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Drachen und Ork

Althea 2

von Derik Peterson (Autor:in)
196 Seiten
Reihe: Althea, Band 2

Zusammenfassung

Althea findet endlich heraus, wer eigentlich hinter dem Krieg steckt und macht sich auf den Weg, mitten ins feindliche Gebiet. Um ihren größten Feind zu vernichten, muss sie sich selbst aufgeben. Ohne jede Hoffnung für sich selbst macht sie sich trotzdem auf die Reise, eine Reise ohne Wiederkehr. Zum Glück für sie haben bei dieser Sache auch noch andere ein Wörtchen mitzureden. Sabine die Magierin, Jaritha die Elfenkönigin und zwei Unbekannte, werden die Vier Althea retten können oder ist ihr Weg in die Verdammnis unaufhaltbar?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Drachen und Ork

 

Von Derik Peterson

 

 

Inhaltsverzeichnis

Widmung 4

Buchbeschreibung 5

1. Kapitel: Rückblick 6

2. Kapitel: Der Aufbruch 19

3. Kapitel: Ein Drachentöter 27

4. Kapitel: Eine Patrouille 34

5. Kapitel: Friedrich Eberhardt 40

6. Kapitel: Der wahre Feind 48

7. Kapitel: Wieder Richtung Heimat 56

8. Kapitel: Und erneut unterwegs 67

9. Kapitel: Prag 73

10. Kapitel: Christin Stadler 83

11. Kapitel: Drachenfreunde 91

12. Kapitel: Waschtag 97

13. Kapitel: Zigeuner und eine Prophezeiung 105

14. Kapitel: Der Drachenhort 115

15. Kapitel: Der Rat 125

16. Kapitel: Heimreise 130

17. Kapitel: Ein Abschied von einem teuren Freund 144

18. Kapitel: Die Heimat naht 151

19. Kapitel: Vor Gericht 158

Anmerkung des Autors 176

 

 

 

Widmung

Dieses Buch widme ich dem Teil meiner Familie, der mir treu geblieben ist.

Und den Freunden.

 

 

Buchbeschreibung

Althea findet endlich heraus, wer eigentlich hinter dem Krieg steckt und macht sich auf den Weg, mitten ins feindliche Gebiet. Um ihren größten Feind zu vernichten, muss sie sich selbst aufgeben. Ohne jede Hoffnung für sich selbst macht sie sich trotzdem auf die Reise, eine Reise ohne Wiederkehr. Zum Glück für sie haben bei dieser Sache auch noch andere ein Wörtchen mitzureden. Sabine die Magierin, Jaritha die Elfenkönigin und zwei Unbekannte, werden die Vier Althea retten können oder ist ihr Weg in die Verdammnis unaufhaltbar?

 

 

 

1. Kapitel: Rückblick

 

Mein Bewusstsein stieg wie eine silbrig glänzende Blase aus den dunklen Tiefen des Meeres nach oben, immer dem Licht entgegen. Als ich nach einer kleinen Ewigkeit voller Ruhe und Frieden an der glänzenden Oberfläche ankam, wurde es plötzlich hell, viel zu rot für das Meer und viel zu hell für geschlossene Augen. Ich öffnete vorsichtig die Lider einen Spalt weit und sah auf eine weiße Zimmerdecke, an der eine Raufasertapete klebte. Sie war so rein und so sauber, wie sie nur im ersten Jahr nach dem Anlegen eines nagelneuen Zimmers ist. Ich war überrascht, keine Sonne und auch keinen riesigen Scheinwerfer vorzufinden, der mir auf die geschlossenen Lider geleuchtet hatte, das Zimmer war nur mäßig beleuchtet. Eine winzige Spinne spann in einer Ecke ihr feines und eigentlich unsichtbares Netz, auf der Suche nach unvorsichtigen Opfern. Ich konnte das Netz so deutlich sehen, als ob es sich ein paar Zentimeter vor mir befinden würde.

Ich versuchte mich, immer noch sehr verwirrt, daran zu erinnern, wo ich eigentlich war. Völlige Orientierungslosigkeit, ich hatte dieses Gefühl manchmal an einem zu frühen Morgen. Diesmal war das Gefühl noch verwirrender und beklemmender als sonst, ich kam mir selbst völlig fremd vor, ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, wer ich eigentlich war. Ich lag auf dem Rücken, mein linker Arm war merkwürdig weich eingeklemmt und ich konnte ihn nicht bewegen. Ein einengendes Gewicht lag auf meiner Brust und nahm mir die Freiheit, unbeschwert zu atmen. Ein weiteres Spinnennetz lag über meinem Gesicht und den Augen.

Für einen winzigen Moment, der sich wie eine weitere kleine Ewigkeit anfühlte, geriet ich in Panik. Ich öffnete den Mund, um meine Angst hinauszuschreien. Dann fingen Erinnerungen an, in mein Bewusstsein zu strömen, zappelnd und mühsam wie Lachse, die zum Laichen einen Fluss hinauf wanderten. Die Realität selbst verzerrte sich für mich mit einem fast schmerzhaften Ruck und das Universum rutschte an den richtigen Platz. Das Spinnennetz über meinem Gesicht waren in Wirklichkeit feine weiße Haare, nämlich meine eigenen. Ich blies mir die Haare erleichtert aus dem Gesicht und kam mir ziemlich töricht vor.

Das Gewicht auf meiner Brust war einmal der Kopf von Sabine, die ich mit meinem rechten Arm umschlungen hielt, und zum anderen meine eigenen, für mich immer noch ungewohnten Brüste, zum Glück sehr klein und eher kaum vorhanden. Auf meinem linken Arm lag, ebenfalls schlafend, Jaritha, die sich an meine Seite gekuschelt hatte und ihre Hand über mich hinweg auf Sabines Hüfte gelegt hatte. Der Arm war vermutlich schon seit einiger Zeit eingeschlafen und prickelte unangenehm.

Ich reckte mich vorsichtig, um zu verhindern, dass ich die beiden aufweckte, was Sabine leider sofort dazu veranlasste, sich ebenfalls zu bewegen. Das weckte natürlich auch Jaritha sofort auf. Sabine küsste mich zärtlich und verschlafen auf den Mund, Jaritha streichelte Sabine über den Kopf und küsste dann Sabine, sobald diese mich freigab. Dann presste die wunderschöne Elfe ihre weichen und zarten Lippen auf die meinen. Meine warmen Gefühle für die beiden, die mich völlig atemlos machten, weckten mich endgültig. Um einiges später erst standen wir auf und zogen uns lachend und kichernd an. Wir waren glücklich, einander zu haben und überhaupt noch zu leben, nach allem, was wir in den letzten Wochen durchgemacht hatten.

Die Erinnerungen an die letzten Monate kehrten zu mir zurück, so schrecklich und unwillkommen, wie sie waren. Genauso unaufhaltsam, wie die Ereignisse des letzten Jahres für uns alle gewesen waren. Die vertraute Welt, die ich seit meiner Geburt kannte, hatte sich in einer unglaublichen Katastrophe verändert. Die meisten Menschen hatten die erste Nacht der Umwandlung nicht überlebt. Viele andere erfuhren drastische Veränderungen, aber sie blieben wenigstens am Leben.

Für einige wenige hatte dieser Prozess der Veränderung viele Tage, sogar Wochen gedauert. Und ich, ich hatte monatelang, fast ein halbes Jahr in einem bayrischen Krankenhaus im Koma gelegen. Irgendein gutmütiger und armer Tropf hatte mich die ganze Zeit über gepflegt, nur um dann schließlich irgendeinem Unglück zum Opfer zu fallen. Jedenfalls war er irgendwann nicht mehr aufgetaucht. Ich erwachte halb verhungert alleine im Krankenhauszimmer und schlug mich bis zur Grenzfeste von Riem in München durch.

Dass die neue Grenzfeste von Riem überhaupt existierte, war vor allem der Verdienst von Hans Schmidt, einem ehemaligen Bundeswehrgeneral, der sich nicht der allgemeinen Verzweiflung hingegeben hatte, sondern aktiv geworden war. Eine Feste war überlebensnotwendig, da sich die Überlebenden leider nicht gegenseitig halfen, sondern stattdessen ihre Wut und Verzweiflung in Konflikten auslebten, überall regierte Gewalt und Chaos die Menschen. Hans änderte das in Riem.

Soweit ich es verstand, waren während der Umwandlung hauptsächlich zwei Dinge geschehen.

Das Erste war, dass Elektrizität und Magie ausgetauscht wurden. Magie erwachte zum Leben und Elektrizität verschwand in das Reich der Legenden. Daher wurden alle elektrisch getriebenen Geräte funktionslos, stattdessen funktionierte Magie jetzt so einwandfrei wie Elektrizität vorher, jedenfalls für diejenigen, die der Magie mächtig waren. Magie ist jedoch nicht so leicht kontrollierbar wie Elektrizität, sie ist etwas anderes, Wildes. Die Magie ist wie das flüssige Innere der Erde, wie glühend heißes Magma, sie ist unkontrollierbar, sie hat ihren eigenen Willen, sie verursacht Vulkanausbrüche und Erdbeben.

Der Wechsel war auch nicht der erste in der Geschichte unseres Planeten gewesen, es gab ihn schon einige vorher. Magie oder Elektrizität, Zivilisation oder Chaos, nichts ist von Dauer. Geschichten und Legenden sind das Resultat, und man vergisst, so unendlich viel wird jedes Mal vergessen. Wenn man es nicht anfassen kann, dann existiert es auch nicht.

Diesmal kam es bei dem Wechsel zu einer Art Überladung. Die Umwandlung war so heftig gewesen, dass Stränge an unkontrollierter und wilder Magie die Lebewesen des ganzen Planeten heimgesucht hatten, vor allem die Menschen. Die Überlebenden verwandelten sich in neue Rassen, und teilweise fielen die Verwandlungen extrem aus.

Die allermeisten Menschen wurden zu Ork. Viele wurden anscheinend verschont und blieben äußerlich Menschen. Einige wurden Zwerge und Gnome. Einige wenige, die wochenlang im Koma lagen und das auch noch überlebten, wurden Elfen. Kein Elf überlebte, der nicht gepflegt wurde, sie verdursteten oder verhungerten. Der Blutzoll, den die Elfen daher während der Umwandlung zahlten, war fürchterlich. Und jedem einzelnen der Elfen waren ihre Toten deutlich bewusst, die Erinnerung daran grub sich in ihr Rassengedächtnis ein.

Und ich selbst wurde erst nach monatelangem Koma ebenfalls wiedergeboren. Und zwar als Drache. Drachen sind extrem selten, existieren aber schon seit Ewigkeiten auf der Erde. Sie waren schon immer sehr selten, was der Grund dafür war, dass die Erzählungen um sie immer nur als Geschichten und Mythen angesehen wurden. Das war allerdings einer der größten Irrtümer der modernen Wissenschaft, leider nicht der Einzige. Sie verschliefen in einer Art Winterschlaf die Zeiten ohne Magie und erwachten immer dann erneut, wenn die Magie ebenfalls wieder zum Leben erweckt wurde. Neue Drachen wurden so selten geboren, dass jede Geburt ein kleines Wunder war. Deshalb waren wir nie sonderlich viele, sondern eher ständig vom Aussterben bedroht.

Ich war in einem besonderen Entwicklungsstadium der Drachen, dem zweiten nach der Geburt eines Drachen. Das war die Zeit, in der sich Drachen nicht in ihre wahre Drachengestalt verwandeln können. Nach einigen fatalen Zwischenfällen versuchten die Drachen, ihre Jungen in dieser Zeit besser zu schützen. Sie bekommen einen Mentor zur Seite gestellt, damit sie diesen Zyklus überleben, ohne von anderen Drachen getötet zu werden. Meine Mentorin war Elida, eine weiße Drachin.

Drachen sind, seit Anbeginn der Zeit. Seit ich geboren wurde, und das war schon nicht einfach, musste ich eine Tatsache lernen. Drachen sind. Ich bin. Einfach so, wie sie sind. Einfach so, wie ich bin. Man darf auf gar keinen Fall versuchen, gegen seine Drachennatur anzugehen, so funktioniert das Drachensein einfach nicht. Ich tat es gezwungenermaßen, aber trotzdem, mit genau den fatalen Folgen, die so eine Rebellion mit sich bringt. Mein endgültiges Schicksal war bereits kurz nach meiner Geburt als Drachin besiegelt.

Aber vielleicht sollte ich Ihnen erst noch etwas mehr über mich erzählen.

Ich war einmal, in einem anderen Leben und einer anderen Welt, ein ganz normaler und durchschnittlicher Mann in der Midlife-Crisis. Was ist eine Midlife-Crisis? werden Sie vielleicht fragen, wenn Sie im Englischen nicht so gut bewandert sind. Ganz einfach. Midlife-Crisis ist, wenn Sie beschließen, eine zu haben. Ich beschloss, eine zu haben, nach einer gescheiterten Beziehung zu viel. Danach kam ein sechsmonatiges Koma, und ich erwachte in einem verwüsteten Krankenhaus.

Nicht ganz das, was man erwarten würde, wenn man so einen Beschluss fasst. Als Mann wacht man normalerweise aus seiner Midlife-Crisis auf, wenn man die Abbuchungsraten für seinen Porsche oder die Unterhaltszahlungen für seine Ex-Frau bewundert und sich spontan überlegt, ob man einen zusätzlichen Job braucht, vielleicht als Industriemagnat oder König oder so.

Ich dagegen wachte in einer völlig neuen Welt auf, die sich in fast allem von meiner alten Welt unterschied und mir so fremdartig wie mein eigener Körper vorkam. Obwohl, die Welt war genau genommen sogar noch die Gleiche, aber die Bewohner und die physikalischen Gesetze eben nicht mehr.

Die schwierigste Umstellung für mich war allerdings etwas völlig Unwissenschaftliches: Ich wachte in dem Körper eines jungen Elfenmädchens auf, mit allem, was das so mit sich brachte. Mit vierzig hat man sich so einige Dinge angewöhnt, die von einem kleinen Mädchen nicht unbedingt erwartet werden. Es half ein wenig, fast zwei Meter groß und äußerst kräftig zu sein, das relativierte jedenfalls die Probleme wieder ein bisschen.

Noch dazu kam, dass die Welt um mich herum nicht freundlich war. Ein riesiges Heer von Ork hatte mit einer erdrückenden Übermacht meine Zuflucht angegriffen, die Grenzfestung Riem, die ich nach vielen Wochen der Flucht endlich erreicht hatte. Georg, der Sohn von Hans Schmidt, und ich waren losgezogen, um Hilfe für die Feste zu organisieren. Wir waren als einziges Team von dreien erfolgreich und fanden Hilfe von weiteren Überlebenden, bei Menschen im Norden und Elfen im Westen. Mit vereinten Kräften konnten wir die Ork schließlich vernichtend schlagen.

Es gab aufgrund der allgemeinen Erleichterung über den Sieg und der Freude darüber, noch zu leben, eine ziemlich wilde Siegesfeier. Wir alle hatten einfach zu lange im Schatten des tödlichen Krieges mit den Ork und der drohenden Katastrophe der völligen Auslöschung unseres kleinen Häufleins von Überlebenden gestanden, daher war die Feier ein wenig ausgeufert.

Ich konnte mich noch an wilde Tänze zu der großartigen Musik einer einzigartigen Band erinnern. Die Elfensängerin war unglaublich stimmgewaltig und etwas ganz Besonderes, nicht zu vergleichen mit allem, was Menschen so zu bieten hatten, und wir hatten alle einen Heidenspaß dabei. Meine kleine Gruppe von neuen Freunden, Jaritha, Georg, Sabine, Hans, Petra und Elida, war an diesem Abend ständig in meiner Nähe. Eigentlich war ich mein ganzes Leben lang ein Einzelgänger gewesen, andere Menschen waren eher etwas, was mir immer wieder wehgetan hatte, mich verletzt hatte. Diese Erfahrungen waren etwas völlig Neues für mich, in meinem alten Leben kannte ich so eine Gemeinschaft nicht.

Am Ende einer sehr langen und unvergesslichen Nacht waren wir alle ziemlich betrunken und schliefen bei Hans im Haus. Ich hatte da ein eigenes Zimmer, Platz gab es seit der Katastrophe überall genug und Hans besaß ein riesiges Haus. Jaritha und Sabine verbrachten die Nacht mit mir, wirklich geschlafen haben wir jedoch nicht viel in dieser Nacht.

Am nächsten Tag versammelten sich alle in Hans´ Küche, das war so eine Art inoffizielles Hauptquartier mittlerweile, einige der Offiziere kamen ebenfalls hinzu. Nicht wenigen sah man die Folgen der langen und alkoholreichen Nacht an. Nach der unglaublichen Leistung von allen Soldaten, Menschen, Zwergen und Elfen hatten wir uns das aber auch verdient.

Das allgemeine Gesprächsthema war natürlich der Krieg, nach wie vor verstand niemand von uns, warum die Ork uns überhaupt so bösartig und selbstzerstörerisch angegriffen hatten. Viel zu schnell nach der Umwandlung hatten sie massiv und organisiert zugeschlagen, obwohl sie doch ganz offensichtlich nicht die intelligentesten waren. Stattdessen traten sie sehr emotional und hasserfüllt auf.

Wir nahmen uns ein leichtes Frühstück und einen Kaffee und setzten und an den Küchentisch. Ich genoss den Kaffee und fragte mich nicht zum ersten Mal, wie lange uns Kaffee noch zur Verfügung stehen würde. Ob jemand wieder Handelsverbindungen zu südlichen Ländern aufnehmen würde? Reisen war ein ziemlich schwieriges und zeitaufwendiges Unterfangen geworden.

„Wir müssen herausfinden, wer hinter allem steckt. Es gibt garantiert eine zentrale und wichtige Figur, die wir noch nicht kennen“, meinte Hans. „Nur wie finden wir sie, wir verstehen die Orksprache ja nicht einmal, und Folter ist nicht unbedingt etwas, mit dem ich leben kann. Ich bin davon überzeugt, dass unser Überleben davon abhängt, wie viel Menschlichkeit wir uns in diesem Krieg bewahren. Wenn wir zu den gleichen Tieren wie die Ork werden, dann ist das Überleben nichts mehr wert. Wir müssen es einfach besser machen als die Generationen vor uns. Wir müssen endlich beweisen, dass wir etwas aus den schlimmen Zeiten, all den Kriegen gelernt haben. Es darf keinen Holocaust wie damals in Deutschland mehr geben. Es darf einfach nicht. Auch nicht, wenn es um Ork geht.“

Ich stimmte ihm zu: „Ich bin voll und ganz deiner Meinung, Hans, wir müssen es besser machen, egal, wie gefährlich die Lage ist.“

Jaritha meinte trocken:

„Hat jemand eine gute Idee, wie wir das hinbekommen, ohne alle Ork zu töten?“

Hans und ich blickten betreten zu Boden.

Elida sprang uns beiseite.

„Und wenn wir noch keine haben? Was dann? Dann müssen wir uns eben stärker bemühen. Ich bin absolut der gleichen Meinung, und wenn es keine einfache oder offensichtliche Lösung gibt, dann muss es eben eine werden, bei der wir uns ein wenig stärker anstrengen müssen. Den schnellen und einfachen Weg sind eure Vorfahren gegangen, dahin wollt ihr definitiv nicht zurück. Also muss jemand auf die Suche gehen. Auf die Suche nach der Wahrheit, ich glaube nicht, dass wir die hier im kuscheligen Zuhause bekommen.“

Georg meinte verbissen: „Kuschelig war einmal, Deutschland ist nur noch ein Schatten von dem, was es einmal war. Ohne Sabine und die vielen Magier, die wir auch nur deshalb haben, weil wir uns hier intensiv um die vielen komatösen Leute gekümmert haben, hätten wir überhaupt nicht überlebt. Wie es den anderen im Norden und Westen wohl ergangen ist ...“

Petra legte eine Hand auf seine Schulter und drückte zart zu.

„Die Elfen schulden euch viel dafür, wir lagen am Längsten im Koma und brauchten die Pflege dringend, es sind so viele von uns gestorben. Dank euch gibt es die Elfenstadt überhaupt. Nur Althea lag noch länger im Koma.“

Ich sah sie an. „Ich frage mich immer wieder, wer sich so lange um mich gekümmert hat und was mit ihm passiert ist. Nun, wie auch immer, Elida hat recht.“

Ich wurde blass, als ich für einen Moment eine ziemlich klare und sehr dunkle Vision meiner Zukunft hatte, aber ich sprach die Worte trotzdem aus:

„Ich werde gehen.“

Elida nickte mir zu. „Und ich werde sie begleiten.“

Sabine und Jaritha sahen mich beide unglücklich an. Jaritha schwieg, die Ablehnung von dem, was ich gerade gesagt hatte, stand ihr jedoch deutlich ins Gesicht geschrieben. Sabine sprang auf, sie war nicht nur unglücklich, sondern ziemlich wütend.

„Und warum ausgerechnet immer du? Du wirst da draußen töten müssen, wieder und wieder. Und du kommst mit Abstand am schlechtesten von uns allen damit klar. Du wirst dich da draußen selbst umbringen.“

Sie hieb mit der flachen Hand so fest auf den Tisch, dass das Geschirr nur so klapperte. Völlig außer sich rannte sie aus der Küche und schlug die Tür hinter sich zu.

„So ganz unrecht hat sie nicht, Althea“, meinte Jaritha leise.

„Aber wenn jemand da draußen überlebt, dann Althea“, sagte Hans traurig. „Sie hat es oft genug bewiesen, immer wieder.“

„Und ich werde euch ebenfalls begleiten“, antwortete Georg.

„Völlig unmöglich!“, meinten Elida und ich gleichzeitig. Dann fuhr Elida fort: „Du wirst unmöglich mithalten können, und wir wissen ja nicht einmal, wie weit wir reisen müssen. Und falls wir fündig werden und schnell Hilfe holen müssen, kann ich nur eine Person tragen.“

„Außerdem wirst du hier gebraucht, jemand muss den Kontakt zu den anderen Festen herstellen und sie warnen und Botschaften etablieren, ich hoffe ja immer noch, dass es genug davon gibt, um die ganze Grenzlinie zum Osten zu sichern“, sagte Hans.

„Und wir brauchen einen Botschafter der Elfen, der ihn begleitet“, meinte Petra hoffnungsvoll.

Jaritha nickte nur müde:

„Ja, ja, du darfst. Ich will aber auch einen regelmäßigen Report über die Fortschritte von euch.“

Georg schaute nicht mehr ganz so bitter drein und Petra strahlte über das ganze Gesicht.

Nur Hans meinte niedergeschlagen:

„Und Jaritha und ich bleiben alleine zurück und trösten uns hier gegenseitig mit gelegentlichen Besuchen? Das habt ihr euch ja fein ausgedacht.“

Jaritha sah ihn lächelnd an. „Du bist mir jederzeit sehr willkommen, Hans, das Schicksal hat für jeden auch eine freundliche Seite, wenn man sie denn nur zu schätzen weiß. Und ich erwarte von dir, dass du die arme Sabine ebenfalls mitbringst.“

Hans lachte nun laut und grinste schelmisch wie ein Junge, der das Geheimnis eines Piratenschatzes mit jemandem teilt.

„Ihr habt mein Wort, eure Majestät.“

Petra blickte die beiden entsetzt an. „Es sollte doch niemand erfahren, dass Ihr mit Althea und jetzt auch noch Sabine …“ sie verstummte mitten im Satz.

Jaritha sah sie selbstbewusst an. „Es ist mir egal, wer es weiß. Wenn jemand nicht mit mir einverstanden ist, suche ich mir gerne einen anderen Job. Ich könnte auch Althea begleiten.“

Petra erbleichte und kniete vor Jaritha nieder.

„Falls es irgendjemand wagen sollte, Eure Herrschaft infrage zu stellen, dann machen sie Bekanntschaft mit meiner Klinge. Das schwöre ich Euch bei meinem Leben, Jaritha. Ihr seid für mich die Königin meines Herzens, auf ewig. Bitte ...“

Jaritha nahm Petra bei den Armen und zog sie hoch.

„Du gönnst mir einfach nicht den leichten Ausweg, oder? Ich wollte diesen Job als Königin nie, ehrlich, ich bin doch gar nicht der Typ dafür“, seufzte sie. Sie nahm Petra in den Arm, ihre Augen brannten vor Rührung über die unerschütterliche Treue ihrer Generalin.

Petra sah sie sanft an.

„Und genau deshalb müsst Ihr es sein, versteht Ihr es denn nicht. Ihr seid die einzig Richtige für uns. Wenn Ihr nicht mehr da seid, wird jemand den Thron besteigen, der nicht so gut geeignet ist oder vielleicht sogar machtgierig. Und wir brauchen einen Erben von euch. Er wird ebenfalls der Richtige sein. Oder sie die Richtige. Zum Glück habt Ihr vermutlich noch ein paar Jahrzehnte Zeit dafür.“

„Alles wird gut, Petra, du machst dir zu viele Sorgen“, entgegnete Jaritha lächelnd sie an. Dann wandte sie sich mir zu.

„Sabine hat recht, weißt du. Du solltest mit mir nach Larithin kommen oder hier bleiben. Wenn du wieder da raus gehst, unter die Ork, dann wirst du mit Sicherheit sterben. Wenn dich die Ork nicht töten, dann deine Drachenseele, die du immer wieder verrätst, wenn du so viele von ihnen tötest, und du musst mitten in das Wespennest.“

Ich hob an etwas zu erwidern, sie brachte mich jedoch mit einer Geste zum Schweigen.

„Ich fühle aber auch etwas anderes tief in meinem Herzen, dir ist im Moment noch ein anderes Schicksal bestimmt als mir. Aber unsere Wege werden sich wieder kreuzen, und dann kommt unsere Zeit. Das musst du mir versprechen. Du musst. Ich bitte dich.“

Den letzten Teil flüsterte sie so leise, dass ich es kaum verstehen konnte. Ich nahm sie in die Arme und flüsterte ihr leise ins Ohr:

„Ich verspreche es dir, ich werde nicht sterben, ich werde wiederkommen.“ Ich lächelte sie ermunternd an, sie ging jedoch nicht darauf ein. Eine einzelne Träne erschien in ihrem Auge, die sie zornig wegwischte.

„Zeit, nach Hause zu gehen“, meinte Jaritha plötzlich forsch, nachdem sie mich noch einmal fest umarmt hatte. Sie stürmte aus der Küche, Petra folge ihr. Georg sprang auf, und als Hans ihm zunickte, folgte er den beiden nach draußen. Die Elfenarmee würde sicher heute noch abmarschieren, auch schon, weil sie ihr Königreich nicht ungeschützt lassen konnten - das redete ich mir jedenfalls ein.

Ich sah Hans traurig an.

„Sie ist unglaublich, nicht wahr? Ich wünschte, ich könnte hier bleiben oder mit ihr gehen, aber ...“

Ich verstummte mitten im Satz. Hans sah mich ebenfalls traurig an.

„Dein Zimmer hier bei mir bleibt dein Zimmer, immer. Du bist wie eine Tochter für mich. Althea, du hast hier ein Zuhause, vergiss uns bitte nicht und komm wieder.“

„Hans, das ist der Grund, warum ich gehen muss, ihr seid es. Ich muss doch euch, einfach alle, die ich lieb gewonnen habe, beschützen. Und ich bin entbehrlich.“

Er blickte mich zornig an.

Ich sagte schnell:

„Du weißt, was ich meine, ich bin nicht mal mehr von eurem Volk.“

Diesmal unterbrach er mich wütend:

„Du redest Unsinn, und du solltest es wirklich besser wissen.“

Er nahm mich am Arm, sehr fest, und meinte knapp: „Komm mit mir.“

Elida sah uns fragend an, ich zuckte mit den Schultern und stolperte Hans hinterher, der ziemlich schnell aus dem Haus und dann durch die Straßen von Riem lief. Wir erreichten bald ein Haus und er klopfte lautstark mit der Faust an die Tür. Manfred öffnete; er sah erschöpft aus. Ich hatte Manfred und Anton kurz nach meiner Ankunft kennengelernt, als sehr fremdenfeindliche Menschen, sie hatten beide mir gegenüber ziemlich reserviert reagiert, um es milde auszudrücken. Manfred hatte verweinte Augen, was eigentlich gar nicht zu dem Bild passen wollte, das ich von ihm hatte.

„Kommt herein, ich habe heute eigentlich niemanden erwartet.“

„Ich danke dir, keine Angst, wir werden nicht lange bleiben“, meinte Hans.

Wir setzten uns in Manfreds Küche. Die Wohnung war sehr schön eingerichtet, aber eher konservativ. Die Möbel waren aus dunklem Echtholz gefertigt und die Küche war komplett in einem hellen Beige gehalten. Sie sah ganz so aus, als wäre sie ein Erbstück gewesen, vielleicht von Eltern oder Großeltern. Vielleicht war er jedoch auch einfach, wie wir alle, irgendwo eingezogen, wo Platz war.

„Ich möchte, dass du Althea etwas erzählst, ich möchte, dass du ihr das sagst, was Anton dir zum Schluss über sie sagte.“

Er blickte uns verwirrt an, fing sich jedoch und fing an zu reden.

„Anton, das wisst ihr doch bestimmt mittlerweile, meinte, Althea sei sein persönlicher Engel, von Gott selbst geschickt, um ihn zu prüfen und um ihn dazu zu bringen, den wahren Weg zu erkennen. Nämlich dass alle Wesen Gottes Kinder sind und wir alle zusammenhalten müssen. Ich habe gesehen, wie du um Anton auf dem Feld geweint hast. Er hat dich vergöttert, seit ihm klar geworden war, was du für uns bist.“

Hans schaute ihn ernst an.

„Althea meint, sie gehöre nicht zu uns, sie sei schließlich eine andere Rasse, und deshalb können wir hier nicht ihre wahre Heimat sein.“

Manfred sprang erregt auf und schlug seine Hände auf den Tisch.

„Das ist Unsinn! Anton sagte zu mir, dass du jetzt zu uns gehörst, ob du willst oder nicht. Er sagte mir auch, was ich damals noch nicht richtig verstanden habe, dass du vielleicht überzeugt werden müsstest, weil er dich doch am Anfang so falsch eingeschätzt hat und nicht sehr nett zu dir war. Althea, er wäre für dich gestorben, er war es auch, der mich dazu überredete, dich zu holen, als du am Turm lagst. Wir waren ein Paar, hielten es aber geheim. Er war doch streng katholisch.“

Ich sah Hans erstaunt an.

„Wir sind alle Kinder Gottes, Althea, auch du. Du gehörst jetzt zu uns, wir wissen es alle hier, du musst es doch ebenfalls fühlen. Es gibt nicht nur eine Heimat des Blutes. Wer von uns hat die heutzutage schon noch, und seit der Umwandlung hat sich sowieso alles geändert, die Karten wurden neu gemischt. Es gibt nur noch die Heimat des Geistes. Und deine ist jetzt hier bei uns und bei Jaritha, den Elfen.“

Ich schlug die Augen nieder.

„Ja, vielleicht hast du recht. Und das ist ja auch genau der Grund, warum ich gehen muss. Ich danke dir, Manfred, dass du mich daran erinnert hast.“

Ich umarmte ihn, so fest ich konnte.

„Heute ist nicht alle Tage. Ich komme wieder, keine Frage.“

Das Zitat aus dem rosaroten Panther brachte uns alle zum Lachen, obwohl mir eigentlich nicht danach zumute war. Ich umarmte Manfred noch einmal, er tat mir so leid. Allein der Gedanke, Sabine so zu verlieren, war mehr, als ich ertragen konnte. Deshalb durfte ich sie bei dieser Sache auch nicht mit hineinziehen. Ich legte Manfred meine Hand auf die Schulter.

„Habe ich mich eigentlich schon bei dir bedankt, Großer? Ohne dich und Anton wäre ich immer noch da draußen.“

Es war ein ziemlich knappes Spiel für uns gewesen, den Belagerungsturm zu zerstören. Elida, Manfred und Anton hatten mich danach vor den Ork gerettet und ins Lager getragen. Ich hatte einige Pfeile im Körper und war bewusstlos, mit sehr viel Glück erwachte ich noch einmal, bevor für mich das Licht ganz ausging.

Hans hatte erreicht, was er beabsichtigt hatte, ich war ziemlich gerührt und tief bewegt, dass die Menschen hier meine Gefühle für sie teilten. Ich sah ihn nachdenklich an, mir fiel aber nichts Intelligentes mehr ein.

Also umarmte ich die beiden schweigend und machte mich auf den Weg zu Sabine.

Die Magierschule kam kurz darauf in Sichtweite, ich war zu Fuß ziemlich schnell unterwegs. Das durch die Feindseligkeit der Ork erzwungene Training hatte erstaunliche körperliche Veränderungen mit sich gebracht, vor allem auch sehr viel schneller, als ich es als Mensch gewöhnt war. Es wurde nicht nach außen sichtbar, meine Leistungsfähigkeit nahm aber trotzdem auf eine ganz unglaubliche Art und Weise zu. Manchmal wünschte ich mir, auch etwas muskulöser auszusehen, aber ich fand mich damit ab.

Ich betrat die Magierschule, sie war wie üblich offen. Dieses Mal sah ich niemanden auf dem Innenhof. Die Magier hatten beträchtlichen Schaden unter den Ork angerichtet, ohne sie hätten wir die Schlacht um Riem nicht überlebt. Ich überquerte den Hof und ging auf die Tür zu, hinter der ich Sabines Wohnung vermutete.

Ich lief die Treppe hinauf und klopfte leise an die Tür. Niemand antwortete, ich drückte leise die Klinke hinunter, es war nicht abgeschlossen. Ich betrat das Zimmer und ging zum Schlafzimmer. Es war niemand hier, vielleicht war es doch nicht ihre Wohnung, nur hatte ich sie bis jetzt immer hier angetroffen. Ich lief durch die Stadt und fragte die Leute auf der Straße nach Sabines Wohnung, ein kleines Mädchen konnte mir schließlich kichernd den Weg weisen. Ich klingelte, fluchte leise, weil natürlich mangels Strom nichts passierte, und klopfte. Aus dem Inneren kam ein ziemlich genervtes „Komm rein!“

Ihre Stimme klang nicht so, als hätte sie sich beruhigt.

„Was auch immer du sagst, du kannst es vergessen, Gerda, ich - oh ...“

Sie schaute mich erschrocken an und erstarrte mitten in der Bewegung. Sie hielt einen Stapel T-Shirts in den Händen, den sie einfach fallen ließ.

„Du bist es, Althea.“

Ich betrat ihr Wohnzimmer, es war sehr gemütlich. Der flauschige Teppich war dunkelrot und sah ein wenig orientalisch aus. Die Couchgarnitur war aus einem dunklen braunen Stoff und sah bequem aus. Anstelle von Glasvitrinen mit Geschirr waren die Wände größtenteils mit Bücherregalen bedeckt. Der Fernseher saß nutzlos auf einem Tisch in der Ecke, die Kabel waren jedoch verschwunden. Sie hatte einen Rucksack auf ihr Sofa gestellt und packte gerade ihre Sachen zusammen. Mir war sofort klar, was das bedeutete.

„Sabine.“

Ich sah sie seufzend an und sie mir trotzig in die Augen. Ich ging auf sie zu und nahm sie in den Arm.

„Gerda hat dir bestimmt auch schon gesagt, dass du hier gebraucht wirst, nicht wahr?“

„Ja“, flüsterte sie leise hinter meinem Rücken und hielt mich weiter eng umschlungen, als wollte sie mich nie wieder loslassen. Mir ging es genauso, wir hatten sehr viel gemeinsam durchgemacht. Sie reagierte ähnlich wie ich auf den Tod, den sie verursacht hatte.

Wir fühlten uns seit den Geschehnissen in den Nächten nach den Kämpfen sehr stark miteinander verbunden. Das Tempo, das Elida und ich veranschlagen würden, wäre aber viel zu scharf für Sabine, und wir brauchten so schnell wie möglich Antworten. Im Kampf wäre sie eine unglaublich wertvolle Hilfe. Der wahre Grund, warum ich sie nicht mitnehmen wollte, war jedoch von äußerst egoistischer Art. Alleine der Gedanke, sie zu verlieren, weil ich sie irgendwann nicht gut genug beschützen konnte, drehte mir den Magen um. Ja, ich wollte sie unbedingt dabei haben, aber ich knüppelte diesen Gedanken unbarmherzig nieder.

„Sabine, was erwartest du denn von der Welt da draußen, was glaubst du, was uns passieren wird? Ich sage es dir - wir werden sterben da draußen.“

Sie sah mich mit vor Entsetzen geweiteten Augen an, ich ergriff fest ihre Arme und drückte so fest zu, dass es ihr wehtun musste. Die nächsten Worte schrie ich, unbarmherzig angetrieben von meiner Angst und meinen Gefühlen für sie.

„Was glaubst du denn, was passieren wird? Bist du bereit, für mich zu sterben, bist du das, Sabine? Willst du wirklich sterben, willst du das?“

Ich schüttelte sie heftig und verzweifelt. Ihre Augen füllten sich mit salziger Flüssigkeit, die zu bitteren Tränen wurde und ihre Wangen hinunterlief. Sie sah mich trotzdem fest an und meinte fast kühl:

„Ja, das werde ich, wenn es sein muss.“

Etwas leiser sagte ich. „Ich werde da draußen nicht so schnell sterben, ich werde leben, genau wie Elida. Aber du nicht.“

Ihre Tränen wurden zu einem Schluchzen, bis sie sich an meine Schulter warf und heftig weinte. Ich sprach einfach weiter, ganz so, als würde sie nicht gerade mein Herz in winzig kleine Stücke zerbrechen.

„Wir werden erst mal in den Norden ziehen und dann sehr weit nach Osten. Mitten hinein in die Gebiete, wo wir fast ausschließlich Ork vermuten. Ich glaube nicht, dass dort viele Menschen überlebt haben. Es wird ein sehr harter Marsch werden.“

Sie erzitterte noch heftiger bei diesen Worten, und ich biss mir auf die Zunge, fuhr dann aber fort:

„Es gibt nur eine Chance, und die habe ich nur dann, wenn ich alleine bin, dann kann ich mich vielleicht ungesehen durchschlagen. Elida wird meistens in der Luft und außer Sichtweite sein.“

Sabine verzog ihr Gesicht, als hätte ihr jemand die Brust aufgeschnitten. Sie schrie jetzt ebenfalls, mindestens so wütend wie ich:

„Und was glaubst du, was mit dir da draußen passieren wird, Althea, was glaubt du denn eigentlich? Ich sage es dir, du wirst so lange töten, bis du zu einem Monster wirst. Oder, bis du das Vergessen im Nichts suchst. Und was ist dann mit mir, was glaubst du, was ich dann hier tun soll, eine Scheiß-Witwe für eine beschissene Elfe spielen?“

„Was du tust, das interessiert mich dann nicht mehr. Das ist dein Problem.“

Sie sah mich an, als hätte ich sie gerade geschlagen, und für einen Moment war es mir, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ich sah ihre von Entsetzen geweiteten Augen und wartete regungslos auf ihren finalen Stoß, der mich mitten ins Herz treffen würde.

„Verschwinde von hier, Althea, und lass dich bei mir nicht mehr blicken. Du bist ein herzloses Miststück. Geh. GEH!“

Ich drehte mich um, ging aus ihrem Haus und schloss die Tür. Nicht fähig, auch nur einen weiteren Schritt zu tun, brach ich zusammen, ich fiel auf die Knie und weinte mir die Seele aus dem Leib. Ihr Stoß hatte genau da getroffen, wo ich ihn hingelenkt hatte. Ich hörte irgendwann ihre Schritte im Flur hinter mir, sprang auf und floh, voller Furcht. Dieses Opfer war zu viel für mich, es brach mir das Herz. Aber ich konnte nicht anders; wenn ich sie mit mir nahm, dann würde ich sie genau so sicher töten, als wenn ich ihr gleich hier das Schwert in die Brust rammen würde.

Ich rannte mit tränenüberströmtem Gesicht zu Hans´ Haus zurück. Die Intensität meiner Gefühle für Sabine war unerträglich, ich konnte nur hoffen, dass sie mir irgendwann verzeihen würde. Sie mitzunehmen war viel zu gefährlich für sie. Und hier abzuwarten, bis die Ork irgendwann mit der nächsten Armee kamen, besser vorbereitet und mit richtigen Belagerungsmaschinen, das hätte das gleiche Ergebnis gehabt. Ich wusste genau, dass ich das einzig Mögliche tat, Alternativen gab es keine.

Wieso fühlte ich mich dann nur so schlecht dabei? Ich fühlte mich, als hätte ich gerade mein Herz in kleine Stücke gerissen, meine Brust zog sich voller Schmerzen zusammen und ich bekam kaum noch Luft.

Ich packte meinen Rucksack, inklusive Kettenhemd und meiner gerade frisch geflickten schwarzen Lederklamotten. Das Schwert befestigte ich außen am Rucksack, sodass ich es im Notfall schnell ziehen konnte, dann verabschiedete ich mich von der Dusche und von Hans. Elida sprach ebenfalls gerade mit ihm und bat mich vorauszugehen, sie wollte anscheinend noch einen Moment mit ihm alleine sein. Drachen sind Einzelgänger. Wir sind immer alleine. Da ich mich jedoch weigerte, mich an diese Grundregel zu halten, zog ich Elida mit mir in den Strudel zwischenmenschlicher Beziehungen. Ob ich ihr wirklich damit einen Gefallen tat? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich rannte zum Tor und wollte nur noch diesen Ort hinter mir lassen, den Ort, an dem ich mein Herz zurückließ.

 

 

2. Kapitel: Der Aufbruch

 

Draußen sah ich traurig die wunderschöne und in der Sonne glitzernde Elfenarmee mit einem anderen Stück meines Herzens davon ziehen - Jaritha, der Königin der Elfen. Ich hasste mich dafür, dass ich es nicht einmal hinbekam, mich an ein einziges Herz zu binden. Wenn es doch einfach nur Sex gewesen wäre, wäre alles so viel einfacher. Aber das war es nicht, es war alles so kompliziert und so schwierig.

Sie waren ein wunderbarer Anblick, so stolz, aufrecht und glitzernd in der Sonne. Georg und die zurückgebliebene Petra standen mitten auf dem Feld und winkten dem Heer nach, ich gesellte mich zu ihnen und winkte mit.

Ein Reiter brach aus der Formation aus und galoppierte auf uns zu. Es war Jaritha. Sie zügelte ihr Pferd und sah nachdenklich auf mich herunter. Dann beugte sie sich nach unten und küsste mich vor aller Augen auf den Mund. Vor Überraschung steif stand ich nur da und ließ es mit mir geschehen, ich erwiderte ihren Kuss jedoch sehr schnell und schlang meine Arme um sie. Fast hätte ich sie vom Pferd heruntergezogen.

Petra seufzte laut auf, da löste sich Jaritha von mir und sah ihre Generalin lächelnd an. Sie beugte sich erneut zu mir herunter, ergriff meine Wange und sah mir in die Augen.

„Ich glaube immer noch, es sind wirklich deine Augen.“

Bei ihr war ich mir ziemlich sicher, was es war, es war schlicht und einfach alles an ihr. Sie sah mich streng an.

„Warum hast du geweint?“

„Sabine. Ich glaube, sie braucht dich jetzt, sie hat den Abschied nicht leicht genommen. Ich habe ihr ziemlich weh getan.“

Sie sah mich kurz an, dann pfiff sie lautstark mit zwei Fingern und gestikulierte dem Heer, weiterzuziehen. Dann lächelte sie mich an und meinte: „Mach dir keine Gedanken, Althea, es wird alles wieder gut.“

Dann wuschelte sie mir noch einmal durch die Haare, wendete ihr Pferd und ritt wieder nach Riem hinein. Ich sah ihr traurig nach, verabschiedete ich mich etwas kurz angebunden von Georg und Petra und machte mich wieder auf die Reise.

Ich fragte mich oft, ob in mir nicht nur körperliche Veränderungen stattgefunden hatten, früher war ich eher der häusliche Typ gewesen, ein Stubenhocker. Aber vielleicht hatte ich auch einfach nur mein wahres Ich entdeckt, das Ich, dass sich in einer Welt, die nicht dafür passend war, zurückgezogen hatte. Der Drang, unterwegs zu sein, war ziemlich stark, selbst wenn ich alle anderen Gründe dafür gedanklich beiseiteschob.

‚Drachen sind nun mal so‘, meinte Elida in meinem Geist. Ich zuckte zusammen.

‚Wie kommt es eigentlich, dass du mich ständig belauschst und ich dich nie höre?‘, antwortete ich schlecht gelaunt.

‚Du tust es halt nicht, also, mich belauschen‘, sagte sie mit einem geistigen Schulterzucken. ‚Du solltest lernen, wie man andere aussperrt, wir werden auch unfreundliche Drachen treffen, die möchtest du ganz sicher nicht in deinem Kopf haben. Jedenfalls, wenn du geistig einigermaßen gesund bleiben möchtest.‘ fügte sie düster hinzu.

‚Wie belausche ich jemanden?‘, fragte ich sie, die Ablenkung kam mir gerade ziemlich gelegen.

‚Du denkst intensiv an die entsprechende Person und dann streckst du deine geistigen Fühler aus. Wenn die Person dich nicht bewusst aussperrt, solltest du in der Lage sein, ihre Gedanken zu hören.‘

Ich dachte intensiv an Elida und rief die Schleier herbei. Sie kamen sofort, und dann schickte ich meine geistigen Fühler aus. Ich erreichte Elida sofort. Ich konnte nicht nur ihre Gedanken hören, sondern auch ihre Gefühle. Es fühlte sich fast so an, als wären es meine Gefühle.

‚Elida!‘, rief ich erschrocken aus. ‚Du hättest mich echt warnen oder aussperren können.‘

Sie lachte glockenhell und war offensichtlich sehr zufrieden mit sich. Sie hatte gerade mit Hans im Bett gelegen und ließ sich verwöhnen. Es störte sie nicht im Geringsten, sich dabei mit mir zu unterhalten oder mich ihrem Liebesspiel beiwohnen zu lassen. Ich zog mich zurück, es blieb jedoch ein starkes Gefühl der Erregung in mir zurück, ein Echo ihrer Gefühle. Es reichte mir fürs erste, in die privaten Gefühle von jemandem einzudringen. Vielleicht war genau das ihre Absicht gewesen, die Erregung passte gerade überhaupt nicht zu dem aufgewühlten Rest von mir.

‚Du musst dich immer darauf gefasst machen, etwas mitzubekommen, was du eigentlich nicht wolltest.‘

Ich dachte darüber nach - es gab immer mal trübe Momente, in denen man sehr viel dunklere Gedanken als sonst hatte. Oder auch deutlich kritischere über andere. Wie oft war man kurzzeitig auf jemanden ziemlich sauer, was einen Tag später keine Rolle mehr spielte. Ich widerstand dem Impuls, Sabine oder Jaritha zu belauschen, und konzentrierte mich stattdessen lieber auf meinen Weg. Solange ich nach Norden lief, war sicherlich Geschwindigkeit ein Vorteil, und ich brauchte auch nicht soviel Angst vor marodierenden Ork haben.

Ich beschloss, den Ortschaften erst mal nicht aus dem Weg zu gehen, so wie ich es damals im Grenzland gemacht hatte. Und ich wollte mir ein neues Fahrrad besorgen. Im übernächsten Ort fand ich alles, was ich suchte. Ein kleines Lädchen mit genügend Auswahl. Es gab unglaublich viele verlassene Dörfer und Städte, und die wenigsten waren geplündert, zu viele Menschen waren gestorben, es war so vieles zurückgeblieben, traurige und jetzt nutzlose Überreste unserer einstmals so blühenden Zivilisation.

Ich fand ein einigermaßen schickes Mountainbike und war nun deutlich schneller als zu Fuß unterwegs. Etwas anderes kam für mich nicht infrage, ich musste sehr oft abseits der Straßen und Wege vorwärtskommen, vor allem, wenn die Wege aus irgendeinem Grund unpassierbar waren. Es ist erstaunlich, wie viel Pflege unsere Straßen bekommen hatten, das konnte man jetzt deutlich sehen. Und es waren gerade mal ein einziger Winter, ein Frühling und ein paar Sommermonate gewesen, den die Straßen ohne hatten überstehen müssen. Trotzdem war der Asphalt aufgerissen und oft gab es tiefe Löcher im Teer, durch die sich Vegetation nach oben drückte, die Natur eroberte sich die Räume zurück, die wir ihr genommen hatten.

Ich beschloss, der A9 Richtung Norden zu folgen, den ganzen Weg bis nach Berlin zu fahren und dann irgendwo nach Osten abzubiegen. Es gab außer München noch einige größere Städte auf dem Weg, die ich unbedingt besuchen wollte. Vielleicht konnte ich anderen von unserem Schicksal berichten und sie dazu ermutigen, mit Hans und seinen Leuten oder den Elfen Kontakt aufzunehmen.

Oder im günstigsten Fall sogar mehr über die Ork erfahren. Mir war jedoch auch sehr bewusst, dass es durchaus weiterhin übel meinende oder fremdenfeindliche Menschen gab, vor denen ich mich ebenfalls in acht nehmen musste. Alle Menschensiedlungen bei München waren zum Glück mehr oder weniger demokratisch organisiert, das würde aber sicherlich nicht überall so sein.

Die Machtgier der Menschen war eine starke Triebfeder für sehr viele Gräueltaten, dazu brauchten wir keine Ork.

Ich hatte die A9 bald erreicht und radelte auf der entgegengesetzten Spur Richtung Norden. So viele Autos waren einfach nur stehen gelassen worden, einige waren verbrannt, es gab überall Leichen, die mir eisige Schauer über den Rücken jagten, obwohl sie alle nur noch blanke Skelette waren.

Die Tier- und Pflanzenwelt eroberte sich den Raum zurück, den wir mit moderner Industrie, Ackerbau und Technik besetzt gehalten hatten. Ich sah zarte Pflänzchen, die sich durch Teer hindurch nach oben zum Licht drückten. Es gab wilde Pferde, die ich respektvoll und neidisch betrachtete, ein Pferd war sicherlich ein tolles Fortbewegungsmittel, ich konnte jedoch nicht reiten, und der Gedanke an die großen Tiere war mir unheimlich.

Vielleicht würde ich es irgendwann lernen müssen. Ich war im Moment jedoch ziemlich zufrieden mit meinem Fahrrad.

Ich sah Rudel von Katzen und Hunden, ehemals Haustiere, denen ich weitläufig aus dem Weg ging. Ich konnte mich immer noch nur schwer an die fast völlige Stille um mich herum gewöhnen. Keine Flugzeuge, keine Autos oder andere Motoren, nur die Geräusche der Tiere. Vögel machten aber immer noch den meisten Lärm, bis auf das gelegentliche Heulen eines Hundes.

Am Horizont sah ich eine größere Bewegung. Ich sprang vom Rad und duckte mich hinter ein Auto. Das Fernglas aus meinem Rucksack zeigte mir, dass es sich um zwei Menschen auf Pferden handelte. Keine Ork, etwas beruhigt überprüfte ich, wie locker das Schwert am Rucksack in der Scheide saß. Beruhigt stellte ich fest, dass ich es leicht und schnell herausziehen konnte. Ich zog den Rucksack wieder an und radelte auf die Menschen zu. Irgendwann bemerkten sie mich und hielten ebenfalls an.

Sie zogen die Schwerter und unterhielten sich aufgeregt. Als ich das sah, blieb ich vorsichtshalber ebenfalls erstmal stehen. Irgendwann einigten sie sich anscheinend und steckten ihre Schwerter weg. Sie überprüften beide jedoch genau wie ich noch einmal, ob sie locker genug in der Scheide saßen. Irgendwie beruhigte mich das ein wenig und ich winkte den beiden zu, eine Geste, die sie erwiderten.

Bald waren wir in Sprechweite, ich radelte aber weiter, bis ich dicht vor ihnen anhielt. Ich wartete erst mal darauf, dass sie das Gespräch eröffneten. Einer sagte leise etwas zu dem anderen, was wohl nicht für meine Ohren bestimmt war, allerdings dank meines empfindlichen Gehörs trotzdem ankam.

„Sie ist kein Mensch, sie ist eine Elfe. Was sie wohl hier alleine macht? Elfen sind nie allein.“

„Sie sieht aber nicht gefährlich aus, wenn du mich fragst, eher halb verhungert, außerdem ist sie noch ein halbes Kind.“

Schließlich zügelten sie ihre Pferde und stiegen ab. Einer der beiden hielt die Pferde und der andere kam auf mich zu. Er hatte sein Schwert dabei, hielt aber die Hände fern davon. Ich stieg vom Fahrrad und setzte meinen Rucksack ab, und zwar so, dass ich das Schwert immer noch leicht erreichen konnte. Ich blieb stehen und wartete auf ihn. Er sah sich einen Moment um, der andere zog die Pferde an und kam jetzt ebenfalls auf mich zu, um die Entfernung zu seinem Begleiter zu verringern.

„Hallo, Mädchen, wo kommst du denn her? Suchst du deine Familie?“ Ich war ein bisschen verärgert wegen der Anrede als Mädchen, sie mussten doch mittlerweile auch ein paar Dinge über Elfen gehört haben.

„Mein Name ist Althea, und ich komme aus Riem, München. Ich wurde als Botschafter entsandt, um weitere Überlebende aufzuspüren.“

Er wurde ein wenig verlegen, er hatte bemerkt, dass er mich verärgert hatte.

„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen. Ich heiße Konstantin, und das da hinten ist Achmet.“

Ich blickte kurz genauer hin, er war wirklich südeuropäischer Herkunft. Konstantin hatte kurze Haare, einen längeren Bart und war fast militärisch gekleidet. Er trug Kampfstiefel und hatte auf dem Oberkörper ein geöltes Kettenhemd an, das meinem eigenen sehr ähnelte. Achmet war ebenfalls gepanzert, jedoch nicht so hochwertig und seine Rüstung sah auch leichter aus als meine oder die von Konstantin.

„Wir kommen aus Ingolstadt und haben die gleiche Aufgabe wie du. Wir wollen weitere Überlebende finden und Kontakt herstellen.“

Ich fragte ihn „Habt ihr auch Ärger mit Ork gehabt? Wie viele Überlebende seid ihr denn?“

Achmet hustete, vermutlich wollten sie ihre Zahl geheim halten, das war eine gesunde und verständliche Vorsichtsmaßnahme bei Fremden.

„Wir hatten jede Menge Ärger mit Ork, in letzter Zeit ist es allerdings ruhiger geworden. Wir haben Hunderte von ihnen töten müssen, zum Glück waren sie aber nicht organisiert genug, um uns wirklich gefährlich zu werden. Wir haben einen Stadtteil von Ingolstadt befestigt und alle Überlebenden aus dem Umland eingesammelt.“

Ich erwiderte seufzend:

„Das Glück hatten wir nicht, wir hatten ein gut organisiertes Ork-Heer vor unseren Toren, das uns vor zwei Wochen überfiel, sie waren mehrere tausend Ork stark.“

Es war tatsächlich gerade mal gut zwei Wochen her, es kam mir wie Monate vor.

Er wurde blass.

„Wie habt ihr sie nur besiegen können? Wie viele Überlebende gibt es denn bei euch?“

Ich erklärte ihm, wie wir die Ork geschlagen hatten und dass es mehrere Menschenfestungen und eine Elfenstadt in der Nähe von München gab, Riem, Unterschleißheim und andere. Er war ziemlich beeindruckt und erklärte mir den Weg zur Feste Ingolstadt. Man merkte, wie er Hoffnung schöpfte, als er mit mir sprach.

„Vielleicht sind wir doch noch nicht ganz am Ende, was Achmet?“

Der war inzwischen mit den Pferden nähergekommen und meinte grinsend:

„Gut, dass ihr den Ork in den Arsch getreten habt, bei uns haben sie sehr viele Menschen und Zwerge getötet. Elfen haben wir keine mehr bei uns, diejenigen, die wir hatten, sind alle abgehauen.“

Ich erklärte ihnen, dass alle Elfen zu ihrer Königin gerufen wurden, die in einer aus den Felsen gewachsenen Elfenstadt residierte. Sie waren von meinen Beschreibungen ziemlich beeindruckt, fast so wie ich, als ich Larithin das erste Mal gesehen hatte. Wir verabschiedeten uns schließlich und jeder machte sich wieder auf den Weg, ich nach Norden, sie wohl erst mal nach Unterschleißheim; ich bat sie, Thomas meine Grüße auszurichten - von ihm hatte ich mich nicht mal verabschiedet.

Ich sah die beiden in der Ferne noch mal winken, dann drehten sie sich herum. Plötzlich fiel vor ihnen ein großer weißer Drache aus dem Himmel. Sie brüllte laut und spuckte Feuer, ohne jedoch die beiden zu treffen. Die Pferde stiegen und gingen durch, panikerfüllt.

‚Elida!‘, rief ich laut und konnte nur ihr schallendes Gelächter hören.

Ich war verblüfft - das war ein Scherz von ihr gewesen!

‚Wann, sagtest du gleich noch mal, werden Drachen erwachsen?‘

Sie kicherte.

‚Ach komm, manchmal muss man doch einfach mit dem Essen spielen. Hast du das nie als Kind gemacht?‘

Sie sprach hoffentlich von den Pferden. Offensichtlich hatte ihr Date mit Hans sie übermütig und ausgelassen werden lassen. Drachenhumor war etwas, an das ich mich eindeutig noch gewöhnen musste. Ich konnte die beiden nicht mehr sehen, sie waren hinter dem Horizont verschwunden. Ob sie wohl ihre Pferde laufen ließen oder ihnen noch die Sporen gaben?

‚Erkläre mir lieber, wie man sich abschirmt, damit man nicht belauscht werden kann.‘

Elida wurde nach einer Weile wieder ernst.

‚Du hast recht, wir sollten das jetzt angehen, bevor wir auf andere Drachen treffen. Ich werde zwar versuchen, dich zu beschützen, aber je besser du dich verteidigen kannst, desto besser sind deine Chancen. Also, ein Schild um deinen Geist funktioniert so, wie du ihn dir vorstellst. Und zwar wirklich genauso. Die andere Seite wird sich etwas vorstellen, mit dem sie dein Schild durchbrechen kann, und dann tragt ihr den Kampf aus. Normalerweise versuchen wir jedoch, Kämpfen dieser Art aus dem Weg zu gehen. Oft endet der Kampf tödlich für eine der Parteien. Wenn der Schild nachgibt, greifen die meisten Drachen nämlich zu physischer Gewalt, weil die geistigen Schmerzen zu unerträglich sind und einen in den Wahnsinn treiben. Also, du baust einen Schild auf und ich greife dich danach an, dann testen wir mal, wie gut du bist.‘

Ich rief die Schleier zu mir und stellte mir einen Stahlpanzer um meinen Geist vor, mit doppelter Panzerung, wie der Leopard-zwei-Panzer, der sehr viele Geschosse abhalten konnte.

‚Fertig!‘, sagte ich zu Elida.

Elida zögerte nicht lange und kurz darauf schlug ein riesiges Schwert auf meinen Panzer herunter. Meine doppelte Panzerung wurde beim ersten Schlag fast gespalten und Elida zog erschrocken ihr Schwert zurück.

‚Etwas Besseres hast du dir nicht vorstellen können?‘, rief sie ziemlich laut, offensichtlich war sie fast genauso erschrocken wie ich.

Ich musste umdenken. Ich ignorierte meine Kopfschmerzen und besann mich auf Science-Fiction-Literatur, die ich als Jugendlicher so gerne gelesen hatte. Eine deutlich stabilere Panzerung als Stahl musste her.

Ich rief wieder die roten Schleier zu mir und gab mir einen kurzen Heilungsimpuls. Das schmerzhafte Feuer funktionierte auch bei einigen geistigen Wunden, und sobald ich wieder fit war, ließ der Schmerz nach. Ich stellte mir also ein Metall vor, zäh wie Stahl, aber bei Weitem nicht so nachgiebig. Unitall. Um die Kugel aus Unitall legte ich einen Energieschirm, der elektrisch geladen war. Ich hoffte, dass das jetzt besser funktionierte.

‚Bereit!‘, meldete ich Elida, sobald ich glaubte, soweit zu sein.

Elida schlug wieder mit ihrem Schwert zu. Diesmal war ihre Reaktion völlig anders - sobald sie meinen Schirm berührte, schrie sie schmerzerfüllt auf und verstummte dann. Ich blickte nach oben, sie stürzte ab und fiel ungebremst auf den Erdboden zu. Erschrocken sprang ich vom Rad und rief die Schleier zu mir.

Ich drückte ihren Fall auf eine Wiese und bremste sie, so gut ich konnte, ab. Als sie aufschlug, riss sie trotzdem eine ziemliche Furche in den weichen Boden. Ich sprang wieder auf das Rad und radelte so schnell ich konnte zu ihr. Sie atmete und war zum Glück nur bewusstlos. Ich heilte ihren Geist, so wie sie es mich gelehrt hatte, und versuchte mit meinem Geist zu erkennen, was mit ihr nicht in Ordnung war. Ich fand nichts Auffälliges, hatte aber auch kein Vertrauen in meine dilettantische Diagnose.

Nach einer kleinen Ewigkeit erwachte sie schließlich.

Sie schüttelte verwirrt den Kopf und meinte:

‚Was war das denn, warst du das? Ich hatte das Gefühl, plötzlich einen Stromstoß zu bekommen, aber das sollte es eigentlich nicht geben.‘

Ich war sehr kleinlaut.

‚Es tut mir ehrlich leid, ich habe es nicht mit Absicht getan, ich dachte nur, ich soll den Schirm wirkungsvoller machen, und da habe ich …‘

‚Alles richtig gemacht‘, beruhigte sie mich. ‚Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass jemand in einen Schirm eine Offensivwaffe einbaut, die Idee ist aber wirklich gut. Mach ruhig weiter so, ich lasse mir was einfallen, um deinen Schirm mit meinem eigenen abwehren zu können. Danke fürs Auffangen, meine Knochen tun nicht halb so weh, wie sie eigentlich sollten.‘

‚Das ist das Mindeste, was ich tun konnte.‘

‚Kein Grund für ein schlechtes Gewissen, du hast nur genau das gemacht, was ich dir gesagt habe. Wir Drachen sind gar nicht so zerbrechlich, wie wir aussehen.‘

Sie lachte. Es war alles in Ordnung, sie breitete die Flügel aus und erhob sich in die Luft.

Das war ein Anblick, von dem ich nie genug bekam, Drachen sind wunderschön, majestätisch und dazu noch viel größer als ein Pferd, vielleicht sogar so groß wie ein Schwertwal mit Flügeln. Die Schuppen glänzten in der Abendsonne und ihre weiße Farbe brannte mir förmlich in den Augen. Ich berührte sie, als sie sich in die Luft erhob, ihre Haut war sehr weich, wo sie nicht durch die Schuppen geschützt war. Meine Finger strichen an ihrem Bauch entlang und ich fragte mich unwillkürlich, ob mein eigener Bauch auch so weich sein würde.

 

 

3. Kapitel: Ein Drachentöter

 

Elida spürte meine Berührung sehr genau, dessen war ich mir fast sicher, aber sie sagte nichts dazu. Sie flog etwas dichter um mich herum, ich hatte einen Moment lang das Gefühl, studiert und bewertet zu werden. Dann irgendwann schien sie einen Entschluss zu fassen und sprach zu mir:

‚Althea, wusstest du, dass Drachen ein christliches Symbol für den Teufel sind? Der heilige Georg hat einen Drachen erschlagen und damit das Böse und den Teufel zurückgeschlagen und eine Prinzessin gerettet. Möchtest du wissen, was damals wirklich passiert ist?‘

Ich nickte geistesabwesend, immer noch ein wenig betäubt und sprachlos von ihrer Schönheit. Ich zog mein T-Shirt hoch und sah nachdenklich auf meinen Bauch, der kleine Drache ringelte sich nach wie vor um meinen Bauchnabel. Nachdenklich strich ich sanft darüber. Drachen waren die schönsten Lebewesen der Welt.

‚Ich kann dein Nicken von hier oben nicht immer sehen, Althea‘, meinte Elida ein wenig spöttisch. Sie fuhr aber trotzdem ohne eine weitere Bemerkung von mir mit ihrer Geschichte fort.

‚Nun, der heilige Georg kämpfte tatsächlich gegen eine Drachin, die er gerade aus dem Schlaf gerissen hatte. Er hat ihr seine Lanze in die Seite getrieben und sie damit schwer verwundet, und zwar genau in den ungeschützten Bauch, den du gerade gestreichelt hast. Die Drachin wich in ihre Höhle zurück und verwandelte sich in ihre Menschengestalt. Der einfältige Mann dachte, sie wäre eine von der Drachin gebissene römische Prinzessin und rettete sie vor dem Ungeheuer. Er hat nie den Leichnam des Drachen gesucht, die Rettung war ihm wichtiger, was man dem Einfaltspinsel sicherlich zugutehalten muss. Er pflegte die Prinzessin gesund, die sich in den Trottel verliebte. Er versagte ihr jedoch die Ehe, wegen seiner Religion, sogar damals waren die Priester teilweise schon dem Zölibat verpflichtet. Ein paar Jahre später wurde er von Römern erschlagen. Ich hoffe, ich kann sie dir einmal vorstellen, sie ist eine ziemlich eindrucksvolle Persönlichkeit.‘

Elida verstummte für einen Moment. Ich achtete mittlerweile nicht mehr auf die Tätowierung, Elida hatte mich mit der Geschichte in ihren Bann gezogen.

‚Sie traf irgendwann einmal einen gewissen Hermann von irgendwas, dem sie ihre Geschichte im Schlafzimmer erzählte. Der verfasste daraufhin eine Schrift über den wahren heiligen Georg, die ziemlich nah an den Tatsachen lag. Die katholische Kirche hat die Schrift jedoch verschwinden lassen. Und ja, bevor du fragst, ihr Name war Cornelia, und sie war damals vor fast eintausend Jahren meine Mentorin.‘

‚Meinst du, wir können Rom mal besuchen, also, nachdem wir in Berlin waren oder wo auch immer wir unser Problem finden?‘, fragte ich sie vorsichtig, es kam deutlich über unsere geistige Verbindung herüber, dass sie bei diesem Thema sehr emotional war.

‚Moskau oder noch weiter im Osten, da werden wir unseren wahren Teufel finden, wenn du mich fragst‘, meinte sie nachdenklich, aber ich sah ihr an, sie wäre der Geschichte gerne nachgegangen. Ich fragte mich unwillkürlich, warum sie es nicht schon längst getan hatte, vielleicht hatte sie sich durch den Kontakt mit mir bereits stärker verändert als uns beiden bewusst war. Drachen sind eben Einzelgänger, wir mischten uns nicht in die Belange anderer ein, und wir halfen uns auch gegenseitig nur sehr selten.

‚Hattest du mit Cornelia genauso viel Kontakt wie mit mir, Elida?‘

‚Nein, natürlich nicht. Wieso, bist du eifersüchtig?‘ Ein geistiges Lachen kam zu mir herüber, allerdings auch so etwas wie Bedauern, sie hatte Cornelia offensichtlich sehr gemocht. Ich antwortete ihr nicht, sie kannte meine Gefühle sowieso genau.

Ich stieg wieder auf mein Fahrrad, radelte zurück auf die Autobahn und dann weiter Richtung Norden.

Wir legten noch einiges an Wegstrecke an diesem Tag zurück, aber mir wurde bald klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich zumindest war emotional völlig fertig und am Ende. Ich hatte mir nach der Schlacht keine Pause gegönnt und war sofort wieder losgezogen. Nicht, dass ich eine Wahl gehabt hätte - und nach einer Pause wäre ich niemals von Sabine losgekommen und vermutlich einfach dort geblieben. Außerdem musste ich Elida unbedingt besser kennenlernen, ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, als würde sie ganz drachenunüblich noch sehr, sehr wichtig für mich werden.

‚Hast du eigentlich bemerkt, wie heiß es heute ist? Die Temperaturen scheinen mich nicht wirklich zu stören, aber ich hätte große Lust, eine Runde zu schwimmen, kommst du mit?'

Sie stimmte sofort begeistert zu. Ich hielt an und packte die Karte aus. Der nächste See war in der Nähe von Hagenau, das sah jedenfalls ziemlich vielversprechend aus. Es waren noch ein paar Stunden zu radeln, dann erreichten wir den wirklich herrlich kühlen und wunderschönen See.

Auch hier war alles menschenleer. Es gab ein hübsches Hotel direkt am See, vielleicht konnten wir dort sogar übernachten, wenn die Betten in Ordnung waren. Es gab eine Liegewiese und eine Art Strand, leider ohne Sand. Wie erwartet, war auch hier kein Mensch zu sehen.

Ich sprang vom Fahrrad, setzte den Rucksack ab, zog mich aus, warf die Klamotten auf einen Haufen daneben und rannte ins Wasser. Elida hatte eine Stelle gefunden, die tief genug aussah, und ließ sich einfach ins Wasser fallen. Der Anblick, die weiße Drachin in den Fluten einschlagen und verschwinden zu sehen, war fantastisch und wunderschön. Ich hechtete mit einem Kopfsprung ins Wasser und kraulte so schnell los, wie ich konnte.

Das Wasser war warm, sehr angenehm und unglaublich erfrischend. Ich tauchte und bemerkte erfreut, dass nicht nur meine Lungenkapazität zugenommen hatte, ich konnte auch deutlich besser sehen und meine Platzangst, die ich früher unter Wasser gehabt hatte, war ebenfalls komplett verschwunden. Ich bemerkte etwas überrascht, dass ich im Wasser nach unten sank, wenn ich mich nicht bewegte.

Deshalb wurden also meine Muskeln nicht größer, obwohl ich soviel trainiert hatte, die Muskeldichte und das Körpergewicht nahmen zu. Das Wasser fühlte sich einfach nur großartig an, ich schwamm übermütig auf Elida zu, die vor mir im Wasser planschte. Drachen sind hervorragende Schwimmer, sie können sich mit eingezogenen Flügeln unter Wasser sehr schnell fortbewegen. Ich durfte sogar auf ihr reiten, das war eine überirdische Erfahrung.

Das Beste war aber, als sie mit mir ein Stück in die Höhe flog und mich dann wieder ins Wasser fallen ließ. Ich konnte mich wie eine Katze in der Luft drehen und kam genau so im Wasser an, wie ich es wollte. Es war einfach fantastisch, ich hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr soviel Spaß gehabt. Wir tollten eine Weile gemeinsam im Wasser herum und legten uns dann auf die Wiese zum Trocknen.

Ich sah aus, als hätte ich lange braune Handschuhe an. Die Arme und das Gesicht waren schön braun, der Rest meines Körpers nach wie vor ziemlich weiß. Ich musste mich damit wohl abfinden, viel Zeit zum Bräunen würde ich ganz sicher nicht finden.

‚Elida, wenn wir hier im Hotel schlafen, magst du einkaufen gehen? Dann könnte ich Feuerholz und Kohle suchen, wir könnten uns etwas Leckeres zum Essen machen. Etwas Warmes vielleicht mal zur Abwechslung. Naja, viel mehr als Dosen wird nicht gehen, es sei denn, du siehst … oh. Wie transportierst du eigentlich Dinge?'

‚Gar nicht.' Sie lachte im Geiste.

‚Aber ich kann dir ein Stück Fleisch von meinem Abendbrot abgeben. Wenn es dich nicht stört, das Stück aus einem Tier herauszuschneiden, was ich im Maul gehabt habe.'

Ich überlegte einen Moment und stellte mir dabei Elida mit einer Kuh im Maul vor, aber es störte mich nicht, zu meiner eigenen Verwunderung. Es würde vermutlich nicht richtig umwerfend schmecken, Fleisch musste eigentlich ausbluten, aber ich konnte sicher etwas daraus machen. Ich zog mich an und machte mich auf den Weg in Richtung Hotel, während Elida losflog um sich, also eigentlich uns, etwas zu essen zu besorgen.

Ich ging in das Hotel und schaute mich um. Es war wie die meisten anderen Gebäude verlassen und stand anscheinend seit der Umwandlung leer. Es befanden sich keine Skelette hier, jedenfalls fand ich keins. Es gab immer wieder Plätze und Gegenden, wo die Menschen mit immensem Aufwand ihre Mitmenschen beerdigt hatten, allerdings auch sehr viele, wo das nicht passiert war. Das Hotel hatte eine riesige Küche mit Töpfen, Pfannen, einem Vorratskeller mit eingedostem Gemüse und zahlreichen Gewürzen.

Da ließ sich doch ganz sicher etwas draus machen. Das Leitungswasser funktionierte leider nicht, ich vermutete daher, die Versorgung des Hotels hing von elektrischen Pumpen ab, die ja nicht mehr liefen. Ich holte mir Wasser aus dem See, ein paar leere Kanister fand ich ebenfalls. Als ich noch Grillkohle fand, war ich endgültig begeistert, ich sah mich noch einmal etwas genauer um das Hauptgebäude herum um und fand, was ich gesucht hatte - einen gemauerten Grill.

Der war schnell mit ein wenig Holz und der Grillkohle entzündet. Bald umgaben mich die leckeren Gerüche von gekochtem Gemüse und einem Holzkohlefeuer. Getränke! Das Hotel hatte doch bestimmt einen Weinkeller oder etwas in der Art. Der Topf mit dem Gemüse wanderte noch mal neben den Grill, ich ging wieder hinein und fand schnell einen riesigen Weinkeller. Ich suchte mir einen Spätburgunder für Elida und einen lieblichen Weißwein für mich heraus. Ich fand, sie sah aus wie der typische Rotweintrinker. Eine Flasche halbtrockenen Sekt nahm ich auch noch mit, für den Fall der Fälle.

Champagner hatte das Hotel zwar auch reichlich, den hatte ich aber noch nie gemocht. Gerade rechtzeitig, um von Elida angesprochen zu werden, trat ich aus dem Keller.

‚Komm mal hinter das Hotel, also die Seite entgegengesetzt von deinem Feuer, dem Grill.‘

Ich nahm mir noch schnell ein großes und scharfes Küchenmesser und versuchte mich innerlich zu wappnen. Aber als ich bei Elida ankam, erschrak ich dann doch, vermutlich hatte sie die Kuh schnell getötet, ihre Verletzungen waren hauptsächlich am Hals und am Kopf, trotzdem sah das arme Tier furchtbar aus. Die Kuh blutete kaum, ich konnte mir auch ungefähr vorstellen warum, wollte aber gerade nicht weiter darüber nachdenken.

‚Frühstück' meinte Elida. ‚Heute Abend esse ich mit dir.'

Ich fragte mich, wie das bei Gestaltwandlern überhaupt funktionierte.

‚Kann man als Drache satt werden, wenn man sich als Mensch satt gegessen hat? Und was passiert mit der ganzen Kuh, wenn ich mich nach dem Essen in einen Menschen verwandle?' versuchte ich mich gleichzeitig von dem abzulenken, was ich gleich tun musste.

‚Gute Frage, es funktioniert beides, das kann ich dir versichern. Aber warum es funktioniert, keine Ahnung, ich vermute mal Magie. Vielleicht können wir Drachen genau deshalb ohne Magie nicht existieren', erklärte Elida. Ich hörte jedoch kaum zu. Ich ging auf die tote Kuh zu, ihre Wunden machten ziemlich deutlich, dass Drachen auch sehr scharfe Zähne hatten. Ich schnitt mir ein großes Stück aus dem Rücken, wo ich die besten Teile vermutete. Mir war ein bisschen übel, aber dann stellte ich mir vor, ich würde einfach Fleisch in der Küche zerlegen, danach ging es etwas besser.

Ich nickte Elida nach getaner Arbeit zu, sie nahm die Kuh und versteckte sie in einem hohen Baum.

‚Damit morgen früh noch was davon übrig ist', erklärte sie mir.

Ich war mir nicht sicher, ob ich mich an so etwas als Drache je gewöhnen würde. Wie die Kuh wohl morgen früh aussah? Nun, ich hatte zum Glück noch ein paar Jahre Zeit. Ich brachte das Fleisch zum Grill, machte das Gemüse noch mal warm, gab Elida eins von meinen T-Shirts, und wir genossen einen unterhaltsamen Abend zu zweit.

Das Fleisch schmeckte leicht angegrillt einfach wunderbar, kurz auf beiden Seiten von der Flamme geküsst. Mit rohem Fleisch hatte ich noch nie Probleme gehabt. Je besser das Fleisch war, desto lieber mochte ich es roh. Elida ging es da ganz ähnlich. Ein paar Pommes frites wären nett gewesen.

Ich sah Elida nachdenklich durch mein Weinglas hindurch an.

‚Sag mal, wenn sich Drachen verlieben, wie ist das denn so verglichen mit menschlicher Liebe, also wie schlimm wird es denn so für uns, wenn es schief geht?‘

Sie spuckte ihren Wein hustend auf den Boden und sah mich grimmig an.

‚Du könntest mir eine kleine Vorwarnung geben, wenn du beabsichtigst, die ganz heißen Themen anzuschneiden.‘

Ihre Mine veränderte sich, sie wurde plötzlich ernst und traurig.

‚Ich vermute mal, es ist schon zu spät für dich, aber du solltest der Liebe vielleicht am besten ganz aus dem Weg gehen. Wir Drachen sind nicht wie Menschen, wir sind völlig anders. Wir lieben nicht für eine bestimmte Zeit, wie die Menschen, und dann, wenn einem der Partner zu oft wehgetan hat, oder wenn man einfach nicht mehr möchte, oder wenn man jemand Besseres kennengelernt hat, dann beendet man eine Beziehung und zieht zur nächsten weiter, so geht das bei uns nicht. Leider geht es sogar dann nicht, wenn der Partner stirbt. Wir verlieben uns nicht nur ein einziges Mal, aber wir bleiben auf ewig mit unseren Partnern zusammen. Ich hatte vier Seelengefährten und bin nach wie vor noch mit allen von ihnen zusammen. Ich vermisse sie an jedem einzelnen Tag. Leider sind sie aber alle schon seit vielen Jahren tot. Ein Drache zu sein, meine Althea, das hat ein paar wirklich schöne Seiten, aber leider auch ein paar sehr, sehr dunkle. Vor allem wenn man tötet oder liebt.‘

Ich stöhnte innerlich auf.

‚Ich habe mich bereits verliebt, und zwar in zwei Frauen. Sabine und Jaritha.‘

Elida sah mich nachdenklich an.

‚Echte Homosexualität ist selten bei Drachen, aber wir nehmen das mit den Geschlechtern meistens nicht so genau. Drachen paaren sich, um ganz genau zu sein, mit so ziemlich allem Möglichen, ein alter Drache machte sich mal zur Lachnummer, als er sich in eine Stute verliebte. Das arme Vieh überlebte nicht mal die erste Nacht, es verstarb an einem Herzinfarkt. Zum Glück kam er durch den Schock wieder zu Besinnung. Das Schlimmste am Drachensein ist, dass es kaum einen Drachen gibt, der wirklich bei Verstand ist. Entweder wegen unserer Opfer oder wegen unserer verstorbenen Seelengefährten.‘

‚Ich wurde doch aber als Mensch geboren, meinst du, ich habe das Problem auch genau so?‘, fragte ich hoffnungsvoll. Elida antwortete nicht, sondern zog lediglich die linke Augenbraue hoch. Ich konnte mir die Frage auch so beantworten, es war ja eigentlich ziemlich offensichtlich, wie stark ich mich verändert hatte.

Wir redeten noch sehr viel in dieser Nacht, sehr positiv stimmte mich aber das alles nicht, was mir Elida erzählte. Irgendwann beschlossen wir daher, uns systematisch zu betrinken. Ich trank die ganze Flasche Weißwein, Elida die Flasche Rotwein. Wir unterhielten uns die ganze Nacht, hauptsächlich über Drachen, was Drachen so taten, wie es sich anfühlte zu fliegen, aber auch über die Ork und was wir unternehmen sollten. Es wurde irgendwann kühler, ich holte aus dem Hotel ein paar Decken, Matratzen und Bettzeug. Wir breiteten alles vor dem Grill aus, ich wollte die Stimmung festhalten und nicht dadurch ruinieren, dass wir uns zum Schlafen ins Hotel legten.

Wir leerten die Flasche Sekt noch. Elida hätte lieber einen trockenen gehabt, verzichtete aber, nach einem ziemlich langen philosophischen Vortrag über die Vorzüge von trockenem Sekt, mir zuliebe darauf und wir tranken gemeinsam den halbtrockenen. Ich erinnere mich allerdings nicht mehr so genau an den Rest der Nacht. Irgendwann wurden die Gespräche genau so, wie man es erwarten würde, wenn man zu viel getrunken hat.

Am nächsten Morgen hatte ich Kopfschmerzen und erwachte eng an Elida gekuschelt. Wir waren beide völlig nackt, was ich so gut ich konnte ignorierte. Ich rief die Schleier, bei lebendigem Leib zu verbrennen war durchaus in Ordnung an diesem Morgen, jedenfalls deutlich besser als die Alternative.

Elida stöhnte laut und schmerzerfüllt auf.

‚Oh Gott, ich glaube, irgendwas ist in meinem Mund gestorben.‘

Ich antwortete ihr amüsiert.

‚Meinst du jetzt abgesehen von der Kuh?‘

Sie sah mich wütend an und streckte mir die Zunge heraus. Dann lief sie in Richtung des Sees, splitterfasernackt, wie sie war, und mitten im Sprung verwandelte sie sich wieder in den weißen Drachen. Was zwar nicht sehr elegant aussah, aber dafür nach einer Menge Spaß. Sie schlidderte und hopste durch den schlammigen Bereich am Ufer ins Wasser und genoss offensichtlich ihr morgendliches Bad sehr.

Ich beneidete sie um ihre Unbekümmertheit, bis ich mich an unser Gespräch von letzter Nacht erinnerte. Ich zuckte mit dem Schultern und rannte hinterher. Ich sprang ebenfalls in den See und tollte eine ganze Weile mit ihr herum.

Irgendwann hatte ich genug, packte meinen Kram zusammen und machte mich reisefertig. Ich ließ es mir allerdings nicht nehmen noch ein letztes Mal kurz zu Elida in den See zu hüpfen, das Wasser tat unglaublich gut. Danach kehrte ich zur Autobahn zurück. Auf dem Weg sah Elida ihren Kuhkadaver. Offensichtlich begeistert flog sie auf den Baum zu, holte ihr Essen herunter und fing an, die Kuh zu verspeisen. Der Anblick war ziemlich gruselig, und ich radelte, so schnell ich konnte, weiter.

‚Zu frisches Fleisch ist nicht wirklich gut für uns, zu altes auch nicht. Gewöhne dich lieber dran, oder du wirst später öfter mal hungern müssen.‘

Ich fragte mich, ob Hungern vielleicht gar nicht so schlecht wäre, schalt mich aber gleichzeitig wegen des Gedankens. Ich würde mir eben was einfallen lassen müssen.

 

 

4. Kapitel: Eine Patrouille

 

Ich war schon viel zu nahe herangekommen, als ich den Ork-Trupp endlich bemerkte, der gerade aus einem Wäldchen heranstürmte. Ich war zu sehr in das Gespräch mit Elida versunken gewesen, um meiner Umgebung sehr viel Beachtung schenken zu können.

Das sollte sich jetzt rächen. Es waren sieben Ork, alle gut bewaffnet und gepanzert. Für eine Flucht war es zu spät, sie hatten auch noch drei Bogenschützen dabei, eine kampferprobte Truppe, genauso mörderisch wie alle. Ich sprang vom Rad, zog das Schwert und ließ den Rucksack fallen.

Es gab eine Regel, die ich mir nach all den Kämpfen mit den Ork angeeignet hatte: Wenn du dich zum Kämpfen entschließt, überlege nicht lange. Jede noch so ausgeklügelte Taktik bedeutet deinen Untergang, wenn sie bedeutet, dass du zögerst. Schlag sofort zu, wenn du keinen Plan hast, was du eigentlich tun sollst, dann hilft nämlich nur noch ein Frontalangriff.

Und so machte ich es auch. Ich schrie laut auf und stürmte auf die Ork zu. Das hatten sie schon mal nicht erwartet. Die drei Bogenschützen nahmen nebeneinander Aufstellung und spannten ihre Bögen. Ich rief die Schleier, ergriff einen der Krieger mit meinem Geist und schleuderte ihn so fest ich konnte gegen die Bogenschützen.

Dann war ich in Reichweite des ersten Kriegers, der mir entgegengestürmt kam. Ich ließ mich in vollem Lauf fallen, drehte mich auf den Rücken und rutschte über den Teer durch die Beine des Ork, der lediglich blöde glotzte. Ich rammte ihm mein Schwert nach oben durch den ungeschützten Rücken in sein Rückgrat, er brach zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte.

Ich sprang auf, rief die Schleier, um die brennenden Schürfwunden auf meinem Rücken zu heilen, und begegnete dem nächsten Ork daher mit einem Schmerzensschrei, gefühlt stand mein ganzer Rücken in Flammen. Ich kann mich heilen, es brennt allerdings ziemlich genauso, als ob die Wunden ausgebrannt werden. Ich parierte den Schlag des Ork und konterte mit einem Stich auf sein Gesicht. Er duckte sich schneller weg, als ich je es bei irgendeinem Ork gesehen hatte, und schlug aus der Drehung heraus erneut auf mich ein.

Ich sprang vorwärts auf ihn zu, sodass ich ihm plötzlich zu nahe war und sein Schlag hinter mir ins Leere ging. Aus der Bewegung heraus hieb ich ihm meinen Schwertknauf ins Gesicht und stach mit der Schwertspitze nach einer Drehung um meine Achse nach dem dritten Ork. Der war völlig überrascht und starb mit meinem Schwert im Gesicht.

Als ich auf die vier verbliebenen Ork zurannte, bemerkte ich, dass die Bogenschützen mittlerweile aufgestanden waren und ihre Pfeile in meine Richtung schickten. Dummerweise waren sie ziemlich gut, ich bekam zwei Pfeile in die Brust, die sich wie Hammerschläge anfühlten. Ich schnappte nach Luft, zum Glück wurde ich aber nicht ohnmächtig. Es war wohl kein weiteres Organ außer der Lunge verletzt. Die Schleier setzen automatisch meine Lunge in Brand. Ich atmete reines Feuer, lief aber weiter so gut ich konnte. Die Ork starrten mich völlig entsetzt an, als mich ihre Pfeile anscheinend nicht mal bremsten; ihre nächsten Pfeile gingen prompt ins Leere.

Dann hatte ich endlich die Ork erreicht und mein Schwert wirbelte umher. Vor Schmerzen halb besinnungslos, kannte ich keine Gnade, die Ork fielen unter meiner Klinge wie Korn unter der Sense. Den letzten Ork, den Schwertkämpfer, köpfte ich, obwohl er mit seinem Schwert erfolgreich parierte. Sein Schwert zersprang, als ich mit der vollen Wucht der Schleier zuschlug.

Dann fiel ich auf die Knie.

„Elida, ich brauche dich hier“, flüsterte ich.

Ich griff nach den beiden Pfeilen in meiner Brust, wusste jedoch sofort, dass ich sie niemals herausbekommen würde. Mir fehlte einfach die Kraft und vielleicht auch der Wille, nicht nur die Schmerzen waren unerträglich. Ich sah die toten Ork an und fragte mich, wer hier mörderisch war, einige meiner Tränen hatten nichts mit den Schmerzen zu tun. Sabine hatte völlig recht gehabt mit dem, was sie über mich gesagt hatte.

Elida war mittlerweile schon nahe bei mir, sehr nackt und sehr rothaarig, zu nahe vielleicht.

‚Bereit?‘, fragte sie.

Ich nickte schwach. Sie zog die beiden Pfeile schnell hintereinander heraus, ich konnte es genau fühlen, wie meine Lunge kollabierte und ich in eine Ohnmacht absackte, die ich mit Sicherheit nicht überleben würde. Ich rief die Schleier und meine Lunge brannte sofort wieder, als würde sie erneut in Feuer gebadet. Als die Feuer endlich versiegten, spuckte und hustete ich ziemlich viel Blut. Ich lag eine ganze Weile da auf dem Teer und kämpfte um mein Leben. Mein Hals fühlte sich schlimm an, meine Brust schmerzte, und jeder einzelne Muskel in meinem Körper hatte sich verkrampft, es war furchtbar.

Endlich war ich soweit, mein Gewicht wieder meinen Füßen und meinen Beinen anzuvertrauen, ich rief erneut die Schleier, um meinen wunden Hals zu heilen, und stand wackelig auf. Elida hatte sich einen großen Ast besorgt und schlug damit dem betäubten Ork immer wieder ungeschickt auf den Kopf, sobald der sich bewegte. Ich hob mein Schwert und ging auf ihn zu. Er starrte mich mit vor Entsetzen geweiteten Augen an, als hätte er den Teufel persönlich vor sich. Ich sah an mir herunter, ich war blutüberströmt und sah in der Tat ziemlich gruselig aus. Er schrie etwas in Orkprache, dias ich nicht verstand. Elida ebenfalls nicht, sie zuckte mit den Schultern, als ich sie fragend ansah.

Ich zuckte ebenfalls mit den Schultern und hob mein Schwert. Der Ork hatte wohl begriffen, dass ich ihn nicht verstehen konnte, und wechselte zu Gebärdensprache. Er kniete nieder und hielt seine Handflächen nach oben. Dann schloss er die Augen und wartete auf mein Schwert.

Was nicht kam. Elida war offensichtlich ebenfalls sehr verblüfft, dieser Ork reagierte ganz anders als alle anderen vor ihm. Er war dafür aber mindestens genauso hässlich. Seine unteren Eckzähne standen vor seiner Oberlippe, sein Unterkiefer war deutlich größer als der Oberkiefer. Die Nase war fast nicht existent und er hatte einen sehr kleinen Schädel. Seine Haut war grün, er war völlig verdreckt und stank dermaßen, dass es mich ekelte, ihn anzufassen. Ich nahm ihm sein zweites Schwert und noch ein Messer weg, dann nahm ich ein Seil, das ich bei seinen Kameraden fand, und fesselte ihn.

‚Wenn du ihn irgendwo anbinden willst, dann ist es vermutlich gnädiger, ihn zu töten‘, meinte Elida.

‚Ich weiß, ich weiß, hast du eine bessere Idee?‘, rief ich genervt. Ich wusste selbst nicht, was ich mit ihm tun sollte. Ich nahm ihn mit, schob das Fahrrad erst einmal bis zu einem geeigneten Lagerplatz, wo wir die Nacht verbringen konnten. Ich wusste genau, was mich erwartete - schon bald würde ich vor Müdigkeit zu nichts mehr in der Lage sein.

Elida verwandelte sich vorerst nicht in ihre wahre Gestalt zurück, um bei mir bleiben zu können. Sie wusste sehr genau, was mich in dieser Nacht erwartete. Ich band den Ork an einen Baum, bereitete mein Nachtlager und legte mich hin. Sobald ich lag, fing ich an zu zittern.

‚Elida‘, wimmerte ich.

Sie kam zu mir und nahm mich in den Arm. Die Schlacht, der Kampf mit den Ork, die vielen toten Ork und immer noch Anton, meine Drachennatur schrie auf vor Schmerz, dem Schmerz, den ich Mutter Natur bereitet hatte, indem ich so viele ihrer Schöpfungen getötet hatte. Jeder einzelne der Ork erschien vor meinem geistigen Auge, sie sahen mich aus ihren toten Augen vorwurfsvoll an. Nein, es war noch schlimmer, nicht vorwurfsvoll, sie sahen mich einfach nur blind, gebrochen und voller Verzweiflung an. Der Letzte in der Reihe war schließlich Anton. Meine Seele wollte und konnte diese Schuld nicht auf sich laden. Die Schmerzen waren fast körperlich spürbar, meine verzweifelten Schreie gellten durch die Nacht. Es tut einem Drachen wirklich nicht gut, gegen seine Natur zu handeln.

Endlich erschienen mir Hans und Manfred, die sagten, dass es nicht meine Schuld war und dass ich zu ihnen gehöre. Elida heilte mich so gut sie konnte, die alten Narben waren jedoch ebenfalls alle wieder aufgebrochen. Irgendwann gegen Mitternacht fiel ich in tiefen Schlaf, Elida hatte endlich gewonnen, bis zum nächsten Kampf jedenfalls.

Sie stand auf, das Gesicht vor Zorn verzerrt, und ging auf den Ork zu. Ohne nachzudenken, einfach nur aus reiner Wut, projizierte sie in der Sprache des Geistes auf den Ork: ‚Es ist eure Schuld, allein eure Schuld!‘

Sie schlug dem Ork wütend ins Gesicht. Er blickte sie mehr verblüfft als schmerzerfüllt an.

‚Ihr zwingt sie dazu zu töten, ihr seid schuld, ihr seid schuld, ihr seid schuld!‘

Mit jedem ‚schuld‘ schlug sie ihm wieder und wieder ins Gesicht, sie war völlig außer sich vor Wut.

Dann passierte etwas völlig Unerwartetes, etwas, das ihre Welt in ihren Grundfesten erschütterte. Sie hörte sehr deutlich und glasklar eine Stimme in ihrem Geist, eine Frage, die sie nie wieder vergessen sollte, solange sie lebte.

‚Schuld?‘

Es war nur ein einziges Wort, aber sie wusste genau, woher es kam. Es kam von dem Tier vor ihr, von dem Unaussprechlichen, von dem Gestalt gewordenen Bösen. Und es war eine Frage. Völlig entsetzt sank sie zu Boden, sie war wie betäubt, nicht in der Lage zu denken oder zu fühlen, sie starrte den Ork einfach nur an. Der starrte zurück, mit fast menschlichen Augen, in denen unübersehbar und unleugbar die jahrzehntausendalte Intelligenz der Menschheit glomm.

Sie sah den Ork weiter hilflos an, das war eine Lage, auf die sie nicht vorbereitet war, sie konnte mit dieser Situation nicht umgehen. Also tat sie das Einzige, was ihr im Moment möglich war: Sie tat so, als wäre es nicht passiert. Ich war in einem Tiefschlaf versunken und reagierte so gut wie gar nicht, also zog sie uns beide aus und wickelte mich und sich in den Schlafsack und kuschelte sich an mich.

Der Ork sackte nach einer Weile in sich zusammen. Es wurde für Elida eine sehr unruhige Nacht. Sie schreckte immer wieder hoch und überprüfte den Ork und seine Fesseln. Ich bekam nichts von alledem mit, ich schlief wie ein Stein. Am nächsten Morgen erwachte ich schließlich, es war bereits ziemlich hell, und sah Elida völlig fertig und erschöpft an, trotz der langen Nacht.

„Kaffee!“, krächzte ich, sehr wohl wissend, dass wir keinen hatten.

Sie lachte laut und etwas hysterisch auf, ich war wohl nicht die Einzige, die einen Muntermacher brauchte.

„Althea, gestern Nacht ist etwas passiert. Ich muss dringend mit dir darüber reden.“

Ich wurde sofort hellwach und sah sie aufmerksam an. Elida redete nie in Lautsprache mit mir. Es musste sich um etwas sehr Ungewöhnliches handeln, was auch immer sie von mir wollte.

„Gestern Nacht, als ich dich heilte, da war ich so wütend auf die Ork und alles, was sie dir und deinem Volk angetan haben, dass ich den Ork geschlagen habe. Dabei brüllte ich ihn in der Geistsprache an und er hat klar verständlich geantwortet. Und noch dazu blickte er mich aus intelligenten Augen an. Irgendetwas ist anders mit diesem Ork. Wer weiß, vielleicht haben wir sogar eine Chance, diesem Konflikt auf den Grund zu gehen und mit ihm vernünftig zu reden.“

Ich erstarrte und Bilder meiner Vergewaltigung und der Toten auf dem Schlachtfeld sprangen mir in den Kopf. Der Ork, den ich als Erstes getötet hatte, der mich als Spion bezeichnet hatte. So vieles war passiert, und nichts davon machte wirklich Sinn. Ich zog mich hastig an, ging auf den Ork zu und sah ihn an. Er war in sich zusammengesunken und nicht bei Bewusstsein.

„Mist, komm, hilf mir mal, wir müssen ihn losmachen. Vielleicht haben wir ihn zu fest angebunden.“

Ich löste die Seile bereits, Elida sprang herbei und half mir.

Die Knoten waren sehr fest, er hatte versucht sie zu lösen und dadurch zugezogen. Als wir die Knoten endlich aufhatten, fiel er nach vorne um. Wir legten ihn auf den Rücken und untersuchten seine Wunden.

Er hatte eine ziemliche Beule am Kopf und seine Handgelenke waren wund gescheuert. Ich zog seinen Brustpanzer aus und untersuchte seinen Oberkörper genauer. Er war fast schon lächerlich muskulös, wie ein extremer Bodybuilder. Elida wandte sich angeekelt ab, er stank wirklich zum Himmel. Der Ork war nicht weiter verletzt, ich konnte das Problem nicht erkennen.

„Elida, kannst du aus einer Apotheke Verbandszeug und etwas zum Desinfizieren besorgen?“

‚Natürlich Kindchen, ich bin gleich wieder da.‘

Sie hatte wohl ihren Humor wiedergefunden, sie wusste ganz genau, dass ich Probleme damit hatte, so jung auszusehen, und zog mich gerne damit auf. Der Umgang mit Telepathen und Empathen war nicht immer einfach. Ich sah den Ork nachdenklich an und holte mir mein Schwert, nur zur Sicherheit. Es hatte an der Stelle, an der ich das Schwert des Ork durchschlagen hatte, eine weitere Scharte bekommen.

Es war nicht die Erste, ich verstand nichts von Waffenpflege. Ich hasste das Schwert aber mittlerweile sowieso, obwohl es mir so treu gedient hatte. Zu viele Tote, mit denen ich meine Seele belud, ich musste mir etwas einfallen lassen oder ich würde mich sehr bald selbst zerstören.

Nachdenklich und traurig betrachtete ich die Klinge. Es musste doch eine Möglichkeit geben, sich ohne Schwerter zu wehren, ohne gleich Gliedmaßen oder Köpfe abzuschlagen. Das Schwert hatte mich immer beschützt und seinen Dienst getan, wenn nur der Blutzoll nicht so hoch gewesen wäre.

Mir fiel eine alte Serie ein, es ging um eine Frau, die mit einem Speer kämpfte und das so gut, dass sie niemanden töten musste. Vielleicht konnte ich so etwas auch tun, ich brauchte einen Kampfstab oder etwas in der Art.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739343839
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Drachen Elfen Althea Fantasy Ork

Autor

  • Derik Peterson (Autor:in)

Als großer Fan von Rollenspielen und dem klassischen Fantasy Genre ala Tolkien wollte ich schon immer einmal etwas über unsere Welt schreiben, die in die Situation versetzt wurde, dass Magie funktioniert. Mit der Althea Reihe habe ich damit angefangen, die ersten vier Bände wurden bereits veröffentlicht. Ich weiß noch nicht genau, wo die Reise hinführt. Ich lasse mich von Althea überraschen. Wie immer.
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Titel: Drachen und Ork