen“, meinte der Wachtmeister, während sie wieder ins Freie traten.

Pas de tout“, widersprach Bwaroo jedoch und betrachtete noch einmal eingehend das Haus. „Es hilft immer, den Ort des Verbrechens zu sehen. Die Stimmung wahrzunehmen, die in der Luft liegt...“ Er legte den Kopf schief und warf einen Blick auf die Armbrust, die Häckel immer noch in der Hand hielt. „Außerdem hätte ich dann den liebenswerten Herrn Petterson nicht kennengelernt und beobachten dürfen, wie geschickt Sie mit ihm umgingen. Haben Sie eigentlich jemals überlegt, Ihr Talent lieber in einer Stadt einzusetzen? Es gäbe da doch viel mehr Aufstiegsmöglichkeiten.“

Wachtmeister Häckel stutzte einen Moment. Dann grinste er.

„Ach wissen Sie“, erklärte er und zwinkerte Bwaroo vertraulich zu. „Ich bin ein verdammt guter Dorfpolizist und das bin ich auch gern. Aber ich glaube nicht, dass ich ein guter Stadtpolizist wäre. Oder ein guter Hauptwachtmeister oder gar noch mehr. Nein, ich bin hier genau richtig.“

„Dann freut es mich für Sie, dass Sie hier sind.“ Bwaroo wandte sich mit einer abschließenden Geste vom Haus ab. „Und wo kann man hier nun eine Kleinigkeit essen?“

Wachtmeister Häckel führte Bwaroo in den Dorfgasthof. Dort servierte man dem Elfen ein Omelett, so locker und leicht, dass dieser entzückt aufseufzte.

„Erzählen Sie mir von Frau Bender“, bat er Häckel, während er sich voller Hingabe dem Essen widmete.

„Oma Bender war überall geachtet und gern gesehen“, begann dieser nach einigem Nachdenken. „Sie hatte strenge Maßstäbe im Bezug auf Moral, war aber stets zuverlässig und korrekt. Man konnte auf sie zählen.“

Donc. Wie war das Verhältnis zu ihrer Enkelin?“

„Na ja, manche meinen, sie wäre da ein wenig zu streng gewesen. So ein junges Ding möchte ja doch gern etwas vom Leben haben. Es wurde gemunkelt, dass das Mädel deswegen hin und wieder am Wochenende in den Wald ging. Um da einen jungen Burschen zu treffen.“

„Ah? Mais c'est très intéressant!“ Erkül Bwaroo blickte von seinem Omelett auf. „Wer ist der junge Mann?“

„Keine Ahnung. Es ist ja nur ein Gerücht. Wer weiß, ob es wirklich stimmt und ob es tatsächlich so jemanden gibt. Wenn ja, ist es auf jeden Fall keiner der Jungs aus dem Dorf...“

„Doch, es gibt so einen Burschen“, mischte sich da ein Gast ein, der bisher still an der Theke gesessen hatte. Nun kam er mit seinem Glas an den Tisch von Bwaroo und Häckel. „Wenn es gestattet ist...“ Er deutete auf einen freien Stuhl und Häckel machte eine einladende Geste.

„Das ist Theodor Eisenstein“, stellte er den Fremden Bwaroo vor, „der jüngere Bruder von Graf Eisenstein, zu dessen Grafschaft Pahlingen gehört.“ Er wandte sich dem Neuankömmling zu: „Und das ist Erkül Bwaroo, der berühmte...“

„Oh, ich kenne Herrn Bwaroo“, unterbrach ihn dieser höflich, aber bestimmt. „Er war einmal meinem Bruder eine große Hilfe.“

„Ich erinnere mich“, nickte Bwaroo, verschwieg aber diskret, inwiefern er dem Grafen geholfen hatte. „Ich habe gehört, sie sammeln gern Früchte im Wald, Herr Eisenstein?“ Er hatte keinen Zweifel daran, Theo, den Bekannten des Wolfes vor sich zu haben.

„Allerdings!“ Theo lächelte verständnisinnig. „Mein Bruder hat den Titel unseres Vaters geerbt, ich dessen Vorliebe für alkoholische Getränke. Allerdings stelle ich sie im Gegensatz zu ihm her, um sie zu verkaufen, statt sie selbst zu trinken. Mein Liköre sind berühmt! Sie sollten einmal meinen Holunderlikör probieren.“

„Das würde ich wirklich gern“, gestand Bwaroo, der eine Schwäche für süße Liköre hatte. „Aber zunächst ist hier ein übler Fall zu klären. Und Sie scheinen da helfen zu können. Was für ein Bursche ist das, der sich im Wald mit Katrin Bender trifft?“

„Nun, ich kann leider nicht allzu viel über ihn sagen, fürchte ich.“ Theodor Eisenstein zuckte bedauernd die Schultern. „Ich erinnere mich, dass ich vor zwei Wochen Heidelbeeren pflückte und jemanden vorbei schleichen sah, in Richtung der Hütte. Gab sich redlich Mühe, nicht aufzufallen. Da nahm ich natürlich an, das sei der junge Mann, von dem im Dorf gemunkelt wird.“

„Hätte Frau Bender einen etwaigen Freund missbilligt, vielleicht sogar bedroht?“ forschte der Elfendetektiv.

„Sie hätte Wert darauf gelegt, dass er sich erst einmal bei ihr vorstellt“, überlegte Häckel laut.

„Auf jeden Fall“, stimmte ihm Theodor zu. „Die gute alte Schule. Erstmal bei den Eltern vorstellen und dann erst der Tochter den Hof machen.“

„Aber das hat ja wohl herzlich wenig mit dem Wolf zu tun!“ Wachtmeister Häckel schüttelte den Kopf. „Ist doch überflüssig, darüber nachzudenken.“

„Ich glaube nicht, dass es der Wolf war“, ereiferte sich Theo da. „Warum sollte er sowas tun? Er hat sich seit Jahren an die Vereinbarung mit den Dorfbewohnern gehalten. Warum sollte er das alles plötzlich aufs Spiel setzen?“

„Vielleicht brach die angeborene Mordlust bei ihm durch“, gab Häckel zu Bedenken.

„Mordlust, hah!“ Theodor Eisenstein gestikulierte abschätzig. „Dass Wölfe mordlustige Bestien sind, ist ein übles Märchen, mehr nicht!“

„Ach, und wer soll es sonst gewesen sein? Katrin hat einen Wolf gesehen!“

„Vielleicht ein Werwolf...“

Häckel wollte protestieren, stutzte dann jedoch. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

„Möglich“, gab er kleinlaut zu. „Aber dann hätten wir Vollmond haben müssen, und der ist erst in zwei Wochen!“

„Bah!“ Theo wischte das Argument mit einer geringschätzigen Handbewegung beiseite.

Tranquillement, Messieurs“, ging Bwaroo da beschwichtigend dazwischen. „Sie machen beide einen großen Fehler. Sie setzen viel zu viel als gegeben voraus. Erkül Bwaroo jedoch geht niemals davon aus, dass alles auch wirklich so war, wie es erzählt wird.“

„Aber Katrins Verletzungen...“

„Scheinen von einem Wolf zu sein, das stimmt. Trotzdem ziehe ich alles und jeden in Betracht.“

„Aber was soll denn ein möglicher heimlicher Liebhaber damit zu tun haben?“

„Qui sait? Wer weiß schon, was wirklich wichtig ist?“ Bwaroo strich sich den Schnurrbart. Als er sich Theo zuwandte, leuchteten seine Augen so grün wie die einer Katze. „Ist Ihnen etwas Besonderes an dem jungen Mann aufgefallen?“

„Jetzt wo Sie es sagen... Er trug einen leeren Sack mit sich. Aber das ist hier in der Gegend auch nicht gerade selten...“

„Ah!“ Bwaroo nickte. „Und jetzt hätte ich gern noch eine Karte der Umgebung“, bat er.

„In meinem Büro“, schlug Wachtmeister Häckel vor, sah aber sehr verwirrt drein. Auch Theo schien mit Bwaroos Äußerungen nichts anfangen zu können. Er erhob sich jedoch mit den anderen beiden und bat, sie begleiten zu dürfen.

Mais oui“, gab der Elf liebenswürdig seine Erlaubnis. „Ich bitte sogar darum.“

Sie hatten das Lokal kaum verlassen, als Bwaroo stehen blieb.

„Oh, je suis bête“, murmelte er. Dann wandte er sich seinen Begleitern zu: „Pardonnez-moi, aber ich muss noch einmal zurück. Ich habe meinen Stock vergessen. Gehen Sie ruhig schon vor, ich komme gleich nach.“

„Ein wenig seltsam ist er schon, nicht wahr?“ meinte Theo, als er und Häckel allein weitergingen.

„Er ist brillant“, antwortete der Wachtmeister loyal.

„Zweifellos, zweifellos“, versicherte Theodor Eisenstein sofort. „Aber er hat so seine Eigenheiten.“

„Ja, das stimmt wohl“, traute sich Häckel zuzustimmen. Doch er machte ein Gesicht, als erwarte er, dass er für diese Blasphemie sofort vom Blitz erschlagen würde.

Ein Fall einfach und klar?

Erkül Bwaroo kam nur kurze Zeit später zu den beiden Männern in die Amtstube der Wache. Wachtmeister Häckel holte eine große Karte aus einem Schrank und breitete sie auf seinem Schreibtisch aus.

„Hier sieht man die ganze Grafschaft und die angrenzenden Regionen“, erläuterte er. „Was suchen Sie denn, Herr Bwaroo? Denken Sie, dass ein Wolf aus der Nachbarschaft eingewandert ist?“

„Oder denken Sie, dass der Liebhaber des Mädchens von außerhalb der Grafschaft kommt?“ vermutete Theodor.

„Oh, ich bin sicher, dass der oder die Freunde von Mademoiselle Katrin von außerhalb kommen“, erwiderte Bwaroo und beugte sich vor, um die Karte genauer zu studieren.

„Der oder die? Oh! Sie denken, dass das Mädchen zwei Freunde hatte, und der eine erwischte sie mit dem anderen und hetzte seinen Hund...“

„Katrin sprach von einem Wolf“, protestierte Häckel.

„Als ob so ein junges Ding den Unterschied kennt...“ wimmelte Theodor diesen Einwand ab.

„Und warum sollte er dann auf die Großmutter losgehen?“ konterte der Wachtmeister.

Voilá, der Fall ist gelöst!“ Erkül Bwaroo richtete sich auf und sah seine beiden Begleiter selbstzufrieden an. „Wachtmeister Häckel, würden Sie bitte Mademoiselle Bender hierher auf die Wache bitten? Und sie soll bitte ihren Umhang nicht vergessen, die Abende sind kühl, und sie soll sich doch nicht auch noch erkälten. Aber sie muss unbedingt kommen. Ich hätte gern alle Beteiligten versammelt, wenn ich die Wahrheit aufdecke.“

„Alle? Aber der Wolf...“

In diesem Moment klopfte es an der Tür.

„Ah, pünktlich wie immer“, erklärte der Elf vergnügt. „Herein!“

Die Tür ging auf und herein trat Orges, dicht gefolgt von Rudolf Wolf. Der gab sich alle Mühe, gelassen zu wirken, konnte jedoch seine Erleichterung nicht verbergen, als er neben Bwaroo auch seinen Freund Theodor entdeckte.

Wachtmeister Häckel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann jedoch anders.

„Ich hole Katrin“, murmelte er stattdessen und stürzte davon.

Es dauerte nicht lange, bis er mit Katrin zurückkam.

„Ah, Mademoiselle!“ begrüßte Bwaroo das Mädchen und stürzte förmlich zu ihr, um ihr aus ihrem Umhang zu helfen. Fürsorglich legte er die Hand an ihren Ellenbogen und führte sie zu einem Lehnstuhl, ehe er den Umhang im Vorraum der Wachstube an einen Kleiderständer hängte. Als er zurück ins Zimmer kam, betrachtete er zufrieden seine Zuhörer. Katrin blickte schüchtern zu Boden. Rudolf hockte am anderen Ende des Zimmers auf dem Boden und starrte den Elfen hoffnungsvoll an. Häckel saß an seinem Schreibtisch, Theodor befand sich neben ihm. Orges stand ein wenig abseits, hörte jedoch genau wie die anderen aufmerksam zu.

„Dieser Fall schien ganz einfach und klar“, begann Erkül Bwaroo schließlich und strich sich den Schnurrbart.

„Eine alte Frau wird von einem Wolf zerfleischt. Ihre Enkelin entgeht nur knapp dem gleichen Schicksal“, dozierte Bwaroo weiter. „Es gibt in der Gegend auch einen Wolf. Nur diesen einen. Aber der ist klug und tut das einzig Richtige: Er wendet sich an Erkül Bwaroo.“

Ruhig ließ der Elfendetektiv seinen Blick in der Runde schweifen, während er auf den Fußsohlen wippte.

„Mademoiselle Bender...“ Er trat einen Schritt auf Katrin zu, „Sie haben mir gesagt, Ihre Großmutter habe ein paar Tage in der Hütte verbringen wollen, n'est-ce pas?“

„Ja“, antwortete das Mädchen leise. „Sie wollte sich zwei oder drei Wochen dort erholen.“

Mais non!“ donnerte Bwaroo da, und Katrin fuhr erschrocken zusammen. Auch Bruno Häckel und Theo Eisenstein sahen einander ratlos an.

„Ihre Großmutter will mehrere Tage dort verbringen und nimmt dann keinerlei Kleidung mit? Nicht einmal Wäsche zum Wechseln? C'est incroyable!“ Der Elf blickte streng auf Katrin herab, die jedoch nur stur auf den Boden starrte und sich weigerte, den Blick zu heben.

„Und würde sie auch noch die Vorratskammer leer lassen?“ sprach er schließlich weiter. „Wollte sie sich etwa nur von Luft und Wasser ernähren? Wohl kaum.“

„Wieso ist mir das nicht aufgefallen?“ stieß Häckel hervor. „Das hätte mir auffallen müssen!“

„Ihnen fehlt die Erfahrung mit solchen Dingen“, tröstete Bwaroo ihn freundlich. „Bei Bwaroo ist das jedoch anders. Und deshalb fiel mir noch etwas auf. Als ich Mademoiselle Bender zum ersten Mal befragte, sagte ich ihr, dass ich sie für ungewöhnlich tapfer und mutig halte. Eh bien, das stimmt. Denn man muss sehr mutig und kaltblütig sein, um erst die eigene Großmutter zu ermorden und übel zuzurichten und sich dann auch noch selbst mehrere Verletzungen beizubringen...“

„Das ist nicht wahr!“ schrie Katrin da auf. „Das stimmt nicht! Es war ein Wolf! Dieser Wolf!“ Sie zeigte aufgebracht auf Rudolf. Der knurrte leise, bewegte sich aber nicht von der Stelle.

Non, Mademoiselle! Die Wunden an Ihrem Arm und Ihrer Schulter, das sind nicht die Wunden von Wolfskrallen“, widersprach Bwaroo. „Die Wundränder sind viel zu glatt! Diese Verletzungen stammen eindeutig von einem scharfen Messer. Es muss Ihnen große Schmerzen bereitet haben. Doch Sie schafften es sogar, zweimal drei fast parallele Schnitte zu setzen. Sie sind in der Tat sehr tapfer. Wie schade, dass Sie das nicht für Besseres einsetzen wollten.“

Katrin hob den Kopf und sah Bwaroo mit Tränen in den Augen an.

„Warum hätte ich das tun sollen?“ schluchzte sie. „Ich habe Großmama geliebt...“

„Ich glaube nicht, dass Sie zu so etwas wie Liebe überhaupt fähig sind.“ Der Elf schüttelte ernst den Kopf. „Eine solche Gefühlskälte...“ Er wandte sich ab.

„Mademoiselle Bender ging nicht in den Wald, um zu lernen, wie sie behauptete“, berichtete er, während er im Zimmer auf und ab ging. „Sie traf sich dort auch nicht heimlich mit einem jungen Mann. Oh, sie hatte Besuch, aber der war ganz anderer Art. Sicherlich ist Ihnen allen Correlinkraut bekannt, ein Rauschmittel, das man schnupft. Es ist in unseren Landen verboten, weil es süchtig macht, die Nasenschleimhäute zersetzt und bei längerem Genuss unangenehme Dinge mit dem Gehirn anstellt. Aber bei den Irrwenzel, einem Gnomenvolk, ist das anders. Und diese Gnome haben schnell herausgefunden, dass sich mit diesem Kraut gutes Geld verdienen lässt.“

„Richtig!“ Rudolf richtete sich auf, und seine Augen blitzten. „Ich habe öfter ein paar so kleine Kerle im Wald herum schleichen sehen. Aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Seltsame Burschen. Und sie hatten einen eigenartigen Geruch an sich – mir wurde ganz schwindelig davon.“

„Das glaube ich gerne“, bekundete Bwaroo freundlich. „Die Irrwenzel sind dafür bekannt, dass sie ihre Droge am liebsten selbst zu sich nehmen. Aber es bleibt immer noch genug davon übrig, um sie zu verkaufen. Schon bevor ich hierher kam, fiel mir auf, dass die Hütte sehr günstig in der Nähe von gleich zwei Grenzen liegt. Zufälligerweise erwähnte Inspektor Jupp, ein Bekannter von mir, bei einer Unterhaltung vor ein paar Tagen, dass die Polizei in Laundom bereits seit einiger Zeit auf der Spur eines Drogenhändlers ist, der aus dieser Gegend hier kommt.

Das Correlin kann ganz leicht in seiner Rohform angeliefert werden. Es sind einfach nur getrocknete Blätter. Wenn man die zerstößt, wird ein weißes Pulver daraus. Es sieht auf den ersten Blick aus wie Mehl. Ich fand einen Rest davon in der Hütte auf einer Waage. Mademoiselle Bender hat das Pulver auch gleich noch in passende Portionen abgewogen und verpackt. Dann kam der Drogenhändler und holte die Ware mit einem großen Sack ab. Mademoiselle besitzt praktischerweise einen sehr auffälligen Umhang. Den hängte sie neben die Tür, wenn sie in der Hütte war und so wusste nicht nur Rudolf Wolf, wann er einen Bogen um die Hütte machen musste. Auch Mademoiselles Komplizen erkannten daran, wann sie gefahrlos zu ihr kommen konnten. Das Ganze lief wie am Schnürchen. Doch dann muss Josepha Bender Verdacht geschöpft haben. Ihre Enkelin sah daraufhin nur einen Ausweg: Madame Bender musste sterben. Und was lag näher, als das Ganze dem Wolf anzuhängen, in dessen Revier die Tat geschah?“

Alle blickten nun auf Katrin, die wieder zu Boden sah. Schließlich hob sie den Kopf. Mit einem leisen Lächeln sah sie den Elfendetektiv lange an.

„Sie haben keinen Beweis“, sagte sie leise.

„Das kommt noch, Mademoiselle. Wir haben hier schließlich einen Wolf mit einer sehr guten Nase.“ Erkül Bwaroo erwiderte ihren Blick ungerührt.

„Oh ja, den widerlichen Geruch kann ich ohne Probleme zurück verfolgen“, verkündete Rudolf eifrig.

„Oder wir hängen Ihren Umhang einfach wieder neben die Tür des Waldhauses und warten, was geschieht“, fuhr der Elf fort. „Genaugenommen haben wir das sogar bereits getan. Zwei Leute von Inspektor Jupp sind gerade dort...“

Katrins Lächeln erstarb.

„Ihre Großmutter ist nicht auf gut Glück in den Wald gegangen. Sie muss sich vielmehr ausgerechnet haben, dass da etwas im Busch war. Wenn sie auch vielleicht nicht wusste, was es genau war“, erklärte Bwaroo. „Bevor ich hierher reiste, schickte ich Inspektor Jupp eine Winddepesche und regte an, dass er ein paar Männer vorbeischickt. Das hat er getan. Einen davon traf ich im Gasthaus. Als ich zurück ging, um meinen Stock zu holen, wies ich ihn an, Ihren Umhang, den ich in den Vorraum hängte, an sich zu nehmen und zur Hütte zu gehen. Ich nehme an, wir müssten schon bald...“

Es klopfte.

„Meine Güte, wer ist denn das schon wieder?“ Häckel stand auf und ging zur Tür. „Sonst kommt wochenlang gar keiner und jetzt geht es zu wie auf der Kirmes!“

Er öffnete. Zwei Männer kamen herein und schoben zwei Gnome vor sich her. Diese Gnome gingen ihnen kaum bis zum Gürtel. Ihre Haut war grau und das wirr abstehende Haar feuerrot. Mit irrem Blick sahen sie sich um. Da entdeckten sie Katrin.

„Diediediediedie...“ schrie der eine und deutete auf das Mädchen. „Hat Schuld, hat an allem Schuld! Steckstecktstecktsteckt hinter allem, allem, sag ich!“

„Jajajajajaja!“ stimmte der andere eifrig zu.

„Die beiden Irrwenzel kamen in die Hütte spaziert, kaum dass wir den Umhang aufgehängt hatten“, erzählte einer der Männer und zwinkerte Bwaroo zu. „Und sie hatten eine ganze Menge Correlinkraut dabei.“

„Für diediedieda!“ beteuerte der erste Gnom.

„Vielleicht sollte ich die Herren erst einmal vorstellen“, mischte sich Erkül Bwaroo ein. „Dies sind der Kriminalbeamte Janson und das ist sein Kollege Zeller. Sie kommen im Auftrag von Inspektor Jupp, um den Rauschgifthandel zu untersuchen, der hier offenbar seinen Ursprung hat.“

„Inspektor Jupp lässt Sie schön grüßen, Herr Bwaroo“, nickte Janson lächelnd. „Der Tipp, den Sie meinem Kollegen hier wegen des Mantels gegeben haben, war wirklich Gold wert.“ Er deutete auf den roten Umhang, den er über dem Arm trug. Dann wandte er sich direkt an Katrin. „Wie es scheint, haben Sie da wohl Ihre Finger im Spiel, mein Fräulein. Die beiden hier kennen Sie jedenfalls recht gut...“

„Und das hier haben wir auch gefunden“, fügte Zeller hinzu und brachte einen offenbar recht schweren Sack zum Vorschein. „Sie hatten recht, Herr Bwaroo. Er war in der Nähe des Hauses versteckt. Wir mussten ganz schön suchen, aber schließlich haben wir ihn gefunden.“ Er ließ den Sack vor Katrins Füße fallen. Er ging dabei auf und gab den Blick auf viele Münzen frei. „Das ist Ihrer, Fräulein, oder?“

Katrin starrte eine Weile auf die funkelnden Münzen.

„Ja“, sagte sie schließlich, ohne den Blick zu heben. „Und es tut mir nicht leid.“

„Ja aber... warum?“ Wachtmeister Häckel schaute das junge Mädchen völlig entgeistert an. „Warum hast du das nur getan? Wir waren doch alle nett zu dir und...“

„Glauben Sie im Ernst, ich will in diesem kleinen Dorf versauern?“ Katrin zog verächtlich die Mundwinkel nach oben. „Ich habe mit meinen Eltern in Laundom gelebt. DAS ist der richtige Ort für mich! Aber Großmutter wollte davon nichts hören. Jedes Mal, wenn wir doch einmal in die Stadt fuhren, hielt sie mir Vorträge von der Schlechtigkeit der Menschen in der Großstadt und von den Gefahren, die dort lauerten... Die verknöcherte Alte war doch tatsächlich der Meinung, ich sollte einen Bauern heiraten und Kinder kriegen! Ich musste weg von hier und dazu brauchte ich Geld!“

„Sie sind verhaftet“, unterbrach Zeller Katrins Wutrede, trat zu ihr und fasste sie am Arm.

„Zumindest kommen Sie jetzt zurück nach Laundom“, ließ sich Bwaroo da vernehmen. „Wenn auch leider nur in das dortige Gefängnis.“

Den hasserfüllten Blick, den Katrin ihm daraufhin zuwarf, quittierte er mit einem zufriedenen Lächeln.

***

Rudolf Wolf verabschiedete sich überschwänglich von Erkül Bwaroo, ehe er wieder in seinen Wald zurückkehrte. Auch Theodor Eisenstein bedankte sich herzlich.

„Wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen eine Kiste mit meinen besten Likören schicken“, versprach er, sehr zur Freude von Bwaroo. „Ich wusste, wenn Rudolf jemand helfen kann, dann Sie.“

„Und was für ein Glück das war“, stimmte Wachtmeister Häckel zu. „Nicht auszudenken, wenn das Mädel damit durchgekommen wäre... Aber wer hätte das gedacht? Sie sieht so unschuldig aus!“

„Man sieht es Verbrechern selten an, dass sie Verbrecher sind“, gab Bwaroo zu bedenken. „Aber ich hoffe, in Zukunft sind die Leute hier vorsichtiger mit ihren Verdächtigungen.“

„Ich werde alle daran erinnern“, versprach Häckel. „Bei Petterson fange ich an, wenn ich ihm seine Armbrust zurückgebe. Aber ich hoffe, so etwas wird hier nie wieder geschehen. Da wäre ich, fürchte ich, hoffnungslos überfordert.“

Pas de problème!“ lachte der Elf da und zwinkerte ihm zu. „Sie wissen ja, wo Sie mich finden können. Wenn es also wieder einmal Schwierigkeiten gibt, fragen Sie Erkül Bwaroo!“

Mann über Bord!

„Aber Bwaroo! So eine Seereise ist sehr gesund und entspannend, und daher dachte ich, es wäre genau das Richtige, um mich endlich mal bei Ihnen erkenntlich zu zeigen. Ohne Sie würde ich jetzt im Gefängnis sitzen, weil alle glaubten, ich hätte meine Frau vergiftet. Ich möchte mich revanchieren. Und das wird sicher herrlich!“

„Bestimmt“, gab Bwaroo zu, sah aber zugleich sehr unglücklich aus. „Mais, mon ami, Schiffe sind kein Aufenthaltsort für Erkül Bwaroo. C'est impossible!“

„Aber Bwaroo, Sie haben doch nicht etwa Angst davor, seekrank zu werden.“

Non“, der kleine, wohlbeleibte Elf richtete sich zu seiner vollen, wenn auch wenig eindrucksvollen Größe auf. Sein schwarzer Schnurrbart zitterte vor Empörung. „Ich habe keine Angst davor; ich weiß, dass ich seekrank werde.“

„Keine Bange, Bwaroo“, Paul Lester schlug ihm so freundschaftlich auf die Schulter, dass Bwaroo einen Moment lang die Luft weg blieb. „Die 'Anderwelt' ist ein großartiges und modernes Passagierschiff. Auf dem wird garantiert niemand seekrank. Und Sie sehen wirklich etwas blass aus.“

„Tatsächlich?“ Alarmiert reckte der Elfendetektiv den Kopf, um in den Spiegel zu sehen, der ihm gegenüber an der Wand hing.

„Die Seeluft wird Ihnen gut tun“, fuhr Lester eifrig fort. „Ihr Schnurrbart hängt auch schon ganz traurig herunter.“

Erkül Bwaroo strich sich nun besorgt über den erwähnten Bart. Er seufzte. Er freute sich natürlich, dass Paul Lester sich so rührend bemühte, seine Dankbarkeit zu zeigen. Er hatte ihn vor einigen Monaten kennengelernt, als man ihn unter Mordverdacht verhaftet hatte, weil er angeblich seine Frau vergiftet haben sollte. Doch der Detektiv konnte bald beweisen, dass Lester unschuldig war. Mehr noch, Bwaroo konnte den wahren Täter überführen und Paul Lesters Namen damit wieder reinwaschen. Inzwischen waren sie Freunde geworden, und Bwaroo wusste durchaus, dass Lester es nur gut meinte.

„Die Seeluft wird Ihnen beiden gut tun – Ihnen und Ihrem Schnurrbart“, lachte Paul. „Es ist doch bekannt, dass sie sehr gesund ist.“

Dass sein Freund tatsächlich lieber auf die Reise verzichtet hätte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

***

„Soll ich den Schiffsarzt rufen?“, erkundigte sich der Steward fürsorglich, als er Bwaroo, fest in einen Mantel gewickelt und mit drei Seidenschals um den Hals, zu seiner Kabine geleitet hatte. „Sie scheinen krank zu sein.“

Non, merci. Das würde nichts nützen.“, antwortete Bwaroo mit Leidensmiene. „Die Krankheit steht mir noch bevor.“

Der Steward war professionell genug, sich sein Erstaunen über diese Antwort nicht anmerken zu lassen. Stattdessen ließ er den Elf taktvoll allein. Er war kaum gegangen, als Paul Lester schon herein gestürmt kam.

„Kommen Sie mit an Deck, Bwaroo“, rief er enthusiastisch, „das Schiff legt gleich ab!“

Et alors. Dagegen werden wir wohl kaum etwas tun können“, murrte Erkül Bwaroo, ließ sich aber ohne großen Widerstand mitziehen.

***

Zum Abendessen wurden Bwaroo und Lester zu einem Tisch geführt, an dem bereits zwei weitere Gäste saßen, augenscheinlich Vater und Tochter.

„Guten Abend“, begrüßte sie der Mann freundlich, ein sichtlich vornehmer Elf. „Ich bin Baron Pelgar. Und dies ist meine Tochter Eloise.“

Liebenswürdig erwiderten die beiden Freunde den Gruß und stellten sich ebenfalls vor. Das Mädchen murmelte lediglich ein lustloses „’N Abend“ mit einer Miene, als sei allein schon die Tatsache, dass sie sich hierher hatte begeben müssen, eine einzige Zumutung.

„Eloise“, ermahnte ihr Vater sie. „Sei wenigstens höflich.“

Als Antwort knüllte Eloise wütend die Serviette zusammen und warf sie mit einer heftigen Bewegung auf den Tisch. „Lass mich doch in Ruh'!“ herrschte sie ihren Vater an und stürmte aus dem Saal.

Pelgar zuckte unter ihren Worten zusammen, als hätte sie ihn geschlagen.

„Sie müssen meiner Tochter verzeihen“, wandte er sich mit hochrotem Kopf an Bwaroo und Lester.

„Ein schwieriges Alter“, tröstete letzerer.

„Besonders, wenn man frisch verliebt ist“, fügte Bwaroo hinzu. „L’amour, c’est une chose difficile.

„Ah, ich hätte wissen müssen, dass dem berühmten Detektiv nichts verborgen bleibt.“ Baron Pelgar neigte zustimmend den Kopf. „Es stimmt. Meine Tochter ist verliebt. Leider in einen Hungerleider und Tunichtgut. Einen Glücksritter, der nur hinter ihrem Geld her ist. Ich habe sie mit auf diese Reise genommen, um die beiden zu trennen und Eloise auf andere Gedanken zu bringen. Leider ist es schwieriger, als ich gehofft habe. Das Mädchen hat den Dickschädel seiner Mutter – wobei ich den starken Willen meiner verstorbenen Frau immer sehr bewundert habe. Nur ...“ Der Elf machte eine hilflose Geste.

„Ja, es kommt immer darauf an, worauf dieser Wille gelenkt ist, n'est-ce pas?“, stimmte Bwaroo weise zu.

Pelgar verzog den Mund zu einem wehmütigen Lächeln.

***

In der Nacht frischte der Wind auf und am nächsten Tag hingen dunkle Wolken tief und bedrohlich über dem Meer. Alles war in ein ungewisses Zwielicht getaucht. Das Schiff schlingerte und schwankte bedenklich auf der rauen See. Bwaroo hangelte sich mit etwas Mühe an den überall gespannten Halteseilen zu der Kabine seines Freundes. Der war nicht zum Tee erschienen, und nun machte sich der kleine Elf allmählich Sorgen.

Er fand Paul Lester kreidebleich im Bett liegend.

„Mein lieber Lester“, rief er erschrocken, „Ich hole besser den Schiffsarzt!“

„Nein, das wird nicht nötig sein“, ächzte Paul.

Doch da war Bwaroo schon losgestürmt und kehrte nur kurze Zeit später mit dem Arzt im Schlepptau zurück.

„Ah ja“, sagte dieser mit einem Blick auf das inzwischen grünlich verfärbte Gesicht von Paul Lester. „Bei diesem Seegang werden viele krank. Ich denke, Ingwertee wird helfen. Ich lasse gleich eine Kanne voll vorbeischicken.“

C’est très gentil, Monsieur le Docteur. Das ist sehr freundlich von Ihnen“, bedankte sich der kleine Elf.

Kurz nachdem der Arzt wieder gegangen war, kam auch wirklich einer der Stewards und brachte eine große Kanne dampfenden Tees. Und während Bwaroo noch darüber sinnierte, wie dieser junge Mann es geschafft hatte, die Kanne unbeschadet über das schwankende Deck zu tragen, schenkte er seinem Freund schon einen Becher des Getränks ein. Doch Lester versicherte, im Moment nichts trinken zu können, und bat stattdessen darum, allein gelassen zu werden.

***

Kaum hatte Bwaroo einen Schritt auf das Deck hinaus getan, als ihm eine Bö auch schon den Hut vom Kopf riss.

Zut alors“, schimpfte der kleine Elf und setzte noch ein inniges „merde“ dazu. Aber da war nichts zu machen, der Hut flog bereits aufs Meer hinaus, und Bwaroo konnte ihm nur noch nachschauen.

Inzwischen hatte es auch noch zu regnen begonnen, und der Wind peitschte die Tropfen wie eisige Nadeln gegen das Schiff. Dazu kam die Gischt der immer höher schlagenden Wellen. Schaudernd zog der Elfendetektiv den Kopf ein, schlug den Mantelkragen hoch und schickte sich an, in das Innere des Schiffes zurück zu flüchten. Da bemerkte er einen Mann, dessen Hut noch fest auf seinem Kopf saß. Verwundert fragte sich Bwaroo, wie er das wohl geschafft hatte. Der Unbekannte stand einige Meter entfernt an der Reling und beugte sich zusammengekrümmt nach vorn, mit beiden Händen auf Mundhöhe. Leider war das Licht zu schlecht, um Genaueres zu erkennen, aber zweifellos wollte er rauchen und versuchte nun, die Flamme vor dem Wind abzuschirmen, bis der Tabak Feuer gefangen hatte. Es schien ein schwieriges Unterfangen, aber schließlich richtete der Mann sich wieder auf. Und dann stürzte er über die Reling hinab ins Meer.

„Zu Hilfe! Mann über Bord!“ schrie Bwaroo geistesgegenwärtig und schleuderte auch schon einen der Rettungsringe, die an den Seiten des Schiffes hingen in die Richtung, in der er den Mann vermutete – sehen konnte er ihn ja nicht.

Seine Rufe hatten offenbar die Mannschaft alarmiert, denn gleich danach wurde auch schon die Sturmglocke geläutet. Fast sofort stoppte der Schiffsmotor, und ein Boot wurde zu Wasser gelassen, um nach dem Passagier zu suchen.

Aufmerksam sah Bwaroo den Männern im Boot zu. Dass er völlig durchnässt wurde, störte ihn jetzt überhaupt nicht mehr. Bei dem schlechten Licht schien es jedoch ziemlich aussichtslos, den Körper eines einzelnen Mannes zu finden. Und doch konnte Bwaroo schließlich erkennen, wie etwas Schweres von zwei Männern in das Beiboot gehievt wurde.

„Bei dem Wind musste es ja mal passieren, dass jemand über Bord fällt.“ Ein Matrose trat neben Bwaroo und sah zu, wie der aus dem Meer geborgene Mann hinunter in die Krankenstation getragen wurde.

Der Elfendetektiv sagte nichts dazu. Es war zwar dunkel gewesen, doch er war sich sicher, eine Gestalt gesehen zu haben, die sich gebückt an den Mann herangeschlichen und ihn über Bord geworfen hatte.

***

Monsieur le Capitaine, habe ich gesagt! Ich sage Ihnen, es war kein Unglück. Es war ein Mordversuch. Und was macht dieser Mensch? Er lacht mich aus!“ Erkül Bwaroo saß am Bett seines Freundes. Sein enormer Schnurrbart bebte vor Empörung über die Behandlung, die ihm der Kapitän des Schiffes hatte zuteil werden lassen. „Ich sage ihm: Ich bin Erkül Bwaroo. Und er sagt: Wer? Und dann wendet er sich an seinen Angestellten, äh, ich meine an so einen Offizier und flüstert ‚Schaffen Sie mir diesen alten Kauz von der Brücke.’ Alter Kauz, moi! Und er hält mich anscheinend nicht nur für dumm, sondern auch noch für taub.“

Paul Lester, noch immer leichenblass, versuchte sich aufzusetzen, sank aber stöhnend in die Kissen zurück.

„Oh mein Freund!“ rief Bwaroo bestürzt. „Wie herzlos von mir. C'est impardonnable. Sie sind krank, und ich behellige Sie mit meinen Ärgernissen!“ Sehr verlegen stand er auf und deckte Lester fürsorglich wieder zu. „Nur weil ich aufs Äußerste beleidigt wurde ... wie unverantwortlich von mir. Non, mon ami“, er hob die Hand, als der Kranke etwas erwidern wollte. „Kein Wort mehr. Es tut mir leid, Sie belästigt zu haben. Werden Sie gesund. Das ist das Allerwichtigste. Alles andere kann warten.“

Erkül Bwaroo lächelte seinem Freund aufmunternd zu, schenkte ihm einen Becher Ingwertee ein und achtete mit Argusaugen darauf, dass der auch ausgetrunken wurde. Erst dann verabschiedete er sich.

***

Monsieur le Docteur, wie geht es dem Mann, der über Bord, äh, gefallen ist?“ Der kleine Elf hatte Dr. Webber, aufgesucht, den Schiffsarzt, den er ja bereits kennengelernt hatte.

Freundlich antwortete dieser: „ Der verunglückte Herr Roberts wird es überleben. Obwohl er wirklich verflucht viel Wasser geschluckt hat. Und der Aufprall mit dem Kopf auf dem Wasser war auch ziemlich hart. Hat ihm eine Gehirnerschütterung eingetragen, die sich gewaschen hat. Ein paar Minuten mehr, und es wäre zu spät gewesen.“

Bwaroo nickte ernst und fragte sich, wie er wohl am besten weiter verfahren sollte. Doch da zwinkerte ihm der Arzt zu: „Wittern Sie wieder einen Fall, Herr Bwaroo? Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen. Bei so einem Wetter kann es schon mal passieren, dass jemand über Bord geht.“

„Sie kennen mich?“ Nach seiner Erfahrung mit dem Kapitän tat es Erkül Bwaroo mehr als gut, dass jemand wusste, wer er war.

„Natürlich“, bejahte der Arzt. „Ich habe oft über Sie in der Zeitung gelesen und dabei auch Ihr Bild gesehen. Hat mich immer fasziniert, wie Sie ihre Fälle lösen.“

„Ja, die kleinen, grauen Zellen!“ Bwaroo tippte sich an die Stirn. „Nur auf die kleinen, grauen Zellen kommt es an.“

„Jaja, das Cerebrum mit seinen Fähigkeiten ist schon faszinierend“, der Arzt lächelte verschmitzt. „Und Ihr geniales Gehirn hat eine Theorie zu einem Verbrechen an dem armen Roberts entwickelt?“

Ah non“, wehrte Bwaroo geschmeichelt ab. „aber nun ja, man macht sich Gedanken ... möchte sicher gehen ...“

„Tja, Roberts ist nicht bei Bewusstsein. Und ich bezweifle, dass er sich an den Unfall erinnern wird, wenn er aufwacht.“ Dr. Webber spreizte zweifelnd die Finger. „Amnesie ist in so einem Fall sehr häufig, wissen Sie? Kann vorübergehend sein, kann aber auch so bleiben.“

Je comprends“, murmelte der kleine Elf und wippte nachdenklich auf den Fußballen. „Aber, Monsieur le Docteur, reist Monsieur Roberts eigentlich allein? Oder hat er Begleitung?“

„Seine Frau. Sie ist gerade bei ihm“, Webber zeigte auf die geschlossene Tür zum Krankenzimmer. „Möchten Sie mit ihr reden? Ich habe nichts dagegen, solange Sie sie nicht aufregen.“

Erkül Bwaroo versicherte, sich in Acht zu nehmen, und der Arzt holte die Frau des Verunglückten herein. Sie war eine Frau, der man ansehen konnte, dass sie normalerweise Vitalität und Frohsinn ausstrahlte. Doch jetzt sah sie verheult und abgekämpft aus. Dr. Webber führte sie fürsorglich zu einer Sitzgruppe in der Ecke und bot Bwaroo an, im Sessel gegenüber Platz zu nehmen. Die beiden saßen noch nicht lange, als eine adrette Schwester ihnen Tee und ein paar Kekse brachte.

Hagebuttentee, stellte der Elfendetektiv unglücklich fest. Wenn er etwas hasste, dann war es Hagebuttentee. Aber er nahm heroisch einen Schluck und wandte sich dann Frau Roberts zu: „Madame, ich bedauere das Unglück Ihres Mannes sehr...“

„Oh, Herr Bwaroo“, wehrte sie jedoch sofort ab und brachte fast so etwas wie ein Lächeln zustande. „Nicht doch! Ich habe vielmehr Ihnen zu danken. Dr. Webber meinte, ohne Sie wäre mein Mann kaum rechtzeitig gerettet worden.“

Bwaroo warf sich in die Brust, bemerkte aber in bescheidenem Ton: „Es war nichts, Madame. Nur eine Fall von: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Dann erkundigte sich der Elf, wie es denn gekommen war, dass Frau Roberts und ihr Mann die Reise auf der 'Anderwelt' machten, und erfuhr, dass die Kinder des Ehepaares zusammengelegt hatten, um ihren Eltern die Reise zu schenken.

„Sie haben uns damit zum Hochzeitstag überrascht“, verriet Frau Roberts, und ihr Blick wurde weich. „Sie meinten, wir sollten uns doch auch mal was Gutes tun, uns etwas gönnen. Wir haben nämlich drei Söhne“, fuhr sie eifrig fort. „Alles prächtige Jungs und inzwischen auch schon verheiratet.“

Die Söhne und ihre Familien würden alle im selben Dorf leben, erzählte sie weiter, und dann plauderten die beiden eine Weile über das Landleben im Allgemeinen und das Heimatdorf der Familie Roberts im Besonderen.

Herr Roberts, erfuhr Erkül Bwaroo, war von Beruf Hühnerzüchter.

„Albert, mein Mann, möchte Hühner züchten, die goldene Eier legen.“ Nun lachte Frau Roberts sogar. „Wissen Sie, bisher ist es aber eher so, dass er normale Hühner züchtet. Von tausend Küken ist vielleicht eines dabei, das goldene Eier legen wird. Ein solches Tier bringt beim Verkauf natürlich ein Vermögen. Aber da sind dann ja immer auch noch neunhundertneunundneunzig andere Hühner – und bis jetzt sind wir noch nicht beim tausendsten angelangt...“

„Dann haben Sie also noch kein Vermögen gemacht oder in Aussicht?“ fragte Bwaroo aufmerksam.

„Ach, i wo!“ Frau Roberts kicherte, als hätte er eben einen Scherz gemacht. „Wir sind nicht reich und werden es wohl auch nie werden. Ich glaube, dieser Traum meines Mannes wird sich nie erfüllen. Aber das macht nichts. Und er sieht das auch selbst nicht so verbissen. Wozu auch? Wir haben, was wir brauchen, und unsere Kinder auch. Wir sind gesund und kommen wunderbar mit unseren Nachbarn aus. Was will man mehr?“

„Aber es gibt doch immer mal Streit oder Missverständnisse, n'est-ce pas?“, wandte der Detektiv ein.

„Ja, natürlich“, gab Frau Roberts zu. „Aber nichts Ernstes. Albert ist überall sehr beliebt. Er ist hilfsbereit und fast immer gut gelaunt. Und er ist ein Mann von Ehre – er hat noch nie einen anderen übervorteilt.“

„Daran zweifle ich nicht, Madame“, beeilte sich Bwaroo, ihr zu versichern.

„Und dann leben wir ja in einem kleinen Dorf, wissen Sie“, fuhr Frau Roberts fort. „Dort kennt jeder jeden, und es würde sofort auffallen, wenn jemand Böses im Schilde führte.“

Der Elf verkniff sich den Hinweis, dass er gerade bei solch kleinen Gemeinschaften im Verborgenen schon wahre Abgründe aufgedeckt hatte.

„Es ist bestimmt eine ziemliche Umstellung, wenn man es anders gewohnt ist, plötzlich nur von Fremden umgeben zu sein, wie jetzt auf diesem Schiff“, sagte er stattdessen. „Oder kennen Sie jemanden an Bord?“

„Nein, wir kennen keine Seele hier. Noch nicht einmal vom Sehen“, beteuerte Frau Roberts. „Aber das ist zur Abwechslung auch einmal ganz nett, solange wir einander haben. Nur jetzt fühle ich mich schon ein wenig allein ...“ Sie sah nun doch wieder etwas verzagt aus.

Erkül Bwaroo tätschelte ihr aufmunternd die Hand: „Keine Sorge, Madame. Dr. Webber hat mir versichert, dass es ihrem Mann bald wieder gut gehen wird.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739301747
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Mai)
Schlagworte
Krimi Fantasy Humor Detektivgeschichte Ermittler Thriller Spannung Satire Parodie

Autor

  • Ruth M. Fuchs (Autor:in)

Ruth M. Fuchs lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in der Nähe von München. Von April 2000 bis Dezember 2013 gab sie dreimal jährlich das Magazin „Neues aus Anderwelt“ heraus. Aufgrund ihrer dort erschienenen Artikel regte der Eulenverlag sie 2003 an, das Sachbuch „Die wunderbare Welt der Elfen und Feen“ zu schreiben und als Ruth Schuhmann, wie sie damals noch hieß, zu publizieren. Danach ließ sie das Schreiben nicht mehr los.
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Titel: Fragen Sie Erkül Bwaroo!