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Die Drachenkönigin

Althea 4

von Derik Peterson (Autor:in)
265 Seiten
Reihe: Althea, Band 4

Zusammenfassung

Der vorerst letzte Band der Althea Reihe, hiermit wird die Geschichte abgeschlossen. Althea reist nach Rom um das Erbe von Elida anzutreten, dass sie so lange ihren Freunden zuliebe hinten angestellt hat. Sie muss sich nicht nur den Drachen stellen, und zwar auf eine Art und Weise, wie sie es niemals erwartet hätte, sondern auch noch ihrer eigenen Vergangenheit und ihren Fehlern. Sie macht eine Reise voller Wunder und Entdeckungen in einer Welt, der sie viel zu wenig Beachtung geschenkt hat, und findet sich selbst auf dem Weg. Ihr wahres Selbst.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

Althea 4 - Die Drachenkönigin

 

Ein Roman von Derik Peterson

 

Impressum

Autor: Derik Peterson

AutorEmail: derikpeterson@t-online.de

Herausgeber:

Dirk Jost

Am Mühlbach 5

64853 Otzberg

Deutschland/Germany

 

 

derikpeterson@t-online.de

130 Seite(n)

89984 Wörter

467813 Zeichen

Inhaltsverzeichnis

Buchteaser 2

Rückblick 3

Die wichtigsten Charaktere 5

1 Die Flucht 6

2 Ein Wolf in Österreich 10

3 Eine fast normale Stadt 14

4 Wien 18

5 Standesgemäß 21

6 Der Ball 25

7 Cornelia 31

8 Eine schwere Entscheidung 37

9 Die Königin ist tot, es lebe die Königin 41

10 Ein neuer Anfang 48

11 Jerusalem 54

12 Ein neuer Lehrer 60

13 Larithin 68

14 Die Hochzeit 74

15 Der Beginn einer langen Reise 79

16 Japan 83

17 Eine lange Nacht 90

18 Eine Einladung 95

19 Hayato Kobayashi 99

20 Zu heiß für die Jahreszeit 104

21 Eine Abkühlung und ein Bad 107

22 Australien 112

23 Der grüne Strahl 117

24 Demosthenes 121

25 Die Belagerung 124

Nachwort 128

Anmerkung des Autors 130

Buchteaser

 

Der vorerst letzte Band der Althea-Reihe, hiermit wird die Geschichte abgeschlossen.

Althea reist nach Rom, um das Erbe von Elida anzutreten, dass sie so lange ihren Freunden zuliebe hinten angestellt hat. Sie muss sich nicht nur den Drachen stellen, und zwar auf eine Art und Weise, wie sie es niemals erwartet hätte, sondern auch noch ihrer eigenen Vergangenheit und ihren Fehlern. Sie macht eine Reise voller Wunder und Entdeckungen in eine Welt, der sie viel zu wenig Beachtung geschenkt hat, und findet sich selbst auf dem Weg. Ihr wahres Selbst.

 

 

Rückblick

Das Erwachen

Die Umwandlung trifft die Erde, Elektrizität verwandelt sich in Magie, ein Wechsel, der alle paar hundert Jahre stattfindet. Diesmal jedoch sehr drastisch, mit heftigen Auswirkungen und einem riesigen Sturm unkontrollierter Magie, der auf die Erde einprasselt und die Verwandlung oder den Tod vieler Lebewesen verursacht. Da die Elektrizität bis vor ein paar hundert Jahren unentdeckt war, blieben der Wandel und die Auswirkungen bisher bei den Menschen, bis auf ein paar Hexen und Magieren, immer unbemerkt.

Althea erwacht nach monatelangem Koma, als sie gerade am Verhungern ist. Sie findet sich scheinbar im Körper einer Elfe wieder, der sich jedoch später als Drachenkörper herausstellt.

In einem Kampf um Leben und Tod hilft sie den Menschen in Riem, einer neuen Gemeinschaft aus menschlichen Überlebenden, einen Krieg gegen die Ork zu gewinnen, die sie hasst, seit dem sie von einem ganzen Trupp vergewaltigt wurde. Die Elfen von Larithin stehen den Menschen in dieser Schlacht als Waffenbrüder bei. Sie gewinnt viele Freunde in dieser neuen Welt, unter anderem eine weiße Drachin namens Elida, die Elfenkönigin Jaritha und die Magierin Sabine.

 

Drachen und Ork

Althea findet gemeinsam mit Elida heraus, dass hinter dem Verhalten der Ork mehr steckt, dass die Ork in einem normalen Zustand durchaus noch das alte Bewusstsein der Menschen haben, die sie einmal gewesen waren. Ein Drachenfluch liegt auf den Ork, und dieser Drache ist sehr alt, sehr mächtig und sein Fluch überspannt mehr oder weniger die gesamte Welt.

Die Gefährten Althea, Sabine und der Ork Friedrich machen sich auf die Suche nach dem Drachen, um seinen wahnsinnigen Plan Einhalt zu gebieten. Elida macht sich inzwischen alleine auf den Weg zum Rat der Drachen, um diesen zum Eingreifen zu überreden.

In Prag treffen die Gefährten auf eine andere menschliche Siedlung, die von der wahnsinnigen Branislava beherrscht wird. Diese nimmt Althea und die Gefährten gefangen, da sie in Gesellschaft eines Feindes reisen, die Prager hatten nämlich auch ziemlich unter den Ork zu leiden.

Althea tötet Branislava und flieht mit einer weiteren Gefangenen, einer stark verletzten Orkin, aus Prag. Sie findet heraus, dass die kleine Orkin die Ärztin ist, die sie die ganze Zeit gepflegt hatte, als sie im Koma lag. Sie lernt dort auch alles über Drachenfreunde, das sind Lebewesen, die sich an einen Drachen binden, und der Drache an sie. Sabine und Christin sind bereits Drachenfreunde, und Elida, die die Nachricht überbringt, dass der Drachenrat nicht eingreifen wird, hilft ihnen, den Bund zu besiegeln. Trotzdem kehrt Elida zum Rat zurück und versucht es weiter.

Sie trifft einen weiteren Drachen, Vitalii, der ebenfalls kaum noch bei Verstand zu sein scheint, sie können jedoch ihre Reise ohne größere Blessuren fortsetzen.

Am Ziel angekommen, dem Drachenhort von Archimedes, beschließt Althea ihren Plan umzusetzen, den sie den anderen verheimlicht hat, und sich dem Drachen ohne Aussicht auf Erfolg allein zum Kampf zu stellen. Elida kommt gerade noch rechtzeitig und opfert sich stattdessen, woraufhin Althea von Elida durch ihren letzten Feueratemzug, der bei Drachen eine ganz besondere Magie innehat, vorzeitig in die dritte Entwicklungsstufe gezwungen und so als junge Drachin, und durch schieres Glück, den Kampf gewinnt und Archimedes tötet.

Jaritha, die Elfenkönigin, kommt zu spät zum Kampf, obwohl sie ihr bestes Pferd dabei zuschanden reiten musste, und offenbart ihre Rolle als dritte Drachenfreundin. Der Rat erscheint nun doch noch auf der Bildfläche, allerdings um Althea wegen des Todes zweier Drachen zu richten. In diesem Moment wird die Vier, die Eine ist, geboren. Es ist eine Vereinigung von vier Seelen, die zusammen viel mächtiger als nur die Summe aller vier ist. Sie weist den Rat in die Schranken.

Althea fällt für zwei Tage ins Koma und erkennt, dass ihre, von Elida angestoßene erneute Verwandlung, zu drastischen Veränderungen bei ihr geführt hat, unter anderem ist sie jetzt geschlechtsreif.

Friedrich macht sich auf, um bei den Ork die Botschaft zu verbreiten, was die Gefährten für sie getan haben, und dafür zu sorgen, dass die Ork sich in Zukunft friedlichen Aufgaben zuwenden.

Zuhause angekommen schießt ein übermütiger Soldat einen Pfeil auf die Orkin Christin ab, da er sie als Feind identifiziert und Angst bekommt. Dadurch ruft er die Drachin hervor, die unkontrolliert die Siedlung angreift. Zum Glück überlebt der Soldat, und die Siedlung erleidet nur Sachschäden, allerdings muss Althea vor Gericht.

Althea erkennt endlich, dass ihre Verwandlung noch einige Folgen hatte, die sie einfach noch nicht kannte, und fängt an, sich mit ihrer Drachennatur auseinanderzusetzen, die als eine Art gespaltene Persönlichkeit in Erscheinung tritt.

Der Richter erkennt Altheas Wert und spricht sie frei, woraufhin die Gefährten alle nach Larithin abreisen, wo sie das nächste Jahr in Frieden verbringen.

 

Feuer und Tod

Friedrich Eberhardt wird der Anführer der Ork in Deutschland und muss gegen einen Ork kämpfen, der Krieg gegen alle anderen Rassen führen will. Er kommt mit seinem Heer nach Deutschland, um seine Freunde um Hilfe zu bitten. Althea weigert sich erst, weil sie es nicht ertragen kann, noch mehr Ork zu töten, folgt ihm aber trotzdem, und nicht nur sie, auch Christin und Sabine schließen sich dem Orkheer an.

Als sie das erste Mal auf den Gegner treffen, finden sie heraus, dass der feindliche Ork nur sehr wenige lebendige Gegner zu ihnen schickt, sondern ein Heer von toten Menschen. Ihr Gegner ist ein Totenbeschwörer, der mit Hilfe seiner Magie den Toten ein neues, unnatürliches Leben einhaucht.

Althea findet heraus, dass es ihre Drachenseele nicht verletzt, sondern sogar heilt, wenn sie diese Untoten vernichtet, weshalb sie von da an mit Feuer und Flamme bei der Sache ist. Der erste Kampf geht ziemlich eindeutig aus, was natürlich auch ihr Gegner erkennt. Er erkennt die Gefahr, die von der Drachin und der Magierin ausgehen, und holt zum Gegenschlag aus. Inzwischen erkennt Christin, dass sie den Willen der Göttin vollstrecken kann, für die jeder Untote ein unnatürliches Gräuel ist.

Die Falle schnappt zu, einige Ork nageln Althea mit einer Ballista an einen Baum, lassen sie als tot zurück, und entführen Sabine. Diese soll mental zerbrochen, und dann als willenlose Marionette eingesetzt werden. Althea wird von Friedl und einem anderen Ork von der Ballista befreit und heilt sich im letzten Moment, dann verliert sie vor Erschöpfung das Bewusstsein.

Als sie erwacht, fliegt sie los und befreit Sabine, allerdings nicht ohne ihren Preis dafür zu bezahlen, die Überanstrengung triggert bei ihr ein weiteres Koma, das über ein Jahr zuvor unterbrochen wurde, als Christin sich nicht mehr um sie kümmern konnte und Althea zu verhungern drohte, was sie frühzeitig erwachen ließ.

Christins Erinnerungen erzählen die Geschichte hier weiter, da Althea nicht mehr zur Verfügung steht. Das Heer zieht trotz allem weiter und transportiert Althea auf einer Bahre mit. Als sie Prag erreichen, trifft Christin in einem Krankenhauskeller, den sie nicht als Einzige plündert, die Schwester von Branislava, die sie eingekerkert hatte.

Nathalie sieht ihr ziemlich ähnlich und schließt sich Christin an, da sie hofft, ihre Rache am Tod ihrer Schwester zu bekommen. Christin hofft wiederum, dass sie Nathalie von ihrem Wahnsinn erlösen kann, die eine Elfe ist und so traumatisiert wurde, dass sie den Ruf ihrer Elfenkönigin nicht mehr vernimmt.

Prag wird von den Untoten attackiert und bittet die Ork um Hilfe, obwohl sie eigentlich Angst vor ihnen haben, da sie die Ork noch aus den Zeiten von Archimedes fürchten. Zusammen bekämpfen sie die Untoten, bis es irgendwann zu viele werden und der Kampf schon verloren scheint. In diesem Moment erwacht Althea wieder, als voll ausgewachsene weiße Drachin, und setzt Prag in Brand, wobei die Untoten größtenteils verbrennen und der Rest von ihren Freunden erledigt wird.

Jaritha treibt unterdessen ihr Volk sehr hart an, da sie endlich ihren Teil in dem Krieg gegen die Untoten beisteuern möchte, und die Menschen rüsten in der Zwischenzeit ebenfalls kräftig auf, was von Hans Schmidt, dem alten General der Bundeswehr, geleitet wird. Die drei Heere vereinen sich irgendwann in Polen und stellen sich dem gemeinsamen Gegner. Der hat inzwischen Warschau, die polnische Hauptstadt, fast völlig von den Toten der Apokalypse dort befreit, und so ein millionenstarkes Heer aufgebaut. Ork oder andere lebendige Mitstreiter gibt es außer ihm mittlerweile kaum noch, da sein Wahnsinn immer weiter fortschreitet und die lebendigen Ork, die ihm gefolgt sind, entweder tot oder desertiert sind.

Es kommt zu einer riesigen Schlacht, die Nathalie für die Lebenden entscheidet, als sie ihren eigenen Bruder tötet, der alle Toten gesteuert hat und der Fadenzieher hinter dem Krieg ist. Althea glaubt zu erkennen, dass der Grund für den Krieg der ist, dass sie die Schwester des Totenbeschwörers getötet hat, und will sich das Leben nehmen. Nathalie hindert sie daran und wird so zur Drachenfreundin.

Althea kommt wieder ein wenig zu Sinnen, kann aber mit ihrer Schuld nicht leben und flieht vor ihren Freunden, um sich Elidas Erbe zu widmen und in der Einsamkeit ein wenig Frieden von ihren Schuldgefühlen zu finden.

 

 

Die wichtigsten Charaktere

 

Althea: Weiße Drachin, zweibeinige Gestalt Drachenelfe, weißhaarig und -häutig, goldene Reptilienaugen, Mitglied der Vier, die Eine sind, Geliebte von Sabine, Jaritha und Christin

Elida: Weiße Drachin, zweibeinige Gestalt Mensch, verstorben im Kampf gegen Archimedes

Cornelia: Schwarze Drachin, Mentorin von Elida und ehemalige Geliebte des heiligen Georgs, der versucht hat, sie zu erschlagen und die katholische Kirche ihr vorzog

Archimedes: brauner Drache, völlig wahnsinnig, verstorben im Kampf gegen Althea und Sabine

Clemens: grauer Drache und Magier, sehr gutmütiger Charakter und geistig fast gesund

Vitalii: blauer Drache, zweibeinige Gestalt Mensch, Zigeuner, sehr kräftig und durchtrainiert, charmant und egoistisch

Demosthenes: schwarzer Drache, Sprecher und Vorsitzender des Rats der Drachen

Sabine: Mensch, Magierin, blond und sieht eher wie ein Model als eine Kämpferin aus, sollte aber nicht unterschätzt werden, mächtigste Magierin der Menschen in Deutschland, Mitglied der Vier, die Eine sind

Jaritha: Königin der Elfen, sehr mächtige Kämpferin und Naturmagierin, Mitglied der Vier, die Eine sind

Christin Stadler: Ork, sehr fähige Ärztin und äußerst intelligent, Mitglied der Vier, die Eine sind, Priesterin der Göttin

Petra: Erste Generalin und enge Vertraute und Freundin von Jaritha, Geliebte und spätere Ehefrau von Georg

Georg Schmidt: Mensch, Soldat, erster Freund von Althea in der neuen Welt, treuer Gefährte und aufrichtiger Freund

Hans Schmidt: Mensch, General, hat mit seinem taktischen Genie die Schlacht um Riem für die Menschheit entscheiden können, Vater von Georg

Friedrich Eberhardt: Ork, Drachenfreund und enger Gefährte von Althea, als die nach Polen gereist ist, um Archimedes aufzuhalten, später General der Ork Armee

Branislava: Mensch, ehemalige Anführerin von der Niederlassung Prag

Nathalie: Elf, Schwester von Branislava, war in Ork Gefangenschaft

Vladimir: Ork, Bruder von Branislava und Nathalie, wahnsinniger Totenbeschwörer

 

 

1 Die Flucht

 

Es war deutlich zu kalt für die Jahreszeit und dennoch sah es mir zusätzlich auch noch stark nach einem ungemütlichen Regen aus. Ich flog aber trotzdem immer weiter, genau in diese grauen Regenschleier, Richtung Süden, meinem Schicksal entgegen. Endlich war ich auf dem Weg, den letzten Willen meiner Mentorin zu erfüllen und ihr Erbe anzutreten, das ich so lange aus Liebe zu den Freunden und Drachenfreunden ignoriert und verweigert hatte.

Ich hatte vor einigen Wochen die Stelle besucht, an der sie von Archimedes getötet worden war, seine Höhle, die auch heute noch oft genug meine Albträume heimsuchte, und war in seinem alten Hort auf Vitalii getroffen. Er war ein wunderschön anzusehender blauer Drache und genauso verrückt wie alle anderen seiner Gattung. Unserer Gattung. Er kämpfte mit mir, um sich für etwas zu rächen, was er sich selbst angetan hatte. Am Ende flehte er mich an, die Drachen zu retten und vom Wahnsinn zu erlösen, es gab anscheinend so gut wie keinen Drachen mehr, der noch einigermaßen bei Verstand war. Auch Elida hatte mir, damals als sie noch gelebt hatte, ein wenig darüber erzählt, aber genau wie mit allem Anderen bei Weitem nicht genug, denn unsere gemeinsame Zeit war viel zu kurz gewesen.

Drachen sind die Wächter der Natur, sie müssen die Welt beschützen, und um diese Pflicht zu erfüllen, muss man hin und wieder auch kämpfen, wenn die richtige Zeit dafür gekommen ist. Drachen war es jedoch verboten zu töten, es war wider ihre Natur, ihre Seelen wurden dadurch in kleine Fetzen geschnitten, und der Geist wurde einem krank dabei. Ich hatte es oft genug an mir selbst erfahren. Was Elida und das Erbe mit all dem zu tun hatten, ich hatte nicht die geringste Ahnung, Vitalii glaubte anscheinend jedoch fest an irgendeine Rolle meinerseits in diesem Drama, das sich bereits über viele Jahrtausende hinzog.

Und dann war da natürlich das Versprechen, das ich ihr in dem Moment gegeben hatte, als sie starb. Und vor ein paar Wochen hatte ich sogar noch einmal eine Nachricht der Göttin selbst erhalten, die die Drachen Mutter nennen. Wobei ich mir nie ganz sicher sein konnte, ob das nicht jedes Mal paranoide Wahnvorstellungen gewesen waren. Wer glaubt schon an eine Göttin, wenn man selbst nicht sonderlich religiös war. Und falls ich es gewesen wäre, hätte die Göttin nicht in das christliche Bild gepasst, da Frauen keinen wirklichen Platz im Christentum haben, der darüber hinausgeht, Mutter zu sein oder gut auszusehen. Oder Männer zum Bösen zu verführen.

Auch der Grund dafür verschloss sich mir nach wie vor. Die Drachen waren älter als die Göttin und die Mutter Natur, nicht einmal meine Drachin, also der beim Kampf mit Archimedes abgespaltene Teil der eigenen Persönlichkeit, wusste, warum sie sie so nannten.

Eine gespaltene Persönlichkeit ist nicht gerade ein Zeichen geistiger Normalität, jedenfalls nicht bei Menschen. Ich ignorierte die kleine, aufdringliche Stimme immer wieder, die mir sagte, dass Schizophrenie auch bei Drachen eigentlich nichts Gutes bedeuten konnte.

Der wahre Grund, warum ich nicht mehr bei meinen Freunden war, kam nämlich aus meinem eigenen, tiefsten Inneren. Es war für mich die Rechnung, die ich für meine Taten zahlen musste, die Taten, die ich begangen hatte, als ich versucht hatte, für diese neue Welt zu kämpfen.

Mittlerweile zogen sich die Wolken immer weiter zu, bis ich kaum noch etwas sehen konnte, der einsetzende Regen peitschte in die Augen und nahm mir die Sicht, ich flog daher zunehmend langsamer.

Der Herbst hielt wieder einmal Einzug in dieser merkwürdigen Welt, die schon lange nicht mehr die Meine war. Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz fertig gedacht, als er mich irgendwie auch schon wieder störte und irritierte. Eigentlich war es doch für mich mittlerweile viel eher so, dass diese neue Welt sich für mich deutlich mehr als meine Welt anfühlte, als es die Alte je gewesen war, vielleicht eben weil ich so viel für sie geopfert hatte. Meine Gedanken drehten sich in irren Kreisen, die mir Angst einflößten. Also von vorn.

Der Herbst hielt Einzug in der wunderbaren, schrecklichen, gleichzeitig neuen und alten Welt, die meine wahre Welt war.

Schon besser.

Ich hatte Fehler gemacht, und viele Menschen, Ork und Elfen haben für meine Fehler mit dem Leben bezahlt, auch wenn ich immer mit den besten Absichten gehandelt hatte. Manchmal passieren aber leider die furchtbarsten Dinge, völlig unabhängig davon, mit welchen Intentionen man vorgeht.

Ich hatte eine Frau getötet und damit ihre Familie gegen mich aufgebracht. Ihre Schwester Natalie hatte mir irgendwann mehr oder weniger verziehen, ihr Bruder jedoch war Amok gelaufen und hätte fast die ganze Welt in seiner Trauer mit in den Abgrund gerissen. Am Ende tötete Natalie dann auch noch ihren eigenen Bruder anstelle meiner, da sie mir die Schuld ersparen wollte, noch ein weiteres Mitglied ihrer Familie zu töten.

Unfähig ihr danach in die Augen zu sehen, lief ich davon und brachte möglichst viel räumlichen Abstand zwischen uns. Was leider auch ziemlich viel Abstand zwischen meinen Freunden, den Liebsten und mir bedeutete. Sie zu verlassen brach mir das Herz, aber ich war ebenso wenig, wie ich in der Lage gewesen war, Natalie in die Augen zu sehen, im Moment dazu in der Lage, in die der Freunde zu blicken, nach allem, was ich getan hatte.

Dass sie mir gegenüber keine Vorwürfe artikulierten, machte die Sache nicht besser, die wahre Enttäuschung über mein Versagen lag in den goldenen und geschlitzten Augen, die mich vorwurfsvoll aus dem Spiegel heraus ansahen.

Die Einsamkeit in dem peitschenden Regen und der kalten Wolken legte sich um mich wie ein Mantel, ein alter und abgetragener Mantel, den ich nur zu gut kannte. Ich hieß sie diesmal willkommen, wie einen guten und alten Freund, vielleicht weil ich insgeheim hoffte, dass der Abschied nicht wirklich von Dauer war, sondern dass ich mir irgendwann selbst verzeihen würde und zu den Freunden und Liebsten zurückkehren konnte.

Jetzt gerade genoss ich die Einsamkeit wieder einmal, und sie war schon immer ein vertrauter Begleiter in meinem alten Leben gewesen. Sie gibt einem in diesen Zeiten die Gelegenheit, sich selbst zu finden.

Die Wolken verdichteten sich immer weiter, wurden dunkler und dunkler, ein Gewitter zog auf, direkt vom Süden her, also ausgerechnet genau dort, wo mein Ziel lag. Blitze aus wilder Magie zuckten in der Atmosphäre auf und tauchten die Landschaft in ein geisterhaftes Licht, es war Zeit entweder über die Wolken zu gehen oder sich ein Nachtlager zu suchen. Ich entschied mich für die zweite Alternative und ging hinunter an den Rand eines kleinen Wäldchens, wo ich mir ein einigermaßen ruhiges Plätzchen zum Übernachten unter den Bäumen erhoffte.

Ich zupfte vorsichtig an den Bändern, mit denen eine freundliche Elfenwache, zum Glück, ohne groß Fragen zu stellen, meinen Rucksack an mir festgebunden hatte. Mit einem Ork wäre mir das ohne neugieriges Forschen und eventuell sogar einem Alarm so nicht gelungen. Ich war letztlich mit den Ork emotional am Ende enger als mit den Elfen verbandelt gewesen, die allein schon aus ihrer Natur heraus immer ein wenig distanzierter waren. Die Bänder gingen nicht auf und ich musste sie zerreißen, ich hatte aber nicht wirklich mit etwas anderem gerechnet.

Der Rucksack fiel auf den Boden und ich verwandelte mich in die Elfengestalt, dann sah ich an mir herunter. Mein Blick fiel auf die nackten Füße, viel zu kleine und zierliche Füße, die so gar nicht zu all dem passten, was ich getan hatte. Ich hob die Hände und starrte sie ebenfalls an, sie waren viel zu weich, nicht vernarbt und oder schwielig, die Fingernägel kurz und schmutzig. So gar nicht passend zu meinen Händen, wie ich sie mir insgeheim vorstellte, nach allem, was ich getan hatte.

Der Regen kam inzwischen in Strömen, ich bemerkte es nicht einmal, das Wasser lief mir in die Augen und das Haar wurde gemeinsam mit dem Rest meines Körpers triefend nass. Mir war nicht kalt, Elfen waren nun mal sehr temperaturresistent, selbst Temperaturen nahe dem Nullpunkt empfand ich noch als angenehm warm.

Der Rucksack fiel mir auf dem Boden zu meinen Füßen ins Auge und riss mich aus der Starre. Ich hob ihn auf und ging zur nächsten Baumgruppe, die mir eine einigermaßen trockene Nacht versprach, wo ich ihn nach einem Handtuch und dem zum Glück wasserdichten Schlafsack durchsuchte.

Viel hatte ich nicht eingepackt, nicht einmal das Kettenhemd. Ich hoffte, Sabine würde sich um die Sachen kümmern und sie nicht in einem Zornesausbruch verbrennen, was ich ihr aber auch nicht wirklich hätte verübeln können. Ich trocknete die Haut und die Haare ab und setzte mich auf den Schlafsack, umklammerte die Beine und legte die Stirn auf die Knie. Meine Brust schmerzte, die Ursachen dafür waren allerdings keine körperlichen Beschwerden, sondern rein geistige.

Dann war es auf einmal nicht ganz mehr so dunkel, ein schwaches blaues Licht beleuchtete meinen Körper, und ich war auch nicht mehr allein. Das war etwas, was ich schon seit einer guten Weile mit ziemlich gemischten Gefühlen erwartet hatte. Ich konnte sehr genau drei andere Präsenzen spüren, schweigend und abwartend. Diese Begegnung verlief bereits jetzt schon definitiv nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte.

Vor dem geistigen Auge erschien das wunderschöne Bild von Sabine, die mich mit einem unendlich traurigen Blick ansah. Ihr Gesichtsausdruck zog meine Brust noch enger zusammen, als sie es bereits gewesen war, dann setzte sie an, zu sprechen, in der üblichen Geistsprache, in der sich die Vier schon immer unterhalten hatten.

‚Sag nichts, hör mir bitte erst zu. Die anderen hier verstehen es nicht wirklich, deshalb rede ich diesmal für uns drei hier. Niemand hier macht dir einen Vorwurf, Althea. Ganz im Gegenteil, du hast uns alle gerettet, es war nicht deine Schuld, nichts von dem, was passiert ist, du hättest es nicht verhindern können.‘

‚Ich ...‘

‚Nein, bitte lass mich ausreden. Ich glaube zu wissen, was in dir vorgeht, und ich glaube auch zu wissen, was du jetzt tun musst, und es ist in Ordnung. Geh und heile deine Seele, Althea, und kümmere dich um die Drachen. Und wenn du so weit bist, dann kehre zurück zu mir. Zu uns allen. Natalie richtet dir aus, sie will ihre neue Schwester wiederhaben, und Friedl sagt, dass du gut auf dich aufpassen sollst, sonst kommt er dich mit seinem ganzen Heer holen. Bitte vergiss uns nicht, Althea, es gibt hier sehr viele Leute, die dich sehr lieben. Sag jetzt am besten einfach gar nichts. Ich weiß. Ich liebe dich, meine Althea.‘

Von Jaritha kam ein sehr sanftes und anscheinend schmerzerfülltes: ‚Und ich dich auch‘, dann kam das Gleiche noch leiser von Christin, danach brach die Verbindung der Vier zusammen und ich war wieder allein.

Ich legte den Kopf in den Nacken und heulte wie ein verwundetes Tier meinen Schmerz in die Nacht hinaus, dann sprang ich auf, weil ich gerade nicht mehr so still herumsitzen konnte, und rannte in den Wald hinein, viel schneller, als gut für mich war. Bodengewächse und Dornen zerschnitten meine Beine, die Äste der Bäume griffen peitschend nach mir und zerkratzten Gesicht, Arme und Hände, schlicht und einfach jedes Körperteil, welches sie erreichen konnten.

Der Wind peitschte den Regen in mein Gesicht und trug die Tropfen fast parallel über den Boden, als ob sie nie auf dem Waldboden ankommen sollten, ich sah kaum noch etwas. Immer wieder erhellten Blitze die Umgebung und tauchten sie in ein grelles und unwirkliches Licht, viel heller, als ich es für meine Drachensicht gebraucht hätte.

Ich sprang über einen Bach und rannte immer weiter durch den Sturm und den Wald, bis direkt vor mir ein Blitz aus wilder Magie in einen Baum einschlug. Das alte Gewächs fing nicht an zu brennen, sondern verwandelte sich stattdessen, er wurde plötzlich sehr lebendig und überaus beweglich.

Seine Wurzeln brachen blitzschnell aus dem Boden heraus, umschlagen meine Beine, dann noch den restlichen Körper, zogen sich immer enger zusammen und hoben mich an, so dass die Füße über mir in der Luft hingen. Ich konnte einen entsetzten Schrei nicht verhindern, eiskalte Schauer der Angst überfluteten mich, reichlich Adrenalin schoss mir in die Adern.

Dann zogen die Wurzeln meinen Körper dicht zu dem Stamm und brachten mich wieder einmal dazu, an meinem Verstand zu zweifeln, als der Baum nämlich anfing, mit mir zu sprechen. Er sprach in genau der langsamen und knarrenden Stimme, wie man es sich sie von hölzernen Stimmbändern erwarten würde.

„Sieh mal einer an, Althea die Weiße läuft splitterfasernackt durch meinen Wald und stattet mir einen Besuch ab. Wie überaus freundlich von dir.“

Ich drückte wütend aber völlig ergebnislos gegen seine Äste und zerrte an den Wurzeln, dann antwortete ich ihm zornesbebend:

„Falls du wirklich eine Ahnung hast, wer und was ich bin, dann weißt du auch, dass du gleich ein echtes Problem kriegst, wenn du mich nicht sofort loslässt!“

Gehorsam öffneten sich seine Wurzeln und er lies mich zu meiner Verwunderung tatsächlich ohne einen Widerspruch auf der Stelle los. Misstrauisch sah ich ihn an, als er unbeeindruckt fortfuhr:

„Dieser Wald hat gehört, was Althea die Weiße getan hat, du hast sehr viele Bäume gemeinsam mit Untoten verbrannt. Du sollst wissen, dass die Wälder dir ihre Toten vergeben und dir dafür danken, dass du den widernatürlichen Tod aufgehalten hast.“

Ich starrte ihn völlig verstört an und es dauerte eine ganze Weile, bevor ich dazu in der Lage war zu sprechen.

„Woher willst du den wissen, was alles passiert ist?“

„Wir Bäume tun es, glaub mir, denn wenn man so alt wie wir wird, dann weiß man einfach. Vielleicht kommt es davon, dass wir so viel Zeit haben, die Wahrheit zu sehen.“

Ich schüttelte meinen Kopf, es kam nicht oft vor, dass man von einem Baum angesprochen wurde.

„Dann weißt du sicher auch, dass ich den Totenbeschwörer erst erschaffen habe, weil ich seine Schwester getötet habe.“

Die alte Eiche schüttelte sich so heftig, dass einige Eicheln und Blätter auf den Waldboden rieselten.

„Du musst dich irren, Althea die Weiße, denn Bäume wissen alles, und wir sehen nicht, dass du ihn erschaffen hast. Er folgte nur seinem Pfad, den Pfad, den er erwählt hatte, genauso wie du dem Pfad folgst, den du erwählt hast.“

Ich sah ihn immer noch völlig verwirrt an, ohne dass mir eine einigermaßen intelligente Antwort eingefallen wäre, er setzte seine Rede nach einem kleinen Moment aber auch ohne so fort.

„Wir Bäume bitten dich darum, dass du weiterhin einen Pfad wählst, in dem du der Natur und uns freundlich gesonnen bist, Wächterin.“

Nach diesen Worten verflog die wilde Magie, die alte Eiche erstarrte wieder zu Holz und ich fragte mich unwillkürlich, ob das jetzt ein Traum gewesen war, oder ob ich mich gerade wirklich mit einer Eiche unterhalten hatte.

Das Ende unseres Gesprächs hatte auf jeden Fall eines bewirkt, ich war mir meiner schmerzenden Verletzungen überdeutlich bewusst, daher rief ich die Schleier und heilte mich. Die Heilungsschmerzen waren diesmal sogar durchaus erträglich, aber vielleicht stumpfte ich ja auch den heilenden Flammen gegenüber so langsam ab.

Dann verwandelte ich mich und versuchte, den Baum wiederzufinden, unter dem mein Rucksack lag, was mir zum Glück irgendwann gelang. Und zwar ohne in der Luft von einem der magischen Blitze getroffen zu werden, die gerade mit dem Gewitter weiterzogen.

Ich wusch mich in dem immer noch strömenden Regen und trocknete mich dann erneut ab, bevor ich mich erschöpft in den Schlafsack verkroch, ich zitterte, es war allerdings nicht die Kälte, die meinen Körper erbeben ließ.

Irgendwann schlief ich zwar ein, die Nacht ließ mir jedoch keine Ruhe, ich sah die Gesichter all der toten Soldaten vor mir, der Kameraden, die in der Schlacht um Warschau gefallen waren. Dann tauchte auch noch Natalie auf, die mich immer wieder anbettelte, ihre Schwester doch nicht zu töten. Mein Messer zuckte aber bereits nach vorne und die Klinge verwand jedes Mal in Branislavas Brust, die mich völlig verblüfft anstarrte, ganz genau so, wie es damals wirklich geschehen war. Ich erwachte am nächsten Morgen schreiend und war trotz der unendlichen Müdigkeit und Erschöpfung erleichtert, dass diese grauenhafte Nacht endlich vorbei war.

Zum Glück hatte es mittlerweile wenigstens aufgehört zu regnen, ich packte den Rucksack aus und machte eine kleine Bestandsaufnahme. Schon nach sehr kurzer Zeit war es offensichtlich, dass ich mir einiges an Ausrüstung zu besorgen hatte, ich konnte ja nicht einmal etwas kochen. Ich brauchte auch noch mehr Seile, da ich ja die Seile und Gurte jedes Mal aufbeißen musste, wenn ich den Rucksack als Drache auszog, wenigstens war das aber überhaupt möglich, ihn selber anzuziehen, ging natürlich gar nicht. Ich flickte die Riemen, so gut es möglich war, und hoffte, dass ich irgendwann auf jemanden treffen würde, der mir damit behilflich war, oder ich würde gefühlt Jahre bis nach Italien brauchen.

Ich ging in ein nahegelegenes Dorf, das genauso wie alle weiteren verlassen war, besorgte mir alles, was ich für die Reise alleine noch brauchte, unter anderem auch einen neuen Kompass, denn der Alte war irgendwo verschwunden, und ging dann zu Fuß weiter in Richtung Italien, da ich den Rucksack und meine Ausrüstung nicht zurücklassen wollte.

Ich schätzte die Strecke nach Rom auf knapp zweitausend Kilometer, ich hatte allerdings gestern bereits gut fünfhundert davon geschafft, und wenn ich mich nicht völlig verflogen hatte, dann sollte ich eigentlich irgendwo in der Nähe von Wien sein. Was mir in einer kurzen Pause ein Blick auf eine Karte, die ich in dem Dorf hatte mitgehen lassen, auch bestätigte. Spontan beschloss ich, meinen Kurs in Richtung Wien einzuschlagen und die Stadt zu besuchen, vielleicht traf ich dort jemanden, der mir den Rucksack umschnallte, dann wäre wenigstens die Alpenüberquerung kein Problem mehr.

 

 

2 Ein Wolf in Österreich

 

Es passierte, als ich durch einen Wald lief, ich war eigentlich gerade ziemlich hin und weg, weil die Natur um mich herum wieder einmal so unfassbar lebendig war. Natürlich war sie das die ganze Zeit über gewesen, seitdem ich Drachin geworden war, allerdings oft schaut man eben nicht so genau hin, wenn sich erst einmal die Gewohnheit eingeschlichen hat, aber an diesem Tag tat ich exakt das. Ich sah und hörte richtig hin, wie schon viel zu lange nicht mehr.

Eventuell war es wegen der Begegnung mit dem zum Leben erweckten Baum, oder da es mir gerade nicht sehr gut ging, oder vielleicht einfach, weil ich endlich einmal frei von Zeitdruck unterwegs war, ohne gleich wieder viele Menschen vor dem sicheren Tod bewahren zu müssen. Jedenfalls hoffte ich das, die Drachen würden bestimmt auch ohne meine Hilfe noch eine Weile überleben, Drachen sind doch ziemlich zäh.

So kam es, dass ich den Wolf erst viel zu spät bemerkte, als ich nämlich bereits zu nahe herangekommen war. Er war ganz offensichtlich auf der Jagt, überernährt sah er mir jedenfalls nicht aus. Er knurrte mich zähnefletschend aus dem Gebüsch heraus an, in welchem ich ihn vorher nicht bewusst wahrgenommen hatte, weil ich fasziniert auf einen Bach hinter mir und seine Bewohner geachtet hatte. Ich hatte zwei Möglichkeiten, entweder lief ich vor dem Wolf davon, oder ich kämpfte.

Ich entschloss mich für die Dritte und fing damit an, mich mit sehr langsamen Bewegungen und überaus vorsichtig auszuziehen. Ich hatte noch nie so ein wunderschönes Tier gesehen, außer vielleicht im Fernsehen, sein relativ dünner Sommerpelz war braun, schwarz und weiß gescheckt. Seine Zähne waren weiterhin gefletscht und er knurrte mich immer aggressiver an.

Ich fragte mich, warum er die Drachin nicht wittern konnte, eigentlich hätte ich seiner Nase mehr zugetraut. Die Drachin in mir meldete sich bei diesem Gedanken zu Wort, sie hatte seit unserem Suizidversuch nicht mehr mit mir geredet, ich vermutete, dass sie von mir genauso enttäuscht war, wie es alle anderen waren.

‚Er wittert uns, er ist verängstigt und verwirrt, deshalb knurrt er auch so aggressiv, er überlegt gerade, ob er fliehen oder angreifen soll. Und nein, ich bin nicht enttäuscht von dir, ich versuche, genau wie du, mit der Schuld umzugehen, es ist für uns beide nicht leicht.‘

Ihre Geiststimme klang am Ende sehr leise und niedergeschlagen, wir waren offensichtlich in gleichem Maße unglücklich mit dem, was ich getan hatte. Ich hörte bei dem Gedanken ein energisches und bestimmtes ‚Wir haben das alles gemeinsam getan, nicht du allein!‘, was mir ziemlich guttat, denn es ist gar nicht so schlecht, wenn man mit seinen Sünden nicht ganz einsam dasteht. Vielleicht kommt daher das Krankheitsbild einer Schizophrenie. Ich zuckte jedoch sehr schnell von dem Gedanken zurück, vor allem, da ich mir über meinen eigenen Geisteszustand gar nicht so sicher war.

‚Es ist schön, dass du wieder da bist, ich habe dich vermisst, Kleines.‘

‚Hah, bin viel größer als du, Große. Ich bin ein Teil von dir, ich bin genauso Althea wie du, ich war nie weg, ich werde ständig bei dir sein, für immer und ewig, wir sind untrennbar verbunden. Selbst in dem, was wir tun. Es wäre gut, wenn du uns endlich auch als genau das verstehen würdest, denn es ist essenziell wichtig für uns.‘

‚Ich habe ihr das Messer in die Brust gestoßen‘, meinte ich störrisch zu ihr. In diesem Moment war ich plötzlich wie erstarrt und für eine Sekunde lang war ich zu keiner Bewegung mehr fähig. Ich stand völlig still und starr. Mir wurde sofort klar, was passiert war, die Drachin hatte jede weitere Bewegung unseres Körpers verhindert.

‚Alles, was du tust, hat meine Zustimmung, oder du tust es nicht. Wir tun alles gemeinsam, all die schönen und guten Dinge, aber auch die Fehler begehen wir zusammen.‘

Sie entließ mich aus der Starre, obwohl ich ihr die Antwort schuldig blieb, wonach ich kurz danach endlich die Entkleidung beenden konnte und splitternackt vor dem Wolf stand. Er hatte sich jetzt wohl doch noch für eine Möglichkeit entschieden, und zwar für den Kampf, und kam daher sehr, sehr schnell und grimmig zähnefletschend auf mich zu, und er hatte ein wirklich angsteinflößendes Gebiss. Ich verwandelte mich in meine wahre Gestalt, brüllte ihn sehr laut an und zeigte ihm die eigenen Zähne, die natürlich deutlich größer als seine waren.

Der Wolf reagierte so, wie ich es erhofft hatte. Er blieb kurz stehen, kniff den Schwanz ein, winselte einmal und rannte dann panikerfüllt davon. Selbst ohne Drachenfurcht, und das war gerade vermutlich genau sein Problem, gab es nicht viele Lebewesen auf diesem Planeten, die mir bei einigermaßen heilem Verstand in meiner Drachengestalt alleine entgegengetreten wären, außer vielleicht einem anderen Drachen natürlich.

Ich lachte leise in Gedanken über den eingekniffenen Schwanz des Wolfs und die Drachin fiel prompt ein. Das befreiende Lachen tat uns beiden gut, wir hatten mit einem sehr einfachen Trick dem schönen Tier das Leben gerettet, und das Gefühl war ein klein wenig Balsam auf den tiefen Wunden in meinem Geist.

Natürlich hatte ich mich bei der Verwandlung prompt an einem Baum verletzt, es war zwar ein relativ lichter Wald, ich war aber doch mittlerweile eine sehr große Drachin, und es war einfach deutlich zu eng für die Flügel hier. Ich verwandelte mich zurück und rief die Schleier, um die stark blutende Wunde an meiner Schulter zu heilen, dann wusch ich das blutverschmierte Körperteil, so gut es ging, und zog mich wieder an.

‚Das war aber nicht sehr nett von dir.‘

Die unverkennbar männliche Stimme hallte in meinem Kopf, das glockenhelle und ein wenig piepsige Lachen passte allerdings überhaupt nicht dazu. Ich drehte mich erschrocken herum, hinter mir war jedoch niemand, jedenfalls sah ich zunächst keinen. Ich nahm trotzdem eindeutig eine Präsenz wahr. Ich beruhigte mich und lauschte noch genauer auf meine Drachensinne, was ich schon viel zu lange nicht mehr in dieser Intensität getan hatte, ich fühlte mich in diesen Momenten so ... lebendig.

Irgendjemand war an oder in der Eiche, ob es wieder ein sprechender Baum war? Nein, die Stimme war deutlich zu hoch und nicht so knarrig gewesen. Endlich kam aus einem Astloch ein feenartiges Wesen mit sehr zarten und durchsichtigen Flügeln geflogen, das sogar ein winziges magisches Glöckchen erklingen lies, wenn ich ganz genau hin hörte.

Ich rieb mir die Augen, es beziehungsweise er, hatte eindeutig einen menschlichen Körper, war aber höchstens zehn Zentimeter groß und hatte lange Libellenflügel. Mir wurde in diesem Moment klar, dass die Umwandlung sehr viel mehr neue und fremde Wesen geschaffen hatte, als ich bisher angetroffen hatte.

‚Was hätte ich den sonst tun sollen, ihn darum bitten, zu gehen?‘, antwortete ich ihm ein wenig pikiert, immerhin hatte ich dem Wolf quasi das Leben gerettet, indem ich ihn nicht gefressen hatte.

‚Genau das, selbstverständlich, was den sonst? Du hast eine wirklich merkwürdige Art an dir.‘

‚Er hätte mich doch gar nicht verstanden?‘, fragte ich ihn mit gemischten Gefühlen, seine Antwort war so selbstsicher gewesen.

‚Natürlich versteht er dich, alle verstehen dich, du bist doch Althea, bist du nicht? Vielleicht hätte er die Worte und Gedanken nicht begriffen, aber sehr wohl deine Gefühle.‘

Meine Kinnlade sackte nach unten. ‚Du kennst mich? Woher kennst du mich?‘

‚Wir kennen dich sehr gut, du bist … oh, du bist es gar nicht.‘

Ich fragte mich unwillkürlich, ob einem von uns beiden ein paar Tassen im Set fehlten, den eigenen Geisteszustand hätte ich sicherlich nicht als völlig gesund bezeichnet, seiner war aber anscheinend auch nicht ganz mitten in der Spur. Die Frage war eigentlich nur noch, wer von uns beiden sich wohl weiter weg von der gesunden Mitte bewegte.

‚Was meinst du damit, ich bin es nicht? Ich bin Althea die Weiße, das ist mein Name seit ...‘

‚Seit Anbeginn der Zeit, ich weiß, ich weiß. Ich heiße Elias Wieser und gehöre zum Volk der Faerie, aber du darfst uns auch Feenkinder nennen, falls dir das lieber ist. Erweist du uns die Ehre eines Besuches? Der Älteste würde dich mit Sicherheit gerne kennenlernen, wenn du schon mal hier bist. Bist du auf dem Weg nach Rom oder warst du bereits dort?‘

Schauer liefen mir den Rücken hinunter, keiner konnte das außer meinen Freunden und Vitalii wissen, dass ich auf dem Weg zu Cornelia war.

‚Woher weißt du das denn, wo ich mich hinbegebe und was ich vorhabe, niemand weiß davon?‘

‚Es ist nicht an mir, dir das zu erzählen, der Älteste muss entscheiden, was wir dir mitteilen dürfen und was nicht.‘

Ich sah ihn misstrauisch an, er hatte ganz offensichtlich völlig den Verstand verloren. Ob ich ihm trotzdem trauen konnte? Ich fürchtete mich ein wenig vor ihnen, und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen.

‚Geh ruhig mit ihm mit, er wird dir nichts tun, genau wie die anderen Faerie. Es ist höchste Zeit, ein uraltes Bündnis zu erneuern, das zwischen Drachen und Faerie. Ich habe sie in unseren Erinnerungen gesehen, sie sind immer freundlich zu uns Drachen gewesen.‘

‚Unseren Erinnerungen? Sind es nicht eher Deine ...‘

Der Rest meiner Gedanken ging in ihrem Zorn unter, sie sagte nichts mehr, aber ihre Emotionen kamen so deutlich zu mir rüber, als würde sie vor mir stehen und mich in unserer Drachengestalt anbrüllen.

‚Ich gebe mir Mühe.‘, meinte ich ziemlich kleinlaut. Sie sagte nichts, ihr Zorn loderte jedoch weiterhin so hell wie die Flamme eines Reisigfeuers. Ich erinnerte mich plötzlich an ihre eisige Zustimmung, als wir uns entschlossen, uns in Nathalies Schwert zu stürzen, und sandte ihr meine Liebe und jedes bisschen Hoffnung zu, dass ich in diesem Augenblick noch besaß.

Es beruhigte sie diesmal jedoch nicht sonderlich. Ich hoffte, dass Elias von unserem stillen Zwiegespräch nichts mitbekommen hatte. Die Drachin war echt empfindlich geworden, wenn es darum ging, dass wir zwei getrennte Wesen waren, und nicht wirklich eins, auch wenn wir uns ja eigentlich wohl kaum hätten näher stehen können.

‚Weil du die Verantwortung für die schlimmen Dinge immer allein tragen musst und mich nicht an unserem Schmerz teilhaben lässt. Es ist mehr als nur wichtig, dass wir das alles gemeinsam tun! Du bist unverantwortlich!‘

Ich erkannte in dem Moment endlich die mentalen Barrieren, die ich unbewusst zwischen uns errichtet hatte, und sie so von meiner Schuld aussperrte. Das war wohl die Ursache, weswegen sie so aufgebracht war. Alle die Gefühle, die ich ihr und dem Elfenmädchen gegenüber empfand, das ich geworden war, und die ich beide beschützen wollte, übermannten mich.

Und mir wurde in diesem Moment auch klar, dass ich es alleine nicht schaffen würde. Ich brauchte sie, so dringend wie die Luft zum Atmen, oder wir würden es beide nicht durchstehen, die Last war zu viel für mich derart isoliert. Ich lies also die Mauern fallen und ihr Bewusstsein strömte wie ein Meer in die Regionen meines Geistes, zu denen ich ihr bisher den Zugang verwehrt hatte.

Ich erlebte dabei in einem einzigen Augenblick vieles noch einmal, die Vergewaltigung, die toten Ork, meine gefallenen Freunde und Kameraden und schließlich auch Branislava, Nathalie und sogar Vladimir. Ich fiel auf die Knie und zitterte heftig, die Emotionen waren einfach zu viel für mich. Dann wurde mir plötzlich schwarz vor Augen.

Als ich irgendwann durch tränende Augen Elias erneut sehen konnte, der jetzt direkt vor meinem Gesicht herumflog, ohne dass ich seine Annäherung mitbekommen hatte, hörte ich seine Stimme, die mich wieder ein wenig in der Realität festzurrte.

‚Du bist auch nicht sonderlich fest in der Gegenwart verankert, nicht wahr. Komm mit, vielleicht können wir dir ja dabei helfen.‘

Ich sah ihn völlig perplex an und fing plötzlich lauthals an zu lachen, eine männliche Fee, die gerade mal zehn Zentimeter klein war und wie verrückt kreuz und quer vor meinem Gesicht herumflog, wollte mich in der Gegenwart verankern. Die Situation war genauso unreal wie alles andere, das ich seit der großen Umwandlung erlebt hatte. Er sah mich zu meiner Beruhigung jedoch nicht verletzt an, sondern wartete lediglich gelassen auf Antwort, jedenfalls so ruhig, wie man es von einer ständig hin und her fliegenden Fee erwarten konnte, die einen damit echt kirre machte.

Als ich mich einigermaßen im Griff hatte, nickte ich ihm zu, packte die Sachen zusammen und warf mir den Rucksack über die Schultern. Dann stapfte ich ihm wortlos hinterher, ich war noch nicht dazu in der Lage, zu sprechen, genauso wenig wie meine Drachin, vielleicht hatte sie die pure Menge der angesammelten Schuldgefühle doch ein bisschen unterschätzt.

Ich erhöhte trotzdem bald darauf das Tempo und folge Elias rennend, dem offensichtlich eine schnellere Geschwindigkeit sehr recht war, denn so kam ich wenigstens durch die körperliche Bewegung wieder auf andere Gedanken, genau wie schon so oft davor.

Der Wald um uns herum wurde mit jedem Meter dunkler und dichter, die Äste der Bäume peitschten mir ins Gesicht, als ob sie mich von unserem Weg abbringen wollten. Elias sah sich bereits immer wieder ungeduldig zu mir um, warum ich auf einmal so langsam geworden war. Ich hätte ja ebenfalls fliegen können, meinen Rucksack hätte er allerdings bestimmt nicht auf mir festschnallen können, wenn ich mich verwandelte. Ich war mir auch nicht ganz sicher, ob ich im Flug einem so kleinen Wesen auf dem Waldboden folgen konnte, Drachensinne hin oder her.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir immer tiefer in einen zunehmend dichteren Wald rannten, kamen wir endlich an unserem Ziel an. Ich rief die Schleier, um die Kratzer zu heilen, die der Wald bei mir verursacht hatte, und näherte mich zwei Bäumen, die mit ihren Kronen ein Tor aus Stamm und Blättern bildeten. Direkt dahinter war der Wald in eine unwirkliche Dunkelheit gehüllt, es war fast wie eine Nebelwand aus beinahe schwarzem Rauch, die sich hinter dem Tor auftürmte.

Davor standen zwei Wächterinnen, mit einer silbernen Rüstung und winzigen Schwertern bewaffnet, auf einem Ast. Sobald sie uns wahrgenommen hatten, flog eine der beiden zu mir, bis sie sich direkt vor meinem Gesicht befand, streckte ihre Hand aus und zeigte mir die Handfläche, woraufhin ich gehorsam stehen blieb. Dann sprach sie mich aufgeregt an:

‚Ich erkenne dich, Althea! Du bist hier nicht willkommen, du bringst den Tod mit dir! Oder willst du es etwa bestreiten, dass du den Tod mit dir bringst? Ich kann ihn doch sehen, er sitzt dir direkt auf der Schulter!‘

Ich senkte den Blick und starrte auf den Waldboden, dann antwortete ich auf die einzige Art und Weise, die mir in dieser merkwürdigen Situation ehrlich und angemessen erschien.

‚Du hast recht, Wächterin, der Tod ist seit zwei Jahren ein ständiger Begleiter, und er wird mir weiter folgen, wohin ich mich auch immer begebe. Ich bitte um Verzeihung, ich werde euch meine Anwesenheit nicht aufbürden und auf der Stelle gehen, ich bitte nur darum, dass ich mich genauso in Frieden zurückziehen darf, wie ich gekommen bin.‘

Ich sah sie ernst und aufrecht an, ich glaubte zwar nicht wirklich daran, dass sie mir ernsthaft gefährlich werden konnten, aber derart magische Wesen, die so offensichtlich und natürlich wie sie mit der Magie verbunden sind, hatten mit Sicherheit die eine oder andere äußerst unangenehme Überraschung für diejenigen parat, die ihnen Übles wollten.

Die Wächterin zuckte jedoch bei meiner Bemerkung zurück und beeilte sich, mir etwas ganz anderes und für mich in diesem Moment sogar Befremdliches zu versichern.

‚Wir wollen keinen Krieg mit den Drachen, neinnein, wer will schon Krieg mit den Drachen oder mit den Menschen oder mit den Elfen oder mit den Ork oder gar mit allen zusammen.‘

Sie hob bei ihrer Aufzählung vor jedem *oder* einen neuen Finger und sah diesen dann kopfschüttelnd an.

‚Wer Althea nicht friedlich ziehen lässt, der kriegt einen Haufen Ärger, jaja. Du und der Tod, ihr seid uns heute willkommen, ihr dürft so lange bleiben, wie wir euch ernähren können. Aber bitte füttere den Tod nicht mit Feenkindern, ja?‘

Ihr Blick, den sie mir dabei zuwarf, war zwar nicht flehentlich, er gab mir aber trotzdem deutlich zu verstehen, dass die Faerie sehr traurig über tote Feen wären.

‚Leider ist der Tod, wie schon gesagt, mir ein ständiger Begleiter geworden, allerdings werde ich ihn nicht mit Feenkindern füttern.‘

Sie strahlte mich nach der Antwort dermaßen überglücklich an, dass mir die Bilder all der toten Ork in den Kopf sprangen, die durch meine Hand gefallen waren, und ich erneut ziemlich betreten zu Boden sah. Offensichtlich war ich mittlerweile wirklich das Monster geworden.

Sie winkte die andere Wächterin heran, woraufhin sie sich beide seitlich zwischen mir und den zwei Bäumen in der Luft schwebend platzierten, dann verbeugten sie sich und wiesen mit ihren Händen einladend zu ihrem Baumtor.

Zweifelnd sah ich Elias an, die Ansprache der Wächterin hatte mich doch sehr verunsichert. Er nickte mir jedoch aufmunternd zu und flog voraus, direkt in die düstere Nebelwand hinter den beiden Torbäumen, die irgendwie gar nicht zu dem gerade wieder recht warmen Spätsommerwetter passen wollte.

Ich folgte ihm mit hängenden Schultern, sonderlich wohl würde ich mich sicherlich nicht bei diesem Besuch fühlen. Als ich jedoch endlich durch die dunkle Nebelwand getreten war und dahinter wieder normale Luft anstelle des kalten und feuchten Nebels auf meiner Haut fühlte, erblickte ich einen Anblick, der mich für alle unangenehmen Gefühle entschädigte, und ich kam die nächsten Minuten aus dem Staunen nicht mehr heraus.

 

 

3 Eine fast normale Stadt

 

Die Faerie hatten eine Stadt in den Bäumen errichtet, und zwar nicht so, wie man sich eigentlich eine Stadt vorstellte, sondern vollkommen natürlich in die Bäume eingepasst. Ihre Häuser sahen alle wie gewachsen aus, und nicht wie erbaut, hatten aber alles, was man benötigt. Fenster, Türen, winzige Schlösser, und überall konnte man ein sehr angenehmes Licht sehen, das sanft in vielen verschiedenen Farben leuchtete.

Auf dem Waldboden hatten sie viele kleine Felder angelegt, auf denen sie Ackerbau betrieben, anscheinend kam hier entweder genügend Licht auf dem Boden an, oder sie halfen magisch nach. Überall konnte ich Feenkinder sehen, es waren so viele, viel mehr, als ich es erwartet hätte, es war fast so, als hätte sich ein Dorf komplett verwandelt.

Ich hatte allerdings noch nie von solchen Verwandlungen gehört, also fragte ich Elias danach.

‚Nein, es gibt keine Menschen, die sich in Feen verwandelt haben, jedenfalls weiß ich nichts darüber, wir haben es schon immer genauso wie ihr Drachen gehalten, wir … stimmt, du bist noch zu jung, du hast das noch nie gemacht, dich für eine E-Zeit zurückgezogen, nicht wahr?‘

‚Was ist das, eine E-Zeit?‘

Er hielt kurz an und flog mir direkt vor das Gesicht, vielleicht um mir seine ernste Miene bei diesem traurigen Thema zu verdeutlichen.

‚Das sind die Zeiten ohne Magie, wenn wir uns zurückziehen und die Jahrhunderte schlafend verbringen, es sind die Zeiten der Elektrizität. Du wirst das vielleicht auch noch einmal machen müssen. Wenn du ...‘

Er verstummte mitten im Satz, vielleicht wollte er so etwas sagen wie: wenn du das nächste Jahr überleben solltest. Ich musste unwillkürlich kichern, dann bemerkte ich das fast nicht hörbare Raunen um mich herum, es waren nur Wortfetzen, aber anscheinend geriet der ganze Ort gerade in helle Aufregung.

Was ich definitiv hörte, war unter anderem eine sehr piepsige Stimme, die murmelte:

‚... und wie groß sie ist, und sie riecht nach Drache.‘

Ich war also für die Feen offenbar nicht minder merkwürdig als sie für mich, was mich etwas beruhigte. Elias führte mich zu dem schönsten und größten Baum in der Mitte und bedeutete mir dann, dass ich mich setzen sollte, um auf ihn zu warten. Also warf ich den Rucksack auf eine einigermaßen trockene Stelle, setzte mich darauf, zog die Schuhe aus, um das weiche Moos an den Füßen fühlen zu können, und schloss die Augen.

In ruhigen und tatenlosen Momenten wie diesem, fühlte ich mich mit meinem neuen Körper und meiner neuen Identität völlig im reinen. Sämtliche Zweifel und Schuldgefühle wurden in den Hintergrund gedrängt und ich genoss einfach nur das Gefühl dieses Körpers und meiner Seele.

Die Sinne drängten sich förmlich nach außen und ich fühlte die Natur und die Feen um mich herum, ich spürte sie fast so, als wären sie alle ein Teil von mir, beinahe so wie damals kurz nach dem Erwachen, als ich spontan vor lauter Körperfreude alleine im Regen getanzt hatte.

Dann hörte ich direkt vor mir ein weiteres flüsternd geführtes, mentales Gespräch, die Gedanken kamen bei mir nur sehr, sehr leise an.

‚Sie sieht sehr hübsch aus, aber auch sehr jung. Meinst du, wir sollten sie stören?‘

Ich schlug die Augen auf und richtete mich auf, die beiden Faerie mussten deswegen ein wenig zurückweichen, da sie zu dicht über meinem Gesicht geflogen waren, und lächelte ihnen zu. Der eine war Elias und der andere war ein älterer Mann, allerdings ohne graue Haare oder andere typischen Anzeichen des Alters, sondern eher wie ein Mensch in seinen Mittvierzigern. Ich hegte jedoch den Verdacht, dass er deutlich mehr Jahre als das zählte.

‚Althea, ich grüße dich, mein Name ist Waldemar Baumgartner. Ich heiße dich bei den Feenkindern herzlich willkommen! Um auch gleich auf den Punkt zu kommen, ich würde mich sehr darüber freuen, wenn wir unser altes Bündnis mit dir erneuern könnten, auch wenn du noch gar nicht im Rom gewesen warst.‘

Ich überlegte einen Moment lang, ob ich vielleicht aufstehen sollte, um mich zu verbeugen oder so etwas in der Art, lies es aber dann bleiben, ich war auch so schon groß genug für diese Leute hier. Meine Drachin gab mir die traditionelle Antwort für ihn, ihre Gedanken klangen allerdings ziemlich müde und erschöpft. Ich wollte sie bereits deswegen ansprechen, sie schickte mir aber ein ‚Später‘ zu, und ich musste ihr recht geben, es war schon Elias gegenüber nicht richtig gewesen, ihn so lange warten zu lassen.

‚Ich danke dir für dein Willkommen und deine Gastfreundschaft. Ich werde mich selbst verpflegen und für euch und euren Schutz kämpfen, solange ich euer Gast bin.‘

Waldemar zog seine Augenbrauen hoch und lächelte erfreut, ich hatte die Floskel also richtig wiedergegeben. Da er mich ebenfalls auf Rom angesprochen hatte und auch gleich auf den Punkt gekommen war, vielleicht weil er mich nicht allzu lange als Gast hier haben wollte, stellte ich ihm auch sofort meine brennendste Frage.

‚Ich würde gerne wissen, woher ihr das mit Rom wisst, habt ihr Kontakt mit jemandem von meinen Freunden oder geht das bereits um?‘

Er lachte hell und laut auf, trotz seines Alters klang er ebenfalls eher wie ein Glöckchen als wie ein Mann, dann erklärte er mir ohne Zögern die rätselhaften Worte von Elias.

‚Ich brauche da kein Geheimnis draus zu machen, ihr Drachen wisst es sowieso, auch wenn du es selbst vielleicht noch nicht weißt. Wir Faerie sind nicht sehr stark in der Gegenwart verankert, wir leben zwar im Hier und Jetzt, träumen aber sehr oft von anderen Zeiten. Es ist manchmal sehr schwierig, sich daran zu erinnern, was bereits geschehen ist, und was noch kommen wird. Oder was nicht kommen wird, weil es nicht mehr kommen kann. Die Zeiten sind dieser Tage nicht sehr stabil, oft passieren Dinge, die nicht mehr passieren, es ist doch ziemlich chaotisch.‘

‚Ihr habt also in der Zukunft gesehen, wie ich nach Rom reiste oder von dort zurückkehrte? Könnt ihr mir meine Zukunft weissagen?‘

‚Leider nicht, denn sobald ich sie dir erzähle, und ich erzähle sie dir wirklich gerne, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie sich auch schon wieder ändert. Ich kann dir höchstens von einer möglichen Zukunft berichten, und zwar die, auf die du gerade zusteuerst.‘

Ich sah ihn nachdenklich an, dann überlegte ich einen Moment und dachte an die Weissagung des alten Ork damals vor meinem Kampf mit Archimedes, ob er das gleiche Problem gehabt hatte? Er sah mich weiter geduldig an und wartete auf meine Antwort.

‚Ich würde gerne etwas über meine Zukunft wissen, also die Zukunft, in die ich gerade steuere. Kannst du mir mehr dazu sagen?‘

Er schüttelte lächelnd seinen Kopf, dann nahm er zwei Finger in den Mund und pfiff einen sehr lauten Pfiff, der so hoch war, dass er vermutlich für Menschen gar nicht mehr hörbar gewesen war. Eine weitere Faerie kam kurz darauf angeflogen, es war ein ziemlich junges und hübsches Mädchen, vom Aussehen her eher noch ein wenig jünger als ich. Was aber vermutlich bei ihr nach menschlichen Maßstäben ebenso falsch wie bei mir war, vielleicht sogar noch ein wenig falscher. Sie sah mich neugierig an und fing sofort an zu reden, sobald sie nahe genug dafür war.

‚Du bist es, du bist Althea, und doch bist du noch nicht Althea. Ah, ich weiß, du bist Althea, nicht wahr? Du wirst also noch zu Althea, es ist noch nicht geschehen, nicht wahr, es ist noch nicht geschehen. Aber es wird geschehen. Du musst deinen Weg noch gehen, und die Wächter erlösen. Sonst werden die Wächter nicht mehr Wächter sein, sondern zu den Boten des Untergangs.‘

Ich sah sie überrascht an und blickte hilfesuchend zu Waldemar, der jedoch nur mit den Schultern zuckte, sehr einfach würde das alles hier offensichtlich nicht werden.

‚Wer bin ich, und wer soll ich werden?‘, fragte ich die Fee etwas hilflos. Sie kniff die Augen zusammen und schien mich danach etwas besser zu fokussieren, jedenfalls sah es danach aus.

‚Du bist eine der Vier, die Eine ist. Du bist die Drachin, aber du bist noch nicht Königin. Du darfst ab jetzt nicht mehr die Vier sein, du musst nur noch Althea sein, sonst vernichtest du die Drachen mit deinem Versuch, sie zu retten. Drachen werden sich nur einer Drachin beugen, sonst niemandem, auch nicht der Vier.‘

Dann schien sie mich wieder aus dem Fokus zu verlieren und meinte:

‚Ich grüße dich, Althea die Weiße. Ein neues Zeitalter bricht an, das Zeitalter der Drachen, und du läutest es ein. Du wirst es einläuten, wenn du es einläuten kannst. Vergiss nicht zu läuten, Althea, ALTHEA!‘

Sie starrte mich ein letztes Mal an, mit Augen, die noch verrückter als Nathalies in ihren schlimmsten Zeiten aussahen.

‚Warte, bitte warte auf mich! Kannst du mir nicht ...‘

Ohne ein weiteres Wort flog sie so schnell wie eine Meise auf der Suche nach Getreidekörnern davon und ich schüttelte verwirrt und hilflos den Kopf. Also wandte ich meinen Blick wieder den anderen zu, die beiden Feen zuckten allerdings genauso hilflos mit den Schultern.

‚Sie ist am wenigsten von uns in der Gegenwart verankert, aber kennt daher die anderen Zeiten besser. Viel mehr wirst du nicht aus ihr herausbekommen, hilft dir das irgendwie weiter?‘

Ich sah die Zwei verwirrt an, die Worte der winzigen Fee war in etwa so hilfreich wie eine stumpfe Sense, wenn gerade wieder einmal die Getreideernte ansteht. Ich schüttelte langsam nachdenklich meinen Kopf. Das Einzige, was ich auf jeden Fall daraus ziehen konnte, war, dass ich wohl meine Aufgabe in Rom als Drachin erledigen musste, und nicht auf die Hilfe der Vier bauen durfte, aber das hatte die Göttin ja auch bereits schon angedeutet.

Und irgendwas hatte das alles noch mit einem Job als Königin zu tun, den ich aber auf gar keinen Fall übernehmen würde, das konnte ich allerdings natürlich nicht hier klären, sondern nur in Rom mit Cornelia.

‚Ja, das dachte ich mir schon, die Zeiten sind in Bewegung, waren sie schon immer, und es kommt selten eine wirklich gute Vorhersage dabei heraus.‘

‚Ich danke euch jedoch dafür, dass ihr euch die Zeit für mich genommen habt.‘

Er nickte ein wenig verunsichert, dann lächelte er mich gewinnend an:

‚Um noch einmal zu dem anderen Thema zurückzukehren, das Bündnis?‘

Meine Drachin meldete sich plötzlich wieder zu Wort, und sie war nicht in der allerbesten Stimmung.

‚Das hat echt weh getan, du hättest mich vorwarnen können!‘

‚Das habe ich doch, ich wollte dir das eigentlich gar nicht zumuten, das ist jetzt echt nicht fair ...‘

‚Ich weiß, ich weiß, es war nur ein Scherz. Die Sache mit der Vorwarnung, weh getan hat es in der Tat.‘

Ihr trockener Tonfall dabei sorgte dafür, dass ich mir für eine ganz Weile unglaublich dämlich und humorlos vorkam.

‚Wie auch immer ...‘, fuhr sie nach einem Moment lang fort.

‚... er ist für meinen Geschmack etwas zu interessiert an diesem Bündnis, frag ihn mal, warum.‘

‚Frag ihn doch selbst!‘

Immer noch eingeschnappt überlies ich ihr unseren Körper.

Eines musste ich ihr lassen, sie blinzelte nur kurz überrascht, dann hatte sie sich sofort wieder gefangen und sah die kleinen Feen deutlich unfreundlicher an, als ich es hingebracht hätte, und richtete unsere gedankliche Kommunikation wieder nach außen.

‚Lass uns offen reden, Waldemar, warum seid ihr so scharf auf dieses Bündnis? Wenn ihr gegen das Licht handelt, werden wir jedes Bündnis mit euch lösen, und wenn ihr für das Licht kämpft, dann sind wir sowieso auf eurer Seite.‘

Der Faerie seufzte, sein Lächeln fror plötzlich auf seinem Gesicht ein, dann blickte er zu Boden und fuhr so leise fort, dass ich ihn kaum noch verstand.

‚Ihr steht zu eurem Wort, Althea, egal, in welchem Zustand ihr euch befindet. Wir haben sehr viele Zukünftige gesehen, in denen ihr den Verstand verliert und die ganze Welt mit Krieg überzieht, sehr, sehr viele. Allerdings habt ihr immer euer Wort gehalten, und zwar in jeder Zukunft.‘

Ich erschauerte tief in meinem Innersten und überlegte gerade noch, ob die Idee mit dem Suizid wirklich so dämlich gewesen war, als sie mir die Kontrolle zurückgab, offensichtlich genauso erschüttert wie ich.

Eine Träne rann mir die Wange hinunter, die ich mir zornig wegwischte. Die beiden Faerie vor mir sahen ebenfalls ziemlich erschrocken aus, und Elias zischte dem Ältesten zu, dass ich dafür noch nicht bereit gewesen war. Nun damit hatte er ganz sicher recht. Ich zog meine Schuhe wieder an und erhob mich müde.

‚Waldemar, ihr habt euer Bündnis, ich werde keinesfalls gegen die Faerie in den Krieg ziehen, da habt ihr mein Wort. Wünscht mir Glück, dass wir das Bündnis niemals brauchen werden und dass ich all diesen Zukünftigen aus dem Weg gehe, in denen ich wahnsinnig werde.‘

Ich verwendete absichtlich das merkwürdige Wort, mir war ja klar, worauf sie hinaus wollten.

‚Ich danke euch, eure Majestät. Es wird eine Zeit kommen, da werden wir unseren Teil des Bündnisses erfüllen. Ruft uns, wenn es so weit ist, ihr werdet es wissen!‘

Er sah mir traurig nach, als ich erneut verwirrt den Kopf schüttelte, die Faerie waren eindeutig auf einer ganz anderen Wellenlänge als ich. Also griff ich nach dem Rucksack, drehte mich um und verließ den Ort, der mich bis tief in die Seele hinein erschüttert hatte.

Die dunklen Wolken meiner Zukunft lagen vor mir, und mir wurde in einer geradezu unnatürlichen Klarheit bewusst, dass die Göttin vermutlich noch deutlich mehr von mir erwartete, als ich in meinen schlimmsten Alpträumen befürchtet hatte. Ich nahm mir vor, ein wenig mehr Zeit mit mir selbst zu verbringen, und meiner geistigen Gesundheit ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als ich es bisher getan hatte.

‚Glaubst du, es sind die Schuldgefühle, die uns um den Verstand bringen werden?‘

‚Es ist noch nicht passiert, Kleines, und es wird auch nicht passieren, dafür werden wir zusammen schon noch sorgen. Wer weiß, vielleicht hat sich ja auch schon etwas verändert, als wir unsere Barrieren fallen gelassen haben.‘

Die ungewohnt optimistische Rede fiel mir ziemlich schwer, was sie auch merkte, aber nicht kommentierte.

‚Hah, bin viel größer als du!‘

Auf einmal kam es mir so vor, als würden wir durch eine unsichtbare Barriere treten, aus einem merkwürdigen Gefühl heraus drehte ich mich um, und stellte fest, dass der Ort der Faerie völlig verschwunden war, es war fast so, als wäre er völlig meiner Phantasie entsprungen und nie wirklich da gewesen.

‚Naja, ich denke eher, dass es die Feen echt drauf haben, nicht gesehen zu werden, wenn sie das nicht wollen. Ist aber auch kein Kunststück, wenn man so klein ist, wenn du mich fragst.‘

Ich lachte leise wegen ihrer Bemerkung, es klang fast so, als wäre sie ein wenig neidisch auf die Feenkinder und ihre Magie. Ich fühlte nur das Äquivalent eines Schnaubens auf diesen Gedanken von mir, dann schwiegen wir beide und marschierten nach einem schnellen Check von Karte und Kompass weiter in Richtung Wien. Ich versuchte, das Gefühl von Naturverbundenheit wieder zu erreichen, das mich vor der Unterbrechung mit dem Wolf überkommen hatte, es gelang mir jedoch diesmal nicht mehr.

Stattdessen grübelte ich darüber nach, was die Feen zu mir gesagt hatten. Ob ich wirklich dazu in der Lage wäre, die ganze Welt mit Krieg zu überziehen? Vermutlich, wenn ich genauso verrückt wie Archimedes wäre, aber was trieb eine Drachin zu so etwas?

‚Tote Drachenfreunde', meinte eine Stimme in meinem Kopf grimmig.

Der Gedanke jagte mir eiskalte Schauer den Rücken hinunter. Allerdings hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass die Antwort auf die Frage deutlich komplizierter war, ansonsten hätten mir die kleinen geflügelten Feen doch bestimmt noch einen Hinweis gegeben.

‚Meinst du wirklich?‘

‚Nein, keine Ahnung, sie sind schon echt merkwürdige Leute, was. Vielleicht weil sie genauso außerhalb der normalen Gesellschaft wie wir Drachen stehen, jedenfalls die, die schon E-Zeiten hinter sich haben.‘

Ich grinste breit, der Begriff war eigentlich gar nicht so schlecht.

 

4 Wien

 

Meine Muskeln fühlten sich auf dem Weg eine ganze Weile deutlich unterfordert an, also ging ich in einen leichten Trab über, verschärfte aber schon bald das Tempo noch mal erheblich, was ich dann auch so beibehielt, bis ich den Wald durchquert hatte. Dann stoppte ich kurz und orientierte mich nach den nächstgelegenen Ortschaften bis zur Donau, die nicht mehr weit weg war.

Ich vermied ganz automatisch die Bundesstraßen, bis mir plötzlich klar wurde, dass ich wieder einmal in sehr alte Muster zurückgefallen war, die in diesem Moment aber eher kontraproduktiv waren. Schließlich wollte ich jemanden finden, der mir behilflich sein konnte, und keinen Ork ausweichen, die unter einem Drachenfluch litten.

Ich checkte also erneut die Karte und bewegte mich zur Bundesstraße Sieben, auf der es für mich so in etwa noch eine knappe Stunde bis zur Donau sein würde, wenn ich einigermaßen flott rannte, was ich dann auch tat.

Die Autos waren mittlerweile, zumindest teilweise, schon sehr stark korrodiert. Die Reifen enthielten kaum noch Luft und die Straßen durch Pflanzen und Eis geborsten und wären nur noch sehr langsam oder für geländetaugliche Fahrzeuge befahrbar gewesen, selbst wenn ihre Explosionsmotoren noch funktionieren würden.

Zu Fuß kam ich jedoch ganz gut voran, auch wenn ich hin und wieder Hindernisse umgehen musste. Die Ortschaften waren völlig verlassen, und die Anwesenheit von sehr vielen Skeletten und toten Menschen beruhigte mein Gemüt, anstatt mich wie früher zu beunruhigen.

Niemand war hier mehr unterwegs, die Straßen waren verlassen, nirgends bemerkte ich die Spuren von menschlichen Werken, bis ich endlich die Donau selbst und damit auch Wien erreichte.

Es gab hier die Überreste eines Turms, der wohl vor der Umwandlung so ähnlich wie Florido Tower geheißen haben musste, der völlig zerstört worden war. Es sah für mich zuerst danach aus, als ob es Erdbeben oder eine Explosion gewesen sein musste, dann erkannte ich jedoch, dass er vermutlich schlicht und einfach verbrannt war. Anstelle eines weiteren mystischen Geheimnisses war schlicht und einfach das Fehlen einer Feuerwehr oft die Ursache für viele Zerstörungen dieser Tage.

Die Brücke über die Donau, die ich mir ausgesucht hatte, stand aber zum Glück noch, also ging ich langsam auf die andere Seite und starrte fasziniert auf das klare und saubere Wasser hinunter. Die Donau sah, ganz ähnlich wie die Moldau, völlig ungetrübt und sehr fischreich aus. Man konnte problemlos sehr viele silbrig glitzernde flossenbewehrte Rücken sehen, die sich pfeilschnell und gewandt durch das Wasser bewegten.

Ich streckte die Arme aus und lies mich von der frischen und warmen Sommerluft trocknen, auch Drachenelfen schwitzen, wenn sie kilometerweit im Sommer auf einer heißen Teerstraße entlang laufen. Verträumt sah ich auf den Fluss hinunter und überlegte noch, ob ich vielleicht ein Bad nehmen sollte, als mir plötzlich ein Mann auf der Brücke entgegen kam.

Meine erste Reaktion war, nach dem Schwert zu greifen, allerdings griff ich natürlich ins Leere, da ich mein Schwert gar nicht mitgenommen hatte. Es lag entweder in unserer Wohnung in Larithin oder Sabine hatte es an sich genommen, ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, ob sie in Larithin nur unsere Stäbe oder auch noch meine alte Waffe eingesteckt hatte, als sie für uns beide gepackt hatte.

Einen Kampfstab hatte ich natürlich ebenfalls keinen dabei, eigentlich war ich für das Kämpfen genau so ausgerüstet, wie ich gerade den Kampf suchte, nämlich gar nicht. Ich runzelte die Stirn, dachte an Branislava und den schicksalhaften Kampf damals, erinnerte mich an ihren Kerker und zog meine Augenbrauen hoch. Verunsichert blieb ich stehen, wie sollte ich eigentlich auf jemanden reagieren, der mir gegenüber so aggressiv wie sie damals auftrat?

Mich auszuziehen, was immerhin nach wie vor bei Menschen etwas Peinliches an sich hatte, und es genauso halten, wie ich es bei dem Wolf getan hatte? Ich hatte mir zwar sehr viele Gedanken darüber gemacht, was ich alles falsch gemacht hatte und was ich besser nicht hätte tun sollen, allerdings hatte ich mir vielleicht noch zu wenig Gedanken über echte Alternativen gemacht. Der Mann war voll gerüstet, er trug nicht nur Kettenhemd und -hose, sondern zusätzlich auch noch Stahlschienen und Brustpanzer.

Er hatte ein merkwürdiges Wappen auf dem Brustpanzer, und zwar einen schwarzen, doppelköpfigen Adler auf weißem Grund. Auf der Brust des Adlers waren wiederum einige Flaggen angedeutet, von denen ich drei sofort erkannte, die Flagge der Bundesrepublik, der Schweiz und die von Österreich. Sein Schild war wunderschön bemalt und trug das gleiche Wappen, und die ganze Rüstung machte auf mich den Eindruck, als ob sie noch nie benutzt worden wäre.

Ich entspannte mich ein wenig und zwang mich zur Ruhe, der Orkkrieg war schon lange vorbei, und es war nicht mal klar, ob hier in der Gegend überhaupt jemand gekämpft hatte. Außerdem hatte ich diesmal auch keine Ork dabei, ich war schließlich völlig allein und unbewaffnet, also baute ich vorerst einmal darauf, dass mich niemand angreifen würde, und wenn doch, dann würde ich mich eben waffenlos wehren müssen. Oder im allerschlimmsten Fall verwandeln, was ich mir aber als allerletzte Option aufhob, eventuell reichten ja auch schon das Drachenmal als Beweis und eine Drohung.

Der Soldat war offenbar genauso verunsichert immer langsamer gegangen, nachdem ich stehen geblieben war. Ich ging daher wieder los und lief möglichst entspannt auf ihn zu, wobei ich noch zusätzlich versuchte ein Lächeln auszusetzen und nicht allzu grimmig drein zu schauen, auch wenn er noch ein Stück entfernt war. Ich konnte sein Gesicht bereits gut erkennen, seinen Helm trug er nämlich in der schildlosen Hand, sonderlich kampfbereit wirkte er wirklich nicht auf mich.

Ich hob meine Hand grüßend, eine Geste, die er freundlich erwiderte, den Rest des Weges musterten wir uns offensichtlich gegenseitig gleichermaßen neugierig. Mir wurde bei dem Anblick seiner piekfeinen Rüstung überdeutlich bewusst, dass ich eine ziemlich schmutzige und zerrissene Jeans trug, total verschwitzt war und sich auch mein T-Shirt in keinem besseren Zustand befand. Meine Schuhe sahen genauso übel aus, mein Rucksack hatte auch schon bessere Zeiten gesehen, und meine Haare passten durchaus zu dem Rest meiner Erscheinung.

Vermutlich sah ich im Großen und Ganzen wie eine lausige Pennerin aus, und wenn er Elfen und ihre Verbundenheit als Rasse nicht kannte, was ihn zu einem falschen Schluss bewegt hätte, dann würde er auch zu genau diesem Eindruck kommen.

Ich zuckte innerlich mit den Schultern, bis auf die Befriedigung einer gewissen Neugier wollte ich nichts von diesen Leuten, wer auch immer sie waren, wenn überhaupt dann noch ein bisschen Hilfe mit den Riemen, um den Rucksack auf meiner Drachenschulter zu befestigen.

Also strahlte ich ihn entspannt mit meinem gewinnendsten Lächeln an und reichte ihm die Hand, die Knöchel intuitiv wegen seiner Erscheinung ein wenig nach oben gedreht, als ich ihn endlich erreichte. Er erwies sich als braver Ritter mit Manieren, klemmte sich den Helm unter die Achsel, zog den Handschuh aus, ergriff meine Hand ebenfalls lächelnd mit seiner bloßen Hand, verbeugte sich und küsste mich tatsächlich auf meine Finger. Es war mein erster Handkuss, den ich da gerade erhielt, und ich war völlig von den Socken.

„Grüß Gott, gnädige Frau, ich entbiete euch ein herzliches Willkommen in Wien.“

Sein Dialekt war genauso wienerisch, wie ich es von dem Ober eines jener berühmten Wiener Cafés erwartet hätte, denen es gelang, einem bei einer Bestellung eines Kaffees und eines Stück Kuchens das Gefühl zu geben, man würde sie gerade bei etwas sehr Wichtigem stören.

„Seid ihr auf der Durchreise oder möchtet ihr den Hof des Kaisers besuchen, oder vielleicht sogar um eine Audienz bei ihrer Majestät ersuchen?“

Das Lächeln fror mir bei dem, was er da sagte, auf dem Gesicht ein, er konnte das nicht ernst meinen, ein echter Kaiser in deutschen beziehungsweise österreichischen Landen? Das konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten, allerdings hatte er mit seiner Bemerkung nicht nur Misstrauen hervorgerufen, sondern auch meine Neugier geweckt, ich würde mir also auf jeden Fall diesen Imperator einmal ansehen müssen. Vielleicht konnte ich mich ja irgendwie durchmogeln, um zu einer Audienz zu kommen, im schlimmsten Fall musste mich Jaritha eben zu einer Art elfischer Botschafterin oder so ernennen, wenn ich mit ihrer Majestät, dem Kaiser, überhaupt nicht weiter kam.

Wobei das eine Kontaktaufnahme mit meinen Drachenfreunden bedeutete, die ich gerne noch vermieden hätte, bis die Stimmung ein wenig abgekühlt war, und zwar vor allem Jarithas.

Ich musterte den Grafen neugierig, er war durchaus einigermaßen kräftig gebaut, hatte volles, hellblondes Haar und war allerhöchstens dreißig Jahre alt. Er machte auf mich nicht unbedingt den Eindruck eines kampferprobten Veteranen, sondern eher wie jemand, der ein gutes Leben genoss und ein wenig Sport dabei trieb, aber vielleicht irrte ich mich ja auch mit dieser Einschätzung. Trotzdem schenkte ich ihm erneut mein schönstes Lächeln und meinte:

„Eine Audienz, ja, das wäre durchaus angebracht, natürlich allerdings erst, sobald ich einigermaßen angemessen gekleidet bin. Mit wem habe ich denn das Vergnügen, mein edler Ritter?“

Ich zuckte innerlich vor mir selbst zusammen, das war dann aber auch schon so ziemlich alles, was ich mir in einer so geschwollenen Sprache zutraute. Ich wünschte mir, dass der Hof weniger formell war, allerdings machte ich mir trotz des Holocaust keine ernsthaften Hoffnungen, immerhin war ich hier in Wien.

Er verbeugte sich erneut und stellte sich vor:

„Leider noch kein Ritter, ich bin der Graf Ferdinand von und zu Florido, das ist die Provinz auf der anderen Seite der Brücke. Ich war eigentlich auf dem Weg in meine Grafschaft, um nach dem Rechten zu sehen, allerdings habe ich jetzt selbstverständlich erst einmal die ehrenvolle Pflicht, euch zur Hofburg zu begleiten. Darf ich euch den Rucksack abnehmen, meine ehrenwerte Dame?“

Ich ließ mir nichts anmerken, obwohl ich mir echt ein Lachen verkneifen musste. Ich wusste sehr genau, dass dieser Rucksack ziemlich schwer war, vor allem für menschliche Verhältnisse, und der Bursche trug bereits eine Rüstung, die sicherlich fünfundzwanzig Kilo wog.

Florido war die menschenleere und verlassene Einöde mit dem eingestürzten Turm hinter mir, was mir durchaus einen ersten Eindruck über die Titel und deren Wert an diesem Hof vermittelte.

„Mein lieber Graf, das wäre mir durchaus eine Erleichterung, ihr habt aber doch bereits eine solche Bürde mit eurer wunderbaren aber doch so schweren Rüstung, wollt ihr wirklich noch zusätzlich die Meine tragen?“

Natürlich hatte er nach der Ansprache keine Chance mehr, ich hätte ihm den Rucksack auch gleich überlassen können. Allerdings beeindruckte mich er mich damit, dass er sein Schild und seinen Helm ablegte und nach meinem Rucksack griff, den ich ihm mit einem zauberhaften, jedenfalls hoffte ich es, dass es das auch war, Lächeln überlies. Er schwang sich das schwere Ding mit weniger Mühen, als ich ihm zugetraut hätte, auf den Rücken und hob sein Schild und seinen Helm wieder auf.

„Ihr seid Soldat, nicht wahr, Herr Graf?“

Ich stellte mich weiterhin dumm, da ich hoffte, dass es sich nicht als die allerschlechteste Taktik bei einem echten Kaiser erweisen würde, von dem man nichts wollte und auf den man auch nicht angewiesen war.

„Oh ja, meine Dame, ich bin Hauptmann der kaiserlichen Leibgarde und damit direkt dem Kaiser selbst unterstellt.“

Ich übersetzte seine Ansprache mal mit: Wir werden bei einem Krieg nur dann den Feind zu sehen bekommen, wenn bereits alles verloren ist, oder sich jemand Zugang in den Palast erkämpft hat, was auf das Gleiche hinauslief.

„Ist es denn sehr weit weg? Ich bin etwas ermüdet von der Reise und würde mich wirklich gerne wieder zumindest einigermaßen standesgemäß kleiden, zumindest mit etwas anderem als diesen völlig unzulänglichen Kleidern, die in meinen viel zu beschränkten Rucksack passen, Reisen ist leider immer so einschränkend.“

„Nur bis um die nächste Ecke, da wartet meine Einheit auf mich. Eigentlich hätte ich gerade meine Offizierstaufe vor mir gehabt, die einen Marsch ganz alleine in das wilde und gefährliche Gebiet jenseits des Flusses beinhaltet, aber das muss wohl verschoben werden, da ich ja jetzt ja auf euch achten muss. Wie seid ihr eigentlich zu uns gekommen, habt ihr die wilden Gegenden da draußen ganz alleine passieren können? Man hört von so gefährlichen Wesen wie Ork, Zwergen und sogar Drachen!“

Ich sah ihn bis ins Mark erschüttert an, und meinte:

„Zum Glück bin ich von solchen unglaublichen Schrecknissen verschont geblieben, mein lieber Graf, zumindest, bis ich euch als tapferen Beschützer an meiner Seite hatte. Nun aber zu etwas Angenehmeren habt ihr eigentlich sehr viele Elfen in Wien?“

Er sah mich nachdenklich an und antwortete:

„Ah, ich war so von eurer Schönheit geblendet, dass ich eure Erscheinung gar nicht genug würdigen konnte.“

Lügner, dachte ich bei mir, charmant aber offensichtlich ein Lügner.

„Ihr seid unsere erste Elfe in Wien, meine Dame. Ich hoffe, ich bin nicht zu indiskret und ihr könnt mir meine unverschämte Frage vergeben, aber wie ist euer werter Name?“

„Mein Name ist Althea die Weiße, das ist ein Titel bei uns, der selbstverständlich nur denjenigen von Stand zuteilwird.“

Ich war mir hundertprozentig sicher, dass dies der schreckliche Moment der Wahrheit und einer Enttarnung werden würde, allerdings reagierte er noch viel schlimmer als befürchtet.

„Wie wunderbar, eine Elfe von Stand, ihr werdet in kürzester Zeit den ganzen Wiener Hof zu Füßen liegen haben. Ich hoffe, dass ihr mir erlaubt, euch von meinen Dienern angemessen einkleiden zu lassen, der Kaiser wird ganz bestimmt die Ankunft einer seiner treuen Untertanen aus Deutschland gebührend feiern wollen!“

Ich wollte darauf eingehen und ihn um eine Erklärung seiner merkwürdigen Bemerkung bitten, als wir um die nächste Straßenecke bogen und seine Einheit sahen. Meine Füße weigerten sich, mich auch nur einen einzigen Schritt weiter zu tragen.

 

 

5 Standesgemäß

 

Direkt vor uns stand eine goldene Kutsche und sie wurde von vier weißen Pferden gezogen, die wiederum von goldenem Geschirr gezäumt worden waren. Das Fell der Schimmel sah so aus, als würden sich täglich mindestens zwei verschiedene Pferdepflegerinnen darum kümmern, und die Hufe waren schwarz und glänzend, mit einer leichten Staubschicht bedeckt.

Um die Kutsche herum standen Soldaten mit Rüstungen, die noch mal deutlich weniger zum Kämpfen geeignet waren, als die von meinem Begleiter. Sie blitzten und waren absolut auf Hochglanz poliert, was aber noch das Harmloseste daran war.

Zusätzlich waren nämlich die Brustplatten, bei denen jeder Muskel nachgebildet worden war, noch mit sehr vielen goldenen und silbernen Verzierungen und Ornamenten beschlagen. Jeder Schwerthieb auf so eine Rüstung hätte meine alte Haftpflichtversicherung alle Feuer unter den Kesseln ihrer Rechtsabteilung legen lassen, nur um die Forderungen dieser horrenden Unsummen zu vermeiden, die auch nur ein einziger Kratzer daran verursachen würde.

„Meine Einheit, und für euch endlich ein einigermaßen angemessener fahrbarer Untersatz, damit der Weg zur Hofburg nicht so unbequem für eure zarten Elfenfüße wird.“

Mir wurde schwindlig, und das erste Mal seit der Umwandlung fühlte ich mich als vollständig weiblich, ich musste mich vor lauter Bestürzung an meinem Begleiter festhalten, um nicht die Besinnung zu verlieren.

Dieser legte hilfsbereit den bewehrten Arm um meine Hüfte und verhinderte so, dass ich stürzte. Er winkte den Soldaten zu, die sofort zu uns gerannt kamen, ihm den Rucksack, seinen Helm und den Schild abnahmen, und dann auch noch mich mehr oder weniger zur Kutsche trugen, da mich die Beine einfach nicht mehr tragen wollten, die sich in Gummi verwandelt hatten.

Zwei Pagen in eleganter Kleidung sprangen von dem Kutschbock, um mir und dem Grafen die Tür zu öffnen, was meinen Zustand nicht verbesserte. Ich war in diesem Moment fast schone weggetreten und am Ende allen Fassungsvermögens.

Die Welt drohte unterzugehen, die Drachen drehten völlig durch, oder zumindest ein Teil von ihnen, und diese Leute hier hatten nichts Besseres zu tun, als die alten Königs- und Kaiserhäuser inklusive des gesamten Adels und Schichtensystems wiederzubeleben, die eigentlich spätestens seit der Französischen Revolution wirklich nicht mehr ganz Stand der Dinge waren.

Ich wurde auf samtweiche und rubinrote Polster gehoben, die mir sagten, dass dies genau der richtige Moment sei, meinen Handrücken auf die Stirn zu legen und allen um mich herum mitzuteilen, dass jemand endlich etwas Wirkungsvolles gegen diesen ganzen unerträglichen Pöbel unternehmen müsse.

Nur leider war ich selbst Teil des unerträglichen Pöbels und fühlte mich auch sehr wohl dabei.

‚Okay, so sieht also der Wahnsinn aus, wir sind beide irregeworden. Und, willst du jetzt auch noch als Nächstes die ganze Welt mit Krieg überziehen, fühlst du schon das Ziehen?‘

Ich legte mir die Hand auf den Mund, um das Grinsen und mein Kichern zu verbergen, also kniff ich mir zur Sicherheit noch wirklich fest und schmerzhaft in die Wange, um nicht laut und brüllend loslachen zu müssen.

Inzwischen stieg der Graf zu mir in die Kutsche, und wir holperten gemeinsam in dieser völlig unwirklichen goldenen Kutsche, die von den vier unwirklichen weißen Pferden gezogen wurden, quer durch Wien, immer weiter auf die Hofburg zu, die seit vielen Jahrhunderten die Residenz der Wahl der Kaiser war, während wir von Soldaten in blitzenden, silbernen und goldenen Rüstungen begleitet wurden.

‚Wenn du unsere Tarnung auffliegen lässt, dann werden wir hier gar nichts erfahren, irgendwer muss unseren Kaiser und die neudeutschen Adligen hier unterstützen, und ich würde nur zu gerne diese Leute kennenlernen. Und du weißt ganz genau, dass das alles hier auf mich genauso schräg wie auf dich wirkt. Also reiß dich bitte zusammen.‘

Der Drang laut loszulachen und mich hier kichernd und lachend auf dem Boden zu wälzen, wurde bei meiner eigenen Ansprache geradezu übermächtig, also biss ich mir so fest auf die Zunge, dass ich leise vor Schmerzen aufstöhnen musste. Mein Begleiter sah sich besorgt nach mir um, sagte jedoch nichts, hoffentlich hatte er das Unwohlsein den spätsommerlichen und für die Jahreszeit zu warmen Temperaturen zugeordnet.

„Seid ihr in Österreich geboren, mein lieber Graf?“

„Nun ja, also eigentlich ja, aber um ganz genau zu sein, bin ich gar kein Österreicher, ich bin nämlich Wiener!“

„Ja, ihr Wiener wart ja schon immer ein ganz eigenes Völkchen, mein lieber Graf, nicht wahr?“

Er nickte eifrig, klatschte in die Hände und strahlte mich dabei an, als hätte ich ihm gerade die Kronjuwelen zum Geschenk gemacht.

Ein weiteres, nicht weniger spannendes und aufregendes Gespräch später, erreichten wir die Hofburg, wo die nächste Überraschung auf mich wartete. Das Schloss, und um nichts weniger handelte es sich, war in hervorragendem Zustand, es wurde offensichtlich von sehr vielen emsigen Händen sauber und in Schuss gehalten.

Vom Dach und von den Fahnenmasten wehten lange, wunderschöne Flaggen, ein roter Teppich war vor dem Haupteingang ausgerollt und der ganze Hof summte quasi vor Menschen. Es waren Soldaten in glänzender Rüstung, noch mehr edle Rassepferde und Männer und Frauen, die offensichtlich entweder Diener oder irgendetwas in der Art waren.

Es gab allerdings auch ein paar richtige Soldaten, denen man es schon am Gang ansah, dass sie die Wölfe unter all den Schafen waren, und mir stellte sich sofort die Frage, woher sie wohl ihre Kampferfahrung hatten, mit uns hatten sie jedenfalls nicht gekämpft, ich erkannte hier niemanden.

Irgendwoher mussten diese Leute ihre Reichtümer her bekommen haben, und jemand musste all die Menschen hier ernähren. Wobei ich zugeben musste, ich hatte nur sehr wenige wirklich dicke Menschen gesehen, sie hatten wohl eher kein Problem mit nahrungsüberflüssen.

Ich hoffte nur, die Situation würde für sie nicht in absehbarer Zeit kritisch werden, denn hungernde Menschen tendierten zu äußerst irrationalen Handlungen. Unsere Kutsche fuhr zu meiner Verlegenheit bis zum roten Teppich, wo die Pagen vom Kutschbock sprangen und uns das kleine, goldene Türchen öffneten.

Dann traten wir auf den Teppich, der Graf in seiner unbenutzten Kampfrüstung und ich nach wie vor in meinen zerlumpten Reiseklamotten. So hatte ich mir meinen ersten und vermutlich sogar einzigen Auftritt auf einem roten Teppich definitiv nicht erträumt.

Allerdings war ich natürlich auch nicht wegen so etwas hier, wies ich mich selbst zurecht, ich konzentrierte mich also besser auf meine Aufgabe.

‚Du hast keine Aufgabe hier, außer denen, die du dir selbst stellst, also vielleicht solltest du dich einfach mal entspannen und deine Zeit hier genießen, so schlimm kann das hier doch eigentlich gar nicht werden, ich glaube nicht, dass uns hier irgendwer auch nur annähernd ernsthaft gefährlich werden kann.‘

Natürlich hatte sie vollkommen recht, allerdings stieg ich trotzdem mit wackligen Beinen aus der Kutsche und wartete auf den Grafen, der sich hinter mir mitsamt seiner Rüstung aus der engen Kutsche quälte. Der Page, der meinen Rucksack hatte, stellte sich hinter mich und wartete. Meine Hand, die ich ihm reichte, um diesen wieder entgegenzunehmen, ignorierte er vollständig.

„Bitte folgt mir, meine Dame. Was ist eigentlich euer offizieller Titel, mit dem ich auch ankündigen darf, einfach nur die Weiße oder gehört da noch etwas dazu?“

„Einfach nur Althea die Weiße, mein lieber Graf, der Titel bedeutet sehr viel, da, wo ich herkomme.“

‚Bleibst du eigentlich immer so dicht bei der Wahrheit, wenn du jemanden anlügst?‘

‚Um ganz genau zu sein, ich bleibe am liebsten komplett bei der Wahrheit. Auf diese Art und Weise muss man sich nur merken, welche Dinge man verschwiegen hat, und redet sich selten um Kopf und Kragen. Lass die Leute sich ihre eigene Meinung bilden, meistens braucht es gar keine Lügen, sogar dann nicht, wenn man wirklich viel zu verbergen hat.‘

„Selbstverständlich, meine Dame, genau, wie ihr wünscht.“

Wir schritten gemeinsam den Teppich entlang, und ich hakte mich dabei in seinen Arm ein, den er mir dafür angeboten hatte. Mir war zwar bei der Geste nicht sonderlich wohl, allerdings hatte sich der Graf so viel Mühe mit mir gegeben, dass er sich das ganz sicher verdient hatte und ich daher über meine Bedenken, die sowieso nur aus meiner alten, männlichen Vergangenheit stammten, hinwegsah.

„Werden wir direkt in die Audienz gehen, ohne uns vorher ein wenig frisch zu machen?“

„Seine Majestät legt sehr viel Wert auf einen ersten Eindruck, daher sollen wir ihm Besucher immer erst einmal direkt und informell vorstellen, bevor er die erste Audienz gewährt. Ihr seid ganz sicher erschöpft von eurer Reise, aber es dauert bestimmt nicht lange.“

Wir betraten das Gebäude und die Reichtümer, die hier überall an den Wänden hingen oder ähnlich zur Schau gestellt wurden, hätten mich in einem anderen Leben äußerst beeindruckt, jetzt kam es mir das alles nur noch wie wertloser Tand vor. Obwohl jedes Stück Gold hier mit Sicherheit echtes Gold war, nur was tat man mit Gold, wenn man in einer Welt lebte, in der sich eigentlich niemand mehr dafür interessierte, wir hatten ganz andere Probleme.

Was mich aber wirklich beeindruckte, das war ihre Schmiedekunst, sie hatten jemanden, der mindestens so viel wie die Elfenschmiede von seinem Handwerk verstand, abgesehen davon natürlich, dass die Elfen nicht mit Stahl arbeiten konnten. Das war damals ein Indiz für mich gewesen, dass ich keine richtige Elfe war, Eisen war für mich kein Thema, für die Elfen allerdings sehr wohl.

Irgendwann kamen wir in einem Saal an, in dem allen Ernstes ein richtiger Thron stand, der zumindest mit goldenen Platten verkleidet worden war, oder vielleicht sogar aus massivem Gold bestand. Darauf saß ein ganz normaler Mann, allerdings so kostbar gekleidet, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte.

Er trug eine riesige Krone, einen roten Mantel und sogar noch dazu die kaiserlichen Insignien. Von einem Anzug oder einer Uniform schien er wenig zu halten, jedenfalls in diesem Moment nicht. Er hatte schwarze Haare, war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, nicht unbedingt der Schlankste aber auch nicht wirklich fett.

Wir blieben am Eingang stehen, dann kündigte der Graf uns an, indem er einem Ausrufer unsere Namen nannte.

„Der Graf Ferdinand mit der Lady Althea die Weiße, eure Majestät!“

Der Kaiser winkte uns zu sich heran, als ich plötzlich ein so unauffälliges Tasten spürte, dass es fast meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre. Sofort knallte ich die mentalen Schilde herunter, und zwar so, wie ich es damals mit Elida eingeübt hatte. Ich lies mir nichts anmerken, und ging einfach weiter. Was meine Schilde aber natürlich auch bedeuteten war, dass der Angreifer einen ziemlich heftigen magischen Schlag verpasst bekam, der ein wenig an einen elektrischen erinnerte.

Diesmal war das Ergebnis nicht viel anders, wie ich belustigt bemerkte, als ein merkwürdig bekleideter Mann hinter dem Kaiser plötzlich bewusstlos zusammensackte. Also hatten wir hier nicht nur Wölfe hier, sondern auch noch dazu einen Drachen, was die Situation doch noch mal deutlich veränderte.

Ernsthafte Sorgen machte ich mir allerdings immer noch nicht, Drachen kämpften, das wusste ich von Elida, nur sehr selten untereinander, und mental hatte er sich nicht wirklich sehr geschickt angestellt. Ob die Menschen hier von ihm wussten?

„Ich glaube fast, unser Hofmagier hat gerade einen kleinen Schwächeanfall, vermutlich wieder ein bisschen zu lang gefeiert, seine Partys sind in der Tat berüchtigt.“

Ich kicherte leise wegen der Bemerkung, ließ mir allerdings natürlich nicht anmerken, dass ich irgendetwas mit dieser speziellen Ohnmacht zu tun haben könnte. Zwei Diener sprangen zu ihm, ansonsten wurde der Vorfall zu meiner Erleichterung von den Leuten hier völlig ignoriert.

Mittlerweile hatten wir den Thron erreicht und knieten gemeinsam davor nieder. Ich wurde von dem Grafen flüsternd darauf aufmerksam gemacht, dass Damen hier bei Hofe nur knicksen und nicht knieten, woraufhin ich die Geste korrigierte, allerdings nicht ohne dabei ziemlich rot zu werden, obwohl ich es natürlich nicht hatte wissen können.

„Herzlich willkommen an unserem Hof, meine treuen Vasallen, es ist doch immer wieder schön, wenn ich Besuch von meinen Untertanen bekomme. Ihr wisst bereits, wen ihr vor euch habt?“

Ich schüttelte den Kopf und klappte den Mund zu, der schon seit einiger Zeit offenstand.

„Ich habe die meisten meiner nutzlosen Titel abgelegt, da die heutzutage wirklich keiner mehr braucht, also lasst mich euch einfach nur die Wichtigsten davon nennen. Ich bin der letzte Überlebende und rechtmäßige Nachkomme aus dem Hause der Habsburger, ein Enkel von Otto von Habsburg. Mein Name ist Franz-Joseph der Zweite, und damit bin ich der Kaiser von Ungarn, Österreich, der Schweiz, Tschechien und Deutschland. In Deutschland natürlich nur so lange, bis ein rechtmäßiger Nachkomme des preußischen Kaisers gefunden wird. Meinen kaiserlichen Bruder würde ich selbstverständlich sofort in Amt und Würden einsetzen, wir suchen bereits seit einiger Zeit nach ihm.“

Fasziniert lauschte ich seiner Rede, es war immerhin eine Weile her, dass wir einen deutschen Kaiser hatten, und noch dazu einen Habsburger. War Franz-Joseph nicht auch der Mann von Sissi gewesen?

„Und was ist mit Italien und ...“

Plötzlich wurde es still im ganzen Thronsaal, niemand sprach mehr, und der Kaiser starrte mich an, als hätte ich völlig den Verstand verloren. Dann lachte er plötzlich auf.

„Stimmt, vermutlich habt ihr es einfach noch nicht gehört, meine Dame. Wir warten noch sehnsüchtig auf den tapferen Ritter, der Italien von dem bösen, schwarzen Drachen befreit, damit sich das arme, geknechtete Volk dort meinem rechtmäßigen und Heiligen Stuhl unterwirft.“

Der Drache erhob sich wieder, anscheinend endlich von seiner Ohnmacht erwacht, und starrte mich wütend an. Dabei schüttelte er allerdings auch leicht den Kopf und zog anschließend seine Augenbrauen hoch.

Ich vermutete, dass er mir mitteilen wollte, dass wir hier keine bösen Drachen in Wien hervorholen wollten, also nickte ich ihm leicht zu. Er tippte sich noch gegen die Stirn, die Geste begriff ich allerdings nicht, er wollte mich ja anscheinend nicht beleidigen.

Der Kaiser hatte meinen Blick bemerkt, drehte den Kopf zu ihm und meinte: „Ah, der Hofmagier hat sich doch noch von seinem kleinen Schwächeanfall erholt. Clemens, darf ich euch Althea die Weiße vorstellen, diese werte Dame hat anscheinend bei ihrem Volk ebenfalls einen gewissen adligen Stand, was sagt ihr dazu?“

Der unscheinbare Mann verbeugte sich vor mir und dem Kaiser, was ich mit einem Knicks erwiderte. Ich fand, er sah eher wie ein Buchmacher als wie ein Magier aus, er hatte lichtes Haar und war fast einen halben Meter kleiner als ich. Seine Augen leuchteten jedoch vor Intelligenz und sein Lächeln sah aus wie das eines echten Wolfs, der sich unter lauter Schafen befand.

„Oh, ich habe schon von der Lady Althea gehört, eure Majestät, und ja sie hat tatsächlich sogar königliches Blut in sich. Jedenfalls, falls sie irgendwann den Thron beansprucht.“

Nun war es an mir, den kleinen und unauffälligen Mann auffunkeln, was ihn jedoch völlig kalt lies.

„Ah, das ist ja wunderbar, solange euch bewusst ist, dass der kaiserliche Thron natürlich über jedem Königshaus steht, werden wir euren Anspruch von Herzen gerne unterstützen!“

„Ich glaube, das wird nicht nötig sein, eure Majestät, das ist ein Weg, den die Lady Althea alleine gehen muss, aber sie würde selbstverständlich gerne von eurem heiligen Segen profitieren.“

Mit diesen Worten verbeugte er sich erneut vor seinem Kaiser, der die Handflächen ausstreckte und mich tatsächlich auf meinen zukünftigen Wegen segnete, um mir einen königlichen Weg zu ebenen, den ich noch nicht einmal gehen mochte. Wie sehr ich diesen Weg nicht gehen wollte, das sollte ich aber erst noch herausfinden. Und zwar sehr bald schon.

„Und nun wieder zu etwas weniger Ernstem, nichtsdestoweniger natürlich genauso Wichtigem, es wird nämlich heute Abend einen großen Ball geben, zum Anlass unseres Geburtstages. Meine Dame Althea, ich würde mich sehr darüber freuen, wenn ihr uns durch eure Anwesenheit beehren würdet. Herr Graf, sorgt ihr bitte dafür, dass die Dame etwas Passenderes als ihre Reisekleidung dafür bekommt?“

Eine Antwort unsererseits auf den kaiserlichen Wunsch wurde offensichtlich nicht mehr erwartet, wir durften uns verbeugen und entfernen. Der Graf plapperte bereits auf dem Weg nach draußen die ganze Zeit nur noch von dem großartigen Ball, und wie toll das alles werden würde. Mir wurde allerdings immer unwohler bei der Sache, vor allem hatte ich ja wirklich überhaupt nichts anzuziehen. Ich musste innerlich grinsen, als ich den Gedanken noch nicht ganz fertig gedacht hatte. Ich hatte mich offensichtlich irgendwo mit der weiblichen Krankheit namens Textilblindheit angesteckt.

„Das wird perfekt, meine Dame, die Hofdienerinnen wissen ganz genau, wie man eine wunderschöne Frau für einen Ball zum Strahlen bringt, ihr werdet schon sehen.“

Dabei grinste er so selbstzufrieden, dass ich erneut weiche Knie bekam. Anscheinend holte mich das Thema meines Geschlechts gerade mit Macht ein, ein Thema, dass ich die ganze Zeit über recht erfolgreich, zumindest meistens, sehr gut verdrängt hatte. Der Graf bot mir zum Überfluss dann auch noch den Arm wieder an, in den ich mich einhakte, und seine Aufmerksamkeit tat mir sogar deutlich besser, als ich erwartet hätte.

Vielleicht muss man erst ein Monster werden, bevor man völlig frei von gesellschaftlichen Zwängen und Vorstellungen wird. Bei mir war es mittlerweile definitiv so weit, ich ließ mich von Ferdinand durch das Märchenschloss führen und dachte an rein gar nichts mehr.

‚Und ich dachte, Drachen sind kompliziert.‘

Mir fiel keine gute Erwiderung ein, noch nicht einmal eine schlechte, also schwieg ich einfach und setzte immer weiter einen Fuß vor den anderen. Irgendwann erreichten wir die Quartiere des Grafen, die genauso luxuriös wie das restliche Schloss eingerichtet waren. Dort wurde ich vier kichernden und aufrichtig lächelnden Damen mit der Anweisung übergeben, mich für den Abend und den Ball herzurichten. Es dauerte nicht lang, dann wurde der Graf selbst von seinen eigenen Dienerinnen aus seinen Gästequartieren geworfen, die sich offensichtlich sehr über ihre Aufgabe zu freuen schienen.

 

 

6 Der Ball

 

Die netten Wienerinnen zogen mich aus, führten mich in ein Bad und dann wurde ich in eine riesige Wanne gesetzt, wo ich wirklich gründlich abgeschrubbt wurde. Sie beseitigten nicht nur den Schmutz von der Reise, sondern gleich noch von dem ganzen Feldzug, so fühlte sich es jedenfalls an.

Dabei kam die Diskussion wegen des Drachenmals hoch. Ich verkaufte es als Tätowierung und bat sie diese bei meinem Outfit zu verbergen, was den drei Frauen zwar überhaupt nicht gefiel, allerdings konnte ich mich zum Glück damit durchsetzen, es erschien mir sicherer zu sein.

Ich wollte aber auf jeden Fall Gespräche deswegen auf dem Ball vermeiden, außerdem gab es ja mindestens einen, der schon Bescheid wusste, und das reichte mir durchaus. Die Hornhaut wollten sie gleich noch in der Wanne entfernen, allerdings wurden sie da nirgends fündig, was zuerst ein bisschen Neid hervorrief, dann aber irgendwann der Grund für sehr viel Gelächter wurde, als sie mich damit aufzogen. Ich ließ den Spott gutmütig über mich ergehen, was die Stimmung unter uns ziemlich auflockerte, vielleicht weil ich ja eigentlich sehr viele Schwielen haben müsste, alleine schon wegen des Schwertkämpfens, aber ich bekam einfach keine.

Eine Sache, der ich in den letzten Monaten nicht wirklich sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet hatte, drängte sich im Bad ziemlich in den Vordergrund, nämlich dass meine Brust anscheinend seit meinem letzten Koma um einiges gewachsen war.

Die Größe war zwar gerade so noch erträglich, ohne Büstenhalter würde es allerdings wohl bei vielen Gelegenheiten, wie dem Kämpfen, zukünftig nicht mehr gehen. Ich hatte die Schmerzen in der Brust beim Rennen und Springen in letzter Zeit ignoriert, vor allem da echte Probleme sofort durch die Drachenheilung beseitigt wurden, jetzt wurde mir aber klar, woher sie kamen.

Die Veränderungen und die Geschlechtsreife meines Körpers hatten sich nicht nur auf die Drachengestalt ausgewirkt, sondern, in einem etwas geringerem Rahmen, auch auf meine zweibeinige Gestalt. Mein Busen wurde, vielleicht weil ich ihn selbst so genau inspizierte, ebenfalls zum Gesprächsthema bei den teilweise deutlich besser ausgestatteten Dienerinnen.

Sie diskutierten heftig, wie ich den diesen am Abend am besten auf dem Ball präsentieren sollte, und einigten sich dann auf einen Silikon-Klebe-BH, der tatsächlich den Ausschnitt verschönerte, allerdings irgendwann auch einfach entfernt werden konnte, falls er doch zu unbequem wurde.

Als Nächstes besorgte eine von ihnen Sekt, der interessanterweise nicht nur für mich bestimmt war, und die Stimmung bei uns allen natürlich ziemlich auflockerte. Ich wurde von den Damen ein wenig über die Spielregeln hier bei Hofe aufgeklärt, die zum Glück nicht so schlimm waren, wie das alles hier auf den ersten Blick ausgesehen hatte.

Die Stände waren zu meiner Erleichterung nicht so festgenagelt, wie es historisch vielleicht einmal gewesen war, und die meisten Leute hier fühlten sich mit der Situation eigentlich ziemlich zufrieden, da die Standesunterschiede in der Regel durch Dinge wie Gold und Ähnliches zum Ausdruck kamen, für die keiner mehr eine echte Verwendung hatte.

Dass es eine Dauerlösung werden würde, daran glaubte zwar auch niemand wirklich, aber sie spielten mit, solange es mehr oder weniger allen gefiel. In den Dienst gepresst wurde keiner, es war jedem freigestellt zu gehen, und es gab auch genügend Alternativen, wie einige kleinere Orte und Bauernhöfe in Österreich.

Die Mode war durchaus eher modern, wie ich zu meiner Erleichterung erklärt bekam, auch wenn es wohl einige Zeit im Gespräch gewesen war, die Mode mittelalterlich anzupassen, allerdings konnten sich diese Ideen wohl nicht durchsetzen. Man einigte sich auf modern mit amerikanischem Vorbild, also Hollywood.

Meine Haare und die Nägel rückten in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, sobald ich das Bad verlassen hatte und mir einen Bademantel überziehen durfte. Natürlich wehrte ich mich gegen den Nagellack, allerdings hatte ich keine Chance, ich bekam sämtliche Nägel geschnitten, gefeilt und dann einen weißen verpasst, der zu allem Überfluss auch noch glitzerte.

Dafür konnte ich mich aber erfolgreich gegen die Schminke wehren, als die jüngste von den Vieren auf meine Augen zeigte und fast das Gleiche sagte, wie Diana vor einer kleinen Ewigkeit, bei meinem allerersten Auftritt vor einer echten Königin.

Weiße Augenbrauen zu färben kam auch nicht infrage, also beließen wir es dabei. Irgendwann klopfte jemand an der Tür zu den Gemächern, es gab eine kurze und heftige Diskussion, der ich allerdings nicht zuhörte, ich war zu sehr damit beschäftigt, die drei Damen zu bewundern, die sich so viel Mühe mit mir machten.

Das Problem mit meiner Größe, ich überragte ja doch größer die meisten Wiener, lösten sie mit dünnen, sehr flachen Riemchensandalen, das mit meiner teilweise gebräunten Haut mit Glanzstrumpfhosen, die von den Übergängen unterschiedlicher Bräune ablenkten. An den Händen trug ich entsprechende halbtransparente Handschuhe.

Das Kleid selbst war asynchron angeordnet und setzte sich aus zum Teil durchsichtigen und undurchsichtigen Stoffstücken zusammen. Unterwäsche wurde mir komplett verwehrt, vermutlich deswegen, weil das Kleid an der Seite einen so langen Schlitz hatte, dass man gerade so das Band der Strumpfhose nicht sah, das deutlich über dem Bauchnabel saß. Die gesamte Prozedur dauerte Stunden, und am Ende erkannte ich mich selbst nicht wieder.

Mir wurden regelmäßige Toilettenbesuche ans Herz gelegt, jedenfalls, wenn ich vorhatte, mehr als einmal zu tanzen, um zu überprüfen, ob alles noch richtig saß und nichts verrutscht war. Am Rücken war das Kleid bis fast zur Strumpfhose rückenfrei, sehr viel verrutschen durfte diese also nicht.

Als ich irgendwann auf einem Sessel platziert wurde, wo ich auf meinen Begleiter für den Ball wartete, dämmerte mir so langsam, dass gut auszusehen für eine Frau ziemlich viel Aufwand bedeutete, und sich noch dazu nicht einfach nur mit der Vorbereitung erledigt hatte.

Unruhig stand ich auf und stellte mich vor einen Spiegel, der fast bis zur Zimmerdecke reichte und sogar jemanden meiner Größe von Kopf bis Fuß komplett zeigte, auch wenn ich nicht direkt davor stand. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und war in der Tat mit dem Ergebnis mehr als nur zufrieden. Natürlich gab es etwas auszusetzen, die unterschiedliche Hautfarbe zum Beispiel, aber das störte eigentlich nicht mehr wirklich.

Meine spitzen Ohren hatten sie nicht unter Haaren verborgen, sondern sogar noch mit der Frisur betont. Vielleicht war es ein bisschen zu viel weiß, ein weißes Kleid, weiße Haare, weiße Handschuhe, weiße Augenbrauen, weiße Schuhe, eine weiße Stumpfhose, weißen Nagellack, alles durchgehend weiß, bis auf die goldenen Drachenaugen natürlich, die sich nicht verändern ließen, was mir aber auch nicht recht gewesen wäre. Mir gefielen sie durchaus sehr gut, und sie passten vor allem sehr gut zu meiner zweiten Natur, auch wenn sie völlig unmenschlich waren und manchmal sogar die Menschen einschüchterten.

Die Älteste und auch gelassenste der Dienerinnen erklärte mir, dass sie meinen Rucksack entführt hatte, und zwar nicht nur um die Kleidung darin zu reinigen, sondern auch noch um die schlimmsten Stücke gleich auszutauschen und zu ersetzen. Ich nickte ergeben, gab ihr aber mit auf den Weg, dass die beiden Schuppen darin unersetzlich für mich waren, was sie nickend zur Kenntnis nahm.

Ich drehte mich zur Tür, als sie sich in diesem Moment öffnete und eine weitere Dienerin hereinkam, die mich fragte, ob der Graf mich jetzt sehen dürfe. Ich lächelte sie dankbar an und nickte, worauf der Graf ebenfalls den Raum betrat. Er sah umwerfend aus, furchtbar jung und wie ein richtiger Gentleman, nicht altmodisch, sondern modern chic mit einem wunderschönen Anzug, einem dunkelweinroten, ich war doch sehr beeindruckt, und die weiblichen Hormone in meinem Körper taten das Ihrige dazu.

Seine Reaktion war durchaus schmeichelhaft, sein Mund öffnete sich ein paar Mal und klappte am Ende nicht mehr zu, was dafür sorgte, dass ich ein Kichern nicht mehr zurückhalten konnte. Ich erkannte, dass es an mir gelegen war, etwas zu sagen, oder wir wären in diesem Moment in einer völligen Patt-Situation ohne Ausweg angekommen.

„Mein lieber Graf, ich hoffe doch sehr, dass ihre Reaktion nicht bedeutet, dass sie sich erst noch eine würdigere Begleitung für den Ball suchen müssen?“

Er hustete spontan auf, fing sich dann aber gleich wieder, und versicherte mir, dass der Verlust seiner Sprache und Haltung lediglich meiner umwerfenden Schönheit zulasten gelegt werden dürfe, und dass er daher völlig unschuldig daran sei.

„Also ganz im Gegenteil, meine wunderschöne Dame Althea, wir müssen darauf achten, dass sie mir heute Abend nicht ständig entrissen werden, wobei ich allerdings befürchte, dass mir dieses Kunststück nicht gelingen wird. Jeder wird mit ihnen tanzen wollen. Wollen wir gehen? Ansonsten könnten wir den Auftritt unserer besten Opernsängerin verpassen, und das wollen wir wirklich nicht. Ihr Name ist Angelina, und ich verrate ihnen etwas, ihre gesangliche Darbietung gleicht wirklich dem eines Engels, und diese wird nur noch von ihrer Schönheit übertroffen.“

Dann hielt er mir seinen Arm hin, in den ich mich einhakte, und ging mit mir durch viele Gänge des Märchenschlosses der österreichischen Kaiser, um irgendwann in einem riesigen Saal anzukommen, dem Ballsaal.

Wir kamen genau rechtzeitig, um ihrem ersten Auftritt beizuwohnen, und zu meiner erfreuten Überraschung war sie wirklich wunderbar. Sie sang ein vermutlich selbst komponiertes Lied, das ich nicht kannte, und als die Kapelle, die schon fast eher eine Big Band war, einfiel, kam der Kaiser quer über die Tanzfläche auf mich zu, verbeugte sich vor mir und forderte mich zum Tanzen auf, um den Ball mit mir zu eröffnen.

Keine Schlacht, kein Kampf und keine Verwandlung hätten mich auf diesen Moment vorbereiten können, ich versank fast vor Scham im Boden. Am liebsten hätte ich mich verwandelt und wäre davongeflogen, allerdings wäre das vermutlich von den Anwesenden als noch unhöflicher als eine Ohnmacht empfunden worden.

Also riss ich mich stattdessen zusammen, lächelte den Kaiser charmant an, nickte dem Grafen entschuldigend zu, der vor lauter Stolz so breit grinste, dass ich befürchtete, dass er mich bereits als sein Eigentum betrachtete, und wurde in den Mittelpunkt des ganzen Saals geführt.

Der Holzboden war zum Tanzen ideal geeignet, es war ein Hartholz aus der südlichen Hälfte unseres Planeten, das vermutlich seit der Umwandlung so ohne Weiteres gar nicht mehr zu kriegen war. Der Kaiser war ein hervorragender Tänzer, zum Glück, und er glich auch meine gelegentlichen Patzer aus.

Wobei ich feststellte, auch bei einem unbekannten Tanz waren übermenschliche Gewandtheit und Reflexe durchaus von Vorteil, ich hatte jedenfalls nicht das Gefühl, das ich mich völlig blamierte. Nach der offiziellen Eröffnung bekamen wir ziemlich viel Beifall, den ich aber vorwiegend ihm zuordnete, und er bestand darauf, noch ein paar weitere Lieder mit mir auf der Tanzfläche zu verbringen.

Der Abend war geprägt von belanglosen Gesprächen, sehr vielen Tänzen und einer Art von Entspannung und Lebensfreude, wie ich sie zuvor noch nie empfunden hatte. Wir tanzten und lachten, tranken sehr viel Sekt und Champagner, und ich unterhielt mich einfach großartig mit meinen Gastgebern. Vielleicht ein wenig deshalb, weil ich mich über kein einziges wirklich wichtiges Thema unterhalten musste, jedenfalls, bis ich von dem kleinen Hofmagier gestellt wurde, dem ich die ganze Zeit erfolgreich ausgewichen war.

„Die Barriere?“, meinte er zu mir, vermutlich, weil er sich in Geistsprache unterhalten wollte. Ich schüttelte jedoch misstrauisch den Kopf, ich traute ihm nicht wirklich über den Weg, weder ihm noch einem der anderen Wölfe. Er nickte ergeben und führte mich stattdessen auf einen Balkon, wo wir uns ungestört unterhalten konnten.

„Ich weiß, warum du hier bist, Althea. Es ist in Ordnung, ich werde mich dir stellen, aber bitte auf gar keinen Fall vor meinen Kindern, ich werde mich mit dir ein paar Dutzend Kilometer vor der Stadt treffen, wo man uns nicht mehr sieht, ist das für dich akzeptabel?“

Ich blickte ihn überrascht an. „Sicher, aber weshalb willst du denn überhaupt mit mir kämpfen?“

Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann seufzte er ergeben auf. „Du weißt es noch gar nicht, oder? Nun, dann werde ich mich dir trotzdem stellen, dann haben wir es beide hinter uns, auch wenn dir offenbar noch gar nicht bewusst ist, warum du das alles eigentlich tun musst. Ich bin sowieso noch das Kleinste deiner Probleme, glaub mir.“

Ich nickte ihm zu, ich hatte zwar keine Ahnung, wovon er redete, aber es war vermutlich etwas in der gleichen Richtung wie das, was mir die Feen und die Göttin erzählt hatten. Es wurde wirklich Zeit, dass ich Cornelia traf, und ein paar Informationen einsammelte.

„Was sagst du zu den Wienern und ihrer Art und Weise, mit dem Weltuntergang umzugehen, sie sind ein einzigartiges Völkchen, nicht war? Deshalb halte ich hier auch meine Hand schützend darüber, wenn auch nicht als Einziger. Sie wissen es nicht, dass ich auch ein Drache bin, und sollen es auch niemals erfahren, jedenfalls nicht, wenn ich es verhindern kann.“

„Ein faszinierendes Volk, ich habe mich seit der Umwandlung noch nie so entspannt gefühlt wie hier.“

Und so weiblich, aber das verschwieg ich ihm.

„Kannst du mir meinen Rucksack aufschnallen, wenn wir unser Date beendet haben? Was auch immer du dann von mir willst?“

Er nickte mir zu und setzte noch an, etwas zu sagen, als plötzlich noch einer der Wölfe den Balkon betrat.

„Einen wunderschönen Abend wünsche ich den Herrschaften. Darf ich mich vorstellen, ich bin Hauptmann Josef Binder. Ich möchte weder eine Konversation unterbrechen noch unhöflich sein, aber ich muss die Dame Althea bitten, mich für ein paar Fragen zu begleiten.“

Der Hofmagier drehte sich zu ihm um. „Geht es um irgendetwas, dass ihr in ihrem Gepäck gefunden habt? Nun, wie auch immer, ich verbürge mich für die Dame Althea. Sie wird hier niemandem etwas tun.“

Ich nickte und bekräftigte ihn, wobei ich mich doch sehr darüber wunderte, dass er für mich bürgte, woher konnte er wissen, dass ich eine der Drachinnen war, die noch bei Verstand waren?

„Ich gebe euch mein Wort, ich werde mich hier höchstens verteidigen, und auch dann niemanden töten oder schwerer verletzten, als es für meine Notwehr unbedingt notwendig ist!“

Der Hauptmann hustete überrascht, sah uns beide an, nickte dann jedoch ergeben, knallte die Hacken zusammen und verlies uns wieder.

„Ihr bürgt für mich?“

Der Hofmagier und Drache lachte laut und herzlich auf, als hätte ich gerade den Witz des Jahrhunderts gemacht.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739356488
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juli)
Schlagworte
Drachen Magie Elfen Althea Fantasy Liebe

Autor

  • Derik Peterson (Autor:in)

Als großer Fan von Rollenspielen und dem klassischen Fantasy Genre ala Tolkien wollte ich schon immer einmal etwas über unsere Welt schreiben, die in die Situation versetzt wurde, dass Magie funktioniert. Besonders fasziniert mich das Thema Fremdenfeindlichkeit in einer Fantasywelt.
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Titel: Die Drachenkönigin