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12 Briefe und ein Wunder

von Kerstin Ax (Autor:in)
191 Seiten

Zusammenfassung

Nach einem Streit mit ihrer besten Freundin Luise entschließt sich Emma am Silvesterabend ganz alleine zu der großen Party am Brandenburger Tor zu gehen. Dort lernt sie Arndt kennen, es ist Liebe auf den ersten Blick, aber die beiden verbringen nur wenige Stunden miteinander. Emma fühlt sich vor den Kopf gestoßen als Arndt ihr eröffnet, dass sie sich in nächster Zeit nicht sehen können. Doch noch mehr verstört es sie, als Arndt ihr den Vorschlag macht über Briefe in Kontakt zu bleiben. Emma willigt zögernd ein und sie verabreden sich dazu die Briefe an einem stillen Briefkasten zu hinterlegen. Welches Geheimnis verbirgt Arndt? Wird sie es herausfinden?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Rache des alten Jahres


Ich sitze in der Badewanne. Unter meinen Nacken habe ich ein zusammengerolltes Handtuch gelegt und meine Augen sind geschlossen. Ich möchte einfach nur entspannen, wenigstens für ein paar Minuten.

„Autsch!“

Kochend heißes Wasser schießt aus dem Hahn, direkt auf mein linkes Bein. Vom Schmerz erfüllt, schrecke ich hoch und die Handtuchrolle platscht ins Wasser. Schnell drehe ich den Regler nach rechts.

„Wwwuuuaaahhh!“

Eiskaltes Wasser schießt auf das misshandelte Bein. Es sieht jetzt aus wie ein gekochter Igel der abgeschreckt wurde. Rot und mit stacheligen Haarstümpfen übersät. Bei dem Anblick fällt mir ein, dass ich mir die Beine mal wieder rasieren sollte. Mit einem festen Handschlag ist das Wasser abgestellt. Keuchend und nach vorne gebeugt puste ich Löcher in den Schaumberg auf der Wasseroberfläche. Das alte Jahr hat es sich anscheinend zum Ziel gesetzt, es mir in den letzten paar Stunden noch mal so richtig zu zeigen. Der Rachefeldzug begann bereits gestern Abend.


Wie jeden Freitag bereitete ich alles für den Filmabend vor. Eine Schüssel Popcorn und eine größere mit Kartoffelchips gefüllt. Doch ich muss anmerken, dass ich neben die Schüssel mit den Chips immer eine angebrochene Tüte fettfreie hinlege. Alles nur Tarnung, denn in der Schüssel befinden sich goldgelbe Kartoffelscheiben, die in triefendem Fett geröstet wurden. Die anderen beiden bekommen es nicht einmal mit und mein Gewissen lässt mich auch in Ruhe. Die Täuschung klappt, solange ich durch den Film abgelenkt werde. Ich habe es wirklich mit diesem ganzen Diätzeug probiert, aber anstelle dieser Diät-Chips könnte ich mir auch ein Stück Pappkarton nehmen und mit Paprikagewürz bestreuen. Das hätte den gleichen Effekt. Mit „den anderen beiden“ sind meine zwei besten Freundinnen gemeint. Da ist zum einen Luise. Sie ist eine Mischung aus Schneewittchen und der bösen Stiefmutter. Sie hat schulterlange, teerschwarze Haare und einen Teint wie diese Gothic-Typen. Nur dass ihr dieses Aussehen von der Natur gegeben wurde und sie nicht mit Haartönung und Schminke nachhelfen muss. Und um das Gesamtbild abzurunden: Ihre Lippen sind feuerrot. Die sind aber nicht natürlich, sondern angemalt. Jede halbe Stunde zieht sie akribisch den Lippenstift nach. Ihre monatlichen Ausgaben dafür liegen wahrscheinlich im dreistelligen Bereich. Ihre stahlblauen Augen hingegen sind naturbelassen, hier ist keine Kosmetik nötig, denn sie kann damit die Männer auch ohne Hilfsmittel geradezu hypnotisieren. Gut, äußerlich sieht sie einfach nur schön und unschuldig aus. Aber innerlich gibt es da doch kleine Defizite. Sie glaubt allen Ernstes, dass sie die schönste Frau in der ganzen Stadt ist. In Berlin. In einer Kleinstadt oder einem Dorf hätte man diesen Glauben ja vielleicht noch ansatzweise verstehen können. Aber bei einer Millionenstadt wie Berlin? Wo Models und Schauspielerinnen ihr Unwesen treiben? Wenn ihr Selbstbewusstsein ein Berg wäre, dann der Mount Everest. Meines wäre dagegen dann eher der Feldberg. Neben ihren ganzen anderen kleinen Störungen hat sie aber auch gute Seiten. Wenn ich nichts Gutes an ihr finden könnte, wäre sie ja wohl kaum meine beste Freundin. Sie ist eine exzellente Problemlöserin. Ist das Problem auch noch so klein, sie hört einem gut zu und findet meistens schnell eine Lösung. Das schätze ich wirklich am meisten an ihr. Bei der anderen handelt es sich um Julia. Julia ist ein Engel mit güldenem Haar. Diese Bezeichnung passt meiner Meinung nach perfekt zu ihr. Sie ist das komplette Gegenteil von Luise. Sie schminkt sich kaum und ist die Art nettes Mädchen von nebenan. Eigentlich ist sie recht hübsch. Das einzige Manko an ihr ist ihr stets ein wenig offen stehender Mund. Damit erinnert sie mich an diese Babypuppen und sie schaut auch meistens etwas wässrig aus den Augen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass sie ein wenig beschränkt ist. Ach ja, bevor ich es vergesse: Da gibt es noch mich. Emma. Ich bin wie eine Mischung aus den beiden. Straßenköterblondes Haar, blaugraue Augen, nicht dick, nicht dünn, schminke mich nur zu Anlässen (aber dann richtig), charakterlich weder eine Zicke noch ein liebes Mädchen. Meistens bekomme ich den Mund nicht auf. Nur in gewohnter Umgebung, wenn ich wütend werde, kann ich rumbrüllen wie ein Pavian auf Ecstasy. Ich werde nicht gerne wütend. Denn ich steigere mich dann so in diese Wut hinein, dass ich mich am Ende übergeben muss. Deswegen versuche ich, mich in der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Man stelle sich mal vor, dass ich mich über einen Strafzettel aufrege und dem Polizisten anschließend direkt vor die Füße kübele. Was sollte ich in einem solchen Moment sagen?

„Entschuldigung, Sie haben mich gereizt.

Da haben Sie jetzt die Bescherung.“

Ich würde wahrscheinlich auf direktem Weg in die Geschlossene gebracht.

Aber jetzt komme ich wieder auf den gestrigen Abend zurück. Ich hatte alles vorbereitet. Diesmal würden wir uns einen älteren Film ansehen: "Grüne Tomaten" (ich liebe den Film und es ist mir auch egal, dass ich ihn zum gefühlten zweihundertsten Mal ansah). Die obligatorische Flasche Rotwein stand entkorkt auf dem Couchtisch und ich erwartete nur noch die Ankunft der beiden.

„Ding, dang, dong, dong.“

Kurz nach sieben, es klingelte an der Tür. Ich zog mir gerade noch meine kuschelige, babyrosa Sweatjacke über und trottete zur Tür. Um von bösen Überraschungen verschont zu bleiben, es könnte ja auch der gut aussehende Nachbar sein, der sich Zucker von mir ausleihen möchte, schielte ich durch den Spion. Aber da stand sie, Luise. Ungeduldig trat sie von einem Bein aufs andere.

„Jetzt mach schon auf!“

Jetzt wartete ich absichtlich ein paar Sekunden, um sie zu ärgern.

„Bumm.“

Ein kräftiger Schlag erschütterte das Türblatt. Schnell öffnete ich die Tür, bevor Luise sie noch aus den Angeln trat.

„Was sollte das?“, zischte sie mich gereizt an. Noch bevor ich antworten konnte, stakste sie mit hämmernden Absätzen auf die Garderobe in der Diele zu.

„Ich dachte, wir wollten uns heute einen Film ansehen?“, fragte ich und musterte sie. Sie trug ein rückenfreies, schwarzes Minikleid. Dazu ein Paar Wadenbrecher, deren Absätze sich in den Laminatboden bohrten.

„Etwas overdressed für so einen Abend in trauter Runde. Oder hast du dich für uns aufgehübscht?“, fragte ich mit sarkastischem Unterton.

„Natürlich. Ich bin neuerdings bi und wollte mal austesten, ob ihr darauf anspringt.“

Sie ließ eine kurze Pause.

„Quatsch, ich geh nachher noch etwas trinken. Muss ich dich neuerdings um Erlaubnis fragen?“, antwortete sie genervt. Nachdem sie ihren Mantel an die Garderobe gehängt hatte, stolzierte sie an mir vorbei ins Wohnzimmer.

„Hast du noch etwas Spritzigeres zum Vorglühen?“, fragte sie und flätzte sich auf das schokobraune Bigsofa, das jetzt, bei genauerer Betrachtung, fast das ganze Wohnzimmer ausfüllte. Abschätzig begutachtete sie die Weinflasche.

„Sonst reicht der dir auch“, antwortete ich trotzig. „Außerdem, warum musst du dir einen vorglühen?“ Sie verdrehte die Augen und sah die Zimmerdecke an.

„Wo bleibt eigentlich unser kleiner Heiligenschein?“, fragte sie, weder auf meine Frage eingehend noch mich ansehend. Ich setzte mich auf den, gegenüber dem Sofa ziemlich mickrig wirkenden, mit rotem Samt bezogenen Ohrenbackensessel.

„Sie wird wohl gleich kommen.“

Kaum hatte ich den Satz beendet, klingelte es erneut an der Tür. Ich warf Luise noch einen warnenden Blick zu, die jetzt den Kopf wieder gesenkt hatte, und hievte mich auf. Nachdem ich Julia in die Wohnung gelassen hatte, hielt ich es für das Beste, sie vorzuwarnen.

„Madame ist heute mal wieder ziemlich gereizt“, flüsterte ich ihr zu. Julia holte tief Luft und folgte mir vorsichtig. Kaum hatten wir uns hingesetzt, fing Luise an, weitere Tiraden auf ihre zwei Opfer herabrieseln zu lassen.

„Ihr zwei seid echt lahme Gestalten“, sagte Luise so beiläufig, als ob es ein Kommentar über das Wetter wäre. Der Wein, den ich gerade herunterschluckte, blieb mir fast im Hals stecken. Julias Hand blieb erstarrt in der Popcornschüssel stecken. Langsam wandte sie ihren Blick Luise zu, die neben ihr auf dem Sofa saß.

„Was ist dir heute Abend eigentlich über die Leber gelaufen?“

Ich stellte mein Weinglas ab und wartete auf eine Antwort. Eine endlose Minute lang erfüllte eine Totenstille den Raum. Bis auf das Surren des Kühlschranks, das aus der offenen Küche kam, war kein einziger Ton vernehmbar.

„Mir ist nichts über die Leber gelaufen. Warte, oder vielleicht doch? Ihr zwei Langweilerinnen. Ja, genau.“

Sie hielt kurz inne und kippte den Rest ihres Weins mit einem Schluck hinunter.

„Jeden verdammten Freitagabend seht ihr euch irgendwelche Uraltfilme an und schüttet euch mit Wein zu. Wie zwei Omis, die sich das fröhliche Musikantenstadel anschauen. Das Highlight des Wochenendes. Kein Wunder, dass ihr keinen Kerl abbekommt.“

Ich konnte förmlich spüren, wie meine Haut von der Gesichtsmitte ausgehend immer heißer wurde. Die Röte breitete sich langsam über mein ganzes Gesicht aus. Ein untrügerisches Zeichen dafür, dass ich gleich vor Wut platzen würde. Luise sah mich provozierend an.

„Es kann ja nicht jeder eine verhinderte Nutte sein!“, platzte es aus mir heraus. In der gleichen Sekunde bereute ich meine Worte. Erschrocken hielt sich Julia die Hände vor ihr Gesicht. Aber Luise? Sie schnalzte nur abfällig mit der Zunge und setzte ein diabolisches Lächeln auf. Damit hatte ich die Kobra dazu gebracht, Gift zu spucken - das dachte ich jedenfalls. Denn kein Wort kam über ihre Lippen und sie lächelte einfach nur weiter. Dieses Verhalten brachte meine Wut immer mehr zum Brennen. Sie brannte wie Dutzende Habanero Chilischoten in meinem Bauch. Kurz vor einem weiteren Wutausbruch meinerseits mischte sich Julia mit zitternder Stimme ein.

„Sie hat es nicht so gemeint.“

Nervös sah sie mich an.

„Sie meinte damit nur … naja … du bist vielleicht ein wenig triebhafter als andere, normale Frauen.“

Fast hätte ich losgelacht. Das Bild war zu komisch. Die Zwei auf dem Sofa sahen aus wie ein Kaninchen und eine Speikobra. Todesmutig stellte sich das Kaninchen zwischen mich, das Opfer, und zwischen Luise, die Kobra. Das war keine gute Idee. Denn Luises Lächeln erstarrte. Die Kobra ging zum Angriff über und spuckte Giftworte auf uns hinab.

„Ach ja? Ich bin also eine triebhafte Schlampe?“, sagte sie mit schriller Stimme, sprang auf und stellte sich uns gegenüber vor dem Fernseher auf.

„Ihr zwei seid doch echt das Letzte! Ich möchte gar nicht wissen, was ihr hinter meinem Rücken schon gelästert habt.“

Diese Anschuldigung wollte ich nicht auf mir sitzen lassen.

„Wir haben nie schlecht über dich oder deine sexuellen Eskapaden geredet, bis zum heutigen Tag. Aber meinst du nicht, es wäre mal an der Zeit, sich auf andere Sachen als auf Sex and Rock’n’ Roll zu konzentrieren? Auf wichtigere Dinge im Leben?“

Julia saß eingeschüchtert auf dem Sofa. Von ihr war keine weitere Hilfe zu erwarten. Luise verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und schluckte auffällig oft. Nicht mehr lange und Tränen würden über ihre Porzellanhaut perlen. Ich hatte es geschafft. Ich hatte mich zu einem Mungo gemausert und hatte einen Gegenangriff gewagt.

„Es kann ja nicht jeder so eine schrullige Teetante sein wie du. Irgendwann werde ich auch wieder einen richtigen Job finden. Verlasst euch drauf“, antwortete sie trotzig. Sie nannte mich Teetante, weil ich seit zwei Monaten stolze Besitzerin eines kleinen Teeladens war. Einer meiner Träume war damit in Erfüllung gegangen. Sie hingegen hüpfte von einem schlecht bezahlten Kellnerinnen-Job zum nächsten. Das Schlimme an der ganzen Situation war, dass sie eigentlich viel mehr Potenzial hatte, aber es durch ihren ausgeprägten Freiheitsdrang nirgendwo länger als ein Jahr aushielt. Nach der Schule, die sie wenigstens noch ein bisschen ernst genommen hatte, ließ sie alles schleifen. Warf die hart erkämpfte Lehrstelle zur Inneneinrichterin hin und begnügte sich mit verschiedenen Aushilfsjobs. Zwar hatte ich auch keine grandiose Laufbahn hinter mir, aber wenigstens hatte ich mir eine kleine Existenz aufgebaut. Auch wenn es sich nur um einen kleinen Teeladen handelte.

„Ich habe mich damit nicht allein auf deine Jobsituation bezogen. Dein allgemeiner Lebenswandel könnte bei einer 26-jährigen Frau anders aussehen …“

Ich stand auf, ging auf sie zu und wollte beschwichtigend meine Hand auf ihre Schulter legen. Doch sie drehte sich zur Seite weg.

„Was ist denn heute nur mit dir los?“, sagte ich so versöhnlich, wie ich konnte.

„Nichts“, antwortete sie abweisend.

„Ich glaube, dass es besser ist, wenn ich jetzt gehe“, sagte sie. Wieder hämmerten ihre Absätze auf dem Laminat. Im Türrahmen blieb sie kurz stehen und drehte sich schwungvoll um.

„Es wird wohl das Beste sein, wenn wir uns eine Weile nicht sehen“, fügte sie noch mit eisiger Stimme hinzu. Wie erstarrt stand ich da und sah ihr nach. Sie ging zur Garderobe und riss mit einem Ruck ihre Jacke davon herunter. Dabei beförderte sie alle anderen Kleidungsstücke, die sich an den Haken der Garderobe befanden, auf den Boden. Ohne darauf zu achten, riss sie die Eingangstür auf und verließ meine Wohnung. Die Tür vibrierte wie eine Gitarrensaite, nachdem sie sie schwungvoll hinter sich zuschlagen lassen hatte. Langsam drehte ich mich zu Julia um. Sie saß mit offenem Mund und weit aufgerissenem, fragendem Blick da.

„Die hat sie doch nicht mehr alle“, murmelte ich vor mich hin und ließ mich in den Sessel fallen.

„Das war dann unser letzter gemeinsamer Abend im alten Jahr“, sagte sie und sah mich traurig an. Wie jedes Jahr fuhr sie einen Tag vor Silvester nach Hause und blieb nicht in Berlin. Stumm saßen wir eine Weile da. Jede musste mit dem eben Geschehenen fertig werden. So einen Streit hatte es noch nie gegeben und wir drei kannten uns immerhin schon ein halbes Leben.

„Du, ich muss dann jetzt auch mal los.“

Julia stand auf.

„Dann feiere schön. Nächstes Jahr wird bestimmt wieder alles gut.“

Das hoffte ich wenigstens.

„Mach ich und du lass dir bitte auch was Schönes Einfallen.“

Sie zog sich den Mantel über.

„Also dann, bis zum nächsten Jahr.“

„Bis zum nächsten Jahr“, antwortete ich.


Tja, und wegen dieser scheußlichen Sache sitze ich hier am Silvesterabend in der Badewanne und weiß nicht, ob ich heute überhaupt ansatzweise in Feierstimmung kommen werde oder mich einfach nur unter der Bettdecke verkrieche.


Ein kleines und ein großes Feuerwerk


Das Ertönen einer Melodie erweckt mich aus meinen selbstmitleidigen Träumen. Vibrierend tänzelt mein Handy über den Waschbeckenrand. Bevor es herunterfällt, springe ich mit einem Satz aus der Badewanne und verteile gleichmäßig Wasserlachen und Schaumtupfer auf den grauen Fliesen. Ein Blick auf das Handydisplay genügt, um meine Hoffnung wie eine Seifenblase davonfliegen zu lassen. Meine Mutter ist die Anruferin und nicht, wie ich gehofft hatte, Luise.

„Hallo?“ Ein kurzes Räuspern am anderen Ende der Leitung.

„Ich wollte dir nur schon einmal einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen“, trällert meine Mutter, anscheinend schon leicht angeheitert, in mein Ohr.

„Ähm, ja danke. Wünsche ich euch natürlich auch.“

Eine kurze Pause.

„Stimmt etwas nicht?“

Die mütterlichen Antennen nehmen jeden noch so kleinen missmutigen Unterton wahr. Jetzt nur nichts anmerken lassen.

„Es ist alles in Ordnung, ich bin nur etwas müde. Und wie ich Luise kenne, kann es eine lange Nacht werden.“

Ich hoffe, sie hat es geschluckt.

„Ach Kindchen, dann leg dich doch besser noch ein Stündchen aufs Sofa. Ich habe erst gestern in einer Zeitschrift gelesen, dass solche kurzen Nickerchen die Akkus wieder ganz gut aufladen sollen.“

Na, wer sagts denn, sie hat es geschluckt.

„Werde ich mal probieren. Vielen Dank für den Tipp. Ich werde dich morgen noch mal anrufen. Tschüß Mama und bestell Papa noch schöne Grüße.“

„Bis morgen, Liebes.“

Ich schaue aus wie ein nasser, gedroschener Hund. Das ist der schlimmste Abend seit Langem. Sollte ich mich vielleicht bei Luise entschuldigen? Aber warum sollte ich? Sie hat doch angefangen und alles nur wegen ihrer miesen Laune. Ich werde nicht ihren Allerwertesten mit der Zunge benässen! Nein! Auf keinen Fall! Gereizt nehme ich ein Handtuch vom Regal neben dem Waschbecken. Nachdem ich die noch nassen Stellen an meinem Körper trocken gerubbelt habe, sehe ich erneut in den Spiegel. Warum nicht einfach mal etwas anderes tun? Warum nicht mal keine graue Maus sein, die sich ohne Begleitung nicht unter die Menschen traut?

Und da schleicht sich eine wunderbare Idee in meine Gedanken. Ich lebe in Berlin. Heute Abend wird es am Brandenburger Tor eine der größten Silvesterparties des Landes geben. Tausende Menschen werden da sein. Vielleicht wird es ein ganz toller Abend. Vielleicht werde ich für meinen Mut belohnt? Ich muss nicht auf Luise aufpassen, denn sonst halte ich sie meistens davon ab, sich dem nächstbesten Typen im Delirium an den Hals zu werfen. Heute könnte ich entspannt mit ein paar netten, fremden Menschen feiern. Ich sehe mir selbst fest in die Augen und tippe mit dem Zeigefinger auf die Stirn meines Spiegelbildes.

„Genau das wirst du heute Abend tun“, murmele ich vor mich hin.

Mir fällt dieses tolle Kleid ein, dieses Kleid, das ich nicht anziehen konnte, weil Luise es ausgerechnet an genau demselben Abend anziehen musste. Es war die Party eines guten Bekannten und ich hätte bestimmt toll darin ausgesehen. Aber jetzt ist keine Luise da und nur ich werde dieses Kleid heute trage, das hoffe ich wenigstens. Ich rasiere mir die Beine, lege ein wenig Make-up auf und husche ins Schlafzimmer.

Der Traum aus dunkelblauer Wolle, der meine Figur so schön betont und in kalten Silvesternächten warmhält, schmiegt sich an meinen Körper. Ein paar schwarze blickdichte Strumpfhosen, dazu passende kniehohe Stiefel und ich fühle mich perfekt gestylt. Im Bad lege ich noch ein paar letzte Griffe an meinem Haar an und schon bin ich startklar. In der Diele sehe ich noch kurz in den Spiegel.

„Gar nicht so schlecht, los geht’s“, sage ich laut, um mir selbst Mut zuzusprechen. Nachdem die Tür hinter mir ins Schloss gefallen ist, überkommt mich erneut ein kleiner Anflug von Unsicherheit.

„Geh schon“, murmele ich. Meine Beine bewegen sich von selbst die Treppen hinunter. Mein Herz wummert, meine Hände zittern. Vor dem Haus empfängt mich eine eisige Bö. Schnell knöpfe ich meinen schwarzen, knielangen Mantel bis oben zu. Ich hätte doch besser eine Hose anziehen sollen. Egal, vielleicht passiert heute Abend ja etwas, das mir die vorhersehbare Blasenentzündung versüßt. Ich sehe die Straße hinunter. Einige Hundert Meter weiter befindet sich mein Teeladen. Sollte ich dort kurz nach dem Rechten sehen? Keine sonderlich gute Idee. Zuviel Zeit um nachzudenken und am Ende wieder in meiner Wohnung zu landen. Also gehe ich schnurstracks auf die S-Bahn-Station zu.

Nach einigen Minuten fährt die Bahn ein. Das Abteil ist brechend voll. Eine Mischung aus Alkohol, Parfüm und festsitzendem Rauch aus Kleidungstücken umspielt meine Nase. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt da und albert herum. Im Sekundentakt ploppen Verschlüsse von Alcopops und Bierflaschen auf. Mir gegenüber steht ein Pärchen. Der Mann hält sich mit einer Hand an der Schlaufe fest, die von der Decke des Waggons hängt. Mit dem anderen Arm umschlingt er die Taille der Frau.

Bei dem Anblick muss ich fest schlucken. Das letzte Mal, dass ich so von einem Mann festgehalten wurde, ist gefühlte hundert Jahre her. Ich wende traurig den Blick ab und sehe drei Frauen in meinem Alter. Tuschelnd unterhalten sie sich, ab und zu ertönt ein verhaltenes Gelächter.

Ich muss an Luise und Julia denken. Wäre es nicht doch schön, wenn sie jetzt da wären? Wenigstens Luise? Ich werde sie morgen anrufen oder vielleicht gleich, wenn ich in der Stadt bin? Nein, dumme Idee. Diesmal ist sie dran. Ich höre auf, weiter darüber nachzudenken und konzentriere mich wieder auf die anderen Fahrgäste.

Nach fünf weiteren Stationen bin ich endlich da. Menschenmassen strömen aus der Bahn und auf den Pariser Platz zu. Ich lasse mich einfach von der Herde leiten und bewege mich mit ihr. Mein Blick fällt auf die Lichter der Scheinwerfer, die in das Schwarz der Nacht einschneiden. Sie zeigen den Weg zur Hauptbühne vor dem Brandenburger Tor. Auf der Partymeile reihen sich Getränke- und Imbissstände aneinander. Musik dröhnt von der Bühne am kleinen Stern. Das Gedränge wird immer enger und unerträglicher.

Mein Hals brennt und ich flüchte mich in die Schlange vor einem Getränkestand. 20 Minuten später nippe ich an einer Cola. Ein Gläschen Sekt werde ich mir später gönnen. Immerhin sind es noch zwei Stunden bis Mitternacht und leider bin ich nicht so trinkfest, weil ich heute noch nichts gegessen habe. Also begnüge ich mich vorerst mit der Brause.

Nachdem ich ausgetrunken habe, setze ich meinen Weg weiter fort, husche wie ein junger Barrakuda wieder zurück in den Schwarm.

„Uuufff“

Ein mächtiger Stoß von hinten. Ich fuchtele wild mit den Armen herum und versuche das Gleichgewicht zu halten. Zu spät, mein Oberkörper hat sich für die Erdanziehungskraft entschieden und ich kippe vornüber.

„Mist“, brülle ich laut, während ich mich mit den Handballen auffange. Keuchend manövriere ich mich auf meinen Po.

„Oh, nein!“

Auf Höhe der Knie befinden sich klaffende Löcher in der Strumpfhose und ich kann ein wenig Blut erkennen. Meine Knie pochen. Meine Handballen brennen so, als hätte ich aus Spaß ein paar frische Brennnesseln zwischen den Handflächen verrieben. Literweise Tränen sammeln sich in meinen Augen und im nächsten Moment kullert auch schon die erste über meine Wange. Ein Zeichen. Ich wäre besser daheimgeblieben.

„Sie sollten besser nicht da sitzen bleiben“, sagt eine fremde Stimme.

„Darf ich ihnen aufhelfen?“

Ohne den Blick von meinen Knien abzuwenden, nicke ich. Zwei Hände packen mich sanft in den Armbeugen und bringen mich in eine vertikale Position.

„Danke“, murmele ich schluchzend.

„Der Typ ist einfach weitergegangen“, sagt die, wie ich erst jetzt registriere, männliche Stimme.

„War bestimmt betrunken“, krächze ich, ohne den Mann anzusehen. Eigentlich konnte ich ja nichts für den Unfall, aber diese Situation ist mir trotzdem sehr unangenehm. Verlegen starre ich durch den Tränenschleier auf den verschwommenen Boden.

„Hier.“

Seine Hand schiebt sich in mein Blickfeld und wedelt mit einem Papiertaschentuch. Jetzt hebe ich den Kopf und sehe in …

„Uuuiii“, schießt es durch meinen Kopf.

Ein paar besorgte, moosgrüne Augen sehen mich an. Meine Tränen werden von der aufsteigenden Röte getrocknet. Zwischen seinen Augen befindet sich eine römische Nase, die von einem schmalen und kantigen Gesicht eingerahmt ist. Dünne, schön geschwungene Lippen formen Worte, von denen aber keines zu mir durchdringt. Am Hals bewegt sich ein ausgeprägter Adamsapfel auf und ab.

„Geht’s wieder?“

Er lächelt mich an.

„Ja und noch mal danke.“

Ich wische mir die letzten feuchten Spuren aus dem Gesicht.

„War doch selbstverständlich, dass ich dir helfe.“

Er tritt verlegen von einem Bein aufs andere. Sollte er vielleicht…? Nein. Ziemlich abwegige Idee. Wenn ich ehrlich bin, sehe ich im Normalzustand schon nicht annähernd wie eine dieser Leinwandgöttinen aus. Und jetzt? Naja, ich habe mich zwar noch nicht in einem Spiegel ansehen können, aber ungefähr kann ich es mir vorstellen.

„Hättest du etwas dagegen, wenn ich dich den Rest des Abends begleiten würde? Ich meine sozusagen als Bodyguard?“

Wieder lächelt er mich an, nur diesmal liegt etwas Verschmitztes in seinen Zügen. Also gut, entweder möchte er in diesem Jahr noch eine gute Tat vollbringen, hat Mitleid mit mir oder ich gefalle ihm (was ich zu 90 Prozent ausschließe).

„Die Idee ist nicht schlecht“, antworte ich mit Quietschstimme. Gott! Warum sind diese verdammten Stimmbänder ausgerechnet in solchen Situationen in der Lage dazu? Warum aber nicht beim Karaoke, wenn man eine hohe Tonlage braucht?

„Wie heißt du eigentlich?“

Interessiert schaut er mich an.

„Emma.“

Mehr bekomme ich nicht raus, denn nach dem Quietschen folgt ein Aussetzen der Stimmbänder.

„Ich heiße Arndt.“

Jetzt fummelt er in seinen Jackentaschen herum und fischt ein frisches Taschentuch heraus.

„Du hast da noch was Schwarzes“, sagt er und zeigt auf mein Gesicht.

„Ooohhh“, entfährt es mir. Ich drehe mich suchend um die eigene Achse. Mist, kein Spiegel und nicht mal ein Schaufenster in der Nähe.

„Hinter dem Getränkestand dahinten steht ein Auto. Das hat bestimmt noch einen Spiegel für dich frei“, sagt Arndt und reicht mir das Taschentuch. Aufmerksam ist er auch noch.

„Okay, zeigst du mir, wo es ist?“, frage ich.

„Klar, komm mit.“

Meine Knie schmerzen höllisch beim Laufen. Nach ein paar Metern stoppt Arndt endlich.

„Dahinten“, sagt er und deutet nach links.

„Ich warte hier.“

Bevor ich hinter dem Stand verschwinde, drehe ich mich noch einmal um und werfe ihm mein schönstes Lächeln zu. Hoffentlich überlegt er es sich nicht anders und ist gleich verschwunden. Er lächelt unverschämt sexy zurück.

Zum Glück ist es durch die Beleuchtung des Getränkestandes nicht ganz dunkel. Ich beuge mich herunter und sehe in den Außenspiegel des roten Kombis.

„Oh mein Gott“, murmele ich vor mich hin. Aus dem Spiegel starrt mich eine zerrupfte Eule mit roten Augen und Kriegsbemalung an.

„Du bist einfach nur peinlich“, knurre ich mich selbst an. Hätte ich jetzt wenigstens wie jede normale Frau eine Handtasche dabei, in der sich alles befindet, was man in solchen Situationen gebrauchen kann. Verzweifelt wühle ich in meinen Jackentaschen, ertaste aber nichts außer meinem Haustürschlüssel, meinem Portemonnaie und dem Taschentuch. Erster Vorsatz für das neue Jahr: niemals ohne Handtasche und Frauen-Notkit aus dem Haus. Aber das hilft mir jetzt nichts. Ich spucke ein wenig auf das Taschentuch und wische das verlaufene Make-up weg. Zum Glück habe ich kein wasserfestes benutzt. Jetzt sehe ich wieder halbwegs menschlich aus.

Gerade als ich wieder den ersten Schritt Richtung Getränkestand setze, macht mein Herz einen Kopfsprung in meinen Magen. Ich bleibe abrupt stehen. Ich muss mir unbedingt einen coolen Spruch überlegen, den ich bei meiner Rückkehr vom Stapel lassen kann. Wie wäre es mit:

„Nimmst du mich auch ohne Kriegsbemalung mit?“

Nein, das ist blöd. Ich überlege, aber mir will einfach nichts einfallen. Also gehe ich ohne bereitgelegten Spruch wieder nach vorne zu ihm.

Er steht lässig an einen Bistrotisch gelehnt da. Vor ihm stehen zwei Plastiksektgläser. Ich bleibe kurz stehen und betrachte ihn aus der Ferne. Er hat dunkelblondes Haar, an den Seiten ist es etwas kürzer geschnitten. Das längere Deckhaar ist mit einem Seitenscheitel nach hinten gegelt. Das ist zwar etwas altmodisch, aber naja, wie soll ich sagen, ich steh drauf. Er könnte glatt den 1920er Jahren entsprungen sein, ein Gentleman der alten Schule. Genug davon. Ich habe eindeutig zu viele Filme und Bücher über solche Sachen gelesen. Ich gebe mir einen Ruck und gehe lächelnd auf ihn zu.

„Du hättest mir sagen sollen, dass ich so schlimm ausgesehen habe. Dann hätte ich mir den Kragen vors Gesicht gezogen. Jetzt haben wir uns beide blamiert“, sage ich und kichere blöd.

„Ich fand es gar nicht so schlimm. Aber ich muss zugeben, so ohne Kriegsbemalung, gefällst du mir doch besser.“

Er räuspert sich.

„Ich meine, du sahst nicht schlecht aus, nur … naja … gewöhnungsbedürftig.“

Jetzt wird zur Abwechslung mal er rot. Das Kompliment kam zwar etwas holprig rüber, aber es war trotzdem irgendwie süß.

„Ich hab uns etwas zu trinken besorgt, möchtest du?“

Mit fragendem Blick reicht er mir ein Glas.

„Gerne“, antworte ich und nehme es. Er hebt seines feierlich und sagt:

„Auf einen schönen Abend.“ Er zwinkert mir zu.

„Der hoffentlich unfallfrei weiterverläuft“, fährt er fort.

„Ja, hoffentlich“, antworte ich und proste ihm zu. Es ist unglaublich. Da sitzt mir ein fleischgewordener Frauentraum gegenüber und scheint wirklich Interesse an mir zu haben.

„Was hattest du eigentlich ursprünglich vor deinem Unfall vor?“, fragt Arndt. Fast verschlucke ich mich an dem Sekt. Soll ich ihm sagen, dass ich zum ersten Mal meinen inneren Schweinehund überwunden habe? Dass ich mich mit meiner besten Freundin gestritten habe und nur deshalb heute alleine hier bin, weil ich in dieser Stadt sonst niemanden kenne? Mir fallen Sätze ein wie: „Mimose auf Freiersfüßen“ und noch viel Schlimmere. Aber ich sage:

„Alle Bekannten und Freunde sind ausgeflogen und ich bin allein in der Stadt. Da dachte ich mir, wieso nicht allein auf Tour gehen?“

Das klang jetzt doch ziemlich selbstbewusst, oder?

„Mir geht es genauso“, antwortet er nachdenklich und sieht auf seine Armbanduhr.

„Nur noch 20 Minuten“, sagt er und wir sehen uns beide um. Viele Leute sind dabei, sich auf den großen Moment vorzubereiten. Die Schlange vor dem Getränkestand wird immer länger.

„Möchtest du noch woanders hin oder wollen wir uns hier das Feuerwerk ansehen?“, fragt er. Mir gefiel diese Ecke, in der wir standen, eigentlich ganz gut.

„Lass uns hier bleiben. Ich hole nur noch zwei Gläser Sekt, bevor es noch voller wird und wir nichts zum Anstoßen haben“, sage ich. Er nickt nur und ich stelle mich in der Schlange an.

„Buh!“

Die Frau vor mir hat es mit dem Parfüm zu gut gemeint. Ich kann förmlich spüren, wie sich meine Nasenschleimhaut langsam auflöst. Als sie einige Minuten später von ihrer männlichen Begleitung abgelöst wird, beruhigt sich meine Nase langsam wieder. Zwar riecht der Kerl nach kaltem Rauch, sofern ich es nach dem Duftschock noch richtig identifizieren kann, aber dieser Geruch ist um Einiges erträglicher als die Parfumwolke seiner Begleiterin. Nach zehn Minuten bin ich endlich an der Reihe.

„Zwei Gläser Sekt, bitte“

Die Frau im Getränkestand lächelt mich an und reicht mir zwei bis fast zum Rand gefüllte Gläser.

„Voller ging es nicht“, denke ich. Sorgfältig auf meine wertvolle Fracht konzentriert tripple ich langsam auf Arndt zu.

„Bloß nichts verschütten“, flüstere ich leise vor mich hin.

„Da bin ich wieder“

Ich grinse ihn an. Dann stelle ich die Gläser ab und bin stolz darauf, dass ich nichts verschüttet habe.

„Gerade noch rechtzeitig“, sagt er, während er erneut auf die Uhr schaut. Ich werfe einen Blick auf sein Armgelenk, tatsächlich, nur noch zwei Minuten. Die Musik verstummt langsam, eine besondere Stimmung breitet sich um uns herum aus.

„Ist dir kalt?“, fragt Arndt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich unheimlich am Zittern bin. Aber eigentlich ist mir nicht kalt. Ist es vielleicht eher die Aufregung, die das Zittern auslöst?

„Ein wenig“, antworte ich und weiß selber nicht, warum ich jetzt lüge.

„Möchtest du meine Jacke haben?“

Er beginnt schon damit sie aufzuknöpfen.

„Nein, so schlimm ist es nicht“, antworte ich schnell. Warum soll der arme Kerl wegen mir frieren, wo mir nicht mal kalt ist?

„Dann nicht.“

Jetzt habe ich ihn anscheinend gekränkt.

„Naja, weißt du …“

Unser Gespräch wird von einer lauten Stimme unterbrochen, die den Countdown herunterzählt.

„Zehn, neun, acht …“

„Mach etwas“, kreischt mein Gewissen.

„Du könntest mich aber warmhalten“, sage ich und deute unbeholfen eine Umarmung an. Seine Miene hellt sich augenblicklich auf. Er breitet seine Arme aus und ich schmiege mich an ihn. Hmmm, er riecht gut. Sein Aftershave riecht frisch, würzig. Dazu kommt eine Nuance seines Körpergeruchs und fertig ist die Mischung, die mich schon jetzt um den Verstand bringt.

„Drei, zwei, eins …“

Ich löse mich aus der Umarmung und greife nach meinem Glas.

„Auf das neue Jahr. Möge es voller Wunder sein“, sagt er.

„Happy New Year“, antworte ich. Dann stoßen wir an.

„Küss mich“, brüllt meine innere Stimme, während er mir tief in die Augen sieht. Sein Gesicht ist umrahmt von buntem Feuerwerk, das am Himmel zu sehen ist. Oh, Gott. Er kommt immer näher, seine Lippen legen sich auf meine. Sie fühlen sich wie Samt an, nein, wie Zuckerwatte, ach, sie fühlen sich einfach toll an. Mein Herz hämmert gegen den Brustkorb. Ich wünschte, dieser Moment würde ewig dauern. Doch leider ist der ganze Zauber schon nach ein paar Sekunden vorbei. Er löst sich von mir und legt seinen Arm um meine Taille.

„Was wünschst du dir für das nächste Jahr?“, fragt er. Ich muss überlegen.

„Vieles. Unter anderem, dass mein Geschäft gut läuft …“

Er unterbricht mich.

„Du hast ein Geschäft?“

„Ja, einen kleinen Laden. Nichts Besonderes. Naja, jedenfalls wünsche ich mir, dass es damit gut läuft und dass ich gesund bleibe. Ach, halt das Übliche“, antworte ich. Er sieht mich ernst an.

„Ich habe einen einzigen Wunsch.“

Ich warte darauf, dass er weiterspricht.

„Du könntest ihn erfüllen.“

Er macht mich nervös. Warum kommt er nicht einfach auf den Punkt?

„Wir werden uns nicht wiedersehen.“

Was?! Ich habe das Gefühl, im falschen Film zu sein.

„Jedenfalls in diesem Jahr nicht mehr.“

Warum rettet und küsst er mich erst und lässt mich anschließend fallen? Nervös sieht er mich an. Langsam werde ich wütend und ja, die Übelkeit kriecht auch schon von meinem Magen in Richtung Hals.

„Mein Wunsch würde sich erfüllen, wenn…“

Er schaut mir tief in die Augen und nimmt meine Hände.

„… du damit einverstanden wärst, dass wir uns jeden Monat schreiben und die Briefe an einem Ort hinterlegen, sozusagen an einem stillen Briefkasten.Ich werde dich eine Weile nicht sehen können und du sollst mich auch nicht finden, es wird besser für uns beide sein.“

Hastig ziehe ich meine Hände zurück. Alles klar, es wäre ja auch zu schön gewesen. Er ist eindeutig nicht ganz dicht. Aber er greift wieder nach meinen Händen, doch ich rücke immer weiter von ihm weg.

„Glaub mir, ich verstehe, dass du denkst, ich würde einen schlechten Witz machen. Aber was kann dir dabei schon passieren?“

Ich schnaube abschätzig.

„Warum sagst du nicht einfach, dass du keine Lust auf mich hast? Wir kennen uns doch kaum.“

Traurig sieht er mich an.

„Ich habe mich auf den ersten Blick in dich verliebt. Das Einzige was ich möchte ist, dass wir in Kontakt bleiben. Wenn du jemand anderen kennenlernst, dann ist es halt so. Aber lass uns dem Wunder dieses Abends eine Chance geben.“

Bittend, ja, fast flehend sieht er mich an. Ich frage mich, ob ich über Monate auf jemanden warten möchte, den ich gerade mal zwei Stunden kenne. Ist das Herzklopfen so stark? Als wollte mein Herz mit einem lauten „Ja“, antworten, rast es noch schneller als zuvor.

„Gut, ich gehe darauf ein. Aber ich würde schon gerne wissen, warum du mich ein Jahr lang nicht sehen willst.“, sprudelt es aus mir heraus, als ob mein Herz das Kommando vollends übernommen hat. Oh nein, ich naive Kuh habe es getan.Er schüttelt nur langsam den Kopf und beantwortet damit meine Frage. Doch ich möchte auf dieses Experiment eingehen, auch wenn er mir vieles zu verschweigen scheint. Nachdenklich stehen wir da und ich bekomme eine Idee.

„Warum schreiben wir uns nicht via E-Mail? Das wäre doch einfacher.“

Er legt seine Hände auf meine Wangen und zieht mein Gesicht näher an seines.

„Das ist unpersönlich. Ein Brief kann nach dir, deinem Parfüm, deiner Wohnung riechen. Ich kann an den Wasserflecken sehen, ob du geweint hast. Deine Schrift verändert sich, je nachdem, ob du glücklich, traurig oder müde bist. Ein PC-Bildschirm ist einfach nur glatt und kalt, ohne Emotion.“

Verlangt er vielleicht noch, dass ich ein benutztes Höschen in das Kuvert lege? Ist er ein Perverser? Doch ein Blick in seine Augen lässt mich die Sache anders sehen. Irgendwie hat er ja auch recht.

„Wo wollen wir die Briefe hinterlegen, und vor allem wann?“, frage ich. Er lächelt wieder, doch über seiner Nasenwurzel bilden sich tiefe Falten.

„Ich hätte eine Idee, etwas ungewöhnlich, aber spannend. Wie wäre es, die Briefe am Checkpoint Charlie zu hinterlegen?“, fragt er. Ein komischer Ort. Da ist die Gefahr doch viel zu groß, dass jemand die Briefe stehlen könnte.

„Meinst du wirklich, das ist eine gute Idee?“, frage ich zweifelnd.

„Wir könnten die Briefe unter einen der Sandsäcke legen, du weißt schon, ich meine diesen aufgestapelten Haufen.“

Ohne auf meine Reaktion zu warten, redet er weiter:

„Wir legen die Briefe unter den mittleren Sack in der ersten Reihe.“

Er hält kurz inne und denkt nach.

„Wir müssen nur noch ein festes Zeitfenster ausmachen“, sagt er und sieht mir hoffnungsvoll in die Augen. Endlich habe auch ich mal eine Idee.

„Wie wäre es, wenn du bis zum Zehnten des Monats schreiben würdest und ich bis zum Zwanzigsten darauf antworten würde?“

Er nickt zufrieden und kommt näher zu mir. Ich hoffe wirklich nicht, dass er irgendwelche krummen Dinge mit mir vorhat, denn je länger ich in seine Augen sehe, desto mehr verliebe ich mich in ihn.

Um uns herum ist es ruhiger geworden. Nur noch vereinzelt steigen bunte Feuerwerkskörper in den Nachthimmel. Mein Innerstes sagt mir, dass es nicht mehr lange dauern wird und wir uns verabschieden müssen, vielleicht für immer. Es war alles nur ein kurzer Traum, der viel zu früh endet. Ich schmiege mich in seine Arme und ein eigenartiges Kribbeln durchfährt meinen Körper. Ich lausche seinem Atem, der warm an meinem Nacken herabkriecht. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Zwei Seelen, die vielleicht ihr Leben lang auf der Suche nacheinander waren. Warum reißt es uns aber im Moment des Zueinanderfindens gleich wieder auseinander? Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieses Gefühl der Geborgenheit niemals ein Ende findet.

„Ich muss jetzt gehen, Emma“, flüstert er in mein Ohr. Ich drehe mich um, sehe ihm tief in die Augen. Eine kleine, glitzernde Träne kullert über seine linke Wange. Sanft streiche ich sie mit dem Zeigefinger weg. Ich möchte etwas sagen, möchte den Moment festhalten. Doch nicht einmal der leiseste Ton kommt über meine Lippen.

„Ich werde auf deine Antwort warten“, sagt Arndt und löst sich von mir. Ein letzter brennender Kuss, dann ist alles vorbei.

„Ich warte auch auf deinen Brief“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. Er streicht kurz über meine Wange, ein letzter Augenblick, dann dreht er sich um und verschwindet in der Dunkelheit.

Jetzt ist da eine Leere in mir, die ich zuvor noch nie im Leben gespürt habe.

„Arndt?“, rufe ich zaghaft, doch schon im nächsten Moment wird mir klar, dass er nicht zurückkommen wird. Tränen fließen wie ein reißender Strom über meine Wangen.

Erschöpft lehne ich mich an den Stehtisch vor mir. Ich fühle mich wie in einem Traum, in dem man nicht weiß, ob etwas Realität oder Fantasie ist.

„Warum hat der Kerl Sie ausgerechnet an so einem Abend sitzen lassen?“

Ich drehe meinen Kopf und sehe die rundliche Frau im Getränkestand, die gerade dabei ist, ihn blitzblank zu putzen.

„Einen unpassenderen Abend hätte es nicht geben können“, sagt sie erneut und schüttelt dazu bekräftigend den Kopf.

„Das war nicht mein Freund“, antworte ich und wische die Tränen mit dem Jackenärmel aus meinem Gesicht.

„Tsss“, zischt sie und verschwindet mit einem Eimer Schmutzwasser hinter dem Stand. Jetzt denkt sie bestimmt,das ich betrunken bin.

Die meisten Leute um mich herum verlassen den Platz, gehen zur nächsten S-Bahn-Station oder verschwinden in einer der dunklen Straßen. Ich schließe mich ihnen besser an. Während ich den anderen folge, fühlt sich mein ganzer Körper taub an. Immer wieder sehe ich Arndts Gesicht vor mir.

Als ich den ersten klaren Gedanken fasse, stehe ich vor meiner meinem Haus. Komisch, noch eben bin ich am Pariser Platz gewesen. Habe ich alles ausgeblendet, was um mich herum geschehen ist? Heute Nacht, nein, heute Morgen muss ich buchstäblich blind den Weg nach Hause gefunden haben. Der Schlüssel lässt sich nur widerwillig im Schloss herumdrehen. Doch mit einem Ruck springt dann endlich die Tür auf und ich betrete den dunklen Hausflur.

Ich nehme den Aufzug, denn meine Knie schmerzen wieder höllisch. Jetzt bis in die dritte Etage Treppen zu steigen käme einem masochistischen Akt nahe. Darauf stehe ich nun wirklich nicht. Rumpelnd fährt der Aufzug hinauf. Als sich dann die Türen öffnen, breitet sich Erleichterung in meinem Inneren aus. Bei dem Glück, das ich heute habe, wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn er auch noch stecken bliebe.

Mit langsamen Schritten gehe ich auf meine Wohnung zu, öffne die Tür und schleiche durch den dunklen Flur direkt ins Wohnzimmer. Dort lasse ich mich auf das Sofa fallen und atme tief ein. Ich habe keine Lust mich auszuziehen, ich möchte einfach nur hier liegen bleiben.

Sein Gesicht taucht wieder vor mir auf, ich kann seine Stimme hören und den Geruch seines Aftershaves riechen. Mit geschlossenen Augen taste ich nach der Fernbedienung auf dem Couchtisch und schalte den CD-Player an. Ich drücke so lange auf der Fernbedienung herum, bis die nächstbeste Schnulze aus den Boxen schallt. Die Musik passt zu meiner Stimmung und reizt mich noch ein bisschen mehr zum Weinen.

Lange liege ich da, denke an ihn und fühle diesen fremden, betäubenden Schmerz. Die Musik wird immer leiser, es hört sich so an, als würde sie sich immer weiter von mir entfernen. In dem Moment, als das Tageslicht durch die Ritzen der Jalousie dringt, falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.


Schneewittchens Offenbarung


Es ist noch dunkel, als ich aufwache. Wie lange habe ich geschlafen? Ich taste nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Das Bild flackert auf und eine grelle, stechende Flut aus Farben und Licht reizt meine Augen. Erst nach Sekunden kann ich etwas erkennen.

„Schon 19 Uhr?“, rufe ich erschrocken, während ich auf die Zeitanzeige starre. Ich springe auf und im nächsten Moment spüre ich brennende Stiche in meinen Knien. Mir wird im wahrsten Sinne des Wortes schmerzlich bewusst, dass ich nicht geträumt habe, dass gestern alles Realität war und alles wirklich passiert ist. Ich lasse mich auf das Sofa fallen und atme tief ein und aus.

„Was hast du dir dabei gedacht?“, zische ich mir selbst zu. Was ich mir dabei gedacht habe? Ich habe eigentlich nichts Schlimmes getan. Ich habe den gestrigen Abend mit einem gut aussehenden Mann verbracht, ihn geküsst, obwohl ich ihn gerade mal eine Stunde kannte, um mich dann zwei Stunden später von ihm abservieren zu lassen. Na gut, so richtig abserviert hat er mich nicht. Doch das mit den Briefen ist schon eine komische Nummer. Und welcher Mann gesteht einer Frau am ersten Abend, dass er sich in sie verliebt hat? Das kenne ich nur aus Märchen und Liebesschnulzen.

„Vergiss es“, sage ich laut und stehe auf. Langsam schleiche ich ins Schlafzimmer und wühle meinen Jogginganzug aus dem Berg von Klamotten, der auf dem Hocker vor dem Schminktisch liegt. Ich sollte mir angewöhnen, meine Kleidung in den Schrank zu räumen. Den Jogginganzug unter den Arm geklemmt, setze ich meine Reise weiter ins Badezimmer fort. Am und im Waschbecken sind noch Spuren vom gestrigen Abend zu sehen. Schwarze Mascaraschlieren sind auf dem weißen Porzellan erkennbar, der Deckel des Haarsprays verdeckt den Abfluss und das Tuschekästchen hat sich selbstständig gemacht und ein glitzernder Staub hat sich am Beckenrand festgesetzt.

„Na prima“, murmele ich vor mich hin und nehme das Handtuch, um den Schmutz zu beseitigen.

Mein Magen knurrt und ich habe nichts gegen ein Frühstück einzuwenden, selbst wenn es schon halb acht am Abend ist. Hmmm, ein leckeres Müsli, dazu ein Brötchen mit Marmelade. Doch als ich den Kühlschrank öffne, brüllt er mir entgegen:

„Ich bin leerer als leer. Vielleicht sollte Madame mal einkaufen gehen!“

Ich werfe die Tür wieder zu. Alles klar, dann nehme ich halt das Standardfrühstück zu mir, eine Tasse Kaffee und eine Scheibe Knäckebrot mit Margarine.

„Vrrrr …“

Mein Handy tänzelt brummend über den Küchentisch. Schnell schlucke ich den ersten bissen Brot herunter. Das trockene Zeug bleibt mir fast im Hals stecken und ich schicke einen Schluck Kaffee hinterher, bevor es meine Speiseröhre aufschmirgelt. Nach einem Blick auf das Handydisplay bin ich versucht, es einfach weiter vibrieren zu lassen. Ich fühle mich gerade nicht in der Verfassung, Luises Tyranneien über mich ergehen zu lassen. Doch wie immer gebe ich nach kurzer Zeit nach und drücke auf die Annahmetaste.

„Hallo“, sage ich mit fester Stimme. Sie soll ja nicht merken, dass ich momentan nicht gerade in bester Verfassung bin.

„Hallo, sag mal, hast du im Delirium gelegen? Hat klein Emma gestern eine Pulle Wein alleine gekillt? Oder warum gehst du jetzt erst dran?“

Ich habe es gewusst, sie kann nicht einfach mal freundlich sein. Aber diesmal hat sie sich zuerst gemeldet. Das muss ich im Kalender gleich rot anstreichen.

„Nein, ich war gestern Abend aus … mit einem Mann … stell dir das mal vor“, antworte ich gereizt. Ich kann hören, wie Luise den Atem tief einzieht.

„Das glaubst du doch selbst nicht. Sag mal, könnte es sein, dass du immer noch blau bist?“, fragt sie in gewohnt sarkastischem Ton. Ich fasse es nicht. Sie ruft mich nur an, um ihre Hasstiraden an mir auszulassen.

„Glaub doch, was du willst. Ich werde jetzt auflegen. Ich habe nämlich keine Lust mehr, weiterhin dein Boxsack zu sein.“

Ich lasse eine kurze Pause.

„Außerdem wäre auch mal eine Entschuldigung fällig. Findest du nicht?“

Mein Daumen schwebt schon über der Auflegetaste.

„Ich hab mich doch gestern Abend schon entschuldigt.“

„Davon habe ich nichts gehört oder gesehen“, antworte ich trotzig. Sie schnalzt abfällig mit der Zunge.

„Dann solltest du mal öfter deine Nachrichten lesen. Aber mal was Anderes. Kann ich gleich mal vorbeikommen? Ich bringe auch einen Film mit. Wie wäre es mit "Stolz und Vorurteil"? Den siehst du dir doch so gerne an.“

Ich überlege kurz. Auch wenn sie heute mal wieder absolut eklig zu mir ist, kann ich nicht anders und gebe nach.

„Ja, komm rüber.“

„Gut, dann bis gleich“, flötet sie in den Hörer.

Kaum zehn Minuten später läutet es auch schon an der Tür. Vorsichtig öffne ich und sehe sie misstrauisch an. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Gut, sie ist meistens ein Ekel. Aber so? So wie in den letzten Tagen war sie noch nie. Kleine Neckereien, sarkastische Antworten – das bin ich von ihr gewohnt. Aber so viel innerhalb von zwei Tagen ist selbst für sie ungewöhnlich. Auch eine recht komische Sache ist, dass sie auf einmal gelernt hat nachzugeben und dann noch etwas tut, was entfernte Ähnlichkeit mit einer Entschuldigung hat. Sie hatte tatsächlich eine SMS geschrieben:

„Entschuldigung und Happy New Year“

Gut, viele Menschen würden sagen, das ist nicht ernst gemeint, aber ich weiß, dass es Luise eine Menge Überwindung gekostet haben muss. Das rechne ich ihr hoch an. Jetzt steht sie da, hält den Film in der Hand und sieht mich reumütig an. Vielleicht hat sie Drogen genommen? Sie sieht ziemlich blass aus.

„Hi“, sagt sie zaghaft.

„Hi, komm rein.“

Ungewohnt vorsichtig tritt sie ein, hängt ihre Jacke auf und geht ins Wohnzimmer. Wo ist die Zicke von eben geblieben?

„Möchtest du etwas trinken?“

Ich kann es mir einfach nicht verkneifen:

„Vielleicht ein Glas Omiwein?“

Sie sitzt einfach nur da, in sich zusammengesunken, und es scheint nicht so, als ob sie auf Gegenangriff gehen wird. Da stimmt wirklich etwas nicht.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739353449
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
Tee Berlin Tor Romantik Liebe Brief Brandenburger

Autor

  • Kerstin Ax (Autor:in)

Kerstin Ax wurde 1982 in einer mittelhessischen Kleinstadt geboren und lebt noch heute zusammen mit ihrem Mann dort. Schon in ihrer Kindheit und Jugend verfasste sie Kurzgeschichten und Gedichte.
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Titel: 12 Briefe und ein Wunder